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Die Sicherheits- und Verteidigungspolitik

Der Vertrag von Nizza und seine Umsetzung

von Erich Hochleitner

Nach der Vollendung der Wirtschaftsunion und der Einführung des Euro stellt die Entwicklung und Umsetzung einer funktionierenden gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) die wichtigste politische Herausforderung der Europäischen Union in den nächsten Jahren dar.

Es geht darum, der EU, die bereits die größte globale Wirtschaftsmacht und ein weltweit bedeutender politischer Akteur ist, auch auf dem Gebiet der Außen- und Sicherheitspolitik die Fähigkeit zum Handeln zu geben, die ihrem politischen und wirtschaftlichen Gewicht und Potenzial in Europa und in der Welt entspricht. Zu diesem Zweck wurde damit begonnen, im Rahmen der EU eine militärische Dimension aufzubauen und diese auch mit glaubwürdigen militärischen Fähigkeiten auszustatten. Die EU soll in die Lage versetzt werden, im Rahmen ihrer umfassenden Sicherheitspolitik nötigenfalls auch mit militärischen Mitteln die Stabilität und Sicherheit in Europa und im europäischen Umfeld sicherzustellen und autonom Krisen und Konflikte zu managen und zu bewältigen.

Die Entwicklung der ESVP war daher seit dem Unionsvertrag von Amsterdam und den richtungsweisenden Beschlüssen der Europäischen Räte von Köln (Juni 1999) und Helsinki (Dezember 1999) Gegenstand intensiver Arbeiten im Rahmen der Union. Diese ermöglichten es, dass in Zusammenhang mit der Annahme des neuen Unionsvertrages von Nizza im Dezember 2000 auch ein umfassendes Paket von Maßnahmen und Beschlüssen im Bereich der ESVP verabschiedet werden konnte. Dieses Maßnahmenpaket wird seither systematisch und konsequent umgesetzt und so weit verwirklicht, dass der Europäische Rat in Laeken im Dezember 2001 einen Beschluss über eine erste grundsätzliche Einsatzbereitschaft der Union fassen konnte, was allerdings noch nicht bedeutet, dass die Union derzeit bereits in der Lage ist, autonom komplexe Krisenmanagement-Operationen durchzuführen. Dies wird voraussichtlich erst bis 2010 der Fall sein. Dennoch hat die Union in den vergangenen drei Jahren beim Aufbau einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik mehr Fortschritte erzielt als in den 50 Jahren vorher.

Grundsätzliches

Die Europäische Union ist primär ein politisches Projekt, denn die Union ist v.a. eine Friedens- und Solidaritätsgemeinschaft.

Die Europäischen Gemeinschaften verstanden sich seit ihrer Gründung nicht nur als eine nach innen wirkende Friedensgemeinschaft, sondern als eine Schicksalsgemeinschaft der europäischen Völker. Die politische Finalität des europäischen Integrationsprozesses wurde daher bereits in den Römischen Verträgen verankert. Die Zusammenarbeit und Integration im wirtschaftlichen Bereich wurde nicht nur als ein Mittel gesehen, in Europa eine Zone von wirtschaftlicher Stärke und Wohlstand zu schaffen, sondern v.a. als eine neue stabile europäische Friedensordnung. Robert Schuman formulierte seinerzeit den Gründungsauftrag prägnant: "Europa bauen heißt, den Frieden sichern." Die Europäischen Gemeinschaften und die nunmehrige Europäische Union sind daher seit jeher:

- eine Wertegemeinschaft der europäischen pluralistischen Demokratien, - eine Solidaritätsgemeinschaft europäischer Staaten, von denen solidarisches Handeln erwartet wird, welches auch eine Grundvoraussetzung für das Funktionieren der Gemeinschaft ist, und - eine Friedensgemeinschaft, welche es ermöglicht hat, alte nationale Rivalitäten unter europäischen Staaten zu überwinden, die die europäische Geschichte durch Jahrhunderte beherrschten.

Wichtigstes Ziel der Friedensgemeinschaft ist es, die traditionelle Macht- und Interessenpolitik der Nationalstaaten zu überwinden und diese in ein gemeinsames europäisches Rechtssystem mit gemeinsamen Institutionen und Verfahren einzubinden.(Fußnote 1/FN1) Die Europäischen Gemeinschaften schufen seit ihrer Gründung die größte Friedens- und Wohlstandszone der europäischen Geschichte. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts präsentiert sich die Union als führende Weltwirtschaftsmacht und als ein wichtiger politischer Akteur auf globaler Ebene. Sie hat nunmehr auch damit begonnen, die ihr bisher fehlenden militärischen Mittel und Fähigkeiten aufzubauen und damit auch militärisch handlungsfähig zu werden.

Ziele der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik

Das Ziel einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Union wurde bereits im Vertrag von Maastricht festgelegt:

Lange vor dem Vertrag von Maastricht begannen die EWG- bzw. die EG-Staaten pragmatisch auch in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik zusammenzuarbeiten. Diese Zusammenarbeit, organisiert in Form der "Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ)", wurde zunehmend ein zentraler Faktor der Außenpolitik aller Mitgliedsstaaten.(FN2) Der Unionsvertrag von Maastricht (2.2.1992) brachte einen wichtigen qualitativen Schritt vorwärts in Richtung der Schaffung einer Politischen Union. Der Vertrag schuf die rechtlichen und politischen Grundlagen für eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der Union und gab auch der außenpolitischen Aktion der Union und ihrer Mitglieder einen neuen Rahmen.(FN3) - Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik wird als eine breite und umfassende Außen- und Sicherheitspolitik der Union definiert, die auch eine gemeinsame Verteidigungspolitik und Verteidigung umfasst.

- Die GASP ist im Gegensatz zur EPZ ein Unternehmen der Union und ihrer Mitgliedsstaaten und soll der Verwirklichung der im Unionsvertrag vorgegebenen Ziele und der Wahrung gemeinsamer Interessen dienen.

- Der EU-Vertrag (EU-V) etabliert auf internationaler Ebene eine eigene Identität der Europäischen Union.

- Die Mitgliedsstaaten werden durch eine Solidaritätsklausel auch rechtlich zur solidarischen Unterstützung der GASP und zum solidarischen Handeln verpflichtet.

Der Vertrag von Maastricht geht von einem umfassenden Sicherheitsbegriff aus, der auch die militärische Dimension einschließt. Der Vertrag bestimmt, dass die Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik Aufgabe und Ziel der GASP sei, lässt jedoch die inhaltliche Ausgestaltung offen. Im Zusammenhang mit der Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik wird auch potenziell die Perspektive einer gemeinsamen Verteidigung als eine künftige Entwicklung aufgezeigt. Der Unionsvertrag legt auch fest, dass die Westeuropäische Union (WEU), die integraler Bestandteil der Entwicklung der Union ist, zum militärischen operativen Arm der EU entwickelt wird. Die WEU, deren Agenden der kollektiven Verteidigung (Art. V WEU-Vertrag) im Rahmen der NATO wahrgenommen werden, hat auch die Aufgabe, als eine Art "Scharniere" zur NATO zu wirken.(FN4) Der Weg zu einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion ist somit bereits im Vertrag von Maastricht vorgezeichnet, doch kam tatsächlich die Entwicklung der Verteidigungsdimension nicht recht voran. Die Verteidigungspolitik erwies sich als eine Bastion nationaler Politik. Auch die unterschiedlichen Positionen zwischen "Atlantikern" und Europäern wirkten sich aus(FN5).

Schwachstellen der GASP

Die Balkankrise machte die Schwachstellen der GASP deutlich.

Die außenpolitische Aktion der Union erfolgt weltweit, und es gibt keine bedeutende internationale Entwicklung, mit der sich die GASP nicht befasst. Im Rahmen der außenpolitischen Aktion setzt sie nicht nur ihren politischen Einfluss, sondern auch bedeutende Finanzmittel ein.(FN6) Obwohl die Union nur 6% der Weltbevölkerung repräsentiert, finanziert sie mehr als die Hälfte aller weltweit geleisteten Entwicklungshilfe, humanitären und Wiederaufbauhilfen sowie den Großteil aller Programme zur Unterstützung der Reformen in Ost- und Mitteleuropa. Dennoch spielt die Union bisher im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik nicht jene Rolle, die ihrem großen wirtschaftlichen Gewicht und ihrer Leistungskraft entsprechen würde.

Die wichtigsten Schwachstellen der außenpolitischen Aktion der Union traten deutlich während der Krise im früheren Jugoslawien zu Tage. Die wirtschaftlich mächtige Union war nicht in der Lage, die Krise zu meistern. Es zeigte sich, dass wirtschaftliche Macht gegenüber zu Gewalt entschlossenen Regimen ohne Wirkung bleibt. Nur durch eine angemessene Kombination von Diplomatie und die Fähigkeit zur Projektion militärischer Macht sind Krisen dieser Art beherrschbar.(FN7) Die Union benötigt daher dringend glaubwürdige militärische Mittel und Fähigkeiten, die nötigenfalls eine politische Aktion der Union stützen können, wenn sie die Stabilität in ihrem Umfeld sichern will und ein echter "global player" und nicht nur ein "global payer" sein soll.(FN8)

Der Weg von Amsterdam nach Nizza

Der Vertrag von Amsterdam

Amsterdam brachte Fortschritte, aber noch nicht den Durchbruch für eine funktionierende ESVP.

Das Ergebnis von Amsterdam blieb zwar hinter den Vorstellungen des Europäischen Parlaments, der Kommission und der integrationswilligen Staaten zurück, doch schuf der Unionsvertrag von Amsterdam die notwendigen rechtlichen Grundlagen für die Entwicklung einer glaubwürdigen militärischen Dimension der Union, sobald dies politisch seitens aller EU-Partner möglich ist. Der Vertrag hatte daher im Bereich der GASP ein beachtliches Entwicklungspotenzial.(FN9) Nachstehend seien die wichtigsten neuen Regelungen im Bereich der GASP genannt:

- Die Rolle des Europäischen Rates wird gestärkt und dessen Grundsatz- und Leitlinienkompetenz erweitert. Er kann im Bereich der GASP gemeinsame Strategien beschließen.(FN10) Damit soll die Union in die Lage versetzt werden, eine aktive, kohärente und aktionsorientierte Außen- und Sicherheitspolitik der Union zu planen und umzusetzen. Der Europäische Rat hat das Recht und die Möglichkeit, auf dem Gebiet der Sicherheits- und Verteidigungspolitik wesentliche Weichenstellungen zu beschließen, wie die Integration der WEU in die EU und die Einführung einer gemeinsamen Verteidigung.(FN11) - Eine Strategieplanungs- und Frühwarneinheit wird geschaffen, welche die Union in die Lage versetzen soll, eine aktive gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu konzipieren und auch rechtzeitig auf Ereignisse zu reagieren.(FN12) - Dem Generalsekretär des Rates wird die Funktion des Hohen Vertreters für die GASP übertragen.(FN13) Dieser hat für die Planung der Politik der Union und deren Umsetzung zu sorgen und soll auch die Kontinuität und Sichtbarkeit der GASP sicherstellen. Zum ersten Hohen Vertreter für die GASP wurde der frühere spanische Außenminister und NATO-Generalsekretär Javier Solana bestellt. Damit wurde eine europäische politische Spitzenpersönlichkeit mit großen Erfahrungen im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik in dieses Amt berufen.

- Das Instrumentarium und das Entscheidungsverfahren der GASP wird neu gestaltet.

- Die Bestimmungen des Unionsvertrages betreffend die gemeinsame Verteidigungspolitik der Union und das Zusammenwirken zwischen EU und WEU werden neu geregelt (Art. 17 EU-V). Der Status der WEU wurde geändert. Die WEU bleibt zwar rechtlich eine autonome internationale Organisation, doch wurde dem Europäischen Rat eine Richtlinienkompetenz gegenüber der WEU eingeräumt und damit die WEU politisch der Union untergeordnet und somit eine Durchführungsorganisation der Europäischen Union(FN14).

Schrittweise Festlegung der gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik:

Der Vertrag von Amsterdam bestimmt in seinem Art. 17, dass im Rahmen der GASP schrittweise eine gemeinsame Verteidigungspolitik festzulegen ist. Die Festlegung der Verteidigungspolitik ist somit eine Vertragspflicht. Inhaltlich bestimmt Art. 17 (2), dass die Verteidigungspolitik auch die Aufgaben des Krisenmanagements und der Konfliktbewältigung umfasst. Die Verteidigungspolitik schließt auch eine gemeinsame Verteidigung ein, wenn der Europäische Rat einstimmig einen entsprechenden Beschluss fasst.

Gemäß Art. 17 umfasst die schrittweise festzulegende Gemeinsame Verteidigungspolitik auch die traditionellen Aufgaben wie Gebietsverteidigung und Verteidigung gemeinsamer Interessen der Union, auch wenn diese Aufgaben im Vertragstext nicht direkt angeführt sind. Art. 11 des EU-V legt aber als Ziel der GASP ausdrücklich die "Wahrung der Unabhängigkeit und Unversehrtheit" der Union fest. Der Tindemans-Bericht des Europäischen Parlaments hat daher festgestellt, dass diese Aufgaben ein wesentlicher Teil einer Gemeinsamen Verteidigungspolitik sind.(FN15) Die Gemeinsame Verteidigungspolitik kann sich daher nicht nur auf ein gemeinsames europäisches Krisenmanagement beschränken, so wichtig diese Aufgabe derzeit auch ist. Es ist auch eine Tatsache, dass die Grenzen zwischen Kampfeinsätzen zur Friedensschaffung und kollektiven Verteidigungsmaßnahmen fließend sind und Operationen zur Friedensschaffung eskalieren können. Die Union wird daher auch zum gegebenen Zeitpunkt den Schritt zur kollektiven Verteidigung tun müssen.

Europäisches Krisenmanagement: Der Art. 17 (2) legt fest, dass humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedenschaffender Maßnahmen Teil der Gemeinsamen Verteidigungspolitik sind. Damit wurden die so genannten Petersberg-Aufgaben in den neuen Unionsvertrag übernommen und somit Aufgaben der Europäischen Union. Der Vertrag schuf dadurch die rechtliche Grundlage für ein europäisches Krisen- und Konfliktmanagement. Die Union wird in die Lage versetzt, Petersberg-Operationen zu beschließen, und erhält die Möglichkeit, Frieden und Stabilität im europäischen Umfeld - wenn notwendig auch mit militärischen Mitteln - zu sichern.

Gemäß dem Vertrag kann die Union Maßnahmen des Krisenmanagements unter eigener Verantwortung beschließen, ohne dass es eines Mandats von UNO oder OSZE bedarf. Damit soll die Handlungsfähigkeit der EU sichergestellt werden, wenn sich die Vereinten Nationen als aktionsunfähig erweisen(FN16).

Neue Dynamik durch St. Malo: Der politische Durchbruch zu einer dynamischen Entwicklung der ESVP kam erst nach Amsterdam durch die vom britischen Premierminister Tony Blair herbeigeführte Wende der britischen Europapolitik. Blair war im Lichte der Ereignisse am Balkan zur Ansicht gelangt, dass die Union für eine erfolgreiche und wirksame GASP auch glaubwürdige militärische Mittel und Fähigkeiten benötige, die nötigenfalls ihre politischen Aktionen stützen könnten. Die Union müsse daher auch militärisch handlungsfähig gemacht werden. Großbritannien sollte dabei eine Führungsrolle übernehmen.(FN17) Es kam zu den britischfranzösischen Vereinbarungen von St. Malo(FN18) und dann auch zu den Beschlüssen des Washingtoner NATO-Gipfels.(FN19) Damit war der Weg für die wichtigen Grundsatzbeschlüsse des Europäischen Rats von Köln (Juni 1999) frei.

Die Grundsatzbeschlüsse von Köln: Von Köln bis zum Unionsvertrag von Nizza

Die Beschlüsse von Köln legten die Grundsätze, den Aktionsrahmen und einen Katalog von Maßnahmen fest, um die EU für ein autonomes europäisches Krisenmanagement handlungsfähig zu machen. Die Union sollte nunmehr mit den Strukturen und Fähigkeiten ausgestattet werden, die notwendig sind, um Krisen rasch und wirksam bewältigen zu können. Köln legte auch fest, dass alle erforderlichen Beschlüsse bis Ende 2000 zu fassen sind.(FN20) Die wichtigsten Elemente der Kölner Grundsatzbeschlüsse sind:

- Die militärische Dimension wird im Rahmen der EU und ihrer Institutionen aufgebaut, d.h. dort aufgebaut, wo auch das politische europäische Machtzentrum ist. Dazu werden alle für ein europäisches Krisenmanagement notwendigen Funktionen und vorhandenen Kapazitäten von der WEU auf die EU übertragen.

- Die Union wird mit den notwendigen zusätzlichen Entscheidungs- und Beratungsstrukturen und zentralen kollektiven Instrumenten ausgestattet, die sie in die Lage versetzen, Operationen der Krisen- und Konfliktbewältigung rasch und effizient zu beschließen und zu führen. Demgemäß sollen u.a. folgende Organe geschaffen werden: ein gemeinsamer Rat der Außen- und Verteidigungsminister, ein Ständiger Politischer und Sicherheitspolitischer Ausschuss auf hoher Ebene nach dem Muster des NATO-Rates, ein beratender EU-Militärausschuss, dem die Generalstabchefs und ihre Vertreter angehören, ein EU-Militärstab mit Lagezentrum, eine Nachrichtenabteilung, ein Satellitenzentrum etc. Die EU wird in diesem Zusammenhang auch vorhandene Ressourcen der WEU übernehmen.

- Die EU soll alle notwendigen militärischen Mittel und Fähigkeiten erhalten, um EU-geführte militärische Operationen entweder alleine oder unter Inanspruchnahme von NATO-Ressourcen effizient vorbereiten und durchführen zu können. Die europäischen Streitkräfte sollen den neuen Aufgaben angepasst, modernisiert und reformiert werden, weiters sollen auch die im Rahmen einer Bestandsaufnahme festgestellten Schwachstellen schrittweise beseitigt werden. Als vordringliche Maßnahme soll bis 2003 ein rasch einsetzbares mobiles europäisches Korps geschaffen werden.

- Die Existenz einer europäischen Verteidigungsindustrie, die technologisch und wirtschaftlich voll wettbewerbsfähig ist, ist eine Grundvoraussetzung für eine volle europäische politische und militärische Handlungsfähigkeit und ein wichtiges Element einer Gemeinsamen Verteidigungspolitik. Zu diesem Zweck ist es notwendig, einen europäischen Verteidigungsmarkt zu schaffen, den stattfindenden Konsolidierungsprozess im Bereich der Verteidigungsindustrie zu fördern und auch das Beschaffungswesen zu europäisieren.

- Die Gemeinsame Verteidigungspolitik der Union wird im Zusammenwirken mit der NATO entwickelt, wobei die NATO bereit ist, militärische Mittel und Fähigkeiten für EU-geführte Operationen zur Verfügung zu stellen. Zwischen der EU und der NATO wird daher ein Mechanismus für Konsultation und Kooperation geschaffen werden, der auf den Vereinbarungen zwischen NATO und der WEU basieren soll.

Helsinki, eine wichtige Etappe der Entwicklung der ESVP

Der Europäische Rat fasste in Helsinki am 10./11.12.1999 eine Reihe wichtiger Beschlüsse, um die EU in die Lage zu versetzen, sämtliche Petersberg-Aufgaben, einschließlich Aufgaben mit hoher militärischer Intensität wie der Friedensschaffung durch Kampfeinsätze in Zukunft erfolgreich autonom durchführen und solche Operationen auch im Rahmen der EU-Strukturen vorbereiten und führen zu können.(FN21) Die wichtigsten festgelegten Maßnahmen sind:

Der Aufbau europäischer Krisenreaktionskräfte: In Helsinki wurde der Aufbau europäischer Krisenreaktionskräfte beschlossen und hiefür ein Leitziel für die Entwicklung autonomer europäischer Fähigkeiten (Helsinki Headline Goal) festgelegt. Demgemäß soll die Union bis 2003 über Streitkräfte in der Stärke eines Korps (15 Brigaden bzw. bis zu 60.000 Mann) verfügen können, die innerhalb von 60 Tagen in ihrer Gesamtheit verlegbar und für die Dauer eines Jahres einsatzfähig sein sollen. Die Kräfte werden von den EU-Staaten bereitgestellt und müssen über die erforderlichen Fähigkeiten in Bezug auf Streitkräfteführung, strategische Aufklärung und Logistik verfügen. Gegebenenfalls müssen sie auch über zusätzliche See- und Luftstreitkräftekomponenten verfügen.

Die in der WEU-Bestandsaufnahme(FN22) festgestellten Mängel der europäischen Streitkräfte in militärischen Kernfähigkeiten wie im Bereich der Streitkräfteführung, strategischen und taktischen Aufklärung, Verfügbarkeit und Verlegbarkeit von Stäben und Truppen und dem strategischen Transport sollen vorrangig beseitigt werden. Auf diesen Gebieten sollen kollektive Fähigkeitsziele festgelegt werden, wobei als qualitative Ziele Verlegbarkeit, Durchhaltefähigkeit, Interoperabilität, Flexibilität, Mobilität und Überlebensfähigkeit definiert wurden.(FN23) Der Gemeinsame Rat der Außen- und Verteidigungsminister wurde beauftragt, die Leit- und Fähigkeitsziele konkret auszuarbeiten und ein entsprechendes Verfahren zur Überprüfung der vereinbarten Ziele festzulegen.

Die Anstrengungen zur Harmonisierung der militärischen Erfordernisse sowie der Rüstungsplanung und -beschaffung sollen verstärkt werden.

Institutionelle Maßnahmen: In Angelegenheiten der ESVP wird der Rat der EU im Format Außenminister plus Verteidigungsminister tagen. Im institutionellen Rahmen der EU werden folgende neue Ratsstrukturen geschaffen:

- ein Ständiges Komitee für Politische und Sicherheitsfragen (PSK) auf Botschafterebene, zuständig für alle Aspekte der GASP einschließlich der ESVP und für die politische Kontrolle und strategische Führung von Krisenmanagement-Operationen; - ein Militärkomitee (MK), bestehend aus Vertretern der Generalstabschefs der EU-Staaten, zur militärischen Beratung des PSK und zur Beschlussfassung von Leitvorgaben für den Militärstab; - ein Militärstab (MS) zur Bereitstellung von militärischem Fachwissen und zur militärischen Unterstützung von EU-geführten Krisenmanagement-Operationen. Aufgaben sind u.a. Lagebeurteilung, Frühwarnung, strategische Planung etc.

Diese drei Gremien wurden im März 2000 in interimistischer Form eingerichtet und hatten vorerst die Aufgabe, die konkreten Maßnahmen zur Entwicklung und Verwirklichung der ESVP zu konzipieren und auszuhandeln.

VN-Mandatsfrage: "Die Aktionen der EU werden im Einklang mit den Grundsätzen der VN-Charta und den Prinzipien und Zielsetzungen der OSZE-Charta für europäische Sicherheit durchgeführt werden. Die Union anerkennt auch die vorrangige Verantwortung der VN für die Aufrechterhaltung des internationalen Friedens und der Sicherheit." Die EU bewahrt sich demnach das Recht, auch ohne Sicherheitsratsbeschluss eine Operation durchführen zu können. Eine Bindung von EU-Aktionen an ein UNO-Mandat würde dazu führen, dass eine EU-Entscheidung von der Zustimmung einzelner Ständiger Mitglieder des Sicherheitsrates (z.B. China) abhängig gemacht und damit diesen eine Art "Vetorecht" über die Union eingeräumt würde(FN24).

Krisenbewältigung der EU mit nichtmilitärischen Mitteln(FN25):

Parallel zu den Maßnahmen im militärischen Bereich soll auch das verfügbare Instrumentarium für ziviles Krisenmanagement, das den EU-Staaten und der EU-Kommission zur Verfügung steht, gestärkt und im Interesse der Union koordiniert eingesetzt werden. Die Synergien und die Reaktionsfähigkeit beim Einsatz des bereits vorhandenen EU-Instrumentariums sollen durch eine Reihe von Maßnahmen verbessert werden: Schaffung einer Datenbank und eines entsprechenden Koordinierungsmechanismus. Beim Europäischen Ratstreffen in Feira im Juni 2000 kamen die EU-Mitgliedsstaaten darüber hinaus überein, im Bereich des nichtmilitärischen Krisenmanagements eine Polizeitruppe von 5.000 Mann aufzustellen, mit einem Kontingent schnell einsetzbarer Polizeikräfte(FN26).

Die Planung des Leitziels (Headline Goal) und das Ergebnis der Beitragskonferenz (Capability Commitment Conference)

Um die Palette der militärischen Mittel und Fähigkeiten festzulegen, welche die Union für die Durchführung sämtlicher Petersberg-Aufgaben benötigt, fand im Jahr 2000 im Rahmen der EU ein intensiver Streitkräfteplanungsprozess statt. Die Planungen wurden unter der Leitung des im März geschaffenen Interimistischen EU-Militärkomitees von einer Ständigen Headline Goal Task Force (HTF/STF) durchgeführt, die aus den der EU zugeteilten Militärexperten und nationalen Experten gebildet wurde. Bei Ausarbeitung dieses Katalogs wurde auch auf das militärische Fachwissen der NATO zurückgegriffen und zu diesem Zweck die Headline Goal Task Force Plus mit NATO-Experten (HTF/STF plus) gebildet. Im Rahmen dieser Streitkräfteplanung wurden militärische Fähigkeiten und Streitkräfte festgelegt, welche die EU zur Erreichung des Leitziels braucht, und der Helsinki-Fähigkeitenkatalog (Helsinki Headline Catalogue) erarbeitet. Im Rahmen der Task Force wurden in Vorbereitung der Beitragskonferenz der EU-Staaten auch die von den einzelnen EU-Staaten in Aussicht genommenen Beiträge gemeinsam analysiert und bewertet.

In Vorbereitung des Gipfels von Nizza fand am 20./21.11.2000 in Brüssel die EU-Beitragskonferenz statt, bei der sich die EU-Staaten die nationalen Beiträge zur Erfüllung des Helsinki Headline Goal verpflichtend zusagten. Die verbindlich zugesagten nationalen Beiträge der EU-Mitgliedsstaaten wurden in den Helsinki Force Catalogue (Kräfte-Katalog) aufgenommen, der von den Verteidigungsministern angenommen wurde.(FN27) Aus den Beiträgen, die im Helsinki Force Catalogue (Kräfte-Katalog) erfasst sind, ergibt sich ein Pool von mehr als 100.000 Mann, von 400 Kampfflugzeugen und 100 Schiffen. Den Löwenanteil stellen die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien. In quantitativer Hinsicht kann mit den von den EU-Staaten zugesagten Beiträgen das in Helsinki festgelegte "Globale Leitziel" erreicht werden.

Deutschland stellt 13.500 Mann Bodentruppen, 93 Kampfflugzeuge und 20 Schiffe zur Verfügung. Frankreich hat 12.000 Mann Bodentruppen, 75 Kampfflugzeuge, 12 Schiffe (darunter einen Flugzeugträger), Satellitenaufklärung und Kommando- und Kontrolleinrichtungen zugesagt. Großbritannien stellt 12.500 Mann, 75 Kampfflugzeuge und 18 Schiffe (darunter einen Flugzeugträger) zur Verfügung. Dazu gehören die neu gebildete britische Lufteinsatz-Brigade und die britische Amphibische Brigade. Italien stellt 6.000 und die Niederlande stellen 5.000 Mann zur Verfügung. Die Beiträge der übrigen mittleren und kleinen EU-Staaten liegen zwischen 4.000 und 1.000 Mann und umfassen zusätzlich eine Anzahl von Flugzeugen und Schiffen.

Österreich hat 2.000 Mann Bodentruppen für gleichzeitigen internationalen Einsatz zugesagt, war jedoch im Gegensatz zu Belgien, Schweden, Finnland und Portugal nicht in der Lage, Flugzeuge zur Verfügung zu stellen.

Die Union wird daher bis 2003 entsprechend der zunehmenden Stärkung ihrer militärischen Fähigkeiten schrittweise Petersberg-Aufgaben übernehmen können. Die Fähigkeit zur Durchführung kleinerer Operationen im unteren Bereich des Petersberg-Spektrums ist bereits bis Ende 2001 erreicht worden.

Verbesserungen sind allerdings in qualitativer Hinsicht erforderlich, so bei der Verfügbarkeit, der Verlegefähigkeit, der Durchhaltefähigkeit und der Interoperabilität der Kräfte. Es müssen auch noch Anstrengungen in spezifischen Bereichen wie z.B. der militärischen Ausrüstung einschließlich Waffen und Munition, Unterstützungsdienste einschließlich des medizinischen Bereichs sowie im Bereich der Verhinderung operativer Risiken und dem Schutz der Streitkräfte unternommen werden.

Defizite bestehen im Bereich moderner Führungssysteme, der Aufklärung (insbesondere im Bereich der Satelliten-Aufklärung) sowie des strategischen Luft- und Seetransports. Hier werden von europäischer Seite noch erhebliche Investitionen erforderlich sein. Bis zur Beseitigung dieser Lücken wird die EU bei anspruchsvolleren Petersberg-Aufgaben auf NATO-Ressourcen angewiesen sein.

Die EU-Partner verpflichteten sich bei der Beitragskonferenz in Brüssel, durch mittel- und langfristige Maßnahmen ihre Fähigkeiten sowohl in operativer als auch in strategischer Hinsicht weiter zu verbessern. Im Rahmen der laufenden Reformen der Streitkräfte sollen die Fähigkeiten der EU-Partner gestärkt und auf multinationaler Ebene eine Reihe von Projekten umgesetzt werden.

Die in Gang befindliche Umstrukturierung der europäischen Rüstungsindustrien soll die Entwicklung europäischer Fähigkeiten begünstigen. In diesem Zusammenhang wird auch die europäische Zusammenarbeit im Bereich der Forschung und Entwicklung sowie der Beschaffung gestärkt werden. Eine Reihe wichtiger Projekte wird derzeit vorbereitet bzw. durchgeführt, wie der Airbus A-400M, der Hubschrauber für Truppentransporte (NH 90), die neuen Satellitensysteme, optischen Geräte und neue Radarsysteme (Helios II, SAR Lupe und Cosmos skymed).

Um die Einhaltung und Nachhaltigkeit der europäischen Maßnahmen zur Stärkung der Fähigkeiten zu gewährleisten, soll ein Bewertungs- und Überwachungsmechanismus durch Einrichtung eines einheitlichen Planungssystems geschaffen werden, das mit dem Streitkräfteplanungssystem der NATO kompatibel ist.

Der Unionsvertrag von Nizza und seine Umsetzung

Obwohl beim europäischen Gipfel von Nizza vom 7. und 8.12.2000 die Frage der institutionellen Reform der EU die Verhandlungen und die Medienberichterstattung beherrschte, konnte mit Nizza auch die Planungs- und Vorbereitungsphase im Zusammenhang mit der Entwicklung der ESVP abgeschlossen und damit der von Köln vorgegebene Zeitplan eingehalten werden.

Der Europäische Rat von Nizza beschloss wichtige Änderungen des Unionsvertrages (Art. 17 und Art. 25). Der Europäische Rat nahm auch ein umfassendes Paket von Maßnahmen und Beschlüssen(FN28) an, so dass mit Anfang 2001 mit der konkreten Umsetzung der ESVP im militärischen und zivilen Bereich begonnen werden konnte. Seit Beginn des Jahres 2001 steht daher die konkrete Umsetzung der ESVP-Beschlüsse im Vordergrund, wenn auch noch eine Reihe wichtiger Fragen offen ist bzw. einer Regelung bedarf. Wo stehen wir daher heute im Bereich der ESVP, wo sind die Probleme, wo gehen wir hin?

Die ESVP-Entscheidungs- und Beratungsstrukturen nach Nizza

Oberstes Entscheidungsorgan, auch auf dem Gebiet der ESVP, ist der Europäische Rat bzw. in laufenden Angelegenheiten der Rat für Allgemeine Angelegenheiten, der, wenn Fragen der ESVP behandelt werden, unter Beiziehung der EU-Verteidigungsminister tagt, d.h. seine Beschlüsse im Format Außen- und Verteidigungsminister fasst.

Darüber hinaus wurde in Nizza die Schaffung neuer ständiger politischer und militärischer Entscheidungs- und Beratungsstrukturen beschlossen, um die Union in die Lage zu versetzen, im Bereich der GASP und ESVP voll ihre Aufgaben zu erfüllen. Diese nahmen 2001 ihre Tätigkeit auf. Ihre Aufgabe ist es, eine kohärente europäische Politik in internationalen Angelegenheiten im Bereich des Krisenmanagements und der Konfliktprävention zu garantieren, alle notwendigen Beschlüsse vorzubereiten und die politische Kontrolle und strategische Führung von EU-geführten Petersberg-Operationen sicherzustellen. Die Zusammensetzung, die Zuständigkeiten und Verfahren dieser neuen Gremien wurden in den in Nizza angenommenen Dokumenten geregelt.

Politisches und Sicherheitskomitee (PSK)(FN29): Das PSK auf Botschafterebene wird in Zukunft die GASP-Aufgaben gem. Art. 25 EU-V des bisherigen Politischen Komitees wahrnehmen, kann allerdings auch im Format der Politischen Direktoren tagen. Es hat aber auch die zentrale Rolle beim militärischen Krisenmanagement und ist für die politische Kontrolle und strategische Führung von EU-geführten Petersberg-Operationen zuständig. Der Generalsekretär des Rates und Hohe Vertreter für die GASP kann in Absprache mit der Präsidentschaft den Vorsitz des Komitees übernehmen, v.a. in Krisenfällen.

Zur Überraschung vieler wurde das PSK in Nizza mit eigener Beschlussfähigkeit ausgestattet. Im neuen Artikel 25 EU-V wurden die Aufgaben des Politischen Komitees dem PSK übertragen. Er sieht auch vor, dass das PSK im Fall einer Krise vom Rat ermächtigt werden kann, im Zusammenhang mit Krisenmanagement-Operationen eigene verbindliche Beschlüsse zu fassen.

Das EU-Militärkomitee (EUMK)(FN30): Das höchste militärische Gremium im Rahmen des Rates ist das aus den Generalstabschefs der 15 EU-Staaten bzw. ihrer Repräsentanten gebildete EU-Militärkomitee, es leitet alle militärischen Aktivitäten im Rahmen der EU. Der gewählte Vorsitzende des Militärkomitees wird diesen im PSK und im Rat vertreten. Dieser ist auch der Militärberater des Generalsekretärs und Hohen Vertreters. Als erster Vorsitzender des EU-Militärkomitees wurde der frühere finnische Generalstabschef General Gustav Hägglund bestellt.

Der EU-Militärstab (EUMS)(FN31): Der EUMS hat die Aufgabe, militärisches Fachwissen zur Verfügung zu stellen und alle Stabsaufgaben militärischer Natur, wie z.B. Lagebeurteilung oder Erarbeitung militärstrategischer Optionen, zu erfüllen. Seine Aufgabe ist auch die Beratung in militärischen Angelegenheiten und die Umsetzung von Beschlüssen und Politiken im militärischen Bereich. Er wird von einem Generaldirektor geleitet, dem deutschen Generalleutnant Rainer Schuwirth. Im EUMS müssen die notwendigen Ressourcen für strategische Planung und strategische Führung von Operationen vorhanden sein, um realistische politische Entscheidungen auf europäischer Ebene sicherzustellen.

Der neue EUMS, der derzeit über 130 Stabsoffiziere verfügt, wurde im Herbst 2001 zur Gänze operativ. Ein gemeinsames ziviles und militärisches Lagezentrum wurde eingerichtet und ist 24 Stunden hindurch besetzt. Damit wurde die kollektive Frühwarnfähigkeit der EU gestärkt und diese mit einer Fähigkeit zur Lagebeurteilung und zur strategischen Planung im Vorfeld von Entscheidungen ausgestattet. Auch eine engere Zusammenarbeit der Nachrichtendienste der EU-Staaten wurde herbeigeführt und verwirklicht.

Das PSK, der Vorsitzende des Militärkomitees sowie der Generaldirektor des EU-Militärstabs nehmen im Rahmen ihrer Funktion die Aufgaben der Zusammenarbeit mit dem NATO-Rat, dem NATO-Militärkomitee und dem internationalen Militärstab der NATO wahr.

Der Europäische Rat von Nizza beschloss auch die Übernahme wichtiger Funktionen der WEU durch die EU. Das Satellitenzentrum in Torrejon und das Institut für Sicherheitsstudien der WEU wurden mit Wirkung vom 1.1.2002 Einrichtungen der EU.

Problemstellungen

Das PSK, der Militärausschuss und der EUMS wurden in die vorhandenen institutionellen Strukturen eingegliedert, und das geplante Zusammenwirken mit dem "Heavyweight Mr. GASP" war in der Praxis umzusetzen. Soweit feststellbar, ist dies weit gehend gelungen, doch muss das neue institutionelle Setup noch getestet werden. Auch die Kohärenz der Politiken muss sichergestellt werden.(FN32) Neben dem Aufbau militärischer Expertise ist es auch notwendig, ausreichendes politischmilitärisches Knowhow im Rahmen des Ratssekretariats aufzubauen. Es wird auch wichtig sein sicherzustellen, dass die Entscheidungsprozesse innerhalb der Union weiterhin effizient gestaltet werden.

Die Schaffung eines Rates der Verteidigungsminister: Eine wichtige offene Frage ist die Schaffung eines Rates der Verteidigungsminister, die bisher nur informell alleine tagen konnten. Diese Frage wurde andiskutiert, doch die Entscheidung der spanischen Präsidentschaft überlassen.

Das volle Engagement der Verteidigungsminister ist eine wichtige Voraussetzung dafür, die Union im militärischen Bereich echt funktionsfähig und wirksam zu machen. Es ist auch deren Aufgabe, die Mittel für die Umsetzung des Leitzieles sowie für die zu schaffenden strategischen Fähigkeiten bereitzustellen. Im Zusammenhang mit der Schaffung der notwendigen militärischen Fähigkeiten sind auch eine Fülle militärischer Fragen zu beraten und entsprechende Vereinbarungen zu treffen. Der Rahmen informeller Treffen ist hiefür auf Dauer nicht geeignet. Es sollte daher dringend auch ein Rat der Verteidigungsminister als geeignete Ratsformation, wie sie für andere Ressortminister besteht, geschaffen werden.(FN33) Die Berichte des Überwachungsmechanismus werden gleichfalls den Verteidigungsministern vorzulegen sein und von diesen geprüft und beurteilt werden. Der Verteidigungsministerrat sollte einmal pro Vorsitz formell tagen.

Auch das Europäische Parlament hat im Tindemans-Bericht die Schaffung eines Rates der Verteidigungsminister für Verteidigungsfragen als formellen EU-Rat vorgeschlagen. Ebenso wurde beim französischbritischen Gipfel von St. Malo am 4.12.1998 die Schaffung eines EU-Rates der Verteidigungsminister postuliert.

Der Aufbau militärischer Fähigkeiten: Das Helsinki-Leitziel soll bis Ende 2003 verwirklicht werden, und das Europäische Krisenreaktionskorps soll bis 2003 für die EU voll einsatzfähig sein. Die Kernfrage glaubwürdigen europäischen Krisenmanagements ist und bleibt der Aufbau geeigneter europäischer Fähigkeiten in diesem Bereich. Im November 2001 fand daher in Brüssel eine Capability Improvement Conference statt, bei der die EU-Staaten ihre im November 2000 zugesagten Beiträge zum EU-Headline Goal und zu den kollektiven Fähigkeitszielen in quantitativer und qualitativer Hinsicht verbesserten. Von den 50 festgestellten Defiziten (shortfalls) werden 20 in den nächsten zwei Jahren beseitigt werden. Für die Beseitigung der restlichen Defizite und Lücken werden über das Jahr 2003 hinaus erhebliche europäische Anstrengungen und Investitionen notwendig sein.(FN34) Die EU-Staaten beschlossen daher einen Aktionsplan, der in Form eines Projektprogramms die noch vorhandenen Fähigkeitslücken schließen soll. Konkret handelt es sich um Vorhaben im Bereich von Kommando, Kontrolle, Kommunikation und Information (C3I), strategischer Aufklärung (ISTAR), Großtransportflugzeugen und Seetransportkapazitäten, v.a. im amphibischen Bereich.(FN35) Die Umsetzung des Headline Goal sowie der Beschlüsse der Beitragskonferenz sind ein ehrgeiziges Ziel. Die Herausforderungen, die im Zusammenhang mit dem Aufbau der Europäischen Krisenreaktionskräfte zu bewältigen sind, sind primär nicht eine Frage der Quantität, sondern der Qualität der Kräfte und des Fehlens ausreichender europäischer strategischer Fähigkeiten.

Bereits die WEU-Bestandsaufnahme der europäischen militärischen Fähigkeiten und Kapazitäten hat ernste Mängel bei den bestehenden europäischen Streitkräften aufgezeigt. Obwohl die 15 EU-Staaten derzeit 1,9 Mio. Mann unter Waffen haben (USA 1,4 Mio. Mann) und die Verteidigungsbudgets 60% des US-Budgets betragen, liegt die militärische Wirksamkeit der europäischen Streitkräfte bei 10% der amerikanischen Streitkräfte.(FN36) Dies bedeutet, dass Europa einerseits zu viele Soldaten hat, aber nicht Streitkräfte, die den heutigen Anforderungen entsprechen. Die europäischen Staaten müssen die beschränkten Mittel für Verteidigung besser und effizienter einsetzen.(FN37) In vielen EU-Staaten ist die notwendige Reform der Streitkräfte noch ausständig, Europa braucht weniger, aber dafür besser ausgerüstete und rascher einsatzfähige Kräfte. Strukturelle Veränderungen in den Verteidigungsbudgets sind vielfach notwendig. Darüber hinaus wird es notwendig sein, zusätzliche Mittel für Investitionen flüssig zu machen.

Europäische Kräfte müssen besser ausgerüstet und ausgebildet werden, wenn sie die neuen Aufgaben erfolgreich erfüllen sollen. Als vordringliche Maßnahmen wurden identifiziert: rasche Einsetzbarkeit und Verlegbarkeit, Durchhaltefähigkeit, Interoperabilität und eine Modernisierung der Ausrüstung.

Das echte Problem im Bereich der Duplizierung im militärischen Bereich in Europa ist nicht primär ein Problem zwischen EU und NATO, sondern ein Problem zwischen den EU-Mitgliedsstaaten, wo durch Doppelgleisigkeiten ein großes Maß an Vergeudung von Ressourcen feststellbar ist.(FN38) Dies gilt v.a. für den Bereich der Logistik, wo z.B. derzeit alle an der KFOR teilnehmenden nationalen Kontingente national versorgt werden müssen. Dies gilt auch im großen Maß im Bereich der Beschaffung, der Ausbildung und Wartung. Auf diesem Gebiet sind eine gemeinsame Beschaffungspolitik und der multinationale Zugriff auf diese Mittel notwendig.

Große Anstrengungen und zusätzliche Finanzmittel werden erforderlich sein, um die europäischen Defizite im Bereich strategischer Fähigkeiten abzubauen(FN39): Aufbau verlegbarer multinationaler europäischer Stäbe, die in der Lage sind, europäische Operationen effizient zu führen, Modernisierung der Führungsmittel (Kommando, Kontrolle und Kommunikation), Abbau der Defizite, insbesondere im Bereich der taktischen und strategischen Aufklärung, des Nachrichtenwesens und des strategischen Lufttransports. In diesen Bereichen erscheint mittelfristig die Duplizierung mit NATO-Fähigkeiten und -Mitteln, die im Grunde amerikanische Fähigkeiten sind, unvermeidlich, wenn die Union militärisch voll handlungsfähig werden will.(FN40) Hier besteht im Vergleich zu den USA ein echtes Capability Gap.

Wichtig ist es auch, die rasche Verfügbarkeit europäischer Streitkräfte für EU-Aufgaben sicherzustellen. Das Problem dabei ist, dass die EU-Saaten bereits umfangreiche Kräfte (ca. 110.000 Mann) für internationale Einsätze zur Verfügung gestellt haben.(FN41) Um die Erfüllung der im Bereich der militärischen Fähigkeiten von den EU-Staaten eingegangenen politischen Verpflichtungen sowie den Abbau der Defizite durch die Schaffung zusätzlicher europäischer Kapazitäten sicherzustellen, wurden die Einführung eines gemeinsamen Überprüfungsmechanismus (Capabiliy Development Mechanism/CDM) beschlossen und in Nizza die Grundsätze für diesen festgelegt.(FN42) Die Überprüfung der Erfüllung des Helsinki-Leitziels ist eine Angelegenheit der EU, doch ist die Vereinbarkeit der Umsetzung des Leitzieles mit dem Streitkräfteplanungsprozess der NATO und für die vier Allianzfreien mit dem PfP Planning and Review Process sicherzustellen.

Der Mechanismus wird auf den Grundlagen der Headline/Leitziel-Task-Force - HTF/STF aufbauen und die NATO-Daten nutzen. Aufgabe einer EU-NATO-Gruppe "Fähigkeiten" ist es darüber hinaus, die Kohärenz der Entwicklung des Headline Goal der EU und der Entwicklung der Defence Capability Initiative (DCI) der NATO sicherzustellen. Die Details sollen in der ersten Jahreshälfte 2002 geregelt werden.

Zusammenfassende Wertung: Das Ergebnis der beiden EU-Fähigkeitskonferenzen lässt den Schluss zu, dass die EU-Staaten ab dem Jahr 2003 grundsätzlich in der Lage sein werden, alle Petersberg-Aufgaben durchzuführen. Der Europäische Rat von Laeken hat im Dezember 2001 in einem Beschluss eine erste grundsätzliche Einsatzbereitschaft der Union auf dem Gebiet des Krisenmanagements festgestellt, was allerdings noch nicht bedeutet, dass die EU derzeit bereits in der Lage ist, autonom komplexe Krisenmanagement-Operationen (v.a. Operationen mit großer militärischer Intensität) durchzuführen. Defizite bestehen weiter v.a. im qualitativen und strategischen Bereich und schränken die Wirksamkeit der Operation und den Operationsspielraum ein und erhöhen auch die Risiken für die Einsatzkräfte. Mit der Beseitigung der Fähigkeitslücken wird die Union ab 2003 schrittweise komplexere Operationen durchführen können. Die im Aktionsprogramm vorgesehene Beseitigung der Fähigkeitslücken wird v.a. im strategischen Bereich erhebliche Investitionen der EU-Staaten erfordern und voraussichtlich erst am Ende des Dezenniums 2000/2010 zum Tragen kommen. Die EU wird daher bis dahin in großem Maß auf die Zurverfügungstellung von NATO-Mitteln und -Fähigkeiten angewiesen sein.

Definition der politischen und strategischen Ziele der Union

Die Konzentration auf militärische Fähigkeiten durch Festlegung des Headline Goal war der entscheidende Durchbruch innerhalb der EU. Es war richtig, pragmatisch vorzugehen und den Schwerpunkt auf die Entwicklung von militärischen Fähigkeiten zu legen, doch erscheint es nunmehr erforderlich, die politischen und strategischen Ziele der neuen ESVP klarer zu definieren, europäische Strategien zu entwickeln und den geografischen und operationellen Rahmen, in dem die Petersberg-Aufgaben zu vollziehen sein werden, zu vereinbaren.(FN43) Dabei werden auch gemeinsame Interessen der Union zu definieren sein. In den vergangenen Jahren wurden in vielen EU-Staaten neue Verteidigungsdoktrinen erarbeitet. Ein Vergleich dieser Doktrinen dürfte mehr Gemeinsamkeiten unter den EU-Staaten aufzeigen als Unterschiede. Es dürfte daher zweckmäßig sein, als ersten Schritt zur Erarbeitung eines europäischen Weißbuches die Doktrinen auf ihre Gemeinsamkeiten zu überprüfen. Erste Arbeiten in diesem Bereich haben im neuen EU-Institut für Sicherheitsstudien begonnen.

Die Einbindung von Drittstaaten in die ESVP

Den europäischen NATO-Mitgliedern, die nicht der EU angehören, und anderen Ländern, die EU-Beitrittskandidaten sind, wurde die Schaffung einer einheitlichen Struktur für den Dialog und die Information über sicherheitspolitische und verteidigungspolitische Fragen und Fragen der Krisenbewältigung angeboten, die auch zu einer intensiven Konsultation im Krisenfall dienen soll.(FN44) Für EU-geführte Operationen wird darüber hinaus für die Mitwirkung bei der Führung der Operation jeweils ein Adhoc-Ausschuss der beitragenden Länder eingesetzt. Damit wurden seitens der Union den europäischen NATO-Staaten, die nicht der EU angehören, aber auch den EU-Beitrittskandidaten sehr weit gehende Mitwirkungsrechte bei der Vorbereitung und Durchführung von Entscheidungen im Bereich der ESVP eingeräumt (decisionshaping), die Entscheidung selbst bleibt aber den EU-Mitgliedern alleine vorbehalten (decisionmaking). Obwohl diese Mitwirkungsrechte weit darüber hinausgehen, was andere internationale Organisationen Drittstaaten gewähren, wurden sie von der Türkei als unzureichend angesehen und zum Anlass genommen, den Abschluss formeller Vereinbarungen EU-NATO zu blockieren.

Obwohl die EU-Staaten grundsätzlich das Ziel verfolgen, die in Helsinki festgelegten Ziele sowohl bei den Streitkräften als auch auf dem Gebiet der kollektiven Fähigkeiten durch Beiträge der EU-Mitglieder allein zu erreichen, haben die europäischen NATO-Staaten, die der EU nicht angehören, und die Beitrittskandidaten zusätzliche Beiträge zur Verbesserung der europäischen Fähigkeiten angekündigt. Die zugesagten Beiträge, die v.a. seitens der Türkei, Polens und Norwegens beachtlich sind, erweitern das Spektrum der Fähigkeiten, die für EU-geführte Operationen zur Verfügung stehen. Die Beiträge, die noch nach den gleichen Kriterien wie die Beiträge der EU-Mitgliedsstaaten analysiert und bewertet werden sollen, stellen eine wertvolle Ergänzung der Beiträge der Mitgliedsstaaten dar.

Beziehungen EU-NATO: Die Schaffung enger Kooperationsbeziehungen zwischen EU und NATO liegt im Interesse beider Organisationen. Von der NATO wurde den Europäern die Zurverfügungstellung von NATO-Mitteln und -Fähigkeiten für Operationen militärischer Krisenbewältigung unter EU-Führung zugesagt. Für europäische NATO-Staaten, die der EU nicht angehören, sollte gleichzeitig die Teilnahme an EU-geführten Operationen möglich sein.

Im Juli 2000 wurden vier informelle Arbeitsgruppen zwischen der EU und der NATO eingerichtet, deren Aufgabe es war, Regelungen für folgende Bereiche auszuarbeiten: Sicherheitsabkommen zum Austausch vertraulicher Informationen, militärische Fähigkeiten, Modalitäten über die Zurverfügungstellung von NATO-Mitteln für EU-geführte Operationen und permanente Konsultationsarrangements zwischen der EU und der NATO. Vor und nach Nizza fanden laufend Tagungen des PSK und des Nordatlantikrates statt, und auch die Arbeitsgruppen tagten wiederholt. NATO-Expertise stand bei der Erarbeitung des Headline Goal Catalogue zur Verfügung.

Dem Europäischen Rat in Nizza wurde ein Dokument zur Beschlussfassung vorgelegt, das die EU-Vorschläge für einen permanenten Konsultationsmechanismus und die Zurverfügungstellung von NATO-Mitteln für EU-geführte Operationen genau präzisiert. Sie stellen ein Verhandlungsangebot der EU an die NATO dar.(FN45) Verhandlungen wurden zwischen der EU und NATO aufgenommen, jedoch sind noch vereinbarte Regelungen in wichtigen Bereichen offen.

Bei den Vorschlägen wurde von der EU davon ausgegangen, dass die EU und NATO gemeinsame Werte und strategische Interessen verbinden und die Zusammenarbeit auf der Basis der Gleichberechtigung und Partnerschaft entwickelt wird. In den Beziehungen zwischen EU und NATO wird keiner der EU-Staaten diskriminiert. Im Rahmen der Konsultationen soll die Beschlussfassungsautonomie beider Organisationen gewahrt werden.

Bei den zwischen EU und NATO stattgefundenen Verhandlungen wurde Einvernehmen über den Konsultationsmechanismus EU-NATO erzielt: In krisenfreien Perioden werden das PSK und der Nordatlantische Rat nicht weniger als dreimal und die Minister mindestens einmal im Rahmen jeder EU-Präsidentschaft gemeinsam tagen. Zusätzliche Tagungen können von jeder Organisation verlangt werden. Im Fall einer Krise werden die Tagungen und Kontakte verstärkt. Der NATO-Generalsekretär, der Vorsitzende des NATO-Militärkomitees und der Stellvertretende Oberkommandierende (DSACEUR) werden an EU-Tagungen teilnehmen, der EU-Generalsekretär/Hohe Vertreter und die EU-Präsidentschaft werden zu NATO-Tagungen eingeladen. Auch zwischen den Stäben wurden intensive Kontakte vereinbart.

Zwischen EU und NATO wurde auch ein Interim-Sicherheitsabkommen abgeschlossen und damit die Basis für den Austausch vertraulicher Informationen und vertraulicher Dokumente geschaffen.

Vereinbarungen über den gesicherten Zugang zu den NATO-Planungskapazitäten, den Zugriff auf NATO-Mittel und -Fähigkeiten, die überwiegend strategische Fähigkeiten der USA sind, und über die Rolle und Aufgaben des DSACEUR wurden verhandelt, jedoch wurde ein Konsens innerhalb der NATO in diesen Fragen bisher von der Türkei verhindert. In den letzten Wochen war es möglich, im Zusammenhang mit den türkischen Gegenforderungen einen Kompromiss auszuhandeln, doch wurde dieser in Laeken von griechischer Seite nicht akzeptiert. Die Bemühungen für eine definitive Regelung werden daher fortgesetzt.

Die Haltung der USA: Im Zusammenhang mit der Neuregelung der Beziehungen EU-NATO ist auch die US-Haltung gegenüber der Entwicklung der ESVP von größter Bedeutung. Diese war überwiegend positiv, doch gab es auch immer wieder Phasen der Zurückhaltung. Klar erkennbare Fortschritte bei der Umsetzung des Headline Goal werden ein wichtiger Faktor für die Beurteilung der europäischen Anstrengungen im Bereich der ESVP sein. Verzögerungen würden als Mangel an Glaubwürdigkeit interpretiert werden.(FN46) Die vollen Auswirkungen des 11. September 2001 auf die ESVP sind noch nicht erkennbar. Fest steht, dass durch den 11. September das globale sicherheitspolitische Umfeld in großem Maß verändert wurde. Der direkte Angriff auf die USA hat die sicherheitspolitischen Prioritäten der USA verändert. Erste Priorität hat heute der Kampf gegen das Terrornetz der islamistischen Fundamentalisten. Der Kampf erfordert eine umfassende Strategie, in deren Rahmen die militärischen Mittel nur ein Segment darstellen. In diesem Kampf ist die EU für die USA ein sehr wichtiger Partner, denn sie ist in der Lage, das umfassende Instrumentarium einzusetzen, das notwendig ist. Die Europäische Union ihrerseits beschloss einen Aktionsplan gegen den Terrorismus. Die USA erwarten sich aber von der EU v.a., dass sie mehr Verantwortung für den europäischen "Hinterhof" wie den Balkan übernimmt, auch im militärischen Bereich. Die USA akzeptieren daher heute voll die Bemühungen der EU im Bereich der ESVP. Die Diskussionen über die Gefahren einer Duplizierung der Anstrengungen etc. sind verstummt.

Realistischerweise muss damit gerechnet werden, dass die US-Regierung das US-Engagement im Bereich des Krisenmanagements in Europa reduzieren und die EU in Zukunft im europäischen Raum mehr Verantwortung für Sicherheit und Stabilität übernehmen wird müssen. Die EU wird auch nicht im gleichen Maß wie bisher mit der Zurverfügungstellung amerikanischer Ressourcen, die auch die USA nur beschränkt zur Verfügung haben, rechnen können. Die EU wird daher verstärkt gefordert werden (und der Druck wird zunehmen), die fehlenden Fähigkeiten zu beschaffen und dabei europäische Lösungen zu erarbeiten und umzusetzen.

Schlussbemerkung

Die Union hat im Bereich der Sicherheitspolitik in den letzten drei Jahren mehr Fortschritte gemacht als in den 50 Jahren davor.

Mit der Umsetzung der ESVP hat die Europäische Union nicht nur damit begonnen, die Verträge von Amsterdam und Nizza in die Realität umzusetzen, sondern ist auch im Begriff, das transatlantische Verhältnis auf eine neue Grundlage zu stellen. Ziel der Unionspolitik ist es, dass die Europäische Union nicht nur mehr Verantwortung für die Sicherheit in Europa übernimmt, sondern auch die Zusammenarbeit mit den USA auf eine neue, mehr ausgewogene partnerschaftliche Grundlage gestellt wird.

Die Union ist auf dem Weg, ein wichtiger und einzigartiger Sicherheitsakteur in Europa und auch auf globaler Ebene zu werden, denn sie wird in der Lage sein, der großen Zahl "weicher" und "harter" Herausforderungen auf dem Gebiet der Sicherheit mit einem umfassenden Instrumentarium militärischer und nichtmilitärischer Instrumente zu begegnen.(FN47) Mit der Schaffung einer glaubwürdigen militärischen Handlungsfähigkeit wird die Union in der Zukunft nicht nur in der Lage sein, "weiche" Sicherheit durch Maßnahmen der Konfliktprävention, des nichtmilitärischen Krisenmanagements und des Wiederaufbaus im Anschluss an Konflikte zu gewährleisten, sondern auch "harte" Sicherheit in Form der Projektion militärischer Macht. Der Aufbau glaubwürdiger militärischer Fähigkeiten und die Umsetzung der militärischen Ziele, die sich die Union gesetzt hat, sind eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass die Union ihre Verantwortung als zentraler europäischer Sicherheitsakteur wahrnehmen kann.

ANMERKUNGEN:

(Fußnote 1/FN1) Siehe Erich Hochleitner: Die Europäische Union am Weg zur Sicherheits- und Verteidigungsunion. Das Europäische Sicherheitssystem zu Beginn des 21. Jahrhunderts, Böhlauverlag, Wien 2000, S.153.

(FN2) Siehe Heinrich Schneider: Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union. Komponente einer europäischen Sicherheitsordnung? In: Erich Reiter (Hg.): Österreichisches Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik, Verlag Styria, Graz-Wien-Köln 1997, S.19ff.

(FN3) EU-V von Maastricht vom 7.2.1992, Titel V.

(FN4) Siehe Wilhelm van Eekelen: Debating European Security 1948-1991, Center of European Policy Studies, Brüssel u. SDV Publisher, Den Haag 1998, S.59ff. Van Eekelen gibt in seinem Beitrag eine detaillierte Darstellung der diplomatischen Verhandlungen im Zusammenhang mit dem Zustandekommen des Vertrages von Maastricht und dessen Umsetzung.

(FN5) Ebd.

(FN6) Siehe Agenda 2000, S.39.

(FN7) Premierminister Tony Blair: "Diplomacy works best when backed up by a credible threat of force. This Maxime applies to Europe too", 13.11.1998, Edinburgh.

(FN8) Siehe Erich Hochleitner: Die Europäische Union am Weg zur Sicherheits- und Verteidigungsunion, S.173ff.

(FN9) Ebd. S.184 bzw. Heinrich Schneider: Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union, S.74ff.

(FN10) EU-V von Amsterdam, Titel V Art.13.

(FN11) EU-V von Amsterdam, Titel V Art.17.

(FN12) Erklärung zur Schaffung einer Strategieplanungs- und Frühwarneinheit, Schlussakte zum Amsterdamer Vertrag.

(FN13) EU-V von Amsterdam, Titel V Art.18 (3).

(FN14) Siehe Martin Ortega: Some questions and legal aspects. WEU at fifty, WEU-Institute for Security Studies, Paris 1998, S.4ff.

(FN15) Leo Tindemans: Bericht des Europäischen Parlaments über die schrittweise Schaffung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik der Union, 30.4.1998, S.7.

(FN16) Siehe Erich Hochleitner: Die Europäische Union am Weg zur Sicherheits- und Verteidigungsunion, S.191 bzw. 1255 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX. 61, Bericht des Verfassungsausschusses über Antrag 791/7.

(FN17) Siehe Charles Grant: Can Britain lead in Europe? Centre for European Reform, London, September 1998.

(FN18) British-French Summit St. Malo, 3. und 4.12.1998, Joint Declaration, siehe Chaillot Paper 47, WEU-Institute for Security Studies 2001.

(FN19) Washington Summit Communique "An Alliance for the 21st Century", 24.4.1999, Pkt.8 u. 9.

(FN20) Siehe EU-Dokument, Europäischer Rat von Köln, 3. und 4.6.1999, Annex III zu den Schlussfolgerungen des Vorsitzes "Erklärung über die Stärkung der gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik" u. Bericht des Vorsitzes.

(FN21) Siehe EU-Dokument, Europäischer Rat von Helsinki, 10. und 11.12.1999. Annex 1 zu Annex IV zu den Schlussfolgerungen des Rates, Fortschrittsbericht über die Stärkung der Gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und über "nichtmilitärisches Krisenmanagement der Europäischen Union".

(FN22) WEU audit of assets and capabilities. Dokument WEU-Ministerrat in Luxemburg vom 23.11.1999.

(FN23) Siehe Rob de Wijk und Maartje Rutten, Output Criteria, in: Francois Heisbourg, European Defense: Making it work, Chaillot Paper 42, WEU-Institute for Security Studies, Paris September 2000, S.84f.

(FN24) Siehe Erich Hochleitner: Die Europäische Union am Weg zur Sicherheits- und Verteidigungsunion, S.191.

(FN25) EU-Dokument, Europäischer Rat von Helsinki, 10. und 11.12.1999, Annex 2 zu Annex IV der Schlussfolgerungen, Bericht des Vorsitzes über nichtmilitärisches Krisenmanagement der EU.

(FN26) EU-Dokument, Europäischer Rat von Feira, 19. und 20.6.2000, Bericht des Vorsitzes über die Stärkung der gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, Anhang 3 und 4 über Ziele im Bereich des nichtmilitärischen Krisenmanagements und für Polizeikräfte.

(FN27) Military Capabilities Commitment Declaration, 20.11.2000, Annex I zum Bericht des Vorsitzes über die ESVP, Europäischer Rat von Nizza, 7., 8. und 9.12.2000.

(FN28) EU-Dokument, Europäischer Rat von Nizza, 7., 8. und 9.12.2000, Bericht des Vorsitzes über die ESVP, Annex I - VIII.

(FN29) Annex III zum Bericht des Vorsitzes über die ESVP, Nizza.

(FN30) Annex IV zum Bericht des Vorsitzes über die ESVP, Nizza.

(FN31) Annex V zum Bericht des Vorsitzes über die ESVP, Nizza.

(FN32) Siehe Francois Heisbourg: "Notwendigkeiten und Herausforderungen einer funktionierenden Gemeinsamen Verteidigungspolitik", Vortrag anlässlich des 4. Sicherheitspolitischen Europaforums des Österreichischen Instituts für Europäische Sicherheitspolitik (ÖIES) "Nizza: Die Europäische Union am Weg zur Sicherheits- und Verteidigungsunion", Wien 12.12.2000.

(FN33) Siehe Francois Heisbourg, European Defense: Making it work, S.109, und Gilles Andreani, Christoph Bertram und Charles Grant, Europe‘s Military Revolution, Centre for European Reform, London 2001, S.40.

(FN34) General Rainer Schuwirth, Generaldirektor des EU-Militärstabes, "Der Aufbau militärischer Fähigkeiten und die Rolle des EU-Militärstabes”, Vortrag anlässlich des 5. Sicherheitspolitischen Europaforums des Österreichischen Instituts für Europäische Sicherheitspolitik (ÖIES) "Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik: Stand, Perspektiven und Herausforderungen", Wien am 30.11.2001.

(FN35) Erklärung über die Verbesserung der Europäischen militärischen Fähigkeiten und Europäischer Aktionsplan vom 19.11.2001, Anlage zum Bericht des Vorsitzes über die ESVP, Europäischer Rat von Laeken, 14. und 15.12.2001.

(FN36) Siehe Gilles Andreani et al., Europe‘s Military Revolution, S.56, bzw. Francois Heisbourg, European Defense: Making it work, Annexe 4 und 6.

(FN37) Siehe Gilles Andreani et al., Europe‘s Military Revolution, S.56.

(FN38) Lord Roper, Vortrag anlässlich des Genfer Internationalen Forums für Sicherheitspolitik, 16.11.2000.

(FN39) Siehe The Military Balance 2000/2001, The European Reaction Force, IISS - Oxford University Press 2001, S.283ff.

(FN40) Siehe Bertelsmann-Stiftung (Hg.), Enhancing the European Union as an International Security Actor, Studie der Venusberg-Gruppe, Bertelsmann Foundation Publishers, Gütersloh 2000, S.34.

(FN41) Siehe The Military Balance 2000/2001, The European Reaction Force, S.285.

(FN42) EU-Dokument, Europäischer Rat von Nizza, Bericht des Vorsitzes über die ESVP, Anhang zu Annex I.

(FN43) Francois Heisbourg, European Defense: Making it work, S.110-112, bzw. Bertelsmann-Stiftung (Hg.), Enhancing the European Union as an International Security Actor, S.17ff.

(FN44) EU-Dokument, Europäischer Rat von Nizza, Bericht des Vorsitzes über die ESVP, Annex VI.

(FN45) EU-Dokument, Europäischer Rat von Nizza, Dauervereinbarungen über die Konsultation und Zusammenarbeit EU/NATO.

(FN46) Siehe Stanley R. Sloan, The U.S. and European Defence, Chaillot Paper 39, WEU-Institute for Security Studies, Paris September 2000, bzw. Kori N. Schak, Do EU Defense Initiatives Threaten NATO?, Strategic Forum, National Defense University, Washington 2001.

(FN47) Siehe Bertelsmann-Stiftung (Hg.), Enhancing the European Union as an International Security Actor, S.29.

Dr. Erich P. Hochleitner, MA

Geb. 1930; Dr. jur. Universität Wien, Master of Arts Stanford University (USA); 1956-1995 Karriere im österreichischen diplomatischen Dienst mit Verwendungen in Kairo, London, Genf, Lissabon und Brüssel; zuletzt österreichischer Botschafter in Brüssel, Ständiger Vertreter bei der WEU; Botschafter bei der NATO; seit 1959 mit Angelegenheiten der europäischen Integration beauftragt, zuletzt in Brüssel v.a. mit Fragen der GASP und der sicherheitspolitischen Integration; derzeit Vorstandsvorsitzender und Leiter des 1996 gegründeten Österreichischen Instituts für Europäische Sicherheitspolitik; Fachgebiet: Fragen der gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), NATO, transatlantische Beziehungen; Gastdozent an der Donauuniversität Krems und an der Johannes Kepler Universität Linz für Fragen der GASP und ESVP; zahlreiche Veröffentlichungen zu den Themen Europäische Union und Sicherheitspolitik.



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