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Divergenz oder Komplementarität? - Entwicklungslinien des zukünftigen sicherheitspolitischen Verhältnisses zwischen Europa und den USA

erschienen in der Publikation "Divergenz oder Komplementarität?" - April 2004

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Schlagworte zu diesem Beitrag:  USA, Europa, EU, Sicherheitspolitik, NATO, Strategie, Streitkräfte, Truppenstärke, Rüstung, Rüstungspolitik

Abstract:

Der Beitrag "Divergenz oder Komplementarität? Entwicklungslinien des zukünftigen sicherheitspolitischen Verhältnisses zwischen Europa und den USA" vergleicht die außen- und sicherheitspolitischen Konzeptionen Europas und der USA unter besonderer Berücksichtigung der jüngsten Entwicklungen. Die Antwort auf die Frage, ob es im Bereich der transatlantischen Sicherheitspolitik zu einem fortgesetzten Divergieren oder zu einer neuen Form von komplementärer Arbeitsteilung kommen wird, hängt stark von der Analyseebene ab. Während es auf militärischer Ebene zu Beginn des Jahres 2004 Anzeichen für eine komplementäre Entwicklung von EU und NATO gibt, stellt sich die Lage auf politisch-strategischer Ebene insbesondere auf Grund unterschiedlicher "Weltbilder" anders dar, was Konsequenzen für die Ordnungsvorstellungen im Nahen und Mittleren Osten, die Bewertung des Terrorismus, die Frage der Legitimität präventiven Streitkräfteeinsatzes sowie die Rolle internationaler Institutionen hat.

Der Beitrag hat folgenden Aufbau: Nach einer einleitenden Skizzierung des aktuellen Status der transatlantischen Beziehungen werden die beiden Akteure und ihre sicherheitspolitischen Konzeptionen dargestellt. Daran schließt die Analyse zentraler Aspekte des globalstrategischen Handlungsrahmens und eine Gegenüberstellung der militärischen Fähigkeiten und Kapazitäten Europas und den Vereinigten Staaten an. Abschließend wird versucht, auf die absehbare weitere Entwicklung einzugehen, und Voraussetzungen eines komplementären und nicht divergierenden Entwicklungsszenarios dargestellt. Nach dem Ende des großen Systemkonflikts sind eine größere politische Eigenständigkeit des stark regional ausgerichteten differenziert integrierten politischen Systems Europa und eine Schwergewichtsverlagerung der global orientierten "singulären Weltführungsmacht" USA zwei logische Entwicklungen. Bis heute konnte aber keine neue, gemeinsame und konstruktive Gestaltungsagenda entwickelt werden. Die größten Defizite in den transatlantischen Beziehungen sind aktuell der Unilateralismus der USA und die eingeschränkte Handlungsfähigkeit der Europäer. Eine der zentralen Lehren des Irak-Krieges sollte sein, dass die USA erkennen, dass internationale (Selbst-)Bindungen den eigenen Interessen nicht unzuträglich sind, sondern dass eine "strategische Überdehnung" nur mit einem leistungsfähigen Europa und komplementärer transatlantischer Vorgangsweise verhindert werden kann. Die Europäer sollten ihrerseits erkannt haben, dass nationale Alleingänge kein Ersatz für eine gesamteuropäische Strategie sind und dass Europa ohne eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik weltpolitisch marginalisiert bleibt und somit auch in Krisen, welche die ureigensten europäischen Interessen berühren, ohne adäquate Mitgestaltungsmöglichkeiten ist. Die USA müssen der Versuchung widerstehen, eine imperiale Macht zu werden und dabei Europa durch eine "Spaltungsstrategie" zu schwächen. Dies würde wahrscheinlich zu einer antagonistischen Weltordnung mit hohem Konfliktpotential führen. Die Europäer müssen ihrerseits politischen Deklarationen auch Taten folgen lassen und erkennen, dass sie ein Schlüsselfaktor bei der Herausbildung einer "kooperativen Weltordnung" sind. Die drei politischen Grundvoraussetzungen für einen aktiven sicherheitspolitischen Akteusstatus Europas sind ein gemeinsamer Gestaltungswille, wirksame zivile und militärische Instrumentarien und eine einheitliche Haltung gegenüber der Politik der USA. Die erforderliche Effizienzsteigerung in der europäischen Sicherheitspolitik ist nur möglich, wenn auch die verteidigungspolitische Integration vorangetrieben wird. Der kontroversiell diskutierte Mehrwert, den die ESVP im Vergleich zur NATO erbringen könnte, liegt neben der zusätzlichen strategischen Handlungsoption in Krisensituationen vor allem in dem psychologischen Umstand, dass breite Kreise der europäischen Bevölkerung - wenn überhaupt, dann - eher zu vermehrten Verteidigungsanstrengungen zu bewegen sind, wenn diese im Namen der europäischen Einigung und im Dienste des Völkerrechts geleistet werden, als wenn diese mit der Aufrechterhaltung der NATO und der transatlantischen Partnerschaft argumentiert werden. Mit der EU-Sicherheitsstrategie, den institutionellen Entwicklungen sowie der EU-Verfassung wurden in jüngster Zeit wichtige Schritte vollzogen, sodass sich mittelfristig folgendes ESVP-Profil ergibt: keine Autonomie im Bereich der kollektiven Verteidigung, funktionale Schwergewichtsbildung auf Stabilisierungsoperationen und Konfliktprävention, eingeschränktes Wirksamwerden im obersten militärischen Anforderungsbereich sowie Expeditionskriegsführung nur gemeinsam mit den USA.

Auf Grund mangelnder europäischer Fähigkeiten und der Erfahrungen des "war by committee" im Kosovo stellt die NATO kein geeignetes Instrument für Expeditionskriegsführung dar, daher versuchen die USA die Allianz nunmehr verstärkt als institutionellen Rahmen für Machtprojektion im Rahmen von Stabilisierungsoperationen und als Instrument einer euro-atlantischen Militärkooperation im Nahen und Mittleren Osten zu nutzen. Sollten sich die Europäer diesem Ansinnen verwehren, stünde die NATO vor ihrer nächsten und diesmal vielleicht letzten Solidaritätsprobe. Rational betrachtet, wäre angesichts der vielfachen internationalen Sicherheitsrisiken eine funktionierende ESVP in enger Abstimmung mit der NATO und verbunden mit der Entwicklung komplementärer Aufgaben- und Einsatzprofile, die sicherstellen, dass die Amerikaner bei Stabilisierungsoperationen und die Europäer auch bei primären Interventionen mitwirkungsfähig bleiben, das vorteilhafteste Entwicklungsszenario.

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