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Soldatenbild und Seelsorge

Die Militärseelsorge ist kein Selbstzweck. Sie arbeitet und wirkt - wie die Seelsorge insgesamt für die Menschen - für die Soldaten. Wer und was aber ist der österreichische Soldat der Gegenwart?

Die Militärseelsorge ist so alt wie das Militär. Priester aller Religionen begleiteten zu allen Zeiten die Streitkräfte. Der älteste Beleg einer christlichen Militärseelsorge ist eine Personalstandsmeldung des Dux Thebaidis ("Militärkommando Theben", Ägypten) aus dem 5./6. Jahrhundert, die sich in der Wiener Nationalbibliothek befindet.

Die Katholische Militärseelsorge des Bundesheeres der Zweiten Republik konstituierte sich 1956, der erste evangelische Militärseelsorger, Militärdekan Hellmut May, trat am 1. Februar 1957 seinen Dienst an. Seit damals wirkt auch die Evangelische Militärseelsorge offiziell für die Soldaten des Bundesheeres.

Der Begriff "Soldat"

Nach § 1 Wehrgesetz 2001 und § 2 (1) der Allgemeinen Dienstvorschriften (ADV) ist jeder Angehörige des Präsenzstandes des Österreichischen Bundesheeres "Soldat" (der Begriff wird in diesem Beitrag geschlechtsneutral verwendet). Nach der Internet-Enzyklopädie Wikipedia ist der Soldat "ein bewaffneter Angehöriger einer Armee oder der Streitkräfte eines Landes." Nach dem Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm (Anfang des 19. Jahrhunderts) war der Soldat allerdings: "… ursprünglich der sold empfangende, geworbne krieger im gegensatze zu dem, der nach land- oder lehnrecht zum waffendienst verpflichtet ist …" und demnach eher ein Söldner - zumindest nach dem heutigen europäisch-abendländischen Verständnis. Offensichtlich hat sich das Bild des Soldaten gewandelt. Der als dessen Soldempfänger nur dem Kriegsherrn verpflichtete Soldat gehört in die Zeit vor dem Primat der Politik bzw. in Zeiten nach dem Wegfall dieses Primats.

Der preußische Militärtheoretiker Carl von Clausewitz folgerte Anfang des 19. Jahrhunderts, dass Krieg bzw. der Einsatz des Militärs die "Fortführung der Politik mit anderen Mitteln" sei. Auch diese Definition legt eine staatspolitische Rolle des Soldaten fest, ordnet den Soldaten einem staatlichen Zweck unter und unterscheidet ihn vom "Söldner" eines Kriegsherrn.

Der "Faktor Mensch"

Der Primat der Politik macht den Soldaten gleichsam zu einem staatlichen militärischen Werkzeug mit einem klaren Leistungsprofil (Kampfkraft bzw. -wert). Dieses Verständnis des Soldaten als Wirkmittel im Kampfeinsatz stand und steht jedoch im Spannungsverhältnis - mit dem Erleben, dass beim Soldaten der "Faktor Mensch" eine wesentliche Rolle spielt, - mit der Erfahrung, dass dieser "Faktor Mensch" beachtet werden will und muss (von den sanitären Möglichkeiten bei Einsätzen und Übungen bis zum Personaleinsatz bei Neustrukturierungen), sowie - mit der Erkenntnis, dass gerade bei Einsätzen in Krisengebieten diese menschliche Kompetenz von hohem Wert ist, denn oft kommt es dabei nicht (nur) auf militärische Leistungsparameter an, sondern auch auf Verhandlungsgeschick und Menschenverstand.

Der "Faktor Mensch" (Humanfaktor) hat daher einen hohen Stellenwert. Schon auf Gruppen- bzw. Zugsebene, also der Ebene, wo Menschen direkt (und nicht Organisationselemente) geführt werden, fällt auf: Bereits in Punkt 1 des Befehlsschemas, der Lage, wird im Unterpunkt 1b die Eigene Lage und damit z. B. auch die Psycho-Lage behandelt. Auch der Punkt 3 Durchführung hat zwangsläufig mit dem "Faktor Mensch" zu tun. Kein Kommandant wird ohne zwingende Notwendigkeit zwei Soldaten, von denen er weiß, dass sie "nicht miteinander können", als Wache einteilen, wo sie möglicherweise in Lebensgefahr aufeinander angewiesen sind. Die Sanitätsversorgung, Unterpunkt d des Punktes 4 Einsatzunterstützung, kann nicht deutlich genug hervorgehoben werden, ist doch die Sicherstellung der Sanitätsversorgung nicht nur für Verwundete/Verletzte von hoher Bedeutung. Sie gibt auch den Nichtverwundeten einen moralischen Halt. Der "Faktor Mensch" findet sich auch in Punkt 4d Personal sowie fallweise in den Punkten 4e und 4f, Zivil-Militärische Zusammenarbeit und Sonstiges. Der Soldat als Mensch steht also schon bei der Befehlsgebung im Mittelpunkt!

Ein neues sicherheitspolitisches Umfeld

Das Ende des Ost-West-Konfliktes veränderte das Soldatenbild drastisch. War der Soldat zuvor in erster Linie Kämpfer zur Verteidigung Österreichs in einem klassischen ("symmetrischen") Kriegsszenario, so agiert er heute weltweit, und zwar eher als Garant der Stabilität denn als Kämpfer. Militärische Präsenz zählt genauso dazu, wie eine gezielte Zivil-Militärische-Zusammenarbeit (ZMZ, Civil-Military Cooperation - CIMIC). Auch der Bericht der Bundesheer-Reformkommission (BHRK 2010) beschreibt diese neue Aufgabe: "Im internationalen Krisen- und Konfliktmanagement muss das wichtigste Ziel die Stabilisierung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse und die rasche und dauerhafte Wiederherstellung einer voll funktionsfähigen staatlichen Ordnung sowie der Aufbau nachhaltiger rechtsstaatlicher und demokratischer Strukturen im Einsatzraum sein. Es ist dabei stets auf die Bevölkerung und das soziokulturelle Umfeld Bedacht zu nehmen." Das ändert das Berufsbild des Soldaten. Wikipedia bringt dies auf den Punkt: "In europäischen oder vergleichbaren Ländern werden Soldaten oft an andere Dienstorte versetzt - auch in Friedenszeiten; dies hat zur Folge, dass die Familien oft unter einer erhöhten Belastung stehen. … Auch die im Allgemeinen kritische Haltung der Bevölkerung gegenüber dem Militär trägt nicht zur Beliebtheit dieses Berufes bei." Von noch weiter reichender Bedeutung ist die Familienbetreuung. Häufigere und gefährlichere Auslandseinsätze machen diese unverzichtbar. Dahinter steht auch die Erkenntnis, wie wichtig ein stabiles soziales Umfeld für einen Soldaten ist.

Aber auch im Einsatz selbst haben sich die Rolle des Soldaten und das Soldatenbild gewandelt. Schon der Hinweis auf die "Bevölkerung und das soziokulturelle Umfeld" im Auslandseinsatz deutet darauf hin, dass der einzelne Soldat dabei einen größeren Handlungsspielraum hat, als in einem herkömmlichen Konflikt. Der Auslandseinsatz umfasst nicht nur das klassische militärische Szenario, sondern auch "zivile" Maßnahmen, die sich den klassischen militärischen Entscheidungsgrundlagen zum Teil entziehen. Hier können oft nur Gewissen und Vernunft als Entscheidungsgrundlagen dienen.

Vernunft und Gewissen

Vernunft bedeutet dabei einerseits die Forderung nach Nachvollziehbarkeit militärischer Entscheidungen (Entscheidungen müssen "logisch" sein), andererseits kann man heute von einem europäisch-abendländischen Soldaten erwarten, dass seine Entscheidungen vernünftig - im Sinne von der Situation angemessen - sind.

Die Forderung nach Vernunft ist in unserem Kulturkreis relativ jung. Erst im Zeitalter der Aufklärung (17. und 18. Jahrhundert n. Chr.) wurde die Vernunft zum Eckpfeiler des Denkens erhoben (Gesellschaften, welche die Aufklärung nicht durchgemacht haben, handeln nicht vernünftig im eigentlichen Sinn des Wortes). Um nicht missverstanden zu werden: Auch zuvor handelte man ergebnisorientiert, unsere Vorstellung von Vernunft schließt aber ein, dass diese gewissermaßen über den Dingen und Menschen steht. Sie kommt damit in den Nahbereich einer Weltgesetzlichkeit.

Vernunft hat viele Berührungspunkte mit dem Gewissen. Betrifft die Vernunft das rationale Denken ("ratio" kommt aus dem Lateinischen und bedeutet Vernunft), so gehört das Gewissen in den Bereich des ethischen Denkens.

Beides, Vernunft und Gewissen, sind Kernbereiche einer modernen soldatischen Identität und betreffen bzw. prägen den Bereich der Militär- bzw. Berufsethik. Auch nach Ansicht der BHRK 2010 "werden Inhalte politisch-militärischer Ethik eine immer größere Rolle spielen." Eine Berufsethische Bildung (BeB) als Teil der Ausbildung österreichischer Soldaten befindet sich im Aufbau; viele Projekte, vor allem im Bereich der Unteroffiziersausbildung und -fortbildung, laufen bereits.

Die Militärseelsorge hat von Anfang an einen wesentlichen Anteil an der militärethischen Bildung der Soldaten. Die Gewissensbildung zielt auf eine Vertiefung und Schärfung der Erkenntnis- und Entscheidungsfähigkeit vor allem in ethischen Dilemma-Situationen ab. Ausgangspunkte der aktuellen Diskussion sind die Internationalisierung, das sich ändernde Soldatenbild und die Frage nach deren ethischen Auswirkungen. Eine Positionsbestimmung versuchte die Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Soldaten in Österreich (AGES) in ihrer im April 2002 verabschiedeten Erklärung "Der christliche Soldat am Beginn des 3. Jahrtausends", die das Selbstverständnis, die Selbstdarstellung und Akzeptanz des christlichen Soldaten in der gegenwärtigen militärischen Situation behandelt. Die Erklärung geht nicht primär von theologischen Fragen aus. Sie fokussiert durchaus auch kritisch die Rolle des Militärs insgesamt und des einzelnen ("christlichen") Soldaten im Besonderen, widmet sich ausführlich den verschiedenen Verantwortungsbereichen - in erster Linie bei internationalen Einsätzen - und betont die Verantwortung des Führungskaders.

Das Mängelwesen "Soldat"

Was ist nun der Soldat? Die naheliegendste Antwort ist nicht zugleich die einfachste: ein Mensch - mit all seinen Fehlern und Mängeln. Der Begriff "Mängelwesen" stammt von Johann Gottfried Herder (18. Jahrhundert) und wurde vom Anthropologen Arnold Gehlen in die Diskussion eingebracht. Der Mensch ist nach Gehlen "organisch mittellos, ohne natürliche Waffen, ohne Angriffs- oder Schutz- oder Fluchtorgane, mit Sinnen von nicht besonders bedeutender Leistungsfähigkeit, denn jeder unserer Sinne wird von den Spezialisten im Tierreich weit übertroffen. Er ist ohne Haarkleid und ohne Anpassung an die Witterung, und auch viele Jahrhunderte Selbstbeobachtung haben ihn nicht belehrt, ob er nun eigentlich Instinkte hat und welche." Ein Soldat braucht, weil auch er ein solches "Mängelwesen" ist, eine entsprechende Infrastruktur (Sanitätsversorgung) und eine entsprechende Ausrüstung, um - z. B. im Winter - überleben zu können. Die Bedürfnispyramide von Abraham H. Maslow (siehe Grafik) bestätigt militärische Erfahrungen: Die Basis der Pyramide sind physiologische Bedürfnisse wie Essen oder Trinken, die zweite Ebene bilden die Sicherheitsbedürfnisse (Sicherheit, Stabilität, Ordnung, Schutz, Freiheit von Angst und Chaos, Struktur, Ordnung, Gesetz). Ist die Versorgung nicht sichergestellt, hat dies negative Auswirkungen auf einen militärischen Einsatz. ("Wie die Verpflegung, so die Bewegung" lautet eine alte Soldatenweisheit.) Ähnlich zerstörerisch wirkt es, wenn sich Soldaten ständig in Lebensgefahr befinden. Umgekehrt gibt bereits das Wissen um eine funktionierende Sanitätsversorgung oder Seelsorge dem Soldaten ein Gefühl der Sicherheit. Auf der dritten Ebene der Bedürfnispyramide befinden sich die Zugehörigkeits- und Liebesbedürfnisse, auf der vierten Ebene das Wertschätzungs- und Geltungsbedürfnis, und auf der fünften und letzten das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung. Gerade die dritte und vierte Ebene haben auch beim Militär eminente Bedeutung: Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit trägt hier den Namen Kameradschaft, und jeder Soldat hat schon deren Kraft gespürt. Das Wertschätzungs- und Geltungsbedürfnis umfasst den Wunsch nach Stärke, Leistung und Kompetenz sowie das Bedürfnis nach Prestige, Status, Ruhm und Macht. Darauf gründet sich das Selbstwertgefühl eines Menschen. Auch das ist Soldaten nicht fremd.

Maslow nennt die ersten vier Bedürfnisebenen "Defizitbedürfnisse", deren Nichtbefriedigung ungünstige Folgen haben kann (z. B. Krankheit) und ein Gefühl der Entbehrung ("Frust") entstehen lässt. Für das Militär müssen demnach die ersten vier Ebenen erfüllt sein, um den Einsatz nicht zu gefährden.

Das Mängelwesen Mensch braucht Mechanismen, um seine Mängel auszugleichen und um seine Grundbedürfnisse erfüllen zu können. Nach Gehlen "… muss er sich eine zweite Natur, eine künstlich bearbeitete und passend gemachte Ersatzwelt, die seiner versagenden organischen Ausstattung entgegenkommt, erst schaffen." Die Schaffung der "künstlichen Ersatzwelt" - darin steckt das Wort "Kunst" - macht den Menschen zum "Kulturwesen". Zur Kultur gehört damit auch das Militär, sowohl dessen Ausrüstung, die biologische Mängel ausgleicht (mit einem Funkgerät kann man über größere Entfernungen kommunizieren als durch Zuruf; das Projektil eines Sturmgewehres fliegt weiter und ist gefährlicher als ein geworfener Stein), als auch die Institution Heer an sich. Denn jede Ordnungsgewalt dient dazu, mit den natürlichen Unzulänglichkeiten des Menschen umzugehen. Das gilt auch für den Staat selbst.

Die Weltoffenheit des Soldaten

Nach Gehlen ist der Mensch - damit auch der Soldat - u. a. dadurch gekennzeichnet, dass er ein handelndes Wesen ist. Er kann sich aus seiner naturgegebenen Gebundenheit (zumindest ein Stück weit) befreien. Der Mensch besitzt die Möglichkeit und Freiheit (Weltoffenheit), als bewusst gestaltendes Wesen aufzutreten und der Welt als bewusst handelndes Wesen gegenüberzutreten (Fantasie, schöpferische Leistung).

Militärisches Führen baut auf dieser Weltoffenheit auf und ist wohl auch ein Ergebnis davon. Weltoffenheit führt aber auch zur Durchsetzung der Auftragstaktik gegenüber der Befehlstaktik, weil Letztere den (positiven) "Faktor Mensch" vernachlässigt.

Der Mensch ist ein selbstständig denkendes und handelndes Wesen. Pauschale Anschuldigungen wie "Soldaten sind Mörder" sind deshalb falsch. Ein Soldat ist nur insoweit ein potenzieller Mörder, wie auch jeder andere Mensch - ein Autofahrer (Fahrzeug), eine Hausfrau (Küchenmesser) usw. - ein potenzieller Mörder ist. Jeder ist so weltoffen, auch zum Mörder werden zu können. Weil Menschen potenzielle Mörder bzw. potenzielle Missetäter sein können, bedarf es der staatlichen Gewalt. Nur ein Teil der Gesellschaft würde sich freiwillig stets sozial und gerecht benehmen. Deshalb sind die Menschen "dem Schwert unterworfen, so dass sie, auch wenn sie gerne wollten, doch ihre Bosheit nicht tun könnten, und wenn sie es tun, dass sie es doch nicht ohne Furcht, noch mit Friede und Glück tun können" (Martin Luther). Aufgabe der Obrigkeit ist es demnach, Menschen zu schützen, Unrecht zu verhindern und gegebenenfalls nach den Tätern zu fahnden. Der Soldat, der im Auftrag der rechtmäßigen (gottgewollten) Obrigkeit handelt, steht damit in keinem Gegensatz zu einem christlichen Welt-, Menschen- und Soldatenbild.

Allerdings trägt alles auf dieser Welt den Tod in sich. Noch niemand hat die Welt überlebt, mit einer Ausnahme - sagt das Christentum - Jesus Christus, der auferstanden ist. Das ist die christliche Botschaft in Kürzestform. Jesus Christus hat die Grenzen der Welt gesprengt. Jenen, die ihm nachfolgen, bringt er die Erlösung.

An der Grenze des Todes erfährt der Mensch die Begrenztheit seiner Weltoffenheit. Der Soldat gehört (neben anderen Einsatzkräften und dem medizinischen Personal) wahrscheinlich zu jenen Berufsgruppen, die diese Begrenztheit am ehesten erfahren und erleben. Bei existenziellen Bedrohungen (Gefahr) reduzieren sich die Bedürfnisse auf die unteren Ebenen der Maslow’schen Pyramide. Die persönliche Sicherheit wiederzuerlangen und Ruhe für seine Seele zu finden hat dann Priorität.

Der Mensch vor dem Höheren

Gerade in der Konfrontation mit Leid und Tod fragt der Mensch häufig nach dem "Sinn", dem "Ganzen" und dem "Höheren" - nach Gott. "Gott" ist dabei der "oberste Gegenstand des Glaubens" und "der Inbegriff der Vollkommenheit" (so ein philosophisches Wörterbuch). Diesen an sich neutralen Gottesbegriff füllt in der europäisch-abendländischen Tradition in erster Linie das christliche Gottesverständnis. Dieses prägte und prägt die Kultur, auch wenn die europäische Gesellschaft mehr und mehr säkular (verweltlicht) handelt.

Nach der Bibel ist der Mensch ein Geschöpf Gottes, dessen Ebenbild und Statthalter auf Erden: "Dann sprach Gott: Nun wollen wir Menschen machen, ein Abbild von uns, das uns ähnlich ist! Sie sollen Macht haben über die Fische im Meer, über die Vögel in der Luft, über das Vieh und alle Tiere auf der Erde und über alles, was auf dem Boden kriecht. So schuf Gott die Menschen nach seinem Bild. … Und Gott segnete die Menschen und sagte zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehrt euch! Füllt die ganze Erde und nehmt sie in Besitz! Ich … vertraue sie eurer Fürsorge an" (1. Moses 1, 26 - 28). Selbstverständlich wird hier kein konkretes Geschehen beschrieben, sondern die Stellung und das Wesen des Menschen bildhaft zum Ausdruck gebracht.

Der Schöpfung folgt - der Bibel nach - die Versuchung durch die Schlange, die Eva verleitet, Adam eine Paradiesfrucht (meist als Apfel gedeutet) zu geben. Durch den Genuss der Frucht vom "Baum der Erkenntnis" erkennen Adam und Eva, was "gut" und "böse" ist. Sie erkennen, dass sie nackt und sterblich sind. Als Antwort auf die Erkenntnis, "Mängelwesen" - nackt - zu sein, machen sie sich Kleider. Der Ausweisung aus dem Paradies folgt die Ermordung von Abel durch seinen Bruder Kain.

Adam und Eva, Kain und Abel verkörpern Grundeigenschaften, die jeder Mensch in sich trägt. Erfahrungen aus der Geschichte bestätigen ebenfalls, dass der Mensch auch Eigenschaften Kains in sich trägt. Der Mensch ist also auch im ethischen Sinn ein "Mängelwesen". Als physisches Mängelwesen braucht er die Kultur zum Ausgleich seiner Mängel, als psychisches, ethisch-religiöses Mängelwesen bedarf er einer pastoral-psychologischen Betreuung und Gewissensbildung im Sinne einer Ausbildung zur Offenheit gegenüber Gott und der Welt.

Der Mensch hat allerdings - und diese Erkenntnis vertreten auch nichtreligiöse Anthropologen - ein Gefühl der Transzendenz. Diesen Bereich können konkrete Modelle wie Weltanschauungen bzw. Ideologien oder Religionen füllen. Das Gefühl für die Transzendenz zu ignorieren, bedeutet jedenfalls, einen Teil des menschlichen Selbst zu ignorieren!

In diesem Spannungsverhältnis zwischen Ebenbildlichkeit Gottes und Kainhaftigkeit gestaltet der Mensch die Welt und geschieht auch die Arbeit des Soldaten. Sie erfolgt in Verantwortung vor sich selbst, vor dem anderen (Kamerad, Familie, Bevölkerung im Einsatzgebiet, …) und - nach christlicher Anschauung - vor Gott als dem Höheren. Unter bestimmten Voraussetzungen - so Luther - wird das Soldatenhandwerk sogar zum Liebeswerk: "Da scheint es ein ganz unchristliches Werk zu sein und durchaus wider die christliche Liebe. Betrachte ich es aber, wie es die Rechtschaffenen schützt, Weib und Kind, Haus und Hof, Gut und Ehre, und dadurch den Frieden erhält und bewahrt, so findet sich’s, wie köstlich und göttlich das Werk ist …" Dabei geht Luther von einem defensiven Krieg bzw. einem (wenn es den Begriff schon gegeben hätte) Friedensschaffenden Einsatz aus. "Wer Krieg anfängt, der ist im Unrecht. Und es ist billig, dass derjenige geschlagen oder doch zuletzt bestraft werde, der zuerst das Messer zückt." Der Mensch - auch der Soldat - hat eine Teileinsicht, was "gut" und was "böse" ist. Sein militärischer Einsatz muss deshalb nach bestem Wissen und Gewissen erfolgen.

Der Bedarf an Betreuung

Der Bedarf an Betreuung folgt aus dem beschriebenen Menschen- und Soldatenbild. Der Soldat steht außerdem in einer exponierten Stellung, weil er immer wieder mit den existenziellen Grenzen konfrontiert wird und weil er - beispielsweise mit seinen Waffen - selbst existenzielle Grenzsituationen verursachen kann. Dem Soldaten steht beim Österreichischen Bundesheer ein Netz für die persönliche Betreuung bei körperlichen und seelischen Belastungen, mit denen er nicht mehr fertig wird, zur Verfügung. Dieses Netz ist im Wesentlichen an drei Institutionen festgemacht (in der Reihenfolge ihrer historischen Entstehung): - an der Militärseelsorge - in Form der Katholischen und Evangelischen Militärseelsorge; - am militärischen Sanitätswesen aller Ebenen; - am Heerespsychologischen Dienst.

Diese Dienste arbeiten bei der professionellen Betreuung eng zusammen. Um diese Zusammenarbeit geht es auch beim Symposium anlässlich des fünfzigjährigen Bestandes der Evangelischen Militärseelsorge (Landesverteidigungsakademie, 1. Februar 2007). Diese Zusammenarbeit - auch im internationalen und ökumenischen Kontext - ist vor allem im Auslandseinsatz von großer Bedeutung. Einsätze mit einem höheren Gefährdungspotenzial werden auch mehr lebensbedrohende Situationen oder - mit einem psychologischen Fachwort ausgedrückt - Critical Incidents mit sich bringen.

Im internationalen Vergleich fällt das Modell der Deutschen Bundeswehr für die interprofessionelle Zusammenarbeit zwischen Militärseelsorgern, Militärärzten (verschiedener Fachrichtungen) und Heerespsychologen auf, das im "Rahmenkonzept zur Bewältigung psychischer Belastungen bei Soldaten" zusammengefasst ist. Die gemeinsame Betreuung betrifft dabei nicht nur die Zeit des Einsatzes selbst, sondern auch die Vor- und Nachbereitung. Rechtliche Regelungen - Schweigepflicht für Ärzte und Psychologen, außerdem das Beichtgeheimnis für die Militärseelsorger - setzen der Zusammenarbeit zwar Grenzen, bilden aber auch einen Teil des Betreuungsprofils des jeweiligen Dienstes.

Ganz in diesem Sinn kommt eine Untersuchung der österreichischen Militärärztin Signe Buck-Perchthaler über die Zusammenarbeit der drei genannten Dienste zum Ergebnis: "Das Österreichische Bundesheer braucht ein integratives Konzept, das einen breiten Ansatz bietet, denn in Österreich ist der Glaube ebenso verwurzelt, wie auch die ärztliche und psychologische Psychotherapie in diesem Lande ihren Ursprung hat." Auch Untersuchungen, z. B. die von Elmar Dinter über die seelischen und körperlichen Belastungen von Soldaten im Einsatz, sowie Mechanismen, wie man diesen Belastungen begegnen kann, bringen diesen Zusammenhang ebenfalls klar zum Ausdruck. Zu den Faktoren, die einem Soldaten helfen, Belastungen zu ertragen, gehört neben der Gruppenintegration, der Führung, der Ausbildung, der physischen Fitness und der eigenen Persönlichkeit auch die Hoffnung und der Glaube. "Der Glaube", so Dinter, "gewinnt für die meisten an Bedeutung. … Religiosität und Überzeugungen stärken die Widerstandskraft." Die Basis aller dieser Faktoren ist jedoch das Vertrauen.

Die Aufgaben der Militärseelsorge

Die Aufgabe der Militärseelsorge ist es nicht, die Qualität des Soldaten als Kämpfer zu verbessern, es geht ihr immer um den ganzen Menschen. Christliche Seelsorge kann deshalb nur eine ganzheitliche Seelsorge sein, "die den Menschen nicht nur in seinem religiösen Sinn erfasst, sondern auch in seinem psychologischen und sozialen Sein". Sie geschieht dort, "wo Menschen in ihrem Alltag vor einem anderen ihre Not ausbreiten, Zuspruch erfahren und Hilfe zu neuer Gemeinschaft mit den Menschen und Gott finden. … Eine besondere Form der Seelsorge ist dabei die Beichte. … Seelsorge vollzieht sich jedoch auch an Gruppen. … Seelsorge geschieht aber auch im Gottesdienst und in anderen liturgischen Feiern ..." (Thesenpapier der Evangelischen Militärseelsorge). Sie handelt, "indem sie Grundkenntnisse der Psychologie und Psychotherapie anwendet".

In diesem ganzheitlichen Sinn sind auch die drei Säulen der Militärseelsorge zu sehen: - die Lebensbegleitung der Soldaten in Form pastoraler Seelsorge ("Gesprächspastoral") nach dem Modell der so genannten Mitgehenden Seelsorge (siehe unten), - die Abhaltung von Gottesdiensten und liturgischen Feiern bzw. kirchlich-liturgische Beiträge bei Einweihungen u. ä.; - der Bereich der Militärethik.

Mit den neuen Konzepten für den Auslandseinsatz kristallisiert sich in letzter Zeit noch ein vierter Bereich heraus: - die Einbindung der Militärseelsorger in den militärischen Entscheidungsprozess.

Die ersten drei Säulen existieren seit dem Bestehen der Evangelischen Militärseelsorge im Österreichischen Bundesheer. Bislang nahm der Militärpfarrer seine Aufgaben gewissermaßen in einem "geschützten Raum" wahr: Gottesdienste oder liturgische Feiern waren eine direkte Angelegenheit der Kirche, für die Gesprächspastoral galten (zumindest) das Beichtgeheimnis sowie andere rechtliche Grundlagen, und die Militärethik war inhaltlich indirekt Angelegenheit der Kirche.

Diese Rahmenbedingungen haben sich geändert. So ging z. B. die "Monopolstellung" der christlichen Militärseelsorge verloren, die Einführung einer muslimischen und einer orthodoxen Militärseelsorge beim Österreichischen Bundesheer wurde durch diese Religionsgemeinschaften beantragt. Zumindest teilweise offen ist die Seelsorge an Soldaten, die sich zu keiner (anerkannten) Religion bekennen. Selbst bei jenen, die in einer Kirche aktiv sind, sinkt die Bereitschaft, mehr oder weniger kritiklos die Kompetenz der Kirchen zu akzeptieren.

Seelsorge und Auslandseinsatz

Der Verteidigungsfall ist derzeit unrealistisch, der Auslandseinsatz die Norm. Das macht die Betreuung in den Einsatzräumen immer wichtiger. Traditionelle Modelle sind demnach - auch aus ethischer Sicht - zu hinterfragen. Das Schwergewicht des Seelsorgebedarfs verschob sich vom Rekruten auf das Kaderpersonal, da in Österreich nach wie vor bei Auslandsentsendungen das Freiwilligkeitsprinzip gilt. Dabei geht es auch um Religionswissen. Wann werden wo welche religiösen Feste gefeiert? Was geschieht da? Wie verhält man sich richtig? Gleichzeitig erzwingt die Konfrontation mit existenziellen (Über)Lebensproblemen bei steigender Krisenintensität der Einsätze die Lösung mancher letztlich religiösen Frage (Lebensbedrohung, Gefallene, …).

Militärethische Bildung

Im Bereich der Militärethischen Bildung bilden Kadertage und Seminare nach wie vor das Rückgrat: Für den Wehrpflichtigen erfolgt die Militärethische Bildung vor allem im Lebenskundlichen Unterricht (LKU), dem Kaderangehörigen werden jährlich zwei so genannte Kadertage angeboten. Neben diesen finden zweimal jährlich Militärethische Seminare für ganz Österreich statt, jedes zweite Jahr ist eines davon international.

Ein Blick in die Zukunft

Das Veranstaltungsangebot der Militärseelsorge wird in Richtung kleinerer, spezifischer Veranstaltungen gehen, etwa in Form der seit einigen Jahren veranstalteten Militärethischen Seminare für Offiziere (in Reichenau/Rax, jeweils 20 Teilnehmer) oder der Familienseminare. Die Militärseelsorge wird auch bei der säkularen Berufsethischen Bildung mehr gefordert sein.

"Mitgehende Seelsorge"

Militär und Kirche nehmen ihre Verantwortung gegenüber den Soldaten u. a. durch die Militärseelsorge wahr. Die wichtigste Aufgabe der Militärseelsorge ist die laufende seelsorgerliche Betreuung der Soldaten aller Ebenen. Das pastorale Gespräch wendet sich dabei an den Einzelnen, die Gottesdienste und liturgischen Feiern an die Gemeinschaft. Die Militärseelsorge wirkt dabei zweifach: - In einer Krisensituation kann sie dem Soldaten helfen, einen Weg aus der Krise zu entwickeln, und ihn bestärken, diesen zu gehen.

- Außerhalb von Krisen bildet sie ein Auffangnetz - und schon das Wissen um ihre Existenz gibt Sicherheit.

Dazu muss aber der Militärseelsorger vor Ort sein, bei "seinen" Soldaten. Man nennt dies "Mitgehende Seelsorge". Österreichs Militärseelsorge bietet diese im In- und Ausland - in der Einsatzvorbereitung, - für die Dauer des Einsatzes, - in der Einsatznachbereitung und - bei der Familienbetreuung.

Es ist dabei nicht die Aufgabe der Militärseelsorge, den Kampfwert der Truppe zu steigern: Im Mittelpunkt steht der Mensch, und nicht das Leistungsprofil eines Verbandes oder einer Einheit.

Die Rolle des Militärseelsorgers

Eine Untersuchung von Bernhard Gruber aus dem Jahr 2000 an österreichischen Soldaten im Auslandseinsatz (Zypern, Golan, Bosnien und Herzegowina) zeigt die Erwartungen des Soldaten an den Militärpfarrer: Der Soldat im Auslandseinsatz erwartet sich vom Militärseelsorger einen Menschen, der für ihn wie ein Kamerad ist. Rund 80 Prozent der Befragten haben das als wichtig bis sehr wichtig eingestuft. Die Funktion eines Religionslehrers wird von der Masse der Soldaten als unwichtig bis eher unwichtig eingestuft. Für rund 75 Prozent der Befragten ist wichtig, dass der Militärseelsorger Helfer in der Not ist, denn der Soldat erwartet sich bei Problemen im Auslandseinsatz - vor allem bei Problemen in der Familie und in der Partnerschaft - Hilfe durch den Militärseelsorger. Auch die Funktion als Seelsorger und als Freund wird von den Soldaten als sehr wichtig eingestuft. Soll der Militärseelsorger auch die Moral hüten? In Zypern, am Golan und im Kosovo wurde dies von der Masse der Soldaten als unwichtig bis eher unwichtig erachtet, bei SFOR hielten es hingegen ca. 43 Prozent für wichtig.

In seiner Arbeit gehört der Militärseelsorger zwei institutionalisierten Sphären an: Der Kirche und dem Heer. Der evangelische Militärpfarrer z. B. steht in keinem dienstrechtlichen Verhältnis zur Kirche, er ist ausschließlich im Personalstand des Österreichischen Bundesheeres. Er trägt Uniform und führt einen Dienstgrad. (Bei der katholischen Militärseelsorge überlagern einander fallweise die militärische und die kirchliche Organisation.) In Fragen des Glaubens ist er ausschließlich an die Kirche gebunden; hier gibt es de facto kein staatliches Weisungsrecht. Allerdings wird eine umfassende Kompetenz des Militärseelsorgers gerade durch das Militär gefordert. Er soll nicht nur seelsorglich kompetent sein (im Sinne einer Notfallseelsorge bei Critical Incidents), sondern auch über theologisch-religiöses Know-how verfügen, beispielsweise über die religiösen Gebräuche und das religiöse Selbstverständnis der Menschen im Einsatzraum. Damit wird er - als oft der einzige Soldat mit einer einschlägigen geisteswissenschaftlichen Ausbildung - auch zum Sachverständigen für kulturelle Fragen. In Werte-Fragen (Menschenbild, …) wird der Militärpfarrer zum Gesprächspartner für Entscheidungsträger und darüber hinaus immer mehr zum Ansprechpartner und "Katalysator" in Fragen des (sozialen) Zusammenlebens.

Das macht den Militärpfarrer - zusätzlich zu seinen Kernaufgaben - zum - Religious Adviser, - Cultural Adviser und - Social Adviser.

Um in Krisensituationen handlungsfähig bleiben zu können, muss er aber auch über ein relativ hohes militärisches Fachwissen verfügen.

Die Militärseelsorge auf einen Blick

Je "robuster" Einsätze werden, desto höher wird die Belastung für die eingesetzten Soldaten - und desto höher der Seelsorgebedarf. Hier die Betreuung sicherzustellen, ist ein Grundauftrag der Seelsorge.

Auch der Militärpfarrer arbeitet dabei möglicherweise unter Bedrohung des eigenen Lebens! Das zeigt, wie sehr sich das Berufsbild der Militärseelsorge in den letzten fünfzehn Jahren gewandelt hat. Grundsätzlich gilt: - Militärseelsorge richtet sich an den Lebenssituationen der Menschen aus und ist anlassbezogen: Gebete bei Angelobungen und Traditionstagen, Feldmessen, Totengedenken sowie Betreuung in außergewöhnlichen Situationen.

- Militärseelsorge geschieht im "öffentlichen Bereich".

- Militärseelsorge bietet auch gottesdienstliche Lebensbegleitung an wie Taufe, Konfirmation bzw. Firmung, Trauung und Beerdigung.

- Militärseelsorge wird in enger ökumenischer Zusammenarbeit wahrgenommen.

- Militärseelsorge ist "Mitgehende Seelsorge" - bei Übungen, UN-Einsätzen sowie beim Lebenskundlichen Unterricht in den Kasernen.

- Militärseelsorge wird dort angeboten, wo österreichisches Militär ist - weltweit!

___________________________________ ___________________________________ Autor: Militärsenior DDr. Karl-Reinhart Trauner, Jahrgang 1966. 1984 bis 1992 Studium der evangelischen Theologie und der Geschichte an den Universitäten Wien und Erlangen, Dr. theol., Dr. phil. (Wien), anschließend Pfarrer. 1984/1985 EF-Ausbildung, danach Milizoffizierslaufbahn. Ab 1995 evangelischer Militärpfarrer für den Seelsorgebereich Wien. Seit 2003 Militärsenior.

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