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Der Luftkrieg 1944/45 über Österreich

Das heutige Österreich (ehemalige Alpen- und Donaureichsgaue) war ab dem Sommer 1943 Ziel der alliierten strategischen Bomberverbände. Bis 1944 wurden fast ausschließlich die "Wiener Neustädter Flugzeugwerke" bombardiert. Nach deren Zerstörung richtete sich die nächste Angriffsoffensive gegen die Erdölindustrie im Wiener Raum. Schließlich, mit dem Jahreswechsel 1944/45 und während der letzten Monate des Zweiten Weltkrieges, wurden die Transportknotenpunkte der Deutschen Reichsbahn attackiert. Ein Umstand, der auch in vielen österreichischen Städten zu großflächigen Zerstörungen führte.

Als die Amerikaner im Spätsommer des Jahres 1942 mit ihrer 8th United States Army Air Force (8th USAAF) von England aus mit strategischen Bombenangriffen auf Ziele in den vom Deutschen Reich besetzten Gebieten begannen, waren die Grundlagen ihres Handelns zuvor genau überlegt und abgewogen worden. Unter Berücksichtigung neuer verfügbarer Waffensysteme wie des Norden-Bombenzielgerätes (dieses ermöglichte eine erhöhte Treffergenauigkeit) und weitreichender schwerer Bomber der Typen B-17 "Flying Fortress" und B-24 "Liberator" waren bereits im Sommer 1941 gemeinsam mit den Briten Planungen angestellt worden, wie man das Dritte Reich erfolgreich aus der Luft bekämpfen konnte. Das Ergebnis war im Sommer 1941 der Air War Plan Division Plan One (AWPD-1) und nach weiteren ergänzenden Überarbeitungen und zusätzlichen Modifikationen im Herbst 1942 der AWPD-42. In diesen Planungsdokumenten legten die Amerikaner fest, welche Ziele in Deutschland und in den besetzten Gebieten durch den Einsatz weitreichender strategischer Bomber ihrer USAAF gemeinsam mit der britischen Royal Air Force (RAF) zerstört werden mussten, um die Voraussetzungen für eine alliierte Landung in Europa schaffen zu können. Die dazu notwendigen Kräfte an militärischem Personal, Flugzeugen, Ausrüstung und Abwurfmunition wurden auf Grundlage der angenommenen Leistungsfähigkeit der eigenen in den 1930er-Jahren entwickelten Waffensysteme errechnet und den entworfenen Verfahren des High Altitude Precision Daylight Bombing (HAPDB), also des präzisen Bombenabwurfes mittels des Norden-Bombenzielgerätes aus großer Höhe, zugrunde gelegt. An erster Stelle der strategischen Kriegsziele für die alliierten Luftwaffen stand ab 1942/43 die Niederringung der deutschen Luftwaffe. Dies musste in der ersten Phase der alliierten Kriegsführung gegen das Deutsche Reich erreicht werden.

Rüstungsstandort Wiener Neustadt

Nach dem "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich war in der Ostmark mit einer umfangreichen Rüstungsproduktion begonnen worden. Am bedeutendsten war dabei der Standort Wiener Neustadt. Die "Wiener Neustädter Flugzeugwerke" (W.N.F.), als Hauptlieferant des wichtigsten deutschen Jägers vom Typ Messerschmitt Bf109, standen mit ihren drei bedeutendsten Werken in Wiener Neustadt ("W.N.F.-Werk I" und "W.N.F.-Werk II") und Fischamend ("W.N.F.-Werk III") im AWPD-42 der USAAF an erster Stelle der zu zerstörenden Ziele der als Priorität 1 gereihten Kategorie German Air Force. Die W.N.F. produzierten im Jahr 1942 knapp 50 Prozent aller im Deutschen Reich gefertigten einmotorigen Jäger vom Typ Bf109. Als zweiter bedeutender Rüstungsbetrieb stand das Wiener Neustädter "Raxwerk", als Teil der dem Henschel-Konzern gehörenden "Wiener Lokomotivfabrik AG" (LOFAG), an vierter Stelle in der im AWPD-42 als Priorität 3 gereihten Kategorie Transportation. Hinzu kamen noch die Bedeutung des Wiener Neustädter Fliegerhorstes und des Luftparks 1./XVII und der Werft 1./XVII für die Einsatzführung der deutschen Luftwaffe im südöstlichen Deutschen Reich. Auch die ausgedehnten Wiener Neustädter Eisenbahnanlagen, die aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit zu den wichtigsten Rangieranlagen und Eisenbahnknotenpunkten der Alpen- und Donaureichsgaue gehörten, waren wichtige Ziele.

Angriffsziel deutsche Luftwaffe

Die Alliierten erkannten, dass man zuerst die deutsche Luftwaffe besiegen musste, um einen nachhaltigen Erfolg gegen das Deutsche Reich erreichen zu können. Im Jänner 1943 wurde daher auf der alliierten Konferenz von Casa­blanca beschlossen, die Luftangriffe der amerikanischen USAAF im Sommer 1943 auf Ziele der deutschen Luftwaffenrüstung innerhalb des Kerngebietes des Deutschen Reiches auszuweiten (Operation "Pointblank"). Die USAAF verlegte daher im Frühjahr 1943, trotz der zunehmenden Verluste, vier von nur elf zu diesem Zeitpunkt in England verfügbaren strategischen Bombergruppen in den Mittelmeerraum. Von hier aus sollten die viermotorigen Bomber vom Typ B-24 "Liberator" unter dem Kommando der 9th USAAF, gemeinsam mit den im Rahmen der Operation "Torch" in Nordafrika angelandeten B-17 "Flying Fortress" der 12th USAAF, von Süden eine zweite strategische Luftoffensive gegen bedeutende Rüstungsziele im Deutschen Reich eröffnen. Von gleichzeitigen Angriffen aus England und aus dem Mittelmeerraum erhoffte man, die deutschen Jägerverbände an zwei Fronten binden zu können. Ein geschlossener Einsatz der deutschen Jagdabwehr auf nur einen einfliegenden Verband sollte so verhindert werden. Bei den ab dem Frühjahr 1943 folgenden Vorstößen tief in das Deutsche Reich wurden die bei Tag fliegenden amerikanischen Bomber von einer überaus abwehrbereiten deutschen Luftwaffe empfangen. Insgesamt betrug die deutsche Rüstungsproduktion an einmotorigen Jägern im Juni 1943 bereits über 1 000 Stück der Typen Messerschmitt Bf109 und Focke Wulf Fw190. Im Juli 1943 wurden beispielsweise 725 Bf109 produziert, von denen insgesamt 280 Flugzeuge aus den "Wiener Neustädter Flugzeugwerken" kamen. Diese deutschen Jäger fügten der USAAF bis zum Herbst 1943 schwere Verluste zu. Obwohl die britischen Verbündeten die Amerikaner daraufhin drängten, ihre verlustreichen Angriffe bei Tag einzustellen und in die Nacht zu verlegen, hielt die USAAF an ihrem Konzept von präzisen strategischen Tagangriffen fest.

Beginn der ersten Luftangriffe

Im Sommer 1943 begannen die Angriffe weitreichender strategischer Bomber der USAAF auf Ziele in den Alpen- und Donaureichsgauen. Die ersten Angriffe auf Wiener Neustadt wurden im August, Oktober und November 1943 geflogen. Zuvor hatte die 9th USAAF im Mittelmeerraum bei einem ersten weitreichenden strategischen Angriff auf die Erdölfelder im rumänischen Ploieºti knapp über 30 Prozent ihrer eingesetzten Bomber verloren. Über Wiener Neustadt erlitten die angreifenden amerikanischen Bomber im Oktober und November 1943 Verluste von 17 bzw. zehn Prozent. Im selben Zeitraum erfuhr auch die 8th USAAF aus England über Deutschland hohe Verluste. Über Regensburg und Schweinfurth wurden im August 16 Prozent der Bomber, über Stuttgart im September 14 Prozent und im Oktober 1943 neuerlich über Schweinfurth sogar 26 Prozent der eingesetzten Maschinen abgeschossen. Diese hohen Verluste zwangen Ende 1943 sowohl die 8th USAAF in England als auch die 15th USAAF in Italien, ihre Einflüge tief ins Deutsche Reich vorerst einzustellen. Man erkannte, dass es nicht möglich war, die Bomber ohne Schutz durch eigene Jäger in den Einsatz zu schicken.

Im November 1943 hatte die 15th USAAF in Italien 195 viermotorige Bomber einsatzbereit und 314 Besatzungen verfügbar. Bei Verlusten von über fünf Prozent der eingesetzten Bomber und ihrer Besatzungen bei einem einzelnen Angriff war es zu diesem Zeitpunkt nicht möglich, diese durch den rechtzeitigen Ersatz an Flugzeugen und Besatzungen zu kompensieren. Alleine im November 1943, im ersten Monat ihres Bestehens, verlor die 15th USAAF insgesamt 28 Bomber, davon elf über Wiener Neustadt, dies entsprach knapp über 14 Prozent ihres Flugzeugbestandes bzw. neun Prozent ihrer verfügbaren Besatzungen. Diese Verlustrate lag über der Grenze des Verkraftbaren. Die Folge war ein vorläufiges Aussetzen der Angriffe der 15th USAAF.

Die ersten strategischen Angriffe der USAAF-Bomber waren trotz der hohen Verluste durchaus erfolgreich. Bei den "Wiener Neustädter Flugzeugwerken" bewirkte die erste Phase der Angriffe im Herbst 1943 einen signifikanten Fertigungseinbruch. Nach dem erfolgreichsten Angriff am 2. November 1943 sank die monatliche Bf109-Ausstoßrate von 213 Stück im Oktober auf 50 im November und auf 37 im Dezember 1943. Im Winter 1943/44, also exakt zu dem Zeitpunkt, zu welchem die Versorgung der deutschen Luftwaffe mit einmotorigen Jägern aufgrund der zu erwartenden Offensive der alliierten Luftwaffen im Frühjahr 1944 hohe Priorität hatte, fiel das wichtigste Flugzeugwerk des Deutschen Reiches in seiner Produktivität entscheidend zurück.

Untergang der deutschen Luftwaffe

Die beiden strategischen Bomberflotten der im Februar 1944 aufgestellten United States Strategic Air Forces (USSTAF) in England und Italien benötigten nur wenige Monate, um jene Lücke zu füllen, die sie bisher an einer erfolgreichen Bomberoffensive gehindert hatte. Bis zum Frühjahr 1944 waren für die amerikanischen Begleitjäger der Typen P-47 "Thunderbolt" und P-38 "Lightning" ausreichend Treibstoffzusatztanks verfügbar, und mit dem Erscheinen der P-51 "Mustang" hatte die USAAF endlich einen Begleitjäger zur Hand, mit dem die erhoffte notwendige und entscheidende weitere Reichweitensteigerung möglich war.

Mit der alliierten Operation "Argument" wurde daher im Februar 1944 der Kampf gegen die deutsche Luftwaffe wieder aufgenommen. Unter dem Kommando der USSTAF wurden die Angriffe der 8th und 15th USAAF nun koordiniert durchgeführt. Die einzelnen strategischen Zielkategorien sollten dabei nacheinander abgearbeitet werden. Im Frühjahr 1944 war für die USAAF bereits eine wesentlich höhere­ Anzahl an Flugzeugen verfügbar als noch in den Monaten zuvor. Im Herbst 1943 waren den durchschnittlich je Angriffstag eingesetzten 300 Bombern und 200 Jägern der 8th USAAF aus England ca. 200 Jäger und Zerstörer der deutschen Luftwaffe gegenübergestanden. Im Frühjahr 1944 standen den durchschnittlich an einem Angriffstag einfliegenden 1 000­­ Bombern und 900 Jägern der 8th USAAF zwar mit ca. 300 deutschen Tagjägern ebenfalls mehr Maschinen gegenüber als 1943, aber das Übergewicht der Amerikaner war erdrückend geworden. Die deutschen Jäger konnten nur mehr vereinzelte Bomberpulks angreifen, nicht aber alle einfliegenden Bomberverbände.

Ähnlich war die Situation bei der 15th USAAF in Italien. Diese hatte im Mai 1944 bereits 1 190 schwere Bomber verfügbar. Im Frühjahr 1944 sollten durch die Strategie der gezielten Angriffe auf deutsche Flugzeugproduktionsstätten und durch die Abnützung der erfahrensten deutschen Luftwaffenpiloten in den Luftkämpfen eine Entscheidung herbeigeführt werden. Dieses Vorhaben gelang tatsächlich innerhalb weniger Monate. Der Durchbruch wurde dabei aber nicht nur durch die zunehmende Zerstörung der deutschen Luftwaffenproduktionsstätten durch alliierte Bombenangriffe erreicht. Diese Fertigungsstätten konnten durch die erfolgreich gelungenen Verlagerungen sogar weiter ihre Produktionsraten steigern. Der entscheidende Durchbruch gelang den Alliierten durch die stete Reduzierung des Bestandes an erfahrenen deutschen Jägerpiloten durch die permanenten Luftkämpfe.

Die amerikanischen Luftflotten erlitten im Frühjahr und Sommer 1944 über Deutschland und den Alpen- und Donaureichsgauen schwere Verluste, für die deutsche Luftwaffe waren die eigenen Verluste jedoch katastrophal. Während die 8th und 15th USAAF bereits genug Besatzungen verfügbar hatten, um diese abwechselnd einsetzen zu können, flogen die deutschen Piloten täglich gegen den Feind. Solange, bis sie abgeschossen und somit oft tot oder verwundet waren. Während die deutschen Fliegerabwehrkanonen (Flak) die Bomber auch durch den massiven Einsatz von Flakgeschützen unterschiedlichster Kaliber nicht nachhaltig daran hindern konnten, ihre Angriffsziele zu bombardieren, wurden die deutschen Jäger- und Zerstörerpiloten aufgerieben.

Die "Wiener Neustädter Flugzeugwerke" wurden ab April 1944 von der 15th USAAF in einer zweiten Luftoffensive bombardiert. In wiederholten Angriffen im April und Mai 1944 wurden die beiden Stammwerke sowie weitere wichtige Nebenwerke und Verlagerungsbetriebe (z. B. Bad Vöslau und Fischamend) endgültig in Schutt und Asche gelegt. Die Präzision der Bombenabwürfe der amerikanischen Bomber nahm dabei aufgrund der immer größeren Erfahrung der Bombenschützen sowie der Besatzungen stetig zu. Noch im Jahr 1943 hatten sich hier erste Verbesserungen gezeigt. So war die Genauigkeit von 28,5 Prozent der Bombentreffer in einem 600-Meter-Radius im Februar 1943 auf 56,4 Prozent im November 1943 angestiegen. Maßgeblich für diese Verbesserung verantwortlich war unter anderem die Einführung einer neuen, dicht geflogenen Bomberformation.

Angriffe gegen die Erdölindustrie

Bis zum Sommer 1944 hatte sich der Luftkrieg über den Alpen- und Donaureichsgauen vor allem auf den Rüstungsstandort Wiener Neustadt konzentriert. Nach der Niederringung der deutschen Luftwaffe und der erfolgreichen alliierten Landung in der Normandie konzentrierten sich die amerikanischen Luftangriffe auf die Zerstörung der deutschen Treibstoffversorgung. Somit wurden die deutschen Raffineriestandorte, und erneut die wichtigen Erdölraffinerien rund um das rumänische Ploieºti sowie die Raffinerien und Tanklager bei Wien zum nächsten Ziel der USAAF-Bomber.

Der erste direkte Bombenangriff auf den Raum Wien wurde am 10. September 1944 geflogen. Weitere folgten während der nächsten Monate. Die deutsche Luftwaffe hatte dieser neuen Offensive kaum mehr etwas entgegen zu setzen. Die Masse ihrer Jägerkräfte war nach der Invasion in den Einsatz nach Frankreich verlegt worden. Über 80 Prozent der durchgeführten Verstärkungen der deutschen Luftwaffe nach der Landung in der Normandie waren nur aufgrund des Abzuges von Jagdverbänden aus der "Reichsverteidigung" möglich. Zwar leistete die deutsche Luftwaffe über dem Reichsgebiet noch bis August 1944 heftig Widerstand, doch die dabei erreichten vereinzelten Erfolge stellten für die USSTAF keine Bedrohung mehr dar. Die schwersten Verluste erlitt die 15th USAAF im Juli 1944, als sie insgesamt 318 Bomber und 101 Jäger mit insgesamt fast 3 300 Besatzungsmitgliedern verlor. Diese Zahl sank danach stetig ab. Im September 1944 gingen nur mehr achtzig Bomber, die meisten davon durch Flakfeuer, verloren. Diese Verluste konnte man jedoch durch neue Nachschublieferungen aus Amerika kompensieren. So erhielt die 15th USAAF alleine im Mai 1944 insgesamt 342 neue Bomber der Typen B-17 "Flying Fortress" und B-24 "Liberator" und verfügte im April 1945 bereits über 1 081 einsatzbereite Bomber und 2 339 Besatzungen. Die Angriffe auf die deutschen Raffinieren und Hydrierwerke (Chemieanlagen zur Kraftstoffgewinnung aus Kohle) ließen den Mangel an Flugzeugbetriebsstoffen für die deutsche Luftwaffe zu einem eklatanten Problem werden. Die USAAF und RAF flogen gemeinsam insgesamt 555 Missionen auf 133 ausgewählte Ziele der Ölindustrie. Auf sie wurden 13 Prozent aller zwischen 1944 und 1945 eingesetzten Bomben abgeworfen. Dies führte unter anderem zu einem Rückgang der Produktion an Flugzeugtreibstoffen von 93 Prozent.

Angriff auf die Verkehrsknotenpunkte

Nach der Zerstörung der wichtigsten Ziele der Erdölindustrie widmete man sich dem deutschen Transportnetz. Dabei standen Angriffe auf Ziele der Deutschen Reichsbahn im Vordergrund. Spätestens jetzt wurde der Luftkrieg über den Alpen- und Donaureichsgauen "total". Im Frühjahr 1945 wurden viele österreichische Städte Ziel der amerikanischen Bomberverbände. Ein Eisenbahnknotenpunkt nach dem anderen wurde in Schutt und Asche gelegt. Dabei kam es auch zu umfangreichen Zerstörungen in zivilen Wohngebieten. Die Ursache dafür war, dass die USAAF im Frühjahr 1945 allzu oft Bomben mittels des neu entwickelten H2X-Radars "blind" durch die Wolkendecke abwarf.

Nach dem Krieg wurde von den US-Streitkräften eine Untersuchungskommission (United States Strategic Bombing Survey - USSBS) eingesetzt, welche die Effektivität der eigenen geflogenen Bombardierungen untersuchen sollte. Dabei musste die USSBS eingestehen, dass das H2X-Radar sich zwar als Navigationsmittel bewährt hatte, nicht jedoch als Bombenzielgerät. Im Durchschnitt hatten nur 0,2 Prozent (!) der mittels H2X-Radars bei starker Bewölkung abgeworfenen Bomben ihr Ziel mit einem Durchmesser von 600 Meter getroffen. Jede unpräzise abgeworfene Bombe schlug daher in den zivilen Wohnvierteln der Stadt ein. Ein Umstand, der in vielen Städten des Dritten Reiches im Frühjahr 1945 zu umfangreichen Zerstörungen führte.

Obwohl die Amerikaner weiter die möglichst zielgenauen Tagangriffe praktizierten, trugen die in den letzten Monaten vor Kriegsende durchgeführten exzessiven USAAF-Bombenabwürfe auf Bahnanlagen und Eisenbahnknotenpunkte sowie das mittels H2X-Radars durchgeführte "Blind Bombing" dazu bei, dass die Angriffe der amerikanischen Bomber trotz der Bemühung um einen präzisen Bombenabwurf als "Terror Bombing" gesehen wurden. Günstig wirkte sich hingegen aus, dass die britische RAF, aufgrund ihrer in Italien nur geringen verfügbaren Kräfte, keine großangelegten Nachtangriffe auf Ziele in den Alpen- und Donaureichsgauen flog. So blieben die österreichischen Städte von verheerenden Feuerstürmen (anders als in Deutschland) verschont. Die im September 1944 begonnenen Angriffe gegen die Knotenpunkte der Deutschen Reichsbahn stellten aber schließlich den entscheidenden Schlag gegen das Dritte Reich dar. Sie führten zum wirtschaftlichen Zusammenbruch des Reiches.

Zerstörerische Bilanz

Insgesamt wurden im Zweiten Weltkrieg von den Alliierten in Europa 2,7 Millionen Tonnen Bomben abgeworfen. Dazu wurden 1 440 000 Bomber- und 2 680 000 Jägereinsätze (Sorties) geflogen, bei denen knapp 18 000 amerikanische und 22 000 britische Flugzeuge verloren gingen; 79 265 amerikanische und 79 281 britische Besatzungsmitglieder kamen dabei ums Leben, weitere zehntausende westalliierte Soldaten wurden nach Fallschirmabsprung oder Notlandung gefangengenommen. Laut USSBS zerstörten die Bombardements im Deutschen Reich schätzungsweise 3,6 Millionen Gebäude; dies entsprach etwa 20 Prozent des Gebäudebestandes vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Über 300 000 Menschen (davon ca. 24 300 auf dem Gebiet der Ostmark bzw. der Alpen- und Donaureichsgaue) wurden getötet, 780 000 verwundet und ca. 7,5 Millionen durch die Zerstörungen obdachlos.

Die Effektivität der insgesamt nur achtzehn Monate dauernden alliierten Bomberoffensive wird bis heute intensiv diskutiert. Vor allem im Bezug darauf, ob die alliierten Bombardierungen überhaupt einen entscheidenden Beitrag zur Niederlage des Deutschen Reiches leisteten und ob es notwendig war, dass sie derart viele zivile Opfer forderten. Die amerikanische Luftwaffe war nach Ende des Krieges durchaus bereit, Selbstkritik zu üben. So stellte die USSBS fest, dass die Bombardierungen nicht so durchgeführt worden waren, wie es eigentlich in den ursprünglichen Planungen vorgesehen gewesen war. So hatte man nicht ablaufkonsequent die ursprünglich festgelegte Zerstörung der Zielkategorien des AWPD-42 verfolgt. Bedeutende Rüstungsziele waren zwar wiederholt angegriffen und zerstört worden, man hatte aber die Fähigkeit der deutschen Rüstungswirtschaft zur raschen Instandsetzung und Verlagerung unterschätzt. Dies hatte dazu geführt, dass von der deutschen Industrie Fabriken erfolgreich verlagert wurden, bevor die alliierten Bomberverbände diese endgültig zerstören hatten können. Weiteres hatte man nicht damit gerechnet, dass das Deutsche Reich durch Reservenbildung immer wieder in der Lage war, Engpässe zu überbrücken. Manche Zielkategorien, welche noch im Jahr 1942 im APWD-42 als prioritär betrachtet worden waren, wurden gar nicht oder kaum attackiert. So wurde z. B. die Kategorie Electric Power des AWPD-42, also der Bereich der deutschen Stromversorgung, gar nicht angegriffen. Der deutsche Rüstungsminister Albert Speer bezeichnete aber in Verhören nach dem Krieg gerade diesen Bereich als eine der "Achillesfersen" des Dritten Reiches. Ebenso die Kugellagerindustrie, die zwar angegriffen worden war - doch stellten die Bomber ihre Angriffe wegen der schweren Verluste wieder ein bevor sie endgültig zerstört war.

Die Fehlannahme, viermotorige Bomber ohne eigenen Begleitschutz fliegen zu lassen, kostete schließlich zehntausenden amerikanischen Besatzungsmitgliedern das Leben. Und nicht zuletzt wurde die Moralität des britischen "Area" bzw. "Moral Bombings" im Gegensatz zu den gezielten Tagangriffen der Amerikaner in Frage gestellt. So stellte die USSBS einsichtig fest, dass der Abwurf von hunderten Tonnen Bomben auf eine Stadt zwangsweise zu ungerechtfertigt hohen Opferzahlen in der Zivilbevölkerung führen musste. Eine Feststellung, welche durch die USSBS im Jahr 1947 sicherlich auch unter dem Eindruck der verheerenden Wirkung der amerikanischen Brandbomben- sowie der beiden Atombombenabwürfe auf japanische Städte getroffen worden war.

Die von 1942 bis 1945 durchgeführte­ amerikanische strategische Bomberoffensive war letztendlich ein wesentliches Element der strategischen alliierten Angriffsführung gegen das Deutsche Reich gewesen. Die Einsätze­ der alliierten Bomber und Jäger führten zur Niederlage der deutschen Luftwaffe und ermöglichten so die erfolgreiche Landung der Alliierten in der Normandie. Die alliierte "Combined Bombing Offensive" diente dazu, eine erste "zweite Front" in Europa zu eröffnen. Die in Frankreich angelandeten westalliierten Streitkräfte banden die Deutsche Wehrmacht in einem verlustreichen Zweifrontenkrieg an der Ost- und Westfront. Und als die Alliierten damit begannen, die Treibstoffversorgung und das Eisenbahnnetz effektiv zu zerstören, waren die Tage des Deutschen Reiches gezählt.

Die USSBS stellte in ihrem abschließenden Bericht fest, dass die intensiven USAAF-Bombardierungen der deutschen Flugzeugindustrie von der deutschen Rüstungswirtschaft durch eine umfangreiche Verlagerungsoffensive abgefedert worden war, wodurch die Produktionszahlen an einmotorigen Jägern bis Ende 1944 sogar weiter angestiegen waren. Doch diese Anstrengungen hatten dem Deutschen Reich so umfangreiche Ressourcen gekostet, dass sie sich schlussendlich als kontraproduktiv erwiesen hatten. Die Verlagerungen wurden durch die Bombardierungen der Hydrierwerke und des Transportsystems wirkungslos, denn die Zerstörung des Eisenbahntransportnetzes verhinderte die effektive Zusammenführung der einzelnen vorproduzierten Flugzeugbaugruppen. Und durch die verringerte Treibstoff­erzeugung war es nicht mehr möglich, die mühsam neuproduzierten Jäger zum Einsatz zu bringen.


Autor: Hauptmann Mag.(FH) Dr. phil.Markus Reisner, Jahrgang 1978. 1997 Einjährig-Freiwilligen-Ausbildung in Amstetten; 1999 bis 2002 Theresianische Militärakademie Jahrgang "Sachsen-Coburg", ausgemustert als mechanisierter Aufklärer zum Aufklärungsbataillon 2, 2003 Absolvierung des 34. Jagdkommandogrundkurses; ab 2004 Verwendung beim Jagdkommando, seit 2013 Teilnehmer am 20. Generalstabslehrgang; wiederholte Auslandseinsätze in Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Afghanistan, Tschad und Zentralafrika; Doktoratsstudium der Geschichte an der Universität Wien; Veröffentlichung von zwei Büchern in mehreren Auflagen ("Bomben auf Wiener Neustadt" sowie "Unter Rommels Kommando"), derzeit Arbeit an einem Buch über die "Wiener Operation" der sowjetischen Streitkräfte im März/April 1945;

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