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Standortbestimmung und Perspektive

Festschriften zu runden Jubiläen konzentrieren sich meist auf den Rückblick, die Geschichte. Diesmal geht es aber auch um Standortbestimmung und Perspektive. Das ist gut so, weil die Militärseelsorge in der gesellschaftlichen Entwicklung zu sehen ist. Die Vergangenheit dient dem Verstehen - entscheidend ist aber eine darauf aufbauende Zukunft.

Dabei sind drei große Linien prägend: Unvorstellbar ist der naturwissenschaftliche Fortschritt; er war im Zeitraum vom Konzil zu Nizäa bis zum zweiten Vatikanum, also in etwa 1 600 Jahren geringer, als von ungefähr 1960 bis heute; ein mit den 50 Jahren der Militärseelsorge vergleichbarer Zeitraum.

Die 200 Jahre seit der Aufklärung stellten die Gesellschaft vor drei Herausforderungen: Die Egalité, die Gleichheit bescherte uns unter anderem die Katastrophe des Bolschewismus, die Fraternité, die Brüderlichkeit auch den Nationalismus und den Zweiten Weltkrieg; beides ist Vergangenheit. Heute macht uns die Liberté, die vermeinte Freiheit zu schaffen.

Dazu kommt, dass sich letzteres in einem weltweiten Rahmen abspielt. Immer waren und sind Soldaten (der Begriff ist geschlechtsneutral zu verstehen und umfasst demnach auch alle weiblichen Soldaten) maßgeblich involviert, sei es gestaltend oder zerstörend, sei es als Opfer, Täter oder aber als Helfer in der Not; bestimmend für ihr Handeln war und ist ihr jeweiliges Wertegefüge.

Wohin geht es also, wenn sich die erahnbare Entwicklung ungebrochen fortsetzt? Zu erkennen sind "Up"- und "Down"-Trends. Zu den gefährdeten Bereichen zählen - die Tradition und die Bindung an die Altvorderen, - der Baustein der Gesellschaft - die Familie und - der Jenseitsbezug.

In den Vordergrund hingegen rücken der oft egoistische Individualismus - der Hang zum schönen Leben, ein oft fast neurotischer Drang zum Mehr durch Ökonomisieren, Privatisieren und Vermarkten; in der so genannten Freien Marktwirtschaft macht sich dabei eine militärische Terminologie breit. Man spricht von Unternehmensstrategie, von feindlicher Übernahme, Marktoffensive, usw.. Erkennbar ist auch das Verneinen einer dem Höheren zugeordneten Verantwortung (z. B. im EU-Verfassungsentwurf). "Früher lebte man vierzig Jahre plus unendlich, heute wären es etwa 90 plus nichts." bringt das der Pastoraltheologe Paul Zulehner auf den Punkt.

Das alles erzeugt Konsumstress in buchstäblich sämtlichen Lebensbereichen. Und wieder sind es Soldaten, die involviert werden, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Unterm Strich brachte diese Entwicklung - weniger Freiheit als versprochen, - weniger Selbstbestimmung als geglaubt, - mehr Ausbeutung als angenommen, - mehr Kontrolle als bewusst und insgesamt - weniger Glück als verheißen.

Sinn im Leben und Sinn des Lebens

Wenn also die Frage nach der Verantwortung gegenüber dem Schöpfer oder einem höheren Wesen angesprochen wird, ist das nicht Theorie, sondern hat in der Beantwortung konkrete Konsequenzen. Eine Verneinung führt dazu, dass der Mensch zum Objekt wird. Jung steht gegen Alt, Gesunde, im Leben Stehende gegen Kranke und Einsame, Produktive gegen Nutzlose - das haben wir schon erlebt. Das Leben steht in allen Lebensbereichen, vordergründig aber in allen Formen des Krieges zur Disposition, die Würde des Ebenbildes Gottes ist gefährdet, der Konflikt mit unserer Weltanschauung findet bereits statt.

Dem wäre entgegenzuhalten, dass wir doch für die Demokratie stehen, welche die Menschenrechte ganz oben ansiedelt. Leider setzt die Demokratie - so der Philosoph Karl Jaspers - Werte voraus, die sie selber aus sich nicht schaffen kann. Trotzdem sollen Soldaten für diese Demokratie eintreten, sogar mit ihrem Leben. Hier fehlt etwas, Ernüchterung tritt ein.

Manche Entwicklungen sind aber noch offen. Kardinal Franz König stellte immer wieder die Grundsatzfragen "Woher kommen wir? Wozu sind wir da? Wohin gehen wir?" Es geht um den Sinn im Leben und um den Sinn des Lebens. Verhaltensänderung wäre die Antwort. Und wieder richten sich diese Fragen unmittelbar an Soldaten. Ihr Involviertsein macht Gewissensbildung ganz wesentlich.

Hier stellt sich die besondere Aufgabe der Militärseelsorger. Sie können nämlich noch einmal die Jugend erreichen, bevor diese sich selbst überlassen ist. Sie treffen auf Menschen in Ausnahmesituationen, in denen sie oft offener sind. Sie erreichen nicht nur Christen und haben damit die Chance des sanften Überzeugens, wenn man will, des Missionierens.

Es ist nicht überraschend, dass mit diesen Aufgaben herausragende Persönlichkeiten in der Militärseelsorge heranwachsen, die prägend wirken. Wir alle werden jetzt jemanden mit derartigen Vorzügen erkennen. Eine besondere Qualität entsteht in einer Ergänzung mit den Laien in der Arbeitsgemeinschaft Katholischer Soldaten und in den Militärpfarrgemeinderäten. Sie können Apostolat und soziale Hilfe täglich leben. Es scheint, dass sie das mit Erfolg tun, sonst wäre ihnen nicht Verantwortung im Apostolat Militaire International (AMI) übertragen worden. Dass das AMI wiederum steuernd in der Familie der Internationalen Katholischen Organisationen (Conference of International Catholic Organisations - CICO) verpflichtet wurde, könnte als Indikator für die dem Katholischen Soldaten zugebilligte besondere Verantwortung und Gewissensbildung verstanden werden.

Die oben skizzierten beunruhigenden Linien in die Zukunft müssen und dürfen so nicht Wirklichkeit werden. Wir Christen haben doch das bessere Konzept: Die zehn Gebote stellen ein Mindestmaß im naturrechtlichen Sinn dar, die Bergpredigt, die "Magna Charta für die Menscheit" hingegen geht weit darüber hinaus; bis zur Feindesliebe. Und wieder steht der Soldat vor einer ganz besonderen Voraussetzung!

Da stehen wir also, geprägt von einer mehrhundertjährigen Entwicklung von Technik, Weltanschauung und Globalisierung. Die Perspektive nach fünfzig Jahren lässt eine rasant zunehmende Herausforderung erkennen; für uns alle und im Besonderen für die Militärseelsorge. Soldaten haben sich in unserem Verständnis für eine menschlichere Gesellschaft einzusetzen, Katholische Soldaten haben die Gnade eines jenseitigen Zieles.

Wir alle, Laien, Soldaten, Geistliche und Militärseelsorger brauchen zum Bestehen eine feste Überzeugung von der Richtigkeit unseres Tuns, einen unerschütterlichen Willen zum Handeln und das Wissen, dass wir nur gemeinsam Erfolg haben werden.

Es wartet viel; ich wünsche der Militärseelsorge im weitesten Sinne des Wortes - und damit uns allen - dass wir nicht marginalisiert werden, auf dass der entscheidende Beitrag für eine bessere Zukunft gelinge.

Autor: General i. R. Prof. Mag. Ernest König

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