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Islam und Bundesheer

Der Islam ist in Österreich seit über 100 Jahren eine anerkannte Religionsgemeinschaft. Bereits in der k.u.k. Armee dienten zahlreiche muslimische Soldaten. Auch heute sind sie im Bundesheer ein integraler Bestandteil. Im täglichen Dienstbetrieb sind nur einige Besonderheiten zu beachten.

Als Österreich-Ungarn 1878 Bosnien und die Herzegowina okkupierte und 1908 annektierte, fand sich die Habsburgermonarchie plötzlich in der Situation, eine Majorität an Muslimen in diesem neu erworbenen, von beiden Reichsteilen gemeinsam verwalteten Land anzutreffen, ohne sich vorher Gedanken darüber zu machen, wie denn nun mit dieser zu verfahren sei. Jedoch garantierte bereits das Staatsgrundgesetz von 1867 die Religionsfreiheit. Die militärischen Vorschriften gestatteten den Moslems die Pflege ihrer Religion, bevor 1912 der Islam als Religion in Österreich gesetzlich anerkannt wurde. Eine eigene Seelsorge in Form von Militärimamen sorgte sich um ihr religiöses Wohl.

Heute, rund 100 Jahre später, hat sich das Bild des Islam in Österreich stark gewandelt. Immer mehr junge Muslime versehen ihren Dienst im Österreichischen Bundesheer, sei es nun als Grundwehrdiener oder als Kadersoldat im Inland, oder als Angehöriger einer multinationalen Friedenstruppe im Ausland. Der Islam ist nicht mehr aus unserem Umfeld wegzudenken, und rege Diskussionen verschiedener Couleurs prägen unser Alltagsverständnis dieser, für viele fremden Religion.

Vielfalt

Kenntnisse um Besonderheiten des Islams, über Feiertage und religiöse Verpflichtungen sowie über die Auswirkungen auf den Dienstbetrieb sind für den Einheitskommandanten sowie für das Kader notwendig, um einen respektvollen Umgang miteinander zu erleichtern und Missverständnisse zu vermeiden.

Genauso wenig wie es den typischen Offizier oder den idealtypischen Unteroffizier gibt, gibt es "den Muslimen" oder "den Christen" nicht, der alle Vorteile in sich vereinen würde. Abgesehen davon, dass sich niemand von uns, egal welcher Glaubensrichtung, in ein Schema pressen lassen möchte, würde ein Artikel über "die Muslime" einen ganz wesentlichen Punkt außer Acht lassen, der seit über 1 400 Jahren typisch für die muslimische Gemeinschaft ist: Vielfalt. Ob nun Sunnit, Schiit, Yezide, Alewi oder Nusayrier, sie alle und viele weitere Glaubensströmungen gehören der islamischen Gemeinschaft an, praktizieren jedoch sowohl regional als auch individuell eine jeweils unterschiedliche Form des Koran und der Lebensweise des Propheten. Für den militärischen Dienstbetrieb ist es nicht notwendig, sich mit Religionswissenschaft zu beschäftigen, weswegen nur auf allumfassende, allgemeingültige Bereiche der muslimischen Lebensführung eingegangen wird, die unabhängig von einer Glaubensströmung oder einer Rechtsschule den meisten Muslimen gemein sind.

Gläubigkeit

Bereits bei der Stellungskommission muss der Wehrpflichtige kundtun, ob er den Islam praktiziert oder nicht, beziehungsweise wenn ja, ob er gemäß der Einteilung des Bundesheeres "strenggläubig" oder "besonders strenggläubig" ist. Diese Unterteilung ist nicht wirklich glücklich gelungen. Denn wenn es nach den Hadithen, den Überlieferungen des Propheten geht, kann jede einzelne, individuelle Auslegung des Korans eine richtige sein. So sagt der Prophet: "Die Menschen meiner Generation sind die Besten, dann die, die ihnen folgen und dann die, die ihnen später folgen werden.” Dieser Ausspruch kann mehrdeutig verstanden werden. Einerseits erlaubt er reformerisch orientierten Muslimen die eigene Meinung (idschtihad) anzuwenden, andererseits kann er auch so interpretiert werden, dass nur die ersten drei Generationen der Muslime rechtgeleitet waren und somit nur eine ihnen entsprechende Lebensweise die Errettung bringt (eine von Salafisten benutzte Auslegung). Abhängig vom Grad der Gläubigkeit müssen folgende Gebote eingehalten werden:

Verbot des Genusses von Schweinefleisch

Dies wird im Bundesheer mit dem Anbieten von schweinefleischloser Kost gelöst. Auch wenn auf dieses kein Rechtsanspruch besteht, kann zum Beispiel auf Übungen auch mit einer entsprechend großen Beilagenmenge für kurze Zeit (max. zwei bis drei Tage) das Auslangen gefunden werden.

Verbot des Genusses von Alkohol

Sowohl alkoholische Getränke als auch Lebensmittel, die Alkohol enthalten (z.B. Marzipan) dürfen nicht verzehrt werden. Dieser Punkt wird von vielen praktizierenden Muslimen nicht so genau eingehalten wie der Genuss von Schweinefleisch, obwohl beide theologisch-rechtlich auf derselben Stufe stehen (haram - verboten). Dies gilt auch für alle anderen berauschenden Stoffe (Suchtgift etc.).

Das tägliche Gebet

Es muss fünfmal täglich gebetet werden (Ausnahme: Nusayrier). Das Gebet darf nicht gestört oder unterbrochen werden. Die Zeiten können im Ausnahmefall verschoben werden (es gibt nur bestimmte Beginn- und Endzeiten der einzelnen Tagesabschnitte), so dass der Dienstbetrieb dadurch nicht beeinträchtigt wird. Die Einzelheiten der Durchführung werden separat besprochen.

Die Wallfahrt nach Mekka

Die Hadsch (hagg) wird für Grundwehrdiener kein Thema sein, da diese nur einmal (mindestens) im Leben durchzuführen ist und somit auch nach dem Grundwehrdienst absolviert werden kann (Ausnahme: Nusayrier, diese führen keine hagg durch).

Die Armensteuer (zakat)

Auch diese, einmal jährlich zu leistende vermögensbezogene religiöse Steuer tangiert den Dienstbetrieb nicht.

Trotz all dieser Gebote sind gewisse Dinge erlaubt. Rauchen beispielsweise ist nur eine von Gott gehasste Tätigkeit, aber nicht explizit verboten. Allerdings sollte ein praktizierender Muslim dem theologischen Verständnis nach keinerlei Handlungen setzen, die Gott verärgern. Die vielseits bekannte Barttrageerlaubnis steht nur "besonders strenggläubigen" Muslimen zu, die vom Obersten Islamischen Rat auf ihre religiöse Haltung und Einstellung sowie ihre Lebensweise streng geprüft werden. Bescheinigungen für Strenggläubige werden nicht leichtfertig vergeben, sondern stellen eher die Ausnahme dar. Auch wenn das Tragen eines Bartes eher eine salafistische Angewohnheit (und somit eine politische Botschaft) ist und keine religiöse Begründung hat, bleibt es Sache des Bundesheeres, eine Barttragegenehmigung zu erteilen.

Der Dienstbetrieb

Der tägliche Dienstbetrieb erfordert vonseiten des Wehrpflichtigen eine Vielzahl an zu erfüllenden Pflichten. Abgesehen von soldatischen Tugenden wie Treue gegenüber der Republik Österreich sowie Pünktlichkeit und Gehorsam sind auch administrative Tätigkeiten Teil des Wehrdienstes. So ist eine Einteilung zu Reinigungsdiensten ein genauso wichtiger Bestandteil der Pflichterfüllung wie etwa der Gefechtsdienst oder auch der Dienst in der Kanzlei. Ein Prophetenspruch (hadith) sagt hierzu: "Reinlichkeit ist Teil des Glaubens." Eine Verweigerung von Putzdiensten mit der Argumentation von religiöser Strenggläubigkeit oder gar Würdelosigkeit ist daher aus Sicht des Islam nicht begründbar. Hat der Prophet selbst den Status des Soldaten und somit indirekt den Wehrdienst als heilig angesehen, wäre es für einen gläubigen Muslim geradezu ein Vergehen, diesen Dienst herabzuwürdigen oder sich ihn durch Vorspiegelung falsche Tatsachen zu erleichtern.

Ramadan

Der Fastenmonat ist eine der fünf Hauptsäulen des Islam. Er wurde zur Zeit des Gesandten eingeführt und ist die einzige rituelle Handlung, die nur für ALLAAH bestimmt ist. So sprach der Prophet: "ALLAAH, der Erhabene sagte: Jede Handlung des Menschen ist für ihn bestimmt, außer die des rituellen Fastens, sie ist für MICH bestimmt, Ich belohne sie." Durch die Durchführung des Fastens wird der Fastende von seinen Sünden befreit und erhält so die Gelegenheit, ALLAAH Dank für sein Dasein zu zeigen. Pflicht zum Fasten besteht durch alle Rechtsschulen und alle Glaubensrichtungen für jeden Muslim. Alle Gelehrten sind sich darüber einig, dass eine Person, welche das Gebot des Fastens abstreitet, vom Islam abfällt.

Nachdem der islamische Kalender nach Mondmonaten geschrieben wird, verschiebt sich der Ramadan von Jahr zu Jahr. Ramadan ist der neunte Monat des islamischen Jahres. Er beginnt mit der Sichtung des Hilal (erste sichtbare Mondsichel nach dem astronomischen Neumond) kurz nach Sonnenuntergang. Militärische Kommandanten erhalten diesbezüglich alljährlich einen Erlass, worin die Kalendertage nach gregorianischem Kalender aufgelistet werden. Ab diesem Zeitpunkt dürfen zwischen Sonnenauf- und -untergang folgende Tätigkeiten nicht durchgeführt werden:

  • Zuführen von Nahrung auf oralem oder sonstigem Wege;
  • Trinken oder Zuführen von Flüssigkeiten auf sonstigem Wege;
  • Geschlechtsverkehr;
  • absichtliches Erbrechen;
  • Selbstbefriedigung.

Ausnahmeregeln: Es gibt mehrere Ausnahmeregelungen für das rituelle Fasten. Vor allem Kinder, Frauen und alte sowie kranke Menschen genießen eine Vielzahl von Erleichterungen und Befreiungen. Die für den täglichen Dienstbetrieb relevanten Bestimmungen sind:

  • Chronisch Kranke dürfen das rituelle Fasten aussetzen;
  • Krankheit befreit von einigen Bestimmungen;
  • Reisen (Übungen und Verlegungen auch innerhalb des Bundesgebietes) sind erlaubt;
  • Handlungen mit überdurchschnittlicher körperlicher Belastung (Gefechtsdienst, Sport etc.) dürfen durchgeführt werden. Hierunter fällt, für muslimisches Kader relevant, auch die Tätigkeit des Führens.

Es wird allerdings empfohlen, trotz dieser Erleichterung zumindest von der Aufnahme fester Nahrung abzusehen und nur Leitungswasser zu trinken. Ein Abbruch des Fastens ist bei lebensbedrohlichem Durst und Hunger verpflichtend!

Zusammenfassend gilt, dass durch das Fasten keinerlei körperliche Schädigungen oder Beeinträchtigungen entstehen sollen.

Das Gebet

Praktizierende Muslime sind zum fünfmaligen Gebet pro Tag verpflichtet (Ausnahme: Nusayrier). Um die Zeitordnung der Einheit jedoch nicht zu beeinträchtigen, können die Gebetszeiten, die nie zu einem bestimmten Zeitpunkt durchgeführt werden müssen, sondern sich immer in einem Zeitfenster bewegen, zu drei Gebetseinheiten zusammengefasst werden:

  • Das Morgengebet vor Sonnenaufgang;
  • das Mittags- und Nachmittagsgebet zwischen 1300 und 1600 Uhr (Winterzeit) bzw. 2000 Uhr (Sommerzeit);
  • das Abend- und Nachtgebet nach Sonnenuntergang.

Die Gebetszeit des mittleren Pflichtgebetes wäre so zu legen, dass der Dienstbetrieb dadurch nicht beeinträchtigt wird. Größere Pausen während der Ausbildung bieten sich dafür an. Pro Gebetseinheit sind den betreffenden Personen 15 Minuten zur Verfügung zu stellen. Für die Durchführung des Gebetes, vor allem im Feld oder auf Übungen, sind keinerlei besondere Vorkehrungen zu treffen. Den betroffenen Personen ist die Möglichkeit zu gewähren, einen Ort aufzusuchen, an dem sie bei der Ausübung ihres Gebetes nicht unnötig gestört werden. Sollte in unmittelbarer Nähe kein Wasser vorhanden sein, so ersetzt die so genannte "Sandwaschung" (Vollzug der rituellen Waschung mit der Hand) die sonst übliche Gebetswaschung.

Freitags tritt an die Stelle des Mittagsgebetes das Freitagsgebet. Dieses hat eine starke rituelle Bedeutung. Sofern sich die militärische Einheit nicht auf einer Übung oder außerhalb des Garnisionsortes befindet, wäre den betroffenen Personen die Möglichkeit zu gewähren, an diesem Gebet in einer Moschee teilzunehmen. Die dadurch entfallene Dienstzeit ist entweder nach Möglichkeit in der Folgewoche wieder einzuarbeiten, oder kumulativ aufzurechnen und durch die betreffenden Personen beispielsweise an Wochenenden oder christlichen Feiertagen einzubringen.

Aktuelle politische Bezüge

Eines der wesentlichsten Vorurteile oder vielmehr Klischees, das den meisten Mitteleuropäern eigen ist, die sich ein vereinfachtes Bild über das islamische oder vielmehr arabische Leben machen, ist jenes der unterdrückten Frau. Eingezwängt in eine Burka, verhüllt bis zur Unkenntlichkeit oder auch nur stigmatisiert durch das Kopftuch als assoziiertes Zeichen der Unterdrückung durch einen despotischen Ehemann. Doch auch bei diesem heiklen Thema gilt es, sich zu allererst der Fakten bewusst zu werden. Eine Tatsache ist, dass die Situation der Frauen auf der arabischen Halbinsel vor dem Aufkommen des Islam nur schwer zu rekonstruieren ist. Vor der Sendung des Propheten war es, in einer Zeit der polytheistischen Stammesreligionen anerkannter Brauch, neu geborene Mädchen zu töten indem sie bei lebendigem Leibe begraben wurden. Vor allem unter Beduinen war dies aufgrund mangelnder wirtschaftlicher Ressourcen eine anerkannte Praxis. Die Adoption solch gefährdeter Mädchen galt schon in vorislamischer Zeit als sehr verdienstvoll. Doch erst mit dem Auftreten des Islams kam im Koran das dezidierte Tötungsverbot (Sure 16, Vers 58 bis 59): "Und wenn einem von ihnen die Nachricht von der Geburt einer Tochter überbracht wird, so verfinstert sich sein Gesicht, und er unterdrückt den inneren Schmerz. Er verbirgt sie vor den Leuten wegen der schlimmen Nachricht, die er erhalten hat: soll er sie behalten trotz der Schande, oder (soll er sie) in der Erde verscharren? Wahrlich, übel ist, wie sie urteilen!" Es war dies die Zeit, als der Prophet auf der Erde wandelte, in welcher Frauen auf der arabischen Halbinsel zum ersten Mal in der Geschichte der Religion als den Männern zumindest gleichwertig, wenn nicht sogar als überlegen angesehen wurden. So gibt es den überlieferten Prophetenausspruch (hadith): "Wer eine Tochter hat und sie nicht lebendig begräbt, sie nicht missachtet und ihr seine Söhne vorzieht, den lässt ALLAAH ins Paradies eintreten." Der Prophet selbst, Friede sei mit ihm, der immer wieder als Maßstab für tugendhaftes Handeln auf Erden herangezogen wird, hat gemäß der Überlieferung in seinem gesamten Leben, seiner Sunna, die für Muslime bindend ist, niemals eine Frau geschlagen oder schlecht behandelt. Muslime, die von sich behaupten, der Sunna zu folgen, sollten dies berücksichtigen.

Generell hat der Koran viele gesellschaftliche Stützen für Frauen erst geschaffen. So wurde in der Sure 24, Vers 33 das Verbot der Zwangsprostitution für Sklavinnen ausgesprochen. Viele weitere Verse sind heute Teil des islamischen Ehe- und Scheidungsrechtes.

Aischa, die dritte Frau des Propheten, war die erste Frau, die militärisch in der Kamelschlacht bei Basra ein Kommando führte. Nach dem Tod des Propheten fühlten sich viele seiner Gefolgsleute nicht mehr an seine Aussprüche und Handlungsweisen gebunden. So ist es von Omar, dem zweiten Kalifen, überliefert, dass er einmal versuchte, Frauen am Betreten der Moschee zu hindern, und dafür fürchterlich beschimpft wurde.

Was aber bedeuten diese Fakten nun für den Soldaten, der seinen Dienst im muslimischen Ausland vorsieht? Zuallererst einmal den praxisrelevanteren Teil: Das Kopftuch ist aus historischer Sicht dezidiert kein Symbol der Unterdrückung, sondern diente zu Beginn des Islams, muslimische Frauen als "rechtschaffen" zu symbolisieren, quasi als Abgrenzung zu den polytheistischen Götzenanbetern. Während der europäischen Kolonialzeit wurde das Kopftuch aus unterschiedlichsten Gründen verboten und das Tragen desselben unter Strafe gestellt (z. B. von Frankreich in seiner ehemaligen Kolonie Algerien). Mit der Befreiung dieser Gebiete war das Kopftuch nun auch zum politischen Moment geworden, das in keiner Weise als Unterdrückung angesehen wurde. Für Soldaten vor Ort sollte es also selbstverständlich sein, Frauen mit Kopftuch als normal anzusehen und nicht in einer Art Mitleid ihr vermeintlich verlorenes Selbstwertgefühl zu betrauern.

Als zweites, jedoch ebenfalls unmittelbar praxisrelevanteres Thema gilt es, junge wehrpflichtige Muslime beim ersten Anzeichen von Ungehorsam gegenüber weiblichen Vorgesetzten an eben jene oben angeführten Tatsachen zu erinnern.

Muhammad Assad, besser bekannt als Leopold Weiß, ein ehemaliger österreichischer Jude, Mitbegründer Pakistans und wahrscheinlich wichtigster islamischer Gelehrter des 20. Jahrhunderts, welcher eine Fatwa (Rechtsgutachten) über das Nichttragen von Kopftüchern verfasste, besagt: "Ich danke Gott dafür, dass ich zuerst den Islam und danach die Muslime kennen und lieben lernte."

Islam und Recht

Politik und Religion als zwei voneinander getrennte Bereiche zu sehen, ist eine der schwierigsten Aufgaben, die es im Bezug auf interkulturelles Verständnis zu meistern gilt. In Österreich regelt die Verfassung die Religionsfreiheit und damit die Trennung von Kirche und Staat. Gesetze und Verordnungen wirken auf unser tägliches Leben ein und verändern unsere Haltung, unser Handeln und unser Denken. Das Verständnis des kulturellen Hintergrundes vieler Gesetze erfordert einen langwierigen Bildungsprozess. Dieser Prozess beginnt im Volksschulalter, wo es einen Religionsunterricht und somit den ersten Kontakt mit dem entsprechenden religiösen Gedankengut gibt, führt uns weiter über die Erstkommunion, die kirchliche Trauung und noch viele weitere religiöse Feste und Feierlichkeiten, die das Kalenderjahr durchziehen. All dies hat seine Berechtigung. Es muss uns jedoch klar sein, dass die aufgezählten Dinge nicht zuletzt einen kirchlichen Bezug haben. Dieser ist uns jedoch bereits von klein auf bekannt. Hier findet also eine Identifikation (mehr oder weniger) statt. Selbst wenn jemand überhaupt keinen religiösen Bezug zu all diesen Dingen entwickelt, so sind sie ihm letztendlich vertraut. Man kennt die Sitten und Gebräuche, weiß um die Traditionen Bescheid. In ihnen steckt nichts Fremdes mehr. Deshalb darf es uns nicht verwundern, dass wir ab und zu "betriebsblind" werden und religiöse Bezugspunkte in unserem alltäglichen, aber auch in unserem politischen Leben als solche gar nicht mehr wahrnehmen.

Dies mag vielleicht eine der Erklärungen dafür sein, dass sich in Europa der oft mit islamischen Staaten assoziierte Begriff des "diin wa dauwla" (arab.: "Religion und Staat") so hartnäckig gehalten hat. Man beachte vor allem die falsche Übersetzung in diversen Medien mit: "Religion ist Staat". Ein Versuch der Interpretation dieses oft falsch verwendeten Begriffspaares ist eine Ableitung des Wortes "tauwhid" (arab.: "Einheit", im Bezug auf Gott). Die Einheit Gottes ist die höchste theologische Meinung, unabhängig von der Rechtsschule, quer durch alle islamischen Strömungen und zugleich auch der wichtigste Grund in der Abgrenzung zum Christentum. Diese innere Einheit, die nur ALLAAH alleine zusteht, wurde bereits zur Geburtsstunde des Islam sorgfältig theologisch ausformuliert. Aus dieser nun so wichtig gewordenen Idee entwickelte sich am Anfang des 11. Jahrhunderts vornehmlich in Indien eine Art spiritueller Strömung, Sufis genannt. Diese propagierten den "tauwhid" als eine Reinterpretation buddhistischen Gedankengutes von Karma und Kosmos. Eine Vorstellung, die sich rasch über die gesamte islamische Welt verbreitete. Die Derwische der heutigen Türkei sind von ihren Einstellungen und Interpretationen geistige Verwandte der Sufis. Durch die enge Verknüpfung mit der Volksgläubigkeit, in der diese Vorstellung zum Ausdruck kam, und durch voreingenommene Beobachtungen europäischer Reisender ab dem 18. Jahrhundert, vor allem im Osmanischen Reich, entstand diese Mär der Einheit von Staat und Religion.

Eine weitere Fehlmeinung ist die Vorstellung, dass die Scharia als Islamisches Recht im Koran zu finden sei. Hierbei bleibt festzuhalten, dass der Koran die Grundlage für die Scharia oder "fatwas" (arab.: "Rechtsgutachten") ist. Eine endgültige Fassung, oder gar ein konsolidiertes Werk der Scharia gibt es auf der ganzen Welt nicht, da jeder Gelehrte jeweils sein Urteil immer im Bezug auf die handelnden Personen, im Kontext der jeweiligen Zeit sowie im Einvernehmen mit den vorherrschenden Rahmenbedingungen fällen kann. Leider bemüßigen sich viele, die den Koran nicht oder nur teilweise gelesen haben, als Muftis. Dies äußert sich zumeist in archaischen und brutalen Urteilen, die keinerlei Grundlage in der Heiligen Schrift des Korans finden. Einzig die Tatsache, dass sich diese Gelehrten auf den Koran berufen und doch in ihrer Unwissenheit eigentlich Stammes- und Gewohnheitsrecht praktizieren, bleibt bestehen.

Auf einen Blick

Anhand praktischer Beispiele und Hinweise wird versucht, das an und für sich komplexe Thema des interreligiösen Kontaktes, der inzwischen Alltag in fast jeder Einheit ist, zu kommentieren. Gleichzeitig soll aber auch ein tieferes Verständnis für fremd anmutende Gebräuche und Sitten geschaffen werden. Der Islam wurde lange nur als Gastarbeiterreligion angesehen und von vielen Verantwortlichen ignoriert. Umso wichtiger ist es, im Österrei- chischen Bundesheer dieses Informationsdefizit zu beseitigen. Hiezu reicht allerdings nicht der bloße Aufenthalt in islamischen Ländern oder eine geografische Beschreibung. Vielmehr ist ein ganzheitlicher Zugang, der neben den täglichen Belangen des Dienstbetriebes auch die Themen Politik, Recht, Gender und Geschichte umfasst, notwendig. Erst in der Betrachtung möglichst vieler einzelner Aspekte dieser Weltreligion ergeben sich in unseren Köpfen Synergien, die unser Verständnis erweitern und uns öffnen für neue Vorstellungen und uns auch gelassener in den Einsatz gehen lassen.


Autor: Olt Mag. (FH) Michael Cserkits, B.A., Jahrgang 1984, Eingerückt 2004 zum Panzerbataillon 10, danach Milizsoldat. 2006 Auslandseinsatz im Kosovo (KFOR), 2007 bis 2011 Absolvierung Theresianische Militärakademie, Waffengattung Kampfpanzer. Ausgemustert 2011 Jahrgang "Ritter von Lehmann", derzeit stellvertretender Kompaniekommandant 1.PzKp/PzB33.

2011 bis 2013 Bachelor-Studium Soziologie, Nebenfach "Arabische Sprache und Gesellschaft", seit 2013 Master-Studium Soziologie, Vertiefung "Sozialstruktur und Soziale Integration". Mitglied der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich.

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