Österreichische Heeres-Alpinisten an der Grenze zu Mazedonien
Ein Bericht von Hauptmann Nicolai Tscholl Suva Reka - Von 17. April - 17. Mai 2001 waren österreichische KFOR - Soldaten auf einer Höhe von etwa 2.400 m als Fernspäher an der Hochgebirgsgrenze zu Mazedonien eingesetzt. Windgeschwindigkeiten von bis zu 150 km/h, Nebel, eisiger Kälte und Schneefällen trotzend, konnten die ausgewählten Gebirgssoldaten der dort in den Tälern operierenden deutschen Task Force PRIZREN wichtige Informationen über die Situation im mazedonischen Grenzgebiet, einsickernde UCK-Kämpfer und Flüchtlingsströme liefern. So konnte insgesamt ein Ausweichen von Kämpfern über das Kosovo großteils verhindert und somit auch eine Ausweitung des Konfliktes auf das unter UN-Administration und KFOR-Schutz stehende Gebiet vermieden werden. Im gleichen Atemzug richtete man auch verstärkte Aufmerksamkeit auf den Waffenschmuggel über die Hochgebirgspässe.
Wenn es um Gebirgsausbildung geht, hat Österreich in aller Welt einen ausgezeichneten Ruf. Das österreichische Militär hat eine große Gebirgstradition. Österreichische Soldaten mußten schon zur Zeit der Monarchie in den Bergen operieren. Zwar zählen die im Rahmen der Kosovo-Friedenstruppe eingesetzten Soldaten nicht zu den spezialisierten Hochgebirgstruppen, doch beim Führungskader findet sich fast überall qualifiziertes Alpinpersonal. Bei der Truppe selbst kommt uns hier die Regelung zugute, daß alle Jägerbataillone in Österreich die "Allgemeine Truppenalpinausbildung" durchführen müssen. Deshalb sind auch die Masse der österreichischen KFOR-Soldaten in den Bergen einsetzbar. Mitte April wurden von der deutschen Brigade im Süden des Kosovo wieder vermehrt grenzüberschreitende Aktivitäten an den Hochgebirgspfaden zu Mazedonien bemerkt. Eine verdichtete Beobachtung an den möglichen Grenzübertrittspfaden wurde notwendig. Um die Gebirgsübergänge im Grenzgebiet effizient zu überwachen, fehlte es der deutschen Task Force aber an qualifiziertem Alpinpersonal und an geeigneter Ausrüstung. Naheliegend wurde die österreichische Task Force damit beauftragt. Ab 19. April sollte für zumindest 14 Tage eine Beobachtung der Hochgebirgspfade sichergestellt werden, mit dem Auftrag, der deutschen Task Force Prizren jegliche Grenzüberschreitung zu melden, um eine lückenlose Überwachung sicherzustellen. Fast einen Monat lang lieferte dann der österreichische "Außenposten" der deutschen Brigade wichtige Informationen, um auch den gebirgigen Grenzverlauf überwachen zu können. Flüchtlinge wurden aufgenommen nach einer Erstversorgung in Sicherheit gebracht. Viele von ihnen hatten Verwandte in grenznahen Dörfern. Nach Erhalt des Auftrages der Task Force Prizren wurde zuerst ein alpinistisch ausgebildetes Erkundungskommando unter der Führung des Bataillonskommandanten Oberstleutnant Ernst Konzett, der selbst Heeresbergführer ist, mit Schi und Alpinausrüstung zusammengestellt. Am 19. April wurden die ersten Kräfte ins Gebirge entsandt. Die Österreicher sollten lediglich Aufklärung betreiben und die Beobachtungen melden. Ein selbständiges Einschreiten war nicht vorgesehen. Der Einsatz entpuppte sich bald als anspruchsvolles Unternehmen. Wer schon öfters in den Bergen war, weiß, wie extrem die Wetterverhältnisse dort werden können. Schon am ersten Abend des Einsatzes folgte der Wetterumbruch. Bei Windgeschwindigkeiten bis zu 150 km/h wurden die Zelte fast weggerissen, die Temperaturen sanken zum Teil bis auf -12 °C. Der beginnende Schneefall tat ein übriges. 5 Tage waren die Soldaten eingeschneit. Die Verpflegung bestand ausschließlich aus den sogenannten "Combat Rations", abgepackter Verpflegung, um für eine gewisse Zeit unabhängig und ohne Nachschub auskommen zu können. Sobald es das Wetter zuließ, wurde die Mannschaft am Berg von Kameraden abgelöst. Für den Rest des Einsatzes wurde alle 6 Tage das Personal ausgewechselt, bei Schönwetter mit dem Hubschrauber, bei schlechter Witterung mußte der Aufstieg zur auf 2.400 m Seehöhe gelegenen Beobachtungsstelle mit 35 kg Gepäck am Rücken zu Fuß bewältigt werden. Das trieb viele an ihre Leistungsgrenzen. Das Wetter blieb während des gesamten Einsatzes sehr wechselhaft, doch wenigstens hielten die Zelte. Bei Schönwetter hatte man vom österreichischen Beobachtungsposten aus eine Fernsicht bis nach Tetovo hinunter in den mazedonischen Raum. Grenzgänger konnten schon bis zu einer ¾ Stunde vor Eintreffen erkannt werden. Somit verschafften die Österreicher den Soldaten der deutschen Brigade ausreichend Zeit, um zu reagieren. Um den 2. Mai herum verschärfte sich die Situation im Raum Tetovo wieder. Vermehrt wurden UCK-Kämpfer gesichtet. Daraufhin wurde vom österreichischen Bataillonskommandanten entschieden, den Beobachtungsposten zu verstärken, um den erforderlichen Eigenschutz zu garantieren. Zudem standen Soldaten bereit, um im Notfall mit dem Hubschrauber als "Quick Reaction Force" eingeflogen zu werden. Man war auf alle Möglichkeiten vorbereitet. Zwischenfälle gab es keine. Die Flüchtlinge wurden von den Deutschen versorgt, und die wenigen UCK-Kämpfer ließen sich von den deutschen Bundeswehr_Soldaten entwaffnen. Ein direktes Vordringen zum österreichischen Posten war ohnehin aufgrund der Position im Gebirge sehr unwahrscheinlich. Bis zum 6. Mai hatten schon über 2000 Flüchtlinge Mazedonien über die Berge Richtung Kosovo verlassen. Oft wurden sie von der UCK (NLA) zum Verlassen ihrer Dörfer aufgefordert. Die Granatwerfereinschläge im mazedonischen Raum waren am österreichischen Beobachtungsposten noch gut hörbar. Vermehrt wurde auch Schmugglertätigkeit beobachtet. Als Beweis für den stattfindenden Waffenschmuggel wurden Waffendepots aufgefunden. Die Kämpfe und Ereignisse im benachbarten Mazedonien hatten trotz allem keine Auswirkungen auf den österreichischen Verantwortungsbereich im Raum Suva Reka. Ein Phänomen waren immer die öfters auftretenden Schmuggler-Maultiere, die mutterseelenallein über die Berge kamen. Ohne Begleitung kannten sie blind den Weg zu ihrem Abnehmer und wieder zurück. Die Schmuggler selbst waren nie dabei. Am 12. Mai erfolgte schließlich die letzte Ablöse. Wegen der katastrophalen Wetterverhältnisse, die Sichtweite betrug nur noch an die 2 m, mußte das ablösende Team jedoch wieder umkehren und die Mannschaft am Berg noch einen Tag ausharren. Mit 19. Mai schließlich beendeten die Österreicher im Gebirge ihren Einsatz. Bis dato haben noch keine anderen KFOR-Soldaten einen Fuß in diese Höhen gesetzt. Jetzt geht es daran, den im südlichen Kosovo eingesetzten deutschen Soldaten das alpinistische Handwerk näherzubringen, damit sie in Zukunft derartige Einsätze, zumindest an den leichter gangbaren Übergängen im Sommer, auch selbst durchführen können und in den kosovarischen Bergen nicht immer auf österreichische Hilfe angewiesen sind.
Das alpinistische Know-How des österreichischen Bundesheeres hat sich wieder bewährt. Bei KFOR gelten Soldaten, die derartige Einsätze bewältigen können, als seltene und gefragte Spezialisten.