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Psychologie: Der unsichtbare Feind

Nachdem im vergangenen Jahr mehrere Hundert Menschen einem Saringasangriff nahe Damaskus zum Opfer fielen, verabschiedeten die Vereinten Nationen eine Resolution zur Vernichtung des syrischen Chemiewaffenarsenals. Während der nun laufenden UN-Mission leistet auch das Österreichische Bundesheer mit der Entsendung eines Experten der ABC-Abwehrschule einen Beitrag zur Eindämmung der von diesen Waffen ausgehenden Bedrohung. Aber worin besteht diese Bedrohung eigentlich? Die körperlichen Folgen finden sich beispielsweise in Videos tragisch dokumentiert, die kurz nach den Anschlägen bei Damaskus über das Internet verbreitet wurden. Darüber hinaus entfalten Massenvernichtungswaffen jedoch auch psychologische Effekte, die zwar weniger sichtbar, aber in ihren Auswirkungen nicht unwesentlich sind.

Akute psychologische Wirkung

Einer Schätzung des "Medical Department of the US Army" zufolge kamen bereits im Ersten Weltkrieg, als chemische Waffen erstmalig eingesetzt wurden, auf einen durch Giftgas verwundeten Soldaten, drei psychologische "Ausfälle". Es waren dies häufig Soldaten, die starke Angstreaktionen zeigten, was angesichts der verheerenden Wirkung von Massenvernichtungswaffen wenig überrascht. Erstaunlich ist jedoch, dass sich diese Ängste nur äußerst selten zu Panik oder gar Massenpanik aufschaukelten: während des gesamten Ersten Weltkriegs wurde trotz des massiven Einsatzes von chemischen Waffen in lediglich fünf Fällen über eine Massenpanik nach Giftgaseinsätzen berichtet - in zwei davon ließen sich diese außerdem auf Ausbildungsdefizite zurückführen. Häufiger wurde hingegen beobachtet, dass mitunter ganze Einheiten nach Giftgasangriffen körperliche Symptome wie Atemnot und Husten zeigten - und zwar oft auch dann, wenn eine Vergiftung medizinisch nicht nachgewiesen werden konnte. Ähnliche Verhaltensweisen wurden auch im zivilen Umfeld beobachtet: So ergab eine Untersuchung, dass nach den Saringas-Anschlägen 1995 in Tokyo bei über 70 Prozent der Patienten, die sich aufgrund körperlicher Beschwerden unmittelbar nach den Anschlägen in medizinische Behandlung begaben, keine Anzeichen einer Sarin-Vergiftung festgestellt wurden. Weitere Berichte zeigen, dass sogar lediglich Gerüchte über die Freisetzung gefährlicher chemischer oder radioaktiver Stoffe zu einem massenhaften Auftreten körperlicher Symptome wie Übelkeit, Kopfschmerzen und Schwindel in der Zivilbevölkerung führen können.

Langfristige psychologische Wirkung

Einer Langzeitstudie zufolge litt ein hoher Anteil der Betroffenen der Anschläge von Tokyo auch noch fünf Jahre später unter nicht erklärbaren körperlichen Symptomen. Betroffene von Chemiewaffeneinsätzen haben aber auch ein hohes Risiko für weitere psychische Reaktionen, wie eine Untersuchung der iranischen Bevölkerung ergab: Überlebende der irakischen Chemiewaffenangriffe in den 1980er Jahren zeigten demzufolge auch noch 17 Jahre nach Kriegsende wesentlich häufiger Ängste, Depressionen und traumatische Reaktionen als Opfer konventioneller Kriegsführung.

Erklärungen

Massenvernichtungswaffen wirken ungezielt und unterscheiden nicht zwischen Soldaten, Zivilisten, Frauen oder Kindern. Sie sind für menschliche Sinne häufig nicht wahrnehmbar und deren körperliche Wirkungen oft wenig bekannt. Deren Einsatz wird daher als besonders unfair und bedrohlich erlebt. Das als äußerst ungerecht erlebte Leid durch ABC-Waffen ist daher auch psychisch schwerer zu bewältigen als Verletzungen durch konventionelle Waffen. Wie kommt es aber, dass selbst Personen, die chemischen Waffen physisch nicht ausgesetzt waren, körperliche Reaktionen zeigen? Eine mögliche psychologische Erklärung ist, dass die Konfrontation mit ABC-Ereignissen einen erheblichen Stressfaktor darstellt. Körperliche Symptome wie Übelkeit, Kopfschmerzen und Schwindel können auch stressbedingt auftreten und werden in solchen Situationen möglicherweise lediglich als Vergiftungssymptome interpretiert. Sie sind daher als normale Stressreaktionen auf eine psychische Extrembelastung zu sehen.

Schlussfolgerungen

Konfrontation und Umgang mit ABC-Waffen sind daher auch aus psychologischer Sicht besondere Herausforderungen. Die Reaktionen der Zivilbevölkerung nach ABC-Ereignissen sind Erfahrungen zufolge vor allem von einer verantwortungsbewußten, vertrauensvermittelnden Kommunikationspolitik seitens staatlicher Stellen und Medien abhängig. Für militärisches Personal resultiert daraus die besondere Notwendigkeit einer fundierten Ausbildung, die auch den psychologischen Aspekten von Massenvernichtungswaffen Rechnung trägt.


Mag. Wolfgang Prinz

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