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Objektschutz bei der Loya Jirga in Kabul

International Security Assistance Force

Neben den klassischen Einsatzarten wie Angriff, Verteidigung oder Verzögerung zählt Raumschutz, und hier u. a. der Objektschutz, zu den wesentlichen Aufgabenbereichen des Österreichischen Bundesheeres im Inland. Das Spektrum der Tätigkeiten der österreichischen Soldaten bei Friedensunterstützenden Einsätzen im Ausland, wie z. B. im Kosovo bei KFOR oder in Afghanistan im Rahmen von ISAF, erfordert mitunter ebenfalls die Erfüllung von Raumschutzaufträgen.

Ab Februar 2002 waren etwa 5 000 Soldaten aus ca. 20 Nationen, darunter rund 70 österreichische Soldaten, im Rahmen der Schutztruppe ISAF (International Security Assistance Force) in der afghanischen Hauptstadt Kabul eingesetzt. In nur wenigen Monaten gelang es den Militärs der truppenstellenden Staaten, gemeinsam mit Kräften des afghanischen Verteidigungs- und Innenministeriums, dieser durch chaotische Nachkriegsbedingungen geprägten Stadt relative Stabilität zu geben. Aus österreichischer Sicht war die Zusammenarbeit geprägt von den typischen Maßnahmen Friedensunterstützender Einsätze, wie regelmäßigen Koordinationsbesprechungen auf den verschiedensten Ebenen oder dem Aufrechterhalten einer Verbindungsorganisation zu den afghanischen Behörden. Gemeinsame Patrouillen mit Polizeikräften bei Tag und Nacht, permanente, überraschend eingesetzte temporäre Checkpoints sowie das Besetzen von Beobachtungsstellen auf den beherrschenden Höhen der Stadt waren die Grundaufträge der Truppen. Aber auch Projekte im Rahmen der Civil-Military Cooperation (CIMIC) oder einer offensiven Informationskampagne haben zu einer spürbaren Entspannung der brisanten Lage beigetragen.

Im Dezember 2001 hatte am Petersberg bei Bonn die erste internationale Konferenz zur Neuordnung des politischen Systems nach dem Taliban-Regime stattgefunden. Im Mai 2002 war die Verbrechensrate bereits auf das Niveau europäischer Großstädte zurückgegangen. Die Bevölkerung hatte akzeptiert, dass die fremden Soldaten nicht als neuerliche Besatzungsmacht gekommen waren, sondern als Stabilitätsfaktor und Friedensstifter eine wichtige Rolle auf dem Weg zu normalen Verhältnissen übernahmen. Unberechenbar blieb jedoch die Terrorbedrohung. Diese ging sowohl von ehemaligen Taliban bzw. Al-Kaida Mitgliedern als auch von anderen militanten Gruppierungen aus, die nach der Ernennung der neuen Regierung unter Interimsregierungschef Hamid Karzai von der Macht ausgeschlossen worden waren. Vor allem ehemalige Machthaber der 80er- und frühen 90er-Jahre wie Burhannudin Rabbani, Gulbuddin Hekmatyar oder Abdur Rab Rasul Sayyaf hatten sich immer wieder feindselig gegenüber jeder westlichen Einflussnahme in Afghanistan, auch gegenüber ISAF, geäußert und mit gewaltsamen Gegenmaßnahmen gedroht.

Die am Petersberg getroffenen Vereinbarungen hinsichtlich der Gestaltung der Zukunft des Landes schienen nicht ausschließlich auf ungeteilte Zustimmung aller Kräfte zu stoßen. Dementsprechend brisant wurde auch die Lage in Hinblick auf die weichenstellende Große Ratsversammlung (Loya Jirga) in Afghanistan beurteilt.

Loya Jirga

Diese Veranstaltung mit lange zurückreichender Tradition wurde in Afghanistan immer dann anberaumt, wenn neue bahnbrechende Entwicklungsschritte für das gesamte Land einzuleiten waren. Diese Art und Weise der Entscheidungsfindung ist folgendermaßen begründbar:

- Noch nie in der Geschichte des Landes hat es demokratische Wahlen nach unserem Verständnis gegeben. Die Vertreter zur Loya Jirga, aber auch die regionalen Verwaltungsorgane werden traditioneller Weise nicht gewählt, sondern bestimmt. Freie Wahlen, mit Stimmrecht für Frauen, sollen 2004 unter Beobachtung der Internationalen Schutztruppe erstmals stattfinden.

- Die politische Landschaft Afghanistans wurde traditionell durch eine schwache Zentralmacht in Kabul, dafür aber umso mächtigere Provinzfürsten (oftmals auch als Warlords bezeichnet) bestimmt. Auch die Interimsregierung unter Karsai, die nach dem Abkommen von Petersberg im Dezember 2001 gebildet worden war, folgte im Wesentlichen dieser Tradition. Diese Stammesfürsten müssen in wichtige Entscheidungen eingebunden werden, um landesweite Akzeptanz zu erhalten.

Diesmal wurde die Loya Jirga vom im April 2002 aus dem Exil in Rom zurückgekehrten König Zahir Shah einberufen. Sie sollte die folgenden Entscheidungen treffen:

- Wahl eines Präsidenten; - Bestimmung von Abgeordneten für ein Parlament in Kabul; - Wahl der Mitglieder einer Übergangsregierung; - Beginn der Diskussion über eine neue Verfassung des Landes, welche den Weg von der Übergangsregierung zu freien demokratischen Wahlen ebnen soll.

Insgesamt wurden auf dem Gelände des ehemaligen Polytechnikums in Kabul (siehe Abbildung 1 und Titelbild auf der gegenüberliegenden Seite) ab Anfang Juni 2002 ca. 1 500 Delegierte aus allen Landesteilen erwartet. Daneben stellten ca. 500 Personen den reibungslosen organisatorischen Ablauf der Veranstaltung auf dem genannten Gelände sicher. Tatsächlich erschienen über 1 700 Delegierte, worauf die Veranstalter organisatorisch nicht vorbereitet waren. Aufgrund der Tatsache, dass nicht alle Volksvertreter des Schreibens oder Lesens kundig waren, gestaltete sich der Identifizierungsvorgang überaus schwierig. Aus Sicht der für die Sicherheit der Veranstaltung Verantwortlichen war die eindeutige Identifizierung der entsandten Delegierten zwingend erforderlich.

Das Hauptquartier (HQ) von ISAF stellte in diesem Einsatz die operative Führungsebene dar, die vor allem als Schnittstelle zwischen politischen Vorgaben und taktischer Durchführung fungierte. Zum Zeitpunkt der Loya Jirga hatte Großbritannien die Führungsrolle bei ISAF inne.

Die taktische Führung wurde vom Kommando der Kabul Multinational Brigade (KMNB) wahrgenommen, welcher auch der Großteil aller Truppen in Kabul unterstellt ist. Die Brigade stand damals - wie auch noch heute - unter deutscher Führung. Darunter befanden sich u. a. eine britische Kampfgruppe mit einer türkischen Kompanie, eine französische Kampfgruppe, eine deutsche Kampfgruppe mit einer holländischen Kompanie, einem österreichischen Zug und dänischen Elementen sowie eine deutsche Heeresfliegerstaffel.

Generelle Sicherheitsaspekte während der Loya Jirga

Generalmajor John McColl, Kommandant von ISAF, hatte für die Loya Jirga die Weisung ausgegeben, das Schwergewicht der Tätigkeiten der Schutztruppe vom bisherigen Auftrag Schaffen von Sicherheit und Stabilität auf aktive Maßnahmen gegen den Terror zu erweitern. Dazu wurde von den verantwortlichen Führungsgrundgebieten der KMNB ein umfangreiches Planungsverfahren durchgeführt. Hier konnte vor allem auf die Erfahrung von britischen Offizieren zurückgegriffen werden, die sich mit dieser Materie seit Jahrzehnten in Nordirland beschäftigt hatten. Im Mittelpunkt stand das Erringen der Initiative gegenüber den schwer ausmachbaren, aber vorhandenen Terrorzellen, die bis zu diesem Zeitpunkt unerwartet und nahezu unbehelligt gegenüber ISAF, der afghanischen Interimsregierung und der Bevölkerung auftraten.

Die Sicherung desLoya Jirga-Geländes

Das Polytechnikum wurde aus zweierlei Gründen als Austragungsort gewählt:

- Angeblich (konnte nie verifiziert werden; Anm. des Verfassers) hatte dort die letzte Loya Jirga in den 70er Jahren stattgefunden. Mit der Platzwahl sollte dokumentieret werden, dass Afghanistan nach 23 Jahren Krieg aufgrund der Invasion der Sowjets 1979 bis zu deren Abzug 1986 und dem darauf folgenden Bürgerkrieg wieder zu den vergleichsweise stabilen Verhältnissen von vor 1979 zurückkehren wolle.

- Der Campus dieser Hochschule stand leer und bot daher die infrastrukturellen Grundlagen für die Durchführung dieser Großveranstaltung. Die Gebäude waren zwar vollständig zerstört, wurden jedoch von der deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) instandgesetzt und adaptiert.

Für die Beratungen wurde neben einigen kleineren ein riesiges, ca. 2 000 Personen fassendes Zelt (ehemals am Münchner Oktoberfest verwendet) aus Deutschland nach Kabul transportiert.

Für die Planer der Sicherungsmaßnahmen war die Auswahl dieses Geländes jedoch ein Albtraum. Das Polytechnikum liegt in einer Art Kessel; es ist an drei Seiten von Hügelketten umschlossen. Ein völlig ebenes, offenes Gelände wäre leichter zu überwachen gewesen.

Weiter war zu beachten, dass der Verantwortungsbereich von ISAF im Wesentlichen nur den Raum Kabul und das Gebiet ca. 30 km nach Norden umfasst. Daher befand sich das Gelände im Westen, Süden und Osten außerhalb des Zugriffes von ISAF und in der Einsatzschussweite der in Afghanistan vorhandenen Raketenwaffen. Als Beispiel sei der der Mehrfachraketenwerfer BM-21 erwähnt.

Für die Durchführung aller Aspekte der Loya Jirga war eine unabhängige Loya Jirga-Commission verantwortlich. Diese bestand aus Vertretern der UNO, der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, durch die Interimsadministration bestimmte afghanische Persönlichkeiten und einer kleinen Gruppe von ISAF-Stabsmitgliedern, die als Sicherheitsberater tätig waren. Die Einsatzzentrale war ein so genannter Joint Agency Operations Room (JAOC) am Gelände des Polytechnikums.

Die Sicherung des Geländes selbst wurde dem ersten nach den Kriegswirren aufgestellten multiethnischen afghanischen Verband, dem 1st Battailon Afghani National Guard (1 BANG), übertragen.

Damit sollte dokumentiert werden, dass eigene Soldaten die Loya Jirga schützen und diese Aufgabe nicht Ausländern übertragen werden musste. ISAF war eher eine Assistenztruppe für das Innen- und Verteidigungsministerium. Durch die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit wurde das Gelände umzäunt sowie Wachtürme und andere Sicherungseinrichtungen errichtet.

Die 1 BANG-Soldaten wurden vor der Veranstaltung nach ihrer Grundausbildung vier Wochen lang von ISAF-Soldaten der britischen Kampfgruppe speziell auf die kommenden Wach- und Sicherungsaufgaben vorbereitet.

Der afghanische Verband zeigte sich während der Loya Jirga als diszipliniert, motiviert und war der Aufgabe in allen Belangen gewachsen. Vor der Loya Jirga geäußerte Bedenken über die Verlässlichkeit und Loyalität von 1 BANG-Soldaten gegenüber der Interimsbehörde haben sich als völlig unbegründet erwiesen.

Während der Ratsversammlung verblieben einige britische Ausbilder als Berater bei dem Verband, was sich als sehr wertvoll erwies. Dabei gelang es den Ausbildern, niemals zu dominant aufzutreten. Dies war wichtig, um den Afghanen das Bewusstsein zu bewahren, dass sie alleine die Verantwortlichen für die Sicherheit innerhalb des Geländes waren. Daher war es außer den wenigen Beratern auch grundsätzlich keinem anderen ISAF-Soldaten gestattet, unter normalen Umständen am Gelände sichtbar aufzutreten. Die wenigen begründeten Ausnahmen betrafen z. B. das Personal der Einsatzzentrale von ISAF oder auch Pionierkräfte, die noch während der Loya Jirga immer wieder Schutzbauten am Gelände verbesserten. Alle diese Soldaten durften aber unter keinen Umständen sichtbar ihre Waffen tragen.

Die Sicherungsmaßnahmen am Haupteingang wurden durch Kräfte der Royal Air Force durchgeführt, da in Afghanistan keine anderen entsprechenden technischen Anlagen mit Personal verfügbar gemacht werden konnten. Die Qualität der Überprüfungen und Durchsuchungen entsprach den strengen Kontrollen an einem internationalen Flughafen, wobei besonders auf die weiblichen Delegierten Rücksicht genommen werden musste. Grundsätzlich durften keine Waffen auf das Gelände mitgenommen werden, Ausnahmen gab es nur für die Personenschützer der wichtigsten Personen, wie den König, Regierungschef Karsai oder Verteidigungsminister Marschall Fahim Khan. Im Bereich des großen Zeltes selbst galt dann auch für diesen Personenkreis absolutes Waffenverbot. Besprechungen, oder in diesem Fall Verhandlungen, gestalteten sich in einem Land, wo fast jeder Mann zumindest eine Waffe sein Eigen nennt, überaus schwierig und konnten deshalb nur auf höchster Ebene zu einem Abschluss gebracht werden. Das gegenseitige Misstrauen der Delegierten - immerhin hatten manche Jahrzehnte lang Krieg gegeneinander geführt - tat hier sein Übriges. Mit ganz wenigen Ausnahmen wurden schlussendlich die scharfen Sicherheitsmaßnahmen von allen akzeptiert - einschließlich der gefürchtetsten Warlords. Von den Veranstaltern war befürchtet worden, dass alte und bestehende Feindschaften oder Rechnungen im Gelände beglichen würden. So waren zum Beispiel sowohl der Usbeke General Dostum als auch der Tadschike General Atta unter den Delegierten. Ihnen unterstellte Truppen hatten noch unmittelbar vor der Loya Jirga um die Vorherrschaft im Gebiet um die Stadt Mazar e Sharif, im Norden des Landes, gekämpft.

Ab 1. Juni wurde das Gelände durch 1 BANG-Soldaten hermetisch abgeriegelt, ab diesem Zeitpunkt durften nur mehr berechtigte Personen, gekennzeichnet durch spezielle Ausweise, das Gelände betreten. Am selben Tag begannen Entminungstätigkeiten durch Soldaten der KMNB, um zu verhindern, dass Personen im Bereich des Polytechnikums zu Schaden kämen.

An diesem Tag stellte auch die Führungsstruktur von ISAF am Gelände die Einsatzbereitschaft her. Im Military Operations Room wurde der Gefechtsstand von 1 BANG mit einem Verbindungselement der britischen Ausbilder und eine Einsatzzentrale von ISAF, gestellt durch die Brigade, eingerichtet. Dadurch konnte der vorgeschobene Gefechtsstand einer Führungsebene, nämlich der des HQ ISAF, eingespart werden. Durch den Verzicht auf eine eigene Einsatzzentrale des Hauptquartiers konnten die Reaktionszeiten herabgesetzt werden, da ohnehin nur Truppen der Brigade auf mögliche Vorfälle hätten reagieren können. Das Brigadekommando wurde beauftragt, Kräfte bereitzuhalten, die auf Assistenzanforderung der Loya Jirga-Commission auch innerhalb des Zaunes tätig werden könnten. Diese Assistenz sollte aber nur im äußersten Notfall, also wenn 1 BANG nicht mehr in der Lage gewesen wäre, die Situation zu kontrollieren, abberufen werden. In erster Linie betraf dies die britische Kampfgruppe, in deren räumlichen Verantwortungsbereich das Polytechnikum gelegen war. Die Einsatzzentrale wurde rund um die Uhr von den Planungsoffizieren der Brigade betrieben, die sofort nach Anforderung durch das JAOC Teile der britischen Kampfgruppe einsetzen konnten. Dies hatte den Vorteil, dass die mit der laufenden Operationsführung betrauten Stabsmitglieder nicht durch die Loya Jirga zur Gänze gebunden waren, da auch unabhängig von der Großveranstaltung Aufgaben im Großraum Kabul weiterverfolgt werden mussten. Ab der Anforderung von ISAF-Truppen ging die Verantwortung der Sicherheit auf dem Gelände auf die Brigade über. Die Offiziere in der Einsatzzentrale hatten den Auftrag, ständig über ein aktuelles Lagebild vor Ort zu verfügen und an das HQ ISAF und die Brigade zu melden. Außerdem würden von ihnen alle Truppen von ISAF, welche im Rahmen der Assistenzleistung herbeigerufen wurden, geführt werden.

Um die Einsatzzentrale während des Zeitraumes der Veranstaltung versorgen zu können bzw. auch bewaffneten ISAF-Soldaten verdeckt Zutritt zum Gelände zu ermöglichen, wurde ein eigener geheimer Nebeneingang für ISAF in der Nähe des Military Operations Room errichtet, der durch 1 BANG-Soldaten gesichert war.

Wesentlich verbessert wurde die aktive Terrorabwehr der Schutztruppe, da für die Zeit der Loya Jirga ISAF ein Artillerieerfassungsradar zugeteilt wurde, welches sowohl Aufschlag- als auch Abfeuerungspunkt von Steilfeuer in Sekundenbruchteilen feststellen konnte. Dies ermöglichte zumindest einige Sekunden Reaktionszeit auf Feuerschläge von Raketen, Artillerie oder Granatwerfern. Diese Zeit sollte dazu genutzt werden, um so rasch wie möglich die nächste Deckung aufzusuchen. Außerdem ergab sich dadurch die Möglichkeit, rascher aktive Maßnahmen gegen Terroristen zu ergreifen, die vielleicht einen Anschlag auf die Loya Jirga oder auf ISAF-Einrichtungen beabsichtigten. Auch könnte dadurch ein Zeichen gesetzt werden: Hatte ISAF bisher nur relativ passiv vor derartigen Anschlägen schützen können, würde nun aktiv und initiativ gegen derartig feindlich gesinnte Elemente vorgegangen werden.

Die Führung der KMNB wurde von einem vorgeschobenen Gefechtsstand im Hotel Interconti wahrgenommen. Der stellvertretende Brigadekommandant führte den Gefechtsstand, weiters war der G3 oder ein Vertreter sowie Funk- bzw. Fernmeldepersonal zugegen. Im Falle eines Ereignisses sollte auch der Kommandant, Brigadegeneral Hubertus von Butler, von hier aus führen. Vom Forward Command Post aus würden die über die Kräfte der britischen Kampfgruppe hinausgehenden Anforderungen von der Einsatzzentrale am Loya Jirga-Gelände aufgenommen, beurteilt und dann über den Hauptgefechtsstand der Brigade im Camp Warehouse abgerufen.

Das Hotel Interconti liegt auf einer der beherrschenden Höhen ostwärts über dem Polytechnikum und beherbergte auch das Pressezentrum. Es wurde nur einer geringen Anzahl an Journalisten, zusammengefasst in einem Pressepool, gestattet, vom Gelände selbst Film- oder Fotoaufnahmen zu machen. Alle Informationen mussten an alle Medienvertreter weitergegeben werden.

Die verstärkte Sicherungin Kabul

Somit begann der eigentliche Verantwortungsbereich von ISAF erst außerhalb des Zaunes rund um das Polytechnikum, ebenso jener von Truppen des Innen- und Verteidigungsministeriums. In einer Vielzahl von Konferenzen wurden zwischen diesen Institutionen die verschiedenen Planungen abgestimmt, koordiniert und ein gemeinsamer Einsatzplan erstellt. Zum Abschluss der Vorbereitungstätigkeiten wurde am 31. Mai ein Planspiel innerhalb von ISAF, und wenige Tage später eines gemeinsam mit allen afghanischen Verantwortlichen im Garnisonskommando von Kabul durchgeführt.

Die Straße vor dem Eingang zum Polytechnikum wurde abgesperrt. Eine durch ziviles UN-Personal, Kräfte des Innenministeriums und Militärpolizei von ISAF eingerichtete Sperre (Road Block) sorgte dafür, dass nur berechtigte Fahrzeuge und Personen in Richtung Eingang vorgelassen wurden.

Der Luftraum über dem Verantwortungsbereich von ISAF wird generell durch die Luftstreitkräfte der Operation ENDURING FREEDOM geschützt. Unmittelbar vor Beginn der Loya Jirga wurde die Wirksamkeit des Luftschirmes unter Beweis gestellt: Ein afghanisches Transportflugzeug, das sich ohne Erlaubnis auf dem Flug von Kandahar nach Kabul befand, wurde von französischen und amerikanischen Kampflugzeugen abgefangen und nach Kabul eskortiert.

Die Patrouillen, Checkpoints sowie Beobachtungsstellen von ISAF wurden für die Zeitdauer der Loya Jirga verstärkt. Jede Kampfgruppe hielt eine durch Kampfmittelbeseitigungstrupps und Sanitätstrupps verstärkte Reserve bereit. Die Brigadereserve war ebenfalls durch diese Elemente verstärkt worden.

Fast täglich trafen Terrorwarnungen bei ISAF ein. Meistens handelte es sich dabei um Fahrzeug- oder Personenbeschreibungen von Terroristen, welche Anschläge gegen ISAF oder die Loya Jirga durchführen wollten. Allen diesen Hinweisen wurde nachgegangen. Dies geschah entweder durch gezielte Nachrichtengewinnung und Aufklärung oder durch das Errichten von Checkpoints. Diese Kontrollen wurden oft überraschend nur für wenige Stunden oder Minuten an bestimmten Stellen durchgeführt, um stichprobenartig Fahrzeuge und deren Besatzung zu überprüfen. Nach dieser Zeitperiode wurden die Checkpoints verlegt, um ständig mögliche Feinde zu überraschen und im Besitz der Initiative zu verbleiben. Meistens geschahen diese Aktionen gemeinsam mit den lokalen Polizeibehörden.

Vorfälle während der Loya Jirga

Es konnte eine stabile und sichere Umgebung für die Veranstaltung geschaffen werden. Es ist nicht bekannt, ob potentielle Terroristen durch die massiven Sicherungsmaßnahmen abgehalten wurden oder ob vom afghanischen Geheimdienst oder anderen Kräften aktive Maßnahmen gesetzt wurden. Tatsache bleibt, dass bis auf wenige Ausnahmen ein stabiler und reibungsloser Ablauf dieser sensiblen Veranstaltung sichergestellt war. Trotzdem gab es eine Reihe von Zwischenfällen. Einige Beispiele sollen exemplarisch aufzeigen, wie der Objektschutz im Rahmen der Loya Jirga praktisch funktionierte.

Verdächtige Fahrzeuge

Am 10. Juni wurden bei einer Routinekontrolle durch 1 BANG-Soldaten am Parkplatz gegenüber dem Haupteingang um 0500 Uhr an einer der Türen eines abgestellten Fahrzeuges Reste von militärischem Sprengstoff festgestellt. Ab 0630 Uhr erwartete man dort das Eintreffen von Delegierten, Botschaftern, dem König und anderen wichtigen Personen zur Eröffnung der Veranstaltung. Sofort wurde das JAOC informiert, welches einerseits 1 BANG befahl, entsprechend den britischen Standardmaßnahmen (Standing Operating Procedures - SOP) einen Sicherheitsabstand mit einem Radius von 200 m um das verdächtige Fahrzeug auf dem Gelände der Loya Jirga zu ziehen und diesen Raum abzuriegeln. Gleichzeitig wurde über die ISAF-Einsatzzentrale um Assistenz gebeten. Daraufhin bildete die Reserve der britischen Kampfgruppe ebenfalls einen 200 m großen Sicherungsring außerhalb des Geländes. Danach begann das Kampfmittelbeseitigungsteam dieser Reserve mit den Untersuchungsarbeiten am verdächtigen Fahrzeug. Nachdem das gemeldete Fahrzeug überprüft worden war und sich kein weiterer Sprengstoff im oder am Kfz befunden hatte, wurde die Gelegenheit benutzt, alle Fahrzeuge am Parkplatz zu überprüfen - zum Glück ergebnislos. Dies war vor allem geschehen, nachdem der afghanische Geheimdienst meldete, dass weitere Autos Sprengstoff enthalten würden.

Unerlaubtes Vordringenauf das Gelände

Ebenfalls am 10. Juni wollte um ca. 1900 Uhr, schon nach Ende des offiziellen Tagesprogramms, Innenminister Quanooni mit seiner Fahrzeugkolonne durch die Haupteinfahrt zum großen Zelt vordringen. Gemäß den Vereinbarungen, die der Innenminister selbst mitgetragen hatte, war ihm jedoch nur gestattet, zu Fuß durch alle Sicherheitskontrollen zu kommen. Nachdem die Kolonne durch 1 BANG-Soldaten aufgehalten worden war, sah es kurzfristig so aus, als ob Polizeikräfte herbeigerufen würden, um den Zutritt ihres Ministers zu erzwingen. Dies geschah aber dann doch nicht. Herbeigerufen wurden von Quanooni über Handy jedoch einige seiner alten Kampfgefährten der Nordallianz: Verteidigungsminister Fahim Khan, der ehemalige Präsident Rabbani, der ebenfalls schon eingangs erwähnte Sayyaf und der stellvertretende Verteidigungsminister Dostum. Fahim Khan gehörte zu den wenigen Personen, der grundsätzlich gestattet war, ohne Kontrolle mit ihren Fahrzeugen bis zum großen Zelt fahren zu dürfen (die anderen waren der König und Karsai). Die zusammengerufene Personengruppe machte sich nun auf, im Fahrzeug des Verteidigungsministers den Zugang zu erzwingen. Dabei kam es zur seltsamen Situation, dass Soldaten von 1 BANG den Schranken beim Haupttor zuhielten, während ihr Bataillonskommandant, wie der Innen- und Verteidigungsminister Angehöriger der tadschikischen Volksgruppe, den Schranken öffnen wollte. Dies war jedoch das einzige Mal, dass sich öffentlich ethnische Bruchlinien beim 1BANG feststellen ließen. Das JAOC rief den Kommandanten von ISAF und den UN-Sonderbeauftragten Brahimi an, um politische Weisungen für diesen Vorfall zu erhalten. Es wurde entschieden, die Personen passieren zu lassen, um auf keinen Fall eskalierend zu wirken. Generalmajor McColl machte sich sofort auf den Weg zum Gelände, wo er ein klärendes Gespräch mit dem Innenminister führte.

Bis heute ist die Motivation für dieses Vordringen nicht klar, wahrscheinlich hat es sich um eine Machtdemonstration der Nordallianz gehandelt. Dieser Vorfall zeigt jedoch auf, wie unvorhersehbar die in Afghanistan herrschenden Persönlichkeiten handeln. Gerade Quanooni genießt an und für sich den Ruf eines verhältnismäßig berechenbaren Politikers. Aus diesem scheinbar geringfügigen Vorfall hätte sich bei einer Eskalation eine politische Katastrophe entwickeln können. Zum Glück wurde, vor allem seitens des 1 BANG, besonnen gehandelt. Vorteilhaft erwies sich auch der enge persönliche Kontakt des ISAF-Kommandanten Generalmajor McColl zur afghanischen politischen Führung.

ISAF-Soldaten als Ziel?

Eine Patrouille der deutschen Kampfgruppe wurde am 12. Juni von einem aus drei Pickups (zivilen Kraftfahrzeugen) bestehenden afghanischen Konvoi überholt. Dabei richteten mehrere uniformierte Afghanen ihre Waffen auf die deutschen Soldaten und simulierten, auf sie zu schießen. Diese nahmen daraufhin die Verfolgung auf. Die Fahrt führte in Richtung des Loya Jirga-Geländes. Zirka 500 m davor konnten zwei Pickups, unmittelbar vor der Zufahrt zum Hotel Interconti, mit Hilfe einer weiteren über Funk herbeigeholten deutschen Patrouille gestoppt werden. Bei der Entwaffnung kam es zu Handgreiflichkeiten. Wie sich später herausstellte, war dies der Konvoi des Delegierten Walli Massoud, Bruder des am 9. November 2001 getöteten Shah Achmed Massoud, der mit seinen Personenschützern am Weg zur Loya Jirga war. Am Abend erklärte der Politiker den Vorfall im Rahmen einer Pressekonferenz als Missverständnis und gab an, dass die Deutschen richtig gehandelt hätten, nachdem sie mit Waffen bedroht worden waren. Die Vorgangsweise der ISAF-Patrouille brachte der Schutztruppe beträchtliche Anerkennung.

Raketenangriff

Am 18. Juni wurden 107-mm-Raketen auf die US-Botschaft und eine nahegelegene Wohnsiedlung in der Innenstadt abgefeuert. Alle Verantwortlichen waren einerseits froh, dass niemand verletzt wurde, auch der Sachschaden hielt sich in Grenzen. Auf der anderen Seite wunderte man sich jedoch, warum die Raketen nicht auf das große Festzelt mit seinen 2 000 Delegierten abgefeuert worden waren. Mit einem Schlag hätte man dort die gerade erst neu entstandene Führungsspitze sowie alle bedeutenden Warlords zumindest verletzen können. Wie bei allen bisherigen derartigen Anschlägen waren Täter und Motiv unklar. Bis heute gibt es keine Informationen, ob dieser Anschlag überhaupt im Zusammenhang mit der Loya Jirga zu sehen ist. ISAF-Truppen waren in wenigen Minuten vor Ort.

Resümee

Der dargestellte Objektschutz lässt einige Rückschlüsse auf ähnliche künftige Vorhaben mit Beteiligung des Österreichischen Bundesheeres zu, egal ob im In- oder Auslandseinsatz.

In Kabul hat die internationale Schutztruppe Assistenz für die lokalen Behörden geleistet. Damit ist ein hoher Koordinierungsbedarf mit den zivilen Verantwortungsträgern sowie den örtlichen Polizei- und Militärbehörden verbunden. Durch Simulationen (militärisch würde man Planspiele sagen) lässt sich dies, von oberster Ebene beginnend, sehr plastisch darstellen, üben und darauf aufbauend umsetzen.

Auf örtliche und kulturell spezifische Gegebenheiten ist unbedingt Rücksicht zu nehmen, um die Akzeptanz, besonders bei den lokalen Kräften, zu finden.

Informationstechnologische Errungenschaften können den persönlichen Kontakt von Verantwortungsträgern nie völlig ersetzen.

Der militärische Planungsprozess unterscheidet sich beim dargestellten Ereignis nicht von klassischen Aufgaben. Die Grenze zwischen Friedensunterstützenden Einsätzen und Aufgaben in der Heimat verschwindet bzw. stellt sich als sehr fließend dar. Dies hat daher auch Auswirkungen auf die Ausbildung, Ausstattung und auf angewandte Doktrinen. Diese wären für In- und Auslandeinsätze zu vereinheitlichen.

Um Überraschungen zu entgehen, muss man alle möglichen Lageentwicklungen in den Beurteilungsprozess mit einbeziehen. Wie nicht erwartbares Verhalten von Teilen der politischen Führungseliten des Landes beweist, muss man in der Umsetzung der Planungen aber ausreichend Flexibilität bewahren, um trotzdem gewappnet zu bleiben.

In einem Umfeld wie Kabul gilt es, die richtige Mischung zwischen entschiedenem Auftreten und martialischem Gehabe zu finden. Zu passives Verhalten führt zur Annahme, die Soldaten nicht ernst nehmen zu müssen. Eine gewisse abschreckende Wirkung sollte mit dem Einsatz von Militär verbunden sein. Aggressives Auftreten bringt jedoch sehr oft gewaltsame Gegenreaktionen mit sich, die keinesfalls erwünscht sind. Wie so oft, das gilt speziell für Raumschutz und ähnliche Einsätze, ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gefragt. Dies ist jedoch auszubilden und ständig auf vorhandene Wirksamkeit zu überprüfen.

Gefährdungen können sich aus einem zu kleinen Verantwortungsbereich ergeben. Obwohl im Vorfeld der Loya Jirga eigens der ursprünglich im UN-Mandat festgelegte Einsatzraum vergrößert worden war, befand sich das Gelände immer noch in Reichweite potentiell feindlich oder terroristisch genützter Raketenwaffen.

In einem solchen Fall bekommen hochtechnologische Geräte, wie z. B. ein Artillerieerfassungsradar, große Bedeutung. So haben auch Kleinstaaten die Gelegenheit, bei einer vernünftigen Beschaffungsplanung im multinationalen Umfeld auftretende Defizite ausgleichen zu können. In diesem Sinne kann ein substantieller und qualitativ hochwertiger solidarischer Beitrag geleistet werden.

Autor: Major dG Philipp Eder, Jahrgang 1968. Nach der Offiziersausbildung an der Theresianischen Militärakademie von 1991 bis 1994 Verwendungen als Zugskommandant, stellvertretender Kompaniekommandant und S 1 beim Panzergrenadierbataillon 9. 1994 bis 1997 Lehrzugskommandant und stellvertretender Jahrgangskommandant an der Theresianischen Militärakademie. 1997 bis 2000 Hörer am 15. Generalstabslehrgang. 2000 bis 2001 Referent in der Abteilung Militärstrategie/BMLV. Derzeit Leiter des Referats Operation an der Landesverteidigungsakademie. Von Mai bis Juli 2002 Kommandant AUCON 1/ISAF und Planungsoffizier (J5Plans) der Kabul Multinational Brigade.

Der Autor dieses Beitrages war als Planungsoffizier (J5Plans) der Kabul Multinational Brigade in Afghanistan u. a. für die Sicherheit der bedeutamsten Großveranstaltung dieses Landes im Jahr 2002, der von 10. bis 21. Juni abgehaltenen Großen Ratsversammlung (Loya Jirga) in der afghanischen Hauptstadt, mitverantwortlich. Die dabei gewonnenen Erfahrungen bei Planung und Durchführung dieser Veranstaltung können in künftige Aufgabenstellungen für österreichische Truppen im In- und Ausland einfließen. Dieses zeitgeschichtlich bedeutsame Ereignis wird aus dem militärischen Blickwinkel eines Zeitzeugen dargestellt. Teilweise musste bei der Erstellung dieses Beitrages auf die nach wie vor sensible Lage in Kabul und die eingesetzte internationale Schutztruppe Rücksicht genommen werden. Der daraus entstehende Nachteil der nicht veröffentlichbaren bzw. nur verkürzt darstellbaren Aspekte wurde vom Autor bewusst in Kauf genommen.

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