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Europa im Wandel - Sicherheit im Wandel

von Erhard Busek

Kurzfassung

◄ Dass die EU-Erweiterung eine absolute Notwendigkeit darstellt, ist für den Autor ebenso klar, wie die Tatsache, dass damit eine sicherheitspolitische Herausforderung ersten Ranges einhergeht. Europa ist dabei zum Erfolg verurteilt, scheitert nämlich die Erweiterung, ist die Gefahr groß, dass Instabilität und Verlust der Handlungsfähigkeit des alten Kontinents drohen.

Anders als bei der letzten Erweiterung sind bei der neuen Runde die Beschäftigung mit der Frage nach dem Endziel, der "finalité politique" Europas, und die Auseinandersetzung mit dem gewandelten Sicherheitsbegriff notwendig. Gerade das Beispiel Südosteuropa zeigt, dass Konfrontationslinien nicht mehr entlang staatlicher Grenzen verlaufen, sondern dass zum Teil jahrhundertealte Konflikte wieder aufleben, die durch besondere politische Konstellationen unter Verschluss gehalten wurden.

Die Chancen des Umbruchs 1989 konnten nur teilweise genutzt werden; die westlichen Demokratien hatten keine Antworten auf den Zerfall des Sowjetblocks und den Niedergang des Kommunismus, und vollmundigen Ankündigungen über Marshall-Pläne aller Art folgten keine Taten. Unbestritten ist aber, dass in dem auf die "samtene Revolution" folgenden Jahrzehnt mehr Menschen denn je die Chance auf Demokratie und Menschenrechte erhielten.

In Fragen der Sicherheit wetteifern UNO, OSZE, NATO, WEU, Europarat und einige andere; in Summe kommt aber nach wie vor heraus, dass Europa ohne die USA nicht handlungsfähig ist. Obwohl die EU-Beitrittskandidaten ein großes Interesse an militärischer Sicherheit haben, ist nicht zu erwarten, dass die Entscheidungsprozesse in einer erweiterten EU einfacher werden. Die inneren Verhältnisse der EU bedürfen einer konsequenten Straffung, um die Aktionsfähigkeit zu verbessern und die Außenwirkung zu erhöhen, nur dann kann die Union der weit verbreiteten Kritik begegnen, "ein global payer", aber kein "global player" zu sein.

Ob die Erweiterung 2004 wie geplant über die Bühne geht oder - bedingt durch die EU-interne Debatte über die Verfasstheit - verschoben werden muss, ist ohne Bedeutung, weil die Verhandlungen mit den Beitrittsländern längst den "point of no return" überschritten haben. Ziemlich sicher ist, dass Rumänien und Bulgarien nicht zur EU-Erweiterungsrunde zählen, weswegen man diese beiden Länder bei der nächsten NATO-Erweiterung berücksichtigen sollte, um eine zu große Entfremdung zu vermeiden.

Die EU-Erweiterung nur unter dem Blickwinkel der wirtschaftlichen Praktikabilität zu sehen stellt eine unzulässige Verknappung dar. Es gilt vielmehr, folgende politischen wie sicherheitsrelevanten Parameter zu berücksichtigen: Für Ungarn sollte eine grenzüberschreitende Kooperation, auch auf militärischem Gebiet, die gerade in jüngster Zeit wieder aufflammenden, aus dem Vertrag von Trianon resultierenden Probleme der ungarischen Minderheiten bewältigen helfen, die Slowakei sollte unter dem Gesichtspunkt ihrer strategischen Bedeutung und Polen wegen seiner Kooperation mit den östlichen Nachbarn gesehen werden. Tschechiens Beitritt leidet unter mangelnder Vergangenheitsbewältigung und atomaren Sicherheitsfragen, während Sloweniens Ambitionen nur positiv gesehen werden.

Den baltischen Staaten ist mit einem EU-Beitritt auch sicherheitspolitisch gedient, und die benachbarten Regionen könnten davon nur profitieren, während die Ambitionen der russischen Exklave Kaliningrad nach einer EU-Annäherung in Brüssel mit gemischten Gefühlen gesehen werden. Zypern und Malta stellen im Vergleich dazu kleinere Probleme dar, wenngleich sich auf Malta die EU-Befürworter und EU-Gegner die Waage halten und Beitrittsansuchen und Rücktritte davon abwechseln. Zypern ist allerdings ein aktuelles Sicherheitsproblem, trotz der jüngst erfolgten Annäherung zwischen den beiden Volksgruppen.

Der Sicherheitsaspekt darf nicht eindimensional, beispielsweise unter dem Eindruck der Terroranschläge vom 11. September, gesehen werden, sondern muss politische, militärische, polizeiliche, wirtschaftliche und soziale Parameter berücksichtigen, damit die Aufnahme neuer Länder in die EU auch ein Zusammenwirken in den verschiedensten Bereichen des Lebens bewirkt, die die Grundlage der europäischen Integration waren und sind: Stabilität und Wohlfahrt sowie Entwicklung von Demokratie und Menschenrechten. ►


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Europa im Wandel - Sicherheit im Wandel

Sicherheitspolitische Dimension der EU-Osterweiterung

Keine andere Frage wird so bestimmend für das österreichische und europäische Schicksal sein wie die notwendige Erweiterung der Europäischen Union. Gelingt sie, sind wir auf einem guten Weg zu einer definitiven Form des Kontinents. Scheitern wir daran, dann ist die Instabilität Europas nicht nur vorgezeichnet, sondern auch die selbstständige Handlungsfähigkeit des alten Kontinents nicht gegeben. Umso mehr ist Österreich unter neuen Bedingungen zu sehen, die 1989 begonnen haben und erst Schritt für Schritt begriffen werden. Im Westen des Kontinents werden nicht immer alle Probleme in unserer Region verstanden, es muss jedoch gesagt werden, dass es darum geht, ganz Europa neu zu gestalten. Da und dort gibt es wieder Sehnsüchte nach Teilungen; jetzt aber einen Trennstrich an den Grenzen durch die Europäische Union ziehen zu wollen, wäre eine Zweiteilung Europas, die wir bereits hatten - zum Nachteil Österreichs und insbesondere Wiens. Dazu einige Vorbemerkungen: 1. Österreich hat sein Beitrittsansuchen zu den Europäischen Gemeinschaften im Juli 1989 in Brüssel abgegeben. Das geschah vor dem unerwarteten Fall des Eisernen Vorhangs und unter den Bedingungen der Zweiteilung Europas zu einem Zeitpunkt, als sich von der so genannten "Samtenen Revolution" (Velvet Revolution) 1989/90 noch nicht träumen ließ. Persönlich glaube ich, dass die letzte Erweiterung der Europäischen Union durch Schweden, Finnland und Österreich noch unter den alten Bedingungen und der alten Denkweise der europäischen Einigung zu Stande gekommen ist.

2. Es soll nicht verkannt werden, dass seit den Römischen Verträgen in der Entwicklung der europäischen Einigung die Ost-West-Teilung und der Eiserne Vorhang natürlich eine entscheidende Rolle gespielt haben. Wir merken auch allzu deutlich, dass das Tempo der Einigung, die Art und Weise, wie die Politik an dieses Ziel herangegangen ist, unter den Konditionen des Kalten Krieges und des Ost-West-Spannungsverhältnisses ein anderes war.

Die Angst vor dem Kommunismus und der Sowjetmacht hat dazu geführt, dass die europäischen Regierungen und Parlamente kleinliche Bedenken rascher beiseite geschoben haben, als das jetzt der Fall ist. Der ökonomische Gesichtspunkt der Integration, nämlich konkurrenzfähig gegenüber den USA und den asiatischen Herausforderungen zu bleiben, war sicher auch ein Grund. Dieser aber besteht nach wie vor und scheint offensichtlich ohne Einfluss auf die Entscheidungskraft europäischer Regierungen zu sein. Gegenwärtig haben wir wohl eine falsche Form von Eurozentrismus, weil wir in der politischen Öffentlichkeit allzu sehr auf uns Europäer selbst schauen, anstatt zu registrieren, was woanders geschieht und welche Notwendigkeiten für Politik, Wirtschaft, Sicherheit und Kultur bestehen.

3. Die mit Recht aufgeworfene Frage, inwieweit die Probleme des Mittelmeers mit denen Ostmitteleuropas und Osteuropas konkurrieren, gilt v.a. im Bereich der Sicherheit und der Stabilität. Gerade ein Österreicher weiß nur allzu deutlich, dass diese Stabilität nicht nur in Ostmitteleuropa und Osteuropa notwendig ist, sondern genauso im Südosten und Süden des Kontinents. Die Qualität der beiden Problemkreise ist allerdings unterschiedlich. Geht es in Richtung Osten um eine Frage der Erweiterung sowie der definitiven Form Europas überhaupt, so werden im Mittelmeer sicherlich eher Fragen der politischen Stabilität und Sicherheit angesprochen wie auch der Dialog mit dem Islam.

4. Vor der Osterweiterung muss mit Recht eine intensive Auseinandersetzung um einige Fragen geführt werden, die ich nur oberflächlich erwähnen kann. Etwa: Was ist die "finalité politique" Europas, wie soll die politische Geografie Europas in der weiteren Entwicklung aussehen und welche Rolle messen wir dem Faktor Kultur als Identifikationsmerkmal eben dieses Europas zu? Anders gesagt: Wir können die Auseinandersetzung um die Zukunft Europas nicht nur als Politiker führen, sondern wir müssen sie mit den Intellektuellen, Künstlern, Wissenschaftern, Forschern etc. gleichermaßen betreiben.

5. Ganz entscheidend hat sich der Sicherheitsbegriff in unserer Zeit gewandelt. Sind wir noch in den Kategorien der Ost-West-Teilung, des Kalten Krieges und der Koexistenz sowie der Militärbündnisse aufgewachsen, so müssen wir heute feststellen, dass diese Einstellungen mehr und mehr der Vergangenheit angehören. Die Trennlinien gibt es nicht mehr - neue werden leider manchmal gedanklich versucht -, die Militärbündnisse wandeln sich, wie die NATO mit der "Partnership for Peace (PfP)" zeigt, zu neuen Instrumenten, die mehr und mehr dazu führen, dass militärische und zivile Sicherheit integriert zu sehen sind. Dort, wo Krisen in diesem europäischen Wandlungsprozess auftraten (wie der Zerfall Jugoslawiens), waren die Antworten jeweils integrierte Sicherheitsinstrumente, denn eine zivile Gesellschaft lässt sich militärisch allein nicht aufbauen. In Bosnien-Herzegowina, Kosovo und auf eine andere Art in Albanien und Mazedonien waren Maßnahmen notwendig, um Sicherheit für Europa zu garantieren. Die Antworten sind unterschiedlich ausgefallen, sicher wird es auch noch notwendig sein, an den "best practices" festzuhalten, aber ganz entschieden sind neuere Instrumente notwendig geworden, die den Sicherheitsbegriff an sich verändert haben. Es soll nicht verkannt werden, dass Konfrontationslinien entlang nationaler Grenzen längst der Vergangenheit angehören. Oft sind sie auch nicht ideologisch bedingt, sondern meist Erscheinungen staatlicher Krisen, welche die verschiedensten Wurzeln haben und daher auch verschiedene Antworten notwendig machen. Stabilisiert ist diese Situation zweifellos noch nicht. Dabei ist sicher nicht nur Südosteuropa anzuführen, sondern mehr noch der Schwarzmeerraum, Zentralasien und nicht zuletzt der Nahe Osten. Der 11. September 2001 hat gezeigt, dass Sicherheit auf eine ganz neue Weise herausgefordert ist, wobei wir die wirklichen Rezepte noch nicht kennen. Auf jeden Fall sind aber Europa und der Erweiterungsprozess der Europäischen Union davon unmittelbar betroffen.

Fassen wir zusammen: Die politische Geografie unseres Kontinents wird langsam, aber sicher der natürlichen Geografie wieder ähnlicher, wobei die erst allmählich einsetzende Gewöhnung daran eine große Rolle spielt. Noch immer werden in der österreichischen Öffentlichkeit Tschechien, Polen und einige andere als östliche Staaten beschrieben. Osteuropa ist jedoch v.a. Russland, während wir uns hier in der Mitte Europas bewegen. Niemanden würde es einfallen, etwa Finnland als Osteuropa zu bezeichnen, wobei gesagt werden muss, dass der Begriff "Osten" durch lange Jahrzehnte auch eine herabsetzende Bedeutung hatte.

Es kann nicht der Sinn des Beitritts Österreichs zur Europäischen Union gewesen sein, wieder einmal Außengrenze zu sein. Dieses zweifelhafte historische Vergnügen hat unser Land in verschiedensten Jahrhunderten bis zum Fall des Eisernen Vorhangs ohnehin erlebt, wobei die glücklicheren Zeiten Österreichs jene waren, in denen wir nicht Außengrenze gewesen sind. Damit sind aber auch Interessen der anderen EU-Mitglieder verbunden, etwa im Bereich der Sicherheit. Gerade die labilen Verhältnisse im Osten machen eine Erweiterung des möglichen Wirkungskreises der EUROPOL ebenso notwendig wie eine neue Konzeption der europäischen Verteidigung. Die größten Fantasten haben inzwischen gelernt, dass das bedrohungsfreie "Ende der Geschichte" keineswegs gekommen und auch der "Ewige Friede" nicht ausgebrochen ist.

Überdies können leicht Probleme entstehen, die die gegenwärtigen Krisen noch verschärfen. Unser aller Augenmerk ist heute auf den Balkan gerichtet, wobei wir besser Südosteuropa sagen sollten, denn in Wien ist "Balkan" keine freundliche Bezeichnung. Schließlich hat schon Staatskanzler Metternich, der große Gestalter des Wiener Kongresses von 1815, davon gesprochen, dass knapp nach der Ringstraße der Balkan beginne. Was wir in Südosteuropa erleben, ist ein Wiederaufleben von Konflikten, die Jahrhunderte alt sind, wobei es die Politik bisher nicht verstanden hat, zu ihrer Bewältigung beizutragen. Es handelt sich um keinen Neo-Nationalismus, sondern um jenen Nationalismus des 19. Jahrhunderts, der durch den Kommunismus quasi in ein Gefrierfach gesteckt wurde und nun langsam wieder auftaut. In manchen Gegenden Europas stehen wir vor einer Situation, die nicht zuletzt durch die Friedensschlüsse nach dem Ersten Weltkrieg geschaffen wurde und die sich als nicht dauerhaft erwiesen hat, wie wir am Beispiel der Tschechoslowakei und auch des alten Jugoslawien sehen können. Zusätzliche Konflikte wie die in Russland können natürlich auch dazu führen, dass man die inneren Probleme überspielen will und nach außen aggressiv auftritt. Dabei sind nicht nur die Politiker zu beobachten, sondern ebenso andere gesellschaftliche Einrichtungen; auch Kirchen können hier eine fragwürdige Rolle spielen, wie sich aus manchen Stellungnahmen der Orthodoxie zu verschiedenen Gesichtspunkten leicht ableiten lässt. Wenn dann ein Patriarch wie der von Belgrad doch vom christlichen Auftrag des Friedens spricht, kommt es dazu, dass er in seinem Land wegen Verrats kritisiert wird.

Auf welchen Wellenlängen die Balkankrise noch gespielt wird, lässt sich nicht voraussagen. Dabei geht es nicht darum, Russland zum Schreckgespenst aufzubauen, sondern vielmehr um ein realistisches Bild der Partner für Europa. Die Diskussion, ob Russland nun ein Teil Europas sei oder nicht, ist sinnlos. Russland ist so groß und so vielfältig, dass es eben Russland ist und sich dieser lächerlichen Frage entzieht. Sicher aber wird die Frage zu beachten sein, in welcher Weise sich Russland nicht nur in Europa, sondern auch in Zentral- und Ostasien engagiert, wobei es sich hier nicht um Alternativen, sondern bestenfalls um Prioritäten handelt.

Irritationen auf dem Weg

Wir haben die Chance erhalten, zum Ende des Jahrhunderts einen Kontinent ohne jene Fehler und Probleme zu bauen, die aus dem 19. Jahrhundert stammen und zu Beginn des Jahrhunderts zu Katastrophen wie einem Weltkrieg geführt haben. Ist es nicht vor mehr als zehn Jahren eine Freude gewesen, unerwartet diese Chance zu erhalten? Zwar gibt es heute viele, die behaupten, schon damals gewusst zu haben, dass Kommunismus und Sowjetmacht zusammenbrechen würden, nur hätten sie es damals nicht gesagt. Ich bin "trotzdem" optimistisch, denn - um es vorwegzunehmen - in den Jahren seither ist ungeheuer viel gelungen. Man sollte sich aber ernst mit den Dingen auseinandersetzen und die Frage stellen, was denn der Grund für den Skeptizismus ist, der uns heute begleitet. Zunächst ist es die lange Liste der ungelösten Probleme, die uns täglich übermittelt wird.

In der Tat hat wieder eine Reihe von "postkommunistischen" Parteien in den Reformländern Regierungsverantwortung übernommen. Die tapferen Dissidenten der Zeit vor 1989 sind entweder freiwillig aus ihren Ämtern gegangen oder wurden abgewählt. Manche haben es vorgezogen, Intellektuelle und Künstler zu bleiben und wieder ihr normales Arbeitsfeld zu betreuen. Allerdings lässt sich sagen, dass selbst kommunistisch gebliebene Parteien wohl kaum eine Chance haben, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Es ist ein irreversibler Prozess, der in diesen Ländern stattgefunden hat. Allerdings gibt es das Argument, dass noch viele Reformen fehlten, man wohl ein demokratisches Parlament und eine frei gewählte Regierung habe, aber zu wenig geschehe, um einen entsprechenden Lebensstandard zu erreichen. Das ist wohl auch die Begründung, warum die Europäische Union und viele Regierungen - auch die österreichische - Aktionen und Programme kürzen, die der Strukturverbesserung der Reformstaaten dienen könnten.

Ein weiteres Feld der Sorge ist - wie bereits erwähnt - Südosteuropa. Man führt eingehende Debatten darüber, ob nicht die voreilige Anerkennung der jugoslawischen Teilrepubliken jene Krise ausgelöst hat, die zu schmerzlichen Menschenopfern führte und bestenfalls durch einen Waffenstillstand gelöst wurde. Diese Ansicht verkennt, dass die verschiedenen Nationen im Vielvölkerstaat Jugoslawien nichts mehr miteinander im Sinn hatten und die Anerkennung bestenfalls eine völkerrechtliche Wirkung hatte, nämlich überhaupt der internationalen Staatengemeinschaft die Möglichkeit zu geben, in die Konflikte einzugreifen.

Auch die Migration, die durch den Zerfall des Eisernen Vorhangs möglich gemacht wurde, ist Ursache der Unzufriedenheit. Dass Menschen zum "besseren Wirt" gehen, ist wohl selbstverständlich, wenn sie aber damit andere bedrängen, entstehen daraus Aggressionen und Ausländerhass. So mancher wünscht sich, dass der Eiserne Vorhang durch einen "Gummivorhang" ersetzt werden sollte, noch dazu wenn Arbeit, Low-Tech und geschäftliche Möglichkeiten in die neuen Demokratien abwandern.

Auch die Tatsache, dass die Sicherheitsfrage für Europa neu gestellt wird, beunruhigt. Die europäischen Regierungen müssen zur Kenntnis nehmen, dass sie gerade am Balkan zunächst versagt haben und der ehemalige US-Präsident Bill Clinton einen substanzielleren Beitrag als sie selbst geleistet hat, wofür er allerdings in der internen Diskussion in den USA gescholten wird. Ich habe selbst erlebt, dass in einer TV-Diskussion des früheren Präsidenten George Bush mit Lady Margaret Thatcher und Michael Gorbatschow die Rolle der USA als Weltpolizist geleugnet wurde, wenngleich sie gerade auf dem Balkan offensichtlich ist.

Der Hintergrund mag die Tatsache sein, dass die Bipolarität der Welt - verkörpert durch die Supermächte USA und Sowjetunion - der Geschichte angehört, obwohl es doch so schön war, eben diese Welt einfach erklären zu können. Auf der einen Seite die Guten, auf der anderen Seite das "empire of the evil", wie uns Ronald Reagen wissen ließ. Populisten aller Art versuchen nun, ihre politische Ernte einzubringen, indem sie an die Stelle der früheren Schwarzweißmalerei neue Feindbilder setzten. Die "axis of the evil" (George W. Bush) ist nur eine logische Konsequenz.

Wer fehlt uns auf diesem Weg? Zuerst keine Visionen und dann zu viele! In aller Deutlichkeit sei es gesagt: Die westlichen Demokratien hatten keine blue prints in der Tischlade, um eine Antwort auf den Zerfall des Sowjetblocks und der kommunistischen Parteien zu haben. Nichts hatte man sich für den Fall überlegt, dass der ersehnte und von Radio Free Europe und Radio Liberty herbeibeschworene Umbruch tatsächlich stattfindet. Dann aber gab es die triumphale Feststellung, dass der Sieg der Demokratie und der freien Marktwirtschaft evident sei. Marshallpläne aller Art geisterten durch die Gegend, alle sprachen von Wirtschaftsaufschwüngen, niemand aber tat so recht etwas dazu. Es sind die "Mühen der Ebene", in denen wir uns nun befinden. Es sind keine spektakulären Erfolge zu erzielen, sondern Punkt um Punkt muss erreicht werden, um einen gemeinsamen Kontinent Europa heranzubilden. Was uns heute fehlt, ist jene Meta-Ebene, die vor 1989 Mitteleuropa war. Dieses legendäre Mitteleuropa hat in Wirklichkeit nicht existiert, sondern wurde von Menschen wie dem ungarischen Literaten György Konrad beschworen. Er sprach von einer Gartenparty, wo wir herumgehen und miteinander Gespräche führen und gleichzeitig die Schönheit unserer Welt genießen. Wer spricht heute noch davon, wenngleich wir nach langem wieder die Vielfalt der Kulturen gerade in der Mitte Europas genießen können?

Wir haben viel erreicht. Eigentlich ist es lächerlich, dass man überhaupt davon reden muss, aber der Ordnung halber sei es einmal zusammengefasst. 1989 und die Jahre darauf haben viel mehr Menschen die Chance auf Menschenrechte und Demokratie gebracht, als wir uns träumen ließen. Noch immer sind Demokratien unter den Staaten der Welt in der Minderheit, aber ihre Zahl ist durch den Fall des Eisernen Vorhangs größer geworden. Wir haben auch jene menschenunwürdigen Zustände beseitigt, die Ausgang und politische Lösungen des Zweiten Weltkriegs erzeugt haben. Bis jetzt haben wir vermieden, dass das Auseinanderbrechen eines großen Reiches - wie es sonst in der Geschichte der Fall war - zu einem Dritten Weltkrieg geführt hat. Wir können stolz darauf sein, dass jener "dritte Korb", der in den Helsinki-Akten seit 1977 gerade den geistigen Menschen Europas so wichtig gewesen ist, Wirklichkeit geworden ist. Ich möchte auch feststellen - als Christ ist mir das wichtig -, dass sich jene Ideologien verabschiedet haben, die den Menschen ein Paradies auf Erden verheißen haben. Eine vollkommene Welt ist nicht möglich, jede Ideologie führt zu einer Unterdrückung von Menschen, wenn sie dieser Idee folgt.

Wir müssen auch erleben, dass sich der Westen verändert hat, denn wir wurden nach unseren Werten gefragt, die wir in die Reformstaaten bringen sollten, und haben mit McDonalds-Läden geantwortet. Ich sehe es als positiv an, dass uns klar geworden ist, dass wir "nackt und bloß" sind. Demokratie und civil society konnten wir bieten; bei der Erklärung, was das denn sei, tun wir uns schon schwerer. Natürlich haben die Veränderungen die Gefahr des Fundamentalismus und der Polarisierung heraufbeschworen. Angst allein gilt aber nicht, wir sind um Antworten gefragt.

Auch die Einteilungen früherer Zeit halten nicht mehr. Wir können nicht mehr von der Ersten, Zweiten und Dritten Welt reden, denn die Zweite besteht nicht mehr. Vielmehr ist die Frage gestellt, ob diese zur Ersten oder zur Dritten kommt.

Wir haben weiters die Möglichkeit des einen Kontinents, anstatt dass jeweils eine Hälfte der Appendix einer Supermacht ist, die im Wesentlichen außerhalb unseres Kontinents liegt. Wir haben die Chance der Wiederentdeckung Europas, wobei uns die erwähnte Tatsache hilft, dass die politische Geografie der natürlichen wieder ähnlich wird.

Die Situation verlangt, dass wir viele Fragen an uns stellen, denn es gibt viel zu tun. Wenn die Jugend wissen will, was das ist, dann sei auf jene Liste verwiesen, die sich aus der Veränderung seit 1989 ergeben hat. Das ist kein Grund zum Pessimismus, sondern zur Freude, denn es gibt klar erkennbare Aufgaben. Nur wird sie niemand machen, wenn nicht wir. Seien wir uns also der Fragen bewusst: Was ist die finalité d`Europe? Sind Vorschläge wie ein Europa der konzentrischen Kreise oder ein Kerneuropa eine Lösung oder nicht wieder eine Teilung dieses Kontinents? Sind wir wirklich bereit, eine Europäische Union für alle zu machen, wie es der Name der Gemeinschaft verheißt? Oder schließen wir jemanden aus, weil es uns zu mühselig ist, die Gemeinschaft nach dieser größeren Anforderung umzuformen? Wie weit reicht der eigene Kontinent und wie weit reicht auch die Verantwortung dieses Kontinents für den "Rest der Welt"? "Festung Europa" ist keine solidarische Antwort.

Die bipolare Welt ist von einer polyzentristischen abgelöst worden. Die weitere Entwicklung der Europäischen Union wird nicht mehr durch den Druck vom Osten ermöglicht, sondern ist eine Sache der freien Entscheidung. Die kleinen Staaten werden erstmalig ähnliche Chancen vorfinden, wie sie die großen schon hatten. Einmalig in der Geschichte ist der Vorgang, dass aus freier Entscheidung von Parlamenten und Regierungen, aber v.a. der Bürger, eine europäische Verfassung Schritt für Schritt entsteht. Die stärkere Betonung der Regionen entspricht der Vielfalt Europas, nur muss es die Bereitschaft geben, dies auch zu akzeptieren.

Nation und Staat sind neuerlich in Diskussion. Ernest Gellner ist zu folgen, wenn er als Definition für die Nation die Kultur heranzieht. Wer aber wird das Gespräch darüber führen? Wir brauchen uns nicht über das staatliche Auseinanderbrechen im Osten Europas zu erregen, denn auch die westlichen Zentralstaaten stehen unter Druck. Spanien kann nicht nur wegen der Basken, sondern auch wegen Katalonien nicht mehr als zentralisierter Staat angesehen werden. Bei Italien kommen die alten Strukturen des Königreichs beider Sizilien, des alten Kirchenstaates und der nördlichen Stadt-Staaten wie Mailand und Venedig wieder sehr deutlich zum Vorschein. Minderheiten sollten nicht nur Personenrechte, sondern kollektive Rechte haben, wobei die Entwicklung zur Region hier eine Hilfe sein kann, mit der Buntheit der Völker in unserem Teil Europas fertig zu werden. Ist nicht Desintegration größerer Einheiten eine Voraussetzung zur Integration? Es ist auch die Frage zu beantworten, inwieweit das locker im Mund geführte "multikulturelle" Prinzip mit der politischen Verträglichkeit harmonisiert. Welche unterschiedlichen Kulturen sind in der Lage, miteinander zu leben oder gar einmal eins zu werden?

Sicherheit der Instrumente

Ein ganzer Block von Fragen ist um das Problem der Sicherheit gerankt. Wir haben eine neue Unübersichtlichkeit, denn in Fragen der Sicherheit treten die Vereinten Nationen, OSZE, NATO, WEU, der Europarat und einige andere mehr auf. Wird man damit die Probleme lösen? Kriminalität hat sich weltweit organisiert und längst moderne Mittel wie das Internet in Besitz genommen, während wir quasi noch mit der Steinschleuder diese Entwicklung bekämpfen, indem uns der nationale Egoismus wichtiger ist als der Schutz der Menschen. Wer redet über Bildung, einen Bereich, dessen mittel- und langfristige Bedeutung in der Kurzfristigkeit der Politik untergeht? Wer ist sich darüber im Klaren, dass Medien eine ungeheure Bedeutung haben und längst zu einer europäischen, ja weltweiten Information geführt haben?

Auch die Konflikte in Europa, die möglich und wahrscheinlich sind, müssen wir bewältigen. Bestimmte Konfliktlinien sind klar erkennbar. Unsere Welt, die jüdischchristlich und durch die Aufklärung geprägt ist, hat das Gespräch mit jener, in der die Orthodoxie geistige Grundlagen bestimmt hat, noch nicht aufgenommen. Der Cäsaropapismus, die Abhängigkeit des Geistig-Religiösen vom Staat, spielt eine entscheidende Rolle. Auch wir reden vom Ende der Aufklärung und verkennen gleichzeitig, dass Mythen und Romantizismen neuerlich eine Rolle spielen. Verschärft wird die Situation noch dadurch, dass praktische Probleme wie Umwelt, Migration und Verkehr nicht gelöst werden, sondern eigentlich nur der Entrüstung dienen.

In regelmäßigen Abständen hat die Europäische Kommission ihren Fortschrittsbericht über die Lage und die Erfüllung der Beitrittskriterien durch die Länder, die sich um einen Beitritt zur Europäischen Union beworben haben, veröffentlicht. Dieser Bericht wird seit 1998 jährlich von der EU publiziert und basiert auf den Kriterien, die der Europäische Rat von Kopenhagen 1993 festgelegt hat: Stabilität der politischen Institutionen, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Schutz der Minderheiten, wirtschaftliche Kriterien, der Existenz einer funktionierenden Marktwirtschaft und der Fähigkeit, im Wettbewerb am Binnenmarkt zu bestehen sowie alle Rechte und Pflichten der Mitgliedschaft zu übernehmen.

Im Hinblick auf die politischen Bedingungen hat bereits der letzte Bericht festgestellt, dass alle Kandidatenländer diese erfüllen, auch wenn einige noch gewisse Defizite beim Schutz von Menschenrechten und Minderheiten aufweisen. Als Probleme, die bestehen bleiben und weitere Verbesserungen notwendig machen, nennt der Bericht die Modernisierung des öffentlichen Sektors und des Rechtswesens, die Korruption, das immer noch wachsende Problem des Frauen- und Kinderhandels, die Situation der Roma und Sinti sowie die Gleichbehandlung von Frauen und Minderheiten, also weitestgehend Fragen der Sicherheit.

Ein ganz besonders großes Problem ist die nach wie vor weit verbreitete Korruption, insbesondere auch in der öffentlichen Verwaltung. Die EU gesteht zwar den Kandidatenländern zu, dass sie hier bereits eine Reihe von Maßnahmen gesetzt hätten, kritisiert jedoch, dass diese Maßnahmen bisher wenig wirksam gewesen wären. Als verstärkende Faktoren werden auch die niedrigen Gehälter in der öffentlichen Verwaltung und der verbreitete Gebrauch von bürokratischen Kontrollen in der Wirtschaft genannt. Diese Tatsache behindert natürlich die wirtschaftliche Entwicklung der Kandidatenländer, betrifft aber auch deren militärische und zivile Sicherheitseinrichtungen.

Damit peilt die Europäische Union einen Sicherheitsbegriff an, der heute zweifellos notwendig ist, dem sie aber selbst noch nicht ganz entspricht. Es ist zu hoffen, dass der Verfassungskonvent auch in diesen Fragen eine Klärung bringt. Zwar wurde die "dritte Säule" entwickelt, aber deren Wirksamkeit lässt noch zu wünschen übrig. Die EUROPOL ist nach wie vor damit beschäftigt, sich selbst als wirksames Instrument EU-intern aufzubauen. Dafür ist sie nicht zu kritisieren, denn die Harmonisierung einschlägiger Bestimmungen wie etwa die des Datenschutzes und des Informationsaustausches braucht zweifellos Zeit und v.a. auch Gewöhnung durch die traditionellen nationalen Apparate. Welche politischen Schwierigkeiten auftreten können, wurde auch klar, als es darum ging, den europäischen Fahndungsauftrag zu artikulieren. Umso komplexer ist die Situation im militärischen Bereich, weil es zunächst die Westeuropäische Union (WEU) war, die zwar in einer rechtlich starken, aber praktisch nicht existenten Weise die militärische Sicherheit Europas zur Aufgabe hatte. Interessanterweise kommt in allen diesen Fragen die oft zitierte Variabilität der EU-Lösungen zum Ausdruck. Schengen gilt nicht für alle EU-Mitgliedsländer, die Teilnahme an militärischen Aktionen ist ebenso durch unterschiedliche nationalstaatliche Traditionen beeinflusst. Das gilt in hohem Ausmaß für Österreich, wenngleich sich die gegenwärtige Regierung bemüht hat, durch praktische Maßnahmen, v.a. durch Teilnahme an diversen Aktionen, die prinzipielle Behinderung durch die österreichische Neutralität zu reduzieren. Schweden und Finnland sowie Irland kennen ebenso Neutralitätstraditionen, wenngleich sie rein verfassungsrechtlich nicht so stark verankert sind, wie das bei uns der Fall ist. Interessanterweise kommt das v.a. bei den gemeinsamen Aktionen in Südosteuropa zum Ausdruck, wo es den Willen aller Mitgliedsländer gibt, daran teilzunehmen, die Möglichkeiten bei einigen aber schon rein rechtlich beschränkt sind. Dass dazu noch die Enge der finanziellen Mittel und die ewige Debatte, wer welchen Anteil trägt, kommen, macht die Sache weder attraktiver noch effizienter.

Europa - USA

Traditionell ist die Sicherheit Europas seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sehr stark von den USA bestimmt. Um genau zu sein, war es die Situation der Ost-West-Teilung seit 1948, die durch den Kalten Krieg und die Phase der friedlichen Koexistenz dazu geführt hat, dass der demokratische Teil des Kontinents im Wesentlichen durch die NATO geschützt war. Das gilt auch für Länder, die dem Militärbündnis nicht angehörten, wie etwa Österreich, was bei der Invasion der Warschauer-Pakt-Truppen in Prag 1968 sehr bewusst wurde. Der Fall des Eisernen Vorhangs und der Berliner Mauer hat dazu geführt, dass die NATO zum ersehnten Sicherheitsinstrument der meisten europäischen Staaten wurde. Die Aufnahme Polens, der Tschechischen Republik und Ungarns war ein wesentlicher Schritt in diese Richtung.

Natürlich ist auch altes Blockdenken noch immer vorhanden. Das ist nicht nur bei der Neutralitätsdiskussion in Österreich ersichtlich, sondern v.a. bei manchen Kommentaren von russischer Seite. Hier oszilliert das Verständnis von publikumswirksamen Ankündigungen einer Mitwirkung der Russischen Föderation an der NATO bis hin zu kritischen Stellungnahmen gegenüber Ländern, die die Aufnahme anstreben. Es ist kein Wunder, dass alte Bedrohungsbilder bzw. Polarisierungen noch in den Köpfen der Menschen existieren, zu lange waren sie bestimmend für das Verständnis von Sicherheit in Europa.

Ein anderes Element, das durch die Ereignisse des 11. September 2001 noch eine Verschärfung gefunden hat, wird jedoch stärker. Auf der einen Seite wollen die Europäer innerhalb und außerhalb der NATO selbstständiger und eigenverantwortlicher für ihre Sicherheit werden, auf der anderen Seite gibt es eine gewisse Abhängigkeit gegenüber den USA, die v.a. logistisch und von ihrer Stärke als Supermacht her der wirklich entscheidende Spieler auf dem Feld ist. Interessanterweise haben Krisen auf dem Sicherheitsgebiet und militärische Aktionen in diesem Zusammenhang immer dazu geführt, dass die EU handlungsfähiger geworden ist, wenngleich sie noch weit davon entfernt ist, selbstständig und rasch agieren zu können. Die Schaffung des High-Representative im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) war eine Konsequenz des Bosnien-Kriegs, die Diskussion über die Rapid Reaction Force eine notwendige Überlegung nach dem Kosovo-Krieg, da in Wahrheit manche europäische Staaten nur Beiträge leisten können, nicht aber in der Lage sind, selbst handlungsfähig zu sein.

Die Attacken von Terroristen auf das World Trade Center in New York und auf das Pentagon in Washington haben dieses Spannungsverhältnis noch aktualisiert. Die USA haben zwar ihre Bündnispartner innerhalb der NATO nach diesen Ereignissen angesprochen, im Wesentlichen jedoch selbst die Schritte vorgegeben, die sie zur Bekämpfung des Terrorismus zu tun gedenken. Wer aller an den kriegerischen Auseinandersetzungen in Afghanistan teilgenommen hat, gibt einen Überblick über die unterschiedlichen Positionen. Vor allem ist es Großbritannien unter Tony Blair, das relativ vorbehaltlos mit den USA geht, während in der Auseinandersetzung nach den Kämpfen in Afghanistan die unterschiedlichen Stimmen Europas deutlich zum Ausdruck kommen. Vielfach sind es Prozesse, die innerhalb einzelner EU-Mitgliedsländer noch unentschieden sind, wie die deutsche Diskussion sehr deutlich zeigt. Auch sind manche Entscheidungen wie etwa jene über Fluggeräte mit innenpolitischen Fragen verknüpft. Dabei soll nicht verkannt werden, dass gerade die Ereignisse in Südosteuropa dazu geführt haben, dass sich die Rolle Deutschlands grundlegend verändert hat. Es ist ein historisches Ergebnis der Regierung des deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder und seines Außenministers Joschka Fischer, dass heute niemand mehr das Engagement unseres Nachbarn in Südosteuropa aus geschichtlichen Gründen in Zweifel zieht. Damit ist quasi die Normalisierung auch im Sicherheitsbereich geschehen - jene Normalisierung, die von allen politischen Bereichen am längsten gedauert hat.

Welchen Weg Europa bzw. die Europäischen Union in Fragen der militärischen Sicherheit geht, ist nach wie vor offen. Grundsätzlich stimmen die meisten zu, dass die EU selbst auf diesem Gebiet handlungsfähig werden muss. Allerdings ist die gegenwärtig starke nationalstaatliche Akzentuierung der EU-internen Entscheidungen mit Sicherheit ein Hindernis auf diesem Weg. Daran wird auch die Erweiterung der EU nichts ändern. Es besteht vielmehr der Verdacht, dass die Erhöhung der Zahl der Mitgliedsländer von 15 auf 25 den Entscheidungsmechanismus noch schwieriger gestalten wird. Die Tatsache, dass gerade die Kandidatenländer die großen Interessenten in Fragen der militärischen Sicherheit sind, ändert nichts daran, weil ihre eigene Stärke relativ gering ist und sich in gewissen Dimensionen sogar als eine Belastung für die NATO erweisen kann. In einem eigentümlichen Kontrast dazu steht das Interesse der traditionellen EU-Mitglieder in Fragen der zivilen Sicherheit, die in den Kandidatenländern noch nicht in zufriedenstellendem Ausmaß existiert. Die Positionierung des Österreichischen Bundesheeres entlang der ungarischen Grenze ist ein Zeichen dieser Situation, wenngleich es in den letzten Jahren entscheidende Verbesserungen in unserem Nachbarland geben hat.

Damit ist die Relevanz der EU-Erweiterung für die Sicherheit in Europa gegeben. Konträr dazu läuft die öffentliche Auseinandersetzung, die mehr auf Fragen der Migration, des Kohäsionsfonds der EU und der Institutionen fokussiert. Wer allerdings die Erweiterung der EU ernst nimmt, muss sich mit diesen Fragen der Sicherheit auseinandersetzen. Am ehesten gibt es noch ein öffentliches Bewusstsein in puncto Kriminalitätsbekämpfung und den damit verbundenen Problemen der Migration, nicht aber unter dem Gesichtspunkt militärischer Sicherheit und deren Übergängen in den zivilen Bereich. Gerade aber die Herausforderung des demokratischen Systems durch den Terrorismus macht eine Auseinandersetzung mit diesen Fragen immer wichtiger.

Die Ereignisse nach dem 11. September 2001 haben eine Zuspitzung der Situation ergeben. Es lässt sich gegenwärtig nicht abschätzen, wie sich die Lage im Nahen Osten entwickelt; dass sie aber einen großen Einfluss auf die europäische Sicherheit hat, sollte jedem wohl klar sein. Interessanterweise ist in der Öffentlichkeit das Gefühl sehr stark, dass alle diese Entwicklungen weit von uns entfernt seien. Die Berichte über das Auftauchen von Al-Qaida-Kämpfern in Bosnien-Herzegowina während der dortigen Auseinandersetzungen werden ebenso wenig ernst genommen wie die Tatsache, dass der Terrorismus heute ganz sicher global agiert. Offensichtlich ist der Mangel des Lernvorganges im neuen Europa auch darin zu sehen, dass uns zu wenig bewusst ist, dass Südosteuropa zu unserem Kontinent gehört, eben dieser Kontinent an die Schwarzmeer-Region angrenzt und die Kaukasus-Staaten in ihrem Selbstverständnis zu Europa gehören, wie das die zentralasiatischen Republiken auch eindrucksvoll darzustellen versuchen. Natürlich entspringt das den Sehnsüchten und der Hoffnung, quasi ins gelobte Land der EU zu kommen, aber die Verbindung wird nicht nur durch Menschen- und Drogenhandel, durch Emigrantenströme, durch Öl- und Gasreserven rund um das Kaspische Meer, sondern auch durch die globale Vernetzung des Terrors klar.

Pulverfass Balkan?

Es ist eine traditionelle europäische Darstellungsweise, den Balkan bzw. Südosteuropa als Pulverfass zu bezeichnen. Der Begriff der Balkanisierung steht für Fragmentierung, Streitigkeiten, Schwäche des staatlichen Systems und ein Defizit an Sicherheit. Mit der Wirklichkeit stimmt das insofern nicht mehr überein, als nach zwei Jahrhunderten die Staaten in dieser Region erstmals auf dem Weg zur Handlungsfähigkeit sind und die Sicherheitsfragen der Region noch viel stärker als früher global vernetzt sind. Der praktische Katalog der Sicherheitsaufgaben, die der im Juli 1999 in Sarajevo beschlossene Stabilitätspakt für Südosteuropa wahrnimmt, gibt ein deutliches Zeichen davon.

Einige Beispiele seien erwähnt: In einer Initiative wird versucht, small arms and light weapons (SALW) einzusammeln, die in einem hohen Ausmaß in der Region vorhanden sind und nicht nur in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo, sondern auch in Albanien, Mazedonien und Serbien wesentlich zu Konfliktsituationen beigetragen haben. Der Stabilitätspakt versucht, gemeinsam mit der UNDP Aktivitäten der Sammlung und der Entwaffnung durchzuführen. Die Frage, woher die Waffen kommen, ist relativ leicht beantwortet, nämlich aus allen Gebieten, die über eine fragwürdige Sicherheit verfügen. Moldawien bzw. Transnistrien sind hier ebenso von Interesse wie die Region um Kaliningrad, wobei dazugesagt werden muss, dass diese Produkte oft aus Mitglieds- oder Kandidatenländern der Europäischen Union kommen. Vom früheren Waffenpotenzial der Sowjetunion, heute Russische Föderation, Ukraine, Weißrussland etc. ganz zu schweigen. Waren es früher Staaten, die aus ideologischen Gründen verschiedene Gruppen auf der ganzen Welt mit Waffen versorgt haben, so sind es heute handfeste finanzielle Interessen, die dafür verantwortlich sind. Dazu kommt noch, dass die Armut in manchen Gebieten dazu führt, den Waffenhandel als eine Existenz begründende Einnahmequelle zu sehen.

Ein weiteres Problem sind die militärischen Kapazitäten vergangener Zeiten. Zwar gibt es Versuche, zur Abrüstung und zur Demilitarisierung beizutragen und v.a. den Berufssoldaten und Offizieren zivile Tätigkeiten zu vermitteln. Begrenzte Erfolge sind aufzuweisen, doch gibt es sicher auch Probleme mit Mentalitäten früherer Zeiten, die wieder zu Frustrationen politischer Art Anlass geben. Ein besonderes Kapitel ist der Abbau früherer Sicherheitsapparate, die oft ziemlich direkt in die Wirtschaft, aber auch in die damit verbundene Kriminalität gehen.

Unabhängig davon erhebt sich auch die Frage, was mit dem militärischen Sicherheitspotenzial der Kandidatenländer sowie jener Länder geschieht, die eine europäische Perspektive haben. In Südosteuropa sind dies durch den Stabilitätspakt alle Länder der Region, wenngleich mit unterschiedlichen möglichen Zeittafeln. Gerade für diese Zeittafeln spielen allerdings Sicherheitsprobleme eine entscheidende Rolle, denn bevor nicht Protektorate wie Bosnien-Herzegowina und Kosovo der Vergangenheit angehören, ist wohl mit einer Kandidatur für die Aufnahme in die Europäische Union für diese Länder nicht zu rechnen. Ähnliches gilt für Mazedonien, weil ja immerhin die innere Stabilität eines Beitrittskandidaten quasi ein politisches Aufnahmekriterium ist. Gerade in diesen Bereichen sind die Grauzonen zwischen militärischer und ziviler Sicherheit eindeutig. Die Funktionsfähigkeit der Apparate ist eine entscheidende Voraussetzung, wobei das vordergründig für die Polizei, aber ganz selbstverständlich auch für den militärischen Bereich gilt.

Noch mehr Fragezeichen gibt es im Hinblick auf die Ukraine und Weißrussland. Die Europäische Union, aber auch die USA konnten bisher noch keine überzeugende Strategie entwickeln. Wir Europäer drücken uns um die Frage, ob diese Länder Kandidaten für die Europäische Union sein können. Zum Unterschied von der Russischen Föderation, deren politische Elite die Perspektive der EU-Mitgliedschaft nicht haben will, sind diese Länder unterschiedlich, aber doch interessiert, am europäischen Integrationsprozess teilzunehmen. Ähnliches gilt für Moldawien, das allerdings durch die Defacto-Teilung zwischen dem Gebiet, für das die Regierung verantwortlich ist, und Transnistrien, das seine eigenständige Existenz dem russischen Einfluss und der früheren 14. Armee unter General Alexander Lebed verdankt, in sich schon ein Sicherheitsproblem unter beachtlichen militärischen Aspekten darstellt. Es gibt Stimmen in der Russischen Föderation, die Transnistrien quasi als eine Art Flugzeugträger an Land und damit als eine vorgeschobene militärische Position betrachten.

Das sind aber nicht die einzigen Probleme an den Rändern Europas. Das Eingreifen von US-Militärs in Georgien gibt nur einen kleinen Hinweis, genauso wie dessen zunehmendes Engagement in Zentralasien. Damit sind aber Fragen europäischer Sicherheit verbunden, wobei gerade in dieser Region die Türkei ins Spiel kommt. Es ist nicht nur die kulturelle Verwandtschaft (Turk-Völker), sondern zweifellos auch die geografische Nähe sowie die Fähigkeit, mit diesen Staaten umzugehen. Wirtschaftlich ist das Engagement, das der NATO-Partner Türkei hier vornimmt, beachtlich, wenngleich es innerhalb der EU nicht in diesem Ausmaß registriert wird. Die Türkei ist ein EU-Kandidatenland, wenngleich die Verhandlungen nicht eröffnet sind, weil die Kopenhagen-Kriterien betreffend Demokratie und Marktwirtschaft als nicht erfüllt gelten. Das ändert nichts an der Tatsache, dass die Türkei sicherheitspolitisch ein ganz wichtiger Partner ist. Hier erübrigt sich die Diskussion, ob die Türkei nun Europa sei oder nicht, denn seit Bestehen der sowjetischen Herausforderung hat sie gerade in ihrer Rolle am Bosporus eine entscheidende Position gehabt. Einen besonderen Akzent erhält die Situation dadurch, dass aus der Tradition von Kemal Atatürk das Militär verfassungsmäßig den Garanten einer stabilen Entwicklung darstellt - ein Faktum, mit dem wir Europäer schwer umgehen können.

Kommt es zum Big Bang?

Gesichertes und Endgültiges über die gegenwärtige Phase der Erweiterung der Europäischen Union lässt sich wohl erst nach Abschluss der Verhandlungen sagen. Nach wie vor gilt das Jahr 2004 als angestrebtes Zieldatum, wenngleich eine Reihe von Fragen nicht nur der Erweiterung, sondern auch der inneren Verfasstheit der Europäischen Union durchaus den Termin bis 2005 oder 2006 verschieben könnten. An sich ist das keine Tragik, weil die Verhandlungen mit den meisten der Kandidatenländer so weit gediehen sind, dass der point of no return überschritten ist. Ziemlich klar ist gegenwärtig, dass Rumänien und Bulgarien nicht in die erste Runde der Erweiterung selbst gehören werden. Damit eröffnet sich für die Phase danach eine interessante Konstellation, weil damit Länder wie Kroatien in ihrer gegenwärtigen Entwicklung in die Nähe einer solchen zweiten Runde rücken. Mehr Spekulationen lassen sich aber gegenwärtig daran noch nicht anschließen, denn es wird sicher auch zu einer Auseinandersetzung darüber kommen, wann und in welchem Umfang ein solcher zweiter Erweiterungsschritt stattfinden soll. In der Zwischenzeit wird es notwendig sein, dass die inneren Verhältnisse der Europäischen Union die Entscheidungsfähigkeit garantieren. Alles andere würde zu einer derartigen Verflachung der ohnehin streckenweise behinderten Aktionsfähigkeit führen, dass die Europäische Union nicht nur sicherheitspolitisch, sondern im Gesamten eigentlich kein Akteur mehr wäre. Über all dem steht nämlich jener Satz, der in den USA immer wieder kritisch zur EU vermerkt wird: "The European Union is a global payer but not a global player." Dass Sicherheitsfragen - insbesondere der militärische Aspekt - unter diesem Gesichtspunkt zu sehen sind, versteht sich von selbst.

Die Tatsache, dass Rumänien und Bulgarien nicht in der ersten Runde sind, hat allerdings auch eine sicherheitspolitische Komponente, nämlich vor dem Hintergrund der NATO-Erweiterung. Politisch und psychologisch wäre es nämlich äußerst problematisch, Rumänien und Bulgarien zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu einer NATO-Mitgliedschaft einzuladen. Geopolitisch gesehen stellen diese beiden Länder eine Brücke zwischen dem NATO-Mitglied Ungarn und den strategisch wichtigen NATO-Mitgliedern Türkei und Griechenland dar. Ohne gegenüber den baltischen Staaten kritisch sein zu wollen, ist wohl die NATO-Mitgliedschaft der beiden genannten Länder von größerer Bedeutung. Die Interessen rund um die Ostsee sollen nicht verkannt werden, ebenso aber auch nicht die Problematik der Relation zur Russischen Föderation. Wenn Rumänien und Bulgarien nicht eingeladen werden, ergibt sich die Situation der double rejection, was sicher nicht förderlich für den Gedanken der europäischen Integration und der Stabilität in Südosteuropa wäre. Die NATO-Erweiterung kann zwar kein Ersatz für die EU-Erweiterung sein, spielt aber in einem integrierten Sicherheitsbegriff gerade in Südosteuropa eine entscheidende Rolle. Man wird sehen, wie sich der NATO-Gipfel in Prag entscheidet, er hat aber zweifellos eine große Bedeutung für die Sicherheitssituation Europas, insbesondere unter den Aspekten der Nachbarschaft zum Schwarzen Meer und zum Nahen Osten. Dass eine NATO-Zugehörigkeit innenpolitisch stabilisierend wirkt und zu grenzüberschreitender Zusammenarbeit auch für diese beiden Länder führen muss, versteht sich von selbst. Bei Rumänien ist das insbesondere im Hinblick auf das immer wieder schwierige Nachbarschaftsverhältnis zu Ungarn von Bedeutung. Alles, was dazu führt, dass die Frage der ungarischen Minorität in Rumänien leichter zu bewältigen ist, ist hilfreich. Bei Bulgarien wieder ist es die Frage der türkischen Minderheit und des traditionell schwierigen Verhältnisses zu Griechenland, wo die Mitgliedschaft ebenso stabilisierend in grenzüberschreitender Funktion wirkt. Wie stabilisierend die NATO bisher in Europa gewirkt hat, sieht man an den komplexen Beziehungen Griechenland - Türkei.

Alle diese Aspekte zeigen sehr deutlich, dass die gegenwärtig laufende Diskussion hinsichtlich der wirtschaftlichen Praktikabilität der EU-Erweiterung einfach zu schmal ist. Ein Blick auf die Landkarte lehrt, welche Bedeutung für Europa damit wirklich verbunden ist.

Import oder Lösung von Problemen

Einige länderspezifische Aspekte verdienen unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit besondere Beachtung. Die Fragen selbst sind bekannt, werden aber immer stärker unter dem Gesichtspunkt der Geschichte und der innenpolitischen Auseinandersetzung gesehen.

Ungarn: In letzter Zeit kamen in Ungarn wieder stärker die Konsequenzen aus dem Friedensvertrag von Trianon zum Vorschein. In anderen Ländern ist dieser Vertrag, der als Bestandteil der Pariser Vorortefriedensbestimmungen die politische Situation nach dem Ersten Weltkrieg fixierte, kein Begriff mehr. Für Ungarn führte er dazu, dass namhafte ungarische Minderheiten in der Tschechoslowakei (heute Slowakei), in Rumänien (Siebenbürgen), in der Vojvodina (heute Republik Serbien) entstanden. Auch in Slowenien und in Österreich, verstärkt noch dazu durch die Emigration nach dem Budapester Aufstand 1956, ist das der Fall, spielt aber politisch keine wie immer geartete Rolle. Die Gefahr der Diskussion über die Gerechtigkeit dieses Vertrages führt dazu, dass eine mögliche Destabilisierung v.a. in Rumänien und der Slowakei stattfinden könnte. Bis jetzt ist es den politischen Repräsentanten der ungarischen Minderheit gelungen, ein wichtiger Bestandteil für Regierungsbildungen zu sein und damit eine Artikulation ihrer eigenen Interessen zu ermöglichen. Niemand weiß aber, wie lange das der Fall sein wird. Eine grenzüberschreitende Kooperation, politisch wie militärisch, würde sicher zu einer gewissen Entspannung beitragen.

Slowakei: Die strategische Bedeutung der Slowakei ist nicht zu unterschätzen. Ihre Ost-West-Erstreckung hat dazu geführt, dass der frühere ungarische Staatspräsident Arpad Göncz die sicherheitspolitische Dimension der Slowakei einmal bildhaft beschrieb: "Die Slowakei ist wie ein Pfeil, es kommt darauf an, in welche Richtung man ihn abschießt." Die Tatsache, dass die Slowakei im Osten an die Ukraine grenzt und im Westen nur 60 Kilometer von Wien entfernt liegt, zeigt sehr deutlich, welche Möglichkeiten und Risken damit verbunden sind. Die stete Diskussion, ob Wladimir Meciar als Ministerpräsident europaverträglich ist, hat hier wohl ihren Hintergrund.

Polen: Die Nachbarschaft Polens zur Ukraine und zu Weißrussland bedarf keiner weiteren sicherheitspolitischen Erörterung. Alle polnischen Regierungen haben es bisher verstanden, gerade zur Ukraine ein gewisses Kooperationsverhältnis zu entwickeln, was auf Grund der historischen Belastungen durchaus anerkennenswert ist. Die Nachbarschaftsrolle ist hier sicherheitspolitisch sehr wichtig und kommt durch die gegenwärtige NATO-Mitgliedschaft bereits zum Ausdruck.

Tschechien: Die Sicherheitsfrage wird v.a. in Österreich, aber auch in Bayern mehr unter dem Gesichtspunkt eines Atomkraftwerkes, nämlich Temelin, verstanden. Die Auseinandersetzung um die Bene¹-Dekrete ist wohl mehr ein Ausdruck der Vergangenheitsbewältigung, kann aber bei einer Zunahme der Spannungen auch sicherheitspolitisch relevant sein. Die Tatsache, dass die historische Aufarbeitung bis 1989 nicht stattfand und seither nur bescheiden und unter oft einseitigen historischen Darstellungen betrieben wird, macht die Angelegenheit nicht leichter. Persönlich glaube ich nicht, dass damit Sicherheitsfragen tangiert sind, aber die Diskussion erhält durch die historische Beurteilung von ethnic cleansing in der heutigen Zeit eine besondere Perspektive.

Slowenien: Sicherheitspolitisch ist der Beitritt Sloweniens zur Europäischen Union von großer Bedeutung, was schließlich auch dadurch zum Ausdruckt kommt, dass gegenwärtig eine Eisenbahnlinie ausgebaut wird, die von Ungarn durch Slowenien in Richtung Triest und Koper führt. Es ist unbestritten, dass sie für die NATO ihre Bedeutung hat. Auch die Nachbarschaftssituation zu Südosteuropa spielt hier eine Rolle, wenngleich die Slowenen überhaupt nicht daran interessiert sind, in diesem Zusammenhang genannt zu werden. Es mag auch sein, dass eine weitere positive Entwicklung in Kroatien gerade diesen Gesichtspunkt entspannt, wenngleich die Slowenen wirtschaftlich ihre Erfahrungen aus dem alten Jugoslawien sehr geschickt nutzen.

Estland, Lettland und Litauen: Unter allen Kandidatenländern für die EU kommt natürlich bei den baltischen Staaten die Sicherheitskomponente im Hinblick auf die Vergangenheit am stärksten zum Tragen. Repräsentanten dieser Länder werden nie müde, darauf hinzuweisen, dass sie als Folge des Molotow-Ribbentrop-Abkommens 1939 durch Stalin ihre Eigenstaatlichkeit verloren haben und erst seit kurzer Zeit wieder souveräne Länder sind. Daher erhält die Mitgliedschaft zur NATO eine besondere Bedeutung, wenngleich auch schon die Mitgliedschaft zur Europäischen Union eine hinreichende Sicherheitsgarantie wäre. Man muss allerdings diesen historischen Hintergrund verstehen und gleichzeitig einkalkulieren, dass es unterschiedlich große, aber bedeutende russische Minderheiten in diesen Ländern gibt. In Lettland ist es fast die Hälfte der Bevölkerung, in Estland weniger, dafür aber politisch relevant, während in Litauen das Problem am geringsten ist. Dass sich die Russische Förderation quasi als Schutzmacht versteht, ist die logische Konsequenz, wenngleich auch auf russischer Seite nicht verkannt wird, dass eine Mitgliedschaft dieser Länder in der Europäischen Union bei den benachbarten Regionen, die außerordentlich arm sind, zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Situation führen kann. Auch die Ostsee wird sicherheitspolitisch interessant, weil Schweden und Finnland keine NATO-Mitglieder sind, aber an einer sicherheitspolitischen Garantie der baltischen Staaten von sich aus ein ungeheures Interesse hätten. Die Kooperation der Ostsee-Anrainer hat sich im Baltischen Rat außerordentlich gut entwickelt, wobei auch die Teilnahme von Polen und Deutschland sowie Dänemark von großer Relevanz ist.

Sonderproblem Kaliningrad: Diese Enklave der Russischen Föderation ist quasi in der politischen Entwicklung "übrig geblieben". Dem Vernehmen nach sinkt die Bedeutung als Marinestützpunkt, wenngleich es noch immer eine beachtliche Präsenz russischen Militärs gibt. Eine Rückführung in die Russische Förderation ist schon aus finanziellen Gründen äußerst schwierig, wobei allerdings der illegale Handel mit Waffen aller Art ein entscheidendes sicherheitspolitisches Risiko darstellt. Politisch versucht die lokale Verwaltung, in eine Kooperationssituation mit der Europäischen Union zu kommen, was allerdings nicht die Frage löst, inwieweit die räumliche Präsenz dieser Enklave sicherheitspolitisch eine Herausforderung für die Europäische Union selbst darstellt. Die Russische Förderation hat in einer gewissen Phase ihrer Politik von den Polen einen "Korridor" durch ihr Land verlangt, was angesichts der Geschichte des Korridors nach Danzig, der im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs zwischen dem Deutschen Reich und Polen eine große Rolle spielte, entweder bewusst oder unabsichtlich eine politischpsychologische Belastung darstellte. Andererseits kann diese Enklave wirtschaftlich, sozial sowie politisch auch eine positive und entspannende Wirkung haben. Vielfach ist vom "Russischen Hongkong" die Rede, wenngleich die geopolitische Situierung des alten Königsberg, der Stadt Immanuel Kants, nicht so faszinierend ist wie die namensgebende ehemalige britische Kronkolonie. Dass damit ein bleibendes Thema nicht nur für die Europäisch Union existiert, versteht sich von selbst.

Zypern, Malta: In Österreich selbst ist die Aufnahme dieser Länder mit weniger Problematik versehen. Militärstrategisch war Malta im Zweiten Weltkrieg bedeutend, weil insbesondere Großbritannien von dort viele Angriffe gegen die Achsenmächte starten konnte. Noch immer gibt es vier Flugplätze auf der Hauptinsel, wenngleich diese heute unter militärstrategischen Gesichtspunkten nicht mehr so bedeutend sind. Ein Unsicherheitsfaktor ist die Tatsache, dass die Meinung über eine EU-Teilnahme unter den zwei politischen Parteien geteilt ist, so dass es bis jetzt schon jeweils nach Regierungsmehrheiten zu Beitrittsansuchen bzw. deren Zurückziehung kam.

Zypern ist kritischer zu sehen, weil die geteilte Insel selbst ein Sicherheitsproblem darstellt. Gegenwärtig ist allerdings eine Annäherung zwischen den beiden Landesteilen auf der Ebene der Politiker zu registrieren. Dass damit auch die Relation Griechenland-Türkei auf dem Prüfstand steht, versteht sich von selbst, wenngleich insbesondere die türkischzypriotische politische Führung eher die öffentliche Meinung der Türkei beeinflussen kann als umgekehrt. Auf die Situierung der Insel selbst darf verwiesen werden, strategisch hat sie gerade im Hinblick auf die Situation des Nahen Ostens eine große Bedeutung. Dass Zypern gleichzeitig der Fluchtpunkt vieler Gelder ist, deren Herkunft aus Geschäften fraglicher Art mit der Sicherheit (Waffen, Drogen etc.) rührt, ist hinreichend bekannt und wird sowohl von der EU als auch von der zypriotischen Regierung gegenwärtig bekämpft.

Stabilität und Sicherheit in Europa

Gerade die Veränderungen in der letzten Zeit müssen dazu führen, dass wir den Sicherheitsaspekten militärischer und ziviler Art mehr Bedeutung beimessen. Es wird oft mehr literarisch gesehen, dass etwa George W. Bush im Namen der USA dem Terror den Krieg erklärt hat. Die Verwendung dieser alten Kategorie "Krieg erklären" zeigt natürlich auch, in welchem Ausmaß wir alten Vorstellungen verhaftet sind. Dass allerdings der Terrorismus bekämpft werden muss, steht außer Frage, weil er in einem bisher nicht gekannten Ausmaß in der Lage ist, unsere Sicherheit zu gefährden. Die konzertierte Anwendung politischer, militärischer, polizeilicher sowie wirtschaftlicher und sozialer Mittel ist von entscheidender Bedeutung und leicht aus den Problemfeldern erklärbar. Ich spreche mich entschieden dafür aus, diesen Sicherheitsaspekt breit zu diskutieren und nicht jenes sektorale und kompetenzmäßige Denken an den Tag zu legen, das einer integrierten Vorgangsweise oft entgegensteht. Europäische Integration bedeutet nicht nur die Aufnahme neuer Länder in den Kreis der Europäischen Union, sondern auch das Zusammenwirken in den verschiedensten Bereichen des Lebens, um jene Voraussetzungen zu schaffen, die der Grundgedanke der europäischen Integration waren und sind: Stabilität des Kontinents, Wohlfahrt für die Bürger des Staates sowie eine kontinuierliche Entwicklung von Demokratie und Menschenrechten. Ohne Sicherheit geht das sicher nicht!

Dr. Erhard Busek

Geb. 1941; Vizekanzler a. D. und Bundesminister für Wissenschaft und Unterricht a. D.; 1964-1968 Parlamentssekretär im Österreichischen Nationalrat; 1972-1976 Generalsekretär des Österreichischen Wirtschaftsbundes; 1975-1976 Generalsekretär der Österreichischen Volkspartei; 1976-1978 Stadtrat in Wien; 1976-1989 Landesparteiobmann der Wiener Volkspartei; 1978-1987 Landeshauptmann-Stellvertreter und Vizebürgermeister von Wien; 1989-1994 Minister für Wissenschaft und Forschung; 1994-1995 Bundesminister für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten; 1991-1995 Vizekanzler der Republik Österreich und Bundesparteiobmann der Österreichischen Volkspartei; seit 1995 Vorsitzender des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM); seit November 1996 Koordinator der Southeast European Cooperative Initiative (SECI); 2000-2001 Regierungsbeauftragter der österreichischen Bundesregierung für EU-Erweiterungsfragen; seit April 2000 Präsident des Europäischen Forum Alpbach; seit 1.1.2002 Sonderkoordinator des Stabilitätspaktes für Südosteuropa; Gastprofessor an der Duke University in North Carolina, am Institut für Public Policy seit 1995, Mitglied der "Radio and Television Commission" (Carter Commission for the former Sowjetunion); nun Vorsitzender der "Radio and Television Commission for Eastcentral, Eastern and Southeastern Europe"; Permanent Senior Fellow am Zentrum für Europäische Integrationsforschung in Bonn; Vorsitzender des Institutes für den Donauraum und Mitteleuropa; Ehrendoktorate der Universitäten Krakau, Bratislava, Czernowitz und Ruse sowie Auszeichnungen von Polen, Ungarn, Italien, Bulgarien, Liechtenstein; zahlreiche Publikationen.



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Die Strategische Brücke Balkan.
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