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ISS Aktuell 1/2023

Zur Strategischen Lage Jahresanfang 2023

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Vorwort

Mitte August 2022 passierte Unerwartetes. Der Botschafter eines in der „Strategischen Lage“ analysierten Staates, sowie Militärdiplomaten mehrerer sehr mächtiger Nationen erhoben in einer konzertierten Aktion auf höchster Ebene den Vorwurf, dass einige Analysen unserer letzten „Strategischen Lage 2/2022“ unwissenschaftlich wären. Obwohl die Vorwürfe trotz Nachfrage unspezifisch blieben, wurden auf Grund, weniger der Signifikanz der Behauptungen, als vielmehr der agierenden Nationen, die kritisierten Artikel durch die Landesverteidigungsakademie nochmals detailliert überprüft. Anzumerken ist, dass alle Artikel der „Strategischen Lage“ bereits vor ihrer Erstveröffentlichung einem Editorial Review unterzogen worden sind. Bei dieser erneuten und unabhängigen Überprüfung, welche im August/September 2022 stattfand, wurde durch zwei wissenschaftliche Institute zweifelsfrei festgestellt, dass die wissenschaftliche Objektivität in allen Beiträgen gewahrt wurde. Insbesondere wurde klargestellt, dass die Autoren keine Meinungen, sondern ausschließlich objektive und kritische Analysen veröffentlicht haben. Es wurde eindeutig nachgewiesen, dass in der „Strategischen Lage 2/2022“ nicht einseitig beurteilt wurde, sondern die Handlungen aller analysierten Akteure kritisch bewertet wurden. Fakten oder Zitate in den gegenüber einzelnen internationalen Akteuren als eventuell kritisch zu beurteilenden Beiträgen konnten von den betroffenen Autoren angemessen zitiert werden. Durch die Überprüfung konnten alle Vorwürfe eines möglichen wissenschaftlichen Fehlverhaltens des Herausgebers oder der betroffenen Autoren zweifelsfrei entkräftet werden. In einer an sich eher unangenehmen Situation für uns schlussendlich ein erwartbares, aber dennoch sehr erfreuliches Ergebnis. Wir erlauben unsere Freude über diese auch formelle Bestätigung unserer seriösen Arbeit hiermit mit unseren Lesern zu teilen.

Bei dieser Gelegenheit möchten wir Ihnen auch das Publikationskonzept der „Strategischen Lage“, welches seit über zehn Jahren im Wesentlichen unverändert existiert, transparent in den wesentlichen Punkten darlegen: „Um insbesondere Studenten und Absolventen der Landesverteidigungsakademie, aber auch anderen an strategischen Fragen Interessierten eine übersichtliche und aktuelle Darstellung der globalen strategischen Lage zur Verfügung zu stellen, wird vom Institut für Strategie und Sicherheitspolitik zweimal pro Jahr die Zeitschrift „Zur Strategischen Lage“ (in Folge kurz „Strategische Lage“) veröffentlicht. Da sich das Institut für Strategie und Sicherheitspolitik als wissenschaftliche Institution versteht, ergeben sich auch in der „Strategischen Lage“, wie in jedem wissenschaftlich-analytischen Medium, aus der unterschiedlichen Bewertung von verschiedenen Blickwinkeln durchaus differenzierte, manchmal sogar widersprüchliche Ableitungen und Analysen. Diese Bewertungen reflektieren jedoch keine amtliche Position.

Die einzelnen Beiträge erscheinen unter der Verantwortung der jeweiligen Autoren als Wissenschaftler und repräsentieren daher ausschließlich deren persönliche Einschätzung, nicht aber eine offiziöse Meinung des Verteidigungsministeriums, der Landesverteidigungsakademie oder des Instituts für Strategie und Sicherheitspolitik. […] In den Beiträgen der „Strategischen Lage“ wird die internationale strategische Lage realpolitisch und wissenschaftlich unabhängig dargestellt und analysiert. Es werden dabei bewusst nicht alle Ereignisse dieses Zeitrahmens umfassend und detailliert beleuchtet, sondern kurze, aber präzise Analysen und Bewertungen ausgewählter Aspekte präsentiert. […] Die „Strategische Lage“ ist bestrebt, klare Gedanken von sachkundigen Beobachtern zu wichtigen sicherheitspolitischen und strategischen Themen zu präsentieren, die in einer Sprache verfasst sind, die sowohl von Fachleuten als auch von einem breiten allgemeinen Publikum leicht und mit Vergnügen verstanden werden kann. Aus einer unabhängigen wissenschaftlichen Perspektive erklären wir strategisch relevante Ereignisse in einem sicherheitspolitischen Kontext, erläutern Widersprüche zwischen offiziellen Zielen und realen Geschehnissen und bewerten die Sinnhaftigkeit und Erfolgswahrscheinlichkeit strategischer Entscheidungen. Im Sinne wissenschaftlicher Objektivität werden die Handlungen aller analysierten Akteure kritisch bewertet. Wir verteidigen weder politische Entscheidungen noch propagieren wir diese - unabhängig von der (politischen) Position der österreichischen, europäischen oder westlichen Politik, obwohl wir uns der Tatsache bewusst sind, dass das Bundesheer Instrument österreichischer, europäischer und westlicher Politik ist. Unsere Leser und damit diejenigen, die der wissenschaftlichen Integrität der Landesverteidigungsakademie vertrauen, können sich darauf verlassen, dass sie unabhängige Analysen und keine politisch gewünschten Narrative präsentiert bekommen. Der Wert für die Studenten und Absolventen der Landesverteidigungsakademie, die Institutionen Bundesheer und Verteidigungsministerium sowie den österreichischen Staat liegt dabei in der Zurverfügungstellung wissenschaftlich objektiver Analysen oder Bewertungen, welche Grundlage für die spezifische Einschätzung der (geopolitischen) Lage durch den Nutzer oder aber für politische Entscheidungen durch eben diese Nutzer. Eine gefärbte, politisch opportune Lagedarstellung, welche nicht objektiv analysiert, wäre unter Umständen verantwortlich für Fehlinterpretationen oder sogar Fehlentscheidungen sicherheitspolitischer Handlungsträger Österreichs.

Wir tolerieren allerdings bewusst große Meinungsunterschiede. Unsere Artikel stellen keinen Konsens von Überzeugungen dar. Von unseren Autoren verlangen wir, dass sie kompetent und gut informiert sind und ehrliche wissenschaftliche Meinungen präsentieren, die ernsthaft vertreten und überzeugend zum Ausdruck gebracht werden. Wir erwarten nicht, dass unsere Leser mit allen Ansichten, die sie dort finden, sympathisieren. Auch vertreten unserer Autoren gegebenenfalls durchaus unterschiedliche Ansichten. Aber wir sind der Meinung, dass die „Strategische Lage“ durch eine breite Akzeptanz abweichender Ideen mehr dazu beitragen kann, einen wertvollen Diskurs zu führen, als wenn Positionen stringent und vorgegeben sind. Strategische Studien haben generell ein pragmatisches Wissenschaftsverständnis und sind eine problemorientierte Forschung. Das daraus postulierte Primat der Praxis und das damit einhergehende Zweifeln ist oftmals der Beginn des Forschungsprozesses. Erkenntnisfortschritt ist der Zuwachs an Prognose- und Steuerungsmöglichkeit. Dabei ist es durchaus als Zielsetzung zu verstehen, das eigene Wissensprofil dadurch zu schärfen, gegen den Strom zu schwimmen. Im Geiste von Rorty ist es dabei auch legitim, Hermeneutik in polemischer Absicht zu nutzen, denn nach seiner Erkenntnis bildet Wissenschaft nur dann, wenn sie auch irritiert.

In der Tradition relevanter und renommierter strategischer Journale, wie beispielsweise dem „Foreign Affairs“, verlassen wir uns in erster Linie auf die wissenschaftliche Integrität unserer Autoren, um die Richtigkeit der Informationen in ihren Beiträgen zu gewährleisten. Obwohl unsere Artikel keine Fußnoten enthalten, haben die Autoren in der Lage zu sein, bei konkreten Rückfragen alle Fakten oder Zitate in ihren Beiträgen angemessen zu zitieren.“ (ISS; Publikationskonzept „Zur Strategischen Lage“, Fassung vom 1. Februar 2022, Wien, 1-3) Sozialwissenschaftliche Forschung und Lehre pflegt grundsätzlich eine kritische Grundhaltung. Diese kann nicht nur, sie soll sogar gelegentlich irritieren. Provokation und Irritation löst Nachdenken aus und das soll es. Krieg und Frieden und die sich damit beschäftigende Politik ist zu ernst, als dass sie schöngeredet oder politischen Wünschen entsprechend dargestellt und analysiert werden kann. Die Analyse muss kritisch sein. Sie ist in der privilegierten Position kein diplomatisches oder politisches Handeln zu sein. Sie ist damit aber auch nicht zu verwechseln. Das eine sollte der Wissenschaftler tun, das andere der Politiker oder politische Berater. Es zu vermengen, schadet beiden Berufsgruppen und somit den implizierten Handlungsfeldern. Strategische und sicherheitspolitische Analyse findet in Österreich (leider) nur in einem sehr begrenzten Rahmen statt. Die "Strategische Lage" versucht einen bescheidenen Beitrag dazu zu leisten. Dabei versuchen wir wissenschaftlich korrekt, kritisch und methodisch zu analysieren, wobei auch voneinander differenzierte Standpunkte und Positionen im Sinne eines Diskurses nicht nur zugelassen, sondern auch wünschenswert sind. Sie werden in der "Strategischen Lage" unterschiedliche Blickwinkel finden - nicht, weil einzelne Beiträge korrekter und andere weniger korrekt wären, sondern weil Politik im Allgemeinen und Sicherheitspolitik im Speziellen komplexe soziale Phänomene sind, die aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet und analysiert werden sollten.

Konflikte zu studieren, dient von diesen zu lernen; zu lernen sie zu vermeiden oder zu provozieren, sie zu gewinnen oder zu verstehen, warum sie verloren werden. Die Theorien der Internationalen Beziehungen lehren, dass die Annahme, es geht handelnden staatlichen Akteuren bei (internationalen) Konflikten nur darum, diese zu vermeiden, empirisch widerlegt ist. Es geht eben auch darum, Konflikte zu gewinnen oder zu verlieren – nach chinesischem Verständnis auch darum, sie gegebenenfalls nur „teilweise“ zu gewinnen (oder zu verlieren). Gerade aus einer kleinstaatlichen Perspektive ist es von essentieller Bedeutung über gesamtstrategisch relevante Kenntnisse der Vor- und Nachteile der Involvierung in einem Konflikt zu verfügen. Eindimensionale Betrachtungen sind aus legitimen Eigeninteressen – das Eigeninteresse gilt bekanntlich als eine zentrale Variable staatlichen Handelns in den internationalen Beziehungen – einer strategischen Bewertung abträglich. Deshalb ist es notwendig, die Komplexität des ukrainisch-russischen und des westlich-russischen Konfliktes zu methodisch zu erschließen und systemisch begreifen.

Unsere Analysen haben dabei selbstverständlich keinen alleinigen Wahrheitsanspruch. Wenn sie ein regelmäßiger Leser der "Strategischen Lage" sind, haben Sie längst festgestellt, dass wir sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten, Positionen und Blickwinkeln Platz bieten - niemals wurde und wird dabei inhaltlich Einfluss auf die vorgelegten Analysen ausgeübt. Denn „um wirklich zu verstehen, müssen wir nicht nur Fakten studieren, sondern diese auch aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten.“ Innere oder äußere Vorgaben sind daher nicht denkbar - sie würden in einem inneren Widerspruch zum liberaldemokratischen Diskurs, zu welchem diese Publikation beträgt, stehen. Dadurch sind sie gelegentlich auch Zeuge der offenen Diskurskultur. Für eine liberale Gesellschaft ist es wichtig, der Wissenschaft ihre Freiheit zu gewähren und inhaltliche Auseinandersetzungen in einem Diskurs zu führen. Zu diesem Diskurs laden wir jetzt und zukünftig Kritiker und Freunde gerne ein. Wir freuen uns auf Rückmeldungen unter lvak.strat-lage@bmlv.gv.at.

Nach diesen aus gegebenem Anlass umfassenderen einleitenden Zeilen, dürfen wir wie gewohnt betonen, dass weder Texte noch Karten oder Graphiken irgendeine amtliche Position reflektieren; die einzelnen Beiträge erscheinen unter der Verantwortung des Autors als Wissenschaftler und repräsentieren daher ausschließlich dessen persönliche Einschätzung, nicht aber eine offiziöse Meinung des Ressorts oder der Akademie.

Wir wünschen in diesem Sinne eine spannende Lektüre.

Herausgeber und Redaktion der „Strategischen Lage“

Eigentümer und Herausgeber: Bundesministerium für Landesverteidigung | Roßauer Lände 1, 1090 Wien
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