Bundesheer Bundesheer Hoheitszeichen

Bundesheer auf Twitter

Vernichtung chemischer Waffen - Fallbeispiel Syrien

Die Vernichtung des chemischen Waffenbestandes in Syrien stellt die internationale Staatengemeinschaft vor einige Probleme, die aber lösbar sind. Die Verfahren, die Giftigkeit der Bestandteile und das Risiko des Transportes der zu vernichtenden Substanzen sind dabei die wichtigsten Herausforderungen.

Definition "chemische Waffen"

Die Definition von chemischen Waffen (C-Waffen) unterscheidet sich im militärischen Sprachgebrauch von jenen, wie sie in der Chemiewaffenkonvention (CWK) bzw. im Chemiewaffenübereinkommen (CWÜ) beschrieben sind. Beispielsweise ist ein leerer Behälter, der für die Lagerung eines chemischen Kampfstoffes vorgesehen ist, aus militärischer Sicht keine chemische Waffe, sehr wohl aber aus Sicht des Chemiewaffenübereinkommens.

Militärisch gesehen besteht eine chemische Waffe aus dem:

  • chemischen Kampfstoff (Nervenkampfstoff, Hautkampfstoff, Lungenkampfstoff etc.),
  • Kampfmittel (Granate, Sprühbehälter etc.) und
  • Einsatzmittel (Granatwerfer, Flugzeug etc.).

Im Chemiewaffenübereinkommen ist der Begriff "chemische Waffe" wesentlich weiter gefasst und beinhaltet beispielsweise auch Vorprodukte ("Precursors") und Schlüsselsubstanzen. Vorprodukt bedeutet eine chemische Reaktionskomponente, die auf irgendeiner Stufe bei jeder Art von Produktion einer toxischen (giftigen) Chemikalie beteiligt ist. Dazu gehören auch Schlüsselkomponenten eines binären oder Mehrkomponentensystems. Das sind Vorprodukte, die für die Bestimmung der toxischen Eigenschaften des Endproduktes maßgeblich verantwortlich sind.

Eine chemische Waffe gemäß Chemiewaffenübereinkommen ist auch "jede Ausrüstung, die eigens dazu entworfen ist, im unmittelbaren Zusammenhang mit Munition oder Geräten verwendet zu werden." Eine "toxische Chemikalie" ist eine Chemikalie, die durch ihre chemische Wirkung auf die Lebensvorgänge den Tod, eine vorübergehende Handlungsunfähigkeit oder einen Dauerschaden bei Mensch oder Tier herbeiführen kann. Dazu gehören alle derartigen Chemikalien, ungeachtet ihrer Herkunft oder der Art ihrer Produktion und ungeachtet dessen, ob sie in Einrichtungen, als Munition oder anderswo verwendet werden.

Ob auf eine Substanz jedoch Verifikationsmaßnahmen gemäß Chemiewaffenübereinkommen angewendet werden müssen, hängt davon ab, ob diese Substanz dort gelistet ist (Liste 1 bis Liste 3). Je nach Bedeutung als chemischer Kampfstoff, als Schlüsselkomponente als Vorläuferprodukt sind darin die Chemikalien aufgelistet. Daraus ergeben sich rechtliche Auswirkungen auf die Produktion, die Weitergabe etc. solcher Substanzen. Diese Einschränkungen sind auch in nationalen Gesetzen (Außenwirtschaftsgesetz und -verordnung) verankert.

Kategorisierung von chemischen Waffen für die Vernichtung

Für die Vernichtung von chemischen Waffen werden diese in Kategorien eingeteilt:

  • Kategorie 1: Chemische Waffen, die mit Hilfe von Chemikalien der Liste 1 hergestellt wurden, sowie ihre Teile und Komponenten;
  • Kategorie 2: Chemische Waffen, die mit Hilfe aller anderen Chemikalien hergestellt wurden, sowie ihre Teile und Komponenten;
  • Kategorie 3: Nicht befüllte Munition und Geräte sowie Ausrüstungen, die eigens dazu bestimmt sind, im unmittelbaren Zusammenhang mit der Verwendung chemischer Waffen eingesetzt zu werden.

Je nach Kategorie sieht das Chemiewaffenübereinkommen eine gestaffelte Vernichtung vor.

So muss beispielsweise mit chemischen Waffen der Kategorie 1 spätestens zwei Jahre nach Inkrafttreten des Übereinkommens begonnen werden, nach drei Jahren soll ein Prozent vernichtet sein, nach fünf Jahren 20 Prozent, nach sieben Jahren 45 Prozent und nach zehn Jahren der komplette Bestand der Kategorie 1 Waffen.

Im Fall Syrien sieht man, dass hier innerhalb eines Jahres das geschafft werden soll, wofür sonst zehn Jahre und mehr vorgesehen sind. Beispielsweise haben es weder Russland noch die USA erreicht, ihre kompletten C-Waffen-Arsenale innerhalb der vorgesehenen zehn Jahre zu vernichten, jedoch sind die zu vernichtenden Mengen an C-Waffen dieser Länder gewaltig. Die USA hatten am Höhepunkt der Kampfstoffproduktion rund 40 000 Tonnen chemische Kampfstoffe auf Lager.

Zum Vergleich hier eine Übersicht der von Syrien deklarierten chemischen Waffen:

  • Kategorie 1: 1 000 Tonnen
  • Kategorie 2: 290 Tonnen
  • Kategorie 3: 1 230 Stück leere Munition (oder -behälter).

Die Kategorie 3 Waffen wurden bereits in der ersten Phase in Syrien vernichtet: Diese sind relativ einfach mechanisch zu vernichten. Mit der Zerstörung von chemischen Waffen der Kategorie 3 muss gemäß der Chemiewaffenkonvention spätestens ein Jahr nach Inkrafttreten des Übereinkommens begonnen werden.

Auch hier sieht man, dass die Verhältnisse anders lagen und die Vernichtung kurz nach Eintreffen des Inspektorenteams der "Organization for the Prohibition of Chemical Weapons (OPCW)" begonnen wurde.

Was ebenfalls Teil des Vernichtungsprogramms in Syrien ist, jedoch in diesem Artikel nicht näher beschrieben wird, ist die Vernichtung der Einrichtungen zur Herstellung chemischer Waffen.

Vernichtungsverfahren von chemischen Kampfstoffen und Waffen Die "Vernichtung chemischer Waffen" gemäß Chemiewaffenkonvention bedeutet ein Verfahren, wodurch Chemikalien auf grundsätzlich nicht umkehrbare Weise in eine für die Herstellung chemischer Waffen ungeeignete Form umgewandelt und Munition sowie andere Geräte auf nicht umkehrbare Weise unbrauchbar gemacht werden.

Jeder Vertragsstaat bestimmt selbst, wie er chemische Waffen vernichtet. Folgende Verfahren dürfen jedoch nicht angewendet werden: Einbringen in Gewässer, Vergraben im Erdreich oder Verbrennen im Freien. Chemische Waffen dürfen nur in eigens dafür bestimmten und sachgerecht ausgelegten und ausgestatteten Einrichtungen vernichtet werden.

Allgemeines

Der erste Schritt im Vernichtungsprozess ist der Transport der chemischen Waffen bzw. der Behälter mit Kampfstoffen und Vorläuferprodukten zur Anlage, bei der die Zerstörung stattfinden soll. Der Transport zu dieser Anlage ist hochriskant hinsichtlich Auswirkung auf die Bevölkerung und die Umwelt im Falle einer Freisetzung der Substanzen durch Unfall, Sabotage oder andere terroristische Aktivitäten. In Russland übte die Öffentlichkeit enormen Druck auf die Regierung aus, so dass diese letztendlich gezwungen war, Vernichtungsanlagen vor Ort zu bauen, um den riskanten Transport quer durch das eigene Land zu vermeiden. Dieselbe Situation stellt sich in den USA dar, wo die Vernichtungsanlagen ebenfalls in unmittelbarer Nähe zu den Lagerstätten errichtet wurden. Aus diesem Gesichtspunkt ist auch nachvollziehbar, dass sich der Transport der chemischen Waffen bzw. Stoffe aus Syrien massiv verzögern kann, da hier auch noch kriegerische Handlungen stattfinden, die eine enorme Erhöhung des Freisetzungsrisikos bedeuten.

Vor dem Wirksamwerden der Chemiewaffenkonvention war es üblich, chemische Kampfstoffe und Waffen einfach im Meer zu versenken. Auch die offene Verbrennung, detonative Umsetzung mit Sprengstoff und Vergraben waren gängige Methoden. Im Falle des Vergrabens führt Korrosion der Behälter und die sukzessive Freisetzung von giftigen Stoffen zu einer langfristigen Vergiftung des Bodens und des Grundwassers. Mittlerweile sind jedoch wesentlich umweltfreundlichere Methoden eingeführt, von denen hier einige exemplarisch dargestellt werden, wobei der Fall Syrien mit seinen Besonderheiten und aufgrund der Aktualität im Detail vorgestellt wird.

Aktuelle Vernichtungsverfahren

1981 legten sich die USA auf die Verbrennung als die am besten geeignete Methode fest. Bei dieser Art der Verbrennung kann die komplette Waffe inklusive der Metallteile mit vernichtet werden.

Die so genannte "baseline"-Verbrennungstechnologie wurde erstmals in der Praxis am Johnston Atoll Chemical Agent Disposal System (JACADS, der Prototyp einer Anlage) eingeführt und dann in bewährter Weise auch bei anderen Anlagen durchgeführt. Ein verbesserter Prozess (2nd generation baseline process) sah folgende Schritte vor:

  • Trennung der chemischen Füllung von den Explosivstoffen und anderen Materialien zur Vorbereitung für die Verbrennung;
  • Verbrennung der chemischen Füllung;
  • Verbrennung der Explosivstoffe;
  • Thermische Dekontamination der Metallteile von Munition, Verpackungs- und Lagerbehältern;
  • Reinigung und Monitoring der Abgase und
  • Analyse der festen und flüssigen End- und Abfallprodukte.

Neueste Verfahren sind die Hydrolyse (Anm.: Spaltung einer chemischen Verbindung durch Reaktion mit Wasser) inklusive Neutralisation, gefolgt von Verbrennung, überkritischer Nass- oxidation (Anm.: Chemischer Prozess zur Zersetzung von organischen Verbindungen durch Zufuhr von Sauerstoff unter hohem Druck und hoher Temperatur; 270 bar und 600 bis 650 Grad Celsius) oder biologischen Verfahren. Die Hydrolyse und Neutralisation, gefolgt von einer entsprechenden Nachbehandlung wird jetzt in Syrien angewendet.

Russland setzt bei der Vernichtung von Kampfstoffen auf die Neutralisierung (Hydrolyse) bei niedriger Temperatur, gefolgt von Verbrennung. Oft wird auch durch Bituminierung der Abfall gebunden, wie es ebenso bei radioaktiven Abfällen üblich ist. Die übriggebliebenen Hüllen der Munition werden gesondert dekontaminiert.

Hydrolyse inklusive Neutralisation mit anschließender Verbrennung sind die gängigsten und bewährtesten Verfahren, auch was die Vernichtung anderer giftiger Chemikalien betrifft.

Vernichtungsplan Syrien

Der Vernichtungsplan der chemischen Waffen in Syrien, wie vom Exekutivrat der OPCW beschlossen, ist an die vorhandenen chemischen Kampfstoffe und Vorläuferprodukte angepasst. Die Produktionsanlagen in Syrien sind bereits jetzt unbrauchbar gemacht worden, das gleiche gilt für die entsprechende Munition. Der Umstand, dass praktisch keine Munition befüllt war, sondern die Kampfstoffe und Vorläuferprodukte in Fässern bzw. Tanks gelagert sind, erleichtert die Vernichtung ungemein, da keine aufwändige Delaborierung ("Rückbau") von Munition notwendig ist und generell von bezünderter Munition eine viel höhere Gefahr ausgehen würde.

Die Herausforderung, die vorhandenen Stoffe zu transportieren, ist trotzdem sehr hoch, und die Gefährdung ist nicht zu unterschätzen. In einem Fall handelt es sich um fertigen Kampfstoff (S-Lost), bei dem bereits äußerst geringe Mengen (wenige Millionstel Gramm) die Haut schwer schädigen und ebenfalls zu schweren Augen- und Lungenschäden führen. Im Falle von VX und Sarin liegen überwiegend die Vorläuferprodukte bzw. Schlüsselchemikalien vor, die zwar auch eine gewisse Giftigkeit haben, nicht jedoch vergleichbar mit dem fertigen Kampfstoff sind. Die ungeschützte Zivilbevölkerung wäre jedoch im Falle einer Freisetzung trotzdem massiv gefährdet, da z. B. im Fall der Vorläuferstoffe von Sarin durch die Luftfeuchtigkeit Flusssäure (HF) entsteht, die schwere Lungenschäden verursachen kann. Eine Freisetzung üblicher Transportvolumina erfordert eine Evakuierung der Bevölkerung im Umkreis von ca. 1,5 bis drei Kilometern in Windrichtung (je nach Wetterlage, Tageszeit etc.).

Der chemische Kampfstoff S-Lost sowie die Schlüsselsubstanzen zur Herstellung von Sarin und VX (DF und EMPTA) werden durch eine transportable Hydrolyseanlage, die noch im Detail beschrieben wird, vernichtet. Diese Anlagen sind bereits auf dem U.S. Schiff MV "Cape Ray" installiert, wobei der Transport über den syrischen Hafen Latakia erfolgt und die Übernahme der Chemikalien in einem italienischen Hafen stattfindet. Die Ankunft in Latakia hätte bereits Ende des Jahres 2013 erfolgen sollen, jedoch gab es Verzögerungen, die aus Expertensicht ohnehin zu erwarten waren.

Die Vernichtung aller anderen Vorläuferprodukte sowie der Abfälle und Abwässer aus dem Hydrolyse- bzw. Neutralisationsprozess wird in einem Bieterverfahren von der OPCW an Firmen übertragen. Nach dem Zeitplan sollten alle zu entsorgenden Chemikalien/Abwässer im Februar 2014 übernommen werden und bis Ende 2014 vernichtet sein. Die Übernahme erfolgt in dem der Vernichtungsanlage am nächsten gelegenen Hafen. Das Abladen, der Transport ab Übernahme sowie sämtliche Aspekte der Sicherheit und des Umweltschutzes liegen ab diesem Zeitpunkt in der Verantwortung der Firmen. Alle Tätigkeiten erfordern zudem eine Vorab-Genehmigung durch die OPCW.

Zu beachten ist, dass auch die Entsorgung der Abwässer (rund sechs Millionen Liter!) unter das Verifikationsregime der Chemiewaffenkonvention fällt, da diese die entsprechend gelisteten Chemikalien enthalten. Daher ist die fachgerechte und vollständige Entsorgung auch von Inspektoren der OPCW zu überwachen. Dabei ist es den Inspektoren gestattet, in sämtliche Prozessdaten Einblick zu nehmen, die dieser Verifizierung dienen. Bei der Pyrolyse (Verbrennung) der Stoffe müssen diese zu 99,99 Prozent zerstört werden, wobei jegliche Form der Vernichtung den nationalen und internationalen Standards hinsichtlich Sicherheit, Gesundheitsschutz und Umweltschutz entsprechen müssen.

Die transportablen Hydrolyseund Neutralisationsanlage

In Zusammenarbeit des U.S. Army Edgewood Chemical Biological Center (ECBC) mit der Defense Threat Reduction Agency (DTRA) entstand beginnend mit Februar 2013 innerhalb von sechs Monaten und mit dem Einsatz von über 50 Mitarbeitern (13 000 Arbeitsstunden) der Prototyp einer transportablen Hydrolyseanlage zur Neutralisation von chemischen Kampfstoffen und Vorläufersubstanzen.

Die Anlage ist für den weltweiten Einsatz ausgelegt und ist zehn Tage nach Ankunft am Einsatzort betriebsbereit. Alle Systemkomponenten sind für den Transport mit 20-Fuß-Containern ausgelegt. Kritische Systemelemente sind redundant (mehrfach) ausgeführt. Der Betrieb erfordert pro Schicht 15 Personen. Daraus ergäbe sich bei einem 4-Schicht-Einsatz ein Bedarf von 60 Mitarbeitern.

In dem so genannten Field Deployable Hydrolysis System (FDHS) werden chemische Kampfstoffe sowie deren Vorläuferstoffe (Precursors) mit entsprechenden Reagenzien unter Wärmezufuhr versetzt und dabei zu 99,9 Prozent neutralisiert.

Der Reaktor besteht aus einer Titanlegierung und hat eine Kapazität von über acht Kubikmetern. Je nach Chemikalien, die neutralisiert werden sollen, beträgt der Durchsatz bis zu 25 Tonnen pro Tag. Durchfluss, Druck und Temperatur werden, wie in der Industrie üblich, ferngesteuert. Es können auch mehrere Hydrolysesysteme parallel gefahren werden, um den Durchsatz zu erhöhen.

Zum Betrieb sind neben dem Reaktor weitere wesentliche Elemente erforderlich, wie die folgende Übersicht über die wichtigsten Anlagenteile zeigt (Aufbau einer Anlage siehe Abbildung unten):

  • Kompressor für Atemluft;
  • Station für die Dekontamination von Personen;
  • Chemical Agent Filtration System: Filteranlage und Ventilationsanlage mit verschiedenen Filtern (Aktivkohlefilter in Kombination mit HEPA Filtern);
  • Hydrolyse Anlage;
  • Wasserpumpe, Wassertank (15 Kubikmeter);
  • Kompressoren für die Luftversorgung des Systems;
  • Abwasser-/Abfallcontainer (Menge der anfallenden Volumina: rund fünf bis 14-mal der eingebrachten Kampfstoffmenge);
  • fünf temperaturbeständige Abwassercontainer für die Zwischenlagerung des Abwassers;
  • Heißwassererzeugung (90 Grad Celsius) und Energieversorgung;
  • Labor;
  • drei 300-kW-Generatoren;
  • Lagertanks und Container für benötigte Chemikalien und Versorgungsgüter.

Die folgende Abbildung zeigt das Set-up der Anlage, wobei hier die Lagertanks und Container nicht eingezeichnet sind.

Für die Prozesskontrolle und in weiterer Folge für die Verifikation besonders wichtig ist das Labor, das für die Probenvorbereitung und Analysen entsprechend hochwertig ausgestattet ist.

Neben den unten genauer beschriebenen Hauptprodukten aus der Hydrolyse und darauf folgender Neutralisation befinden sich im Abwasser noch einer Reihe anderer chemischer Elemente und Verbindungen wie Kupfer, Eisen, Blei, Nickel und eine Reihe anderer organischer Verbindungen, die als Nebenprodukte entstehen, unter anderem auch deswegen, weil die entstehenden Säuren Metallionen aus dem Behältermaterial lösen können und diese wie ein Katalysator für bestimmte Reaktionen wirken.

Chemische Kampfstoffe und Vorläuferprodukte in Syrien

Syrien war in der Lage, mit den vorhandenen Vorläuferprodukten militärisch relevante Mengen VX und Sarin herzustellen und ist im Besitz von S-Lost. Zum allgemeinen Verständnis werden diese Stoffe, die Precursors, sowie die Endprodukte der Hydrolyse kurz dargestellt.

Sarin

Sarin (GB) ist einer der bedeutendsten Nervenkampstoffe, da durch die hohe Flüchtigkeit sehr schnell tödliche Konzentrationen in der Gasphase entstehen. Sarin ist eine Flüssigkeit, die auch über die Haut tödliche Wirkung zeigen kann. Sarin wurde während des Zweiten Weltkrieges in Deutschland entwickelt und hat bis heute nichts von der Bedeutung als Kampfstoff verloren und wurde bereits für Terroranschläge (Matsumoto 1994, Tokio 1995) verwendet.

Sarin ist geruchlos und dringt reizlos in den Körper ein. Die Symptome sind: Sehstörungen, Miosis (verengte Pupillen), Engegefühl in der Brust, Atemnot, vermehrter Speichelfluss, Schweißausbrüche, Übelkeit, Erbrechen, Krämpfe, unkontrollierbarer Stuhlgang/Urinieren, Zuckungen, Kopfweh, Verwirrung, Benommenheit, Koma, Atemstillstand, Tod. Wenn innerhalb kurzer Zeit die entsprechenden medizinischen Maßnahmen, wie die Verabreichung der entsprechenden Antidots oder anderer Medikamente sowie Beatmung getroffen werden, ist ein Überleben möglich.

Aus den Ausschreibungsbedingungen für die Entsorgung der Hydrolyseprodukte lässt sich errechnen, dass Sarin für Syrien der wichtigste Kampfstoff war, der in einem Ausmaß von weit über 1 000 Tonnen hätte hergestellt werden können. Im Vergleich dazu ist der Anteil von S-Lost (ungefähr 20 bis 30 Tonnen) und VX (Kapazität für die Produktion von ungefähr 250 bis 300 Tonnen) wesentlich geringer.

VX

VX ist einer der giftigsten Nervenkampstoffe überhaupt und wurde 1958 entwickelt. VX ist eine Flüssigkeit und wirkt auf der Haut ca. 100 mal giftiger als Sarin: Ein Tropfen ist tödlich. Die Symptome sind die gleichen, die bei Sarin auftreten. Für alle Einsatzkräfte (ob Soldaten, Polizei etc.) ist es essenziell, jegliche Eigenkontamination während eines Einsatzes zu vermeiden, da der Stoff sehr sesshaft ist, über Wochen oder sogar Monate im Gelände wirksam bleibt und kleinste Mengen lebensbedrohlich sind.

Die Methode der VX-Herstellung, die in Syrien eingeführt war, ist nicht ganz so bekannt wie die gängigen Methoden, die allgemein publiziert werden, jedoch wurde im Irak mit demselben Vorläuferprodukt (EMPTA) gearbeitet.

Einen sehr interessanten Vorfall, womit EMPTA kurzfristig in die Schlagzeilen gelangte, ereignete sich 1988 in Sudan: Die pharmazeutische Fabrik Al-Shifa in Khartoum, Sudan, wurde am 20. August 1988 durch einen Tomahawk Cruise Missile-Angriff von den USA zerstört. Als einer der Gründe neben einem kolportierten Naheverhältnis des Firmenbesitzers zu Al-Khaida wurde auch die Herstellung von VX in diesem Werk behauptet. Die Substanz, die in einer Bodenprobe aus dem Nahebereich der Anlage im Rahmen einer verdeckten CIA Operation gefunden wurde, war jenes EMPTA, das auch in Syrien zur VX Herstellung verwendet wurde.

S-Lost (HD)

S-Lost wurde 1917 erstmals im Zweiten Weltkrieg von Deutschland gegen England als chemischer Kampfstoff eingesetzt und gilt als einer der bedeutendsten Kampfstoffe. S-Lost ist auch als Senfgas, Mustard, HD oder Yperit bekannt. Der Begriff "Senfgas" ist sehr irreführend, da S-Lost kein Gas, sondern eine relativ viskose Flüssigkeit ist.

S-LOST (HD) ist ein so genannter Hautkampfstoff, der jedoch als Dampf auch über die Atemwege und die Augen aufgenommen werden kann und in allen Fällen zu schweren Vergiftungen führt. S-Lost ist sehr sesshaft und kann Tage bis Wochen im Gelände wirksam bleiben.

S-Lost dringt reizlos in den Körper ein. Die Symptome treten stark verzögert ein: Reizung der Augen und des Rachens, Tränenfluss, Lichtempfindlichkeit, Schädigung der Netzhaut bis zur Erblindung, auf der Haut bildet sich eine Entzündung gefolgt von Blasenbildung nach sechs bis zwölf Stunden. Je nach aufgenommener Menge ist die Wirkung nicht nur lokal begrenzt, sondern wird systemisch. S-Lost ist zudem krebserzeugend. Bis heute existiert kein wirksames Gegenmittel.

Giftigkeit der Endprodukte und der Precursors

Das Diagramm auf der vorhergehenden Seite zeigen die relative Giftigkeit von HD, Sarin und VX in der Dampfphase. HF ist mit der Giftigkeit von Chlor vergleichbar, während beispielsweise Sarin bereits einige hundertmal giftiger ist. Zu berücksichtigen ist jedoch auch die Sesshaftigkeit der Substanzen und deren Wirkung auf der Haut: HD wirkt bereits in geringsten Mengen (Bereich Mikrogramm!) hautschädigend, von VX reicht ein Tropfen für eine tödliche Wirkung. VX ist durch die hohe Sesshaftigkeit vor allem durch Aerosolisierung (z. B. durch Versprühen) über die Atemwege wirksam und dann gilt die in der Tabelle angegebene Giftigkeit.

Die Grafik zeigt, dass die Hydrolyseprodukte von Sarin bei Weitem weniger giftig sind als der Kampfstoff selbst.

Die Abbauprodukte und Precursors von Sarin sind zwar um einiges weniger giftig als der Kampfstoff selbst, aber immer noch sehr giftig, wie der Vergleich mit Chlor in der unteren Tabelle zeigt. Der Einsatz von Chlorgas forderte im Ersten Weltkrieg tausende Todesopfer und auch heute gibt es immer wieder tödliche Unfälle mit Chlor. Die Stoffe, die bei der Vernichtung der Precursors entstehen und auch die Precursors selbst, stellen als so genannte Toxic Industrial Chemicals (TICs) ein erhebliches Gefährdungspotenzial dar.

Aus diesen Daten ist ersichtlich, dass die Herausforderungen für den sicheren Transport, aber auch für die Sicherung der Anlagen hoch sind.

Ausblick

Chemische Waffen weltweit

Jene Staaten, die die Chemiewaffenkonvention nicht ratifiziert haben, sind Ägypten, Angola, Israel, Myanmar, Nordkorea und Südsudan. Diese vergleichsweise geringe Anzahl von Staaten darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch für nichtstaatliche Akteure relativ einfach ist, chemische Kampfstoffe herzustellen. Im Juni 2013 wurde im Irak ein derartiges Terrorlabor ausgehoben.

Die weltweite Vernichtung von deklarierten chemischen Waffen im Besitz von Staaten, die die Chemiewaffenkonvention unterzeichnet haben, liegt bei 72 Prozent. Beispielsweise haben die USA bis jetzt 90 Prozent ihres Arsenals vernichtet, Russland 60 Prozent und Libyen liegt bei 54 Prozent.

Chemische Waffen in Österreich?

Österreich hatte vor Jahrzehnten noch einen Bestand an chemischen Waffen, die jedoch gemäß Chemiewaffenkonvention vernichtet wurden. Sollten chemische Waffen oder Kampfstoffe aus irgendeinem Grund (weil vergraben, versteckt, eingebunkert, versenkt etc.) in Österreich gefunden werden, so liegt die Zuständigkeit dafür beim Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport, das für die Sicherung, Verwahrung und gegebenenfalls Vernichtung von Kriegsmaterial zuständig ist, worunter auch chemische Kampfstoffe und Kampfmittel fallen.

Sollten diese Waffen bei einer strafbaren Handlung sichergestellt werden, liegt hier die Kompetenz beim Bundesministerium für Inneres, wobei hier die ABC-Abwehr-Spezialisten des Österreichischen Bundesheeres in einer Assistenzleistung zur Verfügung stehen.

Die Proliferation (Weiterverbreitung/ Weitergabe von Massenvernichtungswaffen, ihren Trägersystemen oder Bauplänen) von chemischen Waffen als Massenvernichtungswaffe auch durch nichtstaatliche Akteure wird weltweit und auch in Österreich als mögliche Bedrohung durchaus ernst genommen.


Autor: Dipl.-Ing. Günter Povoden, Major des höheren militärtechnischen Dienstes, Jahrgang 1971, seit 2003 an der ABC-Abwehrschule als Referatsleiter Grundlagen Chemie und Entwicklung in der Abteilung Weiterentwicklung und höhere Fachausbildung tätig. 1997 in Leibnitz als Einjährig Freiwilliger (EF) eingerückt, Ausbildung zum Feuerleitoffizier am Zielzuweisungsradar Flamingo. Nach Abschluss des Studiums Technische Chemie (TU Graz): Chemiker an der ABC-Abwehrschule, Ausbildung zum ABC-Abwehroffizier, Mob-Verwendung Zentralstelle (Logistische Unterstützung, Bereich Umweltschutz). Schwerpunkt der letzten Jahre war die Entwicklung der ABC-Kampfmittelbeseitigung im ÖBH und Risikoanalyse von Toxic Industrial Materials. Internationale Einsätze unter anderem in Sri Lanka, Kosovo, Bosnien und Herzegowina, Zypern (European Union Civil Protection Team). 2008 für ein Jahr karenziert und als Verfahrenstechniker tätig. Vortragender an der TU Graz (Lehrveranstaltung "Kampfstoff oder Pestizid") und Berater für eine internationale Consulting Firma für den Bereich chemische Bedrohung auf strategischer und operativer Ebene.

Eigentümer und Herausgeber: Bundesministerium für Landesverteidigung | Roßauer Lände 1, 1090 Wien
Impressum | Kontakt | Datenschutz | Barrierefreiheit

Hinweisgeberstelle