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Die vergessene Armee (II)

Die Geschichte der Nationalen Volksarmee der DDR 1956 bis 1990

Ein Rückblick auf den Auftrag, die Stärke und die Gliederung der Nationalen Volksarmee (NVA) zeigt deren offensive Ausrichtung im Rahmen des Warschauer Paktes. Bei gemeinsamen Manövern fanden die Leistungen der NVA-Verbände stets Anerkennung. Am 2. Oktober 1990 wurde die NVA nach 34 Jahren ihres Bestehens aufgelöst und nur Einzelpersonen und Teile der Ausrüstung von der Deutschen Bundeswehr übernommen.

Auftrag

Der Auftrag der NVA bestand in der Sicherstellung der territorialen Integrität sowie der Wahrnehmung aller militärischen Bündnisverpflichtungen des Warschauer Paktes. Als Folge des Aufstandes von 1953 oblag es ihr auch, die "sozialistische Staatsform und die Führungsrolle der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) jederzeit auch gegen innere Feinde zu schützen". So hieß es im Artikel 5 der DDR-Verfassung vom 26. September 1955, dass der Dienst in den Streitkräften zum Schutz des Vaterlandes und der Errungenschaften der Werktätigen eine ehrenvolle nationale Pflicht der Bürger sei. Bei der Ausrichtung der NVA handelte es sich gemäß des Auftrages des Warschauer Paktes um eine aggressive Vorwärtsstrategie im Rahmen der offensiven Kriegsführung. Dafür war die NVA ausgebildet und ausgerüstet. Defensivaufgaben wurden den Großverbänden erst ab 1988 gestellt. Diese wurden aber bis zum Sommer 1990 nur als operative Variante neben der alten Angriffstaktik geübt.

Truppenstärke

Die Friedenstärke der NVA betrug je nach entsprechender Gliederung zwischen 120 000 und 170 000 Mann, im Juli 1988 waren es sogar 173 100 Mann, davon 103 000 bei den Landstreitkräften, 34 600 bei den Luftstreitkräften/Luftverteidigung und 14 200 bei den Seestreitkräften. Der als "Geheime Kommandosache" (Nr. A 471 696, Bl. 2944ff.) eingestufte Informationsbericht des Ministeriums für Nationale Verteidigung über den "Stand der Gefechts- und Mobilmachungsbereitschaft der NVA" in den Jahren 1986 bis 1990 weist für den 1. Jänner 1987 die Kampfstärke der Landstreitkräfte wie in den Tabellen auf dieser Seite dargestellt aus.

Der letzte uniformierte Verteidigungsminister der DDR, Theodor Hoffmann, gab die Truppenstärke der NVA (zum 1. Dezember 1989) mit einer Gesamtstärke von 183 910 Mann, davon 114 410 bei den Landstreitkräften, 35 960 bei den Luftstreitkräften/Luftverteidigung, 10 750 bei der Volksmarine sowie 22 790 im Ministerium und den zentralen Unterstellen an.

Landstreitkräfte

Die Landstreitkräfte waren die zahlenmäßig stärkste, mit der vielseitigsten Bewaffnung und Technik ausgerüstete Teilstreitkraft der NVA. Sie hatte den Auftrag, gemeinsam mit anderen Teilstreitkräften sowie im Koalitionsverband des Warschauer Paktes die Verteidigung des Landes zu gewährleisten und für die Zerschlagung eines möglichen Gegners zu sorgen. Motorisierte Schützen- und Panzertruppen bildeten dazu die Grundlage. Während die Panzereinheiten als Hauptstoßkraft galten, konnten die motorisierten Schützeneinheiten vielseitig eingesetzt werden. Wurden die ersten Divisionen noch auf der Grundlage der Strukturen der Kasernierten Volkspolizei- (KVP)-Bereitschaften aufgestellt, erfolgte 1956 eine Umstrukturierung nach dem Vorbild der sowjetischen motorisierten Schützen- (MSD) und Panzerdivisionen (PD). Gegenüber einer rund 8 000 Mann starken Infanteriedivision hatte eine mechanisierte Division nicht nur um 1 000 Soldaten mehr, sondern verfügte neben einem höheren Motorisierungsgrad auch über eine bessere Stoßkraft aufgrund stärkerer Bewaffnung, wie etwa eigener Kampfpanzer. Die herkömmliche Infanterie hatte somit ausgedient. Ende 1956 fehlten bei den motorisierten Schützendivisionen noch etwa 70 Prozent des Soll-Standes an Panzern, die vorhandenen 30 Prozent aus KVP-Beständen waren vollkommen veraltet und wiesen durch den Einsatz im Zweiten Weltkrieg starke Gebrauchsspuren auf. Im Dezember 1956 erhielten die Aufklärungsbataillone die ersten leichten schwimmfähigen Panzer PT-76, im Frühjahr 1957 wurden den Panzerregimentern der MSD weitere Kampfpanzer vom Typ T-34/85 zugeführt, sodass das Soll von 100 Prozent fast erreicht wurde und ältere Systeme ausgeschieden werden konnten.

1957 erhielten die PD die ersten 210 gebrauchten T-54 aus der Sowjetunion, womit die Kampfpanzer T-34/76 (das Vorgängermodell des T34/85) und JS-II ("Josef Stalin" II) sowie die SFL SU-76/85/100 (mit einer 76 mm/85 mm/100 mm-Kanone) ausgeschieden werden konnten. Verfügten die PD 1957 noch über 209 T-34/85 und 68 JS-II waren es 1987 604 Kampfpanzer T-72 und 148 Schützenpanzer BMP-1, bei den MSD waren es 1957 171 T-34/85, 24 JS-II und 224 SPW-152 (3-achsiges Standardfahrzeug der Schützentruppen), 1987 hingegen 214 T-55, 289 SPW-70 (besser bekannt als BTR-70) und 137 BMP-1. Auch die Panzerabwehr wurde im Zuge der Modernisierung 1957 grundlegend neu bewaffnet.

Weitere Neuerungen brachte die Aufstellung der Raketentruppen 1961/62. Mitte der 1970er Jahre wurde der neue Schützenpanzer BMP-1 aus der UdSSR geliefert. Bis Ende der 1970er Jahre war die Gliederung der Landstreitkräfte in motorisierte Schützentruppen, Panzertruppen, Raketentruppen/Artillerie, Truppenluftabwehr und Fallschirmjäger abgeschlossen. Armeefliegerkräfte fehlten damals noch, was sich aber im November 1984 mit der Übernahme der beiden Kampfhubschraubergeschwader vom Kommando Luftstreitkräfte/Luftverteidigung änderte. In der UdSSR waren die Kampfhubschraubereinheiten, deren Hauptaufgabe die Panzerbekämpfung war, bereits ab 1982 den Landstreitkräften unterstellt. Weitere Spezialeinheiten der Landstreitkräfte waren die Pioniertruppen, die Nachrichten- und Flugsicherungstruppen, der chemische Dienst und die Truppen der chemischen Abwehr, der Raketen- und waffentechnische Dienst, der Panzerdienst, der kraftfahrzeugtechnische Dienst, das Militärtransportwesen, der Treib- und Schmierstoffdienst, der Verpflegungsdienst, der Bekleidungs- und Ausrüstungsdienst sowie der medizinische Dienst.

Luftstreitkräfte/Luftverteidigung

Bereits 1951 erfolgte die Aufstellung des Stabes der Volkspolizei Luft in Berlin/Johannisthal beim Ministerium des Inneren/KVP. Ende 1953 erfolgte die Neuaufstellung als Stab des Aeroklubs in Cottbus und die direkte Unterstellung unter den Stellvertreter des Ministers und Chef der KVP. Mit der Schaffung der NVA wurden auch die Luftstreitkräfte Teil derselben. Nach sowjetischem Vorbild gingen aus der Verwaltung der Aeroklubs die Verwaltung der Luftstreitkräfte in Cottbus und der Luftverteidigung in Strausberg hervor. Nach ursprünglich höher angesetzten Planungen kam es schlussendlich doch nur zur Aufstellung von zwei Fliegerdivisionen und einer Fliegerabwehrkanonen- (Flak)-Division.

Am 1. Juni 1957 erfolgte die Zusammenlegung beider Verwaltungen in Eggersdorf bei Strausberg sowie die Umbenennung in "Kommando Luftstreitkräfte/Luftverteidigung". Durch die Zusammenführung der fliegenden und der Flugabwehrraketenverbände sowie der funktechnischen Truppen kam es 1961 zur Aufstellung zweier Luftverteidigungsdivisionen sowie der Einbindung in das integrierte Luftverteidigungssystem des Warschauer Paktes. 1962 wurde der sowjetische Abfangjäger MiG-21 eingeführt, der für verschiedene Aufgaben bis 1990 im Einsatz blieb. Ab 1971 arbeitete man an der Aufstellung eines eigenen Jagdbombergeschwaders, das im Zusammenwirken mit den Landstreitkräften zum Einsatz kommen sollte. Später folgten auf Forderung der Pakttruppen noch ein zweites Jagdbombergeschwader sowie zwei Kampfhubschraubergeschwader. Mitte der 1970er Jahre ergänzte die MiG-23, Anfang der 1980er Jahre der sowjetische Jagdbomber "Suchoi" 22 (Su-22) und zuletzt 1988 die MiG-29 das Arsenal der Luftstreitkräfte.

Nach der Wiedervereinigung wurden lediglich die MiG-29, einige Transportflugzeuge sowie der Mehrzwecktransporthubschrauber Mi-8 noch für kurze Zeit weitergeflogen, der Rest wurde ausgeschieden, verschrottet oder verkauft. Flugabwehrraketensysteme vom Typ SA-6 und SA-8 werden noch heute zur Ausbildung bzw. zur Simulation des Gegners bei Übungen der NATO-Luftwaffen eingesetzt.

Der Auftrag der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung war es, gemeinsam mit der Truppenluftabwehr der Landstreitkräfte und der sowjetischen Streitkräfte in hoher Bereitschaft den Luftraum der DDR zu kontrollieren und zu schützen. Dabei gliederte sie sich in die Flugabwehrraketentruppen (Fla-Raketentruppen), die Fliegerkräfte und die funktechnischen Truppen, die noch durch verschiedenste Spezialtruppen ergänzt und unterstützt wurden. Die Fla-Raketentruppen waren auf die beiden Luftverteidigungsdivisionen aufgeteilt und durch ihre weitreichenden Flugabwehrraketensysteme vom Typ SA-2, SA-3, SA-5 und SA-10 in der Lage, Luftfahrzeuge in allen Höhenbereichen zu bekämpfen. Sie verfügten dabei über drei gemischte Flugabwehrraketenbrigaden und drei typenreine SA-2 Raketenregimenter. Die Fliegerkräfte umfassten Jagdflieger- und Jagdbombergeschwader, die auch zur Unterstützung der Landstreitkräfte und der Volksmarine herangezogen werden konnten. Luftgestützte Aufklärung sowie Transporteinsätze erweiterten den Aufgabenbereich. Hauptaufgaben der funktechnischen Truppen waren die Luftraumaufklärung sowie die Erstellung eines Luftlagebildes, auf das die Verbände der bodengebundenen und luftgestützten Luftverteidigung zurückgreifen konnten. Die funktechnischen Bataillone waren den Luftverteidigungsdivisionen unterstellt und führten Kompanien, die mit ihren Sensoren über das gesamte Staatsgebiet verteilt waren. Neben dem Kommando Luftstreitkräfte/Luftverteidigung und der ihm direkt unterstellten Truppenteile, Einheiten und Einrichtungen wie der Offiziershochschule "Franz Mehring" in Kamenz und der Offiziershochschule für Militärflieger "Otto Lilienthal" in Bautzen gab es noch drei Großverbände, die 1. Luftverteidigungsdivision in Cottbus, die 3. Luftverteidigungsdivision in Trollenhagen sowie das "Führungsorgan der Front- und Militärtransportkräfte" in Strausberg.

Seestreitkräfte

Ab 1950 kam es mit sowjetischer Unterstützung zum Aufbau der "Hauptverwaltung Seepolizei", die am 1. Juli 1952 in "Volkspolizei See" (VP-See) umbenannt wurde und bereits zu Jahresende über 8 000 Mann verfügte. Mit der Schaffung der NVA 1956 wurde aus der VP-See die "Verwaltung der Seestreitkräfte der NVA", die zu diesem Zeitpunkt bereits über 10 000 Mann im Stand hatte. Während einer großen Flottenparade am 3. November erfolgte im Gedenken an den Kieler Matrosenaufstand von 1918 die Umbenennung der Seestreitkräfte in "Volksmarine". Der sowjetischen Forderung zum Aufbau einer eigenen U-Boot-Flotte kam man aus volkswirtschaftlichen Gründen aber nicht nach. In den nächsten Jahren erhielt die Marine eine größere Anzahl neuer Schiffe, die zum überwiegenden Teil in Werften der DDR gebaut wurden. Lediglich einige Küstenschutzschiffe, Teile der schiffstechnischen Ausrüstung der Schnellboote wie Antriebsmotoren oder funkelektronische Anlagen sowie die Waffensysteme für die Schiffe stammten aus der UdSSR. Aus Polen wurden einige Hilfsschiffe beschafft. Am 1. November 1961 kam es zur organisatorischen Unterstellung der "Grenzbrigade Küste" unter das Kommando der Volksmarine. In den 1970er Jahren betrug die Stärke der Volksmarine bereits 18 000 Mann. In den 1980er Jahren kam es zur Modernisierung von Teilen des Schiffsbestandes sowie zur Aufstellung eines eigenen Marinefliegergeschwaders, ausgerüstet mit dem Jagdflugzeug Su-22. Nach der Auflösung der Volksmarine 1990 wurde vorübergehend ein begrenzter Betrieb mit kleineren Einheiten am Marinestützpunkt Rostock weitergeführt.

Als Teil der Vereinigten Ostseeflotte war die Volksmarine in die Organisation des Warschauer Paktes integriert, ihr Operationsgebiet war die Ostsee sowie deren Ausgänge. Ihre Hauptaufgabe bestand im Freihalten des Seeweges der Ostsee für sowjetische Verstärkungen sowie in der Beteiligung an Offensivoperationen gegen die gegnerischen Küsten. Für diese Aufgaben standen der Volksmarine U-Boot-Jagdschiffe, Schnellboote, Minensucher und Landungsboote zur Verfügung.

Wie bei allen Spezialverbänden war der Routinedienst bei der Volksmarine von hoher Bereitschaft gekennzeichnet, vor allem durch ihre Aufklärungstätigkeiten gegenüber NATO-Verbänden in der Ostsee. Im Frieden wurde sie vom Kommando in Rostock-Gehlsdorf geführt, im Kriegsfall wechselte das Kommando in den verbunkerten Hauptgefechtsstand Tessin bei Rostock. Die Volksmarine gliederte sich in drei Flottillen, wobei die 1. Flottille in Peenemünde, die 4. Flottille in Rostock-Warnemünde und die 6. Flottille in Bug bei Dranske auf Rügen stationiert war. Die 6. Grenzbrigade Küste lag in Rostock. Darüber hinaus gab es noch eine Vielzahl an kleineren Marineeinheiten sowie die Flottenschule "Walter Steffens" in Parow, die Offiziershochschule "Karl Liebknecht" in Stralsund sowie eine Unteroffiziersschule auf Dänholm bei Stralsund.

Nachrichtendienst

Der sowjetischen Militärtradition entsprechend, wurde auch bei der NVA ein eigener militärischer Nachrichtendienst eingerichtet. Obwohl vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) als unliebsame Konkurrenz betrachtet, gelang es der "Verwaltung Aufklärung", die direkt dem Minister unterstellt war, vor allem durch sowjetische Rückendeckung ihre Eigenständigkeit zu bewahren. Unter der Tarnbezeichnung "Mathematisch-Physikalisches Institut der NVA" hatte der in der DDR beinahe unbekannte Nachrichtendienst seinen Sitz in Berlin-Treptow. Obwohl rechtlich unabhängig, unterstand er praktisch der Hauptabteilung I des MfS, die ihn sowohl mit inoffiziellen Mitarbeitern infiltriert als auch "Offiziere im besonderen Einsatz" auf entscheidenden Führungspositionen platziert hatte.

Grenztruppen 1961 bis 1973

Bereits am 1. Dezember 1946 veranlasste die sowjetische Militäradministration die Aufstellung der Deutschen Grenzpolizei, welche die fast 1 400 km lange Grenze zur Bundesrepublik und den 161 km langen Ring um West-Berlin bewachen sollte. Eine eigene Grenzbrigade kümmerte sich um die 310 km lange Ostseeküste, kleinere Einheiten waren in den Grenzgebieten zu Polen und der Tschechoslowakei stationiert. Ursprünglich war die Grenzpolizei dem Innenministerium der DDR unterstellt, zeitweise auch dem Ministerium für Staatssicherheit. Nach dem 13. August 1961, dem Beginn des Mauerbaues, an dem auch Angehörige der Grenzpolizei beteiligt waren, folgte die Umbenennung in "Grenztruppen" sowie am 15. September 1961 die Unterstellung unter das Verteidigungsministerium. Nach 1973 wurden sie als selbstständige Organisation aus der NVA herausgelöst, um sie bei den bevorstehenden Verhandlungen der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) in Helsinki über Truppenreduzierungen ausnehmen zu können. Als eigenständige Waffengattung erhielten die Grenztruppen 1974 eine Sonderstellung innerhalb der NVA und blieben dieser auch unterstellt. Auch Wehrpflichtige wurden zum Grenzdienst herangezogen, jedoch zuvor besonders ausgewählt und vor ihren Streifeneinsätzen streng überprüft. 1989 betrug die Gesamtstärke der Grenztruppen 47 000 Soldaten.

Auslandseinsätze

In den 1970er und 1980er Jahren kam es zu einem starken Auslandsengagement der NVA in Afrika und Asien. Befreundete Regierungen und Widerstandsbewegungen wurden bei unterschiedlichen Rüstungs- und Infrastrukturprojekten unterstützt. So hielten sich bis 1980 zwischen 100 (Nigeria) und 2 000 (Angola) Offiziere und Soldaten der NVA und des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in Angola, Mosambik, Algerien, Libyen, im Irak, in Syrien, im Südjemen, in Äthiopien, Guinea-Bissau, Benin, Nigeria, der damaligen Volksrepublik Kongo, Tansania und Sambia auf. Ihre Einsätze beschränkten sich vornehmlich auf die Ausbildung und Unterstützung beim Aufbau militärischer Logistik und der Infrastruktur. Begleitet wurden diese Maßnahmen durch Rüstungsexporte. Mit 15 Staaten sowie der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) wurden eigene Verträge zur Ausbildung des dortigen Militärs abgeschlossen, wobei Tausende Soldaten und Militärs vor Ort bzw. in der DDR ausgebildet wurden. Um 1980 beliefen sich die Rüstungslieferungen in afrikanische Länder auf etwa 200 Millionen Ost-Mark (rund 35,5 Millionen Euro) jährlich.

Die NVA innerhalb des Warschauer Paktes

Der unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzende Kalte Krieg steuerte immer mehr auf eine Teilung Europas, nicht nur politisch, sondern auch militärisch, hin. Auf die Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland in die NATO am 9. Mai 1955 reagierte die Sowjetunion nur fünf Tage später am 14. Mai mit der Schaffung eines eigenen Militärbündnisses, des "Warschauer Paktes" (bzw. "Warschauer Vertrag" oder "Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand"). Nicht außer Acht lassen darf man dabei die Tatsache, dass schon zuvor sowjetische Einheiten in sämtlichen Satellitenstaaten stationiert waren. Mitglieder waren die Volksrepublik Albanien (einseitiger Austritt am 13. September 1968 anlässlich der CSSR-Krise), die Volksrepublik Bulgarien, die Deutsche Demokratische Republik, die Volksrepublik Polen, die Sozialistische Republik Rumänien (in eingeschränkter Form), die Tschechoslowakische Sozialistische Republik, die Volksrepublik Ungarn sowie die dominierende Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. 1985 wurde der Vertrag auf weitere 20 Jahre verlängert. Dem vereinigten Oberkommando unterstanden im Kriegsfall alle Land-, Luft- und Seestreitkräfte der Mitgliedstaaten, in Friedenszeiten lediglich Teile derselben. Beim Oberkommandierenden sowie beim Generalstabschef handelte es sich ausnahmslos um Angehörige der Roten Armee. Eine Ausnahme das Unterstellungsverhältnis betreffend bildete die NVA, da diese als einzige Gesamtarmee vollständig dem Oberkommando des Warschauer Paktes unterstand.

Bei gemeinsamen Manövern fanden die Leistungen der NVA-Verbände stets Anerkennung, zeichnete sich doch die NVA durch hohe Ausbildungsstandards, ständige Einsatzbereitschaft und außerordentlich gute Disziplin aus. Das deutliche Misstrauen der anderen östlichen Paktmitglieder gegenüber der NVA blieb dennoch lange bestehen. Zahlreiche Dokumente und Aussagen hoher NVA-Offiziere nach 1990 bestätigen, dass der Hauptschlag des Warschauer Paktes zur Eroberung Westeuropas über die DDR geführt werden sollte. Neben der DDR galt Ungarn als Aufmarschbasis für die durchzuführende Offensive. Sechs operative Hauptstoßrichtungen zielten auf Jütland und die Ostseeausgänge, auf die Norddeutsche Tiefebene, die Nordseeküste und die Niederlande ab. Die Neutralität Österreichs und der Schweiz spielte in diesen Planungen keine Rolle, über Österreich sollte ein Stoß in Richtung des französischen Elsass sowie nach Italien geführt werden. Die offensive Durchschlagskraft der NVA sollte dabei mit dem Einsatz taktischer Atomwaffen potenziert werden. Die bis zum Frühjahr 1990 in Stabsrahmenübungen durchexerzierten Stückzahlen sahen 87 taktische Nuklearwaffen zwischen drei und 100 Kilotonnen Sprengkraft vor. Auf dem Staatsgebiet der DDR befanden sich für diesen Fall 35 atomsichere, mehrere Stockwerke tiefe Bunkeranlagen für die politische Elite.

Beginnend mit dem Austritt der DDR, bedingt durch die Wiedervereinigung mit der BRD, wurden die militärischen Strukturen am 31. März 1991, der Warschauer Pakt selbst am 1. Juli 1991 offiziell aufgelöst. Die sowjetischen Truppen in der ehemaligen DDR, in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn wurden in den darauffolgenden Jahren schrittweise abgezogen.

Auflösungserscheinungen

Bereits vor der Wende beteiligte sich die DDR 1989 einseitig und ohne Vorbedingungen an der Reduzierung der konventionellen Streitkräfte. Während des Empfanges des schwedischen Ministerpräsidenten Ingvar Carlsson kündigte der Staatsratsvorsitzende Erich Honecker am 23. Jänner 1989 völlig überraschend die Reduzierung der NVA um 10 000 Mann sowie die Verringerung der Verteidigungsausgaben um zehn Prozent an. 600 Panzer wurden so der Verschrottung zugeführt und 50 Kampfflugzeuge vom Typ MiG-21 außer Dienst gestellt. 1989 setzte die SED-Führung in Dresden NVA-Soldaten gegen Demonstranten ein, in der Folge sah man jedoch davon ab. Die bereits angeordnete Auflösung der Montagsdemonstration in Leipzig am 9. Oktober 1989 fand nicht mehr statt, mobilisierte NVA-Einheiten wurden wieder abgezogen.

So blieben blutige Zwischenfälle wie in Peking wenige Monate zuvor aus. Verteidigungsminister Heinz Kessler erklärte seinen Rücktritt, Admiral Theodor Hoffmann, der bisherige Chef der Volksmarine, übernahm seine Agenden und unterzog die NVA einer grundlegenden Militärreform. Mit dem "Verband der Berufssoldaten der NVA" bildete sich im Jänner 1990 erstmals eine eigene Interessensvertretung für Angehörige der Streitkräfte. Nach der Volkskammerwahl im März 1990 übernahm der ehemalige unbewaffnete NVA-Bausoldat Rainer Eppelmann als erster Zivilist das Ministerium für Abrüstung und Verteidigung und Hoffmann wurde "Chef der NVA". Die nun einsetzende Reform beinhaltete die drastische Reduzierung von Truppenübungen, die Vernichtung von operativ-taktischen Raketen sowie die frühzeitige Entlassung von Wehrpflichtigen, was einer Reduzierung der Wehrdienstzeit auf zwölf Monate gleichkam. Die im Frühjahr 1990 einrückenden Personen konnten bereits frei zwischen Wehr- und Zivildienst entscheiden. Allein zwischen dem 1. Dezember 1989 und dem 15. Februar 1990 wurde die NVA von 183 910 auf 135 740 Mann reduziert. Bis zum 9. März 1990 verringerte sich die Truppenstärke auf 130 000 Mann.

Bereits 1990 begann die Schließung und Demobilisierung von Standorten sowie militärischen Einrichtungen. Die große Zahl an übernommenen Ausrüstungsgegenständen und Waffensystemen wurde in drei Kategorien eingeteilt. Kategorie I bedeutete dauernde oder zeitlich begrenzte Nutzung (MiG-29, Mi-8, BMP-1), Kategorie II vorübergehender Einsatz zur Aufrechterhaltung des Betriebes bis zum Übergang in die Kategorie III, Ausschluss der Nutzung und Verwertung. Letztgenanntes Material wurde an so genannten "Konzentrierungspunkten" zusammengezogen, zum Teil verkauft bzw. verschrottet. Zur Hinterlassenschaft der NVA zählten schlussendlich 767 Luftfahrzeuge, 208 Schiffe und Boote, 2 761 Kampfpanzer, 9 467 gepanzerte Fahrzeuge, 133 900 Radfahrzeuge, 2 199 Artilleriesysteme, 1 376 650 Handfeuerwaffen, 303 690 t Munition sowie 62 535 t kritische Stoffe wie Raketentreibstoffe, Reinigungsmittel und Gefahrenstoffe.

Nachklang

Was die Streitkräfte der beiden deutschen Staaten betrifft, kam es nicht wie auf politischer Ebene zu einer Zusammenführung zweier Partner. Die Nationale Volksarmee der DDR wurde aufgelöst und nur Einzelpersonen und Teile der Ausrüstung von der Bundeswehr übernommen, von Integration kann man kaum sprechen. Die Auflösung der NVA führte nicht nur zu politischen und ideologischen Vorurteilen, sondern vor allem auch zu großen sozialen Problemen. Die politische Indoktrination sowie ein ausgeprägtes Feindbilddenken vor allem gegenüber der BRD führten im Vergleich zu anderen Gesellschaftsbereichen im Reformjahr 1989/90 zu erheblichen Schwierigkeiten. Mit 1. September 1990 wurden alle Generale und Admirale der NVA und ein Großteil der Obersten entlassen. Später schieden alle Offiziere, die älter als 50 Jahre waren, aus. Der Großteil des Unteroffizierskorps sowie nahezu das gesamte Offizierskorps, zuletzt immerhin noch 36 000 Mann, wurden entlassen, lediglich um die 3 000 Offiziere, 7 600 Unteroffiziere und 200 Mannschaftsdienstgrade wurden in die Bundeswehr übernommen.

Ehemalige NVA-Angehörige mussten dienstgradmäßig eine Rückstufung von zwei bis drei Rängen in Kauf nehmen, was damit begründet wurde, dass Beförderungen innerhalb der NVA früher erfolgten. Der Übernahmedienstgrad wurde anhand der gültigen Dienstdauer entsprechend jener in der Bundeswehr errechnet. Generell galt bis zum 1. März 2005 die in der NVA geleistete Dienstzeit als "gedient in fremden Streitkräften", danach als "gedient außerhalb der Bundeswehr". Laut Einigungsvertrag ist es den ehemaligen Angehörigen der NVA, im Gegensatz zu früheren Angehörigen der Wehrmacht, nicht gestattet, in der Bundesrepublik den Anhang "a. D." ("außer Dienst") zu führen. 1999 gründeten ehemalige Angehörige die Traditionsvereinigung der Nationalen Volksarmee.


Autor: Hauptmann Dr. Thomas Reichl, Jahrgang 1971. 1989/90 Einjährig Freiwilligenausbildung (Waffengattung Jäger), danach Zugskommandant, stellvertretender Kompaniekommandant und S1 im Jägerbataillon Wien 1 "Hoch- und Deutschmeister"; Dokumentarkurs an der Nationalbibliothek; Studium der Geschichte (Schwerpunkt Militärgeschichte); 1994 bis 1999 Leiter Input der Zentraldokumentation der Landesverteidigungsakademie; seit 1999 im Heeresgeschichtlichen Museum Wien, derzeit Leiter Marketing und Besucherbetreuung sowie Kurator zahlreicher Ausstellungen (40 Jahre Vereinte Nationen, 50 Jahre Österreichisches Bundesheer, 10 Jahre Grenzsicherung, Ungarn 1956, CSSR 1968 u. v. m.).

Weiterführende Literatur:

Armee der Einheit, Hrsg: Bundesministerium für Verteidigung (Bonn 2000).

Best Stefan, Geheime Bunkeranlagen der DDR (Stuttgart 2004).

Die DDR. Eine Chronik deutscher Geschichte, Hrsg: Michael Zentner (St. Gallen 2004).

Die DDR. Daten, Fakten, Analysen. Hrsg.: Alexander Fischer (Köln 2004).

Dietrich Torsten, Ehlert Hans, Wenzke Rüdiger, Handbuch der bewaffneten Organe der DDR (Berlin 1998).

Fremde Heere. Die Streitkräfte der Warschauer-Pakt-Staaten. Teil A: Organisation, Militärdoktrin, Führungs- und Einsatzgrundsätze (Wien 19908).

Fremde Heere. Die Streitkräfte der Warschauer-Pakt-Staaten. Teil B: Waffen, Geräte, Uniformen (Wien 19908).

König Guntram, Das Grosse Buch der Nationalen Volksarmee. Geschichte - Aufgaben - Ausrüstung (Berlin 2008).

Kopenhagen Wilfried, Die Luftstreitkräfte der NVA (Stuttgart 2002).

Kopenhagen Wilfried, Die Landstreitkräfte der NVA (Stuttgart 2003).

Kopenhagen Wilfried, Die Seestreitkräfte der NVA (Stuttgart 2004).

Kopenhagen Wilfried, Mehl Hans, Schäfer Knut, Die NVA. Land-, Luft- und Seestreitkräfte (Stuttgart 2006).

Lapp Peter Joachim, Ulbrichts Helfer. Wehrmachtsoffiziere im Dienste der DDR (Bonn 2000).

Parteidiktatur und Alltag in der DDR. Aus den Sammlungen des deutschen Historischen Museums (Berlin 2007).

Stadelmann-Wenz Elke, Widerständiges Verhalten und Herrschaftspraxis in der DDR. Vom Mauerbau bis zum Ende der Ulbricht-Ära (Paderborn München Wien Zürich 2009).

Wagner Wilhelm, Die Geschichte der DDR (Wien 2009).

Warsaw Pact Uniforms & Ranks (San Rocco di Guastalla 2006).

75 Antworten zur nationalen Volksarmee der DDR; Hrsg: Militärverlag der DDR (Berlin 1977).

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