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Russlands Desaster im Fernen Osten - Der Russisch-Japanische Krieg 1904/05

von Klaus-Jürgen Bremm

Kurzfassung

◄ Im Russisch-Japanischen Krieg von 1904/05 trafen erstmals zwei hoch gerüstete, mit modernster Militärtechnik zu Land und zur See ausgerüstete Streitkräfte aufeinander. Abgesehen von der Luftkriegführung wiesen die Kämpfe in der Mandschurei und den angrenzenden Seegebieten alle Erscheinungsformen des modernen Krieges auf.

Den Höhepunkt der militärischen Operationen bildeten die Kämpfe um den mandschurischen Eisenbahnknotenpunkt Mukden, wo in einer mehrwöchigen Schlacht 300.000 Mann auf einer Frontlänge von annähernd 100 km die bis dahin größte Schlacht der Kriegsgeschichte lieferten.

Japan wollte den Krieg gegen Russland, weil das Zarenreich seine militärische Präsenz im Gefolge des so genannten Boxeraufstandes massiv verstärkt und seine Einflusssphäre erweitert hatte, Moskau kam der Waffengang nicht ungelegen, weil man damit von inneren Problemen abzulenken hoffte. Allerdings hatte Russland nicht realisiert, dass die japanische Armee innerhalb eines Jahrzehnts ihre Rückständigkeit abgelegt und zur Kampfstärke der europäischen Armeen aufgeschlossen hatte.

Dank ihrer Seeherrschaft konnten die japanischen Streitkräfte ihre Truppen bei Inchon und Pjöngjang in Korea landen und von dort nach Norden vorstoßen, wo es ihnen gelang, die Eisenbahnlinie von Mukden nach Port Arthur zu unterbrechen. In der für beide Seiten verlustreichen Schlacht von Mukden erlitten die russischen Truppen eine Niederlage, deren Folgen durch die katastrophale Seeschlacht von Tsushima noch verstärkt wurden.

Beide Seiten waren aber durch die Verluste so geschwächt, dass sie die amerikanische Friedensvermittlung akzeptierten. Russland musste Japans Vorherrschaft über Korea anerkennen, die Mandschurei räumen, die Pachtrechte in Port Arthur an Japan abgeben und die Südhälfte Sachalins abtreten.

Europäische Militärs waren beeindruckt, dass Japan einen potenziell überlegenen Gegner mit Offensive schlagen konnte, und verinnerlichten diese Doktrin, was sich im Ersten Weltkrieg zu einem regelrechten Kult der Offensive auswachsen sollte. ►


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Russlands Desaster im Fernen Osten - Der Russisch-Japanische Krieg 1904/05

In den vierzig Jahren zwischen den Einigungskriegen 1859-1871 und dem Ersten Weltkrieg nahm die Entwicklung der Waffentechnik in den europäischen Armeen einen rasanten Verlauf. Die Einführung von Artilleriegeschützen mit Rohrrücklauf ermöglichte es erstmals in der Kriegsgeschichte, ganze Räume mit Sperrfeuer zu belegen und die Bewegungen des Feindes auf dem Gefechtsfeld zu hemmen oder zu kanalisieren. Deutlich erhöhte Reichweiten bis zu 7.500 m erlaubten es der Artillerie zudem, gestützt auf die neuen Feldfernsprechverbindungen, ein beobachtetes Feuer aus versteckten und der feindlichen Sicht entzogenen Stellungen abzugeben. Ebenso zwangen die nun in wachsender Zahl in allen Armeen verfügbaren Maschinengewehre die Infanterie vermehrt, ihre Formationen aufzulockern, ja sogar, sich auf dem Gefechtsfeld einzugraben. Statt der von ihnen stets favorisierten Offensive befürchteten die Militärexperten Europas in zukünftigen Kriegen langwierige und verlustreiche Grabenkämpfe, so wie sie die Spätphase des amerikanischen Bürgerkrieges vor Petersburg (Virginia) geprägt hatten.

Großes Interesse in allen Armeen fanden daher die drei Kriege, an denen europäische Großmächte in dieser ansonsten konfliktarmen Periode zwischen 1871 und 1914 teilgenommen hatten. Während jedoch in den Auseinandersetzungen Russlands gegen das Osmanische Reich 1877/78 und Großbritanniens gegen die südafrikanischen Buren 1899-1902 trotz anfangs demütigender Rückschläge von militärtechnisch gleichwertigen Gegnern keine Rede sein konnte, galt dies nicht für Japan, Russlands neuen Rivalen in Ostasien. Erstmals seit den europäischen Einigungskriegen trafen im Russisch-Japanischen Krieg von 1904/05 zwei hoch gerüstete, mit modernster Militärtechnik zu Land und zur See ausgerüstete Streitkräfte aufeinander. Mit Ausnahme der Luftkriegführung wiesen die Kämpfe in der Mandschurei und den angrenzenden Seegebieten bereits alle Erscheinungsformen des modernen Krieges auf. Erstmals seit der Seeschlacht von Lissa 1866 erlebten Marinestrategen die gewaltige Feuerkraft moderner Großkampfschiffe im unmittelbaren Duell, aber auch die wachsende Bedeutung der neuartigen Torpedoschiffe und Seeminen. Als herausragendstes Ereignis der damaligen Seekriegführung gilt immer noch die Fahrt der zwei baltischen Geschwader Russlands um die halbe Welt, die schließlich mit ihrer Vernichtung durch die japanische Flotte unter Admiral Heihachiro Togo (1847-1934) in der Seestraße von Tsushima endete.

Der Kampf um die Festung Port Arthur (heute Liuschunkóu) auf der Halbinsel Kwantung war neben den beiden langwierigen Belagerungen der Krimfestung Sewastopol 1854/55 und 1942 eines der spektakulärsten Ereignisse des neuzeitlichen Festungskriegs und der Militärgeschichte überhaupt. Während der sechsmonatigen Schlacht um die Stadt am Gelben Meer konnten Waffenexperten aller Nationen feststellen, wie modernste Festungsanlagen unter dem vernichtenden Feuer der neuartigen, großkalibrigen Artilleriegeschütze zusammenbrachen. Der massierte Einsatz von Maschinengewehren auf Seiten der Russen wiederum zwang die japanische Infanterie vermehrt zu Angriffen bei Nacht unter Einsatz pyrotechnischer Mittel.

Den Höhepunkt der militärischen Operationen bildeten jedoch die Kämpfe um den mandschurischen Eisenbahnknotenpunkt Mukden (heute Schenjang), bei denen auf beiden Seiten in einem mehrwöchigen Ringen auf einer Frontlänge von fast 100 km annähernd 300.000 Mann die bisher größte und ausgedehnteste Schlacht der Kriegsgeschichte schlugen und die russische Armee nur knapp ihrer Einschließung und Vernichtung entging.

Vorgeschichte des Krieges

Die zeitgenössischen Beobachter konnten sich kaum unterschiedlichere Kriegsgegner als Russland und Japan vorstellen. Nachdem das gewaltige, aber auch schwerfällige Zarenreich seit Jahrzehnten kontinuierlich seine Macht in Asien ausgeweitet hatte, geriet es nun in Konflikt mit dem aufstrebenden Japan, das in den Augen der Russen, aber auch der Europäer lange als ein isoliertes, rückständiges und durch feudale Kämpfe zersplittertes Land gegolten hatte. Doch in beiden Reichen waren im vorangegangenen halben Jahrhundert erhebliche Anstrengungen zur Modernisierung der Armeen unternommen worden. Russland hatte bald nach seiner demütigenden Niederlage im Krimkrieg 1856 mit einer umfassenden Heeresreform begonnen. Während der fast 20-jährigen Amtszeit des Kriegsministers Dimitri Alexejewitsch Miljutin (1816-1912) waren seit 1861 kontinuierlich Ausbildung, Ausrüstung und Organisation der Streitkräfte verbessert worden. Bis 1874 hatte Miljutin die Einteilung Russlands in 15 Militärbezirke abgeschlossen, die noch bis in die Zeit der Sowjetunion gültig bleiben sollte. Gleichzeitig wurden in großem Umfang moderne Hinterladergeschütze und Infanteriewaffen mit gezogenen Läufen beschafft und vor allem die Ausbildung der Offiziere und Stabsoffiziere reorganisiert. Den Höhepunkt der Reformen bildete jedoch 1874 die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, nachdem als Voraussetzung dazu bereits 1861 die Leibeigenschaft im Zarenreich abgeschafft worden war. Nach den Plänen Miljutins sollten die aktiven Truppen nun auf 730.000 Mann beschränkt werden, während die Zahl der Reservisten hingegen auf rund 1,2 Mio. anstieg.

Japan hatte nach der 1853 erzwungenen Öffnung seiner Häfen für westliche Schiffe in der so genannten Meiji-Revolution 1868 die feudale Herrschaft der Samurais, das Shogunat, überwunden und eine moderne, zentralistische Verwaltung mit einem effektiven Steuersystem aufgebaut. 1889 erhielt das Land, das formal nun wieder unter der Herrschaft des Tennos stand, eine Verfassung mit einem für Budgetfragen und die Gesetzgebung allein zuständigen Zweikammernsystem. Ebenso zielstrebig betrieb das Inselreich den Aufbau einer modernen Armee mit allgemeiner Wehrpflicht. Dabei war man zunächst dem französischen Vorbild gefolgt, doch schon nach 1871 hatte die Armee verstärkt preußisch-deutschen Ansichten den Vorzug gegeben. Als wichtigster Schritt der militärischen Reformen erwies sich hierbei die Schaffung eines unabhängigen Generalstabes für Heer und Marine. Anders als der Generalstab der russischen Armee verfügte er über eine autonome Kommandogewalt, dessen Befugnisse sogar die seines preußisch-deutschen Vorbildes übertrafen. Die weitgehende Ausschaltung einer politischen Kontrolle des Generalstabes sollte jedoch in der späteren Geschichte Japans noch fatale Folgen haben und Hauptursache einer imperialistischen Politik sein, die seine Kräfte überforderte und schließlich in die Katastrophe von 1945 mündete.

Zunächst bewährte sich Japans neue Armee 1877 im Bürgerkrieg gegen die Reste des Shogunats. Im Krieg gegen China 1894/95 besetzte sie Korea und die Insel Taiwan. Allerdings musste Japan auf Druck der europäischen Großmächte die im Krieg eroberte Hafenstadt Port Arthur wieder an China zurückgeben. Der Konflikt mit Russland zeichnete sich ab, als das Zarenreich nun ebenfalls von der Schwäche Chinas profitieren wollte und die Mandschurei für sich beanspruchte. Durch einen erzwungenen Pachtvertrag hatte Russland 1898 seinerseits von China die Halbinsel Kwantung mit dem wichtigen, eisfreien Hafen Port Arthur erworben und sofort begonnen, die Stadt zur Festung auszubauen. Eine Eisenbahnlinie durch die Mandschurei verband bald die neue Erwerbung mit Wladiwostok, dem zweiten bedeutenden Hafen Russlands in Ostasien. Während Zar Nikolaus II. und sein Finanzminister Graf Sergej Juljewitsch Witte (1849-1915) in Petersburg von einem neuen, zweiten Indien träumten, von einem ostasiatischen Reich, das ungefährdet von der britischen Seemacht durch die neue transsibirische Eisenbahn mit dem Westen verbunden sein sollte, sah sich Japan um den Preis seines Sieges über China betrogen.

Als es im Jahre 1900 während des so genannten Boxeraufstandes auch zu erheblichen Zerstörungen an der neuen russischen Eisenbahnlinie in der Mandschurei kam, verstärkte Petersburg seine Truppen in Ostasien auf rund 170.000 Mann. Japan befürchtete eine weitere Ausdehnung des russischen Einflusses auf Korea, ja sogar eine Invasion seines Mutterlandes, und schloss 1902 ein Abkommen mit Großbritannien, das ebenfalls seit langem darum bemüht war, die ungebremste Expansion des Zarenreiches in Asien aufzuhalten. Da Russland nach der Beruhigung der Lage in China trotz wiederholter Ankündigungen seine Truppen nicht abzog und auch auf japanische Vorschläge zur einvernehmlichen Regelung der beiderseitigen Interessensphären nicht einging, entschloss sich das Inselreich Anfang 1904 zum Krieg gegen die europäische Großmacht.

Russland wollte diesem Krieg nicht ausweichen. Es brauchte nach den Worten seines Innenministers Wjatscheslaw K. Plehve einen "kurzen ruhmreichen Krieg", um vor allem von seinen wachsenden innenpolitischen Problemen abzulenken. Die Japaner schienen dazu ein geeignetes Ziel. Ihr militärisches Potenzial war aus der Sicht der Strategen in St. Petersburg kaum höher als das der drittrangigen islamischen Mächte in Zentralasien, gegen die man seit Jahrzehnten erfolgreich gekämpft hatte. In dieses verbreitete Bild der japanischen Militärmacht fügte sich nur zu gut die Ansicht des russischen Militärattachés Oberstleutnant V. P. Wannowskij in Tokio, der im Frühjahr 1900 nach Petersburg gemeldet hatte, dass noch Jahrhunderte vergehen würden, bis die japanische Armee die moralischen Grundlagen erworben habe, auf denen die Organisation eines europäischen Heeres beruhe und bis sie auf die gleiche Stufe mit einer der schwächsten europäischen Armeen gestellt werden könne.

Doch war es den russischen Beobachtern in ihrem Hochmut tatsächlich entgangen, dass Japan seinen Rückstand gegenüber den europäischen Armeen in nicht einmal einer Dekade aufgeholt hatte? Bereits 1897 war das neue, raucharme Arisaka-Gewehr in die Armee eingeführt worden, und nur zwei Jahre später hatte man in Deutschland das 15 cm-Kruppgeschütz beschafft. 1898 begann Japan ein ambitioniertes Ausbildungsprogramm, und schon sechs Jahre später verfügte die Armee über eine Friedensstärke von rund 400.000 Mann. Den Militärs in Japan war allerdings klar, dass ein Krieg gegen das übermächtige Zarenreich mit einer Armee von rund einer Mio. Mann nur durch eine schnelle Entscheidung gewonnen werden konnte. Russland musste geschlagen werden, noch ehe es auf seiner kurz vor der Vollendung stehenden transsibirischen Eisenbahn seine gewaltigen Reserven in der Mandschurei versammeln konnte.

Kriegsverlauf

Japans Entschluss zum Krieg fiel in einer gemeinsamen Sitzung von Regierung und älteren Staatsmännern, den so genannten Genro, unter Leitung des Tennos am 4. Februar 1904. Nun handelte man schnell. Am 8. Februar 1904 brach Japan die diplomatischen Beziehungen zu Russland ab. Schon in der folgenden Nacht überraschte der japanische Admiral Togo die außerhalb des Hafens von Port Arthur ankernde russische Flotte durch einen Torpedoangriff. Die offizielle Kriegserklärung Japans folgte erst zwei Tage später. Das russische Geschwader musste sich nach einigen unglücklich verlaufenen Gefechten in den Hafen von Port Arthur zurückziehen. Ein Ausbruch der Flotte nach Wladiwostok scheiterte endgültig im August.

Dank ihrer nun unangefochtenen Seeherrschaft konnten die Japaner im März 1904 ihre Truppen ungestört bei Inchon und Pjöngjang in Korea landen und zügig auf den Jalu, den Grenzfluss zwischen Korea und der Mandschurei, vorstoßen.

Ende März 1904 hatte Russlands Kriegsminister Alexei Nikolajewitsch Kuropatkin (1848-1925) persönlich den Oberbefehl über die russische Landstreitmacht in der Mandschurei übernommen. Kuropatkins Ernennung schien jedoch nicht die beste Wahl für diese wichtige Aufgabe. Zwar konnte er auf eine glänzende Karriere zurückblicken und war schon mit 36 Jahren, als ehemals Jahrgangsbester der Kaiser-Nikolaus-Kriegsakademie, zum General befördert worden. Auch hatte er sich bei den Kämpfen in Innerasien als Stabschef und später als Truppenführer bewährt, aber zur Führung einer großen Armee fehlte ihm nach den Worten seines langjährigen Vorgesetzten, General Skobolew, die Entschlossenheit und der Mut, Risiken einzugehen. Tatsächlich sollte Kuropatkins zögerliche Operationsführung, die stets bemüht war, sich gegen alle denkbaren Risiken abzusichern, erheblich zu den russischen Rückschlägen in der Mandschurei beitragen. Dabei schien sein Kriegsplan durchaus Erfolg versprechend. Nach Kuropatkins Kalkulation sollten bis zum Herbst auf der neuen transsibirischen Eisenbahn genügend Verstärkungen eingetroffen sein, um dann mit überlegenen Kräften gegen die japanische Armee die Offensive zu ergreifen. Die Entscheidung des Krieges würde in der Mandschurei oder in Nordkorea fallen. So lange musste man defensiv bleiben und den Vormarsch des Feindes nach Möglichkeit verzögern.

Russland befand sich somit in einer ähnlichen Lage wie im Krimkrieg gut fünfzig Jahre zuvor. Während Japan, wie damals England und Frankreich, seine Armeen mit Hilfe der Flotte versorgen und verstärken konnte, blieb die Armee des Zaren auf den Landweg angewiesen. Die rund 8.000 km lange transsibirische Eisenbahn war zwar nach zwölfjähriger Bauzeit am 14. Juli 1903 fertiggestellt worden und ermöglichte erstmals einen durchgehenden Verkehr zwischen der Hauptstadt St. Petersburg und Wladiwostok. Doch auf der vorerst noch einspurigen Bahn konnte das Zarenreich seine Streitkräfte in Fernost monatlich nur um rund 30.000 Mann verstärken.

Der überraschende und schnelle Vorstoß der Japaner über den Jalu und die Unterbrechung der Eisenbahnlinie von Mukden nach Port Arthur machte jedoch die russischen Planungen zur Makulatur und spaltete Kuropatkins Streitkräfte in der Mandschurei. Die südliche Gruppe, zu der die rund 42.000 Mann starke Besatzung Port Arthurs unter dem Befehl des Generals Nikolaj A. Stössel gehörte, fand sich seit Ende Mai 1904 auf der Halbinsel Kwantung von der japanischen 3. Armee des Generals Maresuke Nogi (1849-1912) blockiert. Stössels einzige Aufgabe konnte jetzt nur noch darin bestehen, in Port Arthur möglichst lange bedeutende japanische Kräfte zu binden und sie daran zu hindern, sich mit den japanischen Armeen in der Mandschurei gegen die russische Hauptmacht zu sammeln.

Kuropatkins zögerlicher Versuch, die Festung durch einen Vorstoß nach Süden zu entlasten, erfolgte mehr auf Druck der Öffentlichkeit im Westen als auf Grund operativer Erwägungen und scheiterte endgültig in der neuntägigen Schlacht von Liaoyang Ende August 1904. Trotz eines Verlustes von ungefähr 16.000 Mann gelang es Kuropatkin, seine Truppen unbehelligt auf Mukden zurückzuziehen. Die Verluste der Japaner lagen mit 23.000 Mann sogar noch höher.

Das vollständig abgeschnittene Port Arthur widerstand bis Anfang Januar 1905 dem Ansturm der Japaner. Erst in der vierten Offensive gelang es General Nogis 3. Armee, die entscheidende Höhe 203 oberhalb der Stadt zu nehmen und die Russen nach 154 Tagen Belagerung zur Kapitulation zu zwingen. General Stössel musste sich später vor einem Kriegsgericht verantworten, wurde zunächst zum Tode verurteilt, dann aber zu Festungshaft begnadigt, aus der er erst 1909 entlassen wurde.

Bis zur Schlacht von Verdun 1916 sollte der Besitz eines einzigen Stückes Land nicht wieder so hohe Verluste kosten wie der viertägige Sturm der Japaner auf die Höhe 203 Anfang Dezember 1904. Allein hier verloren die Angreifer 10.000 Tote und Verwundete. Der Hügel, über den die Angreifer gekommen waren, bot nach den Worten eines britischen Kriegsberichterstatters ein apokalyptisches Szenario aus abgerissenen Extremitäten und Köpfen, verbrannten Fleischfetzen und kaum noch als ehemalige Menschen erkennbaren Rümpfen, vermischt mit Granatsplittern, zerbrochenen Gewehren, grotesk verbogenen Bajonetten und Massen aus dem Felsen gesprengter Steinbrocken. Dies alles war bereits die Visitenkarte des modernen Krieges.

Die Einnahme der Festung hatte Nogis anfangs 80.000 Mann starke Armee rund die Hälfte allein an Toten gekostet, davon auch zwei seiner Söhne. Dazu kamen noch einmal 20.000 Verwundete. Doch auch die Zarenarmee hatte empfindliche Verluste hinzunehmen. Neben dem Totalverlust der Besatzung war auch Russlands Ostasienflotte endgültig verloren. Der Ausgang des Krieges hing nun allein von der Hauptschlacht in der Mandschurei ab. Immerhin hatte Kuropatkin seine Hauptarmee inzwischen auf rund 280.000 Mann verstärken können, die in drei Armeen (1.- 3. Mandschurische Armee) südlich von Mukden beiderseits der Bahnlinie nach Liaoyang konzentriert waren. Damit war er der japanischen Hauptarmee des Marschalls Iwao Oyama (1843-1916) numerisch zumindest leicht überlegen.

Der japanische Oberbefehlshaber strebte nach preußisch-deutschem Vorbild ein "mandschurisches Sedan" an. Trotz seiner geringeren Truppenstärke beabsichtigte Oyama, die russische Armee an beiden Flügeln zu umfassen und einzuschließen. Dazu hatte er seine 270.000 Mann in fünf Armeen gegliedert, wobei die letzte eine Neuaufstellung war, von der der russischen Seite zunächst nichts bekannt war. Täuschung und Schnelligkeit mussten den zahlenmäßigen Nachteil auf japanischer Seite ausgleichen und Oyama die Initiative sichern, sodass ein Teil der russischen Armeen durch Verschiebungen entlang der fast 100 km langen Front ständig gebunden sein würde. Die entscheidende Schlacht des Krieges begann am 25. Februar 1905 mit einem überraschenden Angriff der neuen japanischen 5. Armee gegen den linken Flügel der russischen Front. Kaum hatte Kuropatkin seine Reserven und auch Kräfte seines rechten Flügels in den bedrohten Abschnitt beordert, begann der japanische Hauptangriff gegen den rechten Flügel der Russen. Unter frontaler Bindung der russischen Hauptkräfte im Zentrum setzte General Nogis 3. Armee zu einer weit ausholenden Umfassungsbewegung gegen die nördlich von Mukden verlaufende Eisenbahn, die so genannte Mandarin Road, an. Dieses Manöver führte zwar nicht zur Einschließung des Feindes, zwang aber Kuropatkin, Anfang März unter hohen Verlusten nach Norden auszuweichen und den Eisenbahnknotenpunkt Mukden aufzugeben. Mit 90.000 Toten, Verwundeten und Vermissten hatten die Russen ein Drittel ihrer Armee verloren. Der glücklose Kuropatkin wurde am 16. März 1905 von seinem Kommando abgelöst. Die Reste seiner Armee sammelten sich in einer Verteidigungsstellung bei der Stadt Hsipinglai, wo man das Eintreffen der baltischen Geschwader in den ostasiatischen Gewässern erwartete.

Die vernichtende Niederlage des Admirals Sinowij Petrowitsch Rojestwensky in der Seestraße von Tsushima nach einer Fahrt um die halbe Welt Ende Mai 1905 begrub endgültig alle russischen Hoffnungen auf einen noch erträglichen Ausgang des Krieges, den man so leichtfertig begonnen hatte. Nur zu gern folgte St. Petersburg dem Vermittlungsangebot des amerikanischen Präsidenten Theodore Roosevelt zu Friedensverhandlungen, nachdem die gefürchtete Revolution, die man durch den Krieg hatte verhindern wollen, nun doch ausgebrochen war. Auch Japan, das in der Schlacht von Mukden nach den herben Verlusten vor Port Arthur weitere 70.000 Mann verloren hatte, war am Ende seiner Kräfte und akzeptierte die am 5. September 1905 im amerikanischen Portsmouth vereinbarten Friedensbedingungen. Finanzminister Witte leitete die russische Delegation und handelte halbwegs glimpfliche Bedingungen aus: Russland musste Japans Vorherrschaft über Korea anerkennen, die Mandschurei räumen, die Pachtrechte in Port Arthur an Japan abgeben sowie die Südhälfte Sachalins abtreten.

Mit Japans überraschend eindeutigem Sieg über Russland war erstmals der Jahrzehnte alte Mythos von der Überlegenheit des weißen Mannes in Asien in Frage gestellt. Der schnelle Fall des britischen Singapur 1942, Frankreichs Desaster in Dien Bien Phu 1954 und nicht zuletzt das Scheitern der USA in Vietnam ließen ihn endgültig zusammenbrechen.

Auswirkungen auf Europa

Obwohl der Krieg weitab von Europa im fernen Ostasien stattgefunden hatte, waren seine Konsequenzen für die europäische Geschichte der folgenden Dekade von kaum zu unterschätzender Bedeutung. Mit Erstaunen hatte die Weltöffentlichkeit registriert, wie das eindrucksvolle Gebäude der russischen Militärmacht nach den spektakulären Niederlagen gegen Japan in sich zusammengebrochen war. Das Interesse der Militärexperten galt seither verstärkt der japanischen Armee, der es gelungen war, einen in seinem militärischen Potenzial weit überlegenen Gegner in einem vergleichsweise kurzen Krieg entscheidend zu schlagen. "Offensive" lautete nun das Zauberwort der europäischen Militärs, die sich von einer jahrelangen, quälenden Ungewissheit befreit sahen. Schon Löbells Jahresberichte aus dem Jahre 1904 hatten selbstsicher verkündet, man wisse jetzt wieder, dass Krieg führen angreifen bedeute. Ein Jahr später hieß es dort: "Trotz hoher Verluste ist man aber allerorten frei von der nach dem Burenkrieg drohenden Verlustscheu, man sieht eben ein, dass Verluste unvermeidlich sind, wenn die Führung etwas erreichen will." Auch unter den erschwerten Bedingungen des Stellungskrieges, so jubelten die europäischen Strategen, sei der Angriff sogar gegen einen zahlenmäßig überlegenen Gegner möglich. Die Vertreter des Bellizismus sahen sogar in den Japanern ein Volk, das anders als die Europäer vom Prozess der Zivilisation noch nicht geschwächt sei. Der französische General François Oskar Négrier glaubte in ihnen ein modernes Spartanertum verkörpert und erklärte, sichtbar von den Ideen des Sozialdarwinismus beeinflusst, dass Völker, die nicht wie die Japaner ihre moralischen Tugenden pflegten, zum Untergang verdammt seien.

Da in einem Krieg die neue Militärtechnik grundsätzlich jeder Macht zugänglich sei, müsse also, wie schon in allen Kriegen zuvor, der bessere Geist und die größere Moral der Truppe letztlich allein die Entscheidung bringen. Nach den Worten des deutschen Kriegsbeobachters, des Artilleriemajors Arthur v. Lüttwitz, lag das Geheimnis des japanischen Erfolges vor allem im guten Geist der Truppe, der auch große Verluste ohne Erschütterung ertrug: "Nicht Technik und Kapital entscheiden den modernen Krieg, sondern die moralischen Faktoren." Somit schien trotz der Furcht einflößenden Wirkung moderner Waffen der Kriegsverlauf in Ostasien die traditionellen Ansichten über den Vorrang des Angriffs zu bestätigen. Weiterhin pflegte man in allen Armeen den Kult der Offensive. Die Truppe müsse zum raschen Vorgehen erzogen werden. Ausbilder, die ihren Soldaten nur von den enormen, niederschmetternden Verlusten erzählten, die jedes Vorgehen für unmöglich erklärten und bei jeder Gelegenheit das "Decken und Verkriechen" in erste Linie stellten, versündigten sich nach Auffassung des Chefs des Österreichischen Generalstabes, Conrad von Hötzendorf, an der "moralischen Erziehung des Mannes". Auflockerung und Deckung nehmen sah man ebenso wie das enge Zusammenwirken mit der Artillerie als Angriffsbremse. Diese verhängnisvolle Einstellung, die schon zu den "Massakern" von Cold Harbour (1864), St. Privat (1870) und Plevna (1877) geführt hatte, konnte sich somit in allen Armeeführungen bis zu den Eröffnungsschlachten des Ersten Weltkrieges halten.

Noch erheblicher als die militärischen Schlussfolgerungen waren allerdings die politischen Konsequenzen in Europa. Deutschlands Versuch, die vorübergehende Schwäche des Zarenreiches zu nutzen, um dessen Bündnispartner Frankreich in Marokko unter Druck zu setzen, scheiterten spätestens in der Konferenz von Algeciras 1906. Frankreichs Bündnis mit Russland stand seither fester denn je. Seine Niederlage gegen Japan zwang das Zarenreich nach fast 80 Jahren Expansion in Zentralasien und im Fernen Osten, den Schwerpunkt seiner Politik wieder nach Europa zu verlagern. Dies ermöglichte 1907 einen Ausgleich mit Großbritannien, seinem jahrzehntelangen Rivalen in Asien. Der Zusammenschluss Russlands, Frankreichs und Großbritanniens zur so genannten Triple Entente festigte endgültig, anders als Deutschland es nach der russischen Niederlage erhofft hatte, das europäische Bündnissystem. Das Kaiserreich stand nun allein mit seinem letzten Verbündeten Österreich-Ungarn. Aus Europa waren zwei bewaffnete Lager geworden.

Dr. Klaus-Jürgen Bremm

Geboren am 30. Mai 1958 in Duisburg/Nordrhein-Westfalen; Besuch des neusprachlichen Gymnasiums in Prüm/Eifel 1968 - 1977; 1977 Abitur, anschließend Eintritt in die Bundeswehr als Offizieranwärter im Heer, 1978 - 1982 Studium der BWL an der Universität der Bundeswehr in Hamburg, Abschluss Dipl. Kaufmann parallel dazu Studium der Geschichte an der Landesuniversität Hamburg. 1982 - 1989 mehrere Verwendungen in der Panzertruppe, zuletzt Hauptmann u. Kompaniechef, derzeitiger Reservedienstgrad: Oberstleutnant; 1989 - 1996 Unternehmensberater in der Privatwirtschaft. Seit 1996 freiberuflicher Dozent, seither verschiedene Aufsätze in Sammelbänden und Fachzeitschriften publiziert, 2003 Promotion über Militärstrategie und Eisenbahnen in Preußen an der Universität Potsdam; Werner Hahlweg-Preisträger 2004.



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