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Unfrisierte Gedanken zu Militärseelsorge und Friedenssorge

"Wer als Soldat im Dienste des Vaterlandes steht, betrachte sich als Diener der Sicherheit und der Freiheit der Völker. Indem er diese Aufgabe recht erfüllt, trägt er wahrhaft zur Festigung des Friedens bei." Mit diesen Worten umschreibt die Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils, Gaudium et spes, das erforderliche Selbstverständnis eines Soldaten und steckt damit auch einen Rahmen für die Militärseelsorge ab.

Auf einige - wesentliche - Punkte soll in diesem Zusamenhang besonders hingewiesen werden:

Bezugspunkt Friede

Wehrdienst - wie übrigens auch Zivildienst - ist nur im Rahmen des Friedens und seiner Erhaltung ethisch gerechtfertigt. Der Bezugspunkt für den Wehrdienst ist also der Friede, seine Erhaltung und Sicherung. Daraus ergibt sich, dass der Militärdienst in den Kontext einer umfassenden Strategie für den Frieden eingebaut werden muss. Das Ganze des Friedens und das, was sich daraus für den Soldaten und für Soldaten in Verbänden ergibt, stellen also die strukturierenden Momente für die Militärseelsorge dar. Es kann und darf nicht darum gehen, die Waffen zu segnen, sondern es muss das Ziel sein, den Blickpunkt Frieden präsent zu halten, gerade auch in Situationen, die von Gewalt gekennzeichnet sind.

Mit der funktionalen Differenzierung, in der die gesellschaftlichen Teilbereiche in den Mittelpunkt getreten sind und damit die Entwicklung dieser Teilbereiche, wie etwa der Wirtschaft, der Politik, der Technik, aber auch des Heeres, in einem ungeahnten Ausmaß angestoßen wurde, ist nämlich teilweise die Perspektive des Ganzen in den Hintergrund gedrängt worden. Dadurch können sich die Teilbereiche fallweise verselbstständigen und der Bezug auf das Ganze und auch die Kontrolle der Teilbereiche kann dadurch verblassen. Die technischen Regeln der einzelnen Bereiche stehen ja im Vordergrund. So kann man zeigen, dass ausdifferenzierte Berufsheere sich leichter der demokratischen Kontrolle entziehen können als beispielsweise Milizheere. Im Einsatz solcher Heere droht dann die Gefahr, dass etwa Menschenrechte nicht geachtet werden, bzw. die Perspektive des Friedens ausgeklammert wird, weil einfach ein "Job" zu erfüllen ist.

Dieses Offenhalten der ethischen Perspektive des Ganzen in Bezug auf Erhaltung und Wiedergewinnung des Friedens bleibt damit gerade heute eine unverzichtbare Aufgabe der Militärseelsorge. Wenn Gewalt erforderlich ist, dann muss sie in eine Gesamtstrategie eingebaut werden können. Die militärische Perspektive muss etwa einem politischen Programm zuordenbar sein. Militärseelsorge ist dazu da, die verschiedenen Elemente einer solch umfassenden Strategie einzufordern, damit die Perspektive des Soldaten eine Perspektive des Friedens werden kann.

Wirken, über das Vaterland hinaus

Der Soldat steht heute aufgrund des Zusammenwachsens etwa der EU und der Einbeziehung der Heere in diesen erweiterten Zusammenhang - mit der UNO in einen weltweiten Zusammenhang - in der Ausweitung dessen, was das Konzil mit Vaterland anspricht. Natürlich steht der Soldat weiterhin im Dienst am Vaterland, dieser Dienst führt aber in der Schaffung einer wenigstens regionalen Friedensordnung über die Grenzen des Vaterlandes hinaus. Immer mehr werden auch für das Österreichische Bundesheer internationale Friedenssicherungs-, aber auch Friedensschaffungseinsätze zum Alltag. Das ist eine große Chance: nämlich zu erkennen, dass der Friede hier nicht ohne den Frieden dort gesichert werden kann, sowie der Einblick in die Notwendigkeit, der Gewalt weltweit den Nährboden durch eine Erhöhung der Sicherheit zu entziehen. Auch gilt es, die Gerechtigkeit auszuweiten, kann doch der Friede als ein Prozess zunehmender akzeptierter Gerechtigkeit und abnehmender Gewalt bezeichnet werden - und das in weltweiter Perspektive.

Zugleich besteht mit den internationalen Einsätzen aber auch die Gefahr, für Machtsstrategien missbraucht zu werden, weil die legitimierenden Momente infolge der größeren Indirektheit leichter vorgespielt, und die einem Einsatz zugrundeliegenden Strategien nicht so leicht erkannt und durchschaut werden können. Die Vermengung von berechtigten und von unberechtigten Machtinteressen verhindert mitunter den notwendigen Durchblick. Hier hat Militärseelsorge eine wichtige kritische Funktion, die vor allem in internationaler Zusammenarbeit wahrgenommen werden kann. Was oberflächlich betrachtet mitunter selbstverständlich scheint, erweist sich bei genauerer Analyse oft als problematisch. Für diese notwendige tiefere Analyse kann Kirche gerade ihre internationale Ausrichtung und ihre globalisierten Strukturen benützen und nützen, um hier Orientierung geben zu können. Damit soll der Gefahr, dass ein Heer für Einsätze benützt wird, die auf lange Sicht eher dem Frieden schaden als ihm dienlich sind, verringert werden.

Dazu braucht die Militärseelsorge natürlich ausgebaute Strukturen. Darauf muss besonders in Phasen des Umbaus von Heeresstrukturen ein Augenmerk gelegt werden. Zu leicht geschieht es sonst, dass diese Anpassung der Strukturen versäumt wird und dadurch die Möglichkeiten eines umfassenden Wirkens für den Frieden gerade in den internationalen Dimensionen nicht mehr gegeben sind.

Dazu kommt noch, dass bei Auslandseinsätzen die Notwendigkeit, im Verstehen Heimat zu schaffen, größer wird und hier Militärseelsorge als ein wichtiges Moment der Schaffung von Heimat gesehen werden kann. Im Gespräch mit Militärseelsorgern, die bei Auslandseinsätzen tätig waren, wird gerade dieser Aspekt immer wieder zum Ausdruck gebracht.

Begegnung mit dem Menschen

Das strukturierende Moment der Militärseelsorge wird immer die Begegnung mit dem ganz konkreten Menschen mit seinen Freunden und Hoffnungen, aber auch mit seinen Ängsten und Sorgen bleiben müssen. Auf die ganz konkrete Situation in ihren verschiedenen Dimensionen einzugehen und sich damit auf den Menschen einzulassen bleibt unverzichtbare Aufgabe.

Bei Rabbi Hirsch (Frankfurt, 19. Jhdt.; Anm.) findet sich dazu folgender bedenkenswerter Satz: "Wenn ein Mensch zu mir kommt und mich angeht, um sein Bedürfen in dieser Welt für ihn zu beten, der eine wegen Pachtung, der andere wegen eines Ladens, in jenem Augenblick kommt die Seele dieses Menschen zu mir, wegen der Erlösung in der oberen Welt. Mir aber liegt es ob, beiden zu antworten, mit einer einzigen Antwort." Dies bedeutet ein Mehrfaches: Seelsorge ist nie nur als "reine" Seelsorge zu gestalten, besonders nicht in umfassend beanspruchenden Situationen wie etwa einem Einsatz in der Fremde oder in einem bewaffneten Einsatz. Es geht in einem umfassenden Sinn immer um Leibsorge und Seelsorge. Dann bedeutet Seelsorger zu sein, bei den Menschen in den konkreten Situationen zu sein und Anlässe, wie sie sich in konkreten Situationen ergeben, dazu zu öffnen, die Frage nach dem Ganzen gelungenen menschlichen Lebens zu stellen sowie diese Frage im konkreten Fall einer Beantwortung näher zu bringen. Man darf nie vergessen, dass es konkrete Menschen sind, die den Seelsorger brauchen, für ganz konkrete Situationen, die in der Seelsorge geöffnet werden müssen - für weitere Perspektiven.

Mitwirkung an Strukturen

Militärseelsorge steht auch vor der Aufgabe, daran mitzuwirken, dass die Strukturen des Heeres so entwickelt werden, dass sie dem Ziel der Friedenserhaltung angesichts der jeweiligen Situation am besten dienen. Es geht nicht nur um die Gesinnung des Friedens, sondern es geht auch darum, dass die Strukturen angesichts der gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen so ausgebildet sind, dass sie dem Ziel der Friedenserhaltung optimal dienen.

Und in diesem Zusammenhang ist die Frage zu stellen, ob die Militärseelsorge die vorhandenen Strukturen auch so nützt, dass sie dem Ziel der Menschensorge und der Friedenssorge gerecht werden. So ist etwa zu fragen, ob die Möglichkeiten, die durch den lebenskundlichen Unterricht eröffnet werden, auch immer so genutzt werden, dass dem jungen Menschen in der Situation konkret gedient wird. Wird mit richtigen Mitteln versucht, dem jungen Menschen in der nicht immer leichten Situation Orientierung zu geben? Kann dem jungen Menschen der Sinn des Wehrdienstes erschlossen werden?

Mitunter habe ich das Gefühl, dass eine Beantwortung dieser Fragen gar nicht mehr ins Auge gefasst wird, dass man vielmehr im "Dienst nach Vorschrift" verharrt. Natürlich werden in der Militärseelsorge wichtige Momente des Lebens überhaupt angesprochen, es wird die Gemeinsamkeit gepflegt usw. Aber wird immer auch versucht, der konkreten Frage nachzugehen, welchen Beitrag der Mensch im Soldatenrock für den Frieden in der Heimat und in der Welt leistet und leisten könnte?

Autor: Univ. Prof. Dr. Leopold Neuhold

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