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Der Sudan - Land der Gegensätze

von Martin Pabst

Kurzfassung

◄ Drei Jahrzehnte lang wurde der Sudan von Bürgerkrieg erschüttert, der zwar an die 2 Mio. Tote, 4 Mio. Binnenflüchtlinge und 500.000 Flüchtlinge in Nachbarstaaten forderte, an dem aber die Weltöffentlichkeit kaum Anteil nahm, weil das Land nicht als Akteur im Ost-West-Konflikt auftrat. Ethnizität und Religion spielten sicherlich eine Rolle in diesem Bürgerkrieg, doch trifft die landläufige Meinung, dass die arabischen Muslime im Nordsudan die nach Sezession strebenden schwarzafrikanischen Christen im Südsudan unterdrückten, nicht den Kern der Sache.

Zentrale Motive für die bewaffneten Konflikte waren vielmehr die verordnete Identitätsstiftung in einem inhomogenen Staat, der Machtkampf konkurrierender Eliten, materielle Interessen (Land, Wasser, Erdöl) sowie die lang in die Geschichte zurückreichende Marginalisierung peripherer Regionen. Von einem Sezessionskonflikt kann ebenfalls nicht die Rede sein, weil die rebellischen Südsudanesen seit Jahrzehnten zwischen Autonomie, Föderalismus und Unabhängigkeit schwankten, wobei der Wunsch nach einem eigenen Staat mehr aus Misstrauen gegen die Khartumer Regierung als aus einem verbindenden Nationalismus resultierte.

Der Sudan als flächenmäßig größter Staat Afrikas erlangte 1956 seine Unabhängigkeit. Die sofort von den Südsudanesen erhobenen Forderungen nach Gleichberechtigung der Sprachen, Religionen und Kulturen wurden vom Norden abgelehnt. Die im Süden formierte Volksbefreiungsarmee (SPLA) kämpfte mit wechselnder Unterstützung gegen die Regierung in Khartum, der Washington nach dem Ende des Kalten Krieges seine Unterstützung entzog. Die zunehmende Nähe der Regierung zum internationalen Terrorismus veranlasste die USA, das Land 1993 auf die Liste der "Schurkenstaaten" zu setzen und Sanktionen zu verhängen.

Zu den laufenden Friedensgesprächen kam es in erster Linie wegen des amerikanischen Drucks auf die Regierung in Khartum. Washington ist wegen der wachsenden islamistisch-terroristischen Bedrohung an einer Mäßigung der sudanesischen Politik interessiert, christliche Aktivisten haben die amerikanische Regierung erfolgreich auf die Menschenrechtsverletzungen gegenüber Christen im Sudan verwiesen, und US-Firmen haben ein Interesse am neu ausgebauten Ölgeschäft.

Eine Konfliktbeilegung am Verhandlungstisch eröffnet die Chance, die regional wie international unerwünschte Unabhängigkeit des Südsudan inklusive möglicher Folgekonflikte zu verhindern. Das am 20.7.2002 nach fünfwöchigen Verhandlungen von Regierung von SPLA in Machakos unterzeichnete Protokoll ist noch kein Friedensabkommen, sondern eine breit angelegte Rahmenvereinbarung, derzufolge dem Südsudan das Recht auf Selbstbestimmung inklusive der Option der Unabhängigkeit zugestanden wird, während der Norden die Scharia behalten darf; die endgültige Entscheidung über die Zukunft des Südsudan soll in sechs Jahren fallen.

Ob die Kriegsmüdigkeit auf beiden Seiten ausreicht, eine dauerhafte Friedensregelung zu finden, ist gegenwärtig nicht prognostizierbar. Schon oft wurden in der Vergangenheit Abkommen gebrochen, und auch die persönliche Teilnahme von US-Außenminister Powell an den Verhandlungen ist keine Garantie dafür, dass die Friedensvereinbarung Bestand haben wird. ►


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Der Sudan - Land der Gegensätze

Ist ein Ende des Bürgerkriegs in Sicht?

Drei Jahrzehnte lang (1963-72, 1983 bis heute) wurde der Sudan vom Bürgerkrieg erschüttert. An die zwei Mio. Tote, vier Mio. Binnenflüchtlinge und 500.000 Flüchtlinge in Nachbarstaaten sollen zu beklagen sein. Da der Sudan nicht im Zentrum des Ost-West-Konfliktes stand und Afrika nach dem Zusammenbruch des Ostblocks an strategischem Wert verlor, nahm die internationale Politik kaum Anteil an dem zerstörerischen Bürgerkrieg, der weite Teile des Landes ruinierte und entvölkerte. Erst die verstärkte internationale Aufmerksamkeit für die Gefahren des Islamismus/Terrorismus, die erhöhte strategische Bedeutung des Roten Meeres sowie der Beginn der Ölförderung im Sudan haben diese Haltung in den letzten Jahren verändert. Die USA üben Druck auf die islamistische Regierung in Khartum wie auch auf die größte Rebellenbewegung Sudan People‘s Liberation Movement/Army (SPLM/A) aus, ein Friedensabkommen zu unterzeichnen.

Mit Unterstützung der Regionalorganisation Intergovernmental Authority on Development (IGAD), der sieben Staaten am Horn von Afrika angehören (Äthiopien, Dschibuti, Eritrea, Kenia, Somalia, Sudan, Uganda), begannen im Januar 2000 wieder direkte Gespräche zwischen den beiden Bürgerkriegsgegnern. Zwei Jahre später kam der Durchbruch: Am 20.7.2002 unterzeichneten sie in Machakos (Kenia) ein Rahmenabkommen für eine politische Lösung, am 15.10. einen umfassenden Waffenstillstand. Im September 2003 kam ein Teilabkommen über Sicherheitsfragen zustande, Mitte Oktober begann in Naivasha (Kenia) eine weitere Gesprächsrunde, zu deren Eröffnung US-Außenminister Colin Powell anreiste. Ein umfassendes Friedensabkommen scheint in Sicht zu sein. Bereits fest vereinbart wurde, dass die Südsudanesen nach einer sechsjährigen Übergangsperiode über den Verbleib beim Sudan oder die Gründung eines unabhängigen Staates abstimmen dürfen. Damit könnte um das Jahr 2010 ein neuer, rund 630.000 km2 großer Staat in Afrika mit bedeutenden Ölvorkommen entstehen.

Der Beitrag möchte einen Überblick über Hintergrund und Verlauf des Bürgerkrieges, die jüngsten Friedensbemühungen und deren Erfolgsaussichten geben.

Die Ziele der Konfliktparteien

Nach landläufiger Meinung unterdrücken die arabischen Muslime im Nordsudan die nach Sezession strebenden schwarzafrikanischen Christen im Südsudan. Um interne und externe Unterstützung zu mobilisieren, haben die Bürgerkriegsgegner zur Verbreitung dieses Klischees beigetragen. Doch ist die Wirklichkeit im flächenmäßig größten Land Afrikas viel komplizierter.

In der Tat wird der Nordsudan von arabischstämmigen bzw. arabisierten Bevölkerungsgruppen dominiert, während im Süden vorwiegend schwarzafrikanische Völker beheimatet sind. Allerdings siedeln auch nördlich der Trennlinie schwarzafrikanische neben arabischen Völkern. Im 19. und 20. Jahrhundert drangen zudem arabische Händler aus dem Norden in den Süden vor, während von dort Schwarzafrikaner zunächst als Sklaven, dann als Diener, Arbeiter und Soldaten nach Norden gelangten. Einen großen Teil der Mannschaftsdienstgrade in der Regierungsarmee stellen seit jeher Schwarzafrikaner aus dem West- und Südsudan. Während des Bürgerkrieges der letzten Jahrzehnte wurden außerdem rund 1,5 Mio. schwarzafrikanische Südsudanesen und Nuba in den Norden verschleppt bzw. sind dorthin geflohen.

Auch in religiöser Hinsicht besteht keine klare Zweiteilung. In den letzten Jahrhunderten breitete sich der Islam in den Zentral- und Südsudan aus und ist dort inzwischen verwurzelt. Da die Kolonialmacht Großbritannien im Südsudan die christlichen Missionen begünstigte, nahmen dort viele Schwarzafrikaner in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Christentum an. Weitere Südsudanesen suchten während des brutalen Bürgerkriegs der letzten zwei Jahrzehnte spirituelle Zuflucht in der christlichen Religion. Andere Landsleute halten am traditionellen afrikanischen Glauben fest. Überwiegend muslimisch sind die Nordsudanesen. Der dortige Islam zerfällt allerdings in viele unterschiedliche Richtungen - von unpolitisch-mystischen bis hin zu radikal-islamistischen.

Ethnizität und Religion sind zweifelsohne bestimmende Faktoren in dem Konflikt, doch kennt der Sudan auch eine Tradition friedlicher Koexistenz. Ähnlich wie in den jüngsten Balkankriegen schürten interessierte Kreise ethnische und soziale Ressentiments zur Durchsetzung politischer und ökonomischer Ziele. Zentrale Motive für die bewaffneten Konflikte sind die von oben verordnete Identitätsstiftung in einem inhomogenen Staat, der Machtkampf konkurrierender Eliten, materielle Interessen (Land, Wasser, Erdöl) sowie die lang in die Geschichte zurückreichende Marginalisierung peripherer Regionen.

Keineswegs verlaufen die politischen und militärischen Fronten entlang einer eindeutigen Nord-Süd-Grenzlinie. Während die Regierung in Khartum Bündnisse mit Bevölkerungsgruppen im Süden schloss und dort Hilfsmilizen rekrutierte, verbündeten sich zahlenmäßig bedeutende Völker nördlich der Grenze wie z.B. die Nuba, Funj und Ngok Dinka mit der SPLM/A. Außerdem griffen weitere unzufriedene Völker im Norden wie z.B. die Fur, Massaleit und Zaghawa im Westen oder die Beja im Nordosten immer wieder unabhängig vom Hauptkonflikt zu den Waffen gegen die Regierung.

Auch die Bezeichnung Sezessionskonflikt ist nur teilweise zutreffend. Die rebellischen Südsudanesen schwanken seit Jahrzehnten zwischen Autonomie, Föderation und Unabhängigkeit. Der Wunsch nach einem eigenen Staat resultiert eher aus dem Misstrauen gegenüber der Khartumer Regierung als aus einem verbindenden Nationalismus. Im Südsudan rivalisieren Dinka, Nuer und Schilluk um die Vorherrschaft. Nicht einmal bezüglich der Staatsbezeichnung besteht Einigkeit - in der Vergangenheit sind immer wieder neue Namen wie "Azania", "Nilia", "Nile State" für den Südsudan geprägt worden.(Fußnote 1/FN 1) Nach den jahrzehntelangen Menschenrechtsverletzungen der Regierung dürfte heute eine deutliche Mehrheit der Südsudanesen die Sezession bejahen, doch strebt die stärkste politische und militärische Kraft im Südsudan, die von John Garang geführte SPLM/A, aus ideologischen Gründen eher einen ungeteilten, säkularen Sudan an. Auch die Verbündeten der SPLM/A im Norden neigen nicht zum Sezessionsmodell, sondern zur Reform des Gesamtstaates.

Von den Kolonialmächten gezogene, tendenziell instabile Grenzen zu neun Nachbarstaaten (Ägypten, Äthiopien, Eritrea, Kenia, Dem. Rep. Kongo, Libyen, Tschad, Uganda, Zentralafrikanische Republik) haben immer wieder zu einer Regionalisierung des Konfliktes geführt. Sudanesen sind dorthin geflohen, umgekehrt musste der Sudan Flüchtlinge aus der Region aufnehmen. Zeitweise konnten sudanesische Rebellenbewegungen in Nachbarländer ausweichen und wurden von diesen unterstützt; im Gegenzug förderte die Regierung in Khartum dortige oppositionelle Bewegungen. Wegen der engen historischen Verbindungen und der - zuletzt im Abkommen von 1959 geregelten - Nutzung des Nilwassers reklamiert der nördliche Nachbar Ägypten besondere Interessen im Sudan.

Auch wenn externe Faktoren stets einwirkten, ist der sudanesische Bürgerkrieg doch im Kern "hausgemacht". Nur so ist es zu erklären, dass er über welt- und regionalpolitische Veränderungen hinweg kein Ende fand.

Die Vorgeschichte des Konfliktes

Mit einer Fläche von 2,5 Mio. km² ist der Sudan das größte Land Afrikas. Es vereint unterschiedlichste Klima- und Vegetationszonen von der Vollwüste im Norden über Strauch- und Trockensavanne, Hügellandschaften und Gebirge bis zur Feuchtsavanne und den Sumpfgebieten (sudd) im Süden. Ebenso komplex ist die Zusammensetzung der mehr als 30 Mio. Einwohner. Die Sudanesen teilen sich in rund 600 ethnische Gruppen und über 100 Sprachen auf, deren Ausbreitung an den Staatsgrenzen nicht Halt macht. Auf dem staatlichen Territorium leben Ackerbauern, sesshafte und nomadisierende Viehzüchter; Muslime, Christen und Anhänger von Naturreligionen; Araber und Schwarzafrikaner.(FN 2) Lange Zeit war der Sudan nur ein geografischer Begriff, wenngleich sich immer wieder Staaten in diesem Raum bildeten, so bereits im 2. Jahrtausend v. Chr. das Königreich Kerma in Nubien. Als wichtigste Organisationseinheiten dienen bis heute Großklans und religiöse Gemeinschaften. Der moderne Staat Sudan wurde erst ab 1898 unter britisch-ägyptischer Verwaltung aufgebaut.

Die Islamisierung erfolgte mit Verspätung: Die schwarzafrikanischen, damals christlichen Nubier im Nordsudan leisteten im 7. Jahrhundert erfolgreich Widerstand gegen die arabisch-islamischen Eindringlinge, die dem Land den Namen "bilâd as-Sûdân" (d.h. Land der Schwarzen) gaben.(FN 3) 500 Jahre lang lieferten die Nubier den Arabern Sklaven aus dem Westen und Süden des Sudan. Allmählich erfolgte eine arabische Einwanderung. Ab dem 13. Jahrhundert entstanden islamische Sultanate im Gebiet des heutigen Sudan, das Christentum verschwand bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Durch Verschmelzung mit der neuen Herrenschicht wurden verschiedene einheimische Völker arabisiert. Muslimischer Glaube und helle Hautfarbe wurden zu Statussymbolen. Am unteren Ende der sozialen Rangordnung standen "ungläubige" dunkelhäutige Afrikaner, die als wirtschaftliche Ressource betrachtet wurden.

1820 fiel der unter lockerer osmanischer Oberhoheit stehende ägyptische Herrscher Muhammad Ali ein, um sich das Monopol des Sklavenhandels zu sichern und den Sudan für den ägyptischen Handel zu öffnen. Am Zusammenfluss von Weißem und Blauem Nil gründete er die Stadt Khartum und annektierte den Sudan nominell. Nord- und südsudanesische Völker leisteten erbitterten Widerstand gegen die Plünderungszüge und Sklavenjagden der Ägypter.

1881 erschien der charismatische Prophet Muhammad Ahmad (1844-85) und schlug zunächst die ägyptischen Truppen, dann 1885 in Khartum nach zehnmonatiger Belagerung die von Großbritannien entsandte Expeditionsarmee unter General Charles Gordon. Von 1885-1898 etablierten der Mahdi ("der Erwartete") und sein Nachfolger einen islamisch-theokratischen Staat im Sudan. Nichtmuslimische Völker wurden in einem "Heiligen Krieg" (Dschihad) mit Feuer und Schwert missioniert.

Der erfolgreiche Widerstand gegen auswärtige Besatzer und das Modell eines theokratischen Staates beeinflussten die politischen Vorstellungen vieler Nordsudanesen. Die 13-jährige Mahdi-Periode politisierte den Islam im Sudan und verfestigte eine Neigung zum religiösen Messianismus. Zwar traten immer wieder säkular-nationalistische und säkular-sozialistische Strömungen auf, vor allem unter Soldaten und Studenten, doch erwiesen sich die religiösen Kräfte stets als stärker. Die beiden wichtigsten politischen Parteien im Nordsudan (Umma Party und Democratic Unionist Party) stützen sich auf muslimische Sekten (al-Ansar bzw. al-Khatimiya). Ihre Führer sind gleichzeitig religiöse Oberhäupter. Die al-Ansar-Sekte sieht sich als Nachfolgerin der Mahdi-Bewegung; ihr Führer ist der ehemalige Premierminister Sadiq al-Mahdi, ein Nachkomme von Muhammad Ahmad. Als dritte religiöse Kraft kamen die radikal panislamischen al-Ikhwan al-Muslimin (Muslimbrüder) mit der Partei National Islamic Front (NIF) hinzu, die das ideologische Fundament der islamistischen Militärdiktatur ab 1989 legten.(FN 4) Im Jahr 1898 schlug eine britische Armee unter Horatio Herbert Kitchener die Mahdisten bei Omdurman vernichtend. Seit 1899 war der "Anglo-ägyptische Sudan" offiziell ein Kondominium, doch an den entscheidenden Stellen saßen britische Kolonialbeamte. Ihre Praxis der "indirekten Herrschaft", d.h. lockerer Allianzen mit Stammes- und Klanführern, verzögerte zweifelsohne die Bildung staatlicher Strukturen. Auch wurde die Zweiteilung des Sudan in der Kolonialzeit verfestigt, denn der Südsudan wurde getrennt verwaltet. Englisch statt Arabisch wurde dort als Schul-, Verwaltungs- und Kommandosprache eingeführt, und die Kolonialverwaltung begünstigte die christlichen Missionen, während sie ihnen den Norden versperrte. Für die Südsudanesen bedeutete die britische Kolonialzeit eine Epoche des Friedens. Allerdings konzentrierte sich die administrative und ökonomische Entwicklung in dieser Zeit auf den Norden, dessen Vorsprung sich dadurch vergrößerte. So wurde ab 1925 südlich von Khartum das riesige Gezira-Bewässerungsprojekt angelegt.

Als in den 40er-Jahren Unabhängigkeitsbestrebungen laut wurden und Ägypten auf seine Ansprüche pochte, entwickelte das britische Kolonialministerium Pläne für eine Teilung des Sudan. Der Süden sollte an die Verwaltung der ostafrikanischen Kolonien angeschlossen und zu einem späteren Zeitpunkt unabhängig werden. Mit der Konferenz von Juba (1947) verabschiedete sich London aber wieder von diesem Plan und arbeitete nun darauf hin, den Sudan als einheitlichen Staat in die Unabhängigkeit zu entlassen. Gründe hierfür waren der hartnäckige Widerstand aller nordsudanesischen Politiker gegen Teilungspläne, der Entwicklungsrückstand und die Uneinigkeit der Südsudanesen, schließlich die Machtübernahme des radikalen Politikers Gamal Abdel Nasser in Ägypten (1952). Als Gegengewicht zu Nassers Ägypten sollte ein starker prowestlicher Sudan geschaffen werden. Im Eiltempo wurden Verwaltung, Justiz und Armee für die Unabhängigkeit vorbereitet.

Davon profitierte fast ausschließlich die nordsudanesische Bildungselite. Auf Grund des noch gering ausgeprägten politischen Interesses im Südsudan gab es dagegen kaum Widerstand. Der ägyptische Staatschef Nasser verzichtete 1952 in der vergeblichen Hoffnung auf einen freiwilligen Anschluss des Sudan auf die Ansprüche Ägyptens.

Nach der Unabhängigkeit im Jahr 1956 verschlechterten sich die Beziehungen zwischen Nord- und Südsudanesen. Mit einer identitätsstiftenden Ideologie versuchte die islamisch-arabische Führungselite, ein Nationalbewusstsein in dem heterogenen, von traditionellen Bindungen geprägten Territorium zu erzeugen.(FN 5) Das Motto "Ein Land, eine Sprache, eine Religion" lehnten die meisten Südsudanesen strikt ab. Sie forderten eine Gleichberechtigung der Sprachen, Religionen und Kulturen. Ihr Wunsch nach Autonomie wurde nicht erfüllt: Die nach der Unabhängigkeit eingesetzte Verfassungskommission lehnte 1957 dieses Modell ab. In den führenden Positionen von Staat, Verwaltung und Armee waren die Bürger aus dem Süden unterrepräsentiert. Die herrschende Elite war zwar bereit, Südsudanesen zu kooptieren, doch sie gestand keine Gleichberechtigung zu.

Weitere Faktoren trugen zur Entfremdung des Südens bei. Die staatstragende Elite war nicht einmal für den Nordsudan repräsentativ. Im Wesentlichen rekrutierte sie sich aus der im Niltal ansässigen Händlerkaste der jallaba, die den arabischen Völkern Ja’aliyyin and Danagla entstammen. Im Süden haben sie sich durch die einstigen Sklavenjagden und die starke Dominanz im Handel unbeliebt gemacht.(FN 6) Eine kleine Minderheit monopolisierte den Staat; politischer Wechsel erfolgte durch Machtverschiebungen innerhalb dieser Elite.

Die Entwicklung des Landes kam vorwiegend der Kernregion Khartum/Sinnar/Kosti zugute, während andere Regionen vernachlässigt wurden. Demokratische Politiker wie Militärmachthaber betrachteten in den vergangenen fünf Jahrzehnten den Staat als Beute und waren bestrebt, mögliche Konkurrenten fern zu halten. Immer wieder nutzten sie ihre von Korruption und Patronage begleitete Machtstellung, um sich die Kontrolle über fruchtbare Ländereien im zentralen und südlichen Sudan auf Kosten der eingesessenen Bevölkerung zu sichern. Um dieses Ziel durchzusetzen, mobilisierten sie traditionelle ethnische und religiöse Ressentiments und spielten die Bevölkerungsgruppen gegeneinander aus.

Auf Grund der Instabilität staatlicher Strukturen kam es immer wieder zu Umsturzversuchen; fünf Mal wechselte die Regierung durch Putsch (1958, 1959, 1969, 1985, 1989). Zur Legitimierung ihrer Stellung verkündeten neue Machthaber ideologische Programme, die in aller Regel den südlichen bzw. allen peripheren Völkern nichts Gutes brachten - ob es sich nun um Islamisierung, Arabisierung oder sozialistische Homogenisierung handelte. Der Wettlauf der Ideologien führte zu einer wachsenden Radikalisierung und mündete schließlich Anfang der 90er-Jahre in den islamistischen Staat.

Bürgerkrieg I und II

Auslöser des Bürgerkrieges war die Meuterei südsudanesischer Soldaten im Jahr 1955. Als sie aus der Garnisonsstadt Torit in den Norden verlegt und durch nordsudanesische Truppen ersetzt werden sollten, desertierten viele Soldaten und bildeten im Grenzgebiet zu Äthiopien Banden. 1963 formierte sich daraus eine vor allem in der südlichen Provinz Equatoria erfolgreiche Land Freedom Army, die einen unabhängigen Staat im Südsudan anstrebte. Kommandosprache war bezeichnenderweise Englisch; die militärischen Strukturen orientierten sich am britischen Vorbild, das im Equatoria Corps der Kolonialarmee Sudanese Defence Force eingeführt worden war. Unter dem Namen Anya Nya (Schlangengift) wurden die Guerilleros bekannt und gefürchtet. 1964 waren sie bereits auf eine Stärke von 5.000 Mann angewachsen. Als politischer Arm im Exil fungierte die Sudan African Nationalist Union (SANU), von der sich 1965 die Azania Liberation Front (ALF) abspaltete.

Erste Verhandlungen zwischen Regierung und Anya Nya scheiterten im März 1965, seither setzte die Führung im Norden auf kompromisslose Repression. Immer wieder war folgendes Muster zu beobachten: Wegen der politischen Instabilität in Khartum wollte sich keine Regierung als schwach zeigen, sondern militärische Stärke und missionarischen Eifer im Konflikt mit dem Süden demonstrieren. Dabei unterschieden sich demokratisch gewählte und Militärregierungen nicht wesentlich. In der brutalen Niederwerfung von Aufständen an der Peripherie knüpften sie zudem an eine lange Landestradition an. Hinzu kommt, dass die Regierenden einen Flächenbrand befürchten, wenn sie einer Region Kompromisse zugestehen würden. Denn auch in den zentralen Nuba-Bergen, im Westen (Darfur) und im Nordosten (bei den Beja) entstanden in den 60er-Jahren bewaffnete Sezessionsbewegungen.

Obwohl die Anya Nya damals kaum Unterstützung von Nachbarstaaten erhielten, konnten sie sich halten. Waffen kauften sie auf den florierenden zentral- und ostafrikanischen Schwarzmärkten, und die wenig kontrollierbaren Grenzregionen des Kongos und Ugandas nutzten sie als Rückzugsräume. Lediglich Israel ließ den Guerilleros via Uganda Unterstützung zukommen, wo Generalin Idi Amin als israelischer Vertrauensmann zeitweise ohne Wissen und Zustimmung der ugandischen Regierung Obote agierte.(FN 7) Uneinigkeit, Disziplinlosigkeit und schlechte Bewaffnung (nur ein kleiner Teil der Anya Nya verfügte damals über Schusswaffen) verhinderten durchgreifende militärische Erfolge. Ab der zweiten Hälfte der 60er-Jahre griff die Regierung zu einer Strategie der "verbrannten Erde". Ernten wurden zerstört, Menschen kollektiv umgesiedelt und durch Massaker eingeschüchtert. Mit dem Aufbau einer Luftwaffe setzten nun auch Bombardements von Dörfern und Nachschublinien ein. Doch wurde der Südsudan im ersten Bürgerkrieg noch nicht so durchgreifend ruiniert wie im Folgekrieg ab 1983.

Durch einen Staatsstreich kam im Mai 1969 General Jaafar Mohammed al-Nimeiri an die Macht. Er galt als panarabischer Nasserist und war von den sudanesischen Sozialisten und Kommunisten unterstützt worden. Zu Ägypten und Libyen knüpfte al-Nimeiri enge Beziehungen, 1972 führte er ein Einparteiensystem ein. Seine Herrschaft wurde aber von allen Seiten unterminiert. 1970 bekämpfte er erfolgreich die al-Ansar-Sekte, 1971 schlug er einen Aufstand der Kommunisten nieder. Im Jahr 1975 überlebte al-Nimeiri einen Putschversuch islamistischer Offiziere, 1976 einen von Libyen unterstützten Umsturzversuch der al-Ansar/Umma Party unter Führung des ehemaligen Premierministers Sadiq al-Mahdi.

Durch Rückzug auf einen technokratischen Kurs suchte al-Nimeiri die Auseinandersetzungen zu entschärfen. Um sich den Rücken freizuhalten, bot er den Rebellen im Südsudan eine Autonomieregelung an. Im Februar 1972 wurde unter Vermittlung von Kaiser Haile Selassie in Addis Abeba (Äthiopien) ein Friedensabkommen unterzeichnet. Der Südsudan erhielt eine Autonomie mit eigener Regierung und eigenem Parlament zugestanden. Die Anya Nya wurden in die Armee eingegliedert.

Den Südsudanesen brachten die Jahre 1972-83 eine kurze Phase des Friedens und der Entwicklung. So erhielt Juba, die Hauptstadt Equatorias, eine Universität. In der geschönten Erinnerung vieler Südsudanesen ist heute allerdings vergessen, dass ihre Autonomieverwaltung von Streitigkeiten, Ineffizienz und Korruption geprägt war.

Ab der zweiten Hälfte der 70er-Jahre gab al-Nimeiri den erstarkenden islamistischen Tendenzen nach. 1977 versöhnte er sich mit der al-Ansar/Umma Party und den Muslimbrüdern, 1983 führte er die Scharia, das strenge islamische Rechtssystem, ein. Sie erstreckt sich nicht nur auf Alkoholverbot, Körperstrafen und Kleiderzwang, sondern auch auf Erziehungsfragen, Landvergabe und das gesamte Wirtschafts- und Bankwesen. Die Autonomie des Südsudan wurde durch eine allgemeine Dezentralisierung des Landes ersetzt.

Mit dem Versuch der landesweiten Einführung der Scharia und der Aufkündigung der Autonomie warf al-Nimeiri den Südsudanesen einen doppelten Fehdehandschuh hin. Hinzu kam die immer offenere ökonomische Ausplünderung. Mitte der 70er-Jahre wurde der Bau des ökologisch bedenklichen Jonglei-Kanals im Sumpfgebiet Sudd beschlossen, der den dort lebenden Nuern lebensnotwendiges Wasser entzogen hätte. Außerdem entstand nach der Entdeckung von Ölvorkommen (1978) die Raffinerie nicht im Süden, wo sich die Vorkommen befinden, sondern im Norden.

Die Geschichte wiederholte sich. 1975 meuterten ehemalige Guerilleros im Südsudan und setzten sich nach Äthiopien ab. Im Grenzgebiet formierten sie sich als Anya Nya II. Durch den Kurswechsel von 1983 erhielten sie massiven Zulauf. Weitere Südsudanesen desertierten, und der in diesem Jahr eigentlich von der Regierung zur Niederschlagung einer Meuterei entsandte Oberst John Garang, ein Dinka aus dem Südsudan, begründete die Sudan People‘s Liberation Army (SPLA).(FN 8) Beschränkte sich die SPLA zunächst auf "Hit-and-run"-Guerillataktik, vor allem in der Regenzeit, so war sie ab 1987 zu größeren konventionellen Operationen in der Lage und griff Armeeposten und Städte an. Die Befreiungsbewegung profitierte nun von der Unterstützung durch den äthiopischen Diktator Haile Mengistu.

Erstmals stellte sich damit ein Nachbarland konsequent auf die Seite der südsudanesischen Rebellen. Garang stand dem äthiopischen Sozialismus nahe und praktizierte in der Sudan People‘s Liberation Movement/Army (SPLM/A) einen diktatorischen Führungsstil. Viele Anya Nya II zogen es daher vor, sich wieder auf die Seite der Regierung zu schlagen. In einer Mischung aus Nationalismus und Marxismus schwor Garang die Rebellen auf die Umwandlung des Sudan in einen säkularen, progressiven Staat ein, der Nord- und Südsudanesen gleiche Rechte einräumen sollte. Von einem unabhängigen Südsudan wollte er nichts wissen. Hierzu trug auch Garangs Mentor Mengistu bei, der wegen Sezessionsbestrebungen in Äthiopien (Eritreer, Oromo, Somali) für den Erhalt des Sudan plädierte. Abweichler ließ Garang gnadenlos verfolgen, die Zivilbevölkerung wurde mit drakonischen Mitteln zur Kooperation gezwungen.

Natürlich wurde auch der sudanesische Bürgerkrieg vom Kalten Krieg beeinflusst. Während die Sowjets zwischen 1968 und 1977 an die sudanesischen Regierungen Mahgoub und al-Nimeiri Waffen lieferten und auch Militärberater entsandten, rüsteten die USA das prowestliche Nachbarland Äthiopien auf. Nach dem Sturz von Kaiser Haile Selassie (1974) kam es zu einem reversement des alliances: Al-Nimeiri löste 1977 die Bindungen zu Moskau, und der Sudan erhielt zwischen 1977 und Ende der 80er-Jahre US-Militärhilfe im Wert von mehreren 100 Mio. USD. In enger Kooperation mit Israel und den USA unterstützte die sudanesische Regierung 1984/85 die Umsiedlung von 8.000 jüdischen Falascha aus Äthiopien nach Israel ("Operation Moses"). Im Gegenzug rüstete die Sowjetunion das sozialistische Äthiopien und die SPLA auf.(FN 9) In den Jahren 1989-91 erzielte die SPLA spektakuläre militärische Erfolge. Es gelang ihr, diverse Garnisonsstädte der Armee im Südsudan einzunehmen. Außerdem war sie inzwischen auch nördlich der Grenzlinie militärisch aktiv. Mit der ständigen Sabotage der Infrastruktur und Transportverbindungen lähmte sie das Wirtschaftsleben; durch Anschläge auf ausländische Arbeiter verhinderte bzw. verzögerte sie Großprojekte wie den Bau des Jonglei-Kanals und der Ölpipeline.

Als sich der 1986 demokratisch gewählte, islamisch ausgerichtete Premierminister Sadiq al-Mahdi Verhandlungen mit der SPLM/A öffnete, wurde er im Juni 1989 von Brigadier Omar al-Bashir gestürzt, hinter dem die radikalen Muslimbrüder unter Führung ihres an der Sorbonne studierten Chefideologen Hassan al-Turabi standen.

Die neue Militärregierung verbot politische Parteien, verschärfte die Anwendung der Scharia und intensivierte den Krieg gegen die SPLA, den sie zum Dschihad (Heiligen Krieg) erklärte. Einige islamische Geistliche gingen sogar so weit, die Versklavung von Kriegsgefangenen und die Vergewaltigung gefangener Frauen zu rechtfertigen.(FN 10) Die Armee wurde vergrößert und durch eine Freiwilligenmiliz, die Popular Defence Forces (PDF), ergänzt. Unter geschickter Nutzung traditioneller Rivalitäten brutalisierte die Regierung nun den Bürgerkrieg in bisher nicht gekanntem Ausmaß. Sie verstärkte Allianzen mit einzelnen Völkern und Stämmen wie den arabischen Nomaden Rizaygat und Misserya, die mit modernen automatischen Schusswaffen ausgerüstet wurden. Diese Hilfsmilizen (murahalin) wurden ermuntert, sich das Land ihrer Nachbarn anzueignen, sie auszuplündern und zu verschleppen. Ganze Landstriche wurden dadurch entvölkert, und wie im 19. Jahrhundert wurden Südsudanesen wieder in den Norden als Sklaven verkauft. Damit wurde die soziale Struktur des Südsudan und angrenzender Gebiete tief greifend zerstört. Beide Seiten setzten nun auch gezielt Hunger als Kriegswaffe ein und rekrutierten Minderjährige.

Der Dschihad richtete sich nun auch gegen schwarzafrikanische Völker nördlich der Grenzlinie.(FN 11) So erklärte die Regierung im Januar 1992 den schwarzafrikanischen Nuba den Krieg, obwohl diese in ihrer Mehrheit Muslime sind und Arabisch sprechen. Bombardierung, Zwangsumsiedlung und Versklavung unter Nutzung von Hilfsmilizen waren fortan in den Nubabergen an der Tagesordnung. Auch abweichende Formen des Islam wurden mancherorts gewaltsam unterdrückt - bis hin zur Zerstörung von Moscheen und Koranschriften.

Wieder waren materielle Motive im Spiel: Unter dem Vorwand des Dschihad wurden Bewohner fruchtbarer Landstriche von Grund und Boden vertrieben und zur Fronarbeit gepresst. In der Region Western Upper Nile führte die Regierung mit Hilfe von murahalin einen brutalen Ausrottungs- und Vertreibungsfeldzug gegen die dort lebenden Nuer, um diese ölreiche Gegend zu entvölkern.(FN 12) 1991 wurde die SPLM/A entscheidend geschwächt: Erstens verlor sie die rückwärtige Basis Äthiopien nach dem Sturz Mengistus, und mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion versiegten die Waffenlieferungen aus Moskau. Zweitens spaltete sich in der Region Western Upper Nile die "Nasir-Fraktion" unter Riek Machar und anderen Kommandeuren ab. Die Abweichler kritisierten den diktatorischen Führungsstil Garangs und griffen wieder das Ziel einer Sezession auf. Aus der SPLA-Nasir entstand 1993 die SPLA-United, 1994 die Southern Sudan Independence Movement/Army (SSIM/A). In diesen Jahren wurde der Südsudan zusätzlich vom "Bruderkrieg" zwischen SPLA und SSIA erschüttert. Der Nuer Machar und der Dinka Garang spielten ungeniert die ethnische Karte und lösten damit einen brutalen Völkerkrieg zwischen Nuer und Dinka aus.

In der Folgezeit konnte die Regierung verlorenes Terrain zurückerobern, aber SPLA und SSIA nicht endgültig besiegen. In der Regel beschränkte sich die Kontrolle Khartums im Süden auf die Garnisonsstädte. Den Verlust der rückwärtigen Basis Äthiopien machte die SPLA durch ein Ausweichen nach Uganda und Kenia wett. Es gelang ihr, in Teilen des Südsudan Verwaltungsstrukturen aufzubauen und damit ihre Verwurzelung in der Bevölkerung zu stärken. Die in gehöriger Entfernung zu den Landesgrenzen und damit von Nachschublinien operierende SSIA war auf sich allein gestellt und konnte die führende Stellung der SPLA nicht erschüttern.(FN 13) Ugandas Staatschef Yoveri Museveni entwickelte sich zu einem aktiven Unterstützer der SPLM/A. Sein Engagement war nicht allein taktisch bedingt - er verglich das sudanesische politische System mit der südafrikanischen Apartheid gegen Schwarzafrikaner.(FN 14) Im Gegenzug unterstützte Khartum die ugandischen Rebellen der Lord‘s Resistance Army (LRA) und der West Nile Bank Front (WNBF) - 1999 vereinbarten beide Staaten schließlich gegenseitige Nichteinmischung.

Regierung wie SPLM/A mussten nach dem Ende des Kalten Krieges neue Mentoren suchen. Die USA stellten die Waffenlieferungen an die Militärregierung ein und gingen zunehmend auf Distanz. An ihre Stelle traten Iran, China und Frankreich.(FN 15) Paris stellte den Machthabern in Khartum sogar Satellitenbilder zur Verfügung und ermöglichte es der Armee, vom Territorium französischer Klientelstaaten (Zaire, Zentralafrikanische Republik) gegen die SPLA-Rebellen vorzugehen.(FN 16) Letztere wurden in den 90er-Jahren von Israel militärisch unterstützt. 1996 entschlossen sich auch die USA, die antisudanesischen Kräfte zu stärken. CIA-Direktor John Deutch besuchte Addis Abeba. Angeblich "nicht-letale" Militärgüter im Wert von 20 Mio. USD wurden an Äthiopien, Eritrea und Uganda geliefert und wohl teilweise mit Billigung Washingtons an die SPLA weitergegeben. Darüber hinaus bezog die SPLA Waffen von den zentral- und ostafrikanischen Schwarzmärkten.

Da Garang in den 70er-Jahren in den USA Land- und Volkswirtschaft studiert und dort militärische Lehrgänge besucht hat, gilt er vielen Beobachtern als Vertrauensmann Washingtons. Allerdings gibt es in der US-Regierung unterschiedliche Ansichten über die Sudan-Politik. Eine Schule setzt auf die SPLA und einen halb oder ganz unabhängigen Südsudan, eine andere Schule tendiert zur Regierung und sieht in der SPLA nur ein Instrument zur Zähmung Khartums.

Die seit dem Militärputsch von 1989 in der National Democratic Alliance (NDA) zusammengeschlossene nordsudanesische Exilopposition verbündete sich mit der SPLM/A. In Äthiopien und Eritrea wurden bewaffnete Milizen wie die Sudan Allied Forces (SAF) aufgestellt, die 1997 zusammen mit der SPLA eine neue Front im Nordosten des Sudan eröffneten.

Mit bewährter Divide-et-impera-Strategie gelang es der Regierung im April 1997, die SSIM/A und weitere Splittergruppen zu einem Separatabkommen zu bewegen. Den Südsudanesen wurde eine regionale Selbstverwaltung und das Recht auf Selbstbestimmung nach einer Übergangsperiode zugesagt. Allerdings musste der islamische Charakter des Gesamtstaates akzeptiert werden. Die vormaligen Rebellen durften bewaffnete Kräfte unter eigenem Kommando - die Southern Sudan Defence Force (SSDF) - behalten, fungierten nun also ebenfalls als Hilfstruppen der Regierung. In der Folgezeit zeigte sich, dass Khartum die Umsetzung der Zusagen verzögerte und die kooptierten Südsudanesen durch gezielte Spaltung destabilisierte.

Die Nähe der Regierung zum internationalen Terrorismus verschlechterte das Verhältnis zu den USA. So beherbergte Khartum internationale Terroristen wie den 1994 an Frankreich übergebenen "Carlos". Von 1991-1996 hielt sich auch der aus Saudi-Arabien ausgewiesene Osama bin Laden im Sudan auf, bis er auf Druck der USA ausgewiesen wurde.(FN 17) Er brachte Mujaheddin (Gotteskrieger) mit, finanzierte regierungstreue Milizen und Infrastrukturvorhaben und gründete in Khartum eine Bank, mit der er weltweite Geldtransaktionen abwickelte. Möglicherweise hatte die sudanesische Regierung beim gescheiterten Attentat auf den ägyptischen Präsidenten Mubarak in Addis Abeba (26.6.1995) ihre Hände im Spiel. Den vermutlichen Attentätern gewährte sie jedenfalls Zuflucht, weswegen die UNO vorübergehend Sanktionen verhängte. Unter Führung des Chefideologen Hasan al-Turabi entwickelte sich der Sudan damals zu einem weltweiten Zentrum extremer islamistischer Gruppen. 1991 gründete al-Turabi die Popular Arab and Islamic Conference (PAIC) als internationalen Dachverband radikal-islamistischer Kräfte.

Die USA setzten das Land bereits 1993 auf die Liste der "Schurkenstaaten"; 1997 verhängte Präsident Bill Clinton umfassende Wirtschaftssanktionen gegen den Sudan wegen Menschenrechtsverletzungen und Förderung des Terrorismus. Sie sind bis heute in Kraft geblieben.(FN 18) Nach dem Anschlag der islamistischen Terrorgruppe Al Qaida auf die US-Botschaften in Nairobi und Dar-es-Salaam (7.8.1998) zerstörten von einem US-Flugzeugträger im Mittelmeer abgefeuerte Cruise Missiles die Pharmaziefabrik Shifta nördlich von Khartum (20.8.). Vieles spricht inzwischen dafür, dass es dort die unterstellte Produktion von VX-Nervengas nie gegeben hat, doch sollte der Anschlag wohl in erster Linie als Warnung für die Regierung dienen.

Nicht nur international geriet das Regime von Omar al-Bashir nun unter Druck, sondern auch innenpolitisch. Denn 1999 überwarf er sich in einem Machtkampf mit Hassan al-Turabi, der daraufhin den Popular National Congress (PNC), heute Popular Congress (PC), begründete. Die Regierung reagierte mit Repression, al-Turabi wurde sogar zeitweise inhaftiert. Wirtschaftlich wurde Khartum immer mehr in die Knie gezwungen. Trotz der anlaufenden Ölförderung konnte sich der hoch verschuldete Sudan auf Dauer die immensen Kriegskosten von 1-2 Mio. USD pro Tag nicht leisten.

Seit 1999 verfolgt Präsident Omar al-Bashir einen moderateren Kurs und sucht die Reintegration in die internationale Gemeinschaft und ihre Institutionen. Parteien wurden wieder zugelassen, im Dezember 2000 fanden - allerdings von der Regierung gelenkte und von der Opposition boykottierte - Wahlen statt. Exilpolitiker wie al-Nimeiri durften zurückkehren. Den Südsudanesen bot Präsident al-Bashir Gespräche an, 1999 bejahte er erstmals die Sezession des Südens als mögliche Option. Allerdings lehnen Hardliner in der regierenden National Congress Party wie Vizepräsident Ali Osman Taha den pragmatischen Kurs ab. Sie rufen zur Verteidigung der Scharia und der islamischen Nation auf. Die Haltung des von al-Turabi geführten PC ist unklar. Im Februar 2002 traf er sich in Genf und Bonn mit der SPLM/A und veröffentlichte ein gemeinsames Communiqué.

Die Friedensverhandlungen…

Die Einleitung von Verhandlungen war wesentlich auf den Druck der USA zurückzuführen, den sie auf die Regierung in Khartum, aber auch auf die SPLM/A ausübten. Im September 2001 ernannte US-Präsident George Bush den ehemaligen Senator John Danforth zu seinem Sondergesandten im Sudan. Ab November pendelte er zwischen Regierung, Rebellen und Nachbarstaaten. Während sich die USA bis Mitte der 90er-Jahre nicht sonderlich für den Konflikt interessiert hatten, engagierten sie sich nun aus verschiedenen Gründen für dessen Beilegung:(FN 19) Wegen der wachsenden islamistisch-terroristischen Bedrohung ist Washington an einer Entschärfung des Konfliktes und einer Mäßigung der Khartumer Politik interessiert.

Christlich-evangelikale Lobbygruppen in den USA, die im Sudan mit großen Anstrengungen missionieren, führten eine jahrelange erfolgreiche Kampagne zu Gunsten der südsudanesischen Christen und fanden nach dem Amtsantritt des ihnen nahe stehenden Präsidenten George W. Bush schließlich Gehör.

Wegen der gestörten Beziehungen Washingtons zu Khartum waren US-amerikanische Firmen am Ölgeschäft nicht beteiligt. Hauptnutznießer waren Unternehmen aus China, Indien und Malaysia. Nachdem 1999 mit dem Export begonnen wurde, würde eine Lösung des Konfliktes US-Firmen den profitablen Wiedereinstieg ermöglichen.

Eine von außen begleitete Konfliktbeilegung am Verhandlungstisch eröffnet die Chance, die regional wie international unerwünschte Unabhängigkeit des Südsudan inklusive möglicher Folgekonflikte zu verhindern.

Am 19.1.2002 brachten die US-amerikanischen Bemühungen einen ersten Erfolg: Im schweizerischen Bürgenstock unterzeichneten Regierung und SPLM/A einen sechsmonatigen Teilwaffenstillstand für die nordsudanesische Grenzregion Nubaberge. Regelmäßig um weitere sechs Monate verlängert, hat die Vereinbarung bis heute Bestand gehabt.

Das am 20.7.2002 nach fünfwöchigen Verhandlungen von Regierung von SPLM/A in Machakos unterzeichnete Protokoll ist noch kein Friedensabkommen, sondern eine breit angelegte Rahmenvereinbarung.(FN 20) Als wesentlicher Kompromiss kam zu Stande, dass dem Süden das Recht auf Selbstbestimmung inklusive der Option einer Unabhängigkeit zugestanden wird, während der Norden die Scharia beibehalten darf. In einer sechsmonatigen Vorübergangsperiode sollen ausstehende Fragen geklärt, ein Waffenstillstand abgeschlossen und institutionelle Veränderungen durchgeführt werden. Danach wird sich eine sechsjährige Übergangsperiode anschließen, in der sich die Südsudanesen selbst verwalten und an der nationalen Regierung mitwirken dürfen. Schließlich werden sie in einem Referendum über den künftigen Status des Südsudan entscheiden.

Noch offen blieben folgende Punkte: - die präzise territoriale Abgrenzung des Südsudan vom Nordsudan; - die Abhaltung von Wahlen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene während der Übergangsperiode; - die Einbindung der SPLM/A in die Regierung (Vizepräsident, Ko-Präsidenten oder rotierende Präsidentschaft, prozentuelle Anteile im Kabinett und in den beiden Parlamentskammern); - die Hauptstadtfrage (schariafreies Khartum oder Gründung einer zweiten Hauptstadt im Süden); - die Kommandogewalt über die Streitkräfte; - Stationierungsfragen (Teilabzug der Regierungsarmee aus dem Südsudan, Präsenz der SPLA in Khartum); - die Abrüstung von Regierungsarmee und SPLA; - die Stellung der mit der Regierung verbundenen Milizen im Südsudan; - die Rückkehr der Flüchtlinge und Vertriebenen; - der Status von Nordsudanesen im Süden und Südsudanesen im Norden; - die Aufteilung der Öleinnahmen; - die Währungsfrage (gemeinsame Währung oder eigene Zentralbank und Währung im Südsudan); - der Status der mit der SPLM/A verbündeten nordsudanesischen Regionen Abyei, Nubaberge, Southern Blue Nile (was offiziell in getrennten Verhandlungen außerhalb des IGAD-Prozesses(Inter-Governmental Authority on Development) verfolgt wird).

Während der Verhandlungsrunden flackerten die Kämpfe zwischen Regierungsarmee und SPLA immer wieder auf. Letztere eroberte am 31.8./1.9.2002 die strategische Stadt Torit und marschierte auf die südsudanesische Metropole Juba zu. Mit Hilfe massiver Luftbombardements und aus dem Norden eingeflogener Verstärkungen gelang es der Regierung, den Vormarsch der SPLA aufzuhalten und Torit am 7.10. zurückzuerobern. Schließlich unterzeichneten beide Seiten in Machakos den ersten umfassenden Waffenstillstand, der am 17.10. in Kraft trat. Die Vereinbarung wurde nach einem Jahr um weitere zwei Monate verlängert und hatte überwiegend Bestand. Allerdings führten Armeeeinheiten und Hilfsmilizen weiterhin "ethnische Säuberungen" in der Ölregion Western Upper Nile durch, was von der SPLA mit Gegenschlägen beantwortet wurde. Im Februar 2003 einigten sich beide Seiten, die Rolle der Waffenstillstandsüberwachungskommission zu stärken und internationale Beobachter zuzulassen.

Am 24.9.2003 kam es in Naivasha (Kenia) zur Unterzeichnung eines Protokolls über sensible militärische Fragen. Vereinbart wurde, dass in der Übergangszeit zwei Armeen existieren werden, die von Präsident Omar Hassan al-Bashir bzw. John Garang geführt werden. 80 Prozent der im Südsudan stationierten Regierungstruppen sollen binnen der ersten zwei Jahre der Übergangsperiode abgezogen werden und lediglich 10.000 Soldaten dort verbleiben. Die SPLA wird ihre Truppenstärke im Südsudan in der Übergangszeit um 20 Prozent vermindern. Beide Seiten werden je 10.000 Mann für eine dem Präsidenten unterstellte gemischte Einheit abstellen, die in Konfliktgebieten eingesetzt wird.

Eine weitere entscheidende Verhandlungsrunde begann Mitte Oktober 2003 in Naivasha. Verhandlungsführer sind der sudanesische Vizepräsident Ali Osman Taha und der SPLM/A-Führer Dr. John Garang; die Gespräche leitet der kenianische Generalleutnant Lazaro Sumbeiywo. US-Außenminister Colin Powell reiste eigens an, um beide Seiten zu Kompromissen zu ermuntern. Anreize für die sudanesische Regierung sind eine Beendigung der - Ende Oktober noch einmal verlängerten - US-Sanktionen, Zusagen für Entwicklungshilfe und Schuldenerlass sowie die Unterstützung der Wiederaufnahme der Zusammenarbeit mit IWF und Weltbank. Für den Fall mangelnden guten Willens droht Washington der sudanesischen Regierung gemäß dem Sudan Peace Act vom 21.10.2002 mit der Herbeiführung einer UNO-Sicherheitsratsresolution über ein Waffenembargo, dem Widerstand der USA gegen die Gewährung von Anleihen, Krediten und Garantien internationaler Finanzinstitutionen, dem Ausschluss von Öleinnahmen und dem teilweisen oder völligen Abbruch der diplomatischen Beziehungen.(FN 21)

…und ihre Erfolgsaussichten

Optimisten heben die positive Atmosphäre der Friedensverhandlungen hervor. Die gegenseitigen Vereinbarungen seien so weit wie nie zuvor fortgeschritten. Auch hätten die ersten persönlichen Begegnungen seit 20 Jahren zwischen Präsident Omar al-Bashir und SPLM/A-Führer John Garang (27.7.2002 und 2.4.2003) einen Durchbruch gebracht. Kriegsmüdigkeit auf beiden Seiten und internationale wirtschaftliche Anreize in Verbindung mit fortdauerndem politischen Druck würden einen Friedensschluss wahrscheinlich machen.

Pessimisten verweisen auf das massive Misstrauen zwischen beiden Parteien und die zahlreichen gescheiterten Friedensvereinbarungen der Vergangenheit. Immer wieder habe die Regierung Verhandlungen nur dazu genutzt, um sich für neue Offensiven zu rüsten und die Gegenseite zu spalten. Ein dauerhafter Verzicht Khartums auf die Kontrolle der Ölquellen im Süden sei selbst bei Zusicherung eines Teiles der Einnahmen nicht vorstellbar. Spätestens beim Versuch einer Loslösung des Südsudans sei ein Wiederausbruch des Bürgerkrieges zu erwarten. Weitere bewaffnete Konflikte könnten zu diesem Zeitpunkt hinzukommen: militärische Intervention von Nachbarstaaten, interne südsudanesische Auseinandersetzungen, Sezessionsversuche nordsudanesischer Regionen.22) In der Tat würde auch nach Abschluss einer Friedensvereinbarung zwischen Regierung und SPLM/A genügend Konfliktstoff verbleiben. So muss eine Lösung für die drei mit der SPLM/A verbündeten "Zwischenregionen" (Abyei, Nubaberge, Southern Blue Nile) gefunden werden.(FN 23) Die Regierung lehnt es ab, diese Frage in den Rahmen des IGAD-Mandats zu stellen, da die drei Regionen rechtlich zum Nordsudan gehören. Vertreter der Regionen reklamieren Autonomierechte, eine Trennung von Staat und Religion sowie Referenda über die Zugehörigkeit zur nördlichen oder südlichen Staatshälfte, was von der SPLM/A unterstützt wird. Zumindest Abyei kann sich dabei auf eine 1972 gewährte, aber nie umgesetzte Zusage einer solchen Abstimmung berufen. Die Regierung in Khartum widersetzt sich, den drei Regionen ein Recht auf Selbstbestimmung einzuräumen, da es sich einerseits um landwirtschaftlich sehr fruchtbare Gebiete handle und andererseits Präzedenzfälle für eine völlige Desintegration des Sudan geschaffen würden. Viele Bewohner der drei Regionen schrecken allerdings vor der Zugehörigkeit zu einem südsudanesischen Staat zurück, da sie dann eine Majorisierung befürchten. Sollte das Problem der drei Regionen aus dem Friedensprozess ausgeklammert werden, so könnte im Zentrum des Sudan ein neuer und vom bisherigen Bürgerkrieg unabhängiger bewaffneter Konflikt entstehen.

Weitere marginalisierte Regionen wollen ebenfalls am IGAD-Friedensprozess beteiligt werden. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, beginnen sie, zu den Waffen zu greifen. So liefert sich seit Februar 2003 die aus der Darfur Liberation Front hervorgegangene Sudan Liberation Army (SLA) Gefechte mit Regierungstruppen. Schlagzeilen machte sie durch den Angriff auf al-Fashir, die Hauptstadt des Staates Northern Darfur, und die zeitweise Eroberung der zweitgrößten Stadt Melleit. Nur mit militärischer Hilfe des Tschads konnte die Regierung die Bedrohung eindämmen. Am 4.9.2003 wurde ein brüchiger Waffenstillstand unterzeichnet, doch flammten die Kämpfe danach wieder auf. Mehr als 500.000 Menschen wurden durch die Kämpfe vertrieben, teilweise in das Nachbarland Tschad. Weitere marginalisierte Gruppen wie die Beja und die Nubier könnten ebenfalls zu den Waffen greifen.(FN 24) Auf beiden Seiten sind außerdem die Demokratisierung des politischen Lebens und die Beachtung der Menschenrechte nicht gesichert. Der bilateral strukturierte Verhandlungsprozess tendiert dazu, die Machtstellung der beiden Hauptakteure zu stärken. Die Regierung in Khartum hat den 1999 verkündeten Ausnahmezustand bis heute nicht aufgehoben. Politische Parteien sind zwar wieder zugelassen, genießen aber noch keine Chancengleichheit. Im Südsudan hat der wichtigste Akteur SPLM/A seinen Machtanspruch bislang autoritär durchgesetzt. Abweichler wurden als Verräter gebrandmarkt und brutal verfolgt.

Die brisante Frage der Unabhängigkeit des Südsudan wurde verschoben, wird aber sechs Jahre nach Abschluss eines Friedensabkommens aktuell werden. Beobachter gehen davon aus, dass die Südsudanesen derzeit bei einem Referendum mit großer Mehrheit für die Unabhängigkeit stimmen würden. Gegen eine solche Option formiert sich Widerstand. International wird befürchtet, dass ein unterentwickelter, inhomogener und instabiler neuer Staat entstehen würde, der ein gefährliches Machtvakuum schaffen könnte. Auch in der Region wird diese Ansicht geteilt, selbst von schwarzafrikanischen Staaten. Außerdem fürchten die Anrainer einen Präzedenzfall für Sezessionsversuche im eigenen Territorium.(FN 25) Ägypten spricht sich vehement gegen eine Loslösung des Südsudans aus, da es in diesem Fall die Aufteilung des Nilwassers (derzeit im Verhältnis 3:1 zu Gunsten Ägyptens) neu aushandeln müsste.(FN 26) Wahrscheinlich würde ein nordsudanesischer Rumpfstaat auch einen stärker islamistischen Charakter annehmen, als es jetzt schon der Fall ist. Dies wäre weder im Sinn der Nachbarstaaten noch der nichtmuslimischen Minderheiten im Nordsudan. Letztere würden einen reformierten, dezentralisierten Sudan auf der Basis gleichberechtigter Sprachen und Religionen bevorzugen.

Die internationalen Vermittler sind bestrebt, eine Lösung nach dem Motto "Ein Staat, zwei Systeme" schmackhaft zu machen. Vorbilder wären z.B. die in Dayton ausgehandelte Verfassung für Bosnien-Herzegowina oder der Annan-Plan für Zypern. Gerade die SPLM/A könnte mit einem konföderalen Modell leben, wenn es auf der Basis völliger Gleichberechtigung aufgebaut wäre. In der Vergangenheit hat sich Garang stets gegen eine völlige Loslösung ausgesprochen. Doch ist der Verzicht auf die Unabhängigkeit im Südsudan derzeit nicht populär.

Die unabhängige International Crisis Group (ICG) in Brüssel, die sich seit Jahren mit Lösungsvorschlägen für den Sudan beschäftigt, weist darauf hin, dass es wichtig sei, in den sechs Übergangsjahren möglichst viele verklammernde Institutionen zu schaffen und Vorentscheidungen für die Unabhängigkeit, wie z.B. zwei Hauptstädte und zwei Währungen, zu vermeiden.(FN 27) Sie appelliert an die Regierung in Khartum, den Südsudanesen in zentralen Institutionen möglichst weit entgegenzukommen, um Vorbehalte auszuräumen und die Vertrauensbasis für einen gemeinsamen Staat aufzubauen.

Im Fall der drei Zwischenregionen plädiert die ICG für einen asymmetrischen Föderalismus, der ihnen eine Selbstverwaltung unterhalb der südsudanesischen Autonomie einräumt. Auch befürwortet die ICG langfristige bindende Vereinbarungen, z.B. über die Verteilung der Öleinnahmen, um einen Neubeginn des Krieges zu verhindern, sollte sich der Süden doch für eine Sezession entscheiden.

Eine Tatsache ist den Bürgerkriegsparteien jedenfalls klar geworden: Keine Seite kann den Krieg gewinnen. Wenn es gelingt, sie zu überzeugen, dass sie durch einen Frieden mehr profitieren als durch die Fortsetzung des Krieges - so z.B. bei der ungestörten Ausbeutung der Erdölvorkommen -, so könnte dies die Entscheidung für eine Kompromisslösung erleichtern.

ANMERKUNGEN:

(Fußnote 1/FN1) Azania ist die altgriechische Bezeichnung für Ostafrika. Nicht nur im Südsudan, sondern auch in Südafrika wird sie als neuer Staatsname propagiert, dort z.B. von der Azania People‘s Organisation (AZAPO).

(FN 2) Zur Geschichte des Sudan siehe O’Ballance, Edgar: Sudan, Civil War and Terrorism, 1956-99. Houndmills, Basingstoke/New York 2000; Johnson, Douglas H.: The Root Causes of Sudan’s Civil Wars, Oxford/Bloomington 2003; Sudanesische Synthesen. Zu den Hintergründen eines afrikanischen Dauerkonfliktes. In: Vereinte Nationen (2002) 3, S.104-109.

(FN 3) Als geografischer Begriff war der Sudan früher wesentlich weiter gefasst. So gab es in der Kolonialzeit den "Französischen Sudan", den heutigen Staat Mali umfasste.

(FN 4) Ibrahim, Fouad und Barbara: Der politische Islam im Sudan heute. In: Rill, Bernd (Hrsg.): Aktuelle Profile der islamischen Welt (= Berichte und Studien der Hanns-Seidel-Stiftung e.V, Bd. 76), München 1998, S.179-193.

(FN 5) Idris, Amir H.: Sudan’s Civil War. Slavery, Race and Formational Identities (= African Studies Vol. 56). Lewiston, N.Y./Queenstown, Ont. 2001, S.77-104.

(FN 6) Idris, a.a.O., S.107.

(FN 7) O’Ballance, a.a.O., S.74f.

(FN 8) Hutchinson, Sharon E.: A Curse from God? Religious and political dimensions of the post-1991 rise of ethnic violence in the Sudan. In: The Journal of Modern African Affairs, Cambridge 39 (2001) 2, S.307-331.

(FN 9) Human Rights Watch: Sudan Global Trade, Local Impact. Arms Transfers to all Sides in the Civil War in Sudan. Vol. 10, Nr. 4, August 1998. Internet-Dokument: http://www.hrw.org/reports98/sudan.

(FN 10) Ibrahim, a.a.O., S.185f.

(FN 11) de Waal, Alex: Creating Devastation and Calling It Islam: The War for the Nuba, Sudan. SAIS Review, London XXI (2001) 2, S.117-132.

(FN 12) Stieglitz, Klaus: Erdölförderung und Menschenrechtsverletzungen am Beispiel der Region Western Upper Nile im Sudan. In: Internationales Afrika-Forum (2003), 2, S.179-185.

(FN 13) Heinrich, Wolfgang: Der Sudan nach Machakos. In: Blätter für deutsche und internationale Politik (2002) 9, S.1052.

(FN 14) Sudan in a strife: a catalyst for conflict. Jane’s Intelligence Review (1999) Dezember, S.36-40.

(FN 15) Human Rights Watch, a.a.O.

(FN 16) World Vision: Sudan: Military Analysis. Internet-Dokument: http://www.worldvision.org/worldvision/pr.nsf/stable/sudan_ military.

(FN 17) Akok, Garang/Lado, Thomas/Biel, Melha Rout (Hg.): Terrorismus im Namen des Islam und das Horn von Afrika. Der vergessene Konflikt im Sudan und die Rolle Osama Bin Ladens, Marburg 2002.

(FN 18) Dagne, Ted: Sudan: Humanitarian Crisis, Peace Talks, Terrorism, and U.S. Policy (= The Library of Congress, Congressional Research Service: Issue brief for Congress), Washington D.C., 23.4.2.2003.

(FN 19) Lange, Michael A.: Ägypten und die Friedensbemühungen im Sudan. In: KAS-Auslandsinformationen (2002) 9, S.34f.

(FN 20) Machakos Protocol, 20. Juli 2002. Internet-Dokument: http://www.usip.org/library/pa/sudan/sudan_machakos_07202002.hat.

(FN 21) U.S. Department of State: Sudan Peace Act, Washington D.C., 21.10.2002. Internet-Dokument: http://www.state.gov/r/pa/prs/ps/2002/14531.htm.

(FN 22) Heinrich, a.a.O., S.1051-1054.

(FN 23) International Crisis Group: Sudan´s other wars (= ICG Africa Briefing), Khartum/Brüssel 25.6.2003, S.1-9.

(FN 24) Ebd., S.10-19.

(FN 25) Woodward, Peter: The Horn of Africa. Politics and International Relations, New York 2003, insb. S.117-133, 151-167.

(FN 26) Lange, a.a.O., S.35-38.

(FN 27) International Crisis Group: Sudan Endgame (= ICG Africa Report Nr. 65), Khartum/Brüssel 7.7.2003.

Dr. Martin Pabst

Geb. 1959; Leutnant d.R.; Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Anglistik in München und Würzburg; 1988 Promotion zum Dr. phil.; Forschungsaufenthalte in Lomé (Togo), London und Oxford; Lehrauftrag an der Universität Würzburg; seit 1992 Büro Forschung & Politikberatung in München; zahlreiche Buch- und Aufsatzveröffentlichungen.



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