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Eine Gebirgstruppe für Montenegro

Das Bundesheer hilft bei Aufbau und Ausbildung

Im Jahre 2008 erhielt die Heerestruppenschule den Auftrag, eine Machbarkeitsstudie zur Unterstützung der montenegrinischen Streitkräfte zu erstellen. Österreichische Leistungen waren und sind in Montenegro vor allem bei der Aufstellung eines Gebirgsjägerbataillons gefragt.

Hiezu wurden zunächst eine zeitlich begrenzte Projektorganisation eingerichtet und im ersten Schritt Basismaterial aufbereitet. Während des ersten Besuches im April 2008 in Montenegro wurde die weitere Vorgangsweise mit den montenegrinischen Entscheidungsträgern abgestimmt. Dabei ergab sich bereits die Notwendigkeit einer unmittelbaren Beratung (Kasernenstandort, Gebirgskampfanlagen), um sicherzustellen, dass mögliche Vorentscheidungen in Montenegro im Sinne eines erfolgversprechenden Gesamtansatzes getroffen werden können. Der Verfasser dieses Beitrages reiste als Projektbeauftragter im Sommer 2008 mehrmals nach Montenegro, um dort weiteres Basismaterial zu sammeln, aufzubereiten und darüber hinaus Angehörige der montenegrinischen Streitkräfte vor Ort fachlich zu beraten.

Rahmenbedingungen und besondere Gefahren

Montenegro ist - verglichen mit anderen europäischen Ländern - relativ dünn besiedelt. Das Gebirgsland (Gebirgsanteil 90 Prozent) liegt im südöstlichen Teil der Dinariden. Seine Küste (Adria) fällt steil ab und wird durch Buchten (z. B. die Bucht von Kotor) zergliedert. Im Norden Montenegros befinden sich die höchsten Erhebungen des Landes sowie der gesamten Dinariden (bis ca. 2 500 m): die Hochgebirgsmassive des Prokletije und des Durmitor.

Die hohen und steilen Dinariden bestehen größtenteils aus Kalkstein und sind stark verkarstet, am stärksten in Montenegro. Der montenegrinisch-nordalbanische Raum ist die am deutlichsten ausgeprägte Hochgebirgsregion der Balkanhalbinsel.

Charakteristisch für das Land ist der Wechsel von Tiefebenen und Hochebenen mit entsprechenden Steilabbrüchen (bis zu 1 000 Höhenmetern) sowie unzähligen sehr tiefen und engen Schluchten. Als besondere Erscheinungen des dinarischen Karstes prägen tausende Höhlen mit teilweise gigantischen Ausmaßen (zum Teil Wasser führend oder vereist) die Landschaft, darunter senkrecht verlaufende Höhlen, die so genannten Schachtdolinen. Ihre Tiefe reicht von wenigen Metern bis zu ca. einem Kilometer. Im bewaldeten Bereich sind viele dieser Schächte dünn überwachsen. Im Winter verschließt die Schneedecke die meisten Schächte, jedoch oft nur sehr oberflächlich. Es besteht - ähnlich wie auf Gletschern - eine latente Einbruchgefahr.

Eine weitere typische Karsterscheinung sind Karren, das sind durch Wasserlösung und Verwitterung entstandene Felsformen und Hohlräume. Ein großer Teil des Landes ist davon geprägt. So genannte Kluftkarren können mehrere Meter Tiefe erreichen.

Aufgrund der Schachtdolinen und Karren ist die Verletzungsgefahr für Gebirgssoldaten groß. Besondere Umsicht bei der Wegewahl und Ausnützung des Geländes ist geboten. Das vorhandene Kartenmaterial ist sehr ungenau oder veraltet. Wegen des relativ unwegsamen Geländes und der schlechten Straßen, Wege und Steige sind bei Weg-Zeit-Berechnungen erfahrungsgemäß mindestens 50 Prozent Aufschlag einzurechnen.

Ebenfalls gefährlich für Gebirgssoldaten - insbesondere bei der Ausbildung und bei Übungen im Freien - sind z. B.

  • einige Fledermausarten, die sich im Bereich von Klüften und Höhlen aufhalten und durch Bisse Tollwut übertragen können, sowie
  • Hornottern, die in manchen Gebieten (z. B. im Durmitor) massenweise vorkommen. Sie sind kräftig gebaute, bis zu 110 Zentimeter lange Vipern mit sehr starkem Gift, das vor allem bei Kindern oder geschwächten Personen zum Tod führen kann. Im Raum Vrela-Rasova (dort befindet sich die Gebirgskampfanlage Zug) wurden auf einer nur ca. zwei Quadratmeter großen Karststeinplatte zehn Exemplare gezählt. Der durchlöcherte dinarische Kalk ermöglicht das Vorkommen dieser Schlangen auch im steilsten Gelände (z. B. in Felswänden).

Die Schlangengefahr müssen die Gebirgssoldaten bei allen Bewegungen (Marschieren, Greifen, Klettern, Bohren usw.) beachten. Die montenegrinischen Streitkräfte weisen zwar auf die Gefahr hin, haben aber offensichtlich kein Schlangenserum vor Ort zur Verfügung, und der Transport zur Erstversorgung kann unter Umständen sehr lange dauern. Erst mit Beginn der kalten Jahreszeit nimmt die Schlangengefahr ab.

Die Niederschlagsmengen sind enorm, zwei bis drei Meter Schneehöhe sind im winterlichen Durmitormassiv keine Seltenheit. Ansonsten ähneln die Gebirgsverhältnisse denen in Österreich.

Ein Gebirgsjägerbataillon soll entstehen

Im Rahmen des euro-atlantischen Integrationsprozesses wollen die montenegrinischen Streitkräfte in den Bereichen Erziehung, Ausrüstung und Ausbildung für friedenserhaltende Operationen bis zum Jahre 2010 weitgehend die Interoperabilität zur Teilnahme an multinationalen Einsätzen erreichen. Geplant ist ein aus ca. 2 400 Personen bestehendes Berufsheer nach folgendem Aufteilungsschlüssel:

  • 75 Prozent Landstreitkräfte mit den Hauptaufgaben Verteidigung, Terrorabwehr, Unterstützung bei der globalen Terrorismusbekämpfung, Teilnahme an friedenserhaltenden Operationen sowie Unterstützung der nationalen Polizei;
  • 17 Prozent Seestreitkräfte mit den Hauptaufgaben Aufklärung, Verteidigung, Suchen und Retten (SAR), Unterstützung der Küstenwache sowie internationale Kooperation in der Adria;
  • Acht Prozent Luftstreitkräfte (ohne Kampfflugzeuge), ausgestattet mit Mehrzweckhubschraubern vor allem zur Führung, zur Luftaufklärung, zum Transport, zur Evakuierung, zum Suchen und Retten (SAR) sowie zur Unterstützung der Küstenwache und Polizei.

Der angestrebte Personalschlüssel liegt bei 17 Prozent Offizieren, 37 Prozent Unteroffizieren, 33 Prozent Zeitsoldaten und 13 Prozent zivilen Bediensteten.

Bei den Landstreitkräften ist eine Brigade für Spezielle Operationen (Special Operations Brigade) mit folgenden Elementen geplant (bzw. bereits zum Teil aufgestellt):

  • ein Zug Militärpolizei;
  • ein ABC-Abwehrzug;
  • ein Fernmeldezug;
  • eine Pionierkompanie;
  • eine Schwadron Marine-Spezialkräfte;
  • ein Antiterrorbataillon mit ca. 250 Soldaten;
  • ein Gebirgsjägerbataillon (Mountain Battalion) mit ca. 250 Soldaten.

Das Gebirgsjägerbataillon soll unter der Beratung bzw. Betreuung des Österreichischen Bundesheeres aufwachsen. Der Bedarf an Gebirgsjägern leitet sich vor allem aus dem bereits erwähnten hohen Gebirgsanteil Montenegros ab. Mit ihrer Stärke von jeweils ca. 250 Soldaten entsprechen die montenegrinischen Bataillone der Größe nach eher österreichischen Einsatzkompanien.

Was das Bataillon leisten soll

Die montenegrinischen Streitkräfte stehen am Beginn eines sehr ambitionierten Vorhabens. Nach den Vorstellungen der montenegrinischen Führung soll das Gebirgsjägerbataillon (als Teil der Brigade für Spezielle Operationen) vor allem in den Gebirgsregionen folgende Aufgaben erfüllen:

  • Beurteilung der Gebirgslage (generell);
  • Terrorabwehr und Terrorismusbekämpfung;
  • Bekämpfung von Sabotage zu Land und zu Wasser;
  • Auftragserfüllung in den Einsatzarten (Verteidigung, Angriff, …);
  • Teilnahme an friedensunterstützenden Einsätzen im Rahmen der internationalen Organisationen;
  • Katastrophenhilfe und Katastrophenschutz.

Gerade der Bereich Gebirgs- und Winterkampf, sowie der Gebirgsdienst hat in Montenegro keine Tradition. Die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges wurden kaum weitergegeben, und die Gebirgstruppen der ehemaligen Jugoslawischen Volksarmee waren vor allem in Slowenien stationiert. Während der Balkan-Kriege beschränkten sich die Kampfhandlungen montenegrinischer Truppen auf einzelne Kommandoaktionen und die Einkesselung bzw. die Beschießung von Dubrovnik.

Die Mitwirkung des Bundesheeres

Die international anerkannten Kompetenzen des Österreichischen Bundesheeres im Bereich Gebirgs- und Winterkampf werden von den montenegrinischen Verantwortlichen besonders hoch geschätzt. Der Auftrag, Montenegro bei der Aufstellung des Gebirgsjägerbataillons zu unterstützen, erging auf Basis des Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses (eine Initiative der EU) nach Sondierungsgesprächen des Bundesministeriums für Landesverteidigung (2007), dem Einsatz des österreichischen Verteidigungsattachés in Zusammenarbeit mit dem österreichischen Botschafter sowie nach ersten Erfahrungen montenegrinischer Soldaten mit der österreichischen Gebirgskampfausbildung.

Die entsandten Österreicher (Angehörige der Heerestruppenschule, des Gebirgskampfzentrums, des Heeresbau- und Vermessungsamtes West und der Attachéabteilung) wurden in Montenegro mit überschwänglicher Gastfreundschaft empfangen.

Im Zuge der Erkundung vor Ort erfolgte oder begann bereits

  • die Beratung hinsichtlich der Gliederung, der Ausbildungsstruktur, des Ausbildungsgeländes, des Standortes sowie der Bewaffnung und Ausrüstung,
  • die Vermessung von Liegenschaften,
  • die Ausbildung von montenegrinischen Soldaten vor Ort,
  • die Überlassung von Ausbildungsbehelfen,
  • die Errichtung einer "Gebirgskampfanlage Zug" bei Vrela-Rasova mit einer Schrägseilbahn zum Überwinden von Schluchten, zwei leicht begehbaren Seilgeländern, einem mittelschwer begehbaren Seilgeländer, zwei mittelschweren Abseilstellen sowie vier Abseilstellen bzw. Stellen zum leichten Klettern (Schwierigkeitsgrad II bis III gemäß der Union International des Associations d´ Alpinisme; ab UIAA II ist die so genannte Drei-Punkt-Haltung - also drei Gliedmaßen am Felsen - erforderlich, bei UIAA III ist bereits eine Zwischensicherung empfehlenswert, und für senkrechte Stellen braucht der Kletterer Kraft; geübte, erfahrene Alpinisten können UIAA III-Passagen jedoch noch ohne Seilsicherung durchklettern).

Eine Gebirgskampfanlage ist ein Klettergarten für Soldaten mit wesentlich mehr Möglichkeiten als bei zivilen Anlagen, darunter das Überwinden von Schluchten und Gebirgsgewässern, das Begehen von Höhlen sowie Scharfschießen und Stellungsbau im Gebirge. Mehrere Gesteinsarten und Bewuchsformen müssen vorhanden sein, um die Soldaten auf ihren Einsatz in möglichst vielen Regionen vorzubereiten. Der Zusatz "Zug" oder "Kompanie" bedeutet, dass dort gleichzeitig ein ganzer Zug oder eine ganze Kompanie üben kann.

Darüber hinaus wurden und werden im Gebirgskampfzentrum in Saalfelden montenegrinische Soldaten ausgebildet.

In den nächsten vier Jahren sollen weitere "Unterstützungspakete" folgen:

  • eine Ausbildungsunterstützung durch die Aus- und Fortbildung von ca. zehn montenegrinischen Spezialisten für Gebirgs- und Winterkampf (Heereshochalpinisten, Heeresbergführergehilfen, Heeresbergführer, Heeresschilehrer);
  • die weitere Beratung (z. B. hinsichtlich Standortfragen, Strukturen, Ausrüstung und Infrastruktur);
  • die Errichtung einer "Gebirgskampfanlage Kompanie" (auch für zivile Nutzung) in Montenegro;
  • die Unterstützung bei der zivilen und militärischen Zusammenarbeit in den Bereichen Bergrettung und Flugrettung;
  • die Errichtung eines gemeinsamen Gebirgsweges (wahrscheinlich an der Steilküste bei Kotor) zur militärischen und zivilen Nutzung (ein Klettersteig o. Ä.);
  • gemeinsame Übungen in Österreich und in Montenegro;
  • gemeinsame Teilnahme an Wettkämpfen (z. B. am Gebirgsjägerwettkampf der 6. Jägerbrigade, dem "Edelweiß Raid" in Österreich).

Ausblick

Bei den montenegrinischen Streitkräften herrscht - ähnlich wie im ganzen Land - Aufbruchsstimmung. Die Armee steht sicherlich erst am Beginn ihrer Entwicklung, und es gilt, viele Hürden zu überwinden: darunter mangelnde Englischkenntnisse, das Fehlen jeglicher Gebirgstradition im österreichischen Sinne sowie die fehlende oder desolate Infrastruktur. Was zählt ist jedoch der Wille und die positive Einstellung. Beides ist bei den montenegrinischen Streitkräften vorhanden. Für das Österreichische Bundesheer ist es jedenfalls eine Herausforderung und eine Steigerung der Reputation, die montenegrinischen Streitkräfte auf diesem Weg zu unterstützen.

Wenn es gelingt, die bereits äußerst erfolgreiche Zusammenarbeit im zivilen Bereich (geleitet von Botschafter Mag. Florian Raunig) mit der militärischen Zusammenarbeit zu verknüpfen und allen Partnern die Vorteile der zivil-militärischen Zusammenarbeit noch näher zu bringen, dann wird dieses Projekt vermutlich zu einer Erfolgsgeschichte.

Vielleicht üben bereits in naher Zukunft österreichische Gebirgsjäger und Bergretter gemeinsam mit der montenegrinischen Marine sowie montenegrinischen Gebirgsjägern und Bergrettern den Einsatz in Küstengebirgen oder an Steilküsten.


Autor: Oberstleutnant Johann Gaiswinkler, Jahrgang 1961. 1981 bis 1984 Theresianische Militärakademie, ab 1984 Zugskommandant beim Landwehrstammregiment 71 sowie Lehroffizier für Panzerabwehr und Jäger an der Sperrtruppenschule, ab 1988 Lehroffizier an der Theresianischen Militärakademie, ab 1989 Ausbildungsoffizier und Kompaniekommandant beim Jägerbataillon 26, ab 1994 Lehroffizier Qualifizierte Alpinausbildung an der Jägerschule, Abteilungsleiter der Lehrabteilung 3 sowie Hauptlehroffizier für Gebirgs- und Winterkampf. Seit 2008 Evaluierer Infanterie in der Kontrollabteilung A des Bundesministeriums für Landesverteidigung und Sport. Heeresbergführer, Heeresschilehrer, staatlich geprüfter Berg- und Schiführer sowie Sachverständiger für Alpinistik. Auslandseinsätze als Assistant Chief of Staff G2 bei EUFOR bei der MNTF "N", Austauschoffizier an der Gebirgs- und Winterkampfschule in Mittenwald (Deutschland) und Projektoffizier Gebirgskampf (Montenegro).

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