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Das テ僕-Dilemma der US-Allianzen im Golf

Die Interdependenz von Öl und Sicherheit

von Karin Kneissl

Die USA sicherten während des Zweiten Weltkriegs rund 90% des Ölbedarfs der Alliierten. Um jedoch die eigenen Ölreserven zu schonen, beschloss Washington 1945 die bereits in den 30er Jahren erworbenen Ölkonzessionen auf der Arabischen Halbinsel zu nutzen. Angesichts der Knappheit der Ressource Öl lautete die Devise, "billiges arabisches Öl" zu importieren. Zugleich versickerten auch die zuvor v.a. in Deutschland intensiv betriebenen Forschungen, einen synthetischen Energieträger anstelle von Öl für die Verbrennungsmotoren zu finden.(Fußnote 1/FN1) War es doch aus US-Sicht billiger und langfristig attraktiver, Allianzen im Golf aufzubauen und zugleich die Ölproduzenten als Absatzmärkte enger an die USA zu binden. Am 12.3.1947 hielt US-Präsident Harry Truman vor dem Kongress seine "allout speech", die als "Truman-Doktrin" zur Eindämmung des Kommunismus bekannt wurde. Ebenfalls an diesem Tag wurde der Vertrag zwischen dem US-Konsortium Aramco, bestehend aus vier US-Ölkonzernen, und dem saudischen König Abd al Aziz ibn Saud zwecks Ölförderung perfekt.(FN2) Neben dem orthodox sunnitischen Königreich Saudi-Arabien wurde der schiitische Iran bis zur islamischen Revolution 1979 zur zweiten wesentlichen Säule der US-Präsenz im Golf, um gegen die nahöstlichen und kaukasischen Einflusszonen der Sowjetunion aufzutreten. Parallel zu diesem Bündnis mit muslimischen Staaten musste (und muss) Washington seine strategische Allianz mit Israel gestalten. Zugleich kristallisiert sich immer deutlicher heraus, dass die Golfmonarchien innenpolitisch mehr als je zuvor seit ihrer Entstehung destabilisiert sind. Die Gefahr droht diesmal nicht von außen, so wie 1979 seitens des Iran oder 1990 aus dem Irak, sondern ist zu Jahresanfang 2002 eine Mischung aus Wirtschaftskrise und islamistischer Opposition gegen die US-loyalen Herrscher. Die heftigen Schwankungen des Weltmarktpreises für Erdöl beeinflussen die internen Probleme der Produzentenstaaten und können über Verbleib oder Untergang eines Regimes entscheiden. In diesen geopolitischen Umwälzungen in der Golfregion ist eine Untersuchung der Rolle des Rohstoffs Erdöl in seiner sicherheitspolitischen Dimension von Interesse. Denn wie ein alter Spruch in der Ölbranche sagt: "Oil can make and break nations." ("Öl kann Nationen schaffen und zerstören.")

Der strategische Rohstoff Erdöl

Die Geschichte des 20. Jahrhunderts ist zugleich die Geschichte des Erdöls. Spätestens mit dem Ersten Weltkrieg wurde allen Konfliktparteien bewusst, dass der Energieträger Erdöl nicht irgendeine Ressource, sondern ein strategischer Rohstoff ist. Wurde Öl vor 1914 - als Truppenverlegungen in der Regel per Bahn erfolgten - nicht als Faktor in die Planungen einbezogen, so änderte sich der Stellenwert des Öls radikal mit der Mobilität, die die Kriege des 20. Jahrhunderts erforderten. Die von General Joseph Gallieni im September 1914 organisierte Armada von Pariser Taxis, um französische Truppen rasch an der Ostfront zusammenzuziehen, bewahrte Paris offenbar vor einem deutschen Einmarsch. Premier Georges Clemenceau änderte daraufhin auch bald seine Einstellung zum "pétrole", von welchem er bei Kriegsausbruch noch ironisch behauptete: "Wenn ich es brauche, kann ich es beim Apotheker kaufen."(FN3) Ölquellen physisch zu kontrollieren, wurde zum entscheidenden Kriegsziel. So für Hitler spätestens ab 1939, als sich seine Ambitionen auf das Kaukasus-Öl richteten, und so auch für die ehemaligen Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich, die ihre Mandatsgebiete als Einflusszonen unterschiedlicher Stärke entlang der Eisenbahnlinien und Ölkonzessionen bestimmten. So wurden die Staatsgrenzen zwischen Irak, Syrien und der Türkei nach Abschluss eines britischfranzösischen Erdölabkommens im April 1920 in San Remo festgelegt. Zwar hatten sich Großbritannien und Frankreich mittels Geheimdiplomatie schon 1915 auf Einflusszonen in Form von Mandaten auf dem Gebiet des Osmanischen Reichs geeinigt.(FN4) Doch laut diesem Sykes-Picot-Abkommen war für Palästina ein internationalisierter Status vorgesehen, Frankreich hätte mehr Territorium kontrolliert, kurz - die Karte des Nahen Ostens wäre eine andere gewesen. Die neuen Machtverhältnisse zu Gunsten Londons führten jedoch zu einer Umverteilung, u.a. kam Palästina unter britische Hoheit. Erst die Gewährung von Durchgangsrechten für britisches Öl aus dem Mossul durch das französische Mandatsgebiet Syrien ermöglichte dann die Demarkation der Mandatsgrenzen, die bis heute Grenzen der Nationalstaaten sind. Die Briten waren im irakischen Mossul, einem schon damals sehr ergiebigen Fördergebiet, präsent und auch im Iran; die Franzosen mischten über ihre Anteile in den Konzessionen mit und waren v.a. in ihrer algerischen Kolonie im Erdölgeschäft tätig.

Wie sehr der Faktor Öl über Sein oder Nichtsein von Völkern entscheidet, zeigt sich nicht nur am aktuellen Kriegsgeschehen zwischen Hindukusch und Kaukasus, sondern in der modernen Geschichte des Orients schlechthin. Die Schlacht um Afghanistan ist - weit über das US-Kriegsziel der Terrorbekämpfung hinaus - auch mit dem Projekt der Pipelines von Turkmenistan nach Pakistan eng verquickt. Am Öl entzündete sich 1994 die tschetschenische Sezessionslust: Es ging und geht um die Transportroute für kaspisches Erdöl. Die Liste nahöstlicher Konflikte rund um das Öl ist lang. Zu den jüngsten zählen der Zermürbungskrieg zwischen Irak und Iran (1980-88) und die irakische Invasion von Kuwait 1990. In beiden Fällen setzte Iraks Saddam Hussein im machtpolitischen Poker um alte Territorialansprüche auf die Ölkarte. Grenzprobleme, nicht zuletzt wegen grenznaher Ölfelder, bilden eine Konstante regionaler Instabilität. Über die größten bekannten Ölreserven verfügt Saudi-Arabien; diese Felder befinden sich ebenfalls oft in territorial umstrittenen Zonen. Die Grenzen des Königreichs sind das Ergebnis von Stammesfehden und Versöhnungen, osmanischen Verwaltungslinien und britischen Einflusszonen.(FN5) Öl stand am Anfang der Nationalstaaten in der Levante und im Golf. Saudi-Arabien ist nur ein Beispiel für das zerbrechliche Gebilde aus Öl und umstrittenen Grenzzonen, den "frontiers".

Die besondere Allianz der USA mit dem Hause Saud

Das Verhältnis zwischen den USA und Saudi-Arabien ist im Herbst 2001 auf einem historischen Tiefpunkt angelangt. Angesichts der Tatsache, dass 15 der 19 Attentäter vom 11. September einen saudischen Pass hatten, ist die öffentliche Meinung in den USA gegenüber dem Königreich äußerst negativ.(FN6) Auf diplomatischer Ebene sind beide Seiten um Schadensbegrenzung des "deep discomfort" bemüht. Verfolgt man die saudischen Medien, zeigt sich tiefer Ärger über den US-Tadel. Gegenwärtig sieht es danach aus, dass die Partnerschaft, die die nahöstlichen Stürme der letzten 70 Jahre überlebt hat, auf einem äußerst schwierigen Prüfstand steht. Ob es zu einem Bruch kommt, wie dies mit dem Iran 1979 der Fall war, hängt mit den internen Entwicklungen in Saudi-Arabien eng zusammen.

Auf der Arabischen Halbinsel, deren Stämme das Haus Saud 1932 zum saudischen Königreich auf der Grundlage einer besonders orthodoxen Interpretation des sunnitischen Islam, des Wahabismus, geeinigt hatte, entschloss sich Abd al Aziz ibn Saud bereits 1933 zu einer Allianz mit den USA. Den historischen Hintergrund bildete Ende der 30er Jahre das massive Interesse der Amerikaner und Briten an Erdölkonzessionen in der Region, deren Bedeutung zum damaligen Zeitpunkt nur vermutet werden konnte. Dieses sogenannte "Great Game" war ein Wettlauf von Geologen und Abenteurern sowie an der politischen Spitze zwischen dem britischen Premier Winston Churchill und US-Präsident Theodore Roosevelt. Dass Letzterer das Rennen machte, lag wohl nicht nur am großzügigeren Gastgeschenk Roosevelts in Gestalt eines Flugzeugs anstelle der Parfümschatulle aus London. Das Motiv für den Beduinenfürsten, einen amerikanischen Partner für das erst in den Anfängen steckende Ölgeschäft zu nehmen, war einfach: Besser ein geografisch weit entfernter und desinteressierter Verbündeter, der in der Region keine territorialen Ambitionen hatte, als sich den Briten wirtschaftlich auszuliefern. Das Britische Königreich, dessen erste politische Devise "free passage to India" war, kontrollierte über die "Trucial States", den erst in den 60er Jahren in die Unabhängigkeit entlassenen Emiraten, bereits weite Teile der Küste des Persischen Golfs.(FN7) Die USA hingegen erfreuten sich im gesamten arabischen Raum des Rufes, antikolonial eingestellt und ein guter Geschäftspartner zu sein. Das Geschäft zwischen Amerikanern und dem Hause Saud war im März 1947 perfekt. Die Aramco-Geschäftsleitung, die zudem von Washington mit der Wahrnehmung von zahlreichen außenpolitischen Agenden beauftragt war, bestimmte den Umfang der Ölförderung sowie den Preis. Der Gaststaat erhielt im Gegenzug einen fixen Prozentsatz, die so genannten "royalties".

Die Rolle der großen Ölkonzerne in den Ölförderstaaten am Golf ist legendär, kontrollierten sie doch Produktion, Transport, Verarbeitung und die Vermarktung des arabischen Öls.(FN8) In Saudi-Arabien waren Texaco, Exxon und Mobil mit Chevron in Form der "Arabian-American Oil Company Aramco" tätig. Auch nach der Verstaatlichung Mitte der 70er Jahre blieb der Name bestehen, allerdings in der Form Saudi Aramco. Aramco bildete bis dahin einen Staat im Staate, war eine Lobby der besonderen Art. Die Geschäftsleitung von Aramco gestaltete die Tagespolitik im Gaststaat, und in den Büros der Ölfirmen wurde Regionalpolitik im großen Stil betrieben. Leitmotiv war bis zum Ende des Kalten Kriegs, den Einfluss der Sowjetunion einzudämmen. Parallel galt es ab 1979, das sunnitische Königreich, zugleich Hüterin der wichtigsten Heiligen Stätten des Islam in Mekka, gegen die iranischen Expansionsbestrebungen im Namen der islamischen Revolution zu unterstützen. Als es im November 1979 während der Pilgerreise der Hadsch in der Moschee von Mekka zu schweren Kämpfen kam, konnten die saudischen Sicherheitskräfte nur dank der Hilfe britischer und US-Sondereinheiten den von Teheran aus gesteuerten Aufruhr stoppen. Im Spätsommer 1990 wurden rund 40.000 US-Truppen auf saudischem Territorium stationiert, um dem Königreich gegen den Irak beizustehen. Im Schnitt befinden sich heute auf den Basen noch 7.000 US-Soldaten.

Die eigentliche Gefahr droht dem saudischen Herrscherhaus indes nicht von außen, sondern von innen. Washington hat in Saudi-Arabien einen ergebenen Verbündeten, und Riyadh kann auf den militärischen Schutzschild der USA zählen. Dies galt analog für den Iran, dessen Schah Reza Pahlevi seine Rückkehr auf den Thron im Juli 1953 einem CIA-Coup gegen den iranischen Premier Mossadegh verdankte. Weniger stark als Saudi-Arabien ließ sich jedoch der ehrgeizige Kosakensohn Pahlevi für die von den USA gewünschte Öldiplomatie instrumentalisieren. Beide Staaten wurden von den USA mit großzügigen Waffenlieferungen sowie Ausbildung der Sicherheitskräfte versorgt. Die enge Kooperation mit dem Iran fand mit dem endgültigen Sturz des Schah ihr Ende. Washington hingegen weiß in Saudi-Arabien einen verlässlichen Partner in der Organisation Erdöl exportierender Länder/OPEC, wo Saudi-Arabien als der wichtigste Mitgliedstaat US-Wünsche betreffend die Förderquoten geschickt vertritt. Es handelt sich in dieser Allianz eben um eine "special relationship", die für Saudi-Arabien gegenwärtig eine gefährliche innenpolitische Gratwanderung bedeutet.(FN9)

Die sicherheitspolitische Dimension der Ölversorgung und Öleinnahmen

Der Ölmarkt ist wie eine optische Linse, in welcher sich politische Entwicklungen oft dramatisch brechen. Unter dem Schlagwort der "Ölwaffe" offenbarte sich die starke wirtschaftliche Abhängigkeit des Öl konsumierenden Westens. Die OPEC, die damals noch rund 70% des Weltmarkts kontrollierte, war als "Ölkartell" zum Feindbild des Westens geworden. Dabei hatten die Ölkonsumenten vom Gründungsgipfel der Organisation 1960 in Bagdad kaum Notiz genommen.(FN10) Die Schaffung der OPEC durch fünf Förderstaaten erfolgte in Reaktion auf den immer stärkeren Preisverfall ihrer einzigen Ressource. Damals war der "posted price" der von den Produzenten vorgeschriebene Preis. Die Förderländer fühlten sich infolge starker Preiskürzungen durch die Konzerne Ende der 50er Jahre um ihren schwarzen Bodenschatz betrogen. Die weit gehenden Konzessionen, die oft das gesamte Staatsgebiet umfassten, machten aus den Gaststaaten rechtlose Lieferanten. Die fünf Gründungsstaaten der OPEC - Irak, Iran, Kuwait, Saudi-Arabien und Venezuela - forderten in erster Linie Stabilität im Preis und mehr Konsultation über Förder- und Preispolitik. Ihr Argument war damals (und ist es noch heute), einen stabilen Preis für eine langfristige Wirtschaftsplanung zu erzielen. Der rasante Aufstieg der OPEC zum Machthebel von globaler Bedeutung erfolgte erst mit den großen Verstaatlichungen Anfang der 70er Jahre und vor dem Hintergrund der beiden Erdölkrisen von 1973 und 1979, infolge des arabischisraelischen Konflikts und der Revolution im Iran. Diese sicherheitspolitische Dimension der OPEC ist ein Zufallsprodukt der Konflikte, war jedoch von den Gründungsstaaten nie beabsichtigt.(FN11) Indes ist die Rolle der OPEC mit einem aktuellen Marktanteil von rund 35% drastisch gesunken. Weiterhin spielt sie aber als Koordinator in der globalen Ölversorgung auf Grund der hohen Reserven ihrer Mitglieder eine wichtige Rolle. Doch welche Faktoren bestimmen den Ölpreis? Kurzfristig ist es die Politik, langfristig jedoch greifen die Naturgesetze von Angebot und Nachfrage - so die Ökonomen der Branche.(FN12) Mit der wachsenden Bedeutung der Futures und anderer Derivatgeschäfte seit Beginn der 80er Jahre, zunächst im Handel mit Heizöl, dann mit Rohöl, an der New Yorker Warenbörse, mischt kurzfristige Börsentaktik mit. Spekulation und das psychologische Moment entscheiden an Stelle der eigentlichen Marktdaten, wie die OPEC regelmäßig beklagt.(FN13) Für Robert Mabro, Leiter des Oxford Institute of Energy, ist der Handel mit Ölfutures schlicht marktverzerrend.(FN14) Die Entwicklung des Ölpreises seit Winter 1998 gleicht einer Achterbahn. Stand der Preis Anfang 1999 noch auf einem Tief von unter 10 USD pro Barrel und war bereits die Rede davon, dass die Welt in Öl ertrinkt, so katapultierte sich der Preis im Sommer 2000 auf rund 35 USD pro Barrel, um im Winter 2001 wieder auf rund 16 USD zu sinken. Die Verwundbarkeit der Ölkonsumenten im Falle einer Unterbrechung der Ölversorgung ist im Vergleich zu den Krisen der 70er Jahre infolge Lagerhaltung, Erschließung des Nordsee-Öls und Verwendung neuer Substitute in der chemischen Industrie stark gesunken.(FN15) In erster Linie ist v.a. Japan, gefolgt von Westeuropa, vom Golf-Öl abhängig.

Die USA hingegen verfolgen eine relativ konsequente Linie, ihre Ölimporte zu diversifizieren. Der im Februar 2001 vorgestellte Energieplan von Präsident Bush zielt klar auf eine stärkere Förderung von Kohle und nuklearer Energie, Erschließung nationaler Ölquellen und anderer Offshore-Ölfelder jenseits der OPEC-Staaten. Dieser Plan bestätigt eine Tendenz, die sich bereits seit 30 Jahren abzeichnet. Energiepolitik ist mit der Krise von 1973 zur Priorität in der Außen- und Handelspolitik der USA aufgerückt. Der Akzent liegt hierbei auf einer steten Stärkung der Ölproduktion in der westlichen Hemisphäre, in Afrika, im Kaspischen Meer und anderen erdöl- und erdgasreichen Gebieten.(FN16) Wie ernst es Bush mit dem Dialog mit Russland in Energiefragen nimmt, zeigte sich auch beim ersten Gipfel mit Wladimir Putin in Ljubljana am 15.6.2001. In der gemeinsamen Pressekonferenz war von einer engeren Kooperation in der Erschließung der Energiequellen mehrmals die Rede.(FN17) Was bislang als "billiges arabisches Öl" attraktiv war, könnte daher im Zuge der Entstehung neuer Kräfteverhältnisse in den Hintergrund rücken.

Doch vorerst nimmt die Frage der Energieversorgung auch im Falle einer kurz- bis mittelfristigen Unterbrechung der Öllieferungen aus dem Golf wesentlichen Raum in der Planung der Lager, der "stocks", durch die 1973 gegründete International Energy Agency (IEA) ein. Die Sicherheit der Ölversorgung in allen ihren Aspekten der Förderung, des Transports und der Verarbeitung wird von der IEA aufmerksam über ein Monitoring der Märkte verfolgt. Eine allfällige Unterbrechung in der Ölversorgung ist einer der Risikofaktoren, die die IEA in ihre Planungen einbezieht. Bekannt ist die Gefahr einer Sabotage von Pipelines. Mehrere Präzedenzfälle - so auch in Kuwait 1995 - sorgten für Unruhe auf den Märkten. Besonders exponiert im Konfliktfall ist jedoch der Tankertransport. Die Wasserstraßen Suez-Kanal, die Straße von Hormuz, die Meerenge Bab Al Mandeb und Tiran waren in der Vergangenheit regelmäßig Schauplatz bewaffneter Konflikte.

Die im Golf stationierten US-Truppen konzentrieren sich neben regelmäßigen Angriffen auf irakische Positionen v.a. auf die Sicherheit der Tankerflotten in der Straße von Hormuz. Diese Aufgabe nahm bis 1979 der Iran als "US-Gendarm im Golf" wahr, wobei die iranische Marine auch in den Hoheitsgewässern der kleineren Golfstaaten patrouillierte. Um diese Zone zu entlasten, wurden vermehrt Pipelines in Richtung östliches Mittelmeer gebaut. Ausweichrouten zum Roten Meer errichtete auch Saudi-Arabien. Und für den Irak waren infolge des kurzen Küstenabschnitts am Golf die Pipelines stets wichtiger als der Seetransport. Doch innerarabische Konflikte, so u.a. mit Syrien, sorgen hier auch für Transportprobleme.

Für die asiatischen Importeure ist die Straße von Hormuz vital. In geringerem Umfang trifft dies auch auf die USA zu, die auf dieser Route ihr Golföl beziehen. War die Doktrin britischer Außenpolitik bis 1956 noch "free passage through Suez", so gilt dies analog heute für die USA und ihre Kontrolle der Straße von Hormuz. Die Sperre dieser oder anderer Wasserstraßen könnte jederzeit wieder zum "casus belli" für die USA werden. Ebenso exponiert sind jedoch die Tanker selbst. Man erinnere sich nur des Tankerkriegs zwischen 1984 und 1988 während des irakischiranischen Waffengangs. Während dieser Periode wurden 308 Öltanker angegriffen, 53 wurden völlig zerstört. Ähnlich riskant ist die Lage für die drei wesentlichen Terminals in der Region, die 60% des Golföls verschiffen. Der iranische Terminal von Kharg konnte nach irakischen Zerstörungen erst 1994 wieder in Betrieb gehen.(FN18) Unterbrechungen und Kürzungen im Volumen der Ölexporte aus dem Golf, ob für Wochen oder Monate, ist ein Szenario, das Analysten in der IEA und in der OPEC bearbeiten. Die Gefahr einer langfristigen und einschneidenden Unterbrechung der Ölversorgung aus der Golfregion wird jedoch grundsätzlich von eben diesen Analysten als Szenario ausgeschlossen.(FN19) Denn angesichts der hohen Abhängigkeit der Produzenten von ihrem einzigen Exportgut Öl ist kaum mit einem solchen Schritt zu rechnen. Auch der Irak, der bereits mehrmals die ohnehin geringe vom UN-Sicherheitsrat genehmigte Quote unterschritt, nahm nach maximal zwei Monaten wieder die Förderung auf. Die wechselseitige Abhängigkeit zwischen Produzenten und Konsumenten von Öl wirkt gleichsam als stabilisierender Faktor.(FN20) Anders verhält es sich mit dem Konfliktpotenzial, das die Politik und v.a. die sozialen Unruheherde in sich bergen. Hier könnten fundamentale Veränderungen die ersten Ölkrisen des 21. Jahrhunderts provozieren.

Die sicherheitspolitische Dimension des Ölmarkts liegt gegenwärtig weniger auf der Seite der Nachfrage, also der Ölkonsumenten, sondern vielmehr auf der Angebotsseite, und zwar im Sinne eines Preisverfalls. Die niedrigen Einnahmen aus den Ölexporten, so zuletzt 1996 bis 1998, schadeten den Volkswirtschaften der Ölproduzenten schwer. Als im Winter 1998 der Preis auf unter 10 USD pro Barrel fiel, war vielen Analysten klar: Der Preis muss steigen, ansonsten fallen die Regimes wesentlicher Produzenten am Golf.(FN21) Im Frühjahr 1999 koordinierten OPEC und Nicht-OPEC-Ölproduzenten ihren Kurs der Förderdrosselung.(FN22) Indes versuchen jedoch Russland und Kasachstan weitere OPEC-Marktanteile zu erobern. Die Förderdisziplin aller Produzenten im Sinne einer Preisstabilisierung angesichts niedriger Nachfrage ist mehr als fraglich. Die Aufmerksamkeit der Öldiplomatie ist daher v.a. auf die wirtschaftliche Stabilität der großen Golfproduzenten gerichtet. Für die OPEC in ihrer Gesamtheit sind die großen Preisschwankungen von Nachteil, da sie eine Budgetplanung in den Förderstaaten fast unmöglich machen. Im Zentrum des Interesses steht der wesentliche OPEC-Produzent und US-Verbündete Saudi-Arabien, der sich indes schon seit rund zehn Jahren mit Intervallen in einer Wirtschaftskrise der besonderen Art befindet.

Saudi-Arabien und das Risiko einer Revolution

Dass es in zahlreichen Staaten des Golfs angesichts der US-Interventionen in muslimischen Staaten zwecks Bekämpfung des Terrorismus intern heftig rumort, beunruhigt nicht zuletzt die Ölbranche. Die Sorge gilt v.a. Saudi-Arabien, das über die wichtigsten Ölreserven der Welt verfügt und Platz fünf im Bereich der Erdgasreserven belegt. Die Rohölvorräte des Landes werden auf rund 264 Mrd. Fass (ein Fass entspricht 159 Litern) geschätzt, dies stellt ein Viertel der Weltreserven dar oder in zeitlicher Dimension Öl für über 200 Jahre. Die Einnahmen aus den Ölexporten bilden 90% des Volkseinkommens. Die vielen Pläne für eine Diversifizierung und Strukturreformen hat Riyadh nicht realisiert. Im Gegenteil - das Land hat sich mit Waffenkäufen, einer Rechnung im Golfkrieg von 1991 von 55 Mrd. USD und vielen anderen Aktionen unvorsichtiger Scheckbuch-Diplomatie - ob im Irak, in Algerien oder Pakistan - schwer übernommen. Die Verschuldung des Landes betrug im Jahr 2000 rund 133 Mrd. USD und entspricht rund 15% des Bruttonationalprodukts. Die fetten Jahre sind endgültig vorüber, wie Kronprinz Abdallah bereits im Vorjahr feststellte(FN23) - und damit auch der saudische Wohlfahrtsstaat, der eine rundum versorgte Bevölkerung ruhig halten sollte. Der ihm zu Grunde liegende "Gesellschaftsvertrag" - sprich Steuerfreiheit, großzügiges Sozialwesen, hochbezahlte Jobs - heizt vorerst nur noch die Verschuldungspolitik an. Kurzfristig stiegen die saudischen Öleinnahmen ab Mitte 1999 bis zum Sommer 2001 infolge des hohen Preisniveaus. Der Ölpreis ist vom angepeilten Durchschnittspreis von 25 USD seit Mitte September auf nunmehr unter 19 USD pro Fass gefallen. Die Ölproduzenten haben ihre Budgets für 2002 auf Basis eines relativ stabilen Preises um 22 USD erstellt. Doch nun müssen die Zahlen revidiert werden.(FN24) Die bereits 1998 brisante Wirtschaftslage des Landes, das sich mit einer ständig wachsenden Bevölkerung und Arbeitslosigkeit befassen muss, ist derzeit noch akuter. Der Anti-Terror-Krieg der USA und die islamistischen Aktivitäten machen aus der Wirtschaftskrise eine Existenzfrage für das Haus Saud. Für den seit Jahren kranken König Fahd führt Kronprinz Abdallah die Regierungsgeschäfte. Doch die Nachfolge ist nicht völlig geklärt, da die Liste der Berechtigten in der Thronfolge lang ist. All die 1991 nach dem Golfkrieg zugesagten rechtsstaatlichen Reformen haben weder Saudi-Arabien noch Kuwait bislang realisiert.

Es ist mehr als deutlich: Gefahr droht Saudi-Arabien von innen. Die Optionen für einen Sturz des Hauses Saud sind vielfältig. Betrachten wir zwei Möglichkeiten ein wenig genauer, nämlich eine Militärrevolte oder die Machtergreifung durch Islamisten. Galten die Militärs in den arabischen Staaten bis etwa 1967, dem Jahr der Niederlage gegen Israel im Sechs-Tage-Krieg, als Reformer, Männer mit nationalen Visionen, den Werten der Loyalität und Meritokratie verbunden, so hat sich ihr Rollenbild indes mit den Attributen "korrupt und unfähig" ins Negative verschoben. Weder konnten sie in den meisten Staaten die in sie gesetzten Erwartungen einer Modernisierung - siehe Algerien - umsetzen, noch haben sie dort, wo sie teils interimistisch die Macht übernahmen, wie in Syrien, im Irak und in der Türkei, ein allgemeines Nationalbewusstsein an die Stelle der tribalen und ethnischen Bindungen gesetzt. Vielmehr hat sich, so v.a. in Syrien und im Irak, gezeigt, dass sich die militärischen Zirkel mit all den einander oft konkurrierenden Geheimdiensten zu mächtigen Wirtschaftsenklaven entwickelt haben, die sich keiner Kontrolle von außen unterwerfen. Die Armee hat in Syrien schon längst den zivilen Markt übernommen. Und auch in Saudi-Arabien verhandeln Generäle Auslandskredite. Die traditionell umfangreichen Waffenankäufe für die saudischen Truppen haben zu einer starken Zuwanderung ausländischer Militärexperten geführt. Diese Tatsache wiederum irritiert den mächtigen wahabitischen Klerus im Land. Saudi-Arabien gab 1999 für Waffenimporte aus den USA und Großbritannien 6,1 Mrd. USD aus. Die Militärausgaben entsprechen damit 15,5% des BNP. Die saudische Armee umfasst 70.000 Soldaten, die paramilitärische "Frontier Force" zählt weitere 10.500 Mann. Für die Sicherheit der königlichen Familie und vitaler Punkte im Königreich, wie der Terminals, ist die Nationalgarde zuständig.

Von 77.000 Gardisten sind 20.000 Vasallen basierend auf der Hierarchie der Stämme. Militärberater aus den USA und Großbritannien arbeiten in Saudi-Arabien, zudem erfährt ein großer Teil der Kommandanten die Ausbildung auf den Akademien von Sandhurst und Westpoint. Vor allem in den niederen Offiziersrängen aber finden sich viele Sympathisanten für einen politischen Wechsel. Ihre ideologische Inspiration finden sie im neuen islamistischen Gedankengut, dessen Grundvorwurf an das saudische Establishment die Auslieferung des Landes an ausländische Mächte, v.a. an die USA, ist. "Ulama", also islamische Rechtsgelehrte, werden mit ihrer Kritik an der Dekadenz des Hauses Saud und ihrem Abfall vom wahren Islam immer unverhohlener. Sollten daher innersaudische Islamisten einen Umsturz realisieren, ist kaum mit einer Unterdrückung durch die Militärs zu rechnen.(FN25) Auslöser wäre in beiden Fällen die Unzufriedenheit mit der Wirtschaftslage. Dass der eigentliche Nahostkonflikt zwischen Israel und den Palästinensern zu einem politischen Beben in den Golfmonarchien führen könnte, gilt unter politischen Beobachtern als eher ausgeschlossen. Ausschlaggebend wird das wirtschaftliche Überleben der Saudis sein.

Vincent Lauermann vom Canadian Energy Research Institute bringt es auf den Punkt: "Ali Baba und die 40 Räuber kriechen in das Haus Saud, das stürzen wird, wenn nicht rasch die richtigen Maßnahmen ergriffen werden."(FN26) Dieser Ali Baba könnte Bin Laden oder wie auch immer heißen, denn die Masse der Unzufriedenen im Lande ist groß. Vorrangig wäre, die bislang abgeschotteten Sektoren im Energie- und Transportwesen für ausländische Direktinvestitionen zu öffnen. Am saudischen Erdgasförderprojekt, das im Juni 2001 unterzeichnet wurde, sind acht Konzerne beteiligt. Und seit dem 11.9.2001 sind die politischen Risken für Investitionen rasant gestiegen. Zugleich wissen die Konzerne, dass niemand um Saudi-Arabien herumkommt, man will sich daher das Vertrauen der saudischen Partner erhalten. Erinnerungen an das Jahr 1979 werden wach.

Weder die USA noch die Konzerne erkannten damals die Zeichen der Zeit. Eine Neuauflage iranischer Verhältnisse, als Schah Reza Pahlevi über Nacht fliehen musste und ausländische Guthaben eingefroren wurden, ist für Saudi-Arabien nicht auszuschließen.

Denn politisch sind die Wogen des Golfkriegs von 1991 noch immer nicht verebbt. Dies zeigt sich deutlich am Aufstieg des Terrornetzes von Osama Bin Laden. Das Programm seiner Al Qaida nennt primär die Vertreibung der USA aus dem Golf und verfolgt den Sturz des Hauses Saud. Die strategische Allianz der USA mit dem Haus Saud ist auch eine Geschichte persönlicher Freundschaften zwischen den Chefetagen von Aramco und den Söhnen der Saud. Will man eines der Motive für Bin Ladens Ideologie ergründen, sollte man die Rolle der USA in Saudi-Arabien studieren. Für den Muslim Bin Laden sind die Saud, Hüter der heiligen Stätten des Islams, infolge ihrer starken US-Bindung Verräter am Islam. Bin Laden, neues Symbol westöstlicher Animositäten, ist im US-loyalen Saudi-Arabien groß geworden. Die Rolle, die der Energieträger Öl für alle Beteiligten spielt, ist ihm als saudischem Milliardär mehr als klar. Nachrichtendienste hatten daher eher mit Sabotageakten von Al Qaida in Saudi-Arabien als mit Terror auf US-Territorium gerechnet.

Der Domino-Effekt, der von Saudi-Arabien auf die anderen kleinen Golfmonarchien ausgehen würde, könnte gewaltig sein. Die fünf Mitglieder des Golfkooperationsrats GCC haben im Jahr 2001 rund 25 Mrd. USD an Öleinkünften verloren. Einzig das Emirat Qatar hat sich unter Scheich Hamid bin Khalifa al-Thani, der 1995 gegen seinen Vater putschte, geöffnet und seine Strukturen liberalisiert. Scheich Hamid gilt als der "Maverick" unter den Golfmonarchen. Der Satellitensender "Al Jazira", der CNN konkurriert und die arabische Haus- und Hofberichterstattung revolutioniert, ist ein Beispiel unter vielen für die Sonderrolle von Qatar. Doch auch hier gilt der demographische Unsicherheitsfaktor: 70% der 700.000 Qataris sind Ausländer. Und Saddam Hussein, der auf seine Weise den USA seit 1990 die Stirn bietet, ist der heimliche Held arabischer Massen von Kairo bis Aden.

Was passiert im und mit dem Irak?

"Unfinished Business Iraq" - vom unvollendeten Job im Irak ist seit den raschen Erfolgen der US-Bombardierungen in Afghanistan und dem Sturz des Taliban-Regimes im Dezember 2001 die Rede. Das Erfolgsrezept "man bombardiere massiv militärische Positionen, schleuse einige Spezialeinheiten ein, mache aus einer Schar berittener Freiheitskämpfer eine schlagkräftige Truppe und halte sich mittels ausbalancierter Koalition den Rücken frei" könnte auch im Irak Anwendung finden. In diese Richtung gehen die in den anglophonen Medien diskutierten Pläne für den Irak.(FN27) Auch die Türkei und Saudi-Arabien haben diskret ihren Segen für einen Sturz des Bagdader Regimes erteilt.(FN28) Damit könnte der 1995 von der CIA mitgeplante, doch gescheiterte Putsch durch die exilierte Opposition "Iraqi National Congress" unter Ahmed Chalabi als Plan wieder aus der Schublade gezogen werden. Treibender Motor in der US-Regierung ist Paul Wolfowitz, stellvertretender Verteidigungsminister, der als Dekan an der John-Hopkins-Universität bereits heftig für eine solche Operation Lobbying betrieb. War die US-Öffentlichkeit für eine derartige massive Operation gegen den Irak bis vor dem 11. September nicht zu gewinnen, so hilft jeder weitere Vorfall, ob Terror oder Unfall, die Stimmung gegen den Irak zu stärken.

Noch kursieren eher medial griffige Thesen. Doch ein Sturz des irakischen Regimes scheint nun anders als 1991 während der Operation Desert Storm politisch akzeptabel. Die damaligen Motive, den militärischen Diktator doch zu halten, basierten auf der Befürchtung der USA und v.a. auch der Türkei, der Irak könnte implodieren. Die Option einer kurdischen Sezession verunsicherte v.a. Ankara, das vehement für die UN-Sicherheitsratsresolution 688 (1991) zwecks "humanitärer Intervention" im Nordirak eintrat.(FN29) Doch eine Neuauflage des Erfolgsrezepts Afghanistan könnte im Irak schon aus folgenden Gründen nicht so rasch zum gewünschten Ergebnis, einer US-loyalen Regierung, führen:

1. Der Irak verfügt über chemische und bakteriologische Waffen; 1998 wurden die UN-Inspektionen abgebrochen. Mittels jugoslawischer und chinesischer Hilfe soll der Irak einige seiner Arsenale wieder aufgebaut haben.

2. Die Armee hat teilweise ihre alte Stärke von rund 700.000 Soldaten erreicht, allein 100.000 Mann zählt die Präsidentengarde.

3. Ein Mitwirken der NATO im Sinne des Artikel 5 erscheint eher unwahrscheinlich, die USA würden in ihre unilaterale Position zurückfallen.

4. Jordanien würde ein wirtschaftliches Chaos drohen, da das Land vom Schmuggel aus dem und in den Irak lebt. Der verstorbene König Hussein hatte sich 1990 hinter Saddam Hussein gestellt, seinem Sohn Abdallah bliebe kaum eine andere Option, um sein politisches Überleben zu sichern.

5. Die Revolten in den arabischen Straßen wären ebenfalls höchst gefährlich für die anderen so genannten "gemäßigten" arabischen Staaten wie Ägypten und die Maghrebstaaten.

Man muss nur einen Blick zurück in die zweite Jahreshälfte von 1990 werfen, um zu begreifen, welchen Radius Saddam Hussein - anders als die allseits marginalisierten Taliban - hat. Saddams Aufruf zum Dschihad am 10.8.1990 schlug hohe Wellen und bedurfte der Mobilisierung aller arabischen diplomatischen Hebel, um kein größeres politisches Beben loszutreten.(FN30) Realistischer scheint daher die Einschätzung, vorerst mit Saddam Hussein weiter leben zu müssen, auch wenn sich die US-Regierung noch im Erfolgstaumel befindet. Hinzu kommt, dass es im Fall einer Operation gegen den Irak zu einer Unterbrechung in der Ölversorgung im Golf kommen könnte. Die Auswirkungen wären für die Ölkonsumenten für einige Wochen tragbar. Doch angesichts der volatilen Wirtschaftssituation könnte auch eine nur kurzfristige Vervielfachung der Ölpreise einigen Wirtschaftszweigen, wie dem Transportwesen, einen weiteren schweren Schlag versetzen.

Die unabwendbare Öffnung der Islamischen Republik Iran

Fast alle Förderstaaten hatten Anfang der 70er Jahre die Souveränität über ihre Ressourcen erlangt. Dem Iran gelang bereits 1951 unter Premier Mossadegh die Verstaatlichung der Ölkonzerne. Diese Kontrolle über das vitale Exportgut gilt es unter allen Umständen zu erhalten. So erklärt sich, dass der eigentliche Förderbereich, das so genannte "upstream", ausschließlich in nationaler Verantwortung erfolgt. Doch fehlendes Kapital bewirkt ein Umdenken. Besonders interessant ist die seit Sommer 2001andauernde Debatte im Iran über die "buyback agreements". Es geht um eine Form der Vorfinanzierung zwecks Entwicklung von Öl- und Gasfeldern zwischen einer ausländischen Firma und der iranischen Regierung. Die Rückzahlung erfolgt mittels Öl oder Gas.(FN31) Was Irans Ölminister Namdar Zanganeh als Rettungsanker für die völlig veraltete iranische Ölindustrie erachtet, kritisieren seine Gegner als Ausverkauf nationaler iranischer Interessen. Die hitzige Debatte im iranischen Parlament lässt sich nicht auf den Machtkampf zwischen Reformern und Konservativen reduzieren. Vielmehr schwingt die alte Angst vor einer feindlichen Übernahme mit. Geprägt von Invasionen, ob durch Russen, Briten oder US-Geheimdienste, ist die Skepsis der iranischen Öffentlichkeit gegenüber einer Öffnung ihres "upstream" für Ausländer begreiflich. Doch der iranische Ölminister verteidigt sich mit dem Argument: "Der Iran braucht diesen Zugang zu den Märkten, da wir ohne Expertise nicht unser Öl und Gas fördern können." Ist Zanganeh mit seiner liberalen These royalistischer als der Schah? Banales Faktum ist, dass der Iran Geld braucht. Dies gilt ebenso für Saudi-Arabien.

Im Windschatten des Machtkampfes in und um Afghanistan hat der Iran die Position einer "kritischen Neutralität" bezogen. Auch gegen eine radikale Schwächung des Iraks könnte Teheran nichts haben, ist doch eine Konstante im geopolitischen Gefüge am Golf stets die Rivalität zwischen den beiden Staaten mit der schiitischen Bevölkerungsmehrheit gewesen. Und vom militanten sunnitischen Islamismus eines Bin Laden wissen sich die iranischen Geistlichen ebenfalls zu distanzieren.(FN32) Offen ist dennoch, wie Teheran diese aktuellen Umwälzungen politisch für seine Ambitionen umsetzen kann. Eine Öffnung ist jedenfalls - aus Mangel an Mitteln - schon längst nicht mehr aufzuhalten. Zugleich rückt der Iran auf Grund vermuteterer Massenvernichtungswaffen ins US-Visier, auf die sogenannte "Achse des Bösen". Die iranische Führung reagierte entsprechend scharf auf die Rede zur Nation von Präsident Bush am 28. 1.Doch auch die jüngsten Spannungen zwischen Teheran und den USA ändern wenig am iranischen Finanzbedarf infolge geringer Öleinnahmen.

Konklusion

"Oil friendships are very slippery” - Öl-Freundschaften sind rutschige Angelegenheiten, dieser Satz wird Calouste Gulbenkian, dem großen Ölarchitekten der Turkish Petroleum Company, zugeschrieben.

In mehrfacher Hinsicht sind daher Verschiebungen der Allianzen im Golf denkbar. Schon längst hat ein neues "Great Game", ein Wettlauf um Zugang zu Öl- und Gasreserven in Zentralasien, begonnen. Der US-Krieg gegen den Terrorismus belastet die alten Freundschaften am Golf, rasch könnten neue Feindschaften entstehen. Die überstrapazierten Kategorien von "gemäßigten" und "radikalen" arabischen, respektive islamischen Staaten sollten ad acta gelegt werden. Die aktuellen geopolitischen Umwälzungen im Golf könnten infolge unterschiedlichster Ölkrisen - ob für die Konsumenten in Form einer Preisspirale oder für die Produzenten in Gestalt eines Preisverfalls und damit interner Konflikte - zu völlig neuen Allianzen führen. Ölfirmen haben für diese Transformationen oftmals eine bessere Nase als Politiker und Strategen.

ANMERKUNGEN:

(Fußnote 1/FN1) Der deutsche Chemiekomplex I.G. Farben wurde von Adolf Hitler bereits 1932 kontaktiert. Hitler sah in der Abhängigkeit Deutschlands von Ölimporten eine große Schwachstelle für die von ihm geplanten Projekte im Transportwesen. Sein Interesse an den Forschungspatenten der I.G. Farben, v.a. am Bergius-Verfahren zur synthetischen Gewinnung von Treibstoff für Flugzeuge, war entsprechend groß.

(FN2) Yergin, Daniel: The Prize - The Epic Quest for Oil, Money and Power. London 1991, S.416.

(FN3) Ibid., S.189.

(FN4) Nevakiki, Jukka: Britain, France and the Arab Middle East 1914-1920. London 1969, S.251.

(FN5) Wilkinson John C., Arabia’s Frontiers: The Story of Britain’s Boundary Drawing in the Desert, London 1991, S.3-27.

(FN6) Arab-American Institute, Washington Watch Umfrage vom 24.12.01: "The Kingdom has completely reversed its rating in the past year. While in January 2001, Saudi Arabia recorded an alltime high favorability rating of 56% and an alltime low of 28%, its rating is now 24% favorable to 58% negative.” (FN7) Eine alte Kontroverse herrscht über die Verwendung der Begriffe Persischer oder Arabischer Golf. Der Iran, traditionelle Regionalmacht, bestimmte durch lange Perioden die politische Entwicklung. Da jedoch die restlichen Anrainerstaaten arabischer Kultur sind, hat auch die Bezeichnung als Arabischer Golf ihre Berechtigung. In der arabischen Literatur ist meist nur vom Golf ("halij") die Rede.

(FN8) Den Begriff der "Big Seven Sisters" prägte der Italiener Enrico Mattei, der mit seiner Agip-Gruppe in den exklusiven Klub der angelsächsischen Konzerne wollte. Doch die Seven Sisters, zu denen neben British Petroleum BP und der Royal Dutch Shell noch die fünf US-Konzerne Texaco, Mobil Oil, Gulf Oil, Standard Oil of California (Socal) und Standard Oil of New Jersey (wurde später zu Exxon) gehörten, blieben unter sich.

(FN9) Geopolitics of Energy and Saudi Oil Policy, Rede von Ölminister Ali Naimi; am 8.12.1999 im Center for Strategic and International Studies, Washington, D.C.

"I want to emphasize here that the US and Saudi Arabia, the world’s largest consumer and producer respectively, have had a special relationship for many years. We have been allies in war and in peace. Saudi Arabia, as the largest supplier of petroleum to the US, has worked hard to fulfil its role in this partnership. The Kingdom has shown itself, time and again, to be a reliable supplier of petroleum to world markets as well as a force for price stability.” (…) In Middle East Economic Survey vom 13.12.1999.

(FN10) Vgl. Seymour Ian, Opec - Instrument of Change, London 1980. S.194-213; und Ghanem Shokri, OPEC - The Rise and Fall of an Exclusive Club, London 1986, pp. 69-86, ppp.141-162.

(FN11) Ghanem, op.cit. S. 70: "The gains achieved by the members did not result from cartel behaviour; rather it was the result from shortterm imbalances created in the oilmarket by external factors such as: closure of Suez, Arab-Israeli war, Libyan and Iranian revolutions.”.

(FN12) Interview mit Dr. Leo Drollas, Chefökonom des Londoner Centre for Global Energy Studies CGES, in Wien 24.9.01.

(FN13) So OPEC-Präsident Chekib Khalil, Seminar "OPEC and the Global Energy Balance”, Wien am 27.9.01.

(FN14) Interview in Wien am 27.9.01.

(FN15) Maull Hans, Oil and Influence: The Oil Weapon Examined; in Energy and Security, hrsg. International Institute for Strategic Studies (Adelphi Papers)1980, S.3-38.

(FN16) Bush Energy Plan: The International Dimension; in Middle East Economic Survey, 28.5.01.

(FN17) Teilnahme an der Pressekonferenz am 15.6.01.

(FN18) Abi Aad Naji und Grenon Michel, Instability and Conflict in the Middle East, London 1997, S.179.

(FN19) Interviews mit Mitarbeitern der "Emergency supply" der IEA und des OPEC Research Department, am 24.9.01.

(FN20) Ibid., S.184: That is what we call "the mutual dependency stabilising factor”.

(FN21) Vgl. "Drowning in oil" in The Economist, 6.3.1999.

(FN22) Am 107. Ministertreffen am 23.3.99 in Wien kam es zu einer koordinierten Kürzung um 2,7 Mio. Fass pro Tag. Die USA waren ebenfalls für niedrigere Förderquoten, unter anderem auch aus dem Grund, da sie die Absatzmärkte der Produzenten benötigen.

(FN23) Gause III Gregory F., Saudi Arabia over a barrel, in Foreign Affairs, Vol.79 Nr.3, Juni 2000; S.81-94.

(FN24) "Saudi-Arabien verbucht für das vierte Quartal um 2,7 Mrd. US-Dollar weniger Einnahmen als im vorigen Quartal", erläutert Leo Drollas, Chefökonom des in London ansässigen Centre for Global Energy Studies. Interview am 24.9.01.

(FN25) Lauerman Vincent, The House of Saud’s Survival Strategy, in Geopolitics of Energy, June 2000; S.4-13.

(FN26) Ibid., S.4.

(FN27) The New Yorker 21.12.01; The Economist 8.12.01.

(FN28) BBC Report 18.12.01.

(FN29) Kneissl Karin: L’íngérence entre le devoir humanitaire et l’action politique, Ecole Nationale d’Administration, Paris Dezember 1991.

(FN30) El Saygeh Salim, La Crise du Golfe. Paris 1993, S.380.

(FN31) Global Oil Report des Centre for Global Energy Studies, Juli/August 2001, Vol.12, issue 4, S.2-8.

(FN32) Interview mit einem Vertreter der Hizbollah am 14.11.01 in Beirut.

Dr. Karin Kneissl

Geb. 1965; 1983-1987 Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Wien; 1987 UN-Proficiency in Arabisch; 1988 Postgraduate an der Hebräischen Universität Jerusalem; 1989 Fellow in Georgetown (The Convergence of Syrian and Isreali Policy in Lebanon); 1990-1998 Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten; 1991 Dissertation in Völkerrecht; 1992 Ecole Nationale d’Adminis- tration Paris; seit Oktober 1998 Korrespondentin für "Die Welt" (Berlin) und für die Bereiche Politik, Wirtschaft sowie OPEC und Südosteuropa; Lektorin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien.



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