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Militär und Rechtsstaat

Stehen Soldaten in einem besonderen Treueverhältnis zum demokratischen Verfassungsstaat?(FN1)

von Christian Stadler

Krise(Fußnote 2/FN2) verlangt nach mannigfaltiger Grundlagenreflexion, nach Reflexion nicht nur ihrer Wirkursachen, sondern auch der Maßnahmen ihrer Bewältigung. Im nunmehr endgültig angebrochenen 21. Jahrhundert scheint sich die Krise unter der Chiffre "Internationaler Terrorismus" zu entfalten, eine Krise, die nicht nur - wie etwa der Kalte Krieg bzw. die globalen Auseinandersetzungen der abendländischen Ideologien untereinander - eine systemische ist, sondern auch die Lebenswelt westlicher Gesellschaft, die bisher politische "Ernsthaftigkeit" nur in ziviler Lebensbewältigung innerhalb unbefragt vorausgesetzter Rahmenbedingungen gesellschaftlichen Fortschritts wahrzunehmen im Stande war, zu berühren sich anschickt. Diese neue, durchaus widersprüchliche Form internationalen Terrors, der sich zugleich aus dem Elend der übrigen vier Mrd. Menschen speist und dabei Mrd.-Dollar Insider-Gewinn-Spekulationen auf den eigenen Terror durchführt, der Menschen motiviert, sich jahrzehnte lang eine westlichweltliche Scheinidentität zu geben, um sich sodann am Tag X in fliegende Bomben zu verwandeln, ein religiös verbrämter Aufstand der Gläubigen gegen globale Modernisierungs-Ungerechtigkeit durch die Dekadenten, ein Aufstand, dessen eigentliche Drahtzieher sich in den Untiefen globaler Weltgesellschaftlichkeit vorwiegend durch internationale Kriminalität (Drogen, Menschenhandel etc.) finanzieren und dabei tunlichst kaum selbst die Finger schmutzig machen dürften - mit dieser globalen Herausforderung sieht sich die westlichchristliche Wertegemeinschaft ganz Europas(FN3) und ganz Amerikas(FN4) konfrontiert, sowie pars pro toto die systemischwestlichen(FN5) Staatswesen Indien und China etwa, deren Westlichkeit jedenfalls in deren jeweils neuzeitlichstaatlicher Verfasstheit liegt, mag diese - wie im Falle Chinas - auch noch postmarxistische Züge tragen, die nichtsdestoweniger "westlichen Ursprungs" sind, zumindest wenn man geschichtlich zu denken vermag.

Vor dieser Krise steht die "zivilisierte", will wohl heißen: westlich verfasste Staatenwelt. Wie soll darauf reagiert werden? Durch Maßnahmen der Gegenwehr. So weit so gut. Doch welche staatlichen Institutionen sind berufen, diese Gegenwehr zu leisten? Wohl die Organe der inneren und äußeren Sicherheit. Während sich die Organe der inneren Sicherheit als Ordnungskräfte innerhalb der zivilen Lebenswelt ungebrochener gesellschaftlicher Apperzeption erfreuen (sie gehören zur wirklichen Welt), scheinen die Organe der äußeren Sicherheit diesbezüglich ein gewaltiges, ja geradezu existenzielles Defizit aufzuweisen: Obwohl sie Teil der Grundidee von Staatlichkeit schlechthin sind, hat man diese Funktion in 50 Jahren Frieden in Europa, zumal im "neutralen" Österreich, radikal vergessen. Wie so manches, schien auch die äußere Sicherheit, die Grundlage für die Möglichkeit, sich in "zivilen" Bahnen gesellschaftlich zu verwirklichen, aus der "Steckdose" zu kommen. Von dieser Krise, die systematisch die Grundlagen "westlichdekadenter" Staatlichkeit in Frage zu stellen scheint, auf deren immanente Grundlagen zurückverwiesen, kommt auch das Militär als wesentlicher Träger der äußeren Sicherheit wiederum in den Blick - ein Blick, der durch den Terror nicht nur die Frage der Funktionalität aufwirft, sondern durch die amalgamische Verquickung mit quasireligiöser Radikalität auch mit einer Sinndimension behaftet ist: Es geht nun doch wieder um die "westlichen Werte", die auf dem Prüfstand stehen, um die Frage, ob westliche Lebenswelt nicht nur in wertfreier, durchaus regional begrenzter, Wohlstand vermehrender Konsumoptimierung besteht, während die ressourcenauszehrenden Lasten dafür globalisiert werden.

Diese grundsätzliche Frage vermag an dieser Stelle nicht weiter verfolgt zu werden, aber auch ein weiteres, wesentlich weniger "abgründiges" Problem tut sich auf: Die westlichen Staaten laufen Gefahr, sich in ihrem Kampf gegen den internationalen Terror in Werte bedrohender Weise zu verhalten. Dabei darf durchaus darauf hingewiesen werden, dass diese Argumentation einigermaßen überraschend einsetzt, wenn man bedenkt, welcher Stellenwert "westlichen Werten" etwa in der Multikulturalitätsdebatte oder auch im Zusammenhang mit prozeduraler Bewältigung von Konflikten in gesellschaftlicher Inhomogenität zugestanden wurde: Es wurde letztlich ihre Existenz wenn nicht gar völlig geleugnet, so doch im Zeichen Konsens stiftender und daher notwendig wertfreier Diskursivität ihre Normativität marginalisiert. Es ist wie immer eine Frage der Perspektive, um mit Ortega y Gasset zu sprechen, doch es wird durch diese Bedrohung letztlich klar, dass selbst unreflektiertvoraussetzungsvolle Wertfreiheit durch diesen Selbstwiderspruch nicht "wertfrei" ist bzw. wird, sondern einen "Wert" darstellt, der - was die überwiegende (global zu berechnende) Mehrheit potenzieller Diskursteilnehmer(FN6) betrifft - nicht einmal ansatzweise geteilt wird. Man kann diesen Diskursteilnehmern nun vielleicht die aufgeklärte Reife absprechen, doch damit würde man die anthropologischen Grundlagen egalitärer Diskurskompetenz unterschreiten und sich eines durchaus platonischintellektuellen Elitendenkens befleißigen, welches ja von Karl Popper als Antithese der "Offenen Gesellschaft" angesprochen wurde. Vor diesem Hintergrund erweist sich das Konzept der Offenen Gesellschaft, in Wahrheit in globaler Sichtweise eine zutiefst "Geschlossene Gesellschaft" zu sein, was das alte Problem des immanenten Selbstwiderspruchs aufwirft.

Wenn auch dieses Problem hier nicht weiter verfolgt werden kann, so soll doch zumindest eine zentrale Anwendungsfrage besonders für die österreichische Debatte angesprochen werden im Zeichen äußerer Sicherheit und westlicher Staatlichkeit: Welches Verhältnis besteht zwischen dem Militär und seinem - von ihm zu schützenden - Gemeinwesen? Sind Soldaten - wie immer wieder in der öffentlichen Debatte angedeutet oder sogar ausgesprochen - eine Art "notwendiges Übel" in freiheitlich verfassten Gesellschaften, tötet "Militär" das demokratische Bewusstsein von Soldaten ab? Ist "Militär" ein Teil des Problems oder ein Teil seiner Lösung? Bedroht der Bürger in Uniform das zivile Gemeinwesen oder ist er diesem vielmehr in besonderer Weise verpflichtet? Dass diese Fragen zu Beginn des Jahres 2002 vielleicht schon ein wenig "verstaubt" klingen (nach einer ganz anderen Zeit), vermag nicht wirklich zu beruhigen, wenn man bedenkt, dass die "Einsicht" von heute auf dem Altar des "Eindrucks" von morgen sehr leicht wieder geopfert werden kann. Um aber die Problematik auf den "wertgeprägt" weiterführenden Punkt zu bringen, sei folgende Frage in den Blick genommen: Besteht ein besonderes Treueverhältnis zwischen Soldat und demokratischem Verfassungsstaat?

Die wehrrechtliche Antwort auf diese Frage lautet kurz und prägnant: ja! Der Soldat ist ein Staatsbürger mit besonderen Rechten. Er ist ein zentraler Träger der Staatsgewalt, und daher ist er auch ein Staatsbürger mit besonderen Pflichten - er ist ein zentraler Garant der Staatssicherheit. Das Recht, schwerste Waffen zu führen, ist verbunden mit der Pflicht der weitestgehenden Bindung an den Staatswillen. Der Staatswille manifestiert sich in jenem komplexen politischdemokratischen Prozess des Zusammenspiels von Bundespräsident, Bundesregierung, Parlament und höchstgerichtlicher Kontrolle, wie dies die Österreichische Bundesverfassung vorsieht. Der Soldat gehört daher mit zu den öffentlichsten Personen des Staates, er repräsentiert das Öffentliche und das Hierarchische der demokratischen Gesellschaft, aber das bedeutet für den Einzelnen auch die größten Einbußen an Privatheit und Autonomie - an den zentralen Dimensionen modernen bürgerlichen Selbstverständnisses. Es handelt sich letztlich um eine "platonische" Bedeutung des Soldat-Seins, denn schon beim Grunddenker des Abendlandes (aus dem 4. Jahrhundert vor Christi Geburt) hatte der aristokratischpädagogisch generierte Wächterstand die mächtigste öffentliche, aber zugleich auch die schwächste private Stellung: Soldatentum als öffentliche Existenzform, der das jeweils private Sein schonungslos unterzuordnen ist. Dafür stellt der Soldatenstand auch jene soziale "Elite" der Gesellschaft dar, aus welcher sich die hinkünftigen "Philosophenkönige" im Sinne Platons rekrutieren. In diesem platonischen Zusammenhang, dessen Aktualität sich mehr den gestellten Fragen denn den gegebenen Antworten verdankt, geht es im Wesentlichen darum, auf welche Weise jene "Eliten" hervorgebracht werden können, die sich als geeignet erweisen, die Polis, den Staat, das Gemeinwesen adäquat zu führen. Zu diesem Zweck sieht Platon eine lange Bildungsphase vor, die über den Wächterstand letztlich zum "Herrscherstand" überleitet. Für unsere Überlegungen mag es genügen, von Platon einen Hinweis darauf zu erhalten, welche soziale Stellung die Instanzen der Sicherheit, also diejenigen Instanzen, die Zivilität, Bürgerlichkeit überhaupt erst ermöglichen, einnehmen können bzw. sollen, um nicht nur die angemessene Achtung, sondern auch die entsprechende Verantwortung zu signalisieren, die dieser sozialen Aufgabe, nämlich besagte Sicherheit zu gewährleisten, zukommt. Soweit der idealistische Ausgangspunkt. Vor diesem Hintergrund ist die gegenwärtige politische, weltanschauliche und wirtschaftliche Position des Soldatentums am Beginn des 3. Jahrtausends nach Christi Geburt zu betrachten. Anfangen sollte man dabei wohl mit einer Rückerinnerung der Grundlagen des modernen Republikanismus.

Republik und Soldat: die politische Dimension

Aristoteles: Der Soldat als Modell des Bürgers in der antiken Republik

In Abweichung von Platons "utopischem" Konzept, dessen Charakter allein aus dem Umstand heraus klar wird, welche Gleichheitsimplikationen sein pädagogisches Elitenselektionsmodell für die Stellung der Frau einschließt, stellt bei Aristoteles - im Zeichen urdemokratischer politischer Verantwortung - einzig der wehrfähige Mann den politisch relevanten Bürger dar. Während es durchaus als bekannt vorausgesetzt werden kann, dass sich bei Aristoteles die Wiege der modernen Demokratie- bzw. Republiks-Tradition findet, fällt erst bei näherem Hinsehen auf, dass nicht alle erwachsenen Bürger, ja auch nicht alle männlichen erwachsenen Bürger solcherart politisch relevant waren, also in der Volksversammlung Sitz und Stimme hatten. Es waren, so die "zivile akademische Wahrnehmung", vielmehr die reichen, erwachsenen männlichen Bürger, die das "Stimmvolk" ausmachten. Das wahre Kriterium für diesen Reichtum war aber nicht etwa die Steuerleistung oder der jährliche Umsatz, sondern die Fähigkeit, mit Menschen und Material in die Schlacht ziehen zu können, jene Schlacht, die man - etwas überspitzt formuliert - tags zuvor in einem Akt basisdemokratischer Selbstbestimmung beschlossen hatte. Die Frage von Krieg und Frieden war nämlich, oft wird es übersehen, in der Zeit der griechischen Klassik als einer Epoche latenter bzw. aktueller Kriegsführung, jenes Feld, in welchem vorwiegend politische Entscheidungen im Zeichen unmittelbarer politischer Verantwortung gefällt wurden, was genau der Fall ist, wenn exakt jene Bürger, die sich in der Versammlung am Sonntag für den Krieg aussprechen, dann auch am Montag in den von ihnen beschlossenen Krieg ziehen müssen. Daraus resultiert der untrennbare Zusammenhang von politischem Partizipationsrecht und Wehrpflicht bereits an der Wiege des republikanischen Denkens Europas, eine Erinnerungsleistung, die unsere liberaldemokratische Konsumgesellschaft um ihres Überlebens willen zweifellos bewerkstelligen sollte.

Machiavelli: Die gesunde Republik ruht auf einer starken Bürgerarmee

Machiavelli ist derjenige politische Denker des Abendlandes, der - gleichsam für die italienische Renaissance diese Erinnerungsarbeit leistend - erkannt hat, dass in der modernen (Neu)Zeit einzig eine nationale republikanische Bürgerarmee im Stande ist, den aktuellen Bedrohungen, wie sie reiche, aber kleine Gemeinschaften zu gewärtigen haben, standzuhalten. Er schafft für Florenz die politisch wie moralisch äußerst unzuverlässigen Condottieri ab, und es gelingt ihm, eine Wehrpflichtigenarmee in kürzester Zeit aus dem Boden zu stampfen. Diese Veränderung der Wehrverfassung ist - wie immer im Feld der Civil-Military-Relations - nicht als isoliertes Phänomen zu betrachten, sondern vielmehr Antrieb und getrieben von politischen bzw. technischen Entwicklungen, wie etwa der Einführung des Kanonenkriegs, der Stadtstaaten und Ritterheere benachteiligte und dafür Großflächenstaaten als adäquate Herrschaftsstruktur erwiesen hat. Die einzige Chance für Stadtstaaten, sich vor diesem Hintergrund noch "halten" zu können, bestand nach der Auffassung von Herfried Münkler, dem bekannten Erforscher u.a. der neuzeitlichen Staatlichkeit, darin, die gesamte Bürgerschaft zu militarisieren, ein Modell, das in der Helvetischen Eidgenossenschaft bis zum heutigen Tage Identität stiftende Wirkungen zeitigt. So geschah es unter Machiavellis energischer Führung auch in Florenz. Die Bewohner mussten zu "Bürgern" mutieren, was über deren Beteiligung an der Verteidigung des Ganzen, des Gemeinwesens, bewerkstelligt wurde. Damit - mit dem Bürgersoldaten bzw. dem "Bürger in Uniform" - sieht Machiavelli die politische Macht bestmöglich vermittelt zwischen militärischer Führung und breiter Bevölkerung. Dieses Modell setzt allerdings voraus, dass jedem wehrpflichtigen Besitzbürger politisch unmittelbar klar ist, wofür er sich militärisch einzusetzen bereit ist, womit man wiederum bei der rechtsphilosophischen Gretchenfrage nach dem Wesen des Staates, gar des Nationalstaates angelangt wäre - eine Frage, die auch im Zusammenhang mit der Aufstellung einer "Euro-Armee" zu bedenken wäre, wobei es wiederum eine ökonomistische Verkürzung wäre, diesen Ausdruck im Sinne einer bloßen " € "-Armee zu verstehen - es würde dies weiterhin bedeuten, das europäische Ganze auf einem bloßen Moment aufbauen zu wollen, das damit zum verfügbaren Element verfällt, wenn dieser kurze Ausflug in hegelianische Terminologie gestattet ist.

Napoleon: Der Bürgersoldat als Citoyen

Die Frage nach der Motivation, nach dem Bürgerstatus, der Identifizierung mit dem Staatswesen bzw. seiner Zielsetzung, ist im Falle Napoleons als geradezu genialisch gelöst zu betrachten: Gerade darin ist ja der zentrale Schachzug Napoleons zu sehen, den er gegenüber dem etablierten Adeligensystem direkt entwickelt hat. Um die Französische Revolution der "Freiheit der Bürger" zu retten und von einer akademischen Elitenangelegenheit zur Volksbewegung umzufunktionieren, "inszeniert" (und organisiert!) Napoleon die Levée en masse: Der emphatische Untertan, der aufgerufen ist, die Revolution, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu verteidigen, wird sich automatisch mit dem Staat in einer Weise solidarisieren, die ihn in die Bereitschaft versetzt, für diesen Staat in den Tod zu gehen, einen Staat, in welchem er nicht mehr machtloser Untertan, sondern voller Bürger (citoyen eben) ist. Diese Bedrohung wiederum führt in Preußen zu entsprechenden Reaktionen, und man kann sich die "Verbürgerlichung" dieses knorrigen Untertanenstaates ohne die Napoleonischen Kriege nicht vorstellen. Es ist nicht nur im militärischen Bereich so, dass Napoleon seiner Zeit voraus war - das Phänomen des Massenheeres und ebensolchen Krieges wird das 20. Jahrhundert prägen -, vielmehr sind auch seine sozialpolitischen Auswirkungen nicht zu unterschätzen: Nicht nur, dass seine Konzeption von Rechtskodifikation (vgl. das österreichische ABGB aus 1811) europäische Rechtskultur geprägt hat, auch durch die Aufwertung der Untertanen zu Bürgern, indem man sie im Kernbereich der Politik des Souveräns, im Krieg nämlich, alle beteiligt, kommt es eben in militärstrukturell erzwungener Nachahmung dieser Haltung auch in Preußen zu einer Verbürgerlichung der Gesellschaft, eine Entwicklung, die - selbst wenn die metter- nich‘sche Restauration dieses Niveau wieder zurückgedrängt hat - laut Kant sich nicht mehr vergisst. ... Und das gilt auch für Hegel und Fichte, um nur zwei bedeutende (Kriegs)Philosophen des Deutschen Idealismus zu nennen. Alle begreifen Krieg als geschichtsphilosophisches Phänomen in seiner Krisenhaftigkeit immer auch als Feuerprobe für Gesellschaften bzw. als Chancen für neuen Anfang, als dialektische Katharsis gleichsam, welche Organisationsformen menschlichen Zusammenlebens offensichtlich regelmäßig durchleiden müssen.

Politik und Krieg: die metaphysische Dimension

Heraklit: Der Krieg als der Vater aller Dinge

Nachdem nunmehr das politische Verhältnis zwischen Bürger, Soldat und Bürgersoldat als ein dialektisches der wechselseitigen Verwiesenheit aufgewiesen wurde, ist nunmehr ein metaphysischer Blick auf die Hintergründe dieses Phänomens zu richten, auf den Polemos, den Konflikt. Dieser wird von Heraklit als Urbestimmung des "Seins des Seienden" angesehen. Damit ist nicht nur das metaphysische Prinzip der Dialektik angesprochen, sondern auch jenes dem menschlichen Sein in seiner Offenheit innewohnende Prinzip der Konfliktualität, das es dem Menschen ermöglicht, aber auch aufträgt, sich zu zivilisieren, zu kultivieren, zu befrieden: In diesem Sinne ist die Vaterschaft über die Dinge zu verstehen, wobei man nicht übersehen darf, dass in der philosophia perennis-Tradition den "Dingen", den körperlichen Gegenständen in ihrer sinnlichen Unmittelbarkeit nicht gerade eine überwältigende Bedeutung zukommt, doch jedenfalls entstammen sie dem Konflikt. Es sind damit jedoch besagte "Dinge" notwendigerweise das Ergebnis steten Strebens, in welchem man über sich selbst in seiner unmittelbaren Befindlichkeit hinausweisen muss, um sich in wahrer Freiheit selbst bestimmen zu können und sich von seinen eigenen "Setzungen" gerade nicht fremd bestimmen zu lassen. Die gesamte philosophia perennis-Tradition baut auf diesem Moment des Heraklit auf, welches endgültig Hegel auf den Begriff bringt dadurch, dass er die Negation als leitendes Prinzip der Dialektik aufweist und nicht die Position, wie dies für die verständigen Erfahrungswissenschaften typisch ist. Während es in diesen (verständigen) Zugängen um den additiven Zugewinn an Erkenntnisbrocken geht, zielt die metaphysische "Vernunft"-Frage in umgekehrter Richtung auf die Grundlagen, die Voraussetzungen dessen, was man da kognitiv weiter ins sinnverlorene Detail treibt. Es ist für unseren Zusammenhang letztlich nur von Interesse, den Umstand zur Kenntnis zu nehmen, dass die Konfliktualität nicht nur politisch am Anfang der Demokratie, sondern auch logisch im Anfang des Seins steht. Eingehender kann das Konflikt-Phänomen in diesem Zusammenhang hier nicht behandelt werden, es mag daher die gebotene Andeutung in ihrer Kürze zumindest einen ersten Eindruck von der "Metaphysik des Krieges" vermitteln.

Clausewitz: Der Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln

Obwohl es nicht weithin bekannt ist, hat auch das Werk des Generals von Clausewitz eine durchwegs "metaphysische" Konzeption von "Krieg" seinem Denken zu Grunde liegen. Wenn man das Denken des Heraklit in der Neuzeit fortsetzt, so kommt man mit Clausewitz nämlich zur Einsicht, dass der Krieg nicht eine ferne, untypische (gleichsam unfallartige) Ausnahme im Verlauf des dynamisch zu verstehenden Menschseins darstellt, sondern durchaus dem Menschen im Bereich des Politischen bereits begriffsnotwendig entgegentritt. Nicht nur, dass Clausewitz den Primat des Politischen formuliert, er weist - als Philosoph - auch darauf hin, dass Politik-Wirtschaft-Krieg alle an einer Konstante festzumachen sind: am Konflikt, der Spannung zwischen dem - im Falle des Menschen(FN7) - freien Willen. Darin liegt auch die Problematik eines radikaldogmatischen Pazifismus begründet: Solange es freie Menschen geben wird, wird es die Potenzialität von Konflikt und dessen existenziellster Erscheinungsweise, des Krieges, geben. Es ist daher die Vorstellung von einer immerwährend "friedlichen" Welt nicht unreflektiert als "paradiesischer Zustand" zu akzeptieren, sondern in angemessener Weise als humaner Kulturauftrag im Sinne des täglichen Leistens der Voraussetzung für friedliches Zusammenleben zu interpretieren. Die pazifistische Utopie demgegenüber - als der immanenten Vernünftigkeit der Wirklichkeit entgegenstehend - ist nicht nur im Falle ihres Gelingens damit konfrontiert, in ihrem Gelingen den freien Menschen mit abschaffen zu müssen, sondern noch dazu im Falle ihres notwendigen Scheiterns dazu verdammt, sicherheitspolitisch die Bevölkerung in die Knechtschaft desjenigen geführt zu haben, der dieser Irrmeinung - nun allerdings in widerstandslos zu ertragender hegemonialer Absicht - gerade nicht verfallen war. Dieser letztlich vom Menschsein nicht trennbare Wille zur Macht als freier Wille drückt sich - je nach zivilisatorischer Stufe - als Politik, Profit oder Krieg aus. Es ist dies dem Menschen als einem Seienden unleugbar eigen, aber die jeweilige Erscheinungsweise dieser Urdialektik ist verschieden. Dabei muss aber eines klar sein: Politik, Wirtschaft und Kriegsführung ohne Berücksichtigung dieses wesentlichen Moments ebensolcher Vernünftigkeit muss jedenfalls scheitern, denn es kann sicherlich keine Wirklichkeit gegen die Vernunft geben, wenn man an Hegels Wort von der (strukturellen) Vernünftigkeit von Wirklichkeit und der (notwendigen) Wirklichkeit von Vernünftigkeit denkt, womit letztlich auch eine (Sicherheits)Politik ohne metaphysische Grundlagen ihrem Auftrag, soziale Wirklichkeit zu gestalten, nicht gerecht werden kann.

Carl Schmitt: Der diskriminierte Kriegsbegriff

Während Clausewitz den Krieg noch als pragmatisches Mittel der Politik begreift, das man je nach politischem Interesse einsetzt, um den politischen Willen des je anderen zu brechen, beobachtet Schmitt nach dem Ersten Weltkrieg einen Rückfall in die vorwestfälische Ära mit deren Typus des seinerzeitig moralischen Krieges, der solcherart umso hemmungsloser geführt wird, da der Feind jeglichen Anspruch auf Achtung seiner Humanität durch sein Feind-Sein verwirkt hat, womit man als Vertreter der "gerechten Sache" seinerseits in der moralischen Exzellenz durch die "Vertilgung des Bösen" nicht beschädigt wird. War der Krieg vor 1648 ein "moralisches" Handeln, ist er seit Briand-Kellog und UNO-Charta wiederum eine moralische Erscheinung in seiner Bewertungsdimension, ein gleichermaßen unmoralisches Unterfangen per se, was auch auf seine Träger abfärbt, diesmal allerdings in gegenteiliger Richtung: Wenn man als Kriegsherr sowieso schon hors de la loi, vogelfrei, ein internationaler Verbrecher ist, welche normativen Hemmungen sollte man sich dann noch auferlegen, was hätte man dann noch zu verlieren im Angesicht der geschlossenen Phalanx kollektiv gesicherter internationaler Ordnung? Die UNO zelebrierte daraufhin 50 Jahre blutigen Weltfriedens, der zum einen auf dem Kalten Krieg zwischen den Großmächten und andererseits auf der auf Zwischenstaatlichkeit abstellenden Kriegsdefinition des (europäischen) Völkerrechts basierte und sich solcherart als System bloß definitorischrhetorischer kollektiver Friedenssicherung erwiesen hat. Seit dem Fall des Kommunismus (mit den Höhepunkten Golf-Krieg II und Kosovo-"Krieg") wird Krieg weiterhin moralisierend geführt, allerdings jetzt wiederum in vorwestfälischer Absicht der Verteufelung des jeweiligen Feindes, um den Krieg überhaupt noch medial vermittelt führen zu können. Man mag es als eine Form von militaristischem Romantizismus abtun, wenn man mit Schmitt darauf hinweist, dass "Krieg" zwischen 1648 und 1918 relativ "gehegt" geführt wurde. Jeder Krieg ist eine humanitäre Katastrophe, wobei man sich in diesem Zusammenhang des Menschseins der ihn zu führen habenden Soldaten mit bewusst bleiben sollte: Es ist nicht zu bezweifeln, dass im Zeichen gelingender sozialer Aufgabenteilung der politisch verstandene gehegte Kalkülkrieg, der bei Erreichung des politisch definierten Ziels sofort wiederum eingestellt und nur mit jenen staatlichen Mitteln geführt wurde, die dazu ausdrücklich bestimmt waren, insofern eine gewisse "Hegung" aufwies, als die systematische Bekämpfung der Zivilbevölkerung dem Ehrgefühl und - seit der Haager Landkriegsordnung - auch dem Rechtsverständnis der zivilisierten innereuropäischen Staatskriegsführung unter ehrenvollen Kombattanten widersprach. Erst im 20. Jahrhundert wurde der zwischenstaatliche Krieg seines zwischenstaatlichen Duellcharakters(FN8) wieder beraubt und damit eben "diskriminiert", wie Carl Schmitt es formuliert.

Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass nach einem Vierteljahrtausend von relativ rechtsfreier "Kriegshegung" dieser kaum 25 Jahre nach seiner rechtlichen "Hegung" als solcher zum unmoralischen Unterfangen erklärt wird, womit sich die - wohl unbedachte - Konsequenz einstellt, dass sich der moralisch verdammte Angriffskrieger (was im 18. und 19. Jahrhundert keineswegs ehrenrührig war) nunmehr plötzlich in einer Situation wiederfindet, die seine Bereitschaft, das Kriegsrecht zu achten, als enden wollend erscheinen lässt. Damit ist dem humanitären Konzept der Kriegsrechtsbindung ein Bärendienst erwiesen worden. Ein weiteres Problem ist der Umstand, dass der "abendländische" Staatenkrieg als Typus kaum noch stattfindet - mit eine Konsequenz von NATO und EU-Integration der westlichen Welt - und nur diese hat sich genau besehen in der Neuzeit rechtlich und politisch relevante "Kriege" geliefert. Erst im 20. Jahrhundert wurden außereuropäischamerikanische politische "Entitäten" kriegspolitisch "satisfaktionsfähig", worin eine der Hauptfolgen der UNO als Staatenbündnis - europäischer Staatlichkeit wohlgemerkt - zu sehen ist, die andere Seite der Dekolonialisierung. Jenseits all dieser begriffsgeschichtlichen Überlegungen stellt sich in unseren Tagen die bangste Frage auf normativer Ebene: Quis iudicabit? Wer ist die moralische Entscheidungsinstanz, die über die Unmoralität des kriegerischen Aktes entscheidet? Und - zusätzlich zu dieser Frage, die Schmitt kritisch schon an das christliche Mittelalter gestellt hat - müssen wir in unseren Tagen auch fragen, nach welchen Kriterien eine solche moralische Instanz überhaupt bestimmt werden könnte und welchen Kriterien eine solcherart bestimmte Instanz bei der Beurteilung zu folgen hätte, um den Erfordernissen zeitgenössischer Legitimitätsgewinnung, der Verfahrensgerechtigkeit nämlich, ihrerseits gerecht zu werden?

Die Terror-Angriffe auf die USA vom 11.9.2001 zwingen dazu, über die Denkmöglichkeit des moralischen Prinzipienkrieges, der gleichsam aus der politischen "Portokasse" geführt wird (wie etwa die Kosovo-Intervention) hinaus auch wiederum den Krieg im "nationalen Interesse" zu denken. Es steht zu befürchten, dass sich dieser Krieg der neuen Art, man spricht in Fachkreisen vom asymmetric warfare, vom "Krieg ohne Schlachtfeld", vom "Feind ohne Gesicht", im 21. Jahrhundert prägend festsetzen wird. Offen bleibt, ob ihn die "offenen demokratischen Gesellschaften" als solche überleben werden, inwieweit sie gesellschaftlich bzw. staatsrechtlich das Ausmaß an Offenheit bzw. Unbekümmertheit (Stichwort: "Spaßgesellschaft") verlieren werden, das die letzten Jahrzehnte einer unbeschwerten, weil zunehmend kriegsvergessenen (und mit Carl Schmitt kann man auch sagen: letztlich politikvergessenen) Generation charakterisiert hat.

Wie immer in Zeiten der Krise ist die Philosophie, die methodischsystematische Reflexion, aufgerufen, ihren Beitrag zur bewältigenden Begleitung ihrer Zeit zu leisten, es ist ihre Zeit - um mit Hegel zu sprechen - "auf den Begriff zu bringen", wobei einen angesichts der Verdunkelung des Zeitalters das Bild vom einsetzenden Flug der Eule der Minerva in der Dämmerung nicht wirklich zu beruhigen vermag.

Recht und Militär: die rechtliche Dimension

Das Militär als integrativer Faktor in der Union

Wenn man die Konzeption der EU betrachtet mit ihren drei Säulen, so fällt auf, dass sich Wirtschaftsgemeinschaftlichkeit (also das gemeinsame Prosperieren) schützen muss, ein Sicherheitsbedürfnis hat. Dieses wird in der 2. Säule mit der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) (militärisch nach außen) und in der 3. Säule (mit der Justizzusammenarbeit nach innen) angedacht: Die "Euro-Pol" existiert schon und "Euro-Arm" wird in nuce gerade errichtet. Es stellen sich in diesem Zusammenhang viele militärische und logistische, technische und wirtschaftliche Fragen und Probleme, aber es ist unbestreitbar, dass in grundlegender Wahrnehmung die militärische Dimension der Integration nicht weiter vermeidbar ist, will der wirtschaftliche Erfolg gesichert und mit politischem Gewicht versehen werden. Nicht umsonst kann man in der aktuellen Debatte die oben erwähnten Clausewitz’schen Begriffe wiederfinden. Es ist jedenfalls auf der EU-Ebene der entscheidende Schritt zur wirklichen Integration wie auch die gemeinsame Vorsorge und Verantwortung für die Sicherung der gemeinsamen liberalen Lebensform - und damit eine Grundfunktion von Militär - angesprochen. Das Militär in seiner hierarchischen Struktur ist ein notwendiges Moment der Sicherung wirtschaftsliberaler Lebenszusammenhänge, wobei es eine seit Platon bekannte List der Vernunft darstellt, dass jene Institution, die wirtschaftliche Prosperität der Zivilgesellschaft ermöglichen soll, indem sie sie sichert, ihrerseits weder zivil noch ökonomisch zu begreifen sein darf: Darin liegt der tiefere Sinn des platonischen Suum cuique, "Jedem das Seine". Es lässt sich die Integration Europas ohne militärische Komponente jedenfalls nicht weiter fortsetzen und es gilt daher auch: Wenn die militärische Integration scheitert, ist das ganze bisherige Integrationsprojekt gefährdet.

Wieso das? Weil die verteidigungspolitische Bereitschaft, in der Bedrohung des "Geschäftspartners" zugleich die eigene Existenz bedroht zu sehen, die Voraussetzung für organisches Staatsdenken(FN9) ist. Ein solches setzt allerdings auch die demokratischöffentliche Bereitschaft voraus, eine solche Bedrohung als wirklich ernst bzw. schmerzhaft zu empfinden. Dies wiederum setzt einen Begriff von Europa voraus, der Union, die es da zu verteidigen gelten würde. Warum sollte man sich als Bürger mit seinem Leben und seiner Existenz für etwas einsetzen, das sich nicht einmal unter zivilen Politikbedingungen vermag, als politische Einheit zu "setzen", um den transzendentalidealistischen Fachterminus dafür einzuführen, der letztlich einen Akt selbstkonstituierender Bewusstseinsbildung damit ausdrücken möchte. Daher ist jedenfalls eine Debatte zur zukünftigen Verfasstheit ein unerlässliches Moment im Zuge der hinkünftig (eben dialektisch notwendig militärisch) zu bewirkenden "Organisierung" der EU als Einheit in Vielfalt, mag das Erkenntnisinteresse eher von der philosophischen oder von der sicherheitspolitischen Bedürftigkeit her inspiriert sein.

Das Militär als stabilisierender Faktor in der Verfassung

Es ist in der Österreichischen Bundesverfassung (Art 79 B-VG) sowohl die Existenz des Bundesheeres festgelegt als auch die primäre Aufgabe dieses Bundesheeres. Das Bundesheer ist als integraler Bestandteil der österreichischen Verwaltung anzusehen. Solcherart unterliegt es den Gesetzen, welche wiederum einen politischen Willen der Parlamentsmehrheit ausdrücken. Damit ist einer Staatsordnung mit Legalitätsprinzip die politische Führungskompetenz über die Streitkräfte sichergestellt. Dieser Primat erweist sich u.a. darin, dass das Militär politisch dazu bestimmt ist, jeden Einsatz aus dem zivilen Budget finanzieren zu müssen, also der Krieg für die Armee kein "gutes Geschäft" darstellt, was zu einer "administrativen Hegung" des Militärs führt im Gegensatz zu sich selbst - speziell im Einsatz - finanzierenden bewaffneten Einheiten; ein Phänomen, das die grundlegende wirtschaftliche Krux der "Bürgerkriegsökonomien", wie sie Herfried Münkler nachdrücklich beschreibt, ausmacht. Für das Österreichische Bundesheer jedenfalls, und dieser Seitenhieb sei erlaubt, ist jeder Einsatz gleichzusetzen mit dem ökonomischen Kollaps einer Organisation, deren Friedensfunktionalität finanziell bereits kaum noch gewährleistet ist. Es ist allerdings, und diese Konsequenz ist ebenfalls klar auszusprechen, der Primat der Politik nicht so weit reichend, dass eine Institution, deren Einsatzweise man durchaus politisch bestimmen kann und muss, nicht auf politische Weise de facto außer Betrieb gesetzt werden kann. Es handelt sich immerhin um eine Verfassungsbestimmung und nicht um eine administrative Kann-Bestimmung, inwieweit man das Bundesheer ausstattet. Es gibt der einfachen politischen Parlamentsmehrheit entzogene verfassungsrechtliche Festlegungen und Bestimmungen.

Das Bundesheer - so lautet der Verfassungsauftrag im B-VG (von den ehemals neutralitätsrechtlichen Verpflichtungen braucht nicht mehr gesprochen zu werden seit Art 23f neu B-VG) - hat die militärische Landesverteidigung zu gewährleisten. Dieser verfassungsrechtlichen Verpflichtung ist nachzukommen, und zwar unabhängig von jeweils gerade vorhandenen Budgetproblemen. Wenn eine verfassungsmäßige Einrichtung selbst eingestehen muss, dass sie ihren Verfassungsauftrag nicht mehr wahrnehmen kann (nicht einmal mehr auf niedrigstem Niveau), so stellt sich langsam, aber sicher die Frage nach der grundsätzlichen Vereinbarkeit des vom Nationalrat beschlossenen Budgetgesetzes mit den Erfordernissen bzw. Aufträgen der Bundesverfassung an das auf ihr ruhende Staatswesen. ...

Das Militär als hierarchischer Verwaltungskörper

Während andere öffentliche Bedienstete in der Regel in ihrer sozialen und physischen Existenz durch ihren Dienst nicht gefährdet werden dürfen, ist es die spezifische Bestimmung des Soldaten, sich dazu bereit zu finden, im Notfall, der für den Soldaten regelmäßig sein "Einsatzfall" ist, sein Leben aufs Spiel zu setzen, um das Gemeinwesen zu schützen. Er hat es allerdings nicht chancenlos zu opfern, sondern nur zu riskieren, was auch aus dieser Perspektive an dieser Stelle jetzt nicht weiter zu vertiefende Rückschlüsse auf die Erfordernisse der finanziellen Ausstattung der Landesverteidigungsorgane zulässt. Das zentrale hierarchische Führungsinstrument ist der militärische Befehl, der in abstracto das Wesen des rechtlichen Befehls darstellt. Als solcher stammt er durchaus aus "imperativer Zeit", in welcher unbedingter Gehorsam geschuldet wurde, eine Unbedingtheit, die im rechtsstaatlich verfassten Militär durch die Strafgesetz- und Völkerrechtswidrigkeit eingeschränkt wird in Hinsicht auf das, was man als Soldat nicht tun darf.(FN10) Dieses System spezifisch militärischer Rechtlichkeit hat aber nicht in ebensolcher Weise dafür vorgesorgt, dass man nur jenen Befehlen gehorchen muss, deren Befolgung die eigene Gesundheit und das eigene Wohlergehen nicht gefährden, worin sich das Wesen ziviler Rechtlichkeit manifestieren würde. Es ist allerdings vor diesem normativen Hintergrund auch nicht legitimierbar und damit politisch kaum noch zumutbar, dass dem liberalen Rechtsstaat etwas anderes (etwa bestimmte soziale Errungenschaften) budgetmäßig wichtiger ist als die Überlebenschance seiner zum Einsatz für ebendiese Staatlichkeit und ihre Errungenschaften verpflichteten Soldaten, zumal wenn diese sich in einem allgemeinen Wehrpflichtsystem bewegen, dem fundamental auch viele jener Nationen normativ noch nicht "abgeschworen" haben, die zur Zeit aus Gründen der Pragmatik eine Professionalisierung der Friedensorganisation ihrer Streitkräfte vornehmen.

Ausblick

Es ist daher abschließend durchaus im Sinne des Themas begründet, davon auszugehen, dass der Soldat einem besonderen Treueverhältnis zu jenem Gemeinwesen unterliegt, zu dessen Verteidigung mit der Waffe in der Hand er überhaupt nur existiert. Doch es ist genauso eine wesenhafte Schranke des Primats der Politik festzustellen, deren Grenzen dann überschritten sind, wenn aus budgetären Verteilungspräferenz-Gründen Verfassungsaufträge substanziell nicht mehr wahrgenommen werden können. In dieser Phase der Unterbietung von Legalität von Seiten der (Budget)Gesetzgebung wird sich wohl nicht mehr lange die Frage nach der Legitimität des besagten besonderen Treueverhältnisses vermeiden lassen. Das ist gleichsam die eine, die innere Seite dieses Treueverhältnisses. Die andere Seite ist die Frage des Geistes, in welchem sich eine demokratische Gesellschaft ihrem Militär gegenüber verhält, einem Militär, das durch die Fassung von staatlicher Gewalt in rechtliche Rahmen nicht ein demokratiepolitisches Problem, sondern eine möglichst hohe Stufe zivilisatorisch entwickelter, "humaner" Konfliktaustragung darstellt. Über deren Güte kann man sich nicht nur im Vergleich mit anderen Formen internationaler Gewaltanwendung vergewissern, sondern auch im Hinblick auf die durchaus zivilisatorische Leistung, militärische Gewaltausübung zum budgetären Problem zu machen, womit man versucht ist, die Friedenswirkung, die sich Kant von der republikanischen Staatsordnung (denn er meinte damit "demokratische Verfassungsstaatlichkeit") versprochen hat, in dieser Form der staatlichen Ökonomisierung von Krieg zu sehen. Es fällt dabei auf, dass in der Regel Träger der Zivilgesellschaft und selten die öffentlichen Haushalte (wenn es sich überhaupt noch um funktionierende Staatswesen handelt) die "Gewinner" von kriegerischer Gewalt sind. ...

Wenn man einmal die Frage nach dem Verhältnis von Soldat, Treue und Verfassungsstaat im soeben entwickelten Sinn beantwortet hat (der übrigens völlig neue Ausblicke auf den Begriff des "Verfassungspatriotismus" zu vermitteln vermag), könnte man - um die Einsicht in diese Zusammenhänge reicher - nunmehr vielleicht auch den militärisch von demokratischen Staaten geführten Schlag gegen den internationalen Terror mit weniger radikaler Selbst- und Staatskritik, dafür aber mit wesentlich mehr Verantwortung für das Gemeinwesen, seine Soldaten und auch seine Werte verfolgen und kritisieren, dabei allerdings umso treffender, je klarer einem die relevanten Begriffe und Zusammenhänge sind - eine Klärung, zu deren Gelingen diese Überlegungen erste Orientierungen liefern wollten.

ANMERKUNGEN:

(FN1) Wesentlich erweiterte Fassung eines Vortrags, dessen Kernthesen im Rahmen des Tages der 6. Jägerbrigade in Innsbruck bzw. in anderer Form im Rahmen eines Festaktes vor der "IGBO" in Salzburg gehalten wurde. Manuskript abgeschlossen am 29.10.2001.

(FN2) In welcher etymologisch bereits die "Spreu" vom "Weizen" zu trennen und angemessene Urteile zu fällen sind.

(FN3) Worunter ich selbstverständlich auch Russland verstehe, eine Erinnerung, die man nach Huntingtons sich gleichsam verselbständigenden Thesen von den Kulturkreisen wohl auch in Europa wird machen müssen.

(FN4) Worunter ich - aus den soeben ausgeführten Gründen - auch glaube, ausdrücklich Lateinamerika anführen zu müssen.

(FN5) Wenn auch nicht lebensweltlichwestlich strukturierte Gesellschaften in diesen Staatswesen organisiert sind, was eigene Probleme aufwirft, die zu beleuchten den Rahmen dieser Vorbemerkung bei weitem sprengen würde.

(FN6) Deren Kreis sich bei weitem nicht auf die akademischintellektuellen bzw. publizistischen Zirkeln der "Westlichen Welt" beschränkt.

(FN7) Der daher die Chance hat, dieses sein Sein zu reflektieren und damit zu überwinden.

(FN8) Aus dieser Epoche zwischenstaatlicher Duellkriege stammt übrigens auch das Rechtsinstitut der Neutralität, welches sich im 20. Jahrhundert ein wenig deplatziert ausnimmt im Zeichen globaler Rechtlichkeit, die auf totale Verpönung einst als "ehrenhaft" begriffener Kriegsführung abstellt.

(FN9) Dies hat in der NATO (als Bündnis souveräner Staaten) nur bei einer Bedrohung gewirkt, die so global war, dass die Bedrohung des fernen Europa in den USA als unmittelbare Bedrohung der eigenen Lebensweise begriffen wurde - jetzt sind diese US-Bedrohungen nicht mehr notwendig über Europa geschaltet, womit sich in einem derart pragmatisch verfassten Land früher oder später die Frage nach der Sinnhaftigkeit von NATO stellen wird müssen.

(FN10) Es sei an dieser Stelle daran erinnert, dass die Haager Landkriegsordnung das erste internationale Menschenrechts-Dokument war.

Ao. Univ.-Prof. Dr. iur. Dr. phil. Christian Stadler

Geb. 1966; 1984-1990 Studium der Rechtswissenschaften in Wien; 1990-1996 Studium der Philosophie und Germanistik in Wien, 1997 Promotion zum Dr. phil. sub auspiciis praesidentis; 1992 Universitätsassistent am Institut für Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Juridischen Fakultät der Universität Wien; 1998 Mitglied der Wissenschaftskommission des BMLV; seit April 2000 Universitätsdozent, seit Oktober außerordentlicher Universitätsprofessor.



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