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Das nordkoreanische Raketenprogramm

von Sebastian Harnisch

Kurzfassung

◄ Seit Mitte der 90er-Jahre sind die USA aktiv bestrebt, das nordkoreanische Nuklearwaffen- und Trägersystemprogramm durch bilaterale Verhandlungen zu stoppen. Das so genannte "Genfer Abkommen" von 1994 fror zwar das Atomwaffenprogramm ein, sprach aber die Frage der Produktion und des Exports der ballistischen Trägersysteme nicht an. Ein Verhandlungsteam der Regierung Bill Clinton machte zwar 2000 erhebliche Fortschritte in dieser Frage, konnte aber letztendlich auch keine Einigung erzielen.

Pjöngjang sah die Verhandlungen als Gelegenheit, die internationale Isolation des Landes zu durchbrechen, und insistierte auf hochrangiger Besuchsdiplomatie, in deren Umsetzung die Nummer zwei der nordkoreanischen Militärhierarchie Washington einen Besuch abstattete sowie Pjöngjang die US-Außenministerin Madeleine Albright empfing. Selbst ein Besuch des scheidenden US-Präsidenten Bill Clinton in Nordkorea wurde in Aussicht gestellt.

Mit dem Regierungswechsel in Washington änderte sich aber die US-Politik gegenüber Nordkorea nachhaltig. Präsident Bush fühlte sich durch die Verhandlungsergebnisse seines Vorgängers nicht gebunden und schlug Pjöngjang gegenüber schärfere Töne an. Im Detail verlangten die USA eine verbesserte Umsetzung des Genfer Rahmenabkommens, v.a. den Zugang von Inspekteuren zu allen nordkoreanischen Nuklearstandorten, eine verifizierbare Begrenzung des nordkoreanischen Raketenprogramms und eine Beendigung von Raketenexporten durch Pjöngjang.

Nach den Terroranschlägen vom 11. September warnte die US-Regierung Norkorea öffentlich, die Krise nicht für militärische Aktionen gegen Südkorea zu nutzen. Einen Monat später reihte der US-Präsident den Norden in eine "Achse des Bösen" ein, die die eigene Bevölkerung verhungern ließe und gleichzeitig die Welt mit den gefährlichsten Massenvernichtungswaffen bedrohte. Im März des heurigen Jahres wurde zusätzlich durch eine Indiskretion bekannt, dass die USA Nordkorea als eines von sieben Ländern identifiziert hätten, das mit dem Einsatz amerikanischer Nuklearwaffen rechnen müsste.

In Summe sind 2001 die Chancen gesunken, dass Nordkorea sein Raketenprogramm beendet. Washington will keinesfalls auf seine Forderung nach Inspektionen vor Ort verzichten, um die Beendigung der Produktion und die Vernichtung bestehender Systeme zu überprüfen, Pjöngjang scheint nicht geneigt, bilaterale Vereinbarungen über die Trägersysteme zu treffen.

Wenig hilfreich ist, dass in der Regierung Bush mit Vizepräsident Cheney und Verteidigungsminister Rumsfeld Personen das "Ohr" des Präsidenten haben, die jegliche Vereinbarung mit Nordkorea ablehnen. Der Einfluss dieser Hardliner kann durch die gemäßigteren Regionalspezialisten des State Department nur zum Teil ausgeglichen werden. Zu befürchten ist, dass Nordkorea seiner Marginalisierung durch die USA durch eine provozierte Krise zu entkommen versuchen könnte. ►


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Das nordkoreanische Raketenprogramm

Gespräche zu dessen Beendigung zwischen Washington und Pjöngjang

Seit Mitte der 90er-Jahre haben diverse US-Regierungen versucht, das nordkoreanische Nuklear- und Trägersystemprogramm durch bilaterale Verhandlungen zu beenden. Im Oktober 1994 unterzeichneten beide Staaten eine Rahmenvereinbarung, das so genannte "Genfer Abkommen", welches das nordkoreanische Nuklearwaffenprogramm einfrieren - und letztendlich beenden soll. Die Frage der nordkoreanischen Produktion und des Exports von ballistischen Trägersystemen blieb jedoch offen. Trotz der im April 1996 begonnenen bilateralen Gespräche über die Beendigung des nordkoreanischen Programms konnte bis heute keine Einigung in dieser Frage erzielt werden. Im Gegenteil, nach dem (erfolglosen) Test einer Mittelstreckenrakete vom Typ Taepo-Dong I am 31.8.1998 verhärteten sich die Verhandlungspositionen beider Staaten.

Die Regierung unter Präsident Bill Clinton wandte sich - gedrängt vom republikanisch dominierten Kongress - nun ernsthaft dem Bau eines "Nationalen Raketenabwehrprogramms" als alternativer Strategie zu Rüstungskontrolle und Abrüstung im Trägersystembereich zu. Eine Vereinbarung zur Beendigung des Raketenprogramms, wie sie nach dem Besuch eines hochrangigen nordkoreanischen Vertreters in Washington und dem historischen Besuch von US-Außenministerin Madeleine Albright im Herbst 2000 in Pjöngjang in greifbare Nähe gerückt schien, scheiterte jedoch in letzter Minute an den innenpolitischen Wirren des US-Wahlausganges.

Die Auseinandersetzung innerhalb der Regierung Bush um eine neue Nordkoreapolitik führte in den ersten sechs Amtsmonaten zu einer vorsichtigen und auf Verifikation bedachten Position in der Frage der nordkoreanischen Trägersysteme. Diese wurde jedoch wegen der Terroranschläge des 11. September 2001 durch eine Mischung aus Verhandlungsbereitschaft und offensiver Rhetorik gegenüber Pjöngjang ersetzt. Die Chancen auf eine Fortführung und den baldigen Abschluss der bilateralen Raketengespräche sind deshalb derzeit skeptisch zu bewerten.

Die Raketengespräche der Regierung Clinton im Jahr 2000

Im Verlauf des Jahres 2000 konnte die Regierung Clinton in den bilateralen Gesprächen zur Beendigung des nordkoreanischen Raketenprogramms zwar erhebliche Fortschritte, letztendlich jedoch keine Einigung erzielen.

Kurz nach dem Start einer Mittelstreckenrakete vom Typ Taepo-Dong I Ende August 1998 hatte der US-Verhandlungsführer Robert Einhorn seinem nordkoreanischen Gegenüber finanzielle Unterstützung für regelmäßige Satellitenstarts im Ausland angeboten. Die US-Gesprächsposition zielte auf die Beendigung des nordkoreanischen Raketenprogramms im Einklang mit den Richtlinien des Missile Technology Control Regimes (MTCR) ab. Pjöngjang sollte auf die Produktion, den Test und die Stationierung von Raketen mit einer Reichweite von mehr als 300 Kilometern (Tragkraft 500 kg) und den Export von Raketen(teilen) sowie deren Technologie verzichten. Die Regierung Clinton verlangte ferner ein bilaterales Verifikationsregime. Als Anreiz stellte Washington die weitere Normalisierung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Staaten in Aussicht, wenn auch die verbleibenden anderen Fragen (u.a. internationaler Terrorismus) geklärt werden könnten.

Das US-Angebot wurde in den bilateralen Gesprächen im März und während der Perry-Visite im Mai 1999 in Pjöngjang wiederholt. Allerdings bestand Nordkorea zu diesem Zeitpunkt auf einer monetären Kompensation in Höhe von 1 Mrd. USD pro Jahr. Offensichtlich um ihre Verhandlungsposition zu stärken, traf die nordkoreanische Führung im Juni 1999 Vorkehrungen für einen zweiten Testflug des Taepo-Dong-Systems. Dieser wurde zwar durch eine konzertierte diplomatische Intervention der Trilateral Coordination and Oversight Group (TCOG, bestehend aus Vertretern der USA, Japans und Südkoreas) verhindert, die Gespräche mit Pjöngjang gerieten jedoch unter dem Eindruck der Debatte über ein nationales Raketenabwehrprogramm in den USA in schweres Fahrwasser.

Die nordkoreanische Seite attackierte die Regierung Clinton im ersten Halbjahr 2000 wiederholt wegen ihrer Raketenabwehrpläne. Ferner hielt sie an dem Junktim fest, nach welchem der bereits für das Frühjahr 1999 avisierte Besuch eines hochrangigen Vertreters in Washington nur dann durchgeführt werden könne, wenn die USA Nordkorea zuvor von der Liste der den internationalen Terrorismus unterstützenden Staaten streichen würden.

Die Auswirkungen des innerkoreanischen Gipfels

Der Besuch des hochrangigen nordkoreanischen Vertreters rückte erst wieder auf die Agenda, nachdem die USA im Zuge des innerkoreanischen Gipfels einige Sanktionen gegen Nordkorea aufgehoben hatten. Die Verhandlungen über die Visite gerieten nach einem ersten hohen bilateralen Treffen zwischen US-Außenministerin Albright und ihrem nordkoreanischen Amtskollegen Paek Nam-Sum am Rande der Tagung des ASEAN-Regionalforums in Bangkok (28.7.2000) abermals ins Stocken. Beide Seiten konnten jedoch Anfang Oktober durch eine Titfor-Tat-Regelung die noch ausstehenden Hemmnisse für den nordkoreanischen Besuch ausräumen. Nach der Euphorie des innerkoreanischen Gipfels verlagerte sich damit der Schwerpunkt der nordkoreanischen Diplomatie im Herbst 2000 wieder mehr in Richtung Washington.

Hochrangige nordkoreanische Visite in Washington

In bilateralen Gesprächen am 27.9.2000 verständigten sich beide Parteien darauf, dass die USA zunächst den Besuch von Vizemarshall Cho Myong-Rok ankündigen würden. Die Ankündigung wurde dann am 6.10. durch das gemeinsame Kommuniqué zur Terrorismusbekämpfung, welches eine Streichung Nordkoreas von der Liste der Staaten, die Terrorismus unterstützen, in Aussicht stellte, ergänzt. So wurde der Weg frei für den Besuch des bisher hochrangigsten Militärvertreters Nordkoreas vom 9. bis zum 12.10.2000 in Washington. Cho, der als zweiter Mann der nordkoreanischen Militärhierarchie und persönlicher Gesandter Kim Jong-Ils zusammen mit einer Delegation nach Washington reiste, traf dort mit Präsident Clinton, Außenministerin Albright, Verteidigungsminister William Cohen und den Koreaexperten des Außenministeriums zusammen. Cho überbrachte einen Brief von Kim Jong-Il, dessen Inhalt zwar nicht bekannt wurde, aber offenbar die Bereitschaft Nordkoreas signalisierte, zentrale amerikanische Anliegen (Terrorismus, Raketen etc.) anzusprechen, wenn Clinton sich im Gegenzug bereit fände, einer Einladung nach Pjöngjang Folge zu leisten. In einem gemeinsamen Kommuniqué vom 12.10.2000 wurde deshalb nicht nur der bereits avisierte Besuch Albrights bestätigt, sondern auch ein Besuch des scheidenden US-Präsidenten Clinton in Aussicht gestellt.

Das gemeinsame Kommuniqué enthielt ferner einige Punkte, die auf die wachsende Annäherung zwischen beiden Staaten in einigen wichtigen Fragen hinwiesen. Zum einen bestätigte der Norden sein einseitiges Raketenmoratorium, zum anderen wiesen beide Seiten auf die Fortschritte im Bereich der Zusammenarbeit gegen den internationalen Terrorismus hin. Darüber hinaus fand sich erstmals der Hinweis auf eine weiter gehende Transparenz in der Frage des nordkoreanischen Nuklearprogramms, welche wiederholt vom US-Kongress, zuletzt im Zusammenhang mit dem potenziellen Nuklearstandort in Kumchangri, angemahnt worden war. Im Kommuniqué hieß es dazu, dass die Inspektionsregelung bezüglich Kumchangris beispielhaft für die Schaffung von Transparenz sei. Damit wurde das Agreed Framework insofern (implizit) erweitert, als dass Nordkorea prinzipiell anerkannte, dass jene (potenziellen) Nuklearstandorte, deren Ausbau im vertraulichen Anhang zum Rahmenvertrag zwar verboten worden war (für die dort aber keine Inspektionsregelung vorgesehen worden war), nun einem Inspektionsregime unterworfen wurden. Darüber hinaus verwies das Kommuniqué explizit auf die Bedeutung der Raketengespräche für die weitere Normalisierung der bilateralen Beziehungen.

Albright-Visite in Pjöngjang

Bereits im Vorfeld des Besuches von Außenministerin Albright in Pjöngjang vom 22.-24.10.2000, dem ersten seiner Art nach dem Ende des Korea-Krieges, wurden deshalb Erwartungen laut, die einen Durchbruch in der Frage des Raketenprogramms für möglich hielten. Während des Besuchs konnten jedoch noch keine diesbezüglichen Regelungen vereinbart werden, obwohl es zu mehreren Treffen zwischen dem Vorsitzenden der Militärkommission Kim Jong-Il und Albright gekommen war. Staatschef Kim Jong-Il erklärte zwar öffentlich, dass der Test einer Taepo-Dong-Rakete nicht wiederholt würde, es wurde aber keine schriftliche Vereinbarung getroffen, die über das bestehende Moratorium - Teststopp für den Verlauf der bilateralen Raketengespräche - hinausreichte.

Bereits kurz nach der Visite wurde aber deutlich, dass beide Seiten in Bezug auf die Beendigung des nordkoreanischen Raketenprogramms ein gutes Stück vorangekommen waren. Zum einen blieb die avisierte Reise Clintons bis zur Absage Ende Dezember 2000 auf der bilateralen Tagesordnung, zum anderen wurden die im Juli unterbrochenen bilateralen Raketengespräche auf Expertenebene für Anfang November einberufen, um noch ausstehende Fragen zu erörtern.

Raketengespräche am Ende: ohne Vereinbarung!

In den verbleibenden zwei Monaten der Amtszeit Clintons kamen die viel versprechenden Raketengespräche unter dem Eindruck des ungewissen Wahlausgangs in den USA abermals ins Stocken. Einem Bericht der New York Times vom März 2001 zufolge war die Regierung Clinton zu diesem Zeitpunkt einer Beendigung des nordkoreanischen Programms sehr nahe gekommen. Pjöngjang hatte bereits während des Albright-Besuchs grundsätzlich akzeptiert, dass Nordkorea auf die Entwicklung, Produktion, den Test und Export von Trägersystemen mit einer Reichweite von über 300 Kilometern verzichten würde. Weder Raketen, deren Teile oder technische Daten noch Ausbildungskurse in anderen Staaten würde der Norden fortan zur Verfügung stellen. Darüber hinaus akzeptierte die nordkoreanische Führung, dass sie nicht monetär - wie bisher gefordert - sondern materiell in Form von Satellitenstarts oder Wirtschaftshilfe (Kohleabbau etc.) kompensiert werden würde. Unklar blieben nach der Albright-Visite jedoch folgende Fragen: 1. der Umfang der Inspektionen vor Ort; 2. der Verbleib der bereits produzierten und dislozierten Raketen(teile) sowie 3. die genauen Konditionen der nichtmonetären Kompensation durch die USA.

Im Zuge der Expertengespräche in Kuala Lumpur (1.-3.11.2000) legte der US-Vertreter Einhorn - offensichtlich um die Verhandlungen voranzutreiben - zwei Texte für Vereinbarungen vor: eine offizielle Erklärung und ein geheimes Zusatzprotokoll, welches die Pflichten beider Seiten detailliert auflistete. Diese schriftlich fixierte Verhandlungsposition beinhaltete, dass der Norden nicht nur auf Entwicklung, Produktion, Test und Export von Raketen mit einer Reichweite von 300 Kilometern und Tragkraft von mehr als 500 Kilogramm verzichten sollte, sondern auch genaue Angaben über bereits bestehende Systeme machen müsse. Unklar blieb hingegen, wie viel Kompensation Washington bereit sein würde zu zahlen.

Die Regierung Clinton konsultierte daraufhin das außenpolitische Team von Präsidentschaftskandidat George W. Bush jr., weil sich dessen Wahlsieg Anfang Dezember 2000 abzuzeichnen begann. Die designierte Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice und der designierte Außenminister Colin Powell signalisierten, dass die neue Regierung zwar eine Raketenvereinbarung nach der Vorlage der Regierung Clinton nicht verhindern werde, sich durch eine solche Vereinbarung jedoch nicht gebunden fühle. Letztendlich entschied sich der scheidende Präsident Clinton gegen einen letzten Versuch, die vorliegende Vereinbarung unter Dach und Fach zu bringen. Danach hätte die Nordkorea-Sondergesandte Sherman nach Pjöngjang reisen sollen, um das Datum des Präsidenten-Besuchs in Pjöngjang gegen weitere Zugeständnisse Nordkoreas in den ausstehenden Verifikationsfragen zu tauschen.

Die Nordkoreapolitik der Regierung Bush

Im Vergleich zu ihrer Vorgängerin schlug die neu ins Amt gekommene Regierung Bush jr. gleich zu Beginn einen deutlich härteren Kurs gegenüber Nordkorea ein. Dies war neben taktischen Erwägungen v.a. auf das mehrheitlich realistisch geprägte Denkbild der Regierung zurückzuführen, welches die internationale Politik im Wesentlichen als Kampf um Macht und Vorherrschaft begreift. Mit Donald Rumsfeld und Paul Wolfowitz, den wichtigsten Entscheidungsträgern in der zivilen Führungsriege des Pentagon, befinden sich zwei einflussreiche Skeptiker des bisherigen Einbindungsprozesses gegenüber Nordkorea im Bush-Team. Beide waren im Jahre 1998 maßgeblich an der Erstellung eines Berichtes über die Bedrohung der USA durch ballistische Raketen für den US-Kongress beteiligt, der wenige Wochen vor dem nordkoreanischen Test einer Mittelstreckenrakete (Taepo-Dong I) zu dem Ergebnis kam, dass die USA - im Gegensatz zu geheimdienstlichen Beurteilungen - deutlich stärker bedroht seien. Der so genannte "Rumsfeld-Bericht" und der wenig später erfolgte Taepo-Dong-Test markieren die entscheidende Wende in der inneramerikanischen Debatte über ein ballistisches Raketenabwehrprogramm. Im Präsidentschaftswahlkampf 2000 stützte der Kandidat Bush jr. seine Forderung nach einem schnellen Aufbau des Ballistic Missile Defence-(BMD)-Systems im Wesentlichen auf die Argumentation des Rumsfeld-Panels.

Das Pentagon-Duo Rumsfeld-Wolfowitz wird regierungsintern durch die starke Position des Vizepräsidenten Richard Cheney in der Außenpolitik gestützt. Cheney, einer der Mentoren Wolfowitzs und Mitarbeiter Rumsfelds während dessen Amtszeit unter Präsident Gerald Ford, veranlasste als Verteidigungsminister in der ersten Regierung Bush die Aussetzung des US-amerikanischen Truppenabzugs aus Südkorea wegen des nordkoreanischen Nuklearwaffenprogramms. Auf Grund seiner guten Kontakte zu konservativen Mitgliedern des US-Kongresses gilt er als wichtigste Persönlichkeit zur Rekrutierung der nötigen Mehrheiten bei zentralen Gesetzesvorhaben.

Dem Kreis der Konservativen um Vizepräsident Cheney stehen die Fachabteilungen des Außenministeriums mit dem Pragmatiker Colin Powell an der Spitze gegenüber. Zwar fügte sich Powell in der Nordkoreapolitik rhetorisch zunächst nahtlos in die Versuche der neuen Regierung, ein deutlich skeptischeres Profil als die Clinton-Regierung etablieren zu wollen. In seiner Berufungsanhörung nannte Powell den nordkoreanischen Führer Kim Jong-Il einen "Diktator", und das Außenministerministerium kehrte in seinen Stellungnahmen zur Rhetorik der so genannten "Schurkenstaaten" zurück.

Mit der Berufung des engen Powell-Vertrauten Richard Armitage zum stellvertretenden Außenminister gelangte jedoch ein gemäßigter Asienspezialist in das Zentrum des Entscheidungsprozesses im State Department. Armitage leitete im Winter 1998/1999 eine Gruppe unabhängiger republikanischer Experten zur Koreafrage, die parallel zum offiziellen Review-Verfahren unter dem Sonderbeauftragen William Perry und zur konservativgeprägten North Korea Advisory Group aus dem Repräsentantenhaus einen Bericht über die Einbindungspolitik gegenüber Nordkorea verfasste.

Die Armitage-Arbeitsgruppe kritisierte die Einbindungspolitik der Regierung Clinton als ungenügend, weil sie die konventionelle Rüstung Nordkoreas außer Acht lasse, keine konkrete Anbindung an weitere Nord-Süd-Kooperationen beinhalte und der verzögernden nordkoreanischen Verhandlungsführung Vorschub leiste. Stattdessen müsse die US-Politik auf die Verhandlung eines "umfassenden Ergebnisses" abzielen, welches gleichermaßen nukleare, raketentechnische, konventionelle und wirtschaftliche Zugeständnisse von Pjöngjang verlange. Gleichwohl akzeptierte die Gruppe die Grundzüge der Einbindungspolitik. Nur im Falle einer offensichtlichen Verweigerungshaltung solle sich Washington die Möglichkeit "präemptiver Maßnahmen" vorbehalten.

Der Gipfel von Washington

Die unterschiedlichen Auffassungen in der Regierung über die weitere Politik gegenüber dem nordkoreanischen Regime schlugen sich unmittelbar vor und während der US-südkoreanischen Gipfelgespräche am 7.3.2001 nieder. So erklärte Außenminister Powell einen Tag vor dem Gipfel, dass die US-Regierung einige Anknüpfungspunkte an die Politik ihrer Vorgängerin sehe und einen engen Koordinationsprozess mit den südkoreanischen Verbündeten suche. Präsident Bush vertrat unterdessen während des Gipfels die Auffassung, dass er zwar die "Sonnenscheinpolitik" des Südens unterstütze, der nordkoreanischen Führung aber misstraue. Bis zur Fertigstellung eines weiteren Berichts über die Nordkoreapolitik werde Washington deshalb keine Gespräche mit Pjöngjang führen. Der offensichtlich schlecht unterrichtete Präsident sagte ferner, dass er Zweifel daran habe, ob der Norden alle Vereinbarungen mit den USA einhalte. Auf Nachfragen von Journalisten, ob es neben dem Genfer Abkommen noch weitere Vereinbarungen bzw. ob es neue Erkenntnisse über den Bruch des Agreed Framework durch Nordkorea gebe, machte eine hochrangige Vertreterin des Weißen Hauses in einem Hintergrundgespräch widersprüchliche und z.T. sachlich falsche Angaben, so dass sich der Eindruck einer innerlich zerstrittenen und inhaltlich schlecht vorbereiteten Regierung einstellte.

Nationaler und internationaler Druck auf die Regierung Bush

Die offenen Meinungsunterschiede zwischen den USA und Südkorea zogen starke und negative Reaktionen im In- und Ausland nach sich. Bereits vor dem Gipfel waren in Südkorea kritische Stimmen gegenüber der harschen Washingtoner Rhetorik laut geworden. Während und nach dem Gipfel appellierte die südkoreanische Regierung öffentlich an den US-Präsidenten, an dem Einbindungskurs gegenüber Nordkorea festzuhalten.

Das nordkoreanische Regime reagierte ebenfalls erwartungsgemäß negativ. Bereits im Vorfeld des Kim-Bush-Gipfels drohte der Norden, sein Nuklearprogramm wieder aufzunehmen und das seit Oktober 1999 geltende Raketentestmoratorium zu beenden, falls Washington den eingeschlagenen Entspannungskurs nicht fortführe bzw. Pjöngjang nicht für die durch die Verzögerung beim Aufbau zweier Leichtwasserreaktoren (Korean peninsular Energy Development Organisation/KEDO-Prozess) verursachten Verluste kompensiere. Die formale Aussetzung der bilateralen Gespräche durch die Regierung Bush quittierte der Norden dann mit der Aussetzung des innerkoreanischen Dialogs samt der Vorbereitung für einen zweiten Gipfel in Seoul.

Die Staaten der Europäischen Union reagierten - nach einem Jahr mehr oder minder unkoordinierter Anerkennungspolitik gegenüber Pjöngjang - mit einer durch die schwedische EU-Präsidentschaft koordinierten eigenen diplomatischen Initiative, um den innerkoreanischen Gesprächsprozess über die Dauer der amerikanischnordkoreanischen Gesprächspause zu unterstützen. Im Zuge der bilateralen Gespräche mit einer EU-Troika unter Leitung von Schwedens Ministerpräsident Göran Persson erklärte der nordkoreanische Staatsführer Kim Jong-Il, dass Nordkorea bis 2003 auf weitere Raketentests verzichte (und damit die bisherige Bindung des Testmoratoriums an den Fortgang der amerikanischnordkoreanischen Gespräche aussetze).

Auch innenpolitisch geriet die neue US-Regierung mit ihrer abwartenden Haltung unter starken Druck, insbesondere aus der außen- und sicherheitspolitischen Community. In einem Editorial der liberalen Fachzeitschrift Arms Control Today argumentierte der frühere US-Abrüstungsunterhändler Spurgeon Keeney, dass die ablehnende Haltung der Regierung Bush (trotz der guten Aussichten auf eine baldige Beendigung des nordkoreanischen Raketenproduktions- und -exportprogramms) als Versuch gewertet werden könne, an der nordkoreanischen Bedrohung festzuhalten, um das umstrittene Raketenabwehrprogramm (BMD) zu rechtfertigen. Gleichzeitig drängte eine überparteilich besetzte Expertenkommission des angesehenen Council on Foreign Relations zur Koreapolitik in einem Brief an Präsident Bush auf eine Fortführung der bisherigen Politik. Sie forderte insbesondere die weitere Unterstützung der südkoreanischen Einbindungspolitik, die Fortsetzung der Raketengespräche zur Eliminierung des nordkoreanischen Raketenprogramms, die Konsultation mit den Verbündeten über die Implementation und Modifikation des Genfer Rahmenabkommens sowie die Stärkung der trilateralen Politikkoordination mit Südkorea und Japan (TCOG). Auch die demokratische Fraktion in Repräsentantenhaus und Senat kritisierte die Regierung Bush jr. scharf für ihre abwartende Haltung, da sie die "historische Chance" zur Beendigung des nordkoreanischen Raketenprogramms, wie sie von der Clinton-Administration bereits verhandelt worden sei, verpasse.

Die Ergebnisse des Nordkorea-Review-Prozesses

Der Nordkorea-Review-Prozess der Regierung Bush wurde im Vergleich zur Clinton-Regierung in Rekordzeit beendet. Bereits Ende Mai 2001 wurden die vorläufigen Ergebnisse vom zuständigen stellvertretenden Außenminister für Ostasien und den Pazifik, James Kelly, bei einem Treffen der TCOG-Gruppe diskutiert. Bush verkündete sie am 6.6.2001 öffentlich. Im Wesentlichen spiegelten sie die Empfehlungen der Armitage-Studie vom Frühjahr 1999 und der Council on Foreign Relations-Studie vom März 2001 wider. Eine dramatische Kursänderung gegenüber der Clinton-Politik trat damit zunächst nicht ein, wohl aber eine erkennbare Verschärfung der Bedingungen für eine weiter gehende Normalisierung der Beziehungen. Im Einzelnen sah das neue Nordkorea-Konzept der Bush-Regierung Folgendes vor: 1. Eine verbesserte Umsetzung des Genfer Rahmenabkommens. Hierbei handelte es sich u.a. um die Frage des Zugangs der IAEA-Inspekteure zu allen Nuklearstandorten, bevor im Rahmen des KEDO-Prozesses kritische Nuklearkomponenten der beiden Leichtwasserreaktoren an Nordkorea geliefert wurden. Eine Revision des Genfer Abkommens wurde hier zwar - im Gegensatz zu Forderungen aus dem US-Kongress - nicht explizit gefordert, aber auch die Regierung Clinton hatte bereits versucht, mindestens einen der beiden Nuklearreaktoren durch ein konventionelles Kraftwerk zu ersetzen.

2. Eine verifizierbare Begrenzung des nordkoreanischen Raketenprogramms und eine Beendigung von Raketenexporten. Der Fokus der Regierung Bush lag hier auf Verifizierungsmaßnahmen, um die von der Clinton-Regierung bereits verhandelten Bedingungen der Begrenzung des nordkoreanischen Raketenprogramms überprüfbar zu machen.

3. Eine Reduzierung der konventionellen Bedrohung durch Nordkorea. Im Gegensatz zur Regierung Clinton, welche die konventionelle Bedrohung in den Rahmen der Vier-Parteien-Gespräche verlegte, war die Regierung Bush offensichtlich gewillt, die unter Verteidigungsminister Cheney 1991 ausgesetzte Reduzierung und Umstrukturierung der US-Truppen in Südkorea in die Verhandlungsmasse mit Pjöngjang einzubringen. Gleichwohl durfte dies auch dazu dienen, die Bereitschaft Pjöngjangs zu testen, einem umfassenden Verhandlungspaket, welches nukleare, konventionelle, wirtschaftliche und finanzielle Fragen umfasst, zuzustimmen.

Rhetorische Annäherung und die Auswirkungen der Anschläge des 11. September 2001

Mit der Neugewichtung der Verhandlungsgegenstände durch den Policy-Review der Regierung Bush verzögerte sich die Wiederaufnahme der Raketengespräche zwischen Washington und Pjöngjang. Die Priorisierung von ungehinderten IAEA-Inspektionen, die Forderung nach einem starken bilateralen Verifikationsregime und die Thematisierung konventioneller Abrüstungsfragen wurden in Pjöngjang als Indikator für eine deutliche Verschärfung der US-Position gewertet. Obwohl die USA im Juni erneut Sanktionen gegen North Korea‘s Changwang Sinyong Corporation im Rahmen des Iran Nonproliferation Act 2000 für unspezifizierte Lieferungen von Raketenteilen an den Iran verhängten, hielt das Bush-Team an seiner prinzipiellen Gesprächsbereitschaft fest.

Der Policy-Review der Regierung Bush führte allerdings nicht zu einer Verstetigung der US-Haltung in der Raketenfrage. So kommentierte der stellvertretende Außenminister für Asien/Pazifik, Richard Armitage, den Test eines nordkoreanischen Raketenmotors Ende Juni mit den Worten: "Daran ist an sich nichts auszusetzen." Auch betrachte die Regierung Bush den Test nicht als einseitigen Bruch des im Mai gegenüber der EU-Troika bekräftigten Raketentestmoratoriums.

Wenige Tage später warnte jedoch der US-Oberkommandierende in Korea, General Thomas Schwartz, vor einer wachsenden militärischen Bedrohung durch Nordkorea. Der stellvertretende US-Verteidigungsminister Wolfowitz unterstrich bei Beratungen des Verteidigungshaushaltes (Fiskaljahr 2002) den Ernst der Bedrohung von US-Truppen durch Kurzstreckenraketen und der US-Bevölkerung durch nordkoreanische Langstreckenraketen. Hoffnungen, die bilateralen nordkoreanischrussischen (Mitte August 2001) und nordkoreanischchinesischen Gipfeltreffen (Anfang September 2001) könnten zu einer Wiederaufnahme der Raketengespräche mit Washington führen, erfüllten sich daher nicht.

Seit dem verheerenden Terroranschlag vom 11. September 2001 hat sich die Prioritätensetzung der amerikanischen Sicherheitspolitik in Asien deutlich verändert. Neben anderen Staaten der Region unternahm auch die nordkoreanische Führung zunächst den Versuch, auf diesen Wandel einzugehen. Gemeinsam mit Südkorea verurteilte der Norden die Anschläge auf die USA und bezeichnete (nicht näher spezifizierte) Gegenmaßnahmen als gerechtfertigt. Zudem ventilierte die nordkoreanische Führung am 17.9. über die Parteizeitung Rodong Shimun die Idee, dass der Norden die Produktion weiterer Raketen aussetzen könne, wenn die USA (verifizierbar) ihre Nuklearwaffen und Trägersysteme aus dem Süden abgezogen hätten, was einer offensichtlichen Offerte Pjöngjangs angesichts der nach den Anschlägen abermals gewachsenen Besorgnis in Washington über nordkoreanische Lieferungen in den Nahen und Mittleren Osten gleichkam. Anfang Oktober 2001 nahm das US-Außenministerium allerdings die japanische Rote Armee von seiner Liste der internationalen Terrorgruppen, ohne jedoch Nordkorea von der Liste der Terrorismus unterstützenden Staaten zu streichen.

Gleichzeitig verschärften Teile der Regierung Bush ihre Rhetorik gegenüber Pjöngjang erheblich. Am 17.10. erklärte der Präsident selbst gegenüber einer Gruppe von Herausgebern asiatischer Zeitungen, dass der Norden nicht den Versuch unternehmen sollte, die derzeitige Krise für militärische Aktionen gegen Südkorea zu nutzen. Die USA würden auch in Krisenzeiten zu ihren Verteidigungsverpflichtungen stehen. Am 19.11. sagte der stellvertretende US-Außenminister für internationale Sicherheit, John Bolton, dass Nordkorea seine Pflichten als Mitglied der Biologiewaffen-Konvention durch die Produktion von verbotenen Kampfstoffen verletzt habe und weiter verletze.

Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte die rhetorische Aufrüstung Washingtons in der Rede von Präsident George W. Bush zur Lage der Nation am 29.1.2002. Neben dem Irak und dem Iran reihte der US-Präsident Nordkorea in eine "Achse des Bösen" ein, die ihre eigene Bevölkerung verhungern ließe. Die USA würden es nicht zulassen, so Bush wörtlich, dass diese Regimes die Welt mit den gefährlichsten Waffen bedrohten. Auf Grund dieser Äußerung und der daraus resultierenden Angst vor einer militärischen Krise in der südkoreanischen Bevölkerung sahen sich sowohl die US-Botschaft in Seoul als auch Außenminister Powell Anfang Februar gezwungen zu erklären, dass kein US-amerikanischer Angriff auf Nordkorea geplant sei und ein solcher auch ohne vorherige Konsultation mit den Verbündeten nicht erfolgen werde.

Ein Gesprächsangebot der nordkoreanischen Seite beantwortete der US-Präsident während seiner Asienreise (17.-22.2.2002) bei einem Aufenthalt in Seoul mit der (erneuten) Beteuerung, dass die USA weder einen Krieg gegen Nordkorea noch eine Invasion des Landes planten. Hoffnungen (insbesondere der südkoreanischen Regierung) auf die Wiederaufnahme direkter bilateraler Gespräche, die sich aus Kontakten des Sondergesandten Pritchard mit der nordkoreanischen UN-Mission in New York speisten, wurden jedoch bereits Anfang März wieder enttäuscht.

Durch eine gezielte Indiskretion wurde am 8.3.2002 bekannt, dass die Regierung Bush in dem (bisher geheimen) Nuklearplanungsdokument (Nuclear Posture Review/NPR) Nordkorea als eines von sieben Ländern identifizierte, welches mit dem Einsatz von US-Nuklearwaffen rechnen müsse. Der NPR 2002 sah drei Szenarien vor, die einen solchen Einsatz rechtfertigten: 1. die Bombardierung von Stellungen, die konventionellen Waffen standhielten, 2. der Erst-Einsatz von ABC-Waffen durch das Zielland 3. unvorhergesehene militärische Entwicklungen.

Die nordkoreanische Seite reagierte erwartungsgemäß scharf, indem sie auf die gemeinsame Erklärung beider Staaten vom 11.6.1993 verwies, welche die gegenseitige Androhung von Gewalt untersagte, und die Wiederinbetriebnahme ihres Nuklearprogramms androhte.

Unter dem wachsenden Einfluss konservativer Gegner des Entspannungskurses im US-Kongress erklärte die Regierung Bush zudem am 20.3.2002, dass sie die für die US-Beitragszahlung zum KEDO-Projekt notwendige Zertifizierung nordkoreanischen Wohlverhaltens nach dem Fiscal Year 2002 Foreign Operations Appropriations Act nicht vornehmen werde. Dieses Gesetz sah vor, dass die US-Regierung nur dann die notwendigen Mittel bereitstellen dürfe, wenn 1. erkennbare Fortschritte bei der Annäherung zwischen beiden koreanischen Staaten stattgefunden hätten, 2. die bilateralen Gespräche über die Beendigung des nordkoreanischen Trägersystemprogramms Fortschritte erzielt hätten 3. Nordkorea seinen Verpflichtungen im Rahmen des Genfer Rahmenabkommens nachkomme.

Zwar betonte die US-Regierung, dass sie auf Grund übergeordneter "nationaler Sicherheitsinteressen" das Zertifizierungsgebot aussetze, doch stieß diese abermalige Verschärfung der US-Position auf erhebliche Kritik in Expertenkreisen.

Vor diesem Hintergrund unternahm die südkoreanische Regierung Anfang April 2002 eine erneute Initiative, um Washington und Pjöngjang an den Verhandlungstisch zurückzuführen. Zwar konnte der Sondergesandte Lim Dongwon nach dreitägigen Verhandlungen Anfang April 2002 vermelden, dass der Norden nun wieder zu hochrangigen Verhandlungen mit Washington bereit sei, doch stand der Besuch des US-Verhandlungsführers Pritchard zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Manuskripts noch aus.

Schlussbetrachtung

Die Chancen für eine Beendigung des nordkoreanischen Raketenprogramms sind im Verlauf des Jahres 2001 gesunken. Technische, politische und bürokratische Gründe sprechen dafür, dass sich daran kurz- bis mittelfristig nichts ändern wird. Technisch betrachtet blieb am Ende der Regierung Clinton in den Verhandlungen mit Nordkorea die komplexe Frage der Vorortinspektionen von Produktionsstätten ungeklärt. Die Regierung Bush hat deutlich gemacht, dass sie sich hierbei nicht nur auf "nationale Informationssysteme" verlassen würde, sondern ein weit reichendes bilaterales Inspektionsregime für die Beendigung der Produktion, aber auch die Vernichtung bestehender Systeme im Auge habe. Die nordkoreanische Seite habe solchen Vereinbarungen im Nuklearbereich bereits zugestimmt, aber jeweils einen hohen Preis als "Entschädigung" verlangt. Eine bilaterale Vereinbarung für Trägersysteme allein scheine deshalb ausgeschlossen.

Politisch betrachtet finden sich, im Vergleich zur Clinton-Regierung, deutlich mehr skeptische Stimmen im Bush-Kabinett, die jegliche Vereinbarung mit Nordkorea ablehnen. Diese v.a. im Pentagon und im Stab des Vizepräsidenten zu findenden Stimmen werden zwar durch die Regionalspezialisten des Außenministeriums, Kelly und Armitage, wettgemacht, doch ist das Ergebnis dieser regierungsinternen "Balance" ein wenig tragfähiger Kompromiss, der die ohnehin schon komplexe Agenda (Nuklearfrage, Trägersysteme, Terrorismus) noch ausweitet (konventionelle Abrüstung). Alles andere als eine umfassende Paketlösung scheint vor dem Hintergrund dieser bürokratischen Auseinandersetzungen nicht in Frage zu kommen.

Einer umfassenden Paketlösung stehen gleichwohl neben den aktuellen politischen Rahmenbedingungen auch strukturelle Faktoren entgegen.

Die Prognose für eine Eindämmung oder Beendigung des nordkoreanischen Raketen(export)programms, die auch die "angeschlossenen Programme" im Iran, in Libyen, Pakistan und anderen Staaten deutlich verzögern dürfte, muss daher skeptisch ausfallen. Aktuell ergibt sich durch die Formierung der Terrorkoalition für die nordkoreanische Führung die Chance, sich durch ein Abschwören vom Terrorismus (z.B. durch die Ausweisung der in Nordkorea Gastrecht genießenden Terroristen in ein Drittland) in Szene zu setzen und dafür politische oder wirtschaftliche "Kompensationen" zu erhalten. Damit dürften dann aber auch zahlreiche andere illegale Aktivitäten Nordkoreas (u.a. Drogenhandel, Geldfälschung) in den Blick der USA geraten, aus denen die nordkoreanische Elite bisher Devisen geschöpft hat und diese daher ungern aufgeben wird. Gleichzeitig lässt sich die "rhetorische Verstrickung" der Regierung Bush in die Ausweitung der Terrorbekämpfung gegen eine "Achse des Bösen" auch gegen eine schnelle Lösung der nordkoreanischen Raketen- oder Nuklearproblematik ins Feld führen. Um zu einer umfassenden Paketlösung zu gelangen, bedürfte es des persönlichen Einsatzes führender Entscheidungsträger aus dem Außen- und Verteidigungsministerium. Ein solcher massiver Einsatz ist auf Grund der offensiven Rhetorik und der derzeitigen Krise im Nahen und Mittleren Osten kaum vorstellbar. Nordkorea wird deshalb warten müssen. Dass Nordkorea abermals versuchen könnte, durch einen provozierten "Zwischenfall" eine diplomatische Krise zu erzeugen, damit es auf der US-Agenda nach oben katapultiert wird, kann daher nicht ausgeschlossen werden.

Strukturell betrachtet ist die Beendigung des nordkoreanischen Trägerprogramms deshalb so schwierig, weil das nordkoreanische Militär nach einer jahrzehntelangen beispiellosen Militarisierung der Gesellschaft durch "Abrüstung" seine bisher dominante Stellung als Garant für das dynastische Regime von Kim Il Sung und Kim Jong Il verlieren würde. Gleiches gilt auch für das nordkoreanische Nuklearprogramm, dessen Bedeutung für die "Regimesicherheit" nicht unterschätzt werden sollte. Erst eine nordkoreanische Regierung, die ihr Überleben auf etwas anderes gründet als die Abwehr der Bedrohung durch das demokratische Südkorea und seine Verbündeten, wird bereit und in der Lage sein, auf die Produktion, den Export, den Besitz und Einsatz von Massenvernichtungswaffen zu verzichten.

Dr. Sebastian Harnisch

Geb. 1967; 1988-1993 Studium der Politikwissenschaft und Geschichte an der Universität Trier; September 1990-Mai 1991 Studium der amerikanischen Geschichte/Diplomatiegeschichte und Internationalen Beziehungen an der Georgetown University, Washington D.C.; Dezember 1993-März 1999 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen/Außenpolitik der Universität Trier; seit März 1999 Mitglied des Vorstandes und ab März 2001 des Beirates des Zentrums für Ostasien-Pazifik-Studien der Universität Trier; seit April 1999 wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen/Außenpolitik der Universität Trier.



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Reichweiten norkoreanischer Raketen.
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