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Krieg und Frieden in Byzanz

von Paul Meinrad Strässle

Kurzfassung

◄ Von der römischen Universalitätsidee ausgehend, verstand sich Byzanz als Erbe des Imperium Romanum und erhob Anspruch auf die Beherrschung aller Länder, die einst zum Römischen Reich gehört hatten. Das Selbstverständnis der Byzantiner (Rhomäer) war geprägt durch ihre den anderen Völkern überlegene Herrschaft, die sich in einem Gefühl von Superiorität äußerte. Der Kaiser verstand sich als von Gott eingesetzt und für das Wohl des Staates verantwortlich; er war zugleich Feldherr und Friedensbringer, der mit Hilfe der Armee des "Gottesvolkes" der Rhomäer und im Rahmen der politischen Orthodoxie für Frieden zu sorgen hatte.

Kriege wurden im Auftrag Gottes geführt, um dessen Weltordnung zu wahren. Musste das Staatswohl durch eine militärische Entscheidung gesichert werden, dann konnte dies nur durch einen vollständigen Sieg, entweder durch die Vernichtung des Feindes oder durch den Abschluss eines sicheren Vertrages, garantiert werden. Jede Entscheidung im Krieg wurde letztlich als Entscheidung Gottes verstanden, weil das militärische Denken in Byzanz vollkommen in der göttlichen Weltordnung verankert war. Die Armee des "auserwählten Volkes" der Rhomäer war als Werkzeug Gottes zum Schutze des Reiches zu verstehen.

Aus diesem Konzept einer von der Pax Romana abgeleiteten Pax Byzantina erschien der Krieg einerseits als legitim in der antiken Tradition des bellum iustum, andererseits als notwendig, um das Reich aufrechtzuerhalten bzw. auszudehnen. Die daraus resultierende Auffassung von unbegrenzter Kriegführung gegen sowohl "Ungläubige" als auch Mit-Christen war ein wichtiger Faktor im byzantinischen Selbstverständnis, der die Grundlagen byzantinischer Innen- und Außenpolitik beeinflusste.

Dieses gedankliche Spannungsfeld von Krieg und Frieden wird auch in den byzantinischen Militärtraktaten des 6. bis 11. Jahrhunderts reflektiert, die außer militärischem Fachwissen auch eine Vorstellung von der politischen Idee sowie der Grundordnung der Welt und der ihr dienenden Kriegführung geben. Deren höchstes Ziel war die Wahrung bzw. Wiederherstellung des Friedens, indem man den Gegner besiegte und ihm Gesetze auferlegte. Kriegführung wurde in den Traktaten sowohl auf strategischer als auch taktischer Ebene von Zurückhaltung und Schonung kostspieliger Streitkräfte geprägt.

Laut den Militärtraktaten war das menschliche Verständnis von Strategie und Taktik gottgegeben; Gottes Urteil wurde zum ordnungs- und wegweisenden Faktor für die Entscheidung im Kriege. Jeder Feldzug war im Sinne der vom orthodoxen Glauben geprägten politischen Idee legitimiert, die mit ein Grund für die Langlebigkeit des Byzantinischen Reiches war. ►


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Krieg und Frieden in Byzanz

Von der römischen Universalitätsidee ausgehend, verstand sich das ethnisch heterogene Byzanz als Erbe des Imperium Romanum und erhob Anspruch auf die Beherrschung aller Länder, die einst zum römischen orbis gehört hatten und nun Teile der christlichen Oikumene darstellten. Der von Gott eingesetzte Kaiser hatte für das Wohl des Staates zu sorgen. Musste dies durch eine militärische Entscheidung herbeigeführt werden, dann konnte nur ein vollständiger Sieg - entweder durch endgültige Vernichtung des Feindes oder in Form eines sicheren Vertrages - Frieden garantieren. Kriege wurden im Auftrag Gottes geführt, um letztlich dessen Weltordnung zu wahren. Jeder Krieg wurde vom und für das Volk Christi als dem von Gott auserwählten, heiligen Volk und für die christliche Oikumene ausgefochten. Ganz im alttestamentlichen Sinne betrachteten sich die Rhomäer selbst als Friedensträger: Byzanz als neues Israel und Konstantinopel als neues Jerusalem. Für die Idee der Pax Byzantina erschien der Krieg nicht nur legitim (und hier ganz in der antiken Tradition des "gerechten Krieges"), sondern auch notwendig, um das heilsgeschichtlich determinierte Reich aufrechtzuerhalten, gegebenenfalls auszudehnen.

Die byzantinische Reichskonfiguration

Die Auseinandersetzung mit dem Thema von "Krieg und Frieden" in Byzanz als dem Oströmischen Reich im Mittelalter ist insbesondere aus zwei Gründen von Bedeutung: Erstens ist in der byzantinischen, v.a. historischen Literatur in beträchtlichem Maße von bewaffneten Konflikten die Rede. Byzantinische Geschichte ist daher de facto Kriegsgeschichte. Doch Fragen zum Thema von Krieg und Frieden werden in der Byzantinistik erst seit wenigen Jahren gestellt. Dies mag gerade dann erstaunen, wenn beispielsweise in der Mahnrede - dem so genannten Logos nuthetikos - des hohen Beamten namens Kekaumenos an den Kaiser im 11. Jahrhundert nur allzu treffend ein Stück byzantinischer Wahrheit ausgesprochen wird: "Denn das Heer ist der Ruhm des basileus und die Stärke des Palastes. Wenn das Heer nicht (mehr) existiert, besteht auch das Reich nicht (mehr), und ganz und gar jeder, der will, kann sich gegen Dich erheben." Die Armee diente als Mittel zur Herrschaftssicherung und damit zur Erhaltung und Schaffung von Ordnung (taxis) und Frieden (eirene). Das Territorium des Byzantinischen Reiches erstreckte sich vom 4. bis 6. Jh. über den gesamten östlichen Mittelmeerraum (Cyrenaica, Ägypten, Syrien, Kaukasus, Kleinasien und Balkanhalbinsel bis auf die Höhe der Donau-Save-Linie). Kaiser Justinian I. (527-565) gelang es durch beharrliche Konzentration aller Ressourcen des Staates, große Teile der im 5. Jahrhundert untergegangenen Westhälfte des ehemaligen Imperium Romanum noch einmal zurückzuerobern und mit dem oströmischen Reichsteil zu vereinen. Im Todesjahr dieses Kaisers dehnte sich das Reich von Spanien bis Syrien und von der Donau bis Nordafrika aus. In der Folge befand sich das byzantinische Territorium in einem allmählichen Schrumpfungsprozess, abgelöst von wenigen Phasen der Ausdehnung. Das mächtige monolithische Gebilde wurde im Jahre 1204 anlässlich des 4. Kreuzzuges durch die Lateiner unter Führung Venedigs zerstückelt. Nach einer vorübergehenden territorialherrschaftlichen Regeneration im 13. Jahrhundert, besonders nach 1261, endete Byzanz im 15. Jahrhundert, bildlich gesprochen, in einem Haufen verstreuter kleiner territorialer Flecken (Konstantinopel und Umgebung, Thessalonike und Berg Athos, einige agäische Inseln, darunter Patmos, und Mistra in der Ost-Peloponnes).

Der byzantinische Staat mit seinem hohen Anteil an maritimer und insularer Fläche (6.-12. Jh.), seinen weitläufigen und leicht durchlässigen Grenzen und wenig natürlichem Schutz (wie Flüssen, Gebirgen etc.) sah sich im Laufe seiner 1000-jährigen Entwicklung ständig militärischen Bedrohungen an mehreren Fronten ausgesetzt. Neben der Westfront in Unteritalien und Sizilien, der Nordfront im Balkanraum und der Ostfront in Kleinasien existierte auch die innere Front: Opposition, Aufstände und Bürgerkriege.

Die Abwehr der Angriffe von Territorialstaaten und unberechenbaren Nomadenvölkern (wie beispielsweise von berittenen Turkstämmen) mit ihren unterschiedlichen Strategien und Taktiken erforderte von Byzanz eine starke militärische Verteidigungsstruktur in den Provinzen, wie dies vom 7. bis 11. Jahrhundert mit der "Themenorganisation" (Thema = politischmilitärische Verwaltungseinheit) und den "Fortifikationen" dann auch der Fall war. Darüber hinaus bedurfte es wirksamer mobiler Kräfte, der so genannten tagmata-Heere der Hauptstadt; allein diese stehenden Truppen beispielsweise vermochten eine Schlacht zu entscheiden. Parallel zur Entwicklung dieses komplexen Verteidigungssystems in mittelbyzantinischer Zeit - speziell unter der Herrschaft der Kaiser der makedonischen Dynastie (867-1056) - wurde die Kriegführung (Strategie und Taktik) auch theoretisch begründet. Der Krieg wurde in all seinen Aspekten gedacht - natürlich mit der Unterstützung kriegswissenschaftlicher Erkenntnisse aus der Antike. Als im 6. Jahrhundert die Kavallerie einen vorherrschenden Platz einnahm und sich das Bedrohungsbild (Awaren und Türken) verändert hatte, wurde in Ostrom im Sinne der Nachahmung (mimesis) auf die antiken griechischen und römischen Taktiker, Strategiker und Poliorketiker (Spezialisten für Belagerungstechnik) zurückgegriffen (so genannte retractatio) - so z.B. auf Ailianos, Arrianos und Julius Africanus, auf Onasandros, Polyainos und Flavius Vegetius Renatus. Die vorbildhaften Grundsätze und Techniken dieser Kriegsschriftsteller wurden adaptiert und auf die spezifisch neuen Bedingungen in einer Welt mit sich ändernden militärischen Technologien angewendet. Die beachtliche kriegswissenschaftliche Tätigkeit erlebte - wohl nicht zuletzt wegen der wachsenden Gefährdung des Reiches durch die Araber seit dem Ende des 9. Jahrhunderts - ihren Höhepunkt im 10. Jahrhundert, der letzten politischen und militärischen Blütezeit des Byzantinischen Reiches.

Zweitens ist Kriegsgeschichte immer auch Friedensgeschichte. Schon in der Antike wurde Frieden in der dem Menschen innewohnenden Dialektik mit Krieg (als dem ursprünglichen Zustand) verstanden und stets als das zu erstrebende höchste Ziel menschlichen Zusammenlebens gesehen. Krieg und Frieden sind allgemein einander wechselseitig ausschließende Zustände. Krieg existiert, seitdem und solange es Menschen gibt. Der Mensch ist von Natur aus friedliebend und kriegerisch zugleich, und gerade das ist das Problem des Krieges und der Geschichte der Menschheit überhaupt. Der so genannte homo politicus, oeconomicus, religiosus usw. begegnet uns immer sowohl als homo pacis wie auch als homo militaris. In der byzantinischen Militärtheorie des 6. Jahrhunderts wird die vielfältige, unberechenbare Natur des Menschen hervorgehoben, die zu vielem - besonders auch Nachteiligem - fähig ist. Wenn der Krieg, wie der griechische Philosoph Heraklit aus Ephesos im 6. Jahrhundert v. Chr. lehrt, der Vater aller Dinge ist und der Friede die Ausnahmesituation, dann sind wir aufgefordert, das Verständnis von Krieg und Frieden, besonders aber die Friedensbemühungen eines Staates - wie eben von Byzanz - zu untersuchen.

Um sich ein Bild von der weltanschaulichen Begründung der Kriegführung in Byzanz zu machen, gilt es, nach deren Legitimierung als der Rechtfertigung durch höhere Werte und Grundsätze zu fragen. Es sollen die Grundzüge der Kriegführung und deren Rechtmäßigkeit in einschlägigen byzantinischen Militärtraktaten erkannt werden. Im Zentrum steht dabei das Verständnis von Staat und universaler Herrschaft einerseits, von Krieg und Frieden andererseits. Mit der politischen Idee verbunden ist auch der religiöse Faktor - in seiner abstrakten wie konkreten Dimension.

Das Grundproblem in den Griff bekommen heißt, sich im Hintergrund die einzelnen Ebenen vorstellen, in denen die Legitimitätsfaktoren verwurzelt sind. Es sind dies: die politischideelle und die damit verwobene religiöse, gesetzliche und militärische Ebene. Das Denken von Krieg und Frieden bezog sich auf das Reichsganze, die so genannte oikumene (sc. ge), d.h. die bewohnte christlichrömische Erde - analog zum orbis Romanus - unter den Kaisern Augustus (63 v. Chr. - 14 n. Chr.), Trajan (53-117) und Hadrian (76-138). Weiter haben wir es mit dem Konnex von Frieden und dem höchsten irdischen Herrschaftsträger, dem Stellvertreter Gottes auf Erden, ebenso mit dem Zusammenhang von Frieden und Heilsgeschichte (Eschatologie) zu tun. Die integrierte Betrachtung der miteinander verknüpften Faktoren, die als Elemente einer geordneten Ganzheit einer Idee nur alle zusammen zur Rechtfertigung des Kriegführens beitrugen, wird dem politischen Denken der Byzantiner am ehesten gerecht. Dieses war erfüllt von der einen Kaiserherrschafts- und Reichsidee religiöser und gesetzlicher Prägung und ihrer Organisation (Kür und Herrschaftsausübung) im Alltag.

Was die Quellen betrifft, dokumentiert sich das Denken der Byzantiner über Krieg und Frieden nicht nur in ihren diesbezüglichen Vorstellungen in historischen Texten und Fürstenspiegeln, sondern ganz besonders auch in theoretischen Grundgedanken, wie sie gerade in Militärtraktaten des 6.-11. Jahrhunderts anzutreffen sind. In diesen so genannten Taktika oder Strategika wird die militärische Angelegenheit als wichtiger Bestandteil der staatlichen Politik und letztlich des Lebens allgemein betrachtet. Von Interesse sind in chronologischer Reihenfolge folgende fünf Werke: zunächst der Traktat Peri Strategias (De re strategica, "Von der Strategie"), der im 6. Jahrhundert von einem anonymen Autor verfasst wurde. Sodann sei das so genannte Strategikon des Kaisers Maurikios (Wende 6./7. Jahrhundert) erwähnt, dessen Autorschaft ebenfalls nicht geklärt ist. Dieses Handbuch war das grundlegende Werk über das byzantinische Kriegswesen, bis es im 10. Jahr- hundert durch die Taktika Kaiser Leons VI. ersetzt wurde. Es handelt sich hier um die bekannteste und zugleich meistkopierte militärische Abhandlung in Byzanz. Sie war auch noch im 11. Jahrhundert, trotz inzwischen erschienener anderer Traktate (zu Teilaspekten der Taktik), das autoritative Referenzwerk - sozusagen die "Kriegsbibel" - schlechthin. Weiter sei der Traktat Peri paradromes (De velitatione bellica, "Vom Feldzug") genannt. Diese Schrift entstand vermutlich kurz nach 969, ohne dass ihr Autor bekannt ist. Und schließlich enthält das so genannte Strategikon des Kekaumenos aus dem 11. Jahrhundert neben strategischen und taktischen Anweisungen auch politische, diplomatische und moralische Empfehlungen an einen Feldherrn und Kommandanten der politischmilitärischen Verwaltungseinheit thema.

Aus all diesen Überlegungen heraus stellt sich somit die Grundfrage: Was verstanden die Byzantiner unter "Kriegführung" und durch welche Faktoren der politischen Idee wurde sie legitimiert?

Kriegführung: Strategie und andere Künste

Unter "Kriegführung" wird allgemein die Vorbereitung und Durchführung von Operationen, respektive militärischen Maßnahmen, in einem Krieg beziehungsweise bewaffneten Konflikt verstanden. Wie aus verschiedenen Stellen im Strategikon des Maurikios und in den Taktika Leons Vl. hervorgeht, umfasst die so genannte polemike techne oder polemika, d.h. die Kriegskunst, v.a. die Bereiche von Strategie und Taktik. Schon in der griechischen Antike wurde die Kriegskunst im Sinne von Heerführung sowie von Organisation und Verwaltung des Heerwesens verstanden. Deutlich genug wird in der byzantinischen Militärtheorie auf die notwendige Fachkenntnis für eine sichere Kriegführung aufmerksam gemacht. Um so mehr komme es laut den Taktika auf die Führungskunst des Feldherrn an, als es galt, Kriegsschäden so gering wie möglich zu halten.

Der byzantinische Feldherr, der als verlängerter Arm des Kaisers über politische und militärische Entscheidungsbefugnis verfügte, und sein Heer waren auf dem Feldzug eine auf sich allein gestellte Einheit, die zu einem gewissen Grad unabhängig von den zentralen Führungsstellen operierte.

In Byzanz verstand man unter dem Begriff strategia oder strategike (sc. techne) jene Kenntnis, die zur Kunst der Führung (agein) des Heeres (stratos) im Ernstfall durch den Feldherrn (strategos) zählte. Die Strategie bezog sich auf den gesamten Feldzug (strateia) und war die Sorge des Feldherrn als das Sammeln von Kriegslisten (strategemata) und Siegesdenkmälern (tropaia). In seinem Werk Peri Strategias erklärt der Anonymus Byzantinus im 6. Jahrhundert, dass die strategia der beste Teil der ganzen Staatskunst (politike) sei und dem strategos dazu diene, sowohl das Vaterland (politeia, patris) vor Bedrohung zu verteidigen als auch den ins Land einfallenden Feind niederzukämpfen. In Einklang mit den Faktoren der Intelligenz (bule) und der Taktik (taxis, techne) sowie mit dem Mut (prothymia) des Heeres und dem Wohlwollen/Urteil Gottes (eumeneialkrisis Theu) entschied die Strategie Kriege. Die in geheimen Plänen festgehaltene Strategie wurde gefordert, um das Heer der Lage und dem Gegner anzupassen (harmozesthai), wozu es aber auch der Kenntnis der Taktik und der Gewohnheiten des Gegners bedurfte. Deshalb hatte sich der strategos gegen jeden Feind verschiedene strategiai auszudenken. Dank seiner Organisationsgabe vermochte der Feldherr die eigenen Streitkräfte mit jenen des Feindes zu vergleichen, um dadurch der Gefahr der Täuschung zu entgehen. Strategie war der Gebrauch von Zeit (kairos) und Gelände (topos), von Hinterhalten (engkrymma) und Engstellen (stenoma), von Überraschungen und Kriegslisten, um den Feind zu täuschen und letztendlich zu vernichten. Bei diesen Methoden wie auch beim "Aushungern" (von Städten und Festungen) war es das Ziel, den Gegner möglichst ohne Entscheidungsschlacht zu besiegen und den Frontalangriff zu meiden. Dadurch konnten v.a. auch die eigenen Kräfte geschont werden.

Als höchstes Ziel der byzantinischen Kriegführung wurde in den Militärtraktaten stets die Wahrung und Wiederherstellung des Friedens gefordert, weshalb der Feldherr mit seiner Armee gerüstet sein sollte. Da es im Krieg um den Kampf für hohe Werte ging, wurde von den Wehrmännern verlangt, dass sie in der Schlacht die Aktionen sorgfältig durchführten, alles ertrugen und auf jede Weise danach trachteten, den Gegner ganz zu besiegen. Nur der vollständige Sieg garantierte den Frieden! Und dieser Sieg bestand in der endgültigen Vernichtung des Feindes. Als ein der Vernichtung gleichwertiger Ausgang des Krieges galt aber auch ein sicherer und günstiger Vertrag. Die Entscheidung auf dem Schlachtfeld hatte aber dann Vorrang vor einer politischen Lösung, wenn dem Gegner nicht zu trauen war. Der Aspekt der Vernichtung erinnert an das Alte Testament. Dort in Deuteronomium (5. Buch Mose, im Folgenden zit.: Dtn) Kap. 20, Verse 16-17, ist im Kontext über die Art der Kriegführung vom Vernichten aller Lebewesen in Städten von Völkern die Rede, die als Feinde des wahren Gottes galten. So sollen die Hethiter, die Amoriter und andere Völker "ausgerottet" werden. Man denke aber auch an Ps 2, 8-9. Die dort an den König ergehende Ermächtigung zur "Niederschlagung der Feinde" gehört mit zur "Friedens"-Aufgabe des Königs und Statthalters Gottes. Wie auch Dtn 20,10-14, ebenso Isaias 2,2-4, und Joel 4 zeigen, heißt "Friede" hier nicht "friedliche Koexistenz", sondern - im Sinne des lateinischen pacare - freiwillige oder erzwungene "Unterwerfung". Und gerade an diesem Punkt sprengt das alttestamentliche Friedensverständnis den Rahmen antiker Verstehensweisen nicht.

Da es in Byzanz das Ziel eines Krieges war, nicht bloß den alten Frieden wiederherzustellen, sondern ihn auch zu garantieren, musste man den Frieden erlassen, indem man dem Gegner Gesetze auferlegte (leges pacis imponere). Der byzantinische Feldherr sah wie schon sein römischer Vorgänger die Aufgabe darin, den Feind zu besiegen, ihn zu befrieden und ihm das römische Recht aufzuerlegen, einschließlich der byzantinischen Steuern. Das Ziel der eirene (pax) war die Sicherheit. Während für den Römer pax abhängig war von concordia (Eintracht), bedeutete für den Nichtrömer pax die Besieglung der Unterwerfung unter Rom mittels eines Vertrages. Dieser schloss den Schutz Roms gegenüber Angriffen anderer Fremdvölker ein. Demnach war pax eine Folge von victoria (Sieg). Rechtlich gesehen setzte eben der Sieger den Frieden, verfügte und stiftete ihn, indem er conditiones (Bedingungen) und eben leges pacis auferlegte. In dieser Ausrichtung war der Friede seit Kaiser Augustus und bis zum letzten byzantinischen Kaiser Konstantin XI. (1449-1453) das eigentliche außenpolitische Programm.

Im Dienste einer solchen Strategie standen in Byzanz nicht nur eine entsprechende Taktik, sondern auch verschiedene andere Künste (technai). Die so genannte taktike (sc. techne) war die Kunst der Schlachtaufstellung (parataxis), der Ausrüstung vor allem mit Waffen (hoplisma), ja überhaupt der kriegerischen Bewegungen (polenikai kineseis) und der Bewegungen der Krieger selber (kineseis stratiotikon) zum richtigen Zeitpunkt. Abhängig davon, ob es sich um eine Seeschlacht (naumachia) oder um eine Landschlacht (pezomachia) handelte, wurden völlig verschiedene taktische Methoden angewendet. Strategie und Taktik wurden von eigentlichen Diensten unterstützt, und zwar von der so genannten hoplitike techne (der Kunst der Bewaffnung, der Waffenausbildung und dem Drill), von der architektonike techne und mechanike techne (den Bereichen der Baumeister und Mechaniker, die für Fortifikationen respektive Maschinen zum Schutz gegen feindliche Geschosse zuständig waren). Kriegführung erforderte aber auch eine überzeugende Logistik. Die so wichtige logistike (sc. techne) oder ta logistika (von lego [dazuzählen] respektive logizomai [rechnen, berechnen] abgeleitet), also die Rechenkunst, war sozusagen die mathematische Seite der Kriegführung. Mit deren Hilfe wurden die Gliederung und die Versorgung der Truppen, deren Ausrüstung und Bewaffnung berechnet. Die logistike (sc. techne) stellte Normen auf für die Fortdauer der kriegerischen Bewegungen wie für die Ruhephasen. Es galt, jeden Akt des Feldzuges vorzubereiten, d.h. Raum und Zeit zu berechnen, das Gelände - außer auf den Bau von Verteidigungsstellungen und Befestigungen - auch auf des Gegners Widerstandskraft hin richtig einzuschätzen und demzufolge die Bewegung und Verteilung der eigenen Streitkräfte anzuordnen. Gerade dieser Logistik-Begriff von Kaiser Leon Vl. sollte das Denken späterer Militärautoren - auch des lateinischen Abendlandes - nachhaltig beeinflussen. Ferner seien die so genannten iatrike techne (Sanitätsdienst) und ganz besonders die hieratike techne (die Glaubenspflege im militärischen Alltag) erwähnt. Im Rahmen der von Gott legitimierten Kriegführung wurde auch die Kirche für diesen Zweck instrumentalisiert und neben "Feldprediger"-Diensten mit kriegsdiplomatischen Aufgaben betraut. In den Kompetenzbereich des Feldherrn gehörte schließlich die so genannten astronomike techne - die Kunst der Sterndeutung. Der strategos hatte unmittelbar vor dem Waffengang die Zeichen ausführlich zu interpretieren und Gott als siegsichernden Garanten zu verkünden. Mit dem Kunstgriff "Gott" zur Erklärung der Zeichen wurde in Byzanz - analog zur antiken Lösung des deus ex machina - hoffnungsvoll auf die Hilfe von außen gesetzt. Der strategos sollte dem Heer anhand seiner Beobachtungen über den Aufgang der Sterne eine gute Zukunft vorhersagen. Dadurch sollten die Soldaten den verheißungsvollen Sternenaufgang als Himmelsbotschaft auffassen und das Vertrauen in die militärische Aktion gewinnen.

Die in den byzantinischen Militärtraktaten des 6. bis 11. Jahrhunderts dargelegte Kriegführung war strategisch und taktisch gesehen - ungeachtet des Aspektes der Vernichtung - von einem in den Traktaten beharrlich vorhandenen Geist der Zurückhaltung und Sicherheit sowie der Schonung kostspieliger Streitkräfte geprägt. Ganz allgemein sollen sich die Byzantiner eher der Intelligenz und Raffinesse, der List und Bestechung bedient haben, als dass sie das Gefecht riskierten.

Politisches Denken als Legitimierung der Kriegführung

Staat und universale Herrschaft der Rhomäer: politeia und oikumene

Das Leben in Byzanz scheint durch und durch vom christlichen Glauben erfüllt gewesen zu sein. Politische Äußerungen waren genauso wenig von der Religion befreit wie militärisches Denken. Jede Handlung hing letztlich vom "Willen Gottes" ab. Diese göttliche Lenkung des Staates wird gerade in militärischen Fachschriften herausgestrichen, wie beispielsweise im Strategikon des Maurikios, wo der Staat (politeia) als irdisches Reich der fehlerhaften Menschen dem überirdischen Reich Gottes untergeordnet verstanden wird. Da Gott diese Einrichtung auf Erden bejahe, werde jeder Dienst an ihr auch von der göttlichen Vorsehung geleitet. Und wenn dieser mangelhaft verrichtet werde, greife jene korrigierend ein. Die Vorsehung Gottes war nach den Aussagen des anonymen Autors des Traktats Peri Strategias auch Urheberin und Verwalterin der heiligen Ordnung der verschiedenen sozialökonomischen (Berufs-)Gruppen (mere) der politeia. Analog dem menschlichen Körper, in dem jeder Teil seine ganz bestimmte Funktion ausübt, gab es nach dem Anonymus in einem wohlgeordneten Gemeinwesen keine Leute, die nicht in irgendeiner Weise für den Staat engagiert waren und die nicht zu einer der mere gehörten. Dank der Institution des Gesetzes (nomikon [sc. meros]) und der Rechtsprechung konnte das Volk in Frieden (eirene) leben. Nomos und eirene bedingten einander gegenseitig und förderten das öffentliche Wohl. Und was die Kriege betrifft, wurden diese nach vorausgehender Beratung im Kreise vieler Vertrauter der obersten Militärführung (symbuleutikon [sc. meros]) geführt. Im Rahmen seines unvollständigen Gesellschaftsmodells für die justinianische Zeit begründete der an politischen, sozialen und insbesondere an militärischen Fragen interessierte anonyme Autor die "Kriegsangelegenheit" als wichtigen Bestandteil des Staatslebens.

Für das Wohl der politeia zu sorgen hatte in Byzanz der von Gott eingesetzte Kaiser, dessen Legitimität je nach zeitlichen Umständen durch verschiedene Faktoren bestimmt war. War dieses Wohl nicht mehr gegeben oder wurde es verletzt, so hatte zu dessen Wiederherstellung nach vorausgegangenen erfolglosen politischen Versuchen der Feldherr im Krieg durch eine militärische Entscheidung dafür Sorge zu tragen. Dem höchsten weltlichen Herrscher und Stellvertreter Gottes auf Erden wurde nicht nur Respekt gezollt, sondern auch Unterwerfung und Gehorsam gezeigt. Gestärkt wurde dieses Ergebenheitsverhältnis zusätzlich durch ein ausgeprägtes Pflicht- und Rechenschaftsbewusstsein, welches der basileus von seinen Unterstellten (Strategen u.a.) seiner Person gegenüber forderte. Dieser gottähnliche Herrscher, dem schon im 4. Jahrhundert die Aufgabe der so genannten imitatio Dei (Nachahmung Gottes) zugeschrieben worden war, hatte als Mensch wie auch als höchster politischer und gesetzlicher Verantwortungsträger der ruhende, beständige Pol in einer sich verändernden und unberechenbaren Welt zu sein.

Neben der politeia und dem basileus sei, was das Herrschaftsdenken betrifft, auch der Begriff der oikumene (sc. ge) erwähnt. Das ethnisch heterogene Kaiserreich wurde durch den römischen Staatsgedanken zusammengehalten, und durch die römische Universalitätsidee wurde seine Stellung der Umwelt gegenüber bestimmt. Als Erbe des Imperium Romanum wollte Byzanz das einzige Kaiserreich auf Erden sein: Es erhob Anspruch auf die Beherrschung aller Länder, die einst zum römischen orbis gehört hatten und nun Teile der christlichen Oikumene darstellten. Doch dieser Anspruch wurde durch die harte Wirklichkeit nach und nach umgestoßen. Die Staaten, die sich im Bereich der christlichen Oikumene auf altem römischem Boden neben dem römischbyzantinischen Kaiserreich bildeten, standen mit ihm rechtlich und ideell nicht auf gleicher Stufe. Es entwickelte sich eine komplizierte Staatenhierarchie, an deren Spitze der Herrscher von Byzanz als römischer Kaiser und als Haupt der christlichen Oikumene stand. In mittelbyzantinischer Zeit war die Aufrechterhaltung dieser ideellen Suprematie jene Achse, um die sich die Politik des Kaiserreiches drehte.

Am ausgeprägtesten war dies im 10. und zu Beginn des 11. Jahrhunderts der Fall, als Byzanz viele zuvor an die Araber und Bulgaren verloren gegangene Gebiete wieder zurückeroberte (Reconquista). In Asien waren die arabischen Angriffe zurückgeschlagen worden, und das Reich beherrschte Positionen im Norden Syriens und Mesopotamiens. Nicht nur vereinigte Byzanz armenischgeorgisches Territorium, sondern es beherrschte auch die Halbinsel Krim (thema Chersones). Ferner leistete es den Arabern Widerstand in Süditalien und auf Sizilien. Die Herrschaft des Reiches in Europa wuchs dadurch auf die doppelt so große Fläche an. Wiederum verliefen die Reichsgrenzen entlang der Donau bis ins nordwestliche Gebiet der Balkanhalbinsel. Das griechische Kaiserreich erlangte eine solch territoriale, politische und militärische Größe, wie es sie in der Zeit nach 1025 nicht mehr erlangen sollte.

Damals, in der 2. Hälfte des 10. Jahrhunderts, war es Kaiser Basileios II. (976-1025), der jene politische Position des Universalismus und des rechtmäßigen Anspruchs des Reiches auf Vorherrschaft in der christlichen Oikumene förderte, welche zuvor von Kaiser Konstantinos VII. Porphyrogennetos (913-959) begründet wurde. Dieser Herrscher betrachtete die rhomäische Einrichtung als eine natürliche, göttliche und daher ideale. Gott selbst bewahrte das Reich, und seine Hauptstadt genoss den Schutz der Gottesmutter (theotokos). Der Staat kannte keine Zerstückelung der Macht und daher auch keine blutigen Anarchien. Abgesehen davon hatte der Kaiser verboten, dass mit anderen (nichtchristlichen und christlichen) Herrschaften - ausgenommen die Franken - verwandtschaftliche Beziehungen geknüpft wurden. Hochachtung und Unterwürfigkeit der Fremden vor dem Reich wurden zur Norm in den internationalen Beziehungen erhoben: Barbarenvölker, die Territorium zur Besiedlung erhielten, bezahlten dies dem Reich mit einem Vertrag. Und wer von Byzanz getauft, sozusagen "zivilisiert" wurde, ordnete sich ihm unter. Die Konzeption von Kaiser Konstantinos VII. von der Wiederherstellung der Rechte des Reiches zur Herrschaft über diejenigen Völker, die niemals dem römischen Staat untertan waren, aber nunmehr auf dessen Boden lebten, nahm schon Kaiser Nikephoros II. Phokas (963-969) auf. Doch viel hartnäckiger setzte Basileios II. diese Theorie in die Realität um. So schildert uns beispielsweise der hohe Beamte (drungarios tes bigles) des späteren Kaisers Alexios I. Komnenos (1081-1118), Ioannes Skylitzes (11./12. Jahrhundert), in seiner Chronik mit dem Titel Synopsis historion ausführlich von den Kriegen der Byzantiner gegen die Bulgaren. In über vier Jahrzehnten führte Kaiser Basileios II. über 38 Operationen gegen die Bulgaren durch, um schließlich ihren Staat zu zerstören, ihre Streitkräfte zu unterwerfen und ihr Territorium ins Byzantinische Reich zu reintegrieren. In diesem Zusammenhang zeichnet Skylitzes ein Bild des Kaisers, wie dieser gegenüber den Bulgaren sowohl Grausamkeit demonstrierte, die nach byzantinischer Auffassung gegenüber Aufwieglern notwendig und gerechtfertigt war, als auch unerwartetes Mitleid, wenn ihm die Unterworfenen als Untertanen erschienen. Die eigenständige Existenz Bulgariens widersprach der normalen Lage der Dinge.

Orthodoxie und Auserwähltheit

Wesentlich für das Verständnis der Kriegführung ist deren religiöse Interpretation durch die Rhomäer selbst. Laut den Militärtraktaten war es Gott, der dem Menschen das Verständnis von Strategie und Taktik gab. Gottes Urteil wurde zum ordnungs- und wegweisenden Faktor für die Entscheidung im Kriege gemacht. Das militärische Denken war in die göttliche Weltordnung eingebettet und durch sie bedingt. Der Feldherr sollte Sorge tragen für die Liebe und Gerechtigkeit Gottes, um so dessen Unterstützung zu erlangen. Letztere war für ihn genauso wichtig wie die günstig wehenden Winde für den Steuermann des Schiffes, ohne die dieser seine Fertigkeit gar nicht einsetzen konnte. Gewappnet mit dem Wohlwollen Gottes und wachsam in der Anwendung von Taktik und Strategie, vermochte der Feldherr das ihm anvertraute Heer sicher zu führen und sich den vielfältigen Absichten der Feinde anzupassen. Durch das Gebet zu Gott, das meditative Verweilen im Kontakt mit Gott wurden die Feinde erforscht und konnte der Feldherr die richtige Organisation treffen. Am Tag des Kampfes sollten im Lager auch alle Armeeangehörigen unter Anleitung der Priester, mit dem Feldherrn und den anderen Kommandanten gemeinsam beten und das trisagion ("Dreimal heilig") singen. So wie Gott vor dem Kampf um Beistand und Sieg angerufen wurde, so brachte man ihm nach erfolgreichem Gefecht außer der Danksagung (eucharistia) auch Dankesgeschenke (charisteria) dar. Beispielsweise berichten die Chronisten, dass Basileios II. 991 nach seinem Marsch durch Thrakien und Makedonien in Thessalonike dem Stadtheiligen Demetrios Dankesopfer (eucharisteria) spendete. Oder 1018 soll derselbe Kaiser in Athen die Gottesmutter zum Dank für den Sieg über die Bulgaren mit vielen kostbaren Weihgeschenken geehrt haben. Ein vorbildlicher militärischer Führer hatte sich laut dem Verfasser von Kekaumenos‘ Strategikon auch mit theologischer Literatur zu befassen. In diesen Büchern finde er Regeln der Klugheit, des sittlichen Verhaltens und der Strategie. Fast das ganze Alte Testament sei voll von Kriegsgeschichten, freilich auch von Klugheitsregeln. Doch auch dem Neuen Testament lasse sich viel Nützliches abgewinnen.

Kriegführung war ein legitimer Akt, für den sich der Mensch im vollen Vertrauen zu Gott einzusetzen hatte. Kriege wurden im Auftrage Gottes geführt, um das Wohl des Volkes, des Kaisers, ganz besonders aber um das Territorium des Imperium Romanum zu schützen oder wiederherzustellen, ja um die Weltordnung Gottes zu wahren. Daher waren Kriege nicht nur gegen Nichtchristen, sondern auch gegen nichtbyzantinische Christen, ja selbst gegen byzantinische Opponenten innerhalb Ostroms, welche alle (wie die Bulgaren) die von Gott geschaffene Ordnung (taxis) gefährdeten, staatsraisonistisch "notwendig", moralisch "gerecht" und religiös "heilig". Aus der Sicht der Orthodoxie wurde jeder Angriffs- und Verteidigungskrieg vom und für das Volk Christi als dem von Gott auserwählten Volk ausgefochten. Und dieses Volk wurde vom Sieg bringenden Gott nicht nur geschützt, sondern auch als Instrument benutzt, um auf Erden Gerechtigkeit walten zu lassen. Gottes Wille sanktionierte das Handeln der Rhomäer und unterstützte sie dabei. (Übrigens kam im lateinischen Abendland die höhere Legitimierung des gottgewollten Krieges erst mit den Kreuzzügen auf - "Dieu le veult".) Wie aus Leons Taktik hervorgeht, wurde im 9./10. Jahrhundert die Armee als das so genannte "Christusliebende Heer" betrachtet, das nicht nur für die Interessen des Reiches, sondern auch für das Wohl der ganzen christlichen Oikumene kämpfte. In seiner Rede an die Strategen im Osten anlässlich eines Feldzuges gegen die Araber hob Kaiser Konstantinos VII. seine Armeen und Soldaten als Verteidiger der Rhomäer und Hüter von Gottes Erbe hervor. Der Soldat als homo militaris war sozusagen das Werkzeug, mit dem Gott sein auserwähltes Volk und die christliche Oikumene schützte und verteidigte. Alle Kriege in Ostrom waren legitimiert, weil die Armee - die das von Gott auserwählte Volk des neuen Israel und des neuen christlichen Rom repräsentierte - ganz im Dienste des göttlichen Willens handelte. Auch hier ist die Analogie zum Alten Testament, wiederum zu Dtn 20, 1-9, neu auch zu den Propheten Isaias 2, 2-5 (Friedensreich um Jerusalem), und Ezechiel 34, 30 (Davids nationales Friedensreich: Volk Israel), klar gegeben. Die Rhomäer beriefen sich wohl spätestens seit den Araberkriegen (7./8. Jh.) und zeit ihrer staatlichen Existenz auf das alte jüdische Konzept des auserwählten Volkes, das nach dem Willen Gottes handelte. Dabei betrachteten sie sich als heiliges Volk, das sich selbst als Friedensträger sah: Byzanz als neues Israel und Konstantinopel als neues Jerusalem. Mit diesem Konzept konnte jeder vom Kaiser geführte Krieg begründet werden.

Die Armee spielte, wie in den Traktaten verschiedentlich zu erkennen ist, als eigentliche "Schule der Nation" auch eine erzieherische Rolle, indem sie neben der dortigen Vermittlung von Staatsinteressen und erfolgreicher Kriegführung auch ein gewisses Nationalbewusstsein und patriotisches Gefühl weckte, wie dies seit der Mitte des 10. Jahrhunderts der Fall war. Nicht nur die so genannten kantatoroi, sondern auch Offiziere aller Ränge hatten die Truppen ideell und psychologisch auf den Kampf vorzubereiten (Propaganda). Außer für Gott und gegen dessen Feinde wurde für die ganze Nation, für die Frauen und Kinder, ebenso für die unter der Herrschaft der Ungläubigen lebenden Brüder sowie für das Vaterland gekämpft.

Bellum iustum und die "Familie der Nationen"

Was das Verständnis von Krieg und Frieden betrifft, gab es durch die außenpolitischen Umstände, unter denen der jeweilige Autor schrieb, bedingte Unterschiede in der Auffassung und Beurteilung von Krieg und Frieden. Wahrscheinlich unter dem Eindruck der für das Reich bedrohlichen außenpolitischen Situation am Ende der Herrschaft Kaiser Justinians II. wertet der anonyme Autor von Peri Strategias den Krieg als das schlimmste aller Übel. Der Friede soll auch in für das Reich weniger günstigen Fällen vorgezogen werden, da der Krieg nur noch größeren Schaden verursache. Nur im äußersten Fall soll zu den Waffen gegriffen werden. Dagegen schließt nur wenige Jahrzehnte später der Autor von Maurikios‘ Strategikon den Krieg als Lösungsvariante nicht völlig aus. Überhaupt ist nach ihm die Bereitschaft für den Krieg ein wichtiger Faktor zur Erhaltung und Förderung des Friedens. Wie in dieser Schrift, so müssen auch in der Taktik Leons Vl. Krieg und Frieden vor dem Hintergrund einer Defensivstrategie zur Verteidigung des Reiches an allen Fronten gesehen werden.

Wie dort wird auch hier der Krieg als eine - in gewissen Fällen durchaus gerechte - Lösungsmöglichkeit ("gerechter Krieg", s.u.) herausgestrichen. Ungeachtet dessen bevorzugt aber Leon den Frieden - erlebte er doch persönlich die Krise der militärischen Organisation des Reiches an der Wende vom 9. zum 10. Jahrhundert. Auch in späteren Traktaten (wie z.B. in Peri paradromes) ist der Verteidigungscharakter unverkennbar dominant. Wie im 6. so wurde auch im 11. Jahrhundert verlangt, dass bei einem ungünstigen Ausgang des Kampfes von den Feinden angebotene gemäßigte und sofort durchführbare Friedensvorschläge ohne Zögern abgeschlossen und durch Geiseln oder Eid gesichert werden sollen. Sind sie aber schädlich, zum Zeitgewinn und zur Demoralisierung der Truppe formuliert, soll das Heer zum zornigen Widerstand gegen den Feind in der offenen Schlacht getrieben werden. Doch auch im Falle eines Sieges hat der Feldherr die Feinde bereitwillig anzuhören, die einen nützlichen Frieden vorschlagen, gleichzeitig aber auch die Ungewissheit der Kämpfe zu bedenken.

Der Grundtenor "Kriege nur wenn nötig, in erster Linie aber für Frieden bereit sein" ist unüberhörbar. Ausdrücklich wird vom Feldherrn verlangt, dass er grundsätzlich den Frieden ersehne. Gleichzeitig soll er aber auch zum Krieg gerüstet sein (denn "die zum Krieg Gerüsteten fürchten die Barbaren eher"), um dadurch diesen zu verhindern. Im besten Fall soll der Feind dazu gebracht werden, von seinem Vorhaben abzusehen. Um jedoch im Ernstfall einsatzbereit zu sein, galt es laut Strategikon des Maurikios, die Dinge des Krieges im Frieden zu üben. Diese Gedanken erinnern sofort an den römischen Kriegsschriftsteller Flavius Vegetius Renatus (5. Jahrhundert). Seine Devise "qui desiderat pacem/praeparet bellum" ist in der Form des geflügelten Wortes "si vis pacem para bellum" (d.h.: "Wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor") geläufig. Die Römer haben die Waffen im Interesse des Friedens geführt. Die Theorie der Abschreckung findet sich nach dem Althistoriker Alexander Demandt bei Thukydides (455-396), Platon (428-347), Livius (59 v. Chr. - 17 n. Chr.) und in der ersten Königsrede des Dion von Prusa (40-120).

Der Gerüstete kann wohl mehrere Kriege vermeiden, jedoch nicht alle. Doch dem gerüsteten Byzanz gelang es nur in den wenigsten Fällen, Kriege zu verhindern. Man erachtete es als notwendig, mit allen friedliebenden Menschen und Völkern im Frieden zu leben und kein Unrecht an den von Byzanz Unterworfenen geschehen zu lassen, weil, wie der Autor von Leons Taktik fortfährt, "wir den Frieden vor allen anderen Dingen ehren, dass wir mit jenen in Frieden leben und uns der Kriege enthalten". Entsprechend schwer fiel denn laut den Militärgesetzen, den so genannten nomoi strategikoi stratiotikoi, auch die Strafe aus, wenn der Frieden verletzt wurde: Todesstrafe (durch Enthaupten) war angesagt.

Verteidigungsbereitschaft hieß aber in Byzanz, außer einem potenziellen Feind von seinem Vorhaben abzuraten, den Status quo des christlichen Weltreiches zu schützen sowie ehemals byzantinische Gebiete zurückzuerobern und zu befrieden. Die Wiedergewinnung einst verloren gegangener Territorien wurde als eine der Hauptaufgaben vom Kaiser gefordert. Durch das Mittel des "gerechten Krieges" (polemos dikaios bellum iustum) wurde den Byzantinern erlaubt, ihr Reich im Rahmen der Rückeroberung ehemals dazugehörender Gebiete zu erweitern -verstanden als Verteidigung des universalen Römischen Reiches in den ideell und ehemals real äußersten Grenzen. Das Verständnis des "gerechten Krieges" wurzelt in der heidnischen und christlichen Antike. Wenn die Feinde Unrecht begingen und das Land bevölkerten, wurden sie zu Recht beschuldigt, einen ungerechten Krieg zu verursachen. Diesen hatten dann die Rhomäer mutig auszufechten - und zwar mit Hilfe des Gottes der Gerechtigkeit. Deshalb mussten laut Leons Taktik die gerechten Ursachen (causae iustae) des Krieges erkannt werden, um dann die Hände gegen die Unrecht Tuenden zu bewaffnen.

"Denn derjenige, der sich gegen (...) letztere verteidigt, ist gerecht und hat die göttliche Gerechtigkeit als Helfer und Bundesgenosse, wenn er gegen jene zu Felde zieht. Der aber, der als Erster mit der Ungerechtigkeit beginnt, entzieht der göttlichen Gerechtigkeit den Sieg." Damit ein Krieg gerechtfertigt war, mussten Verletzungen des Friedens, von Teilen des staatlichen Lebens, ja der gesellschaftlichen Ordnung (taxis) vorliegen. Kriege um des Krieges willen durfte es nicht geben.

Während intellektuelle Kaiser des 10. Jahrhunderts (wie Leon Vl. und Konstantinos VII.) in ihren Schriften die byzantinische Ordnung als eine nach dem Willen Gottes geformte natürliche und historische Tatsache bekräftigten, gab es auf der anderen Seite auch militärische Herrscher (wie Nikephoros II. Phokas, loannes I. Tzimiskes und Basileios II.), die fast pausenlos Feldzüge unternahmen. Die Verteidigung von Territorium und Staat sowie die Rückeroberung ehemals byzantinischer Gebiete, wie dies beispielsweise unter Basileios II. gegen die Bulgaren geschah, erfolgten auf dem Hintergrund der rhomäischen Vorstellung von der universalen Hierarchie der Nationen. Byzanz war - bildlich gesprochen - der "Vater" der fiktiven Familie der Souveränen, während der bulgarische Zar nur im Range eines "Sohnes" existierte. Die eigenständige Existenz Bulgariens widersprach der von den Rhomäern verstandenen taxis. Erst recht war die Harmonie der christlichen Weltgemeinschaft gestört, als die von einem byzantinischen Apostaten (Samuel) angeführten Bulgaren gegen das gleichfalls rechtgläubige Byzanz, d.h. als der Sohn gegen den Vater der so genannten "Familie der Nationen", zu Felde zogen. Um das von den Bulgaren begangene Unrecht zu beseitigen, um das Wohl der politeia und die taxis, schließlich den über allem stehenden Frieden (eirene) - in den äußersten Grenzen des Römischen Reiches verstanden - wiederherzustellen, bedurfte es der Kriege, die daher als gerechte (polemoi dikaioi) angesehen wurden. Wenn der byzantinische Kaiser in diesem Sinne handelte, verstieß er keineswegs gegen die in den Traktaten immer wieder geforderte Friedensliebe als Handlungsmotiv des Feldherrn. Schon ein Jahrhundert zuvor betonte der Konstantinopeler Patriarch Nikolaos Mystikos (852-925) in seiner offiziellen Korrespondenz mit dem bulgarischen Zaren Symeon I. (893-927), dass der Zar den byzantinischen Kaiser als seinen eigenen Vater zu betrachten habe und dass jede Handlung der Bulgaren gegen die Rhomäer einem Bruderkrieg gleichkäme, was Gott respektive sein Stellvertreter auf Erden bestrafen müsste. Die taxis - verstanden als imitatio der himmlischen Hierarchie - sicherte den äußeren wie den inneren Frieden. Daher musste jeder Angriff auf diese Welt und Reichsordnung abgewehrt und der Aggressor entsprechend bestraft werden. Die Doktrin der "Familie der Nationen" erlaubte dem Kaiser entgegen allen byzantinischen Traditionen und Prinzipien (u.a. philanthropia), die bulgarischen Soldaten des Majestätsverbrechens für schuldig zu erklären. Als daher Basileios II. einen Großteil der Streitkräfte der Bulgaren vernichtet (996, 1014) und ihnen Land und Kriegsvorräte weggenommen (976-1018), ebenso ihre staatliche Existenz aufgehoben (1018) und die Reichsgrenzen von 681 wiederhergestellt hatte, war der Zweck erfüllt.

Schlussfolgerungen

Die byzantinischen Militärtraktate des 6. bis 11. Jahrhunderts vermitteln im gedanklichen Spannungsfeld von Krieg und Frieden außer militärischem Fachwissen auch eine Vorstellung sowohl von der politischen Idee, der Grundordnung der Welt und der in ihren Diensten stehenden Kriegführung. Das dadurch zu Tage tretende Selbstverständnis der Rhomäer war geprägt durch ihre den anderen Völkern überlegene Herrschaft (basileia ton Rhomaion), welche in einem Gefühl von Superiorität zum Ausdruck kommt, wie sie auch von historischen Werken her bekannt ist. Der Kaiser als Stellvertreter Gottes auf Erden, als Feldherr und Friedensbringer, als Retter und Wohltäter hatte mit Hilfe der Armee des Gottesvolkes der Rhomäer und im Rahmen der politischen Orthodoxie als dem Verständnis von christlicher Weltherrschaft für Frieden zu sorgen. Weil in Byzanz das militärische Denken in der göttlichen Weltordnung verankert war, verstand man jede Entscheidung im Krieg letztlich als eine Entscheidung Gottes. Die Armee des auserwählten Volkes der Rhomäer war das Werkzeug Gottes zum Schutze des Reiches und der gesamten Oikumene im Rahmen der römischen Idee, der Pax Romana, und nunmehr der Pax Byzantina. Für diese Idee erschien der Krieg einerseits legitim - und hier ganz in der antiken Tradition des bellum iustum -, andererseits auch notwendig, um das heilsgeschichtlich determinierte Reich aufrechtzuerhalten und gegebenenfalls auszudehnen.

Die bis ins 10. Jahrhundert hinein entwickelte Auffassung von unbegrenzter Kriegführung - gegen die Ungläubigen wie gegen die Mitchristen - war ein wichtiger Faktor der Selbstdarstellung des multiethnischen Rhomäerreichs. Dieses verstand sich als Ordnungs- und Kulturträger, dessen Herrschaft den anderen Völkern überlegen war. Die unbegrenzte Kriegführung diente den Kaisern als eine der Grundlagen ihrer Innen- und Außenpolitik. Jeder Feldzug, aus welchen Motiven auch immer er hervorging, war legitimiert im Sinne der vom orthodoxen Glauben geprägten politischen Idee, d.h. der christlichrömischen (Welt-)Herrschafts- und Reichsidee. Nicht zuletzt dürfte gerade diese ideelle Begründung der rhomäischen Kriegführung und der starken Armee - wesentlich - zur Langlebigkeit des Byzantinischen Reiches beigetragen haben.

Dr. Paul Meinrad Strässle

Geb. 1953; Hauptmann der Schweizer Armee (Wissenschaftl. Offizier für Militärstrategie bei der Militärakademie an der ETH Zürich); 1986 Lizentiat in Allgemeiner Geschichte (mit Schwerpunkt Osteuropäische Geschichte), Germanistik und Russistik an der Universität Zürich; Studien- und Forschungsaufenthalte in Moskau, Leningrad, Odessa, Köln, Wien, Bulgarien, Serbien und Mazedonien; 1991 Promotion zum Doktor der Geschichtswissenschaft an der Universität Zürich; 2000 Habilitation in Byzantinistik an der Universität Zürich; 1993-1997 Lehrbeauftragter an den Universitäten Zürich, Bern, St. Gallen und Konstanz; seit 2000 Dozent für Byzantinistik an der Universität Zürich; seit 2002 Leitung wissenschaftlicher Reisen nach Ost- und Südeuropa; 1996-2000 Wissenschaftl. Adjunkt beim Generalstab in Bern; 2000-2002 Wissenschaftl. Adjunkt bei der Militärakademie an der ETH Zürich; zahlreiche Publikationen zur Geschichte von Byzanz und zur Militärgeschichte.



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Das Oströmische Reich zur Zeit Justinians.
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Das byzantinische Reich 9. bis 12 Jahthundert.
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Kleinasien und der Balkan um 1214.
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Das Ende des byzantinischen Reiches 14/15. Jahrhundert.
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