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Einführung in die Grundproblematik des Tschetschenienkonfliktes

erschienen in der Publikation "Parameter bewaffneter Konflikte (4/00)" (ISBN: 3-901328-46-7) - September 2000

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Schlagworte zu diesem Beitrag:  Russland, Krieg, Tschetschenien, Krisenanalyse, Gesellschaft

Abstract:

Präventivcharakter des Tschetschenienkrieges

Unter diesem Arbeitstitel stellte Manutscharjan seine persönliche Sicht der geopolitischen und geostrategischen Konstellation in der Kaukasusregion dar. Im Vortrag betonte er besonders, dass Russland im Tschetschenienkonflikt immer aus einer Defensivposition agiere. Der Einsatz militärischer Gewalt mangels sonstiger Konfliktlösungsstrategien habe jedoch auch exemplarischen Charakter im Sinne der Prävention weiterer Sezessionsbestrebungen von anderen Regionen ("Subjekten") der Russländischen Föderation.

Optionen sicherheitspolitischer Allianzbildungen

Die geopolitische Konstellation in der kaukasischen Region ist laut Manutscharjan durch das Handeln von sieben zentralen Akteuren geprägt: Russland, USA, Türkei, Iran, Georgien, Armenien und Aser-baidschan. Daraus können sich seiner Beurteilung nach drei Optionen bei der Entwicklung sicherheitspolitischer Allianzen ergeben:
 Georgien/Aserbaidschan/Armenien/Türkei
 Georgien/Aserbaidschan/Armenien/Türkei/Russland
 Georgien/Aserbaidschan/Armenien/Türkei/Balkan-Staaten
Leider wurden diese Optionen weder im Vortrag noch in der Diskus-sion näher ausgeführt.

Georgien, Aserbaidschan und Armenien

In den - teilweise heftigen Widerspruch einiger Tagungsteilnehmer auslösenden -Detailanmerkungen zu den drei südkaukasischen Republiken betonte Manutscharjan insbesondere die strategische Neuorientierung Georgiens, d.h. eine Annäherung seines Präsidenten Eduard Schewardnadse an die USA. Weiters behauptete er eine Unterstüt-zung des tschetschenischen Separatismus von georgischer Seite. Er erwartet Spannungen in den Beziehungen zu Moskau unter dem neugewählten russischen Präsidenten Wladimir Putin. Seiner Beurteilung nach sind die Streitkräfte Georgiens nicht einsatzbereit, während die politische Elite einen NATO-Beitritt anstrebe.

Aserbaidschan charakterisiert er Anfang 2000 als treues GUS-Mit-glied, das sich Russland still unterwerfe. Er sieht im aktuellen Verhalten eine klare Abkehr von der Position während des ersten Tschetschenienkrieges (1994-96), als Aserbaidschan als Rückzugsgebiet den tschetschenischen Kämpfern wertvolle Unterstützung habe zukommen lassen.

Armenien fühlt sich seiner persönlichen Meinung nach von der Türkei bedroht und verhält sich unzweifelhaft anti-tschetschenisch. Die Position gegenüber Moskau sieht er von einem überhöhten Maß an Willfährigkeit und Gefügigkeit geprägt.

Der Kaukasus im geopolitischen Spannungsfeld

In seinem Text weist Manutscharjan in Ergänzung und Erweiterung des Vortrages auf mehrere Aspekte besonders hin. So versucht er beispielsweise, die Entwicklung in der Kaukasusregion nach Auflösung der Sowjetunion (1991) anhand der speziellen örtlichen Transformationsproblematik sowie des geopolitischen Spannungsfeldes zwischen den Akteuren Russland, China und USA nachzuzeichnen. Besondere Bedeutung verdient demnach der Umstand, dass Russland seine Vormachtstellung nur indirekt, also in Allianzen mit lokalen Machthabern ausüben und behaupten könne - ohne Rücksicht auf deren Methoden bei der Machtausübung. Der politischen Elite Tschetscheniens wiederum sei es nicht gelungen, nach dem militäri-schen Erfolg 1996 über Russland einen funktionsfähigen und stabilen islamischen Gottesstaat einzurichten, was wiederum der Organisier-ten Kriminalität Tür und Tor öffnete.

Internationalisierung durch Terrorexport?

Insgesamt glaubt Manutscharjan, dass ein spill over des kaukasischen Spannungspotenzials auf den - speziell deutschsprachigen - Westen in Form terroristischer Anschläge in Kürze zu erwarten ist. Während die multiple (d.h. ethnische, kulturelle, religiöse) Heterogenität im Kaukasus bislang vor allem entlang nationaler Bruchlinien zu Gewalteskalationen führte, will der Verfasser künftig die Möglichkeit eines "provozierten Religionskrieges" zwischen Islam und Christentum nicht ausschließen.

Welche Rolle übernimmt die NATO?

Die bereits im Vortrag erwähnten möglichen Achsenbildungen erfah-ren im Text eine Erweiterung, indem NATO und EU als Akteure einbezogen werden. Manutscharjan stellt dabei sowohl politische wie auch geographisch weitreichende Überlegungen hinsichtlich eines NATO-Engagements an, die vermutlich bei einigen Lesern Erstaunen oder Widerspruch hervorrufen werden.

Hochgesteckte Erwartungen in die EU

Die sicherheitspolitisch optimale Lösung sieht er in einem umfangreichen, gegenüber allen kaukasischen Staaten gleich distanzierten Kri-senmanagement der EU. In einer regionalen Kooperation sollten sämtliche relevanten Akteure, auch Russland, die Türkei und der Iran, einbezogen werden. Materielle und immaterielle Zuwendungen könnten dabei von der EU an die Kaukasusstaaten je nach erreichtem Demokratisierungsstand verteilt werden.

Skepsis gegenüber den USA


In seiner Betrachtung äußert sich Manutscharjan nicht nur besonders kritisch gegenüber dem "realpolitischen" Verhalten der USA, das beliebig zwischen demokratischen Wertvorstellungen und ökonomischer Interessensverfolgung pendle. Dies verstärke nur die Skepsis der Bevölkerung der kaukasischen Transformationsstaaten gegenüber demokratischen Reformen. Er sieht auch in einem etwaigen NATO-Engagement in dieser Region die Gefahr einer bündnisinternen Zerreißprobe zwischen Europa und den USA.

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