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Bewaffneter Konflikt in Kosovo und Metohija 1998/99

erschienen in der Publikation "Parameter bewaffneter Konflikte (4/00)" (ISBN: 3-901328-46-7) - September 2000

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Schlagworte zu diesem Beitrag:  Jugoslawien, Kosovo, Bewaffneter Konflikt, Ethnien, Strategie, Deeskalation

Abstract:

Die serbische Perspektive der Ereignisse

Vuk¹iæ, ein seit Beginn der NATO-Luftoperation am 24. 3. 1999 pensionierter ehemaliger Oberst der Jugoslawischen Streitkräfte (JSK), bot in seinem Vortrag sowohl eine Hintergrundanalyse von Entscheidungsabläufen im jugoslawischen Machtzentrum als auch die Darlegung einer Belgrader Doppelstrategie gegenüber den Kosovo-Albanern. Dabei verwies er besonders auf vier Punkte:

 Jugoslawiens Präsident Slobodan Milo¹eviæ agiert äußerst autoritär und ist ausschließlich am Machterhalt interessiert. Er versuchte, die evidenten und bekannten Probleme im Kosovo zu negieren, und verfolgte eine "Antipolitik" und "Antistrategie".

 Die Staatengemeinschaft betrieb gegenüber Milo¹eviæ jahrelang eine ambivalente und inkohärente Politik, die ihn in seinem Handeln bestärkt.

 Milo¹eviæ verfolgte vor und während der NATO-Luftoperation eine Doppelstrategie, die in der Unterdrückung des Aufstandes und einer Veränderung der ethnischen Struktur im Kosovo bestand.

 Die JSK verhielten sich bis Ende 1998 sehr zurückhaltend. Mit der damaligen Ablöse des Generalstabschefs war jedoch jeder regimekritische Widerstand gebrochen, und Milo¹eviæ hatte seine Linie durchgesetzt.

Kein strategisches Kalkül im Verhalten Belgrads

In seiner mittel- und längerfristigen Betrachtung - also dem Zeitraum von 1989 bis 1999, insbesondere aber seit 1996 - kann Vuk¹iæ keinerlei jugoslawische Gesamtstrategie erkennen, die Belgrad zur Lösung des Kosovo-Problems verfolgt hätte. Er spricht vielmehr von einer "Antipolitik" und "Antistrategie" als Synonym für fehlenden Willen und mangelndes Vermögen auf Seiten des Belgrader Regimes. Besonders verweist er in diesem Zusammenhang auf dessen anfängliche Weigerung, das Kosovo-Problem als solches wahrzunehmen, und die internationale Abschottung. Seiner Ansicht nach hätte die gezielte Internationalisierung der Kosovo-Problematik spätestens 1997 durch eine offenere Informationspolitik Belgrad in eine wesentlich günstigere Situation versetzt als der untaugliche Versuch, den aufkeimenden gewaltsamen Widerstand der Albaner ausschließlich mit Polizeikräften zu bekämpfen. Milo¹eviæ trage dafür höchstpersönlich die Verantwortung, da er weder die verfassungsmäßigen Gremien noch andere politische Entscheidungsträger in sein Handeln einbinde.

Kritik am Verhalten des Westens

Mehrfach kritisiert Vuk¹iæ die westliche Staatengemeinschaft. So wirft er ihr vor, Milo¹eviæ einerseits immer wieder zu dämonisieren, ihn andererseits jedoch als einzigen Verhandlungspartner zu akzeptieren und ihm dadurch zu ermöglichen, in die Rolle eines "Friedensengels" zu schlüpfen. Außerdem hegt er starke Zweifel, ob der Westen tatsächlich an einer gewaltlosen Konfliktlösung interessiert war, zumal - seiner persönlichen Beurteilung nach - die "Diktate" von Rambouillet und Paris (wo Anfang 1999 über die Kosovo-Krise verhandelt worden war) für die serbisch-jugoslawische Seite inakzeptabel waren und scheitern mussten.

Jugoslawische Doppelstrategie im Kosovo

Obwohl der aus Protest gegenüber dem Regime zurückgetretene Oberst den Verantwortlichen in Belgrad insgesamt eine Gesamtstrategie im Kontext der Kosovo-Problematik abspricht, sieht er in den Ereignissen 1999 sehr wohl ein planvolles Vorgehen der jugoslawischen Sicherheitskräfte. Vuk¹iæ geht in seiner Analyse dabei von der Verfolgung einer Doppelstrategie aus, die bereits vor Auslösung der NATO-Luftoperation eingesetzt hatte. Eine Teilstrategie bestand demnach darin, den Aufstand in Kosovo und Metohija zu unterdrücken und den (wie er sich ausdrückt) "verfassungsmäßigen Zustand" wiederherzustellen. Die zweite Teilstrategie verfolgte das Ziel, durch die rasche Vertreibung möglichst vieler Kosovo-Albaner die ethnische Struktur nachhaltig zu verändern und den Westen vor vollendete Tatsachen zu stellen. Vuk¹iæ bestätigt somit eindeutig die Existenz des in einigen westlichen Kreisen umstrittenen und angezweifelten jugoslawischen Operationsplanes "Hufeisen".

Missbrauch der jugoslawischen Streitkräfte durch Milo¹eviæ

In seiner Beurteilung der JSK sieht er die Ablöse von Generalstabschef Perisiæ im November 1998 als Zäsur im Verhalten des Militärs. Nach zurückhaltendem Engagement im Verlauf des Jahres 1998 wurde es durch den Wechsel an der Spitze zum willfährigen Instrument des Präsidenten im weiteren Konfliktverlauf. Milo¹eviæ habe die Streitkräfte "missbraucht": Vuk¹iæ beurteilt sowohl den Befehl zum Einsatz gegen die NATO als auch den Rückzug aus dem Kosovo Anfang Juni 1999 als grobe politische Fehler.

Milo¹eviæ als Realitätsverweigerer?

Der ehemalige Generalstabsoffizier zeichnet ein sehr kritisches Bild von Milo¹eviæ, der sich niemandem gegenüber verantwortlich fühle (ausgenommen seiner Frau Mira Markoviæ), nicht fähig sei, Situationen und Entwicklungen realistisch einzuschätzen, und Tun und Handeln ausschließlich am Machterhalt orientiere. Das Regime in Belgrad charakterisiert er als quasi-kommunistisch: es würde von einer Auferstehung des Kommunismus in Russland träumen und die Wiederherstellung des Einparteiensystems im eigenen Land anstreben.

Keine Niederlage, aber schwierige Zukunft für die Streitkräfte

Die JSK haben seiner Beurteilung nach im Kosovo weder eine militärische noch eine moralische Niederlage erlitten. Angesichts der unsicheren politischen Situation, ideologischer Einflüsse auf das Militär sowie erheblich erschwerter Lebens- und Arbeitsbedingungen sieht er jedoch eine schwierige Zukunft auf sie zukommen.

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