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Militärdiplomatie Teil 4 Attachédienst im "Regio­nalbüro Stockholm"

Die Vorstellung des Attachédienstes im Norden Europas soll die bisher erschienenen Beiträge zur Serie "Militärdiplomatie", insbesondere aus militärstrategischer Sicht des BMLVS, ergänzen. Die Auswahl fiel auf Stockholm, weil von diesem Standort aus sechseinhalb Länder bearbeitet werden. Es sind dies Schweden, Norwegen, Finnland, Dänemark, Estland, Lettland und "ein wenig" Island.

Region

Eine gesamte Region? - Nicht ganz, denn wenn man zwar im weiteren Sinne die nordischen Staaten (inklusive Island) als "Skandinavien" ansprechen könnte und hier in vielerlei Hinsicht enge Beziehungen untereinander und zum Baltikum bestehen, so fehlt doch in der Zuordnung räumlich zumindest Litauen, das durch das Verteidigungsattachébüro (VAttbür) in Berlin mitbetreut wird. In Island selbst ist kein österreichischer Verteidigungsattaché akkreditiert. Der Raum muss jedoch zwingend mitbeurteilt werden, da die Insel von strategischer Bedeutung ist bzw. immer war und auf halbem Weg nach Grönland liegt, das wiederum trotz aller Teilautonomie zum Königreich Dänemark gehört. Damit grenzt der "Amtsbereich" im Norden (über den Pol) und im Osten an Russland (und wenn man die Enklave Kaliningrad berücksichtigt auch im Süden), im Westen an Kanada, im Südwesten an Großbritannien und im Süden an Deutschland und Polen.

Mit Blick auf die Landkarte stechen mehrere Merkmale ins Auge: Der Raum ist wesentlich vom Meer bestimmt und eine der ersten Lektionen besteht im Erkennen, dass Meere nicht trennend, sondern verbindend wirken. Außerdem befinden sich große Teile im arktischen Raum mit allen seinen v. a. klimatischen Herausforderungen und zukünftigen Chancen, und schließlich ist Russland ein vielfach bestimmender Faktor. Wie bereits hier erkennbar wird, ergeben sich alleine aus der geostrategischen Lage einige Besonderheiten für das Regionalbüro Stockholm.

Der Norden Europas steht nicht im Brennpunkt der Tagespolitik, der Weltgeschichte und der Militärstrategie - und dennoch sind es häufig gerade die nordischen Staaten, von denen wesentliche Impulse ausgehen. Darüber hinaus ist es in der vernetzten Welt des 21. Jahrhunderts längst nicht mehr ausschließlich eine Frage geo-strategischer Betrachtung. Wenn man nur an den Cyber-Bereich denkt, dann wird schnell klar, dass die geografische Lage weniger relevant ist als z. B. die vorhandene technische Innovationsfähigkeit einer Region. Hier ist der Norden keinesfalls zu unterschätzen. Selbst geostrategische Aspekte, wie die mit dem Klimawandel einhergehende mittelfristig veränderte Bedeutung der Arktis, sind nicht außer Acht zu lassen, geschweige denn die Nähe zu Russland - nicht umsonst werden in Stockholm vermehrt Verteidigungsattachébüros eingerichtet.

Aufgaben

Die Aufgabenstellung bewegt sich in einem durch Konzepte, Befehle, Geschäftsordnung, Dienstanweisungen etc. festgelegten Rahmen. Daher wird hier vermehrt auf die konkrete Aufgabenumsetzung eingegangen. Einige Hauptaufgaben des Attachés sind zu unterscheiden, greifen aber auch ineinander: Bei der ersten geht es um "Policy Shaping" im weitesten Sinne des Wortes. Vereinfacht also darum, daran mitzuwirken, sicherheits- und verteidigungspolitische Positionen mit den Gastländern abzustimmen, um diese dann allenfalls gemeinsam zu vertreten. Hierzu ist es zunächst erforderlich, stets am Ball der verteidigungspolitischen Themen und Entwicklungen (hauptsächlich in Brüssel) zu bleiben - nahezu eine Unmöglichkeit für einen "Einzelkämpfer". Dann müssen die relevanten Gesprächspartner gefunden werden, was sich hier schwierig gestaltet, da solche Fragen bis zu vier Ministern/Ministerien zugeordnet sein können. Schließlich sollte eine erste Idee der österreichischen Position bereits vorhanden sein, die man kennen muss. Zumeist erfolgt das auch sehr zeitnahe, vor allem vor Gipfeltreffen und unter Umständen multipliziert mit sechs (Ländern)! Diese Aufgabe würde bei entsprechender Tiefe eine Vielzahl an Mitarbeitern erfordern. An dieser Stelle sollte nicht unerwähnt bleiben, dass das "Regionalbüro Stockholm" aus dem Verteidigungsattaché, dem Attachéunteroffizier und einer Übersetzerin/Schreibkraft besteht.

Die nächste Hauptaufgabe gestaltet sich wesentlich einfacher. Es geht dabei darum, die konkrete militärische Zusammenarbeit innerhalb der Vorgaben zu unterstützen. Dieser Bereich wird zunehmend intensiver, denn wenn von "Pooling and Sharing", "Smart Defence" etc. die Rede ist, steht am Ende ein konkretes Projekt. Das sind z. B. Ausbildungen, Übungen, Einsatzvorbereitungen. Somit versieht fast an jedem Tag ein Angehöriger des BMLVS im Amtsbereich Dienst. Die wesentliche Leistung liegt darin, einerseits Möglichkeiten bedarfsorientiert zu erkennen, anzubahnen und einzuleiten, insbesondere aber darin, zu erkennen, ob und wenn ja, wie das Projekt in zum Teil völlig unterschiedlichen Systemen einzubetten wäre. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass im Verantwortungsbereich drei Monarchien, fünf EU-Mitglieder (wobei Dänemark drei optingouts u. a. im Bereich der GASP und Schweden den Euro nicht eingeführt haben) und vier NATO-Staaten (Schweden und Finnland haben sich weitestgehend angenähert) vertreten sind - ganz abgesehen von einer insgesamt deutlich unterschiedlichen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, historischen, demografischen, sicherheitspolitischen etc. Ausgangsposition. Am Rande erwähnt kommt es bei dieser Aufgabe auch darauf an, die Österreicher überall dort zu betreuen, wo Bedarf besteht.

Ähnlich und mit der konkreten Zusammenarbeit in Verbindung stehend ist die ständige Suche nach Lösungen, die besonders gut funktionieren ("Best Practise") sowie die "Transferleistung", die beurteilt, inwieweit das Beobachtete in Österreich umsetzbar wäre und in ein Gesamtsystem passt. Dabei schadet es auch nicht, aus den Fehlern anderer zu lernen.

In einer weiteren Hauptaufgabe geht es um Rüstungszusammenarbeit im weitesten Sinn, die bei konkreten Projekten bis hin zur Erstellung von Zusammenarbeitsvereinbarungen komplex sein kann. In allen Fällen, sollen die Interessen Österreichs und des BMLVS vertreten werden, und nicht jene des Gastlandes oder allfälliger Firmen und Konzerne. Eine Hauptaufgabe ist auch, die "Open Source Intelligence", also frei zugängliche Quellen (hauptsächlich Medien) zum Zwecke des Früherkennens möglicher Krisen, Konflikte, Bedrohungen, Tendenzen etc. zu studieren.

Die wesentliche Basisarbeit zur Aufgabenerfüllung stellt eine umfassende "Situation Awareness" dar, die einerseits durch das Studium offener Quellen und andererseits durch Kontakte in einem möglichst breiten Netzwerk sichergestellt wird. Spätestens in diesem Bereich spielt die Einbettung der gesamten Familie in der Gesellschaft insgesamt sowie insbesondere in der "erweiterten Militärgesellschaft" eine zentrale Rolle. Um es an einem Beispiel darzustellen: Die Frau des Militärattachés muss über die EU (und österreichische)-Policy vis-à-vis anderer Nationen Bescheid wissen, wenn sie ihre Kolleginnen der anderen Nationen "beim Stricken" trifft, weil es Nationen gibt, die ganz genau beobachten, wie sich Vertreter Österreichs verhalten. Die Kinder in der Schule sind dort nicht die Kinder eines anonymen Ehepaares, ihr Verhalten kann sich auf dienstliche Belange und die Akzeptanz im Gastland auswirken.

Demgegenüber steht ein immenser Gewinn, denn im Erkennen der erlebten Probleme, z. B. im Bildungsbereich, lässt sich auf den Standard der Schulabgänger schließen, der sich wiederum direkt auf die Personalherausforderungen der Streitkräfte auswirkt. Dasselbe gilt für das Gesundheitssystem und vieles anderes mehr. Erst durch eine möglichst tiefe Integration im Raum und ein bewusstes Eintauchen, lassen sich viele Dinge verstehen und Entwicklungen weit treffsicherer vorhersagen.

"Die spinnen, die Ösis"

Was macht nun die Besonderheit eines "Regionalbüros" aus? Auf der einen (positiven) Seite die unschätzbare Gelegenheit, ein und dasselbe Thema in sechs zum Teil auch deutlich unterschiedlichen Ländern zu betrachten, Erfahrungen abzufragen, Möglichkeiten zu erkennen etc. Dies erlaubt einen deutlich breiteren Ansatz und erleichtert das Erkennen der wahren Herausforderungen.

An einem Beispiel dargestellt können die Cyber Defence-Konzepte in sechs Ländern gleichzeitig analysiert und verglichen, Gemeinsamkeiten wie Unterschiede erkannt und hinterfragt werden. In einem nächsten Schritt können relevante Einheiten besucht und die konkrete Umsetzung o. a. Konzepte bei Übungen beobachtet werden. Verantwortliche können befragt werden und schließlich Gespräche mit der Industrie verschiedener Länder betreffend machbarer technischer Lösungen erfolgen.

Diese Liste ließe sich lange fortsetzen, die Kernbotschaft jedoch ist, dass ohne größeren personellen Koordinationsaufwand eine weit bessere gesamtheitlichere Sicht erfolgen kann. Damit lässt sich konkret Geld sparen, denn man muss nicht mehr Ressourcen für Dinge aufwenden, die sich nicht bewährt haben.

Demgegenüber steht der Nachteil, dass die Tiefe der Bearbeitung natürlich leidet, wenn der Bereich so groß und das Personalkorsett derart eng ist. Hier muss auch die Ambition Österreichs mit berücksichtigt werden. Nicht zuletzt spielt der Spargedanke eine Rolle. Wenn man noch vor drei bis vier Jahren mit dem Kommentar "die spinnen, die Ösis" (natürlich nicht wortwörtlich - dies ließe die diplomatische Vernunft niemals zu) wegen der Vielzahl der Länder und der geringen dafür verfügbaren Personalressourcen im internationalen Kameradenkreis belächelt wurde, so sind es heute mehr und mehr Staaten, die ähnliche Ansätze forcieren (von 23 in Stockholm residenten Attachés decken zwölf mehrere Länder ab, die meisten davon drei, zwei überblicken vier Länder und nur einer sechs). Da eignet sich Stockholm aufgrund seiner zentralen Lage im Norden besonders gut. Dies dürfte wohl auch der Grund sein, weshalb die Anzahl der in Stockholm residenten Attachés in den vergangenen Jahren stets zugenommen hat - Tendenz weiter steigend.

Um die Herausforderung mangelnder Tiefe ein wenig abzufedern, ist es zwingend erforderlich, dass sich der Attaché bzw. sein Personal möglichst oft in anderen mitakkreditierten Ländern aufhält. Dem sind naturgemäß Grenzen gesetzt: Zum einen budgetäre (Reisekosten), zum anderen personelle und im Norden zusätzlich die Tatsache, dass nur ein Attaché akkreditiert ist und daher nur er akzeptiert wird - eine "One-Man Show" also! Mit einem dichten Netzwerk guter, manchmal freundschaftlicher Beziehungen lässt sich hier einiges abfedern. Dabei spielt die internationale Vorerfahrung des Attachés eine wesentliche Rolle: Man kennt sich oder hat gemeinsame Bekannte, man schätzt die Erfahrung des Anderen oder auch dessen Leistungen. Schon lässt sich entspannter über die eine oder andere sensible Frage sprechen - Türen öffnen sich.

Die Pflege dieses Netzwerkes guter Beziehungen ist höchst aufwändig und zeitintensiv. Es bringt aber u. a. Zugang zu Informationen, die das Leben eingesetzter österreichischer Soldaten erleichtert, manchmal erst ermöglicht, sicherer macht und vielleicht auch einmal rettet. Hier ein Beispiel: Die aus einem dreistündigen Gespräch beim Abendessen mit einer kürzlich von ukrainischen Separatisten wieder entlassenen ehemaligen Geisel gewonnenen Erfahrungen können, wenn entsprechend bearbeitet, rasch in die vorbereitende Ausbildung für Einsätze einfließen.

"Champagnerattaché"

Vor einiger Zeit tauchte der Begriff "Champagnerattaché" in der Online-Ausgabe der Tageszeitung "Die Presse" auf - er ist wohl auch nicht ganz neu. Und ja, es gibt sie - die "Cocktailfront". Das sind zahllose Abend- und Wochenendveranstaltungen (wohlgemerkt alles innerhalb der Pauschalabgeltung), die man nach einem, im Attachédienst vorkommenden langen Tag, nach rascher Dusche und neuer Garderobe über sich ergehen lässt, immer darauf gefasst, den Gesprächspartnern die Schönheiten Österreichs und seiner Landesverteidigung zu erklären, das Verteidigungsbudget zu argumentieren, und gleichzeitig die Fragen im Kopf zu haben, die man noch bei dem einen oder anderen anbringen wollte, um all jene Dinge zu erfahren, die nicht über den "täglichen Ladentisch" laufen (können). Man muss dort nicht hingehen, sondern könnte die Zeit genauso gut mit Familie und Kindern, beim Sport, Lesen oder anderen Dingen verbringen. Jedoch sollte man dort gewesen sein, nur so lässt sich das Netzwerk pflegen, das die Aufgabenerfüllung so unendlich erleichtert. Wenn man wieder einmal am Freitagnachmittag mit einem dringenden und einsatzrelevanten Informationsbedarf konfrontiert ist, dann zählt das bei den so genannten Champagnerabenden aufgebaute Klima und Vertrauen.

Die betroffene Informationsquelle steht am Samstag um sieben Uhr mit dem Fahrrad vor der Türe der Österreichischen Botschaft, um noch schnell beim Kaffee mit dem Attaché ein paar Fragen zu erörtern. - Ich bin froh, dass es die Cocktailfront gibt, sie hilft bei der Auftragserfüllung.

Resümee

Abschließend soll nicht auf den grundsätzlichen Bedarf von Attachés eingegangen werden, das ist hinlänglich diskutiert - auch im internationalen Kontext und Vergleich. Es gibt aber wohl immer unterschiedliche Möglichkeiten allenfalls ähnliche Ergebnisse zu erzielen (mit Vor- und Nachteilen).

Diese Möglichkeiten, aus persönlicher Sicht und mit entsprechender Erfahrung bereichert, wurden dargestellt. Wann immer man über Veränderung nachdenkt soll man jedoch nur dann Schritte setzen, wenn man die Dinge verbessern kann! Alle Betrachtungen und Ansätze sind darüber hinaus wirkungslos, wenn dieses Werkzeug (der Verteidigungsattaché mit seinen Möglichkeiten) nicht zielorientiert genutzt wird. Hier wird Potenzial geortet und eine fokussierte Nutzung der Kapazitäten von allen Dienststellen müsste forciert werden. Dazu ist es notwendig, dass die Bedarfsträger wissen, was der Attachédienst abseits der Cocktailfront ist und vor allem kann und wie er zu nutzen wäre.


Autor: Brigadier Mag. August Reiter, Jahrgang 1963. 1982 Grundausbildung Landwehrstammregiment 64 (LWSR64), Einjährig-Freiwilliger LWSR62 und LWSR61. 1983 bis 1986 Theresianische Militärakademie Wiener Neustadt, Waffengattung Jäger. 1986 bis 1991 Ausbildungsoffizier und Kommandant 2. Kompanie/LWSR62. 1991 bis 1994 13. Generalstabskurs; 1994 bis 1998 G3 und Chef des Stabes Militärkommando Tirol., 1998 bis 2000 Staff Officer for Operations, Exercises and Interoperability bei SHAPE in Mons/Belgien, 2000 bis 2001 Kommandant Jägerschule Saalfelden (mit der Führung betraut), 2001 bis 2002 Militärkommandant von Tirol (mit der Führung betraut), 2002 bis 2006 Kommandant 17. Generalstabslehrgang. 2004 Sponsion zum Mag. phil., 05/2006 bis 09/2006 Leiter Institut für Höhere Militärische Führung/Landesverteidigungsakademie Wien; 2006 bis 2011 Kommandant Aufstellungsstab/Heerestruppenschule und anschließend Kommandant der Heerestruppenschule, seit Juli 2011 österreichischer Verteidigungsattaché in Stockholm. Heeresbergführergehilfe und Flugretter; Teilnehmer am "Mobilization and Reserve Forces Course", am "Operational Staff Officer´s Course" und am "Staff Officer´s Orientation Course" der NATO-School Oberammergau, Teilnehmer am Seminar "Internationale Höhere Führung" der Führungsakademie Hamburg.

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