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Österreichische Verteidigungspolitik für europäische Sicherheit

von Günther Platter

Kurzfassung

◄ Seit dem Ende des Kalten Krieges hat sich die Bedrohungslage grundsätzlich gewandelt; es bedarf einer vernetzten und multinationalen Sicherheitspolitik in allen Bereichen inklusive dem militärischen Teil des Spektrums, um den neuen Herausforderungen gerecht zu werden. Genau dies ist unter "Europäisierung" der nationalen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu verstehen und bedeutet den wahrscheinlich markantesten Wendepunkt in der Konzeption europäischer und damit auch österreichischer Sicherheitspolitik Die Annahme des erweiterten Petersberg-Aufgabenspektrums spiegelt die Erkenntnis der EU wider, sich den aktuellen und erwartbaren Herausforderungen sicherheitspolitisch tatsächlich umfassend stellen zu müssen. Dazu bedarf es sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene der Bereitschaft und des Willens, diese Streitkräfte, wenn es erforderlich ist, auch tatsächlich einzusetzen. Hier scheint noch eine Kluft zwischen der Realität und Notwendigkeit sowohl auf Ebene der EU als auch auf jener der Nationalstaaten zu bestehen Österreich ist daher gut beraten, alles in seiner Möglichkeit Stehende zu tun, um an der Weiterentwicklung der ESVP konsequent mitzuwirken. Daher kann es auch nur im ureigensten nationalen Interesse liegen, dass der Europäische Verfassungsvertrag angenommen wird. Österreich leistet zur Zeit mit etwa 1.100 Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz einen auch international anerkannten Beitrag zur europäischen Sicherheitspolitik.

Gemessen an seiner Größe und wirtschaftlichen Kapazität muss Österreich Streitkräfte unterhalten, die auch qualitativ mit anderen modernen Staaten ähnlichen Potenzials vergleichbar sind. Die durchwegs positiven Reaktionen auf die Arbeit der Bundesheerreformkommission deuten darauf hin, dass die Notwendigkeit einer Reform des Bundesheeres breit erkannt wurde und die beabsichtigte Ausrichtung eine ebenso breite Zustimmung findet.

Im Detail geht es darum, bis zum Jahr 2010 operationelle Fähigkeiten des Bundesheeres für eine adäquate militärische Beteiligung Österreichs an Operationen der multinationalen Konfliktprävention und des Krisenmanagements in der Gesamtheit der Petersberg-Aufgaben sicherzustellen, wobei die strukturellen Grundlagen dabei so zu schaffen sind, dass auch die Aufgaben zum Schutz der eigenen Souveränität zu Lande und in der Luft sowie der Bevölkerung erfüllt werden können.

Die österreichische Sicherheits- und Verteidigungspolitik steht vor großen Herausforderungen und sowohl Öffentlichkeit als auch Entscheidungsträger und betroffene Angehörige des Bundesheeres sind angehalten, den Notwendigkeiten der Reform mit verantwortungsvollem Verständnis entgegenzutreten. ►


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Österreichische Verteidigungspolitik für europäische Sicherheit

Die österreichische Verteidigungspolitik der Zweiten Republik war in der Vergangenheit - analog zur schwierigen außen- und sicherheitspolitischen Positionierung des Landes während des Kalten Krieges - von vorsichtiger Kontinuität gekennzeichnet. Österreich hatte unter sehr spezifischen Bedingungen ein militärisches Potenzial aufzubauen und zu erhalten, das einen glaubwürdigen Beitrag zur Stabilität in Europa leisten konnte. Der bestimmende Rahmen dafür war durch das fragile Gleichgewicht zwischen den Paktsystemen NATO und Warschauer Pakt, die sensible geopolitische Lage an der Nahtstelle der Bündnisse und die völkerrechtlich bindenden Verpflichtungen festgelegt, denen Österreich durch die dauernde Neutralität in enger Interpretation unterworfen war. In den 70er-Jahren erfolgte die bislang wohl radikalste Reform der österreichischen Landesverteidigung mit der Einführung des territorialen Prinzips und der milizartigen Struktur des Bundesheeres auf Basis des "Raumverteidigungskonzeptes", das den damals gegebenen äußeren Bedingungen und den eigenen Möglichkeiten eines neutralen Kleinstaates entsprach. Die Grundlagen für diese Reform wurden durch eine politisch breit und ausgewogen zusammengesetzte Kommission erarbeitet.

Der Kalte Krieg und mit ihm die konventionelle militärische Bedrohung der Existenz unseres Landes sind - je nach Interpretation - seit etwa 15 Jahren Geschichte. Analog dazu schufen v.a. der Beitritt Österreichs zur EU, deren innere Entwicklung und ihre Erweiterung (wie auch jene der NATO), aber auch neue Bedrohungsformen völlig geänderte Rahmenbedingungen. Angesichts dieser Umstände - auch im Licht der dynamischen Entwicklungen im Kontext der EU - ist es jetzt neuerlich an der Zeit, die österreichische Landesverteidigung an Haupt und Gliedern zu reformieren. Ich begrüße daher in besonderem Maße, dass die von mir eingesetzte Bundesheerreform-Kommission auf Basis eines breiten politischen Konsenses in Form von Empfehlungen die Grundlagen für eine Reform des Bundesheeres erarbeitet hat, die den aktuellen und den erwartbaren Rahmenbedingungen gerecht wird. Die Umsetzung dieser Vorstellungen bildet allgemein eine politische Herausforderung der gesamten Bundesregierung, eine besondere aber für den verantwortlichen Ressortchef. Ich bin davon überzeugt, dass es in Österreich derzeit kaum eine wichtigere und damit auch lohnendere politische Aufgabe gibt als jene, die österreichische Verteidigungspolitik und mit ihr das Bundesheer als ihr wichtigstes Instrument zukunftsfähig zu machen. Ich stelle mich ihr mit großer Freude und dem entsprechenden Verantwortungsbewusstsein. Die historische Dimension, das Ausmaß der erforderlichen Veränderungen und auch die europapolitische Bedeutung der Reform sind Bedingungen, die den ganzen politischen Einsatz rechtfertigen.

Eurostrategische Rahmenbedingungen

Am 1. August 1914, vor mehr als neunzig Jahren - heute etwa ein Menschenalter -, brach der Erste Weltkrieg aus. Von vielen ist er als die "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" bezeichnet worden. Zu Recht, bedenkt man allein die Opferzahlen dieses Völkerkrieges. Zu Recht vermutlich auch deswegen, weil der Zweite Weltkrieg mit noch viel mehr Toten auch als Folge dieses Krieges gesehen werden kann. Der europäische Nationalismus brachte im 20. Jahrhundert unsägliches Leid über die Menschen, nicht nur auf unserem Kontinent.

Viele von uns sind heute in der glücklichen Lage, Krieg nicht selbst erlebt haben zu müssen. Viele sind auch der Ansicht, dass Krieg und Gewalt als Mittel zur Durchsetzung eigener Interessen nicht länger adäquate Instrumente der Fortführung der Politik mit anderen Mitteln sind. "Postheroische Gesellschaften" gründen sich nicht länger auf Opfer und Ehre, sondern auf individuelle Freiheit im Rahmen demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen und Prozesse. Wenn heute aus Umfragen hervorgeht, dass etwa der Zweite Weltkrieg im Bewusstsein der Menschen in diesem Land nicht mehr präsent ist, dann wird daraus sehr deutlich, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ein Leben in Frieden und Freiheit führen konnte.

Dazu hat die EU unschätzbar viel beigetragen. Nicht zuletzt durch sie leben wir heute in einem friedlichen Europa, in dem die Austragung von Konflikten mit Gewalt eher die Ausnahme denn die Regel ist. V.a. zwischen EU-Mitgliedstaaten ist Krieg de facto unmöglich geworden. So erfreulich die Tatsache aber auch sein mag, dass die Mehrheit der Menschen Krieg aus eigener Anschauung nicht mehr kennt, so wichtig ist es, ein historisches Bewusstsein für das Leid, das europäische Kriege über die Menschen auf diesem Kontinent gebracht haben, zu bewahren, will man sich die Bedeutung dieses Faktums in ihrer vollen Tragweite vor Augen führen. In letzter Konsequenz stellt die EU damit eine gewaltige gesamtpolitische Errungenschaft dar, die mit der am 1. Mai dieses Jahres erfolgten Erweiterung um zehn neue Mitglieder einen weiteren Schritt als erfolgreichstes Friedensprojekt der Geschichte gesetzt hat.

Diese Union und damit ihre Mitgliedstaaten sehen sich gleichzeitig aber auch neuen Herausforderungen gegenüber, die jenseits der Dimension zwischenstaatlicher Konflikte angesiedelt sind. Da ist zunächst jene der Instabilität an der europäischen Peripherie. Um es klar zu formulieren: Es ist undenkbar, dass Konfliktpotenziale, die in Afrika, im Mittleren Osten und etwa auch im Kaukasus gegeben sind, von Europa unberücksichtigt bleiben. Die Auswirkungen von Konflikten am Rande unseres Kontinents sind auch im Kern unmittelbar und deutlich zu spüren. Darüber hinaus machen es globalisierungsbedingte Abhängigkeiten und grenzüberschreitende Bedrohungs- und Risikozusammenhänge, wie etwa der internationale Terrorismus und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, heute notwendiger denn je, auch sicherheitspolitischen Vorgängen, die sich in einiger Entfernung von unseren Grenzen abspielen, Aufmerksamkeit und Engagement zu widmen, da diese ebenfalls negative Auswirkungen auf Europa haben können.

Wir sehen uns damit heute einem breiten Spektrum neuer Bedrohungen, Risken und Gefährdungen gegenüber, das gerade in seinen Zusammenhängen ungeheuer komplex ist. Die spezifische, verhältnismäßig einfach zu erfassende und "stabile" militärische Bedrohung des Kalten Krieges ist einer Gefährdungslage gewichen, die unübersichtlich, unbeständig, in ihrer Entwicklung unklar und daher auch kaum im herkömmlichen Verständnis berechenbar ist. Dies mag auch eine Ursache dafür sein, dass sie von nicht unmittelbar betroffenen Öffentlichkeiten mancherorts als wenig relevant wahrgenommen wird. Das macht sie jedoch um nichts weniger bedrohlich, eher im Gegenteil, denkt man nur an die Möglichkeit der Verfügbarkeit von Massenvernichtungsmitteln in den Händen terroristischer Gruppierungen. Will man gegen derartige Bedrohungsmöglichkeiten tatsächlich Schutz gewähren, reicht es nicht mehr aus, klassisch auf einen "Angriff" vorbereitet zu sein und ihn abwehren zu können. Es ist vielmehr erforderlich, bereits im Vorfeld aktiv zu werden und ihn zu verhindern. Gerade dieses Verständnis ist nicht einfach zu erreichen. Es ist derzeit wahrscheinlich eine der wichtigsten Aufgaben der Politik, diese neue Gefährdungslage zu kommunizieren und den Menschen genau so unbegründete und diffuse Ängste zu nehmen wie auch ein realistisches Bedrohungsbewusstsein als Basis eines Verständnisses für erforderliche Schutzmaßnahmen zu vermitteln.

Eines ist diesen neuen Bedrohungen jedoch gemeinsam: Es kann ihnen durch einen einzelnen Nationalstaat nicht mehr wirksam begegnet werden. Dies hat auch die einzig verbliebene Supermacht USA zur Kenntnis genommen. Der Schlüssel für die Sicherheit und den Schutz der Menschen sowie ihrer Lebensgrundlagen liegt daher heute in einer systematischen multinationalen Kooperation. Die Bewältigung dieser sicherheitspolitischen Herausforderungen kann demnach auch für Österreich nur mehr im europäischen Verbund erfolgen. Einer vernetzten, nicht durch staatliche Grenzen zu fassenden Bedrohungslage ist durch vernetzte und multinationale Sicherheitspolitik in allen Bereichen zu begegnen, somit auch im militärischen Teil des Spektrums. Genau dies ist unter "Europäisierung" der nationalen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu verstehen und bedeutet den wahrscheinlich markantesten Wendepunkt in der Konzeption europäischer und damit auch österreichischer Sicherheitspolitik. Dies nicht zu erkennen, wäre eine Nachlässigkeit mit ungeahnten Konsequenzen.

Unbeschadet der hohen Bedeutung der Zusammenarbeit in der UNO, der OSZE und auch mit der NATO über die Partnerschaft für den Frieden ist der primäre Handlungsrahmen für Österreich auch in diesem Bereich die EU. Ich will an dieser Stelle allerdings die Gelegenheit nützen, auf einen Aspekt hinzuweisen, der mir im Lichte der Entwicklungen besonders seit dem Irakkrieg wichtig erscheint: Ein Weiterbestehen oder gar ein weiteres Öffnen einer Kluft zwischen Europa und den USA liefe dem Erfordernis einer engen und guten Zusammenarbeit zuwider und läge weder im europäischen noch im amerikanischen Interesse. Gerade angesichts der aktuellen umfassenden Herausforderungen und ihrer beurteilbaren Entwicklung ist die Etablierung eines neuen transatlantischen Verhältnisses von besonderer Bedeutung. Für die EU - und daher ihre Mitgliedstaaten - kommt es dabei unter anderem darauf an, auch im militärischen Bereich handlungsfähiger und damit in jedem Fall ein glaubwürdiger Partner zu werden.

Diese hat auch angesichts der neuen Herausforderungen mit einer erheblichen Dynamisierung der Entwicklung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) reagiert. Den Ausgangspunkt dafür bildet die Europäische Sicherheitsstrategie, in der sehr klar die Bedrohungen des 21. Jahrhunderts angeführt sind: die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, die organisierte Kriminalität, der internationale Terrorismus, regionale Konflikte und das Scheitern von Staaten. Die Annahme des erweiterten Petersberg-Aufgabenspektrums spiegelt die Erkenntnis der Union wider, sich den aktuellen und erwartbaren Herausforderungen sicherheitspolitisch tatsächlich umfassend stellen zu müssen. Dies ist ein deutliches Zeichen, dass die EU gewillt ist, ihrer Rolle als Akteur auch im globalen Rahmen nachkommen zu können, wie dies in der Europäischen Sicherheitsstrategie gefordert ist.

Nun ist von entscheidender Bedeutung, sich Strukturen und Kapazitäten zu geben, um entsprechend dieser Strategie und über das volle Aufgabenspektrum tatsächlich agieren zu können. Der Europäische Verfassungsvertrag eröffnet diesbezüglich neue Möglichkeiten, stellt die Mitgliedstaaten damit aber auch vor neue Herausforderungen. Insbesondere die "strukturierte Zusammenarbeit" wird die Union in die Lage versetzen, mit kurzfristig einsetzbaren militärischen Verbänden rasch agieren zu können.

Dass dies ein objektives Erfordernis ist, wird auch durch die Entwicklung der Auslandsoperationen der EU dokumentiert. Sie hat ihre Bereitschaft und ihre Fähigkeit zur Durchführung internationaler Operationen schon in den letzten Jahren mit den Einsätzen Concordia in Mazedonien und Artemis im Kongo unter Beweis gestellt und wird dies in Kürze mit der Operation Althea in Bosnien-Herzegowina in noch größerem Ausmaß fortsetzen. Daran wird sehr deutlich, dass die EU auch zu konkreten sicherheits- und verteidigungspolitischen Akzentsetzungen in diesem Sinn in der Lage ist. Für künftige Operationen ist davon auszugehen, dass es vermehrt auf rasche Aktionsfähigkeit ankommt, um Bedrohungen wirksam begegnen zu können und den politischen Handlungsspielraum zu erhöhen. Dies gilt aber auch im besonderen Maße für Operationen zur humanitären Hilfeleistung, bei denen eine rasche Reaktion Menschen vor Leid bewahren und Leben retten kann.

Die Vision und zukünftige Verantwortung der EU muss also daher sein, aufbauend auf der Stabilität innerhalb der Grenzen der EU diese in das geopolitische Umfeld der EU zu projizieren und nachhaltig zu implementieren. Wer das Umfeld stabilisiert, sichert den Frieden Europas im 21. Jahrhundert. Doch die EU kann nur so weit handlungsfähig sein, als ihre Mitglieder dies auch wollen und können. Papier ist geduldig. Konzepte, Ideen und Visionen werden erst lebendig, wenn sie mit Leben und Inhalten gefüllt werden. Damit ist die Bereitstellung von konkreten Kapazitäten und daraus resultierenden Fähigkeiten angesprochen. Die Zukunft der ESVP wird entscheidend von den militärischen Beiträgen der Mitgliedsländer abhängen. Sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene bedarf es aber auch der Bereitschaft und des Willens, diese Streitkräfte, wenn es erforderlich ist, auch tatsächlich einzusetzen. Hier scheint noch eine Kluft zwischen der Realität und Notwendigkeit sowohl auf Ebene der EU als auch auf jener der Nationalstaaten zu bestehen.

Innerösterreichische Rahmenbedingungen und die Situation des Bundesheeres

Ich habe bereits erwähnt, dass Sicherheit heute nur mehr im Verbund möglich ist und dass für Österreich dabei die EU - in einer guten Kooperation mit der NATO - den zentralen Bezugsrahmen bildet. Niemand kann heute bestreiten, dass die Sicherheit Österreichs unmittelbar mit der Sicherheit Europas verknüpft ist. Derzeit stellt die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik für Österreich darüber hinaus die einzige reale Option zur Teilnahme in einem transnationalen Sicherheitsverbund dar. Gerade für kleinere Länder wie Österreich eröffnen Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und ESVP auch ein breites Beteiligungsfeld und reelle Mitgestaltungschancen.

Die Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU entwickelt sich darüber hinaus immer mehr zu einem zentralen Element der weiteren Integration der Union. Je mehr die Sicherheitspolitik nun ein zentraler Faktor für die Union wird, desto mehr ist daher auch Österreich gefordert, sich in die ESVP einzubringen. Dies gilt besonders unter dem Gesichtspunkt, dass unser Land im Bereich der Wirtschaft, der Bildung und in vielen Bereichen der Technologie, um nur einiges zu nennen, in der Union im oberen Drittel anzusiedeln ist, ein so genannter "Leister" und in finanzieller Hinsicht, wie bekannt, auch ein Nettozahler.

Österreich ist daher gut beraten, alles in seiner Möglichkeit Stehende zu tun, um an der Weiterentwicklung der ESVP konsequent mitzuwirken. Daher kann es auch nur im ureigensten nationalen Interesse liegen, dass der Europäische Verfassungsvertrag angenommen wird. Die Entwicklung eines sicherheits- und verteidigungspolitischen Kerneuropa außerhalb der EU würde für Österreich massive Einschränkungen der sicherheits- und verteidigungspolitischen Möglichkeiten bedeuten.

Unter den derzeit gegebenen rechtlichen und staatspolitischen Bedingungen in Österreich ist eine solidarische Teilnahme an Maßnahmen der internationalen Konfliktprävention und des Krisenmanagements auf europäischer Ebene möglich. Dies kommt unter anderem durch die Bestimmungen des Art. 23f BVG klar zum Ausdruck. Österreich bemüht sich, im Rahmen seiner verfassungsrechtlichen Möglichkeiten einen effizienten Beitrag zur Vertiefung der ESVP zu leisten. Die Aufgabe der Politik ist es jetzt im besonderen Maße, der Bevölkerung die neuen Herausforderungen, die Rahmenbedingungen und die daraus entstehenden Erfordernisse zu erklären. Ich bin überzeugt, dass eine sachliche Diskussion über Sicherheitspolitik auch die bestehende Kluft zwischen unserem allgemeinen politischen Anspruch und unserer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auf der einen und dem sicherheitspolitischen Profil, das zur Zeit weder unserem Anspruch noch unserer Leistungsfähigkeit entspricht, überbrücken hilft.

Die hohe Professionalität und das Engagement unserer Soldatinnen und Soldaten sowie das quantitative Ausmaß unserer Beteiligung an militärischen internationalen Operationen stehen außer Frage und werden auch international beachtet. In Auslandseinsätzen hat das Österreichische Bundesheer eine beeindruckende Erfolgsgeschichte aufzuweisen.

Der Balkan wird etwa auch in Zukunft unser sicherheitspolitischer Schwerpunktraum sein. In Bosnien-Herzegowina stellt Österreich rund 135 Mann; im Zuge der Übernahme durch die EU werde ich dieses Kontingent auf 300 Mann aufstocken. Unser KFOR-Kontingent bewegt sich zur Zeit bei etwa 600 Mann. Die jüngsten Unruhen im Kosovo sind ein deutliches Signal für die fortgesetzte Notwendigkeit eines internationalen Engagements in diesem Raum. Truppenreduzierungen wären dort ein falsches Signal.

370 Soldatinnen und Soldaten tragen im Mittleren Osten zur Friedenssicherung auf den Golan-Höhen bei, nach Afghanistan werden bis zu zehn Stabsoffiziere entsandt. Dazu kommt noch eine ganze Reihe von Militärbeobachtern und Verbindungsoffizieren, sodass bald insgesamt etwa 1.300 Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz stehen werden.

Wo es aber noch erheblichen Nachholbedarf gibt, ist die Qualität der militärischen Mittel, die eingebracht werden.

Das Österreichische Bundesheer in seiner derzeitigen Gestalt und Leistungsfähigkeit ist das Ergebnis mehrerer Reformen, mit denen seine Strukturen in den 90er-Jahren an die sicherheitspolitische Lageentwicklung angepasst wurden. Es sollte nicht vergessen werden, dass dies auch eine international beachtete Leistung war. Immerhin wurde dabei der Mobilmachungsumfang des Bundesheeres in zwei relativ kurz aufeinander folgenden Schritten um mehr als die Hälfte verringert. Der grundsätzliche Charakter der österreichischen Streitkräfte, der im Kern durch die Fähigkeit zur Verteidigung des eigenen Territoriums gekennzeichnet ist, wurde dabei allerdings kaum verändert. Aus dieser Substanz erfolgte auch die Beistellung von Kräften für internationale Friedensmissionen, sozusagen als Nebenprodukt. Angesichts der neuen Herausforderungen entspricht diese Ausrichtung nicht mehr dem objektiven Bedarf. Wenn dem Grundgedanken gefolgt wird, dass die österreichische Sicherheit untrennbar mit der europäischen verknüpft ist, Sicherheit und Schutz der Bevölkerung nur mehr im multinationalen Verbund gewährleistet werden können und in absehbarer Zukunft keine konventionelle Bedrohung des eigenen Territoriums zu gewärtigen ist, dann muss sich auch der Charakter der österreichischen Landesverteidigung und des Bundesheeres entsprechend ändern. Dies gilt aber auch hinsichtlich der Aufgaben, die auf dem eigenen Territorium in Zukunft zu erfüllen sein werden. Sie stehen selbstverständlich gleichwertig neben jenen im multinationalen Verbund, um einem gängigen Missverständnis vorzubeugen. Wer nicht in der Lage ist, sein eigenes Land und seine Menschen vor den aktuellen Bedrohungen zu schützen, kann keinen Anspruch erheben, Stabilität in ferne Regionen transferieren zu wollen. Nur sind diese Bedrohungen andere geworden, wie oben bereits festgestellt. Heute geht es demnach darum, das Bundesheer an der wahrscheinlichsten und komplexesten Aufgabe - dem Einsatz im multinationalen Rahmen - auszurichten und so zu dimensionieren, dass es gleichzeitig auch in der Lage ist, alle Aufgaben im Inland zu erfüllen.

In diesem Zusammenhang soll eines ganz klar festgestellt werden: In der Zeit des Kalten Krieges war der primäre Zweck des Bundesheeres die Abhaltewirkung, das heißt, es sollte gar nicht so weit kommen, dass es tatsächlich eingesetzt werden muss. Heute hingegen wird das Bundesheer immer mehr in Richtung einer Einsatzarmee weiterzuentwickeln sein. Diese Ausrichtung bedeutet auch die Erhöhung des so genannten "Verwendbarkeitsgrades".

Gemessen an seiner Größe und wirtschaftlichen Kapazität muss Österreich Streitkräfte unterhalten, die auch qualitativ mit anderen modernen Staaten ähnlichen Potenzials vergleichbar sind. Dies auch unter dem Aspekt, dass die Möglichkeit einer positiv gestaltenden Rolle eines Staates im internationalen Gefüge zusehends daran gemessen werden wird, welchen Beitrag er zur gemeinsamen und solidarischen Sicherheit in und für Europa leistet.

Die Reform des Bundesheeres

Ein wichtiger Schritt dazu wurde durch die Bundesheer-Reformkommission gesetzt. Der Endbericht liegt nunmehr seit Juni dieses Jahres vor, er wurde mit den Empfehlungen im Detail veröffentlicht. Nun geht es um die Um- und die Durchsetzung, wobei ich mir eine ähnlich breite politische Unterstützung erwarte, wie sie während der Reformarbeit gegeben war. An dieser Stelle soll erwähnt werden, dass es im Lichte der kontroversiellen Auseinandersetzungen um die Zukunft der österreichischen Landesverteidigung, wie sie in der jüngeren Vergangenheit zu verzeichnen waren, und die letztlich auch zu einem kontraproduktiven politischen Dissens führten, besonders erfreulich war, dass die Arbeit der Kommission einschließlich der Berichtserstellung von einem überparteilichen Konsens und der Unterstützung aller gesellschaftlich relevanten Gruppierungen getragen war. Dies verleiht dem Bericht eine besondere Autorität und ist gerade für den umsetzungsverantwortlichen Ressortchef ermutigend. Wenn auch der Vorsitzende der Kommission, Dr. Helmut Zilk, zweifellos besonderen Anteil an dieser Tatsache hat, so deutet dieses Ergebnis aber auch darauf hin, dass die Notwendigkeit einer Reform des Bundesheeres breit erkannt wurde und die beabsichtigte Ausrichtung eine ebenso breite Zustimmung findet.

Bis Ende dieses Jahres laufen noch die ersten Planungen; es wäre verfehlt, hier bereits auf Details einzugehen. Meine Zielvorgabe ist aber ganz klar: Es geht darum, bis zum Jahr 2010 operationelle Fähigkeiten des Bundesheeres für eine adäquate militärische Beteiligung Österreichs an Operationen der multinationalen Konfliktprävention und des Krisenmanagements in der Gesamtheit der Petersberg-Aufgaben sicherzustellen. Die strukturellen Grundlagen sind dabei so zu schaffen, dass daraus auch die Aufgaben zum Schutz der eigenen Souveränität zu Lande und in der Luft sowie der Bevölkerung erfüllt werden können.

Wir werden daher moderne, flexible, kurzfristig verlegbare, durchhaltefähige und zur multinationalen Zusammenarbeit befähigte Strukturen aufbauen. Der Leitgedanke ist also die "Europäisierung" des Bundesheeres. Dies bedeutet auch, dass diese Strukturen so geschaffen und geplant werden müssen, dass sie tatsächlich zur Verfügung stehen und eingesetzt werden können.

Es geht um nicht weniger, als auf europäischer Ebene als berechenbarer und verlässlicher Partner wahrgenommen zu werden. All dies erfordert auch ein Umdenken in der Politik, teilweise auch innerhalb des Bundesheeres, und auch in der Bevölkerung.

An dieser Stelle scheint es mir wichtig, verschiedene Ängste abzubauen: Ich stehe dafür, dass das Bundesheer seine Aufgaben im Inland auch weiterhin erfüllen kann. Die Bewältigung der Herausforderung im Inneren ist eine Aufgabe aller verfügbaren staatlichen zivilen und militärischen Kräfte sowie nichtstaatlicher Akteure mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen. Ein solches Konzept muss selbstverständlich gesamtstaatlich und ressortübergreifend angelegt sein.

Im Rahmen der Bewältigung von Krisen im Inneren kommt den Streitkräften eine wichtige Rolle zu, v.a. im Rahmen von Assistenzeinsätzen zur Unterstützung der zivilen Behörden. Auf absehbare Zeit wird auch die Sicherung der Schengen-Grenzen nicht ohne Unterstützung des Bundesheeres wahrgenommen werden können. Der Schutz der Souveränität im Luftraum muss gewährleistet werden, und Kräfte des Bundesheeres müssen auch in der Lage sein, im Falle eines Terroranschlages in Österreich angemessen reagieren zu können. Letztlich ist auch die Erwartungshaltung der Bevölkerung an das Bundesheer bei Katastropheneinsätzen sehr groß. Dies sind ganz klar die Aufgaben, die das Bundesheer auch in der Zukunft im Inland erfüllen können muss. Meine Vorgabe dafür ist, dass ständig zumindest 10.000 Personen für Schutz und Hilfe im Inland verfügbar zu sein haben.

Ich stehe aber auch dafür, alle Maßnahmen so weit wie immer möglich im Konsens mit den Betroffenen zu setzen. Dies gilt sowohl für von Kasernenschließungen betroffene Regionen als auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meines Ressorts sowie die Interessenvertretungen. Die Grenzen werden allerdings dort zu setzen sein, wo sich Strukturen absolut nicht mehr aus den neuen Aufgabenstellungen rechtfertigen lassen. Hier setzt auch das Gebot der Sparsamkeit klare Limits.

Die österreichische Sicherheits- und Verteidigungspolitik steht damit vor großen Herausforderungen.

Dies gilt zum einen hinsichtlich der Bewältigung der Bedrohungen des 21. Jahrhunderts im europäischen Verbund. Kooperation und Solidarität sind die Schlüssel hierfür. Der sicherheitspolitische Zug in Europa darf nicht verpasst werden. Von Österreich wird nahe liegender Weise nicht erwartet, dass es dabei mehr leistet, als es seinem Vermögen entspricht, aber wir können doch die sicherheitspolitische Entwicklung in Europa maßgeblich im österreichischen Interesse mit beeinflussen.

Da die weitere Entwicklung der ESVP von den "Fähigen und den Willigen" bestimmt sein wird, kann sich Österreich - soll seine Stimme gehört werden - ein passives Abseitsstehen nicht leisten. Nicht eingebunden zu sein in diese Entwicklung bedeutet nicht nur die Unmöglichkeit einer Mitgestaltung dieses Politikbereiches im Sinne eigener Interessen, sondern hat längerfristig auch negative Rückwirkungen auf andere Politikfelder der EU.

Um es auf den Punkt zu bringen: In einer sich erweiternden EU wird Österreich seine Stellung als "Gestalter", die dem wirtschaftlichen und politischen Gewicht des Landes entspricht, nur dann bewahren können, wenn es auch ein entsprechendes Engagement im Bereich der Sicherheitspolitik zeigt.

Die Entscheidungen, die in dieser Legislaturperiode anstehen, werden die zukünftige österreichische sicherheitspolitische Position in Europa bestimmen und damit das gesamtheitliche Gewicht des Landes in der europäischen Staatengemeinschaft erheblich beeinflussen.

Letztlich soll mit der bevorstehenden Reform der entscheidende Schritt zu einem militärischen Instrument Österreichs gesetzt werden, das den zukünftigen Aufgaben im Rahmen einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik gerecht wird. Das Bundesheer soll damit national und international verstärkte Akzeptanz finden, weil es die glaubwürdige Fähigkeit zum Schutz der Souveränität und der Bevölkerung mit jener vereint, einen militärischen Beitrag in die Staatengemeinschaft einzubringen, der dem Stellenwert Österreichs entspricht. Nicht zuletzt soll diese äußere und innere Akzeptanz auch durch ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den geforderten Fähigkeiten und den verfügbaren Mitteln gefördert werden.

In diesem Sinn erwarte ich von der politischen Öffentlichkeit und den Verantwortungsträgern ein ähnlich verantwortungsvolles Verständnis für die Notwendigkeiten einer Reform wie von den betroffenen Angehörigen des Bundesheeres.

Günther Platter

Geb. 1954 in Zams/Tirol; Beruflicher Werdegang: 1969-1973 Buchdruckerlehre, Gesellenprüfung; 1973-1974 Präsenzdienst, 1974-1976 Buchdrucker; 1976-1994 Gendarmeriebeamter (Schwerpunkt Alpinismus und Kriminaldienst); Politische Funktionen: 1986- 1989 Gemeinderat in Zams; 1989-2000 Bürgermeister der Gemeinde Zams; 1994-2000 Abgeordneter zum Nationalrat, Mitglied im Innen- und Verteidigungsausschuss, Wehrsprecher der ÖVP, Exekutivsprecher der ÖVP, Delegierter der ÖVP für WEU und NATO, Mitglied des Landesverteidigungsrates; 2000-2003 Mitglied der Tiroler Landesregierung; seit März 2003 Bundesminister für Landesverteidigung.



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