Bundesheer

Eine faszinierende Betrachtung der menschlichen Natur wird in der neuesten Publikation von Richard Wrangham (The Goodness Paradox. The Strange Relationship Between Virtue and Violence in Human Evolution. Pantheon 2019) vorgelegt. Das Buch handelt von der ungeheuren Diskrepanz zwischen menschlicher Tugendhaftigkeit und menschlicher Angriffslust. Auf der einen Seite sehen wir die innigste Zuwendung zu den eigenen Artgenossen und den eigenen Haustieren, auf der anderen jedoch die Organisation grausamster Kriege. Beides durch archäologische, historische und mediale Fakten reichlich dokumentiert. Wrangham versucht diese Diskrepanz in der Natur des Menschen durch ein sehr geringes reaktives Aggressionsverhalten und ein hoch entwickeltes proaktives Aggressionsverhalten zu erklären.

Im vorliegenden Band können wir wichtige Beispiele der Zuwendung zum Nächsten finden. Paläoanthropologische Befunde haben das Überleben von senilen Individuen belegt, was nur durch die soziale Zuwendung von jüngeren Begleitern ermöglicht wurde. Die uralten Wurzeln der Heil- und Pflegevorgängen werden dadurch beleuchtet: eine Reihe von Beiträgen befasst sich mit den Heilmethoden und kulturellen Strukturen von Menschengruppen in hohen Norden. Die speziellen Umweltbedingungen haben zu typischen Formen gesundheitsbezogener Praktiken geführt. In einem Beitrag wird auf die Anwendung von Wasser im vorwissenschaftlichen Bereich der österreichischen Heilmethoden eingegangen.

Wir finden aber auch Beiträge zu den Grundlagen medizinischer Vorgangsweisen wie die historische Betrachtung über den Weg von der Makroskopie zur Mikroskopie, wodurch erst die entscheidenden Einblicke in die Funktion der Organismen möglich wurden. Die Bahn des Planeten Erde hat alle Lebewesen durch den Tag-Nacht Wechsel zu einer grundlegenden Zeitstruktur aller biochemischen Vorgänge gezwungen. Die moderne Zivilisation hat durch ihre massiven Eingriffe in die Zeitstruktur des Menschen viele Vorgänge im zirkadianen Verhalten des Menschen beeinflusst und neue Krankheitsbilder geschaffen. Ein Kapitel über das autogene Training vermittelt Einblicke in die Interaktion von Körper und Seele. Eine neue Betrachtungsweise des Immunsystems als ein weiteres Sinnesorgan des Körpers könnte in Zukunft neue Wege der Erkenntnis über das Zusammenwirken von Gehirn und Abwehrsystem eröffnen.

Der vorliegende Band ist ein weiteres Beispiel für die außerordentliche Vielfalt von Themen, die in der Medizinischen Anthropologie abgehandelt werden und die zum Verständnis medizinischer Handlungen beitragen.