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Militärstrategie im Wandel?

von Horst Pleiner

Kurzfassung

◄ Der 11. September 2001 markiert zugleich das Ende der Illusion, nach dem Ende des Kalten Krieges eine "Friedensdividende" lukrieren und Ausgaben für den Sicherheitsbereich reduzieren zu können, und den Ausgangspunkt für eine neue amerikanische Strategie, die nicht nur die Abwehr terroristischer Bedrohungen im Inland kennt, sondern vielmehr auf präventive militärische Aktionen gegen Terrororganisationen und sie duldende bzw. unterstützende Regimes setzt.

Den USA geht es dabei aber nicht nur um den Kampf gegen den Terror, sondern auch um die Sicherung von Ressourcen und Transportwegen. Die US-Präsenz in einer Reihe zentralasiatischer Republiken bzw. im Nahen und Mittleren Osten erhält unter diesem Gesichtspunkt einen ganz anderen Stellenwert, während die EU noch nicht einmal einen gemeinsamen Ansatz im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) gefunden hat.

Abschreckung und Eindämmung bleiben wichtige Elemente der US-Militärstrategie, werden nunmehr aber um präventive Operationen gegen Terrorismus und Produzenten von Massenvernichtungswaffen erweitert. Weder UNO noch NATO werden den USA dabei Einhalt gebieten können, wie Washington nicht erst im Irak-Krieg hat, sondern auch schon mit seinem Alleingang in der Suezkrise oder in einer Reihe von Interventionen in Lateinamerika bewiesen hat. Allerdings bleibt angesichts der weiten Verbreitung von Massenvernichtungswaffen die Frage offen, wie sich die USA gegenüber anderen Staaten als dem Irak verhalten werden.

Die transatlantischen Spannungen, die sich zuletzt in der Irak-Krise ganz offen gezeigt haben, werfen die Frage nach der Zukunft der NATO auf, die sich in einem komplexen Erweiterungsprozess befindet. Keinesfalls findet eine Transformation der NATO zu einem politischen Bündnis statt, weil die Strukturen dafür gar nicht vorhanden sind. Für Österreich bringt die Erweiterung 2004 einen Wandel seiner militärstrategischen Lage, die eine Reorientierung der Streitkräfte notwendig macht.

Die EU hat sich 1999 mit dem Helsinki Headline Goal eine ambitionierte Vorgabe für ihre ESVP gegeben, indem noch heuer 60.000 Mann für friedenserhaltende oder humanitäre Einsätze bereitstehen sollen, die binnen 60 Tagen abrufbar und in der Lage sein sollen, ihren Auftrag im Operationsgebiet für ein Jahr durchzuführen. Gerade dabei werden sich aber die Defizite zeigen, die in der EU hinsichtlich strategischer Kapazitäten wie z.B. von Luft- und Seetransport, aber auch Präzisionswaffen oder Raketenabwehr bestehen. Der technologische Rückstand gegenüber den USA wird immer größer, und Doppelgleisigkeiten mit NATO-Anstrengungen werden sich die EU-Staaten nicht leisten können.

So wie die USA bereits seit einiger Zeit die Umstrukturierung ihrer Streitkräfte betreiben, werden auch die europäischen Staaten nicht umhin kommen, ihre Streitkräfte dem gewandelten Einsatzspektrum anzupassen. Diese Transformation muss jedes Land auf Grund klarer sicherheitspolitischer Vorgaben vornehmen, wie sie im Fall Österreichs von der Bundesheer-Reformkommission erarbeitet werden. Nicht alle Streitkräfte werden in Zukunft das gesamte Einsatzspektrum abdecken können; eine engere Zusammenarbeit und Spezialisierung im NATO- bzw. EU-Rahmen wird unabdingbar werden. ►


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Militärstrategie im Wandel?

Überlegungen zu den Entwicklungen seit dem 11. September 2001

In den elf Jahren nach der durch die Änderung der politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse in den Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes und die darauf folgende Auflösung des Warschauer Paktes bedingten dramatischen Veränderung der militärstrategischen Lage nicht nur in Europa, sondern der gesamten Welt, war die Gefahr einer umfassenden, militärischen Konfrontation auf hohem technologischem Standard zwischen großen Militärmächten oder gar Bündnissystemen schlagartig geschwunden. Die USA gingen aus den Entwicklungen des Zerfalls der ehemaligen Sowjetunion als alleinige Großmacht mit globalem Handlungsspielraum hervor und übernahmen rasch und reibungslos eine politisch-strategische Ordnungsfunktion. Der 1990 sozusagen im "Graubereich" der damaligen strategischen Entwicklung erfolgte Übergriff des Irak unter Saddam Hussein gegen Kuwait wurde durch eine weit gespannte Koalition unter Führung der USA und Saudi-Arabiens bereinigt. Der durch den Zerfall der ehemaligen Sowjetunion bedingte Ausfall der strategischen bzw. politisch-ökonomischen Unterstützung für zahlreiche Länder im Nahen und Mittleren Osten sowie in Teilen Afrikas hatte zwar in den betroffenen Regionen erhöhte Instabilität und regionale Konflikthäufigkeit zur Folge, doch blieben die Auseinandersetzungen in der unteren Intensitätsebene und konnten im Allgemeinen durch begrenzte, meist multinationale Interventionen eingedämmt oder bereinigt werden.

In Somalia zeigte sich dann in aller Deutlichkeit die Problematik derartiger Interventionen in einem Umfeld, das keine klare Unterscheidung von "Freund" und "Feind" zuließ, und in der Folge ließen zahlreiche und in weit auseinander liegenden Ländern erfolgende unkonventionelle Angriffe bzw. Anschläge erkennen, dass sich die Art der Auseinandersetzungen zu verändern begann. Der modernen militärischen Technologie und dem von Exekutivstrukturen wahrgenommenen Sicherheitssystem westlicher Staaten wurde nicht mehr auf gleichartiger technologischer und struktureller Ebene entgegengetreten, sondern es trat eine Verlagerung in den subkonventionellen Bereich und die bewusste Anwendung asymmetrischer Verfahren ein. Mit der Anschlagserie vom 11.9.2001, deren Urheberschaft dem sich vorwiegend auf Stützpunkte in Afghanistan abstützenden und über weltweite Verzweigungen verfügenden terroristischen Netzwerk der islamisch-radikalen Al Qaida zugeschrieben wurde, veränderte sich im öffentlichen Bewusstsein und im militärstrategischen Denken die Lage entscheidend.

Ausgangspunkt 11. September 2001

Der 11.9.2001 hat in einem gewissen Sinn die westliche Welt, allen voran die USA, aufgerüttelt und dazu gezwungen, das Vorhandensein eines gezielt angreifenden, umfassend finanzierten und weltweit operierenden Netzwerks des Terrorismus zu akzeptieren und sich mit der Tatsache abzufinden, dass die davon ausgehende Bedrohung letztlich überall, zu jeder Zeit und v.a. gegen "jedermann" existent ist. Dabei - und das muss an dieser Stelle mit großem Bedauern festgestellt werden - war diese Bedrohung keineswegs neuartig, und wäre - bessere Koordinierung in der Datenaufarbeitung und -analyse und nachhaltigere Konsequenz in den vorbeugenden Maßnahmen vorausgesetzt - auch nicht unerwartet eingetreten. Spätestens seit dem Ende des "Kalten Krieges" und dem Zerfall der ehemaligen Sowjetunion war das Vorhandensein derartiger terroristischer Strukturen bekannt. Die 90er-Jahre hindurch konnte eine "breite" Spur eines zunehmend effizienteren und "kreativeren" Terrorismus in aller Welt bemerkt werden, der sich vorrangig aber keineswegs ausschließlich gegen die USA gerichtet hatte. Aber diese Entwicklung einer subversiv-subkonventionellen oder in anderem Sprachgebrauch auch asymmetrischen Bedrohung wurde teilweise nicht wirklich ernst genommen, wurde nicht als direkte und aktuelle Gefährdung akzeptiert und erschien für die politischen Verantwortungsträger oftmals unvorstellbar und mit der zunächst doch sehr optimistischen Erwartungshaltung in vielen westlichen Staaten als nicht vereinbar angesehen. Jedenfalls wurden Maßnahmen zur Verhinderung oder Behinderung dieser terroristischen Aktivitäten oft nur sehr zögernd und zurückhaltend gesetzt. Einerseits ging es um budgetäre Einsparungen oder Umschichtungen aus dem Sicherheitsbereich in andere Ausgabengruppen, die sich von der "Friedensdividende" entsprechende Rendite erhofften, und andererseits bestand immer wieder die Versuchung, "niemanden und schon gar nicht die Bevölkerung zu beunruhigen" und damit das sich durch die Entwicklungen der 90er-Jahre im Kaukasus, im Nahen Osten und v.a. auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien ohnedies bereits deutlich "eintrübende" Bild der nach Ende der großen Bündniskonfrontation vermeintlich "heilen Welt" noch weiter zu verdunkeln. Nur aus diesem Gefühl und emotionalem Hintergrund heraus ist zu verstehen, dass selbst die jahrzehntelang auf eine überraschende Nuklearbedrohung eingestellten USA in der Herausforderung des 11.9.2001 nicht in der Lage waren, mit einem Bereitschaftssystem der Luftverteidigung reaktionsschnell einzugreifen!

Der 11.9.2001 hat dann in aller Deutlichkeit bewiesen, dass diese terroristischen Bedrohungen existieren und auch "von innen heraus" wirksam werden können. Bislang eher nur mit Zurückhaltung gesetzte Maßnahmen der Personen- und Bewegungskontrolle wurden gefordert und akzeptiert und rasch begonnen, die erkannten "Schwachstellen" auszumerzen. Die durch die Ereignisse des 11.9.2001 überholten strategischen Vorgaben des "gesicherten" Kernlandes USA wurden neu überdacht. Die Zusammenfassung zahlreicher innerstaatlich tätiger Behörden in einem Department of Homeland Security (DHS) mit einem Gesamtumfang von angeblich bis zu 170.000 Mitarbeitern zeigt eine erkannte Ausrichtung auf "Heimatverteidigung", v.a. mit nichtmilitärischen Kräften und Mitteln. Aber selbst in den USA benötigen derartige Institutionen einige Zeit, um ihre volle Wirksamkeit zu erreichen. So ist offenbar von den angestrebten rund 100 hoch qualifizierten Analytikern des DHS bisher nur rund ein Drittel verfügbar, und es zeigt sich, dass auch mit hohem finanziellem Einsatz und modernster Technologie manche individuell bestimmten Fähigkeiten oder administrative Rahmenbedingungen nicht kurzfristig geschaffen werden können. Immerhin wurde in den USA im Mai 2003 eine Woche lang der Kampf gegen den Terrorismus umfassend mit rund 8.500 Teilnehmern geübt.

Der 11.9.2001 brachte für die USA die allgemeine Akzeptanz einer geänderten Strategie. Die Abwehr terroristischer Bedrohungen nur im eigenen Lande durch behördliche und polizeiliche Maßnahmen in Verbindung mit militärischen Mitteln wurde nicht mehr allein als zweckmäßig und angemessen angesehen. Besondere Bedeutung hat nun die vorbeugende Ausschaltung der Basen, Zentren, personellen Ressourcen und Infrastrukturen des Terrorismus durch offensives Vorgehen in jenen Ländern, die solchen Organisationen und Kräften bislang Unterstützung gewährten. Man war damit grundsätzlich zur gewaltsamen Intervention bereit und fand für dieses Vorhaben die notwendige Akzeptanz bei Bündnispartnern und Staaten wie z.B. Russland.

Diese geänderte psychologische Situation bescherte den USA eine Strategie, die noch im Herbst 2001 im Rahmen einer umfangreichen "Koalition der Willigen" eine direkte militärische Intervention in Afghanistan und eine weiträumige Operation zur Kontrolle des Persischen Golfes, des Arabischen Meeres und der Region des Horns von Afrika zur Unterbindung terroristischer Aktivitäten ermöglichte. In Afghanistan wurden die einheimischen Gegner der dominierenden Taliban direkt und indirekt unterstützt und schließlich bis Dezember 2001 eine neue Ordnung in diesem Lande geschaffen. Gleichzeitig erlaubte diese umfassende militärische Intervention die Einbindung der zentralasiatischen Staaten und die Nutzung von Stützpunkten in diesen Ländern im Umfeld Afghanistans.

Anfang 2002 wurde die Beseitigung der vom Regime Saddam Husseins im Irak ausgehenden regionalen und weltweiten Bedrohung als weiteres Ziel der amerikanischen Strategie genannt, und schon im September 2002 schien es klares Ziel der US-Politik zu sein, in diesem Land militärisch zu intervenieren. Nun war der Irak des Saddam Hussein im Jahre 1991 militärisch schwer angeschlagen worden und hatte in der Folge nicht nur wirtschaftliche Sanktionen, sondern auch eine ständige Überwachung von zwei Flugverbotszonen über dem Südteil bzw. Nordteil des Landes durch vorwiegend amerikanische und britische Flugzeuge zu akzeptieren und sich für einige Jahre der direkten Kontrolle von UNO-Inspektoren zu unterwerfen.

Der Feldzug im Frühjahr 2003 gegen das Regime Saddam Husseins im Irak konnte im militärischen Sinne innerhalb weniger Wochen abgeschlossen werden, und schon in der Schlussphase der Operationen wurden Syrien und der Iran als weitere "gefährliche" Staaten durch die USA identifiziert, deren Haltung genau zu beobachten sein werde. Der Iran betreibt den Aufbau von Produktionseinrichtungen für spaltbares Material offiziell und unter Aufsicht der IAEA, aber die Entwicklung von Nuklearwaffen wird nicht ausgeschlossen. Sowohl Syrien als auch der Iran unterstrichen auf diplomatischem Wege ihre kooperative Haltung und ließen das Bemühen um Ausgleich erkennen.

Die Sicherung von Ressourcen als strategisches Ziel

Es muss aber die gesamte Entwicklung seit dem 11.9.2001 im Nahen Osten sowie in Zentralasien und der Kaukasusregion, wo z.B. eine erhebliche amerikanische militärische Präsenz im Jahre 2002 zur Unterstützung Georgiens im Kampf gegen den Terrorismus etabliert wurde, auch in einem größeren strategischen Zusammenhang gesehen werden, der weit über den erklärten "Kampf gegen den Terrorismus" hinausgeht. Der gesamte angesprochene Raum beinhaltet den Großteil der Weltreserven an Erdöl und Erdgas, und Planungen für die Nutzung dieser Ressourcen und den Ausbau weitreichender Pipeline-Netze wurden schon seit einigen Jahren durch verschiedene Konsortien vorangetrieben. Alle diese Überlegungen und Planungen lassen sich letztlich nur dann systematisch weiterführen und die erforderlichen Investitionen gewinnträchtig nutzen, wenn eine gewisse Einflussmöglichkeit und Kontrolle im Sinne der Investoren über diese Einrichtungen gegeben sein wird.

Damit zeigt sich doch eine weit angelegte strategische Konzeption hinter den Entwicklungen der Zeit seit dem 11.9.2001. Erst diese Ereignisse schufen die Voraussetzungen für akzeptierte Interventionen in diesem in den nächsten Jahrzehnten zur Sicherung der Ressourcen so wichtigen Raum und damit den "Zugriff" auf wichtige Produktionsstätten oder Regionen, die für den Transport der Rohstoffe von Bedeutung sein werden.

Die eingeräumten Stützpunktrechte v.a. in Usbekistan und die Präsenz in Afghanistan sichern letztlich den ostwärtigen Transferbereich von Zentralasien nach dem Arabischen Meer. Die zunehmende Kooperation mit Georgien ermöglicht langfristig Einflussnahmen auf die Führung und Sicherung der transkaukasischen Pipeline-Projekte. Die zwischen dem Regime Saddam Husseins und Russland sowie der Volksrepublik China und Frankreich abgeschlossenen Verträge über den Zugang bzw. die Lieferungen aus den Erdölfeldern des Irak wurden von der amerikanischen "Verwaltung" noch in der Schlussphase der militärischen Operationen für ungültig erklärt und damit die Möglichkeit der Neuverteilung von Konzessionen und Rechten und des damit verbundenen Zugriffes bzw. der Kontrolle geschaffen. Die Präsenz im Irak ermöglicht einerseits die direkte Kontrolle der über Syrien an die Häfen des Ostmittelmeeres führenden Pipeline, und die Dislozierung amerikanischer Truppen in Usbekistan, Afghanistan, am Persischen Golf, im Irak und in Georgien bietet langfristig Optionen für eine etwaige Einwirkung auf den Iran und dessen strategisches Verhalten. In diesem Sinne hat der bisherige "Kampf gegen den Terrorismus" die strategischen Gegebenheiten nicht nur im Nahen Osten, sondern hinsichtlich der Ressourcensicherung für fossile Energieträger auch in globalen Dimensionen entscheidend verändert. Vordem kaum erwartbare Einflussmöglichkeiten in einem sensiblen Raum konnten innerhalb kurzer Zeit etabliert werden, und die dafür aufgewendeten Kosten und Mittel stehen langfristig gesehen in keinem Verhältnis zum erzielten Vorteil.

Dagegen haben die wirtschaftlichen und strategischen Vorteile einer Präsenz oder Mitwirkung an den "Sicherungsmaßnahmen" in der Region Nahost-Mittelost zunehmend bei verschiedenen Staaten das Interesse an einer Beteiligung geweckt. Der Entschluss Polens zur Übernahme der Verantwortung in einem Überwachungs- und Kontrollbereich im südlichen Irak im Rahmen einer unter polnischer Führung stehenden multinationalen Division, an der sich neben anderen auch Spanien und die Ukraine mit je einer brigadestarken Gruppierung beteiligen, war daher unter diesem Gesichtspunkt keine Überraschung. Auch der japanische Beschluss, erstmals seit der Aufstellung der Selbstverteidigungskräfte mit einem substanziellen Truppenkontingent außerhalb Japans direkt teilzunehmen, unterstreicht die enorme Bedeutung des Nahen Ostens für die Ölversorgung Japans und zeigt damit beispielhaft eine konsequente Umsetzung ökonomisch-strategischer Erfordernisse in militärische Maßnahmen. Ebenso sind in diesem Zusammenhang die rasche Wiederannäherung Frankreichs an die amerikanische Mittelostpolitik unmittelbar nach dem "erklärten" Ende der Kampfhandlungen im Irak, das Angebot Indiens zur Gestellung von bis zu 17.000 Angehörigen der Streitkräfte für den Irak und auch die Andeutung einer Akzeptanz und möglichen Beteiligung durch Deutschland zu bewerten. Dabei bleibt es in strategischer Hinsicht unerheblich, ob etwaige Beteiligungen an ein spezifisches UNO-Mandat geknüpft werden oder nicht: Allein die Tatsache der signalisierten Bereitschaft unterstreicht die vorab angeführte langfristige Bedeutung im Raum.

Die EU hat demgegenüber bislang weder im Rahmen der ESVP noch im Rahmen der Währungsunion, trotz langfristig zwangsläufig gleicher ökonomisch-strategischer Interessen der Teilnehmerländer im politischen oder strategischen Sinne, gemeinsame und zielorientierte Reaktionen für die fragliche Region gesetzt. Noch stehen nationale und oftmals auch innenpolitische Interessen einer gemeinsamen Linie zu deutlich entgegen. Da im August 2003 auch die Führungsfunktion für die ISAF im Großraum Kabul von der NATO übernommen wurde, hat die ESVP als Instrumentarium keinen Impuls für diesen Raum gesetzt, trotz der Mitwirkung nationaler Kontingente einiger ESVP-Mitglieder in Afghanistan im Rahmen von ISAF oder als Teil der Operation Enduring Freedom. Es ergibt sich daraus bisher jedenfalls kein erkennbarer Ansatz einer strategischen Initiative der EU in diesem Raum.

Im Jahr 2003 hat sich aber ein Wiedererstarken der terroristischen Netzwerke gezeigt, und die offizielle Diskussion um jene Aussagen des amerikanischen Untersuchungsberichtes vom Frühjahr 2003 über die Anschläge vom 11.9.2001 und deren Hintergründe und Strukturen, die eine etwaige Unterstützung durch Kreise in Saudi-Arabien zum Inhalt gehabt haben dürften, zeigte in aller Deutlichkeit die Sensibilität der Situation. Die begonnene Verlagerung der großen amerikanischen Stützpunkte aus Saudi-Arabien in einige Scheichtümer des Persischen Golfes zeigt auch hier eine gewisse Adaption an die erwartbare, vermutlich ungünstige Entwicklung. Nicht umsonst musste das Territorium Saudi-Arabiens für die Operationen amerikanischer Bodentruppen ausgespart und die räumliche Beengtheit des Aufmarsch- und Bereitstellungsraumes Kuwait akzeptiert werden.

Die Terroranschläge des Jahres 2003 gegen "weiche" Ziele in Marokko, Saudi-Arabien, Indonesien oder etwa gegen Ziele im Irak, aber auch die immer wiederkehrenden Attentate in Pakistan und die zunehmenden Angriffe in Afghanistan und im Irak, die den nach wie vor existenten Elementen der Taliban und der Al Qaida zugeschrieben wurden, beweisen die Möglichkeiten dieser Netzwerke und deren Bereitschaft zur Aktivität. In diesem regionalen Zusammenhang muss auch der Kampf der Tschetschenen um Unabhängigkeit gesehen werden, sind doch auch dort entsprechende Ressourcen an Erdöl und Erdgas sowie eine hohe Bedeutung als Transferland für derartige Produkte vorhanden. Damit sind auch Russlands strategische Interessen im Raum unmittelbar berührt, und die Intensität der Aktionen der tschetschenischen Separatisten hat jedenfalls Moskau überrascht.

Es darf aber bei aller Orientierung an der komplexen strategischen Problematik der Sicherung von Ölreserven nicht vergessen werden, dass auch sonstige Aspekte der Sicherstellung der Energieversorgung, die Auswirkungen von Wasserknappheit, allgemeiner Bevölkerungsdruck auf Grund von übermäßigem Bevölkerungswachstum, Verluste landwirtschaftlich nutzbarer Fläche durch lang anhaltende Trockenheit oder - wie für die nächsten 50 Jahre ja für den Norden Afrikas und den Süden Europas vorhergesagt - allgemeine Klimaverschiebungen oder Zugriff der organisierten Kriminalität auf eine Region etwa zur Drogenproduktion oder auf bestimmte Lagerstätten von essenziellen Rohstoffen usw. schwere Unzufriedenheit, Unruhen und letztlich Aggressivität auslösen können, die dann unter verschiedensten ideologischen oder religiösen Ansätzen zu terroristischen Aktivitäten gegen die "Unterdrücker", "Ausbeuter", aber auch jene Länder und Kräfte führen können, die eben die nutzbringende Umsetzung der Produkte aus kriminell beherrschten Regionen oder die wirtschaftliche Entwicklung der von Krisen geschüttelten Regionen behindern oder gar bekämpfen.

Dabei wird der "Feind" nicht mehr ausschließlich in konventioneller Form auftreten, sondern verstärkt asymmetrische Verfahren entwickeln, verfeinern und entsprechend nutzen. Der "Fisch schwimmt" dann zwar im Sinne von Maos Thesen über den Guerillakrieg innerhalb der Krisenregion "im Wasser der eigenen Bevölkerung", aber in den Zielgebieten der Aktivitäten in den USA oder Europa und Australien ist dieser "Fisch" bereits vorhanden oder reist oftmals legal ein und verharrt über lange Zeit als "Schläfer". Und es wird für diese terroristischen Gruppierungen im jeweiligen Zielland Sympathisanten geben, die entweder wissentlich oder im "guten Glauben" die Vorbereitung und Durchführung derartiger Aktivitäten unterstützen oder sich gar als "Mitkämpfer" rekrutieren lassen und damit die vorbeugende Aufklärung und Abwehr durch die Mittel des Rechtsstaates erheblich erschweren. Und Diskussionen um die "moralische" Rechtfertigung dieser oder jener Maßnahme auf distanzierter, theoretischer Ebene eröffnen den Nährboden für die Gewinnung von Sympathisanten, deren Identifizierung selbst dem Megasystem eines DHS erhebliche Schwierigkeiten bereiten könnte.

Die Weiterentwicklung der Strategie der USA

Für die USA hat sich nach dem 11.9.2001 die dringende Notwendigkeit ergeben, die Grundprinzipien der bis dahin verfolgten Militärstrategie als Teil der Strategie zur Wahrung der nationalen Interessen der USA neu zu überdenken. Dem war schon bald nach dem Amtsantritt von Donald Rumsfeld als Verteidigungsminister der USA im Jahre 2001 dessen Ankündigung vorangegangen, die amerikanischen Teilstreitkräfte in leichtere, reaktionsschnellere, weniger erkennbare und gemeinsam effizientere Kampfverbände umzubauen. Rumsfeld hatte schon zu diesem Zeitpunkt die Ansicht vertreten, dass die Bedrohungen für Amerika außerhalb der USA nicht mehr länger durch Kampfpanzer, Bombenflugzeuge oder Flugzeugträger abgeschreckt werden könnten. Mit seinen Zielsetzungen traf Rumsfeld jedoch auf harte Widerstände bei den politischen Repräsentanten und militärischen Verantwortungsträgern der Teilstreitkräfte, die alle für ihre Selbstständigkeit und ihre speziellen Entwicklungsprojekte Befürchtungen hegen mussten. Nur das Artillerieprojekt Crusader der U.S. Army fiel letztlich diesen Plänen Rumsfelds zum Opfer, und die budgetäre Freigiebigkeit nach dem 11.9.2001 ließ den nachhaltigen Zwang zur Einsparung zugunsten einer Transformation der Streitkräfte vorübergehend bedeutungslos werden.

Umso intensiver wurde aber die Formulierung einer angepassten militärstrategischen Doktrin vorangetrieben, um der geänderten Natur der Bedrohung zu entsprechen. Für die USA geht es darin um die Absicherung ihrer militärischen Überlegenheit und die Klarstellung gegenüber potenziellen Konkurrenten, sich militärischer Aufrüstung mit dem Ziel zu enthalten, die Schlagkraft und militärische Macht der USA zu erreichen oder gar zu überbieten.

Aber auch die bekannten Prinzipien der Abschreckung und der Eindämmung haben weiterhin ihren Stellenwert im strategischen Spektrum, diese Ziele wurden nunmehr ergänzt durch die Vorbeugung und die defensive Intervention. Damit ging man weit über bisherige Festlegungen hinaus und machte eindrucksvoll klar, dass im Bedarfsfalle mit präventiven oder allenfalls reaktiven Interventionen militärischer Art zu rechnen sein wird, v.a. um dem Terrorismus die Basis zu entziehen oder die Entwicklung und Verbreitung von Massenvernichtungswaffen oder Raketentechnologie zu unterbinden. Die Intervention in Afghanistan und die Eindämmungs- und Überwachungsmaßnahmen im Rahmen der Operation Enduring Freedom konnten als erste Beispiele für die nunmehrigen Vorstellungen gewertet werden.

Für die USA ist dabei v.a. bei präventiven Operationen gegen den Terrorismus oder Produzenten von Massenvernichtungswaffen die Suche nach breiter politischer, aber auch militärischer Unterstützung durch die internationale Staatengemeinschaft erstrebenswert. Aber die USA werden nicht zögern - und das Beispiel des Feldzuges gegen den Irak im Frühjahr 2003 hat dies bereits deutlich gemacht -, bei möglicher Bedrohung des Landes oder der amerikanischen Bevölkerung auch ohne diesen internationalen Konsens allein oder im Rahmen einer anlassbezogenen Koalition der "Willigen" aktiv zu werden und, wo immer erforderlich, ihre Maßnahmen zu setzen. Über die geeigneten Mittel und den technologischen Vorsprung dazu verfügen die amerikanischen Streitkräfte jedenfalls schon jetzt, und die zukünftigen Programme werden auf diese Erfordernisse ausgerichtet. So sollen die Rüstungskonzepte mit langfristiger Ausrichtung die dominante Vorreiterrolle der USA in globalem Ausmaß gewährleisten, und es sieht derzeit nicht danach aus, dass diese Position durch einen der beiden möglichen Konkurrenten Russland oder Volksrepublik China in Frage gestellt werden kann.

Man wird also mit einer dominanten Rolle der USA in den für die USA relevanten Sicherheitsfragen und strategischen Aspekten zu rechnen haben. Die damit verfolgten Interessen werden nicht immer in volle Deckung mit den Interessen anderer Partner, etwa in der NATO oder UNO, zu bringen sein. Das schmälert - im Gegensatz zu in den zurückliegenden Monaten oft geäußerten Meinungen - die Bedeutung von NATO oder UNO keineswegs. Beide Organisationen werden nur in Zukunft nicht immer das Regulativ für die Maßnahmen der USA sein können. Aber das ist an sich im historischen Rückblick nicht neu. Die USA hatten sich nicht gescheut, zur Wahrung der amerikanischen Interessen und Zielsetzungen eine eigenständige Strategie zu betreiben. Das hatte sich bereits sieben Jahre nach der Gründung der NATO im Jahre 1956 im Zuge der so genannten "Suezkrise" gezeigt. Dabei wurde von den USA unter Einsatz währungspolitischer Maßnahmen nachhaltiger Druck auf Großbritannien ausgeübt, der schließlich von den NATO-Verbündeten ein Nachgeben und Einlenken auf die US-Vorstellungen erzwang. Ähnliche Kritik wie vor dem Feldzug gegen den Irak 2003 hatte die UNO durch die USA schon im Jahre 1954 erfahren, als es um die Wahrung der Interessen der "United Fruit Company" in Honduras ging. Bemühungen des damaligen Generalsekretärs der UNO um Ausgleich der Interessen der amerikanischen Gesellschaft und der regionalen Einwohner wurden nachhaltig behindert bzw. verzögert, und ein Umsturz in Honduras beendete dann die UNO-Bemühungen.

Auch im Zusammenhang mit der "Kongokrise" des Jahres 1961 wurden Maßnahmen der UNO durch die USA und Großbritannien zumindest nicht ausreichend unterstützt, da offenbar neben den Interessen des belgischen Minen-Betreibers auch amerikanische und britische Interessen an den erheblichen Ressourcen der Provinz bei der Bewältigung der Katanga-Sezession eine Rolle gespielt haben dürften.

Vor Beginn des Feldzuges gegen den Irak hatten die USA ab Spätherbst 2002 die UNO unter erheblichen Druck gesetzt und keinen Zweifel an ihrer Entschlossenheit gelassen, auch ohne die definitive Zustimmung des UNO-Sicherheitsrates ihre präventiven Maßnahmen gegen den Irak zu setzen. Diese Vorgangsweise schwächte naturgemäß die Bedeutung des UNO-Sicherheitsrates als globales Regulativ in Sicherheits- und Interventions- sowie Sanktionsfragen. Es wird sich zeigen, in welchem Ausmaß in Zukunft diese Institution als sensibilisiertes "Gewissen" Einfluss auf politisch-strategische Entwicklungen und Bereinigung von Konflikten nehmen kann. In moralischer Hinsicht hat die Erfolglosigkeit der monatelangen Suche westlicher Spezialkräfte nach verborgenen Lager- oder Produktionsstätten von Massenvernichtungswaffen des zerschlagenen Regimes wiederum eine Stärkung der UNO und ihrer Instrumentarien bewirkt, was in zukünftigen Krisen eine wesentliche Rolle spielen könnte.

Inzwischen haben aber die Schwierigkeiten im Irak, die in den geradezu täglichen Anschlägen ihren sichtbaren und medienwirksamen Ausdruck gefunden haben, ein gewisses Einlenken der USA gegenüber der UNO erkennen lassen. Die UNO könnte doch gerade unter solchen Verhältnissen, trotz des Anschlags auf das Hauptquartier in Bagdad, eine Katalysator-Funktion übernehmen.

In den USA wurde aber im Zusammenhang mit der Schwierigkeit der Ordnungstätigkeit die Frage angedacht, ob moderne Kampftruppen für derartige Ordnungs- und Sicherungsfunktionen überhaupt geeignet sind. Als Konsequenz daraus wurde für die Durchführung derartiger Operationen in Zukunft eine Unterteilung in zwei Phasen abgeleitet. In der ersten Phase sollen amerikanische Kampftruppen gemeinsam mit den qualifizierten Kräften der jeweiligen Verbündeten die operativen Ziele gewinnen und die Voraussetzungen für die Umsetzung in die angestrebten politisch-strategischen Ergebnisse schaffen. In einer zweiten Phase sollen dann vorwiegend Kräfte zusätzlicher Verbündeter die Ordnungs- und Sicherungsfunktion übernehmen. Diese Phasenstruktur einer Intervention beinhaltet für die Zukunft interessante Aspekte für etwaige Partner und sollte am Beispiel der aktuellen Sicherungsmaßnahmen im Irak mit multinationalen Divisionen usw. eingehend beobachtet und ausgewertet werden.

Die schon in den letzten Jahren angesprochene "Konstabularisierung" der Streitkräfte gilt demnach doch nur für bestimmte Teile der Armeen oder für Streitkräfte jener Länder, die sich auf Grund ihrer sicherheitspolitischen Einbindung und militärstrategischen Lage mit Vorrang auf derartige Beteiligungen ausrichten könnten. Die Mitgliedschaft innerhalb eines Bündnisses erleichtert jedenfalls diese Art von Differenzierung, führt zu einer Art von Lastenteilung und ermöglicht den gezielten und wesentlich effizienteren Einsatz der Budgetmittel und personellen Ressourcen, ohne dabei den Grad der gegebenen oder erwartbaren Sicherheit für das eigene Land zu vermindern. Allerdings muss dann auch die eindeutige Bereitschaft gegeben sein und signalisiert werden, den erforderlichen Beitrag in der ersten oder zweiten Phase derartiger Operationen tatsächlich zu leisten und damit den Partnern gegenüber Glaubwürdigkeit aufzuweisen.

Grundsätzlich ist Prävention in einer militärstrategischen Doktrin nicht neu. So hat Israel über viele Jahre an einer derartigen Zielsetzung festgehalten und in der Prävention die entscheidende Möglichkeit zur Existenzsicherung gesehen. Der Überraschungsangriff aus der Luft auf den in Fertigstellung befindlichen irakischen Nuklearkomplex in den frühen 80er-Jahren war ein deutliches Beispiel für die konsequente Umsetzung dieses Prinzips. Bevor eine Gefährdung im strategisch bedeutenden Umfeld einen bestimmten Grad erreichen oder überschreiten konnte, war sie zu reduzieren!

Die nunmehrige militärstrategische Doktrin der USA wirft jedoch für einen anderen Bereich einige Fragen auf. Aus einer im Juni 2003 veröffentlichten Übersicht des "Büros für Sicherheitspolitik" der Landesverteidigungsakademie in Wien geht hervor, dass derzeit nach Ausschaltung des Irak noch 34 Länder Massenvernichtungswaffen besitzen, herstellen oder entwickeln bzw. die Fähigkeit zur Entwicklung und Produktion besitzen. Unbeschadet der tatsächlichen Umsetzungs- oder gar Einsatzmöglichkeiten durch die Masse der in dieser Auflistung enthaltenen Länder (wie z.B. Äthiopien, Chile, Indonesien, Kasachstan, Myanmar oder Thailand) verbleiben im A-Waffenbereich mit Algerien, Indien, dem Iran, Libyen, Nordkorea und Pakistan einige "kritisch" bewertete Länder, die eine entsprechende Raketentechnologie bereits zur Verfügung oder deren Entwicklung weitgehend vorangetrieben haben. Falls im Sinne der angeführten Doktrin also von einem dieser Länder eine gewisse Bedrohung ausgehen sollte, erhebt sich dann auch die Frage nach der vorbeugenden Intervention bzw. dem tatsächlichen strategischen Nutzen eines modernen Abwehrsystems gegen ballistische Raketen. Es erscheint somit konsequenterweise ein derartiges Abwehrsystem strategisch nur gerechtfertigt als aufwändige Vorbeugung gegenüber einer derzeit rein hypothetischen Bedrohung durch ballistische Flugkörper mit Nuklearsprengköpfen der Volksrepublik China oder Russlands, die eben nicht durch präventive Maßnahmen bereinigt werden könnte. Bei Ländern wie Nordkorea, Indien oder Pakistan oder allenfalls dem Iran mit einer sehr geringen Anzahl von einigermaßen weitreichenden Trägersystemen wäre ein tatsächlicher Angriff mit derartigen Systemen auf die USA oder Europa nur als irrationale Kurzschlusshandlung vorstellbar. In jedem Falle wären die Konsequenzen eines solchen Vorgehens für das aggressive Land unvorhersehbar, und das würde nicht einmal nukleare Vergeltung erfordern!

Die politische Rechtfertigung eines solchen Raketenabwehrsystems könnte sich aus industrie-politischen Gesichtspunkten hinsichtlich der Impulse für Forschung und Entwicklung von Hochtechnologie sowie der Erhaltung hochwertiger Arbeitsplätze und einer umfangreichen Zulieferungsindustrie ergeben. Es muss in diesem Zusammenhang auf die bestehende Abschreckungskapazität der westlichen Verbündeten und hier v.a. der USA verwiesen werden, die nach wie vor die Einstufung der Nuklearwaffen der angeführten Mächte als politisch-strategische Systeme im Sinne der Nuklearstrategie zur Zeit des Kalten Krieges rechtfertigen. Eine Eskalation im Sinne der Theorien Hermann Kahns in den irrationalen Bereich kann jedenfalls auch auf lange Sicht bei keinem der beteiligten Länder erwartet werden.

Da die USA aber innerhalb der NATO eine entscheidende und im Grundsatz auch als solche anerkannte Position einnehmen und nach wie vor wesentliche Träger der transatlantischen Gemeinschaft sind, werden sich die aus der Neuformulierung der amerikanischen Militärstrategie ergebenden Fragen in Zukunft auch in der NATO, auf die Mitgliedsländer der NATO, aber auch die nicht der NATO angehörenden Mitglieder des Euro-Atlantischen-Partnerschafts-Rates auswirken. Es gilt daher, im Zusammenhang mit der weiterentwickelten Militärstrategie und den komplexen Problemen im Verhältnis einiger NATO-Staaten zu den USA vor und während des Feldzuges gegen den Irak, die Position der NATO abzuhandeln.

Die NATO und die Herausforderungen des Jahres 2003

Die NATO hat durch die Aufnahme Polens, Tschechiens und Ungarns auf die nachhaltigen sicherheitspolitischen Veränderungen in Zentral- und Osteuropa reagiert und dadurch die militärstrategische Stabilität in diesem Raum erhöht und diesen Ländern eine Art sicherheitspolitischer "Garantie" geboten. Mit der Erweiterungsrunde des Jahres 2002 wurde sozusagen die "Außengrenze" des kollektiv zu verteidigenden Bündnisgebietes nach Osten und Südosten verschoben und zugleich die zwischenzeitlich erzielte strategische Abstimmung mit Russland unterstrichen. Die letztlich reibungslos - wenn auch gegen entsprechende Gegenleistungen auf anderen Gebieten - von Moskau akzeptierte heranstehende Aufnahme der drei baltischen Staaten in die NATO unterstreicht den Abbau der früheren Konfliktdimensionen der USA und NATO mit der ehemaligen UdSSR und die Überwindung des vormals vorhandenen "Einkreisungsbewusstseins". Damit sind aber doch auf längere Sicht die Außengrenzen der NATO als stabil und friedlich anzusehen, und eine militärische Konfrontation konventioneller Art ist - zumindest für den europäischen Teil der Landgrenzen der NATO - auf die überschaubaren nächsten 20 Jahre weitgehend auszuschließen. Nur die Grenzen im Osten der Türkei sind auch nach Wegfall des Saddam Hussein-Regimes im Irak zumindest teilweise noch konfliktträchtig. Die Kurdenfrage ist nur einer der destabilisierenden Faktoren in diesem strategisch bedeutenden Raum.

Für die militärische Konzeption der NATO haben diese Veränderungen grundsätzlich neue Rahmenbedingungen erbracht. So sollen die neuen Mitgliedstaaten der NATO in der Lage sein, mit eigenen Streitkräften am Anfang einer Krise Sicherungsmaßnahmen zu setzen, aber für eine nachhaltigere Wahrung der Sicherheitsinteressen oder gar eine Verteidigung des Territoriums reicht die "Eigenkapazität" nicht aus. Es erscheint auch für eine ganze Reihe der neuen Mitglieder der Aufbau einer - gemessen an Bevölkerungsanzahl und Wirtschaftskraft - überdimensionierten Streitkräftestruktur nicht wünschenswert. Daher wird im Falle einer Krise die NATO durch Entsendung von Verstärkungskräften - die je nach Region und Lage etwa den Umfang eines verstärkten Korps und entsprechende Elemente der Luftstreitkräfte erreichen werden - reagieren. In den jeweiligen "Aufnahmeländern" wird aber dafür die Vorbereitung der Infrastruktur einschließlich geeigneter Luftstützpunkte betrieben, und wie man aus den Erfahrungen der Reforger-Übungen aus der Zeit des Kalten Krieges weiß, können derartige Verstärkungen relativ rasch zugeführt werden und die notwendige Einsatzbereitschaft herstellen. Damit ist in den außen liegenden, neuen Mitgliedstaaten der NATO an sich keine zusätzliche Truppenpräsenz erforderlich und eine militärstrategische Beunruhigung etwa für die Ukraine oder Russland nicht gegeben. Und diese neuen Mitgliedstaaten ihrerseits sind bemüht, gleichsam als Gegenleistung einen im Rahmen ihrer Möglichkeiten angemessenen Beitrag zu multinationalen Operationen außerhalb des NATO-Vertragsgebietes und im "Kampf gegen den Terrorismus" zu erbringen.

Auf dem NATO-Gipfel in Prag wurde im November 2002 in konsequenter Reaktion auf die neue strategische Situation die Aufstellung einer multinationalen Response Force (NRF) beschlossen, die mit einer Stärke von rund 20.000 Mann vorwiegend für Aktivitäten im Rahmen des "Kampfes gegen den Terrorismus" außerhalb des NATO-Vertragsgebietes vorgesehen sein wird. Diese NRF soll innerhalb von fünf Tagen zur Verlegung in einen Einsatzraum verfügbar sein und je nach Art des Einsatzes aus eingemeldeten Modulen und Verbänden maßgeschneidert strukturiert werden. Allerdings beinhaltet die Einmeldung von Kräften für das jeweilige Mitgliedsland de facto die Verpflichtung, im Anlassfall nach entsprechend beschleunigten Entscheidungsprozessen innerhalb der NATO dann auch diese Kräfte zu entsenden! Es ergibt sich derzeit der Eindruck, dass ein erheblicher Teil der für die NRF angebotenen Kräfte identisch mit jenen Verbänden bzw. Einheiten ist, die vom jeweiligen Doppelmitglied in NATO und EU auch für die EU-Force im Rahmen des Helsinki Headline Goal eingemeldet wurden. Damit werden sich - letztlich ohnedies unausweichliche - Fragen nach den jeweiligen Prioritäten der Streitkräftenutzung ergeben.

In letzter Zeit wurde immer wieder hervorgehoben, dass sich die NATO von einem militärischen Bündnis mehr und mehr zu einem politischen Bündnis entwickeln würde. Aber die NATO basiert nach wie vor auf dem Grundvertrag, und ihr Primäranliegen ist die kollektive Verteidigung des Territoriums der Mitgliedstaaten. Die darüber hinausgehenden Einsätze sind im Sinne der Out of area-Wirksamkeit nicht Gegenstand der kollektiven Maßnahmen, sondern ergeben sich aus dem jeweiligen Anlassfall und dem politisch-strategischen Stellenwert, den der einzelne Mitgliedstaat einer Mitwirkung zuordnet oder davon erwartet.

Die Gefahren des Terrorismus, die Notwendigkeit von militärischen Einsätzen außerhalb des Vertragsgebietes und die geänderte amerikanische Militärstrategie erfordern die Abhandlung neuer Zielsetzungen, die Festlegung von Rahmenbedingungen und Vorgaben für militärische Reaktionen und bringen in ihrem Vorlauf öffentlichkeitswirksame diplomatische Aktivitäten mit sich, die allenfalls den Eindruck einer Dominanz der "politischen" Funktion der NATO erwecken könnten. Die NATO hat aber für eine "politische" Funktion keine neuen Strukturen oder Mechanismen entwickelt und auch keine Grundsätze etwa im Sinne einer nichtmilitärischen Integration oder harmonisierten Außenpolitik festgeschrieben. Das Erscheinungsbild hat sich geändert, nicht aber die Zielsetzung, die Funktion und der Inhalt.

Es muss jedoch festgestellt werden: Der jeweilige politische Stellenwert des einzelnen NATO-Mitgliedstaates ergibt sich aus dem Beitrag zur Funktionalität des Gesamtsystems und zur Zielerreichung im Rahmen der einvernehmlich akzeptierten Vorgaben. Und damit begründet sich auch eine gewisse Sonder- und Vorrangstellung der USA innerhalb des Bündnisses. Die USA bringen wesentliche Mittel auf strategischer und operativer Ebene in das Bündnis ein, die derzeit durch die europäischen Partner nicht substituiert und bestenfalls langfristig mit äußerst hohem budgetärem Aufwand zumindest in Teilen bereitgestellt werden können. Die Diskussion in den zurückliegenden 24 Monaten um Anzahl und Gesamtkosten der neuen strategischen Transportflugzeuge des Typs A-400 M hat gezeigt, wie gering der "budgetäre" Spielraum der europäischen Mitglieder derzeit ist, und es wird sich zeigen, in welchem Ausmaß die Bemühungen um ein europäisches Abwehrsystem gegen ballistische Raketen (TMD) finanziert und damit weitergeführt werden können.

Für die bisherigen "alten" Mitgliedstaaten der NATO ergeben aber alle diese Entwicklungen, die einen direkten Zusammenhang mit der langfristigen Änderung der Bedrohungslage und der darauf angepassten neuen amerikanischen Militärstrategie aufweisen, einen nachhaltigen Zwang zur Modifikation ihrer militärstrategischen Konzeptionen und ihrer militärischen Strukturen.

In Deutschland hat daher schon im Mai 2003 Verteidigungsminister Peter Struck die Grundzüge eines angepassten militärstrategischen Konzeptes öffentlich bekannt gegeben. Darin wird von einem klaren Vorrang der Mitwirkung an multinationalen Operationen zur Friedenssicherung und damit im Ausland gesprochen und die nationale, territorial bezogene Funktion der "klassischen" Verteidigung nachrangig gesehen. Diese Zielvorstellung fand keineswegs ungeteilte Zustimmung, aber die gleichzeitigen Forderungen nach budgetärer Verbesserung bzw. die Diskussionen über die akuten budgetären Defizite zeigen doch, dass eben die konservativen Auffassungen zu erforderlichen "Verteidigungsstrukturen" und die progressiven Zielsetzungen für die in der Zukunft benötigten "Verstärkungs- und Interventionskräfte" nicht parallel weiter verfolgt und v.a. finanziell abgesichert werden können.

Abschließend muss angeführt werden, dass die für 2004 heranstehende Erweiterung der NATO die militärstrategische Situation Österreichs und entsprechend auch der Schweiz für die nächsten Jahrzehnte entscheidend verändern wird. Eine direkte militärische Bedrohung Österreichs durch konventionelle militärische Kräfte ist damit nicht mehr argumentierbar. Jede theoretische Bedrohung ist ab 2004 zunächst ein Problem der NATO, und Österreich befindet sich - unabhängig von der Tatsache der formalen und verfassungsmäßig abgesicherten Beibehaltung der Neutralität oder einer Änderung dieser sicherheitspolitischen Selbstbindung - jedenfalls in der Tiefe und damit in einer Situation zur Gewährleistung der territorialen Sicherheit, zur Überwachung und allenfalls zum Schutz seines Luftraumes und allenfalls - in Abhängigkeit vom Charakter und Mandat der Operation - zur Unterstützung eines Transits von Truppen und Gütern, aber auch zur Mitwirkung an multinationalen Operationen mit geeigneten Kräften im Rahmen mandatsgedeckter Aktivitäten oder einer innerhalb der EU und ESVP möglicherweise festzulegenden neuen militärstrategischen Dimension. Damit verändern sich aber auch die Aufgaben der Kräfte und Mittel der österreichischen Landesverteidigung in weit stärkerem Maße, als dies bisher schon in der im Dezember 2001 vom österreichischen Nationalrat beschlossenen "Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin" antizipiert wurde.

Die EU und die ESVP im Jahre 2003

Die EU hat im Jahre 1999 die Vorbereitung einer Einsatztruppe im Rahmen des Helsinki Headline Goal beschlossen, die in einer Gesamtstärke von rund 60.000 Angehörigen aller Teilstreitkräfte innerhalb von 60 Tagen für friedenserhaltende oder humanitäre Einsätze in einem außerhalb der Territorien der EU-Mitgliedstaaten liegenden Operationsgebiet verfügbar sein soll. Insgesamt sollen diese EU-Kräfte auf eine Aufenthaltsdauer in einem Einsatzraum von einem Jahr ausgerichtet sein, was aber nicht bedeutet, dass jeder Truppensteller über den Gesamtzeitraum beteiligt sein muss. Vielmehr wird eine Art Rotationssystem ersichtlich, in dem die Funktion der "lead nation" oder "framework nation" von einem Land nach meistens sechs Monaten auf ein anderes übertragen wird, und das betreffende Land dann auch das Hauptquartier mit einem Teil des dafür erforderlichen Personals (z.B. 35 von 95 Funktionen) einen überwiegenden Anteil der Truppen und zumindest den Rahmen der erforderlichen Unterstützungs-, Führungs- und Versorgungstruppen stellt. Den Kern der EU-Kräfte bilden Bodentruppen in einer Größenordnung zwischen 20.000 und 35.000 Angehörigen, die aus einer breiten Einmeldung v.a. an mechanisierten Brigaden oder brigadeähnlichen Verbänden zugeordnet werden können.

Während also bei diesen gepanzerten (mittleren bis leichten) Brigaden keine Defizite bestehen und de facto bei den europäischen Streitkräften dafür ein "Überangebot" vorhanden ist, gibt es in anderen Bereichen und v.a. bei den strategischen Kapazitäten erhebliche Defizite. Diese sind in manchen Bereichen (wie z.B. bei strategischen Transportmitteln, Luftbetankung, Drohnensystemen usw.) deckungsgleich mit den für die NATO-Verbände identifizierten Engpässen, und somit kann eine "harmonisierte" Bemühung um Verringerung dieser Schwachstellen erwartet werden. Insgesamt befassen sich derzeit acht Arbeitsgruppen mit Lösungen für die Bereiche der Luftbetankung, CSAR, Einrichtung multinationaler Hauptquartiere, ABC-Abwehr, Abwehr ballistischer Raketen, Entwicklung von Drohnen, strategischer Lufttransport, weltraumgestützte Einsatzmittel und einheitliche Verfahren bei humanitären Hilfs- und Rettungsaktionen. Weiterhin offen bleiben die Probleme des strategischen Seetransportes, der Marschflugkörper, der Präzisionsmunition, der Kampfhubschrauber und der Luft-Boden-Überwachungssysteme. Den einzelnen Mitgliedsländern steht es dabei frei, sich an diesen Arbeitsgruppen zu beteiligen und die Ziele und damit verbundenen Aufwendungen zu akzeptieren, allenfalls nur beobachtend den Fortgang zu verfolgen oder auf eine Teilnahme zu verzichten und damit auch technologisch nachzuhinken.

Bei der Konferenz von Thessaloniki wurden die Zielvorstellung einer EU-Rüstungsagentur im Juni 2003 abgehandelt und ein Forschungsfonds mit 25 Mio. Euro dotiert. Aber was bedeuten 25 Mio. Euro, wenn vergleichsweise allein die finanzielle Unterstützung des polnischen Irak-Einsatzes durch die USA mit rund 230 Mio. USD veranschlagt wurde? Innerhalb der EU ergeben sich für die Bemühungen um möglichst abgestimmte Entwicklungen von Rüstungsgütern usw. nach wie vor Schwierigkeiten durch die parallel betriebenen nationalen Programme und die jeweils nationalstaatlichen Rücksichtnahmen bzw. Förderungen der eigenen einschlägigen Industrie. Bisher ist es weder der NATO noch der Western European Armament Group (WEAG) gelungen, diese Hindernisse zu überwinden, und der Versuch der EU wird mit Interesse zu verfolgen sein.

Es besteht aber für die europäische Rüstungsindustrie - allenfalls ohne die mit den USA auf einer anderen Ebene kooperierende britische Industrie - zunehmend die Gefahr, in den nächsten zehn Jahren in einen kaum mehr aufholbaren technologischen Rückstand gegenüber den USA und deren Industrie und damit auch in strategische Abhängigkeiten von den USA zu geraten, die letztlich die - allenfalls zukünftige - Entwicklung einer eigenen "europäischen Säule" der Sicherheit und Verteidigung (unabhängig davon, ob nun innerhalb der NATO oder als eigenständige EU-Dimension) a priori hinfällig machen könnten. Da sich diese Problematik aber auch für die NATO-Mitglieder, die zugleich EU-Mitglieder sind, abzuzeichnen beginnt, wird wohl ein Ansatz im NATO-Rahmen zumindest die Ausweitung der technologischen Lücke vermindern oder verzögern, andererseits aber damit den Vorrang der NATO-Orientierung nachhaltig verstärken und Überlegungen zu einer "eigenständigen" europäischen Säule auf lange Sicht entwerten oder in den Bereich der Vision verweisen.

Die EU sollte aber in ihren "strategischen" Dimensionen nicht unterschätzt werden. Mit der Veröffentlichung von vorrangigen Infrastrukturprojekten im Rahmen von 18 transeuropäischen Verkehrsnetzen (TEN), die eine entsprechende EU-Förderung erhalten werden, hat sie - aus welchen Motiven auch immer - auch für die zukünftigen Verstärkungsmaßnahmen etwa im Rahmen einer NATO-Maßnahme oder als Teil einer EU-Beistandsoperation wesentliche Verbesserungen für Aufmarsch und Logistik in Aussicht gestellt. Immerhin sind dabei auch einige Ausbau-Projekte in Österreich genannt worden, die die Hauptverbindungen mit Bahn und Autobahnen nach Nordosten, Osten und Südosten in ihrer Leistungsfähigkeit erheblich verbessern und Österreich auch zur budgetären Sicherstellung "zwingen" werden. Nach bisherigen Veröffentlichungen übernimmt die EU für diese Projekte 50% der Planungs- und bis zu 15% der Realisierungskosten, und die österreichische Verkehrs- und Infrastrukturentwicklung wird wohl die ergänzend erforderlichen Budgetmittel erhalten müssen!

Österreich hat in seiner "Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin" aus dem Jahre 2001 und im aktuellen Regierungsprogramm die aktive Mitwirkung an den sicherheitspolitischen Bemühungen und Maßnahmen der EU im Rahmen der ESVP als Zielvorgabe festgelegt und die Intention zum Ausdruck gebracht, die Entwicklung einer allgemeinen Beistandsverpflichtung innerhalb der EU zu betreiben und zu fördern. Dies mag als Vision die innerösterreichischen Diskussionen hinsichtlich eines etwaigen Beitrittes zur NATO zwar abschwächen, findet aber in der überschaubaren Realität keinen wirklichen Ansatzpunkt.

Grundsätzlich werden von den NATO-Mitgliedstaaten der EU so genannte Doppelgleisigkeiten strikt abgelehnt, sodass weder Kräfte noch Mittel ausschließlich für ESVP-Zwecke bereitgestellt werden. Hier liegt wiederum eine Chance für die Nicht-NATO-Mitglieder der EU wie Österreich, Schweden, Finnland oder Irland, durch entsprechende Beiträge zu militärischen Strukturen und Operationen einen gewissen "NATO-unabhängigen" Stellenwert innerhalb der ESVP zu erlangen. Allerdings setzt dies die Verfügbarkeit geeigneter und einsatzbereiter Kräfte und Mittel und die entsprechende budgetäre Vorsorge für dieTeilnahme an Operationen u.ä. voraus. Bei begrenzten Mitteln ergibt sich daraus aber der Verzicht auf überholte Strukturen, das Abgehen von nicht lagegerechten Präsenzstärken und vom Einsatz von Budgetmitteln für nachrangige Vorhaben und Strukturen. Schweden hat mit erstaunlicher Konsequenz und Nachhaltigkeit bereits diesen Weg beschritten und neben drastischen Einschnitten bei Luftstreitkräften und Marine einschließlich der Küstenartillerie auch das Heer nachhaltig reduziert.

Ebenso erscheinen Überlegungen hinsichtlich einer schrittweisen Entwicklung einer "europäischen" Streitkraft durch Unterstellung nationaler Kontingente und deren "Multinationalisierung" auf lange Sicht als Vision. Auch wenn sich der nationale Umfang für Bodentruppen dadurch verringern kann, ergeben sich daraus keine budgetären Einsparungen. So werden entsprechende - vermutlich quotenmäßig festgelegte - Beiträge für die "europäischen" Truppen und v.a. die notwendigen strategischen Systeme für Aufklärung, Kommunikation, Luftverteidigung, Raketenabwehr, Transport und Logistik sowie Seetransport und Seeoperationen zu leisten und zusätzlich Truppen für die Gewährleistung der nationalen, territorialen Sicherheit bereitzuhalten sein. Die Probleme sind vielfältig und werden mit jedem Schritt ins Detail vertieft, und damit rücken eine eigenständige "europäische" Streitmacht oder eine eigene "europäische" Säule außerhalb der NATO unter den überschaubaren Rahmenbedingungen der nächsten 20 bis 30 Jahre in die vermutlich unrealistische Dimension "schöne Ziele".

Konsequenzen für die Streitkräfte

Zunächst wird es darauf ankommen, zukunftsorientierte nationale militärstrategische Doktrinen zu entwickeln bzw. vorhandene Doktrinen zu überprüfen und den geänderten Verhältnissen und Herausforderungen möglichst rasch anzupassen. Dafür bieten sich die verschiedensten Methoden des "Making of a Strategy" an, nur sollte man, weder zögerlich noch von herkömmlichen Vorstellungen oder "Erhaltungstendenzen" beeinflusst, letztlich unvoreingenommen an diese Arbeit herangehen. Dabei ist eine einseitige Erarbeitung, sei es durch politische Repräsentanten, wissenschaftliche Experten, nachrichtendienstliche Analytiker, Wirtschaftsfunktionäre oder gar nur militärische Planer, wohl immer mit dem Überwiegen einer besonderen "Zielvorstellung" verbunden, und die Optimierung wird sich nur im geeigneten Mix erzielen lassen.

Die in den letzten Jahren geänderten Aufgaben und Verschiebungen der Prioritäten haben die Mitwirkung an multinationalen Operationen außerhalb des eigenen Staatsgebietes zunehmend in den Vordergrund gerückt. Die Bereitstellung der dafür erforderlichen Kräfte gestaltet sich bei den gegenwärtigen in Europa noch vorwiegend vorhandenen Streitkräftestrukturen zunehmend schwieriger. Eine gewisse "Harmonisierung" zwischen der NATO und der EU wird ebenso unerlässlich sein wie die nationale Beurteilung der eigenen Interessen und der Vorteile bzw. des erwünschten politisch-strategischen Stellenwertes im Falle einer Mitwirkung an Operationen von "Koalitionen der Willigen".

Ein gewisser Trend zur Aufteilung von multinationalen Einsätzen zwischen der NATO und der EU in regionaler und aufgabenbezogener Hinsicht zeichnet sich bereits ab. Der Bereich Bosnien-Herzegowina und Kosovo, die Kaukasus-Region und v.a. Afrika werden zunehmende Schwerpunkte für EU-Operationen der nächsten zehn Jahre sein. Das schließt jedoch die Mitwirkung von Truppen aus EU-Ländern an NATO-, OSZE- oder UNO-geführten multinationalen Operationen in anderen Regionen nicht aus, wie das bereits in den Hinweisen zum Zwei-Phasen-Konzept der USA angesprochen wurde.

Die Bemühungen der USA und der NATO um die Anpassung der Streitkräfte an die neue militärstrategische Doktrin unterstreichen in aller Deutlichkeit, dass die Denkmodelle der klassischen Verteidigungsarmeen des Kalten Krieges ihre Gültigkeit verloren haben. Der Prozess zur Umstrukturierung der Streitkräfte innerhalb der NATO und der EU ist in weiten Bereichen "schmerzhaft", wird langwierig sein, beinhaltet den Abschied von "wohlvertrauten" Strukturen, die Erarbeitung neuartiger operativer und taktischer Verfahren und erfordert klare Prioritäten im Einsatz der - begrenzt - vorhandenen Budgetmittel.

Dieser Planungsvorgang zur notwendigen Transformation kann nur von klaren sicherheitspolitischen Vorgaben des jeweiligen Landes und den jeweiligen nationalen Interessen verbunden mit dem Bewusstsein jenes Stellenwertes, den man einzunehmen gewillt ist, ausgehen. Diese sind etwa für Österreich in der "Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin" aus dem Jahre 2001 enthalten und werden nunmehr im Lichte der aktuellen, vorab dargestellten Entwicklungen von 2001 bis 2003 nochmals zu überprüfen und nach Bedarf anzupassen sein.

Der Bundesheer-Reformkommission wird dies als vornehmste Aufgabe zukommen, und als deren Ergebnis sollten realistische Zielvorstellungen etwa hinsichtlich des Umfanges der österreichischen Beiträge außerhalb des Landes u.ä. vorliegen. Davon sind dann die Aufgaben der Streitkräfte möglichst konkret hinsichtlich Raum, Zeit, Stärke, Verfügbarkeit und Intensität abzuleiten, konkret: In welchen Regionen sollen die Streitkräfte in welcher Stärke, für welche militärischen Funktionen und Verfahren, innerhalb welcher Zeit und mit welchem Ausbildungsstand unter welchem Kommando für wie lange einsetzbar sein?

Sind die Aufgaben entsprechend aufgelistet, werden die zu ihrer Erfüllung notwendigen Fähigkeiten darzustellen bzw. jene Fähigkeiten klar anzuführen sein, die durch Partner oder die übergeordnete Ebene bzw. Struktur beigestellt werden sollen. Und ausgehend vom Katalog dieser Fähigkeiten sind dann die Ableitungen für die konkrete Organisation, die notwendige Ausrüstung und Technologie, die Verfügbarkeit und Einsatzbereitschaft und damit die Art der Ausbildung, Vorbereitung und personellen Sicherstellung zu treffen. Erst dann wird der notwendige Umfang der Professionalisierung festgelegt und somit die Auswahl des Wehr- und personellen Rekrutierungssystems getroffen werden können.

Allerdings werden sich hier auch Grenzen hinsichtlich der zu rekrutierenden Anzahl von freiwillig länger dienenden Soldaten im jeweiligen Land ergeben. In den letzten Jahren wurde schon über Probleme in der personellen Befüllung professionalisierter Verbände des Heeres in Spanien, Belgien oder Frankreich in den Medien berichtet. Man kann allerdings im jeweiligen Land eine relativ zutreffende Prognose des Freiwilligenpotenzials erstellen. Auch für Österreich wäre dies möglich - etwa in Fortsetzung der Arbeit der "Expertenkommission für die Prüfung der Voraussetzungen für die Umstellung des Wehrsystems", die als Ergebnis ihrer Tätigkeit Anfang 2001 zunächst einen "Zwischenbericht" vorgelegt hat. Daraus ergibt sich illusionslos der Umfang der im Ausland jeweils einsetzbaren Kräfte, der allenfalls verfügbaren Ablösungen und damit des realistischen Umfanges der multinationalen Beteiligung hinsichtlich Stärke, Anzahl der Operationen und Dauer der Mitwirkung.

Schließlich sind alle diese Ableitungen an Hand einer realistischen Budgetprognose zu überprüfen, allenfalls zu modifizieren und gegenüber der Politik klarzustellen, welche Fähigkeiten dann eben nicht verfügbar sein oder welche Aufgaben nicht wahrgenommen werden können. Und diese Überlegungen bedingen auch die Ausrichtung der Gesamtstärke der Streitkräfte in Zukunft. Schweden hat diesen Schritt bereits gesetzt. Frankreich hat hinsichtlich der Hauptwaffensysteme seine Ziele mit dem Modell der Armee 2015 gesteckt, und für die deutsche Bundeswehr wurden Reduzierungsvorgaben erteilt.

Es muss aber auch der Standard der notwendigen Militärtechnologie beurteilt und eindeutigen Kategorien zugeordnet werden. V.a. kleinere Staaten oder Länder, die ihren Streitkräften einen Budgetanteil unter 2% BNP zumessen, werden nicht bei allen Teilstreitkräften und innerhalb derselben wieder in allen Waffengattungen oder Diensten das höchste technologische Niveau anstreben können. Hier sind konsequente Beurteilung und vorurteilslose Zuordnung gefordert. Es gibt eine lange Reihe von Bereichen, die von Streitkräften kleiner Länder nicht auf ähnlichem Niveau wie bei hoch technisierten Streitkräften abgedeckt werden können. Vielfach ist Hochtechnologie nur im Systemverbund nutzbar, und wenn dieses "Gesamtsystem" etwa in der terrestrischen Luftabwehr nicht erzielt werden kann, sind ineffiziente Investitionen zu vermeiden.

Bereits die Luftoperationen 1999 gegen Jugoslawien und in noch viel stärkerem Maße im Jahre 2003 gegen den Irak haben gezeigt, dass die Feuerleitung durch Radar für Fliegerabwehrsysteme entweder gar nicht genutzt werden konnte oder im Falle der Aufschaltung innerhalb kürzester Zeit ausgeschaltet war. Die Konsequenz daraus ergibt sich von selbst, und das damit verbundene Defizit kann nur durch Einbindung in ein "übergeordnetes" System ausgeglichen werden.

In den Folgejahren nach den Operationen zur Befreiung Kuwaits 1991 und dann im Gefolge der Luftoperationen gegen Jugoslawien wurde immer wieder die nunmehrige dominante Rolle der "Air Power" betont und in manchen Analysen sozusagen der absolute Vorrang der Mittelzuweisung für die Luftstreitkräfte gefordert. Es steht fest - und die Operationen in Afghanistan im Herbst 2001 und gegen das Regime Saddam Husseins im Irak im Jahre 2003 haben das eindrücklich bestätigt -, dass die Luftstreitkräfte mit ihren differenzierten Komponenten nunmehr tatsächlich einen weitaus höheren Beitrag zur Gesamtoperation leisten, als dies vor 15 Jahren oder gar im Zweiten Weltkrieg der Fall gewesen war. Die Flexibilität der Mittel und Verfahren, die äußerst hohe Reaktionsschnelligkeit und die gegenüber 1991 wesentlich erhöhte Präzision der Wirkung im Ziel machen die Luftstreitkräfte zu einem Faktor höchster Dynamik.

Luftstreitkräfte sind aber nicht der alleinig bestimmende militärstrategische oder operative Faktor, und die im Verlauf der Operationen gegen den Irak 2003 und in den folgenden Monaten immer wieder angeführten Shock and Awe-Prinzipien sehen in den Luftstreitkräften nur eine Komponente innerhalb eines umfassenden militärstrategischen und operativen Rahmens. Man könnte diese Verfahren, deren Ziel es sein soll, "den Willen des Gegners zu brechen", als konsequente Weiterführung der Gedanken von Sun Tzu oder strategischer Überlegungen bei Clausewitz und deren Umsetzung unter den Aspekten modernster Militärtechnologie bewerten.

Die psychologischen Maßnahmen sind zwar schon lange nicht nur auf die taktische oder operative Ebene beschränkt gewesen, gewinnen aber nunmehr in Verbindung mit den modernen Medien und den Möglichkeiten der Direktberichterstattung eine entscheidende militärstrategische Dimension. Der Vorbereitung und Durchführung der psychologischen Kampfführung wird besonderes Augenmerk zuzuwenden sein. Diese Komponente wird hinsichtlich der Beeinflussung der öffentlichen Meinung im eigenen Land und der Beeinflussung des jeweiligen Gegners mit all seinen politischen, militärischen und moralischen Institutionen auf jener Ebene einzustufen sein, die auch der Nachrichtengewinnung und Datenverarbeitung sowie den Kommunikationssystemen zugeordnet ist.

Unter diesen weiterführenden Erkenntnissen nach dem 11.9.2001 und den folgenden Entwicklungen gewinnen aber auch für das eigene Territorium neuartige Gesichtspunkte erhöhte Bedeutung. Sie werden zwar vorrangig die zivilen Behörden und die Exekutive betreffen und fordern, aber auch die Streitkräfte werden ihren Beitrag mit Organisationsfähigkeit, Experten und Spezialkräften sowie in allgemeiner Unterstützung und Ergänzung der Exekutive zu leisten haben. Die vorbeugenden Sicherheitsmaßnahmen gegen Anschläge setzen eine intensive Planung für gefährdete Objekte voraus, die sich mit allen Eventualitäten - bis hin zu schweren Ausfällen in der Energieversorgung wie beim großen Stromausfall in der Nordostregion der USA und in Kanada Mitte August 2003 - systematisch auseinander zu setzen hat. Dies gilt für die Vorbeugemaßnahmen bei großen Konferenzen, Sportveranstaltungen usw. ebenso wie für Botschaftskomplexe oder Einrichtungen von Gesellschaften bzw. Konzernen mit Sitz in jenen Ländern, die eben vorrangige Ziele asymmetrischer Angriffe werden können.

Und abschließend soll auf die Notwendigkeit einer zielstrebigen strategischen Führung hingewiesen werden. Bei der ersichtlichen Komplexität auf dieser Ebene hat sich in manchen Ländern die Zuordnung qualifizierter Beratungsgruppen für die politischen Verantwortungsträger ergeben.

Die Einrichtung eines "Nationalen Sicherheitsrates" (NSR) in Österreich war zweifellos ein Schritt in die richtige Richtung zur Gewährleistung effizienter strategischer Führung. Allerdings ist dieser NSR durch seine Zusammensetzung zu einem "politischen" Instrumentarium geworden und lässt - zumindest auf Grund der bisher über seine Tätigkeit offiziell verlautbarten Berichte in den Medien - nur eine geringe Beratungs- oder Aufbereitungsfunktion erkennen. Eher scheint es sich dabei um ein Instrumentarium zur Behandlung strategie- oder bundesheerrelevanter Grundsatzfragen zwischen Bundesregierung und Opposition zu handeln. Aber es kann erwartet werden, dass dieser NSR mit zunehmender Dauer seiner Existenz dann die ursprünglich hoch gesteckten Erwartungen und die Hoffnungen jener erfüllen wird, die in langen Jahren immer wieder auf die Notwendigkeit eines solchen Gremiums hingewiesen haben. Der 11.9.2001 mag auch hier seine weiterführende Konsequenz gefunden haben.

Horst Pleiner

Geb. 1941; General iR; 1960-1963 Theresianische Militärakademie; 1963-1969 Jägerschule Saalfelden; 1969-1972 Generalstabskurs; 1972-1975 Lehroffizier an der Landesverteidigungsakademie; 1975-1978 Kommandant 8. Generalstabskurs an der Landesverteidigungsakademie; 1978 BMLV - Operationsabteilung; 1979-1980 Kommandant Landwehrstammregiment 32; 1980-1990 BMLV - Führungsabteilung; 1990-1999 BMLV - Generalstabsgruppe B; 2000-2002 Generaltruppeninspektor; 01 04 2003 Ruhestand.



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