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Das Phänomen "Krieg" in der heutigen Zeit aus der Sicht eines Soldaten

erschienen in der Publikation "Jahrestagung der Wissenschaftskommission 2000" - März 2000

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Schlagworte zu diesem Beitrag:  Strategische Analyse, Strategie, Krieg, Kriegsanalyse, Soldat

Abstract:

Vorbemerkung: Diese Abhandlung soll keine "wissenschaftliche" sein und sich Definitionen nach Clausewitz oder nach dem Völkerrecht bedienen, sondern ist bewußt aus persönlicher Sicht gehalten.

Wenn wir uns heute mit dem Phänomen "Krieg" auseinandersetzen wollen, so kommen wir vorerst nicht umhin, den Inhalt des Begriffes festzulegen. Krieg stellt sich demnach für den Soldaten als Auseinandersetzung von Truppen mit militärischen Mitteln dar. Dies ist unabhängig davon, ob diese Auseinandersetzung zwischenstaatlich stattfindet, es sich um Bürgerkriege oder bürgerkriegsähnliche Zustände handelt oder ob sogenannte Peace Support Operations seitens UNO, NATO, EU (oder anderer - auch künftiger - Organisationen) geführt werden.

Für den in Verbänden organisierten Soldaten bedeutet die Auseinandersetzung mit einem Gegenüber Krieg, denn er hat mit militärischen Mitteln die gestellten Ziele zu behaupten oder - umgekehrt - durchzusetzen!

In diesem Zusammenhang ergibt sich die Frage nach Rolle und Struktur heutiger - europäischer bzw. "westlicher" - Streitkräfte, deren Selbstverständnis und deren "Existenzberechtigung" (in welcher Form auch immer).

Tatsache ist zunächst, dass diese Streitkräfte, auch in absehbarer Zukunft, ausschließlich im Ausland und dabei im Rahmen "humanitärer" und Peace Support-Operationen eingesetzt (wurden und) werden.

Der Grund dafür liegt im Wesentlichen im grundsätzlichen Wandel des strategischen Denkens. Kurz gefasst gipfelt dieses in der Feststellung, dass der Erhalt der eigenen Sicherheit nicht erst bei Bedrohung der eigenen Grenzen (von Migration bis zu Kampfhandlungen) im Sinne von "Warten auf den Feind" erfolgt, sondern vielmehr durch vorausschauende Stabilisierung von Krisenregionen am Ort des Geschehens. Dies erfolgt zudem nicht mehr "eigenstaatlich", sondern im Verbund. Im Verbund nicht nur auf Grund militärischer Zusammenarbeit und gegenseitiger Ergänzung, sondern besonders auch im Sinne von Solidarität und gegenseitiger Legitimation!

Damit entstand der Ausdruck von "Sicherheit durch Kooperation", wobei diese Kooperation sowohl national wie auch international zu sehen ist. Die Unterscheidung bezieht sich auf den Anlassfall, ob er nämlich innerstaatlich oder außerstaatlich stattfindet.

Im nationalen Bereich umfasst dies die Katastrophenhilfe, Objekt-/ Raumschutzaufgaben bis hin zum Grenzschutz. Die Kooperation erfolgt in Zusammenarbeit mit allen dabei geforderten zivilen Organisationen, aber auch mit internationaler Unterstützung, wie dies z.B. beim Einsatz "GALTÜR" der Fall war.

International wird der gesamte PSO-Bereich erfasst, von humanitären Hilfeleistungen bis zu möglichen Kampfeinsätzen. Zur Abgrenzung derselben wird später noch Stellung bezogen.

Für Streitkräfte stehen daher weiterhin drei Aufgabengebiete heran, nämlich Bewältigung von Krisensituationen im Inneren durch Hilfeleistung, Einsätze im Rahmen internationaler Solidarität sowie (wenn vielleicht auch nur partieller) Schutz durch grenznahe Verteidigung.

Durch diese "verschobene" neue Aufgabenstellung hat sich demnach die "Rolle" des Soldaten bedeutend verändert. Er stellt nämlich heute den Katastrophen-Hilfs-Experten, den Raum-, Objekt-, Grenz-Schützer, den Krisenmanager und Verhandlungsführer. Er soll Internationalist, Strategie-Experte und politischer Berater sein.

Was in diesem Zusammenhang auffällt, ist, dass der Begriff des Kämpfens, des Kämpfers fehlt. Und in Verbindung damit wurde die Frage nach der Konstabulisierung der Streitkräfte aufgeworfen.

Unter Konstabulisierung wird, vereinfacht gesagt, die Verpolizeilichung der Streitkräfte verstanden, Kampfeinsätze treten - vor allem auch für kleinere Staaten - nach dieser Definition in den Hintergrund. Dies wiederum führt zu einer politischen Einstellung, für die billige Streitkräfte als Hilfs- und Schutztruppe ausreichend erscheinen, weil ja "der Feind verloren gegangen" sei.

Wie aber sieht das Selbstverständnis des Soldaten auf diese politische Haltung hin aus? Dies ist relativ einfach darzustellen. Streitkräfte sehen sich als letztes Instrumentarium zur Bewältigung von Krisen jeder Art - im Inneren, wie auch nach Aussen. Denn organisatorisches Krisenmanagement ist Streitkräfte-immanent, nämlich durch die Fähigkeit zu flexibler Reaktion und dementsprechendem Führungsverhalten.

Militärisches Krisenmanagement ist - für die Staatsführung - die letzte Bewahrungs- und Bewährungs-Chance jedweder politischer Herausforderung!

Aus dieser Beurteilung resultiert aber auch die unabdingbare Fähigkeit zur Bewältigung einer vernetzten operativen Einsatzaufgabe als Ultima Ratio gegenüber existentiellen Krisen. Dies bedeutet, dass der Soldat alle Mittel, somit auch Kampfmittel, zu beherrschen hat, die ihn in die Lage versetzen, derartige Anforderungen erfüllen zu können.

Der Begriff "Operation" ist in diesem Zusammenhang nicht in der klassischen Definition zu verstehen, sondern in dem Sinne anzuwenden, dass darunter das Zusammenführen und das Zusammenspiel verschiedener Organisationseinrichtungen mit deren Mitteln zu einer gemeinsamen Zielerreichung verstanden wird.

Wenn anfangs festgestellt wurde, dass Sicherheit durch Krisenbewältigung "vor Ort" gewährleistet werden soll, so ist somit der "Sammelbegriff" Peace Support Operations näher zu beleuchten. PSO reichen von humanitärer Hilfeleistung (um z.B. Migrationsbewegungen steuern oder hintanhalten zu können) bis zu "Enforcement" (Zwangs-) Aktionen einschließlich militärischer Gewalt.

Es muss hier eindeutig zum Ausdruck gebracht werden, dass es eine glasklare Zäsur geben muss zwischen allem, was mit Hilfeleistung und Peace Keeping zusammenhängt, und dem militärischen Kampfeinsatz zur Durchsetzung politischer Ziele. Enforcement ist ein qualitativ völlig anderer Einsatz als die gesamte Palette im Rahmen von Krisenmanagement. Enforcement ist Kampfeinsatz und somit für den Soldaten Krieg. In einem Fall steht Vertrauensbildung und Unterstützung im Vordergrund, im anderen Fall handelt es sich um Umsetzung von Machtpolitik. Daher ist der Begriff PEACE-Enforcement nur dazu angetan, falsche Einstellungen zu provozieren.

Für den Soldaten ist es von unumgänglicher Bedeutung, klare Einsatzaufgaben zugesprochen zu bekommen, um zwischen den beiden Bereichen unterscheiden und die Auftragserfüllung danach ausrichten zu können. Politisch geprägte "Mischformen" haben nur zu Desastern (wie z.B. Somalia) geführt.

Daher haben führende Militärs heute nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, eine klare Auftragserteilung, ein eindeutiges Mandat einzufordern - für ihre Soldaten und für eine möglichst hohe Erfolgs-Chance!

Als nächstes ist auf den neuerdings verwendeten Begriff der humanitären Intervention einzugehen.

Dieser verniedlicht die Tatsache des militärischen Kampfeinsatzes, also die Durchführung eines Krieges, mit der Begründung des Schutzes der Menschenrechte (z.B. Jugoslawien).

Ein hehres Ziel soll durch militärischen Zwang verwirklicht werden!

Das mag durchaus gerechtfertigt sein, nur dürfen die Soldaten dabei ebenfalls eine klare Zielsetzung einfordern. Die damit verbundenen Probleme sind nämlich sehr tiefgreifend. Zunächst einmal ist im Rahmen der UNO bis heute kein gemeinschaftliches Verfahren zur Bereinigung von Menschenrechtsverletzungen festgelegt. Weiters widerspricht der militärische Kampfeinsatz dem grundsätzlichen Gewaltverbot der Vereinten Nationen. Als nächstes ist zu hinterfragen, ob die präventive Diplomatie alle Möglichkeiten ausgeschöpft (oder versagt) hat. Wie wird die Verhältnismässigkeit der Mittel beurteilt? (Leidet die einbezogene Bevölkerung mehr, als das zu treffen beabsichtigte Regime?) Besteht die Aussicht auf eine durch den Krieg erzwungene "humanitäre" Lösung? Ist die Zieldefinition unter Schutz oder unter Bestrafung einzureihen? Wie ist letztendlich die grundsätzliche Einstellung mächtiger Staaten gegenüber anderen (Mächtigen oder Schwachen) zu sehen?

Dies alles gipfelt schließlich in der Frage: Ist die Humanitäre Intervention lediglich der Ausdruck eines einseitigen Hegemonialsystems?

Worum geht es dabei dem Soldaten? Er soll nicht durch verwaschene Begriffe lediglich als Instrument "verwendet" werden, er hat ein Recht auf Klarheit, es geht nämlich um Krieg!

Dazu - noch einmal - haben führende Militärs das Recht und die Pflicht, frühzeitige Einbindung in sicherheitspolitische Entwicklungen und Verfahren einzufordern - um zunächst einmal den Kampfeinsatz vermeiden zu helfen bzw. dann, wenn alle friedlichen Mittel versagt haben, ein eindeutiges politisches Mandat mitzugestalten.

Damit ist ein weiteres Problem anzusprechen, nämlich die Moralisierung des Krieges. Es scheint plötzlich den gerechten (oder nur gerechtfertigten?) Krieg wieder zu geben. Es sei dabei nur eine damit verbundene Problematik angesprochen: Durch die Apostrophierung des Gegners als böse und moralisch schlecht (daher Bestrafung auch nach Kriegsende) wird es zu einer Verhärtung der Kriegsführung kommen (weil er ja ohnehin nichts zu verlieren hat).

Ohne auf die Berechtigung derartiger geistiger Entwicklungen eingehen zu wollen, ist es für den Soldaten wichtig zu wissen, welchen Herausforderungen er sich zu stellen hat, um seinen Einsatz danach auszurichten - oder (wiederum) zu versuchen, auf die Politik Einfluss zu nehmen.

In diesem heutigen Phänomen "Krieg" ist der Soldat somit

als nationaler und internationaler Krisenmanager gefordert,

er beherrscht eine expandierende Vielzahl von Einsatzvarianten,

ist sicherheitspolitischer Berater

und versucht als solcher den militärischen Kampfeinsatz möglichst einzuschränken

wobei er bei Unabdingbarkeit der Entwicklung einen eindeutigen Auftrag einzufordern hat

und auf eine Streitkräftestruktur zurückgreifen können muss, die ihm die Auftragserfüllung ermöglicht.

Zur Streitkräftestruktur ist damit abschließend festzustellen, dass diese zweigeteilt zu sehen sein wird, nämlich

als flexibel einsetzbare "Interventionstruppe" zur Beherrschung (oder Zerschlagung) von Strukturen,

als selbstbewußte Infanterie, die eigene Ziele behauptet oder durch umfassende Präsenz das Geschehen vor Ort beeinflusst.

Dies bedeutet letztlich, dass sich die Streitkräfte dahingehend zu entwickeln haben, dass sie

Schutz- und Hilfeleistung im Inneren gewährleisten können

und gleichzeitig

durch Einsätze außerhalb des eigenen Territoriums zur (frühzeitigen) Bereinigung von Krisenherden beitragen, zur Stabilisierung der eigenen Region.

Korpskommandant Friedrich HESSEL
Leiter der Generalstabsgruppe A
im Bundesministerium für Landesverteidigung

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