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Im Gespräch: Generalleutnant Holger Kammerhoff

Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr

Das Österreichische Bundesheer hat seit einigen Jahren einen Verbindungsoffizier beim Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam. Aus Anlass der Entsendung eines Verbindungsoffiziers der Deutschen Bundeswehr zum Kommando Internationale Einsätze nach Graz ab dem 1. Jänner 2006 besuchte der Befehlshaber des Einsatzführungskommandos, Generalleutnant Holger Kammerhoff, am 10. Jänner das KdoIE. TRUPPENDIENST nützte diesen Besuch zu einem Interview.

TD: Herr General, die Zusammenarbeit der Deutschen Bundeswehr mit dem Österreichischen Bundesheer hat uns in Auslandseinsätze geführt, die von der Intensität und vom Einsatzraum (Beispiel: Afghanistan) her breiten Bevölkerungskreisen nicht einsichtig sind.

Wie erklärt die Politik in Deutschland, wie erklärt die Bundeswehr den Nutzen solcher Einsätze?

GenLt Kammerhoff: Ich kann hier nicht für die Politik antworten. Die Bundeswehr ist im Rahmen der entsprechenden Missionen eingesetzt, weil sich die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet hat, der UN, der NATO oder der Europäischen Union beizustehen, entweder als Assistenz wie in Afghanistan oder in stabilisierenden Einsätzen wie im Kosovo oder jetzt für die Europäische Union in Bosnien-Herzegowina. Hier hat sich die Politik verpflichtet und setzt die Streitkräfte als Instrument ein, gemeinsam mit den Partnern den Frieden wiederherzustellen und zu sichern.

TD: "Verteidigung am Hindukusch" versus "homeland security".

Wie stellt sich dieser Fragenkomplex aus Ihrer Sicht dar?

GenLt Kammerhoff: Auch in Deutschland haben wir weiterhin die Aufgabe der Landesverteidigung. Diese ist jedoch - ähnlich wird es auch in Österreich sein - nicht mehr in den engen Grenzen der Bundesrepublik zu sehen. Die Bedrohungen haben sich verändert und für uns im multinationalen Verbund der UN, NATO oder EU heißt das eben, Konflikte dort, wo sie entstehen, zu entschärfen oder einzudämmen, damit sie gar nicht erst an unsere Grenzen herangetragen werden.

Bestes Beispiel ist doch der Balkan, mit den Kriegen, die wir dort erlebt haben, mit ihren Flüchtlingsströmen, die dann konkret auch über Österreich und Deutschland hereinbrachen. Und diese Situation wollen wir vermeiden, wenn wir vor Ort mit unseren Truppen ein Land in Stabilität aufbauen helfen. Auf der einen Seite also stabilisierend den Sicherheitsaspekt sicherstellen und auf der anderen Seite jene Kräfte und Institutionen unterstützen, die in diesem Land entstehen müssen. Das heißt demokratische Strukturen aufzubauen, wie es im Kosovo und in Bosnien-Herzegowina zum Teil schon gelungen ist und wie es in Afghanistan mit der Regierung Karsai auf gutem Wege und unser Ziel ist.

TD: Herr General, Sie waren von Oktober 2003 bis September 2004 COMKFOR. Die Deutsche Bundeswehr und das Österreichische Bundesheer verbindet dort eine interessante Zusammenarbeit. In der deutschen Brigade ist eine österreichische bataillonsstarke Task Force mit einer deutschen Kompanie eingegliedert.

Wie sind Sie mit dieser Kooperation zufrieden?

GenLt Kammerhoff: Ganz ausgezeichnet. Die Zusammenarbeit zwischen Österreichern und Deutschen läuft problemlos. Wir sprechen die gleiche Sprache, verstehen uns über alle Dienstgradgruppen hinweg und es ist sehr einfach, sich auf eine bestimmte Zielsetzung zu einigen. Integration, Ausbildung und Verständnis der Mission sind ohne Probleme vor Ort. Es hat zu meiner Zeit als COMKFOR immer wieder deutliche Beispiele dieser exzellenten Zusammenarbeit gegeben. Das geht bis hin zu den Aufgaben, die im Kosovo im CIMIC-Bereich gesehen wurden.

Ich denke, wir haben hier eine gute Tradition, die schon in Bosnien-Herzegowina bei IFOR mit der BELUGA-Group begann. Gerade zuletzt in Afghanistan erzielten wir mit den österreichischen Verstärkungskräften für die Wahlen wieder ein positives Ergebnis in dieser Zusammenarbeit zum Wohle des Aufbaues des Landes. Denn diese Wahlen - ein Erfolg an sich - sind ohne größere Probleme über die Bühne gegangen, und dies war natürlich auch ein Beitrag der österreichischen Kameraden vor Ort.

TD: Bleiben wir noch im Bereich des Balkan. In Ihre Zeit als COMKFOR fiel auch die spannungsgeladene Periode der so genannten März-Unruhen 2004.

Wie verarbeitet die Deutsche Bundeswehr solche "lessons learned" und wie fließen diese in die Ausbildung und die Einsatzvorbereitung ein?

GenLt Kammerhoff: Es gab und gibt eine Auswertung auf zwei Ebenen, international und national. Ich war ja nicht der nationale Kommandeur, sondern der NATO-Oberbefehlshaber dort. Die NATO hat natürlich sehr schnell diese Ereignisse ausgewertet und auch die Lehren daraus gezogen, die da z. B. sind, dass man sich über die Handhabung der Rules of Engagement einigen muss, damit es zu keinen Überraschungen für den verantwortlichen Kommandeur kommen kann. Ein Punkt ist, dass man dann auch das Spektrum der Deeskalation und Eskalation in Form der nichtletalen Waffen erweitert hat. Das beginnt bei der Anwendung von Tränengas bis hin zum Einsatz von Gummigeschoßen, bevor es dann zum Schusswaffeneinsatz kommt. Es war sicher auch eine Erkenntnis, dass nach dem Warnschuss noch etwas kommen muss, um einen Mob, der dann morden und brandschatzen will, zu stoppen.

All diese Erfahrungen sind in die nationalen Ausbildungsvorbereitungen für die Bundeswehr eingeflossen, sowohl in den Ausbildungszentren, Gefechtsübungszentren, aber auch in der Infantrie-Schule in Hammelburg. Die Truppenteile, die die Kontingente stellen, sind auch für diese Vorbereitung zuständig. Nach den jeweiligen Einsätzen werden die Kommandeure zusammengezogen und geben ihre Erfahrungen weiter. Das geschieht also auf mehreren Ebenen und in der Zwischenzeit haben auch alle zuständigen Stellen ihre Lehren daraus gezogen. Aber ich warne auch davor, dass man sich jetzt zurücklehnt und sagt: "Das war’s". Man muss immer wieder neu beginnen, immer wieder deutlich machen, dass man sich in der Ausbildung auf diese Dinge ("worst case") einstellt, in der Hoffnung, dass sie nicht eintreten. Aber die Truppe darf nicht überrascht werden, wie das im März 2004 geschah.

Und wir müssen in der Aufklärung besser werden. Das ist auch eine Erkenntnis aus den Märzunruhen. Denn damals ist ja nichts dieser Art vorhergesagt worden. Wir brauchen also mehr Intelligence, Augen und Ohren im Land, um zu erkennen, wo und wann so etwas entsteht oder entstehen könnte, um rechtzeitig Vorkehrungen treffen zu können.

Eine weitere Erkenntnis ist, dass wir weiterhin Truppen benötigen, die dann als Reserven ("Over the Horizon Forces") in den Einsatz geschickt werden können. In den Märzunruhen waren das vier Bataillone plus SFOR-Reserven, die innerhalb von 24 bis 72 Stunden im Kosovo einsatzbereit eingetroffen sind.

TD: Solche "lessons learned" sind natürlich immer wieder Gegenstand von gemeinsamen Übungen. Zuletzt fand im Dezember des vergangenen Jahres - auch unter Beteiligung von Kräften der Bundeswehr - die "DISPUTE 05" statt. Dabei wurden die nationalen Kontingente bis hinunter auf die Kompanieebene vermischt.

Wie riskant ist eine solche Vermischung in eskalierenden Einsätzen, wie im März 2004?

GenLt Kammerhoff: Grundsätzlich ist Multinationalität sehr wichtig, weil es darum geht, dass Partner gemeinsam Verantwortung tragen zur Herstellung von Frieden und Sicherheit. Auch deswegen, dass der Einsatz eine Mission ist, die nicht nur von einem Land kommt, sondern von vielen. Das heißt, nicht nur eine Nation tritt auf und wird dann vielleicht verantwortlich gemacht für das eine oder andere, das sie auch gegen die Bevölkerung durchsetzen muss, sondern es ist die gesamte Allianz einschließlich jener Nationen, die sich an dieser Operation beteiligen.

Wenn sich die Lage ändert und eine Reaktion erfordert, die dann vielleicht notwendigerweise zum Waffeneinsatz führt, dann machen sich allerdings Sprachprobleme, unterschiedliche Ausbildung, die unterschiedlichen Waffensysteme, ein unterschiedliches Rechtsverständnis usw. bemerkbar. Dann zeigt sich, dass man ein Risiko eingeht, wenn man zu weit nach unten multinationalisiert. Persönlich bin ich der Meinung, dass es im Fall notwendiger Reaktionen mit Waffeneinsatz keine Multinationalisierung unterhalb der Kompanie, besser unterhalb des Bataillons, geben sollte. Ich kann mir das eben nur dort erlauben, wo ich nach allen vorliegenden Informationen davon ausgehen kann, dass ein solcher Einsatz sehr unwahrscheinlich ist. Ich sehe z. B. bei EUFOR eine Lage, in der man sich das erlauben kann.

Bei Truppenteilen, die in einen Waffeneinsatz gehen, sehe ich weniger Probleme, wenn die gleiche Sprache gesprochen wird. Hier haben wir natürlich den Vorteil, dass wir uns mit unseren österreichischen Kameraden gut verstehen. Da können Kommandos schnell in Maßnahmen umgesetzt werden, weil das Verständnis von den Definitionen und in der Umsetzung von vornherein vorhanden ist.

Man muss sich also immer rechtzeitig überlegen, ob man sich Integrationsmaßnahmen mit kleineren Kontingenten erlauben kann. Das ist manchmal möglich, es gibt jedoch Aufgaben und Situationen in unseren Einsätzen, wo man das tunlichst unterlässt, um zu vermeiden, dass es zu Verlusten kommt.

___________________________________ __________________________________ Zur Person: Generalleutnant Holger Kammerhoff geboren am 05. März 1945 in St. Andreasberg/Harz 1965 Eintritt in die Bundeswehr. Nach der Ausbildung zum Offizier Zugführer und Kompaniechef.

1976-1978 Generalstabsausbildung an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. Im Anschluss daran G4, danach G3 der Panzerbrigade 8 in Lüneburg.

1981-1983 Verwendung als Referent im Führungsstab des Heeres im BMVg.

1983-1986 Kommandeur des Panzergrenadierbataillons 302 in Ellwangen. Im Anschluss G3-Stabsoffizier im Hauptquartier der Central Army Group (CENTAG) in Heidelberg.

1988-1990 Chef des Stabes der 3. Panzerdivision in Buxtehude.

1991 Teilnahme am Higher Command and Staff Course, Camberley, UK.

1991-1992 Verwendung im BMVg als Referatsleiter Fü H III 1 Militärpolitik und Operationsführung des Heeres.

1992-1995 Kommandeur der Gebirgsjägerbrigade 23 in Bad Reichenhall.

1993-1994 Kommandeur und Nationaler Befehlshaber 2. Kontingent UNOSOM in Somalia.

1995 Abteilungsleiter und General Ausbildung und Erziehung im Heeresamt in Köln.

1996 Stellvertretender Chef des Stabes Allied Command Europe Rapid Reaction Corps (ARRC).

1996 Kommandeur des IFOR-Hauptquartiers in Kroatien (COMMZ/Fwd) während der NATO-Mission in Bosnien-Herzegowina.

1998-1999 Kommandeur 5. Panzerdivision und Befehlshaber Wehrbereichskommando IV in Mainz.

1999-2001 Assistant Director im Internationalen Militärstab der NATO in Brüssel, Leiter der Operationsabteilung im NATO-Hauptquartier.

2001-2002 Kommandierender General des Eurokorps in Straßburg, Frankreich.

2003-2004 Kommandierender General COMKFOR vom 3. Oktober 2003 bis zum 1. September 2004.

Seit dem 16. September 2004 Befehlshaber Einsatzführungskommando der Bundeswehr.

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