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Verhandlungskompetenz

Wir verhandeln öfter, als es uns bewusst ist

"Ob Sie wollen oder nicht, immer wieder müssen Sie verhandeln. Verhandeln ist Bestandteil unseres Lebens" - so lauten die einleitenden Worte eines Klassikers der Verhandlungstechnik, des Harvard-Konzeptes. Verhandeln ist eine unserer häufigsten kommunikativen Aktivitäten, sowohl beruflich als auch privat. Fast täglich sind wir mit Situationen konfrontiert, in denen sich bei genauerer Betrachtung Handeln als "Ver-Handeln" ausmachen lässt.

Die folgenden Ausführungen weisen auf einige wichtige Grundsätze des Verhandelns hin und informieren darüber, welche Voraussetzungen für eine erfolgreiche Verhandlung erforderlich sind. Trotzdem ist der Hinweis angebracht, dass die Kenntnis der Verhandlungstheorie alleine nicht ausreichend ist, um ein guter Verhandlungsführer zu werden - dies kann nur durch Trainieren und Üben, zuerst unter Anleitung und danach selbstständig, erzielt werden.

Gezielt geplante Verhandlungsgespräche gewinnen sowohl im beruflichen als auch privaten Bereich immer mehr an Bedeutung. Das Anwendungsspektrum ist groß: von Verhandlungssituationen während einer "Familienkonferenz" über geschäftliche oder politische Verhandlungen, das Führen von Mitarbeitergesprächen bis hin zu Verhandlungen im Rahmen komplexer Interessenkonflikte.

Aufgrund neuer Anforderungen an das Berufsbild des Offiziers als Führungskraft vor dem Hintergrund der sich ändernden Einsatzbedingungen von Streitkräften stellt das Beherrschen von Verhandlungstechniken eine wichtige Fähigkeit des Offiziers dar. So werden für einen Konfliktmanager neben den militärischen vermehrt auch kommunikative und soziale Anforderungen im täglichen Dienstbetrieb und im Rahmen internationaler Einsätze zum Tragen kommen. Verhandlungen erfolgreich führen zu können, erfordert daher neben der Führungs- und Managementkompetenz auch Kommunikations- und Sozialkompetenz, welche für erfolgreiche Führungskräfte und deren Wirken in Organisationen vorauszusetzen sind. Diesem Umstand tragen zivile Unternehmen schon lange Rechnung, indem sie ihre Manager im effizienten Führen von Verhandlungen speziell ausbilden lassen.

Auch die Bundesheerreformkommission hat in ihrem Endbericht die Wichtigkeit und Bedeutung des Verhandelns hervorgehoben: "Die im Einsatzraum erforderlichen Fähigkeiten beziehen sich insbesondere auf die Entwicklung kulturbezogener Sensibilität, Verhandlungskompetenz (Bericht der Bundesheerreformkommission, S. 120). Es erscheint daher sinnvoll, sich mit diesem Thema auch im Rahmen der Ausbildung von Führungskräften im Österreichischen Bundesheer auseinander zu setzen.

Der Klassiker und mittlerweile Bestseller der Verhandlungstechnik ist sicherlich das eingangs erwähnte Harvard-Konzept (Fisher, R./Ury, W./Patton, B.: Das Harvard-Konzept - Der Klassiker der Verhandlungstechnik, Frankfurt/New York: Campus Verlag, 22. Auflage, 2004). Dieses Konzept zog nicht nur die Aufmerksamkeit akademischer Kreise auf sich, sondern fand auch Anerkennung bei Praktikern aus den verschiedensten Bereichen. Die Autoren, Roger Fisher (emeritierter Professor der Rechtswissenschaft an der Harvard Law School und Direktor des Harvard Negotiation Project), William Ury (Berater und Schriftsteller sowie stellvertretender Direktor des Harvard Negotiation Project) und Bruce Batton (Dozent an der Harvard Law School und stellvertretender Leiter des Harvard Negotiation Project) haben mit Hilfe ihres jeweiligen wissenschaftlichen Hintergrundes und durch langjährige und umfassende Zusammenarbeit mit Praktikern eine Methode entwickelt, mit der Einigungen auf Basis einer "Win-Win-Situation", also einer Situation zum beiderseitigen Vorteil, erzielt werden können.

Mittlerweile haben sich auch andere Wissenschafter, Autoren und Trainer intensiv mit dem Thema Verhandeln befasst und neue Modelle, oft in Anlehnung an das Harvard-Konzept, entwickelt.

Das Verhandlungsdilemma

Verhandlungsführer befinden sich oft in einem Dilemma. Sie kennen meist nur zwei Verhandlungsarten: die harte oder die weiche Vorgehensweise. "Weiche" Verhandlungsführer sind bestrebt, Konflikte mit dem Verhandlungspartner zu vermeiden und eine primär friedliche Lösung zu suchen. Sie sind daher eher dazu geneigt, Zugeständnisse zu machen, um eine Übereinkunft zu erzielen. Der "harte" Verhandler wiederum betrachtet jede Situation als einen "Willenskampf". Das Einnehmen einer extremen Position steht im Vordergrund. Dies führt oft dazu, dass er eine ebenso harte Antwort erhält, seine Mittel bald erschöpft sind und die Beziehung zum Verhandlungspartner in Mitleidenschaft gezogen wird. Andere Standardstrategien bei Verhandlungen bewegen sich zwischen hart und weich, aber alle suchen nach Kompromissen: einerseits soll das Gewünschte erreicht, andererseits die Beziehung zu den Menschen nicht zerstört werden. Durch dieses Verhalten des Verhandlers entwickelt sich die Verhandlung oft in Richtung "Win-Loose"- oder "Basarverfahren", einer Situation des Feilschens. Dadurch entsteht für beide Seiten eine Kampfsituation, die wenig Chancen für eine gütliche Einigung zulässt.

Der dritte Weg - das "sachbezogene Verhandeln"

Der dritte Weg, der bei Verhandlungen eingeschlagen und weder als hart noch als weich bezeichnet werden kann, ist jener des "sachbezogenen Verhandelns". Die Kernidee dieser Methode ist, Streitfragen und Verhandlungen besser nach ihrer Bedeutung und ihrem Sachgehalt zu beurteilen, als in einen Prozess des Feilschens um Positionen zu verfallen. Die Methode des "sachbezogenen Verhandelns" ist hart in der Sache, aber weich gegenüber den Menschen. Es ermöglicht faires Verhalten und bietet Schutz gegenüber jenen, die Fairness ausnutzen wollen.

Grundaspekte des "sachbezogenen Verhandelns"

Das Harvard-Konzept des "sachbezogenen Verhandelns" beruht im Wesentlichen auf vier Grundaspekten: - Menschen und Probleme getrennt voneinander behandeln; - nicht Positionen, sondern Interessen in den Mittelpunkt stellen; - vor der Entscheidung verschiedene Wahlmöglichkeiten entwickeln; - das Ergebnis auf objektiven Entscheidungsprinzipien aufbauen.

Menschen und Probleme getrennt voneinander behandeln

Ob es sich nun um eine eher unbedeutende Auseinandersetzung mit Verhandlungscharakter handelt oder aber um eine internationale Verhandlung mit politischen Konsequenzen - beiden liegt zugrunde, dass die Verhandlungspartner nicht abstrakte Gestalten, sondern Menschen sind. Sie werden von Emotionen und tief verwurzelten Werten geleitet und sind von ihrem Umfeld, ihrer Kultur und ihren Interessen geprägt. Sie stammen aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen, vertreten gegensätzliche Standpunkte und sind selten berechenbar.

Darüber hinaus wird der zwischenmenschliche kommunikative Aspekt weit unterschätzt, da Gesprächspartner meist davon ausgehen, in ihren Ausführungen klar und deutlich gewesen zu sein und damit genug für die Verständigung getan zu haben. Ist aber der Verständigungsprozess zum Beispiel durch emotionale Erregungszustände eines oder gar beider Verhandlungspartner verzerrt, sind Missverständnisse im weiteren Gesprächsverlauf vorprogrammiert. Missverständnisse provozieren Vorurteile und Reaktionen, die wiederum Gegenreaktionen auslösen. Ein endloser Kreislauf beginnt und die Verhandlungen sind dadurch meist zum Scheitern verurteilt.

Ein zutiefst menschliches Grundproblem beim Verhandeln besteht auch darin, dass persönliche Beziehungen zwischen den Verhandlungspartnern mit sachlichen Problemstellungen verknüpft werden. Sachliche Feststellungen werden von der Gegenseite allzu oft als persönlicher Angriff gewertet und erschweren so massiv eine weitere sachbezogene Gesprächsführung.

Mit Sachproblemen umzugehen, gleichzeitig eine gute Beziehung aufrecht zu halten und beide voneinander konfliktarm trennen zu können, sollte eines der vorrangigen Ziele eines Verhandlungstrainings sein. Durch nicht-zweideutige Kommunikation und genaues Ansprechen der Vorstellungen und Emotionen kann es gelingen, die "Sache" im Auge zu behalten und dabei die Beziehung nicht zu belasten.

Nicht Positionen, sondern Interessen in den Mittelpunkt stellen

Das Beispiel der ägyptisch-israelischen Friedensverhandlungen in Camp David 1978 zeigt auf, wie nützlich ein Blick hinter Positionen sein kann. Dabei soll auch auf ein weiteres Hauptproblem und gleichzeitig auf eine Schlüsselchance in der Verhandlungsführung hingewiesen werden.

Israel hielt die ägyptische Sinai-Halbinsel seit dem Sechstage-Krieg von 1967 besetzt. Bei den Friedensverhandlungen wurde klar, dass die Positionen der beiden Staaten unvereinbar waren. Während Israel darauf bestand, den Sinai besetzt zu halten, forderte Ägypten die Rückgabe der Halbinsel. Erst als man sich auf die Interessen beider Staaten zugleich konzentrierte, zeichnete sich eine gemeinsame Lösung ab. Israels Interessen bestanden darin, den Einsatz ägyptischer Truppen an seinen Grenzen zu verhindern, während die ägyptischen Interessen der Wiederherstellung der vollen Souveränität galten. Der Plan und schließlich die Einigung zwischen den beiden Staaten bestanden darin, den Sinai an Ägypten zurückzugeben und gleichzeitig durch eine weiträumige Entmilitarisierung dem Sicherheitsbedürfnis Israels Rechnung zu tragen.

Es ist wesentlich einfacher, Interessen zur Übereinstimmung zu bringen als Positionen. Daher lohnt es sich, hinter die Positionen des Verhandlungspartners zu blicken und nach den treibenden Interessen zu suchen. Diese Suche eröffnet darüber hinaus meist mehrere Möglichkeiten, um die Interessen des Gegenübers zu berücksichtigen bzw. sie mit den eigenen in Einklang zu bringen. Die Entwicklung von Empathie (Einfühlungsvermögen), die Anwendung richtiger Fragetechniken und das Erkennen menschlicher Grundbedürfnisse sind erforderliche Parameter, um hinter die Positionen blicken zu können. Dies ist die Kunst, die es im praktischen Training zu erlernen gilt.

Vor der Entscheidung verschiedene Wahlmöglichkeiten entwickeln

So wie das militärische Führungsverfahren die Entwicklung von Möglichkeiten vorsieht, so ist es auch beim Verhandeln äußerst nützlich, sich nicht nur auf eine Möglichkeit zu konzen-trieren. Bei den meisten Verhandlungen stehen der Entwicklung von Möglichkeiten vier Hindernisse entgegen: - ein vorschnelles Urteil; - die Suche nach der "richtigen" Lösung; - die Annahme, dass der "Kuchen" begrenzt sei; - die Vorstellung, dass die Gegenseite ihre Probleme selbst zu lösen habe.

Unter dem Druck einer bevorstehenden Verhandlung sind die Sinne der Verhandlungspartner geschärfter als sonst. Ein übertrieben kritischer Sinn und ein vorschnelles Urteil schaden aber oft der Erfindungskraft und behindern den Einfallsreichtum. Ebenso erschwert die Inanspruchnahme der "einzigen" oder "besten" Lösung die Suche nach weiteren Optionen wesentlich. Diese Handlungsweise engt sowohl den eigenen, als auch den Spielraum des Verhandlungspartners ein. Der Vorstellung einer einzigen Entscheidung soll daher bereits in der Vorbereitungsphase entgegengewirkt werden. Zudem ist der Verhandlungsspielraum während der Verhandlung durch Hinzufügen weiterer Möglichkeiten ständig zu erweitern. Ein Grund dafür, dass oft wenige gute Wahlmöglichkeiten entwickelt werden, ist das Verfallen in die "Entweder-oder-Situation". Entweder bekommt die eine Seite das Fragliche oder die andere.

Ein weiteres großes Hindernis in der Entwicklung von Optionen ist die ausschließliche Beschäftigung mit den eigenen Interessen. Oft herrscht ein Widerwille dagegen, die Legitimität des anderen Standpunktes anzuerkennen. Dies führt dazu, dass der Verhandlungspartner auch in seiner Position verharrt und seinerseits wiederum nur einseitige Argumente und Lösungsvorschläge anzubieten hat. Eine Verbesserung der Verhandlungssituation wird daher nur dann eintreten, wenn die beteiligten Parteien daran arbeiten, die Zahl der Optionen zu vermehren, nach Vorteilen für alle zu suchen und Vorschläge zu entwickeln, die dem Verhandlungspartner die Entscheidungsfindung erleichtern.

Das Ergebnis auf objektiven Entscheidungsprinzipien aufbauen

Faire Resultate sind dadurch erreichbar, dass objektive und unabhängige Kriterien in die Verhandlung miteinbezogen werden. Das Einbringen dieser Kriterien kann eine effektive Gesprächsführung wesentlich unterstützen und verhindert ein Abgleiten in starre Positionen. Üblicherweise werden mehrere Kriterien ins Spiel gebracht, die in der Vorbereitungsphase durchdacht und am Beginn der Verhandlung mit dem Verhandlungspartner besprochen werden sollten.

Im Idealfall sind objektive Kriterien beiden Parteien von gleichem Nutzen, praktisch umsetzbar und - falls notwendig - gesetzlich legitimiert. Solche Kriterien können zum Beispiel sein: Marktwert, frühere Vergleichsfälle und Vereinbarungen, Gutachten, Bescheinigungen von Sachverständigen, Gerichtsurteile etc. Sollte eine Partei andere objektive Kriterien vorschlagen, so ist es sinnvoll, darüber zu diskutieren. Die Existenz eines legitimen Kriteriums schließt nämlich nicht aus, dass es auch noch weitere gibt.

Der Nutzen für militärische Führungskräfte

Der fortwährende Kampf um Positionen, um eigene Vorteile, das Negieren und Ignorieren anderer Standpunkte, der Versuch, ständig die Oberhand zu gewinnen, das Vermischen von Beziehungs- und Sachproblemen und noch einiges mehr sind Faktoren, die während einer Verhandlung das Zustandekommen eines Ergebnisses zum beiderseitigen Vorteil maßgeblich erschweren, mitunter sogar zunichte machen. Das "sachbezogene Verhandeln" dagegen schützt vor diesen negativen Einflussfaktoren und vergrößert die Chancen für eine gütliche Einigung.

Die Grundsätze des "sachbezogenen Verhandelns" theoretisch zu verstehen und praktisch anwenden zu können, bedeutet gerade für militärische Führungskräfte, in zukünftigen Konfliktszenarien ein zusätzliches Instrument der Krisenbewältigung - falls erforderlich - einsetzen zu können. "Sachbezogenes Verhandeln" erweitert aber nicht nur die eigenen Führungs- und Managementkompetenzen, sondern wirkt sich auch kommunikationsfördernd auf den täglichen Umgang mit Menschen im Allgemeinen und Mitarbeitern im Speziellen aus. Das Erkennen und Anwenden der positiv wirkenden Einflussfaktoren des "sachbezogenen Verhandelns" sind daher auch Garant für die Weiterentwicklung kommunikativer und sozialer Kompetenz.

___________________________________ __________________________________ Autor: Oberstleutnant dhmfD Mag. Oliver Dengg, Jahrgang 1962. 1985 Ausmusterung als Infanterieoffizier zum Landwehrstammregiment 52. Funktionen als Ausbildungsoffizier und Kompaniekommandant. 1990 bis 2003 Verwendung beim Heeresnachrichtenamt. 1999 bis 2002 Studium der Publizistik und Kommunikationswissenschaften an der Universität Klagenfurt. Seit 2003 Forscher und Hauptlehroffizier an der Landesverteidigungsakademie Wien, am Institut für Human- und Sozialwissenschaften. Beschäftigung unter anderem mit Interpersonaler Kommunikation, insbesondere mit Verhandlungstechniken in Theorie und Praxis.

Fragen, Feedback und Kommentare zum Thema Verhandeln werden (unter oliver.dengg@bmlv.gv.at) gerne entgegengenommen.

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