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Eine Armee mit Ablaufdatum

Die Streitkräfte der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien waren hinsichtlich der Anzahl der Soldaten und der Quantität ihrer Ausrüstung die stärkste Militärmacht im Balkanraum. Vor rund 20 Jahren löste sich die Jugoslawische Volksarmee (JVA) in den Wirren des Bürgerkrieges auf.

Das Land, dessen Souveränität die JVA schützen sollte, setzte sich aus sechs Teilrepubliken zusammen, deren Bewohner sich sowohl hinsichtlich ihres historischen Verständnisses als auch in der Pflege ihres kulturellen Erbes unterschiedlich präsentierten. Der kroatische Autor Benedict Weiss definierte die Struktur der Völker des Vielvölkerstaates in der Einleitung seines Buches "Teorija raspada Jugoslavija - drzava po potrebi" (Die Theorie des Zerfalls Jugoslawiens - Ein Staat nach Bedarf) folgendermaßen: "Die Ähnlichkeiten in der Kultur, der Sprache, der Volksbräuche, aber auch im Bezug auf deren Weltsicht sind vorhanden. Alles zusammen zeugt von der gegenseitigen Nähe, welche diese Völker im Laufe ihrer historischen Entwicklung zueinander hatten. Trotz aller Ähnlichkeiten der Stämme präsentierten sie sich in ihrem (kollektiven) Wesen grundverschieden. Dasselbe gilt auch (zumindest nach außen hin) für deren oft gleiche Interessen, die schlussendlich aber different waren. Damit wird eine erste Grundlage geliefert, warum diese in einem Staat zusammengefassten Völker autoritär geführt wurden und ihnen hinsichtlich nationaler Bedürfnisse im ideologischen Verständnis der politischen Elite kaum Spielraum gewährt wurde."1) Die wichtigsten Gründe für den Zusammenhalt in den ersten etwa vier Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg waren unter anderem die Orientierung am Staatsoberhaupt Josip Broz, genannt Tito, der in allen Teilrepubliken Hochachtung und Verehrung erfuhr. In den ersten Jahren des Bestandes des Staates nach 1945 spielte auch die existenzielle Bedrohung durch die Sowjetunion eine Rolle, die schließlich die zukünftige geopolitische Position zwischen den beiden Blöcken NATO und Warschauer Pakt prägte. Nationale Interessen standen in den 1950er und 1960er Jahren angesichts regelmäßiger Erschütterungen des Weltfriedens, wie der Ungarn-Krise 1956, der außenpolitischen Auseinandersetzung der USA mit der Sowjetunion wegen der Stationierung von atomaren Mittelstreckenraketen durch Moskau 1962 auf Kuba, sowie dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei 1968, nicht im Vordergrund der Artikulation der jeweiligen politischen Führungen in den Teilrepubliken. Die Bedrohungsszenarien waren bis Anfang der 1970er Jahre ein definitiv einigendes Element der Völker Jugoslawiens, obwohl es auch in dieser Ära zwischen den Parteiführungen der Kommunistischen Partei Jugoslawiens in den einzelnen Teilrepubliken unterschiedliche Zielvorgaben und Arbeitsweisen gab, die bei der Umsetzung gesamtstaatlicher Vorgaben auf politischer Ebene Konfliktpotenzial beinhalteten.

Klammer des Staates?

Die Armee sollte das verbindende Element aller Teilrepubliken sein, wurde aber bereits Anfang der 1980er Jahre in den Teilrepubliken Slowenien und Kroatien mehr als "Korsett" und nicht als einigende Institution angesehen. Der Wehrdienst irgendwo in Jugoslawien, weit weg von der Heimat, war für viele junge Kroaten und Slowenen eine Belastung, die sie und ihre Familien nicht mehr tragen wollten, da sie sich mit der Institution Volksarmee immer weniger identifizierten. Von vielen Bürgern - gerade in den beiden westlichen Teilrepubliken - wurden die Streitkräfte als "Staat im Staat" angesehen. Bis 1989 war die bewaffnete Macht Jugoslawiens mit rund 4,4 Billionen US-Dollar oder knapp sieben Prozent des Bruttonationalproduktes der kostenintensivste Faktor im Budget des Vielvölkerstaates.2) Die Jugoslawische Volksarmee (JVA) war in vier Teilstreitkräfte - das Heer, die Luftwaffe, die Marine und die Territorialverteidigung - gegliedert. Die Einheiten unterstanden regionalen Kommanden in den jeweiligen Teilrepubliken und wurden von diesen auch verwaltet und finanziert. Es gab zwischen der Bundesarmee und den Teilstreitkräften immer wieder Konflikte hinsichtlich der Ausrüstung und Bewaffnung. Auch die Möglichkeiten der Ausbildung und die damit verbundene Verfügbarkeit von Truppenübungsplätzen waren für Einheiten der Territorialverteidigung (TO - Teritorijalna Obrana) eingeschränkt. In vielen Fällen wurde dieser Teil der Volksarmee auch mit veralteten Waffen ausgerüstet. Zu Beginn der 1990er Jahre verfügte das jugoslawische Militär über 140 000 Soldaten, davon 90 000 Wehrpflichtige. Bei der Luftwaffe dienten 32 000 Mann, davon 4 000 Wehrpflichtige. Der Marine und den Einheiten der Küstenverteidigung standen 10 000 Soldaten, davon 4 400 Wehrpflichtige und 900 Marineinfanteristen zur Verfügung. Die paramilitärisch organisierten territorialen Verteidigungskräfte zählten im Jahr 1990 zwischen ein und drei Millionen Mann, davon befanden sich 860 000 Militärangehörige in regelmäßigen Ausbildungen.3) In Friedenszeiten standen die Territorialverteidigungskräfte weitgehend unter der Kontrolle der jeweiligen regionalen Verwaltung und wurden von dieser auch bezahlt. Im Kriegsfall übten sowohl die politischen Entscheidungsträger in den einzelnen Republiken als auch jene der Bundesarmee Befehlsgewalt über die Einheiten der Territorialstreitkräfte aus.

Eine Reform der Armeestruktur wurde 1990 umgesetzt. Auf dieser Grundlage wurden 30 Brigaden gebildet, darunter mechanisierte Panzereinheiten, Gebirgsjägertruppen und eine Luftlandebrigade. Die jugoslawische Kriegsmarine setzte ihre U-Boote, Korvetten und Fregatten immer wieder bei Manövern ein. Das Marinekommando, dem auch die Donauflottille unterstand, befand sich in Split. Die Luftstreitkräfte verfügten über 400 Kampfflugzeuge, die in 12 Kampfgeschwader aufgeteilt waren, sowie über rund 200 Kampfhubschrauber. Schweres Gerät für die Armee, wie Kampfpanzer und Feldraketenwerfer, wurden aus der Sowjetunion importiert, ebenso die Überschallkampfflugzeuge des Typs MiG-21. Ab Beginn der 1970er Jahre wurden große Anstrengungen unternommen, die Waffengattungen der Armee mit Waffen und Gerät aus heimischer Produktion zu versorgen. Die jugoslawische Militärindustrie produzierte von Handfeuerwaffen bis zum Kampfflugzeug nahezu alle benötigten Waffen, mit denen nicht nur die eigenen Streitkräfte ausgerüstet wurden. Ein Teil der Produktion wurde auch in afrikanische und asiatische Staaten verkauft.4)

Die JVA - verehrt und gefürchtet

Die Jugoslawische Volksarmee war beim eigenen Volk eine mehrheitlich verehrte, aber auch gefürchtete Institution, die im Laufe der historischen Entwicklung der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien zwischen 1945 und 1991 auch einige "blutige" Meilensteine gesetzt hat. Einheiten der JVA wurden erstmals im Jahr 1968 zur Niederschlagung der Studentenunruhen eingesetzt. Während des "Kroatischen Frühlings" im Jahre 1971, jener Reformbewegung, bei der die intellektuelle Elite der Teilrepublik mehr Autonomie gegenüber der Zentralregierung verlangte und die auch von führenden Mitgliedern der Kommunistischen Partei Kroatiens, wie Slavka Dabcevic-Kucar, Miko Tripalo oder Dragutin Haramija, unterstützt wurde, kam die Armee nicht zur Niederschlagung der Proteste in den kroatischen Städten zum Einsatz. Genau zu dieser Zeit wurde das größte Manöver in der Geschichte Jugoslawiens unter der Bezeichnung "Sloboda 71" (Freiheit 71) abgehalten, das sich räumlich auf große Gebiete Kroatiens und Sloweniens erstreckte.

Aus heutiger Sicht bestand der Auftrag der beteiligten Truppen darin, für den Fall, dass die zivilen Sicherheitskräfte die, in erster Linie auf die kroatische Hauptstadt Zagreb konzentrierten, Unruhen nicht mehr kontrollieren könnten, sofort Armeeeinheiten in alle größeren Städte dieser Teilrepublik, aber auch nach Slowenien abkommandieren zu können, um den Willen der Zentralregierung in Belgrad zu vollziehen.

Auch der aus Kroatien stammende Staatpräsident Tito hatte kein Verständnis für die Autonomiebestrebungen in Kroatien und verurteilte diese auf das Schärfste.

Dennoch bestand aufgrund dieser Entwicklung politischer Handlungsbedarf, da auch in anderen Teilrepubliken, beispielsweise in Serbien, über die Gewährung von mehr Freiheit und politischer Autonomie geschrieben und öffentlich diskutiert wurde. Mit der neuen Verfassung von 1974 wurde allen sechs Teilrepubliken und den beiden autonomen Provinzen Vojvodina und Kosovo ein größerer rechtlicher Handlungsspielraum ermöglicht. Mit der neuen Verfassung versuchte man, weitere Autonomiebestrebungen und die Bildung nationalistisch geprägter Bewegungen zu verhindern. Doch seit Beginn der 1970er Jahre entwickelte sich der Nationalismus insbesondere in Kroatien und Serbien zunächst unterschwellig und in der Öffentlichkeit kaum merkbar. Auch das Kosovo war zu jener Zeit mit einem "Benzinfass zu vergleichen, an dem bereits die Lunte brannte." Doch in dieser politischen Krisenregion kam es erst Anfang der 1980er Jahre zur gesellschaftlichen Eruption. Eine wichtige Zäsur im Verständnis und der Einstellung der Bevölkerung in allen Teilrepubliken Jugoslawiens war das Ableben Josip Broz Titos, des Staatspräsidenten auf Lebenszeit, am 4. Mai 1980. Die Persönlichkeit des Staatsoberhauptes verband, zumindest nach außen hin, die Bevölkerung in allen Teilrepubliken über alle kulturellen, religiösen, ethnischen, historischen und politischen Gegensätze hinweg. Diese Verbindung wurde von allen Repräsentanten der damaligen Weltpolitik auch wahrgenommen und geschätzt. Der Grund dieser ungebrochenen Anerkennung und Verehrung war das Festhalten des "Alten", wie Josip Broz gerne von hohen Parteifunktionären genannt wurde, am Machtmonopol der Kommunistischen Partei, deren Organisationen jedoch größtenteils untereinander verfeindet waren. Der slowenische Soziologe Sergej Flere brachte die Position des Staatspräsidenten mit einem markanten Satz auf den Punkt: "Tito ist Jugoslawien - und Jugoslawien ist Tito, war die Resultante eines in vielerlei Hinsicht übertriebenen Personenkults, den der Staatsführer für sich in Anspruch nahm, gewissermaßen die Quintessenz der jugoslawisch-sozialistischen Zivilreligion."5) Diese Identifikationsfigur, welche alle Völker Jugoslawiens miteinander verband und durchaus nationalistische Tendenzen zu unterbinden vermochte, war nun nicht mehr. Jugoslawien war plötzlich führerlos. Eine Art politisches Vakuum war spürbar. Die Regierungsagenden übernahm ein alle acht Monate wechselnder Ministerrat, der sich aus Mitgliedern einer Teilrepublik zusammensetzte. Ein Jahr nach dem Tod von Josip Broz Tito brach im Kosovo der erste bewaffnete Konflikt aus, der von den Sicherheitskräften schwer zu kontrollieren war.

Ende März, Anfang April 1981 begannen die Studenten mit wütenden Protestaktionen gegen die Staatsmacht. Der Aufstand weitete sich auf die gesamte autonome Provinz aus. Auch Einrichtungen der Jugoslawischen Volksarmee, wie Kasernen und insbesondere Waffenlager, waren gefährdet. Die Armeeführung befürchtete Überfälle von Zivilisten auf Einrichtungen der Streitkräfte sowie den damit verbundenen Diebstahl von Handfeuerwaffen und Sprengstoff.

Der ehemalige Admiral und Verteidigungsminister Branko Mamula beschreibt in seinem Buch "Slucaj Jugoslavija" (Der Fall Jugoslawien) die Aktivitäten der Armee als den ersten Einsatz der Streitkräfte im eigenen Land seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Dieser konnte unter Anwendung von Waffengewalt sowie der Demonstration militärischer Stärke die Unruhen zwar beenden, forderte aber viele Opfer. Nach diesem Einsatz fingen nach den Aufzeichnungen des Admirals die Auseinandersetzungen zwischen der serbischen und albanischen Volksgruppe erst richtig an, deren Hass sich zunächst auf alle Einrichtungen und Repräsentanten der Jugoslawischen Volksarmee konzentrierte.

Demoralisierung und innerer Zerfall

Mit der militärischen Intervention im Kosovo war eine öffentlich bemerkbare degenerative Veränderung der Institution Volksarmee eingetreten. In deren Struktur wurden negative Entwicklungen erkennbar, die zunächst nichts mit nationalistisch geprägten Strömungen zu tun hatten, sondern vielmehr demoralisierende Erscheinungen, wie rücksichtsloses Karrierestreben vieler Offiziere, die Einbindung von Mitgliedern aus Offiziersfamilien in den Genuss von Privilegien, die ausschließlich den Militärs vorbehalten waren, wie die Versorgung mit Lebensmitteln aus Armeebeständen oder die Nutzung medizinischer Einrichtungen. So mancher Offizier ließ sich mit Baumaterial aus dem Besitz der Streitkräfte und mit dem Einsatz von Rekruten ein Haus bauen. Diese Entwicklung war sehr deutlich ab dem Jahr 1984 bemerkbar, erinnert sich ein ehemals hoher Offizier der Jugoslawischen Volksarmee, der ungenannt bleiben will.

In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre war die moralische "Aushöhlung" der Strukturen auch bei der Abhaltung von militärischen Übungen und Manövern bemerkbar. "Die Gefechtsübungen hatten zu jener Zeit nur mehr formalen Charakter, da die verbindende Basis, der Glaube an Jugoslawien, immer mehr verloren ging. Eine immer stärker bemerkbare Demotivierung griff um sich, die sowohl Offiziere als auch Unteroffiziere und Mannschaften betraf. Ganz deutlich war das bei Armeeangehörigen der albanischen Volksgruppe bemerkbar", lässt der ehemals hochrangige Vertreter der Volksarmee seine Erfahrungen Revue passieren.

Der Anfang vom Ende

Die Sezessionsabsichten Sloweniens und Kroatiens waren ab Anfang 1991 auch für die Europäische Gemeinschaft und die USA ein wesentliches Thema hinsichtlich der Lösung daraus resultierender Krisensituationen. Die "Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE)" unter der Leitung des damaligen deutschen Außenministers Hans Dietrich Genscher verlangte am 19. Juni 1991 den Erhalt Jugoslawiens ähnlich wie die Europäische Gemeinschaft, die Jugoslawien am 24. Juni einen Kredit auf fünf Jahre in der Höhe von 807 Millionen Europäischer Rechnungseinheiten (ECU) gewährte.6) Auch der damalige US-Außenminister James Baker hielt anlässlich seines Besuches in Belgrad am 21. Juni 1991 am Erhalt Jugoslawiens fest. Durch diese Aussagen wurden Regierung und Armeeführung in ihrer Intention bekräftigt, die bevorstehende Abspaltung der beiden westlichen Teilrepubliken zu verhindern. Dennoch verkündeten Kroatien und Slowenien am 25. Juni 1991 ihre Unabhängigkeit gegenüber der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien. Die militärische Antwort der Volksarmee auf diese Entscheidung ließ nicht lange auf sich warten. Die Streitkräfte rückten aus, um die Staatsgrenzen zu sichern. Das Eingreifen der Armeeeinheiten wurde als "begrenzte Polizeiaktion" bezeichnet, die der jugoslawische Ministerpräsident Ante Markovic angeordnet haben soll, der allerdings gemäß der jugoslawischen Bundesverfassung dazu gar nicht befugt gewesen war. Die Territorialverbände Sloweniens leisteten erbitterten Widerstand, der für die Truppen der Bundesarmee mit einer nicht unerheblichen Opferzahl und hohen materiellen Verlusten verbunden war. Nach zehn Tagen waren die Kampfhandlungen in Slowenien beendet. Der Abzug der Streitkräfte aus der nördlich-sten Teilrepublik wurde schnell, nahezu überhastet vollzogen. Die jugoslawische Staatsführung, insbesondere jedoch Slobodan Milosevic, hatte kein politisches Interesse, Slowenien im Staatsverband zu halten. Wesentlich wichtiger war ihm die Durchsetzung serbischer Interessen in Kroatien, wo es in der Lika bereits seit dem August 1990 regelmäßige Straßenblockaden gab, die als "Baumstammrevolution" bekannt wurden. Die serbischen Bewohner hatten die Absicht, den Tourismus in Südkroatien zu schädigen und außerdem die Verbindung zu diesem Landesteil zu unterbrechen.

"Die Jugoslawische Volksarmee war auf die Intervention in Slowenien überhaupt nicht vorbereitet. Die Befehle wurden ohne Rücksicht auf die logistische Situation und die infrastrukturellen Besonderheiten gegeben. Auch der militärische Geheimdienst KOS griff in keiner Weise in die Aufmarschpläne ein, wie es im Einsatzfall vorgesehen war. Diese Institution innerhalb der Armee hatte eine Beratungs- und vor allem Aufklärungsfunktion, die allerdings beim Aufmarsch in Slowenien nicht genützt wurde. Auch die höchste Entscheidungsebene der Volksarmee war von nationalistisch geprägten Spaltungen heimgesucht. Serbische aber auch kroatische Generäle orientierten sich an ihren nationalen Interessen. Daher hatten die Streitkräfte, wie es anfangs in Slowenien der Fall war, auch nicht entschlossen eingegriffen. Auch die politische Führung in den jeweiligen Teilrepubliken behinderte die Aktivitäten der Armee, da sie entsprechend der Verfassung auch im Verteidigungsbereich und hier speziell bei der Territorialverteidigung das Recht hatten, ihre Interessen geltend zu machen. Das wichtigste Argument, warum die Armee retrospektiv gesehen versagt hatte, war das Fehlen einer zentralen Führungspersönlichkeit, wie dies zu Lebzeiten Josip Broz Titos der Fall gewesen ist", analysiert der pensionierte, ehemals hohe Offizier der Jugoslawischen Volksarmee.

In Kroatien begannen Ende August, Anfang September 1991 die Kampfhandlungen, die sich zunächst auf die Krajina konzentrierten, sich aber dann in Richtung Slawonien ausbreiteten. Mit der Besetzung und Zerstörung von Vukovar, dem "kroatischen Stalingrad", erreichte der Bürgerkrieg einen der ersten tragischen Höhepunkte, der von der internationalen Staatengemeinschaft wahrgenommen wurde. In diese Ära fiel auch "die Geburtsstunde jenes parastaatlichen Kartells, aus "Roten Baretten", "Frankie Boys", "patriotischen Freiwilligen", entlassenen Kriminellen, Kriegsprofiteuren und Mafia-Bossen, das fortan auf den postjugoslawischen Kriegsschauplätzen eine Spur des Schreckens hinterließ."7)

Die Auflösung

Dies war auch der Beginn der Auflösung der Organisationsstrukturen der Jugoslawischen Volksarmee, die als eigenständige Kriegspartei im weiteren Verlauf des Krieges eine immer geringer werdende Rolle spielte. Ehemalige Angehörige, Offiziere wie Unteroffiziere fanden, insbesondere wenn sie aus Spezialeinheiten kamen, oft gut bezahlte Jobs in paramilitärischen Verbänden, die sie auch mit Waffen und Ausrüstung aus ehemaligen Armeebeständen versorgten. "Die Armee begann sich personell noch vor dem offiziellen Ende der SFRJ (Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien) aufzulösen. Offiziere und Unteroffiziere verließen die Armee mangels Perspektiven. Eine der am meisten beachteten Aktionen war die Flucht des Luftwaffenoffiziers Rudolf Peresin mit einer MiG-21 nach Klagenfurt", weiß der früher auf einem hohen Posten innerhalb der Jugoslawischen Volksarmee tätige Entscheidungsträger zu berichten.

Auch der letzte Verteidigungsminister Jugoslawiens und Absolvent der US-Militärakademie Westpoint, Veljko Kadijevic, legt in seinem 1993 beim Verlag "Politika" in Belgrad erschienenen Buch "Moje viðenje raspada: Vojska bez drzave" (Meine Sicht des Zerfalls: Armee ohne Staat) das militärische Ziel in Kroatien präzise dar: "Die strategische Aufgabe wäre in zwei Phasen umzusetzen: Anfangs müssen einzelne Anschläge auf strategisch wichtige Ziele innerhalb des Landes von serbischen Aufständischen ausgeführt werden, solange Kroatien nicht stärker in die Kampfhandlungen eingebunden ist. Die zweite militärische Aktion wäre eine einmalige Operation, mit der alle Einheiten der kroatischen Armee aufgelöst werden und Kroatien aus der Luft und von der See her blockiert wird. Die Spitzen der angreifenden Kräfte müssen direkt in die Befreiung der serbisch bewohnten Landesteile sowie der Garnisonen der Jugoslawischen Volksarmee eingebunden werden. Bei der Umsetzung dieses Zieles muss Kroatien auf den Linien Gradiska-Virovitica, sowie Bihac-Karlovac-Zagreb, aber auch Knin-Zadar und Mostar-Split in der Verlängerung bis zur slowenischen Grenze zerschnitten werden. Starke Panzerverbände sollen Ostslawonien besetzen. Diese Kräfte sollen sich mit den Verbänden in Westslawonien verbinden und gegen Zagreb vorstoßen. Zur gleichen Zeit sollen starke Verbände auf der Linie Herceg-Novi-Trebinje die Hafenstadt Dubrovnik von jeglichen Verbindungen abschneiden. Vom Land aus sollen sich Verbände der Landstreitkräfte über das Neretva-Tal mit den Truppen, die auf der Linie Mostar-Split kämpfen, verbinden. Nach der Einnahme strategisch wichtiger baulicher Objekte soll die Grenze der Serbischen Krajina gehalten und gesichert werden. Im Zuge dieser Aktivitäten sollen die in Slowenien verbliebenen Einheiten der Volksarmee herausgeführt und danach den in Kroatien operierenden Truppen geholfen werden", legt der heute in Moskau im Exil lebende Ex-General die letztlich nur teilweise realisierten Pläne des Generalstabes offen.8) Mit der Bildung des Nachfolgestaates, der "Bundesrepublik Jugoslawien", am 27. April 1992, wurde auf verfassungsrechtlicher Ebene auch die Jugoslawische Volksarmee aufgelöst. Ein größerer Teil der Verbände wurde in die neue "Armee Serbiens" eingegliedert.

Bei den Kriegshandlungen in Bosnien und Herzegowina spielten Truppen der Volksarmee nur am Anfang eine Rolle. Nach der Auflösung wurden Verbände in die Armee der Serbischen Republik integriert, ebenso in aus Belgrad unterstützte Freischärlerverbände, wie die "Serbische Freiwilligengarde", gegründet von Zeljko Raznatovic, besser bekannt unter dem Namen "Arkan". Seine Truppe, die sich auch "Tiger" nannten, gelangte in den Besitz schwerer Waffen der aufgelösten Volksarmee, wie Panzer, Geschütze und Raketenwerfer. Die geistige Grundlage der Unterwerfung Bosniens war der so genannte "RAM-Plan". Das Wort "Ram" bedeutet auf Serbisch "Rahmen". Dieser strategische Plan sah einen serbischen Siedlungsraum vor, der sich bis in die Krajina erstrecken sollte.

In der Sitzung des Haager Kriegsverbrechertribunals gegen Dusko Tadic am 6. Juni 1996 sagte der Zeuge Jerko Doko, ein bosnischer Kroate, der von Februar 1991 bis August 1992 das Amt des Verteidigungsministers der Republik Bosnien und Herzegowina inne hatte, Folgendes aus: "The substance of the plan was to create a greater Serbia. That RAM was to follow the lines of Virovitica, Karlovac, Karlobag, which we saw confirmed in reality later on with the decision on the withdrawal of the Yugoslav Peoples Army, from Slovenia and partly from Croatia to those positions in Western Slavonia up to Karlovac and south almost to Karlobag.” Question from a member of the court: "Do you know where this RAM plan originated from?” Answer from Jerko Doko: "Well the so-called RAM plan originates from the Serbian Academy of Arts and Sciences, the so-called SANU, where it was drawn up together with the Serbian leadership, with Milosevic and some members of the General Staff of the Yugoslav Peoples Army - normally in strict secrecy."9) Im weiteren Verlauf des Krieges in Bosnien und Herzegowina war die Jugoslawische Volksarmee in rechtlicher und organisatorischer Form dann nicht mehr existent.

Endnoten:

1) CreateSpace Independent Publishing Platform, ISBN-10: 1466496479, ISBN-13: 978-1466496477, 2011.

2) Quelle: Library of Congress, Federal Research Division, Country Studies, http://memory.loc.gov/frd/cs/youtoc.html, 10.9.2013.

3) Quelle: Library of Congress, Federal Research Division, Country Studies, http://memory.loc.gov/frd/cs/youtoc.html, 10.9.2013.

4) Quelle: Library of Congress, Federal Research Division, Country Studies, http://memory.loc.gov/frd/cs/youtoc.html, 10.9.2013, recherchiert und erweitert.

5) 1. Primärquelle: Flere, Sergej: The Broken Coventant of Tito´s People: The Problem of Civil Religion of Communist Yugoslavia, in: East European Politics & Societies 21 (2007), S. 681-703, Sekundärquelle: Sundhaussen, Holm, Jugoslawien und seine Nachfolgestaaten 1943 - 2011, Eine ungewöhnliche Geschichte des Gewöhnlichen, Böhlau Verlag, Wien - Köln - Weimar, 2012, Seite 194.

6) Primärquelle: Crawford, Beverly: Explaining Defection from International Cooperation: Germany´s Unilateral Recognition of Croatia, in: World Politics 48 (1996), 4, S. 482 - 521, hier S. 493, Sekundärquelle: Sundhaussen, op. cit. FN 5, Seite 309.

7) Primärquelle: Vasic, Milos: Atentat na Zorana Djindjica (585), S. 8 ff, zu den "Frankie Boys" des "Frankie" Simatovic vgl. Judah, T.: The Serbs (570), S. 170 ff, Sekundärquelle: Sundhaussen, op. cit. FN 5, Seite 313.

8) Quelle: Veljko Kadijevic, "Moje viðenje raspada:Vojska bez drzave”, str.135, Politika, Beograd, 1993.g. (Veljko Kadijevic, Meine Sicht des Zerfalls: Armee ohne Staat, Verlag Politika, Belgrad 1993, Seite 135).

9) Primärquelle: http://www.icty.org/x/cases//tadic/en/960606IT.htm, S. 2048, Sekundärquelle: Sundhaussen, op. cit. FN 5, Seite 328 f.


Autor: Michael Ellenbogen, MA, BA, Jahrgang 1962. 1979 - 1982 Ausbildung zum Versicherungskaufmann; 1982 bis 1983 GWD; Matura 1987. 1990 bis 2004 an der Universität für Bodenkultur in Wien; seit 1994 freier Journalist für Wiener Zeitung, Raiffeisenzeitung, Salzburger Nachrichten u. v. a; redaktionelle Mitarbeit an diversen ORF- und SAT1-Serien; seit 2008 Verlagslektor bei Carl Gerolds Sohn Verlags-GesmbH. Journalis­tische Auszeichnungen: 2002 - Verleihung des Anerkennungspreises des Österrei- chischen Hilfswerkes für die Serie "Soziale Organisationen in Österreich" in der Wiener Zeitung; 2003 - Verleihung des Journalistenpreises des Österreichischen Hilfswerkes für die Serie "Reportagen über Vereine und Organisationen für Menschen mit besonderen Bedürfnissen in Österreich" in der Wiener Zeitung; 2007 - Auszeichnung der Kroatischen Botschaft für journalistische Tätigkeiten.

Studium der Politikwissenschaften, abgeschlossen Dezember 2010; Universitätslehrgang Interdisziplinäre Balkanstudien, IDM Wien, abgeschlossen Mai 2012.

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