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Der Republikanische Schutzbund und die militärische Vorbereitung auf den Bürgerkrieg

von Otto Naderer

Kurzfassung

◄ Die gewaltsamen Auseinandersetzungen in der Ersten Republik waren sowohl ein Ergebnis der Innenpolitik als auch der mentalen Gewaltbereitschaft der Gesellschaft, basierend auf einem aus dem Krieg übernommenen Frontgeist in Verbindung mit der Überzeugung, die jeweils eigene Ideologie sei die einzig richtige. Eine latent bürgerkriegsähnliche Atmosphäre prägte das Leben seit dem Justizpalastbrand 1927, zu der sich allgemeine Arbeitslosigkeit, Armut und Hoffnungslosigkeit gesellten. Im Bürgerkriegsjahr 1934 setzte die amtierende Regierung Dollfuß das Militär zweimal ein, im Februar gegen den verbotenen Republikanischen Schutzbund im Juli gegen die illegalen Kräfte der österreichischen Nationalsozialisten.

Mit der Aufstellung des Republikanischen Schutzbundes im April 1923 besaß die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Österreichs (SDAPÖ) zumindest bis 1927 eine Wehrformation, die nicht nur eine Vorrangstellung im Kampf um die Straße garantierte, sondern auch im Ansatz ein militärisches Instrument für den Eventualfall Bürgerkrieg darstellte.

Mit der Aufrüstung der politischen Rechten geriet dieses Schutzbund-Monopol unter Druck, doch konnten weder Heimwehren noch SA ihm den Rang als stärkste Wehrbewegung streitig machen. Der Schutzbund zeichnete sich vor allem durch politische Geschlossenheit sowie Überlegenheit in der Bewaffnung und in der Organisationsstruktur aus, die eine strategisch/militärstrategische, eine operative und eine taktische Ebene kannte. Mängel stellten die nur zeitweise Verfügbarkeit der Angehörigen dar, worunter in erster Linie die Ausbildung litt, ein Problem, das sich allen Wehrverbänden mit Ausnahme der nationalsozialistischen Österreichischen Legion stellte, die 1933/34 in Lagern einquartiert wurde und eine militärische Ausbildung erhielt.

Das größte Defizit des Schutzbundes bestand aber im Desinteresse der Parteiführung betreffend Zustand und Weiterentwicklung. Zwar ordnete diese ab Herbst 1927 "Disziplinierung" und "Militarisierung" an und befahl die Ausarbeitung eines Operationsplans, doch damit erschöpfte sich das Interesse. Unter dem Eindruck des Pfrimer-Putschs im September 1931 wurden ab 1932 die Geländeübungen forciert, gleichzeitig konnten einige wenige Positionen in den staatlichen Stellen konsolidiert werden, die durch die politische "Umfärbung" des Bundesheeres unter Druck geraten waren.

Doch weder ein neues operatives Konzept noch die nach wie vor gute Bewaffnung konnten über die Defizite hinwegtäuschen, die die so genannte "Technikerkonferenz" im Februar 1933 im Nachrichtendienst und in der Kader- sowie Schießausbildung kritisierte. Die politischen Ereignisse ließen dem Schutzbund keine Zeit mehr zur Behebung dieser Mängel. Im März 1933 in die Illegalität gedrängt, erfüllte sich das Schicksal dieser Wehrformation in der Niederlage im Bürgerkrieg 1934. ►


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Der Republikanische Schutzbund und die militärische Vorbereitung auf den Bürgerkrieg

Zum siebzigsten Mal jährt sich 2004 das Bürgerkriegsjahr 1934. Die damals amtierende Bundesregierung unter Dr. Engelbert Dollfuß musste ihre bewaffneten Kräfte gleich zweimal einsetzen, im Februar gegen den bereits illegalen Republikanischen Schutzbund der österreichischen Sozialdemokratie, im Juli gegen die gleichermaßen illegalen Kräfte der österreichischen Nationalsozialisten; diese "Juli-Revolte" sollte Bundeskanzler Dollfuß auch das Leben kosten. Diese gewaltsamen Auseinandersetzungen waren sowohl ein Ergebnis der Innenpolitik der Ersten Republik als auch der mentalen Bereitschaft der Gesellschaft zur Gewalt. Ein vom Ersten Weltkrieg übernommener Frontgeist und die weit verbreitete Überzeugung, dass nur die jeweils eigene Ideologie zu einem besseren Leben führen könnte, bildeten die psychologischen Voraussetzungen. Den komplementären realpolitischen Boden stellte der Alltag der Ersten Republik dar, der ab 1927 durch eine latent bürgerkriegsähnliche Atmosphäre und ab 1930 durch eine überall feststellbare Arbeitslosigkeit, Armut und einsetzende Hoffnungslosigkeit gekennzeichnet war.

Im Mittelpunkt der folgenden Betrachtungen stehen die von der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs (SDAPÖ) unternommenen Versuche, ihre seit 1923 bestehende Wehrformation "Republikanischer Schutzbund" in ein militärisches Instrument für den Eventualfall eines Bürgerkrieges aufzubauen. Abgerundet wird dieses Kernthema durch die Vorstellung der Wehrformationen des rechten politischen Spektrums wie auch der entsprechenden Vorbereitungen durch das Bundesheer.

Grundlagen der Ersten Republik

Die Niederlage im Ersten Weltkrieg und der Zusammenbruch des Habsburgerreiches beendeten die jahrhundertelange Existenz Österreichs als Großmacht mit Ordnungsfunktion in Mittel- und Mittelosteuropa. Die Staatswerdung im internationalen Rahmen wurde durch den Friedensvertrag von St. Germain 1919 abgeschlossen. Der geopolitische Zweck der Republik Österreich im System der Pariser Vororteverträge war die Behauptung des Donau- und Alpenraumes gegenüber Deutschland, dem entsprach das v.a. von Frankreich vertretene Anschlussverbot. Neben der "Kleinen Entente" etablierte sich im neu geordneten Mitteleuropa Italien als regionaler politischer Akteur. Besonders nach der Machtergreifung Mussolinis wurde von hier eine außenpolitische Einflussnahme auf die österreichische Innenpolitik wirksam.

Im innenpolitischen Gefüge der neuen Republik wurde die schon in der späten Monarchie herausgebildete antiliberale Bewegung mit ihren wesentlichen christlichsozialen, deutschnationalen und sozialdemokratischen Richtungen in das parteipolitische Leben transferiert. Hier aber war, falls überhaupt, nur in den Anfangsjahren ein positiver republikanischer Minimalkonsens vorhanden. Die Dominanz und Konkurrenz der politischen Richtungen sollten bald alle Integrationsbemühungen unterlaufen, zur sich herausschälenden ideologischen Lagerbildung trat bald auch der Gegensatz "Rotes Wien - konservative Bundesländer" hinzu.(Fußnote 1/FN1) Eine Trennung, die ganz allgemein die österreichische Gesellschaft in ein rechtes und in ein linkes Milieu, in zwei Lager, aufteilte, die sich in der gegenseitigen Abgrenzung definieren sollten.(FN2) Für die Rechte, der generelle Sammelbegriff für die christlichsoziale und nationalsoziale Richtung, für Bürgertum, Mittelstand und Bauern war die Republik bald ein Synonym der Niederlage im Weltkrieg, des Zusammenbruchs, der Kleinheit und der Schwäche.(FN3) Die Linke, die unter der Führung der Sozialdemokratie die Industriearbeiterschaft fast vollumfänglich sammeln konnte,(FN4) sah hingegen in der Republik die unwiederbringliche Abkehr von der alten Habsburgermonarchie und den entscheidenden Etappensieg auf dem Weg zur ersehnten sozialistischen Demokratie. Dass bei der Ausrufung der Republik und während ihrer ersten Monate die Sozialdemokratie die bestimmende Kraft war, verstärkte nur die Identifikation durch die Arbeiterschaft und gleichzeitig die Abwehrreflexe auf der rechten Seite.

Christlichsoziale Partei und Großdeutsche Partei waren die politischen Repräsentanten des bürgerlichen Lagers und sollten, obwohl nicht annähernd so homogen und straff organisiert wie die Sozialdemokratische Partei, ab Juni 1920 in wechselnder Stärke bis 1932 die Regierungsgeschäfte führen.

Hand in Hand mit der innenpolitischen Konfrontation ging die Aufstellung der jeweiligen Wehrverbände, hier die Heimwehr, dort der Republikanische Schutzbund, einher. Beide gaben vor, das jeweils eigene Lager gegen Angriffe des anderen zu schützen, und waren die einen gegen den Marxismus aufgebaut, so richteten sich die anderen gegen den Faschismus. Psychologisch fanden hier der weit verbreitete Gedanke der Wehrhaftigkeit, des Opfermuts für die eigene Sache und der aus dem Krieg übernommene "Frontgeist" ihre Entsprechung.(FN5) Die Wehrverbände waren vor diesem Hintergrund aber nicht nur Ausdruck der jeweiligen Wehrhaftigkeit, sie standen auch für eine latent vorhandene Gewaltbereitschaft, die v.a. mit der Zuspitzung der innenpolitischen Lage ab 1927 ihre Opfer fordern sollte.

Das österreichische Bundesheer als militärisches Instrument der Republik

Der am 10. September 1919 in Saint-Germain-en-Laye mit den Siegermächten unterzeichnete und am 16. Juli 1920 in Kraft getretene Friedensvertrag hatte weitreichende Folgen auch für die österreichische Wehrverfassung. Parallel zum Anschlussverbot erfolgten Eingriffe, die einer Beschränkung eines souveränen Staates gleich kamen. So wurde die allgemeine Wehrpflicht untersagt, das Heer "…durfte nur auf dem Wege freiwilliger Verpflichtung aufgestellt und ergänzt werden…" und war mit höchstens 30.000 Mann, "…einschließlich der Offiziere und Depottruppen" begrenzt. In diesem Sinne wurden auch die Dienstzeiten der länger dienenden Soldaten, die genaue Gliederung und Ausstattung der großen Verbände, das Verbot jeglicher Vorsorgen für eine Mobilmachung, der Aus- und Einfuhr von Waffen, Munition und Kriegsmaterial sowie der Aufstellung von Luftstreitkräften verfügt. Zur Überwachung dieser einschränkenden Bestimmungen wurden interalliierte Kommissionen mit entsprechenden Befugnissen eingesetzt, die auch ein Kontrollrecht im legislativen Bereich wahrnehmen konnten.(FN6) Bei den Aufgaben des Heeres sah die Republik Österreich den "Schutz der Grenzen der Republik" als Priorität an, was den Intentionen der Siegermächte entgegenstand, die im sicherheitspolizeilichen Assistenzeinsatz die erste Zweckbestimmung der Streitkräfte erachteten. Diese umgekehrte Prioritätenreihung lässt den Schluss zu, dass für die Vertragspartner von Saint-Germain das österreichische Heer nicht wirklich für die Aufgabe der Verteidigung des Staates, seiner Urfunktion also, vorgesehen war.(FN7) Das Wehrgesetz vom 18. März 1920 vollendete sowohl die Unterstellung des militärischen Instruments unter die zivile rechtsstaatliche Kontrolle als auch die prinzipielle Aufgabenzuordnung beim Bundesstaat. 1922 erhielten die republikanischen Streitkräfte den Namen "Österreichisches Bundesheer".

Organisatorisch wurden die der Republik zugestandenen 30.000 Mann mit 90 Geschützen und 60 Minenwerfern (heute Granatwerfer) in sechs Brigaden gegliedert. Diese umfassten im Wesentlichen die Waffengattungen Infanterie, Artillerie (Gebirgs- und Feldartillerie), Pioniere und Telegraphentruppen (heute Fernmeldekräfte). Da das Bundesheer aber nicht nur den Zwängen des Friedensvertrages, sondern auch denjenigen der österreichischen Finanzminister ausgesetzt war, ergab sich eine Wirklichkeit, von welcher der 1924 entlassene Heeresinspektor General Theodor Körner einen ungeschminkten Bericht gab: "… Auf den zulässigen Stand der 30.000 Mann fehlten Ende Oktober 1923 schon 91 Offiziere, 380 Unteroffiziere und 7.543 Wehrmänner…" Die Folgen waren für Körner eindeutig: "… Durch diese Standesabgänge sind die Übungen und die ganze Ausbildung einschneidend beeinflusst. Eine rationelle Ausbildung in Verbänden ist heute schon nicht mehr möglich, wenn Kompanien mit 10 bis 15 Mann ausrücken, 40 Mann ein Ereignis sind. Von einer Ausbildung der Artillerie ist nicht mehr die Rede, wenn pro Batterie nur fünf Mann für die Schulung beim Geschütz verfügbar sind, der Rest bei der Pferdewartung gebunden ist…" Der häufige Missbrauch von Soldaten als zivile Arbeiter tat ein Übriges, und oft kam zum Mannschaftsmangel noch jener an Munition. "… Auch das zugestandene Munitionsquantum ist nicht vollzählig vorhanden. Es fehlt v.a. an Gewehrmunition. Von der vorhandenen Munition muss aus Rücksicht für die Ausbildung weiter verschossen werden, ohne dass ersetzt werden kann. …Was dann zurückbleibt und Bundesheer heißt, ist ein sich für Paraden und Ausrückungen vorbereitender Verein, der in der Tradition der Vergangenheit lebt, sich Luftschlössern hingibt und die Öffentlichkeit über die traurige Wirklichkeit hinwegtäuscht..." (FN8) Diesem sachlich vernichtenden Urteil des sozialdemokratisch gesinnten General Körner stimmte in einem seltenen Augenblick auch das konservative Organ der Offiziere, die "Österreichische Wehrzeitung", zu. Ansonsten war das Bundesheer über viele Jahre geprägt durch eine Spaltung, die auf der einen Seite der Kluft eine sozialdemokratisch gesinnte Mannschaft, auf der anderen ein konservativ, bürgerlich bis "legitimistisch" (=habsburgisch) eingestelltes Offizierskorps sah. Die Ursachen lagen in der während der Geburtsphase der Republik dominierenden Sozialdemokratie, die es verstand, in der "Volkswehr" mit ihren "Soldatenräten" die Arbeiterschaft zu integrieren und gleichzeitig die Mehrzahl der heimkehrenden Offiziere zu beleidigen. Aus den Soldatenräten wurden durch das Wehrgesetz "Vertrauensmänner", die eine direkte Verbindung zum "Zivilkommissariat" in den Nationalrat und darüber hinaus zum Republikanischen Schutzbund hatten. Wenn auch diese Möglichkeiten allen politischen Bewegungen offen standen, so war es doch die proletarische, die diese am effizientesten nutzte. Da die Vertrauensmänner jährlich gewählt wurden, war ein permanenter parteipolitischer Einfluss im Innenleben der Armee gegeben. Alles Gründe, die nicht nur eine gewisse innerbetriebliche Spannung, sondern auch eine Reserviertheit vieler Offiziere hervorriefen, die sich nur mit einer "... den höchsten geschichtlichen Beispielen an die Seite zu stellende Pflichterfüllung und Selbstverleugnung ... für die Republik…" (FN9) engagierten.

Diese "sich selbst verleugnenden Offiziere" erhielten in dem ab 1923 für zehn Jahre amtierenden Verteidigungsminister Carl Vaugoin einen mächtigen Verbündeten.

Die "Entpolitisierung" im Bundesheer

Mit diesem Schlagwort versuchte Minister Vaugoin den im Bundesheer vorhandenen sozialdemokratischen Einfluss zurückzudrängen und wenn möglich zu beseitigen. Dieser Versuch war nicht nur parteipolitisch motiviert. Er fand seine Begründung auch in der Erkenntnis, dass das Bundesheer seiner Aufgabe der sicherheitspolizeilichen Assistenz bei einer möglichen Verwendung gegen die Sozialdemokratie wegen mangelnder Zuverlässigkeit nicht nachkommen könnte. Noch beim Justizpalastbrand 1927 war sich die Schutzbundführung sicher, dass ein Einsatz der Wiener Verbände gegen die randalierenden Arbeiter auszuschließen sei.

Dafür verantwortlich waren besonders die 1925 von der sozialdemokratischen Partei eingesetzten Militärkomitees. Mit diesen konnte sowohl eine Beeinflussung der Mannschaft als auch eine ständige Aufklärungsarbeit innerhalb des Bundesheeres garantiert werden. Träger dieser Arbeit waren die "Vertrauensmänner", die auch dafür zu sorgen hatten, dass aus dem Heer ausgeschiedene Sozialdemokraten dem Schutzbund als Ausbilder beitraten.(FN10) Mit mehreren Instrumenten versuchte nun Minister Vaugoin, ein in seinem Sinne zuverlässiges Heer zu bilden. Neu eintretende Soldaten mussten ein Leumundszeugnis des örtlichen Pfarrers mitbringen, beim Aufnahmeverfahren selbst kam der auf Länderebene angesiedelten Heeresverwaltungsstelle ein erhöhtes Gewicht zu. Im Heer bereits dienenden sozialdemokratischen Soldaten wurde der militärische Alltag immer schwieriger gemacht, bei Disziplinarvergehen ein wesentlich strengerer Maßstab angelegt. Durch eine organisatorische Neuordnung der jährlichen Vertrauensmännerwahlen zu Gunsten des christlichsozialen "Wehrbundes" gerieten sozialdemokratische Bastionen unter starken Druck, so ging das Bundesland Salzburg 1928 als "westliche Vorpostenstellung" verloren.(FN11) Die Sozialdemokratie und mit ihr der Republikanische Schutzbund stuften ihrerseits neben den Formationen der Heimwehr auch das Bundesheer mehr und mehr als möglichen Bürgerkriegsgegner ein.(FN12)

Das Bundesheer als sicherheitspolizeiliche Assistenz

Die schon mehrfach erwähnte Zuspitzung der innenpolitischen Lage ab dem Justizpalastbrand 1927 führte auch dazu, dass das Bundesheer verstärkt zur sicherheitspolizeilichen Assistenz herangezogen werden musste. Vom Umfang und der Gefährlichkeit her waren die Assistenzen vom Oktober 1928 in Wiener Neustadt und vom Juni 1930 in St. Pölten herausstechend, wo jeweils nur gut bewaffnete Bataillone einen Zusammenstoß aufmarschierender Heimwehr- und Schutzbundformationen abschrecken konnten.

Die Soldaten handelten dabei nach den damals schon im Artikel 79 Bundesverfassungsgesetz verankerten Aufgaben des Bundesheeres sowie gemäß der 1928 neu herausgegebenen "Allgemeinen Dienstvorschrift" (ADV). Als dritte gesetzliche Grundlage fungierten die 1932 erlassenen "Richtlinien für das Verhalten von Truppen als Assistenzen zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im Innern". Sowohl die ADV als auch die "Richtlinien" betonten das Zurückhalten der Waffen, solange dies möglich sei. Von der Schusswaffe sollte nur "... bei Tumulten und aufrührerischen Bewegungen auf ausdrückliches und begründetes Verlangen des politischen oder polizeilichen Beamten... (oder) ...wenn eine Truppe tätlich oder gar mit Waffen angegriffen wird..." Gebrauch gemacht werden. Diese Zurückhaltung wurde aber bei der Bekämpfung einer organisierten, bewaffneten Aufstandsbewegung aufgegeben, hier forderten die "Richtlinien" die Anwendung militärischer Grundsätze, wenn möglich im Angriff. Dabei sollten alle nötigen Waffengattungen herangezogen werden, auch die Artillerie. "... die Artillerie soll wegen der verheerenden Wirkung gegen ungedeckte Menschenmassen nur äußerstenfalls zu anderen als Zerstörungsaufgaben verwendet werden. Sie feuert, womöglich nicht mehr als 600m, höchstens aber 400m an den Gegner herangehend, zugs- und halbzugsweise, meist direkt, unter Ausnützung von Straßenecken, Torwegen usw. ..." (FN13) Der lange tief im kollektiven Gedächtnis Österreichs verankerte Artillerieeinsatz gegen die Schutzbundangehörigen, v.a. in Wien, findet hier seine Ursache. Vor einem allzu schnellen Urteil muss aber auf wesentliche Faktoren hingewiesen werden. Mit dem Einsatz der Artillerie gegen organisierte Aufstandsbewegungen versuchte die Bundesheerführung v.a. das Leben der eigenen Soldaten zu schonen. Ein verständlicher Ansatz, der zum Rückgriff auf die Artillerie auch im Juli 1934 führte.

Weiters kämpfte das Bundesheer in den beiden Bürgerkriegen des Jahres 1934 immer als sicherheitspolizeiliche Assistenz auf Anforderung der Kräfte des Innenministeriums. Es erfüllte dabei Aufgaben zum Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen sowie zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im Inneren. Diese Einsätze wurden von der Bundesheerführung weder begrüßt noch erwünscht, sie waren aber legal. Das Bundesheer war Teil der republikanischen Rechtsordnung, ausgedrückt durch das Wehrgesetz und das Bundesverfassungsgesetz, einer Rechtsordnung, die zumindest bis zum März 1933 in einer parlamentarischen Art zustande kam.

Heimwehr und Sturmabteilung (SA)als wesentliche Wehrverbände der politischen Rechten

Alle Wehrverbände waren der legislativen Kontrolle entzogen und kamen damit einem Verlust des staatlichen Gewaltmonopols gleich. Doch die junge Republik akzeptierte diesen Umstand, da die bewaffneten Formationen der Parteien die Funktion einer strategischen Reserve für das wehrlose Land wahrnehmen konnten, eine Funktion, die sie schon 1918/1919 an den südlichen Grenzen gegen Angriffe des neu gegründeten Jugoslawien erfüllen mussten. Nur zwei Jahre später äußerte sich auch Otto Bauer vor Bundesheeroffizieren in diesem Sinne, wenn er meinte, "… Und wenn wir auch keine starke Wehrmacht haben dürfen, soviel können wir doch haben, dass wir unsere Neutralität verteidigen können, wenn etwa Tschechen und Ungarn Krieg miteinander führen; so viel doch, dass die Wehrmacht im Notfall unsere Grenze ein paar Tage halten kann, damit man inzwischen hinter ihr, unter ihrem Schutz ein Volksaufgebot versucht…" (FN14) Dieses "Volksaufgebot" kam schließlich noch im selben Jahr in Form sozialdemokratischer Arbeiterwehren als Verstärkung der "Bewaffneten Macht" bei der Besetzung des Burgenlandes zum Einsatz. Vier Jahre später wiederum wurden im Angesicht italienischer Einmarschdrohungen in Tirol Abwehrplanungen unter Einbeziehung von Heimwehr und Schutzbund angestellt. Doch stand diese gesamtstaatliche Funktion nicht im Vordergrund. Ihre Existenz begründeten die Wehrverbände in der politischen Zerrissenheit der österreichischen Gesellschaft und dem akzeptierten Gebrauch von Gewalt. Das Gewicht der Parteien tat ein Übriges.

Die Wurzeln der Heimwehrbewegung reichen in die unmittelbare Nachkriegszeit zurück. Um auf dem Lande ein Mindestmaß an Autorität, Schutz der bedrohten Bevölkerung und des Eigentums zu gewähren, wurden Bürger-, Flur- und Ortswehren gebildet. Diese örtlich rasch aufgestellten Wehren standen unter dem Befehl der Bürgermeister oder entlassener Offiziere, nur in Tirol und Vorarlberg wurden sie zusammengefasst der Landesregierung als eine Art Hilfsexekutive einfach unterstellt.(FN15) Die Frage nach der Bewaffnung löste das Strandgut des Krieges, davon gab es mehr als genug.(FN16) Dadurch waren die örtlichen Kommandanten in der Lage, die notwendigen Schutzfunktionen zu erfüllen. In großen Teilen der ländlichen Gebiete legte man auch gar nicht Wert auf Hilfe aus Wien, dem revolutionären Wien des Winters 1918/19. Die dort regierende Sozialdemokratie mit ihrer "Volkswehr", die nicht als eine Armee des Volkes, sondern als eine Armee der Linken angesehen wurde, repräsentierte für die von Kirche und Konservativismus geprägte Landbevölkerung das "Rote Gespenst", die "Rote Flut".(FN17) Von kommunistischen Gruppen angeführte Übergriffe auf persönlichen Besitz und Eigentum, Streiks, ein bolschewistisches Russland und, noch näher, Räterepubliken zuerst in Bayern, dann in Ungarn, ließen diese Bedrohung gleichermaßen konkret wie umfassend erscheinen. "...Nach Abwendung der äußeren Gefahr erwuchs dem Heimatschutz eine neue Aufgabe. Die rote Internationale versuchte mit allen Mitteln des Terrors, des Kulturbolschewismus, mit Bestechung und List, den volksmordenden Klassenkampf in den Seelen des Volkes zu verankern... So schwoll die rote Welle besonders im obersteirischen Industriegebiet gefahrdrohend an. Nur der Heimatschutz konnte sich ihr erfolgreich entgegenstemmen. In der Abwehr der roten Gefahr wurde er stark..." (FN18) Doch vorerst nur vorübergehend. Außenpolitisch schlug das Pendel bald wieder nach rechts, so waren die Räterepubliken in Bayern und in Ungarn nur flüchtige Erscheinungen und stellten bald keine Bedrohung mehr dar. Auch die Grenze gegenüber Jugoslawien konnte konsolidiert werden. Hand in Hand mit der Beruhigung der außenpolitischen Lage erfolgte eine entsprechende innerhalb des Landes. Spätestens mit der Bildung der bürgerlichen Koalition im Juni 1920 wurde die revolutionäre Phase beendet, und in vielen Bundesländern gab es Landesregierungen aus Christlichsozialen und Sozialdemokraten. Damit ging auch die Bedeutung der Heimwehren zurück.

Ein Aufschwung kam erst wieder ab 1926. Das im November von der sozialdemokratischen Parteiführung verabschiedete "Linzer Programm" verschreckte mit den Passagen über Bürgerkrieg und Diktatur die bürgerlichen Bevölkerungsschichten. Im Gefolge des Justizpalastbrandes 1927, der auf Grund des Schießbefehles der Wiener Polizei an die 90 Schutzbündler das Leben kostete, rief die österreichische Sozialdemokratie zu einem bundesweiten Generalstreik auf. Davon waren auch die Verkehrs- und Telefonverbindungen betroffen, zeitweilig war die Bundesregierung in Wien von ihren Verbindungen in die Bundesländer abgeschnitten. V.a. der entschlossene Einsatz der Heimwehr brachte aber den Streik nach wenigen Tagen zu Fall. Unter Gewalt wurden die sozialdemokratisch dominierten Eisenbahner gezwungen, den Verkehr wieder aufzunehmen.(FN19) Mit diesem Erfolg zog die Heimwehr die Aufmerksamkeit des Regierungslagers auf sich, dieses wollte aus ihr ein Gegengewicht zum Republikanischen Schutzbund bilden. Die Heimwehrbewegung gewann jetzt an Stärke und erhielt wieder Unterstützung aus dem Ausland, aus dem mittlerweile faschistischen Italien und aus Ungarn.(FN20) Das noch lose Nebeneinander wurde im "Bund der österreichischen Selbstschutzverbände" zusammengefasst, und im Juli 1928 wurden Dr. Steidle und Dr. Pfrimer zu Bundesführern gewählt.(FN21) Die Wahl dieser Männer repräsentierte einerseits die Zentren der Heimwehr - Tirol und Steiermark -, andererseits aber auch die ideologischen Hauptbewegungen - christlichsozial und deutschnational. Diese Heterogenität sollte auch ein Charakteristikum der Heimwehrbewegung bleiben, das im scharfen Kontrast zur Geschlossenheit des Republikanischen Schutzbundes stand.

Die mit Hilfe der bürgerlichen Parteien und Teilen der Großindustrie wiedergewonnene Stärke erlaubte der Heimwehr dennoch, dem Schutzbund das Monopol auf der Straße streitig zu machen. Märsche und Gegenaufmärsche gehörten ab 1928 zum Bild der innenpolitischen Auseinandersetzung, wobei die Heimwehr die Sozialdemokratie in ihren Kerngebieten wie Wiener Neustadt äußerst provozierte. Zusätzlich wurde mit verstärkter Übungstätigkeit im freien Gelände begonnen, so beispielsweise in Kärnten in den Räumen Spittal, St. Veit, Völkermarkt und Lavanttal.(FN22) Übungen, die auch der Sozialdemokratie nicht verborgen blieben, wie eine Meldung aus Tirol zeigte: "... das Verhalten der Heimwehren in Tirol, wo sie u.a. am 20. Mai 1928 im Gebiete Seejöchl - Adolf-Pichler Hütte - Kemateralm ein feldmäßiges Scharfschießen mit Gewehren und Maschinengewehren durchführten..." (FN23) Zumeist standen diese Übungen unter der Leitung pensionierter Bundesheeroffiziere.

Neben oben erwähnter Heterogenität litt die Heimwehrbewegung auch noch an der ungelösten prinzipiellen Frage ihrer Zweckbestimmung. Sollte sie nur der militante Arm des nichtmarxistischen Österreich bleiben, "...der Kettenhund der bürgerlichen Parteien...",(FN24) oder sollte sie nicht doch eine eigene politische Kraft werden? Der "Korneuburger Eid" vom Mai 1930 als Programmentwurf mit starker Anlehnung an autoritäre italienische Vorstellungen war diesbezüglich ein erster Versuch. Ein Jahr später beabsichtigte der steirische Heimwehrführer Dr. Pfrimer, mit einem schlecht geplanten Putsch die demokratischen Verhältnisse in Österreich zu beseitigen.

Politische Relevanz für die Republik erlangten die Heimwehren mit der Einbindung des Wiener Heimwehrführers Dr. Fey in das erste Kabinett Dollfuß im Mai 1932. Diese Mitwirkung am politischen Leben stand im Gegensatz zur Vorstellung namhafter Heimwehrführer, die in einer ersatzlosen Beseitigung des parlamentarischen Systems und der Bildung einer autoritären Regierungsform die einzige Möglichkeit einer Besserung der Verhältnisse in Österreich sahen. Absetzbewegungen der Steirer um Dr. Pfrimer zu den Nationalsozialisten waren die Folge.

Doch die Mehrheit der Heimwehrbewegung trug die Regierungspolitik von Bundeskanzler Dollfuß mit, eine Politik, die ohnehin wegen der krisenhaften Erscheinungen v.a. im Wirtschaftsleben auf eine Stärkung des autoritären Elementes abzielte. Zur Absicherung der Machtposition im "gewaltsamen Dreieck" Bundesregierung - Sozialdemokratie - Nationalsozialisten ab 1932 erfolgte die Eingliederung der Heimwehrkräfte in das Dispositiv der Exekutivkräfte als "Freiwilliges Schutzkorps". Dem Innenminister Dr. Fey unterstellt, konnte somit legal die Aufrüstung der Heimwehr fortgesetzt werden.

Es sollten auch Heimwehrformationen sein, die zumeist als erste Kräfte der Bundesregierung dem Schutzbund im Februar 1934 entgegentraten. An die 40 von ihnen verloren dabei ihr Leben.

Die "Österreichische Legion" der Nationalsozialisten

Die über viele Jahre unbedeutenden österreichischen Nationalsozialisten erlebten mit den Siegen bei den Landtags- und Gemeinderatswahlen 1932 ihren Aufstieg zu einer innenpolitischen Kraft, die das bestehende politische System umstürzen könnte. Nach der Machtergreifung Adolf Hitlers wurde der agitatorische Kampf für den Anschluss an das nationalsozialistische Deutschland auch mit Sprengstoffanschlägen geführt, was bereits im Juni 1933 zum Verbot der NSDAP durch die Bundesregierung führte. Ein Großteil der daraufhin nach Bayern geflohenen österreichischen Nationalsozialisten wurde von der dortigen SA in der "Österreichischen Legion" zusammengefasst und als permanente Einmarschdrohung einer militärischen Ausbildung zugeführt.

"…In Lechfeld wurden wir militärisch ausgebildet, ...im Scharfschießen, Handgranatenwerfen und im Straßenkampf... Besonderes Gewicht scheint von den deutschen Instruktoren darauf gelegt zu werden, die Legionäre mit den österreichischen Waffen vertraut zu machen, wobei angeblich ehemalige Offiziere des Bundesheeres als Mitinstruktoren auftreten…" Beeindruckt waren die österreichischen Nationalsozialisten auch von der persönlichen Ausrüstung: "…Nach zirka einem Monat wurden wir vollständig als SA -Leute ausgerüstet, und zwar mit Bluse, Hosen, Stiefel, Tornister, Feldgeschirr, Zeltblatt, Mausergewehr Modell 98 und Bajonett… Die Bekleidung der Leute ist sehr gut. Der Mann hat außer der SA-Uniform einen Mantel, beim Motorsturm überdies noch einen Ledermantel (ganz neu) und auch einen Tornister…" Der Hinweis auf den Motorsturm zeigt, dass die österreichische Legion auch über eine gewisse Transportkapazität verfügte, die eine rasche Verlegung erlaubte. "Der Motorsturm… ist 140 Mann stark und verfügt über 45 Motorräder mit Beiwagen, 15 Solomaschinen und 20 Lastkraftwagen... Auf jedem Lastwagen können 30 Mann befördert werden…" (FN25) Von allen drei bestehenden Wehrverbänden ihrer Zeit erhielt die "Österreichische Legion" dank ihrer Kasernierung die beste militärische Vorbereitung. Dennoch kam es 1934 zu keinem Einsatz in größerem Umfang. Während der Februarkämpfe verhielten sich die illegalen österreichischen Nationalsozialisten neutral, und deren Putsch im darauf folgenden Juli verfolgte die "Legion" als Beobachter. Hitler selbst verbot einen Einsatz, da sich ein Scheitern des Unternehmens rasch abzeichnete. Eine Ausnahme blieb lediglich ein bewaffneter Vorstoß an der oberösterreichisch-bayrischen Grenze bei Kollerschlag. Das dabei vorgefundene Dokument warnt vor einem Zusammenstoß mit den bewaffneten Kräften der Republik, denn "Mit dem Bundesheer ist ein Kampf, soweit irgend angängig, zu vermeiden".

Der Republikanische Schutzbund 1923 - 1933

Die Anfangsjahre 1923 - 1927

Die politische Vormachtstellung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs (SDAPÖ) bis 1920 stützte sich nicht zuletzt auf bewaffnete Formationen ab. So war die Sozialdemokratie der bestimmende Faktor in den frühen Streitkräften der Republik, der "Volkswehr". Daneben verfügte sie in den "Ordnerformationen" und in den "Arbeiterwehren" über eigene Verbände zum Schutz der proletarischen Bewegung. Große Teile davon wurden im Herbst 1921 zur Abwehr eines möglichen Restaurationsversuches Kaiser Karls bewaffnet und in höchste Alarmbereitschaft versetzt.

Zu diesem Zeitpunkt befand sich die SDAPÖ schon in Opposition. Das frei gewählte Ausscheiden aus der Regierungskoalition brachte einen Verlust an Einflussmöglichkeiten im neuen "Bundesheer" mit sich, was umgekehrt die Bedeutung der eigenen, erst oberflächlich organisierten Wehrverbände anwachsen ließ. Aus sozialdemokratischer Perspektive musste jetzt wieder ein Einsatz des Heeres gegen Arbeiter - wie in der untergegangenen Monarchie - befürchtet werden, schlimmer noch, die Soldaten könnten in der Hand einer reaktionären Regierung gegen die junge Republik verwendet werden.(FN26) Zu diesen noch übertriebenen innenpolitischen Befürchtungen gesellte sich 1922 mit der Machtergreifung der italienischen Faschisten eine offensichtlich reale Gefahr. Es war der ehemalige Staatssekretär für Heerwesen und das nunmehrige Mitglied im Vorstand der SDAPÖ, Dr. Julius Deutsch, der in einer straffen Organisation der österreichischen Arbeiterklasse unter Abstützung auf geheime Waffenlager die einzig mögliche Antwort sowohl gegen die "Reaktion" in Österreich als auch gegen den Faschismus im Ausland sah. "Gegen die Gewehre und die Maschinengewehre fascistischer Banden halfen nirgends die normalen Mittel des gewerkschaftlichen Kampfes... Deshalb ist die Untersuchung in der Richtung anzustellen, ob gegen die neue Methode des Fascismus nicht auch die Arbeiterklasse neue Kampfmethoden anwenden muss, soll sie nicht ebenso furchtbare Niederlagen erleiden wie das italienische Proletariat... soll für die kampferfüllte Zeit des Überganges vom Kapitalismus zum Sozialismus die Wehrorganisation der Arbeiterklasse treten. Die Organisation der Wehrhaftigkeit... ist überhaupt nur auf einer Grundlage möglich, die dem Militär nachgeahmt ist..." Abschließend kam Deutsch zum Ergebnis, dass die Umwandlung der schon bestehenden Ordnerorganisation in einen Republikanischen Schutzbund und die Verstärkung der Tätigkeit der Jugend- und Turnbewegung der Partei die zweckmäßigsten Mittel zur Bildung einer Selbstschutzformation wären. Die Bewaffnungsfrage wurde aber trotz früherer Betonung nur nebensächlich behandelt. "Es ist gar nicht notwendig, im Besitze von Kriegswaffen zu sein, ...viel wichtiger als die Waffe ist die straffe Organisation... Kommt es aber zum letzten, entscheidenden Kampfe... dann ist mir gar nicht davor bange, dass die Arbeiterschaft in diesem Augenblick auch imstande sein wird, sich die nötigen Waffen zu beschaffen..." (FN27) Nach Überwindung radikaler Widerstände des linken Flügels der Partei, der auf eine spontane und generelle Bewaffnung der Arbeiter setzte, erfolgte nach den obigen Vorstellungen im Frühjahr 1923 zuerst für Wien, kurze Zeit später für ganz Österreich die Gründung des "Republikanischen Schutzbundes". Die vom Innenministerium genehmigten Grundsätze der "nichtmilitärischen Einrichtung" beschrieben als Aufgaben die Sicherung der republikanischen Staatsverfassung, die Unterstützung der bestehenden Sicherheitsorganisationen bei der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung, die Hilfeleistung bei Elementarereignissen und den Schutz von Veranstaltungen republikanischer Organisationen.(FN28) Im Wesentlichen gelang mit der Aufstellung des Republikanischen Schutzbundes die von Deutsch geforderte Zusammenfassung der verschiedenen Ordnerformationen unter einem zentralen Dach. Besonders die Integration der Eisenbahner- und Telegraphenordner (E.T.O.) erwies sich hier von entscheidendem Vorteil, hatte der Schutzbund damit doch auch einen Einfluss auf das Verkehrs- und Verbindungswesen. Otto Bauer führte dazu aus, "...dass die Reaktion so lange ohnmächtig sein wird, solange die Eisenbahn keine Faschisten führt". (FN29) Ansonsten beschränkten sich die frühen Einsätze der jungen Wehrformation auf Streikschutz, auf Schutz sozialdemokratischer Kundgebungen und Wahlkämpfe, auf Fahnenenthüllungen und öffentliche Aufmärsche. In militärischer Hinsicht waren lediglich kleinere Übungen, erste Ansätze einer Kommandantenausbildung und die Aufstellung von Radfahrformationen erwähnenswert.

Der Justizpalastbrand, die 5. Reichskonferenz und ihre Folgen

Der Justizpalastbrand 1927 ist eines der schmerzlichsten Ereignisse österreichischer Innenpolitik und war in letzter Konsequenz eine umfassende Niederlage der bis dahin als unbesiegbar geltenden "Austromarxisten". Sie wurden vom Volkszorn der Wiener Arbeiter überrascht, obwohl sie diesen durch einen scharfen Leitartikel ihrer "Arbeiterzeitung" geradezu herausgefordert hatten. Es gelang ihnen nicht, die Erregung in disziplinierte Bahnen zu lenken und den Brand des Justizpalastes sowie der Räume der bürgerlichen "Reichspost" zu verhindern. Da verabsäumt wurde, den Schutzbund als parteiinterne Eingreifkraft vorsorglich bereitzuhalten, kamen alle diesbezüglichen Bemühungen im Laufe des 15. Juli zu spät. Am traurigen Umstand der 90 toten Sozialdemokraten konnte auch der Generalstreik nichts mehr ändern, zumal auch dieser nach wenigen Tagen ohne greifbaren Erfolg abgebrochen werden musste. Die internen Konsequenzen, die die SDAPÖ aus dieser Niederlage zog, waren Maßnahmen zur verstärkten Disziplinierung des Republikanischen Schutzbundes. Es sollte zukünftig eine derartige Überraschung der Parteiführung durch aufgebrachte Arbeiter, die ja oft Schutzbundangehörige waren, ausgeschlossen werden. Es galt, aus der sozialdemokratischen Wehrformation eine disziplinierte, absolut verlässliche Truppe für die proletarische Bewegung zu formen.

Diesem Ziel ordnete sich die 5. Reichskonferenz des Republikanischen Schutzbundes vom Oktober 1927 unter. Über ihre Monatsschrift "Der Schutzbund" wurde den Schutzbundangehörigen die neue Marschrichtung bekannt gemacht: "...Es ist daher notwendig, dass das Proletariat in diesen gefahrvollen Zeiten doppelt und dreifach streng Disziplin hält... Denn aus jeder noch so kleinen und spontanen Aktion kann - wie die Erfahrung des 15. Juli lehrt - ein Zusammenstoß zwischen der seit Jahren von der Reaktion beherrschten Staatsgewalt und ihren Organen herauswachsen, der das Proletariat in unnütze Konflikte und Niederlagen verstricken kann, zumindest ihm unnütze Opfer aufzuerlegen imstande ist..." (FN30) "Der Schutzbund" wandte sich zu dieser Zeit an ungefähr 80.000 Angehörige, womit die proletarische Wehrformation allen anderen zahlenmäßig weit überlegen war und auch die Kräfte des Bundesheeres mehrfach übertraf.(FN31) "Der Schutzbund teilt sich in 16 Kreise. Man unterscheidet Kreise, die kleiner als ein Bundesland sind, Kreise, die mit einem Bundesland zusammenfallen, und den Kreis 13, welcher drei Bundesländer (Vorarlberg, Tirol und Salzburg, Anm.) umfasst... Den Landes- und Kreisleitungen unterstehen außerdem die Streckenleitungen der E.T.O... Die Einheit der Truppe ist das Bataillon (Abteilung)... Der Schutzbund zählt in Österreich 289 Baone..." Die Schwergewichte lagen eindeutig in Wien (81 Bataillone; allein der 1. Kreis mit dem I., VI., VII., VIII. und IX. Bezirk zählte mehr als 5.700 Mann), Niederösterreich (103 Bataillone mit gesamt 29.526 Mann), Oberösterreich (33 Bataillone) und der Steiermark (29 Bataillone).(FN32) Wenn auch diese Bataillone nicht immer den Sollstand erreichen konnten und ausschließlich nur aus temporär verfügbaren Angehörigen bestanden, so verkörperte ihre Zahl dennoch ein eindrucksvolles Machtpotenzial.

Ein in den Schutzbundakten aufgefundenes Papier, sehr wahrscheinlich von der Zentralleitung verfasst, gibt einen ausgezeichneten Einblick in diese große Organisation. Einleitend werden frühe, vom General a.D. Körner unternommene Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz angeführt: "Die Kampfkraft des Schutzbundes war in den ersten Jahren mehr als gering. Mit dem Eintritt des Generals Theodor Körner in die Zentralleitung im Jahre 1924 änderte sich dies jedoch mit einem Schlage. Die bis dahin noch immer bestehenden Arbeiterwehren wurden dem Schutzbund eingegliedert, durchlaufende Baonsnummern eingeführt, die Ausbildung intensiviert, die Disziplin mit eiserner Faust gehoben, ein Kader geschaffen und gleichzeitig der Schutzbund selbst zu einem - man kann sagen - stehenden Heer umgewandelt, das binnen wenigen Tagen auf kriegsmäßigen Stand gebracht werden kann... Gleichzeitig wurde die einheitliche Adjustierung in Angriff genommen, das Recht der Ordner, die Abteilungsführer zu wählen, abgeschafft und so der Schutzbund allmählich der Organisationsform der k. u. k. Armee angepasst. Auch die Dienst- und Kommandosprache wurde von der alten Armee übernommen..." Der Bezug zur Armee der Monarchie zeigt offen ein doppeltes Gesicht der Sozialdemokratie, die ihre Vertrauensmänner sonst im Bundesheer permanent dazu anhält, Versuche Vaugoins auf eine Rückbesinnung auf die k.u.k. Armee als reaktionäre Politik sofort zu melden.

Dieses "stehende Heer" erforderte auch eine Tarnung vor den Behörden: "...Um jedoch die rein militärische Organisation nicht allzuscharf hervortreten zu lassen, wurden Organisationen geschaffen, die der Behörde gegenüber als Vertreter des Schutzbundes zu fungieren haben und einen absolut friedlichen Zweck aufweisen... Die oberste Leitung des Schutzbundes ist die Bundesleitung. Sie zerfällt in Zentralleitung und Kontrolle... Der Aufgabenkreis der Bundesleitung ist gering. Ihre Aufgabe ist in erster Linie, den militärischen Charakter des Schutzbundes zu verhüllen, den Behörden gegenüber als oberste Leitung zu fungieren... Die wirkliche Leitung des Schutzbundes liegt bei der Zentralleitung (Z.L.). Dies ist die eigentliche oberste Instanz, von der alle bedeutungsvollen Beschlüsse sowie alle Weisungen an die untergeordneten Instanzen ergehen. Die Zentralleitung konzentriert in sich die gesamte Führergewalt, der gegenüber alle anderen Instanzen weit in den Schatten treten. Sie stellt Formationen auf, ernennt alle Kommandanten bis zum Kompagniekommandanten herunter, erlässt für den ganzen Schutzbund gültige allgemeine Verordnungen, so genannte ,Regulativs‘... sie verwaltet das Vermögen des Schutzbunds und verfügt über den Ausrüstungsfonds, über dessen Verwendung sie weder der Bundesleitung noch der Reichskonferenz verantwortlich verfügt über die Waffenlager, kurz, sie ist die unumschränkte Herrin über die gesamte militärische und in gewissem Sinne auch über die Sportorganisationen der Partei..." (durch die enge Verbindung zum ASKÖ, dem der Schutzbund als Verband angehörte).

Mit der direkten Verbindung zur Parteiführung konnte bei der Z.L. als "unumschränkte Herrin" auch von der militärstrategischen Ebene gesprochen werden. Die oppositionelle Sozialdemokratie versuchte wie im "Roten Wien" auch bei ihrem Republikanischen Schutzbund eine der staatlichen Exekutive entsprechende Parallelorganisation, eine Ersatzwelt, aufzubauen. Über die Bundesleitung und v.a. in der Person des Schutzbundobmanns Dr. Deutsch war der politische Einfluss der Partei sichergestellt. Unterhalb der militärstrategischen wurde mit den Landes- und Kreisleitungen versucht, eine operative Ebene einzuziehen. Der taktische Bereich schließlich wurde von den Bezirksleitungen wahrgenommen, da diese "...in unmittelbarer Fühlung mit der Truppe standen..." Auf diese Organisation aufbauend sollte von der Z.L. ausgehend bis Anfang 1933 in immer stärkerem Ausmaß versucht werden, aus dem Schutzbund ein weitgehend einsatztaugliches militärisches Instrument zu schaffen. Ehemalige oder noch aktive Bundesheeroffiziere wie die Generale Körner, Mayer und Schneller, Stabshauptmann Bauer, Hauptmann Löw und v.a. Major Alexander Eifler standen als Fachleute am Ursprung dieser Bemühungen.

Finanziert wurde diese Massenorganisation zuerst einmal durch die Schutzbundangehörigen selbst, und das in mehrfacher Form. Sie mussten ihre Uniform und Ausrüstung selbst bezahlen, Beiträge an einen Unterstützungsfonds abliefern und die Monatsschrift "Der Schutzbund" beziehen. Da sie oft auch Mitglieder der Partei und/oder der Gewerkschaft waren, mussten auch hier Mitgliedsbeiträge entrichtet werden, von denen obige Organisationen wieder 2-2,5% an den Schutzbund abführten. Hinzu kam eine so genannte "Wehrsteuer" einer eigens geschaffenen Zivilorganisation des Schutzbundes, die 1927 von mehr als 96.000 Menschen einen Schilling pro Jahr als Mindestbeitrag einhob. Sehr vorteilhaft erwies sich in diesem Zusammenhang auch der 1926 erfolgte Kollektivbeitritt zur "Arbeitsgemeinschaft für Sport und Körperkultur in Österreich" (ASKÖ). Einmal mehr eine Vorsorgemaßnahme zur Verhinderung einer befürchteten behördlichen Auflösung des Schutzbundes, konnten hier auch Steuergelder der Gemeinde Wien nutzbar gemacht werden. Damit wurden prioritär Sport- und Schießvereine im Interesse des Schutzbundes gefördert und das eigentliche Budget geschont. Letztendlich konnte die proletarische Wehrformation mit ihrem Einfluss im ASKÖ eine Rekrutierungsbasis nutzen, "... sich so einen kräftigen geschulten Nachwuchs heranzuziehen, der einmal, wenn die im Kriege gewesenen Männer nicht mehr diensttauglich sein werden, auf den Plan treten wird. Die bürgerlichen Organisationen haben dies verabsäumt und wird sich dies in späterer Zeit blutig rächen, denn es ist klar, dass der Schutzbund in 10 Jahren allen bürgerlichen Verbänden, was das Menschenmaterial betrifft, haushoch überlegen sein wird..."(FN33) Nach der bei der 5. Reichskonferenz beschlossenen Disziplinierung und Militarisierung des Schutzbundes galt es nur mehr die strategische Frage der Verwendung im Einsatzfalle zu klären. Was die Frage der Gewalt betraf, so gab das erst 1926 verabschiedete "Linzer Programm" Anhaltspunkte vor. Demnach wollte eine siegreiche Sozialdemokratie naturgemäß die Republik in ihrem Sinne umgestalten; sollte sie dabei durch den Gegner gewaltsam gehindert werden, dann "... wäre die Arbeiterklasse gezwungen, den Widerstand der Bourgeoisie mit den Mitteln der Diktatur zu brechen…"(FN34) In dieser Lage wäre der Schutzbund durchaus als Mittel zur Durchsetzung der Diktatur, aber auch als gewaltsame, militärische Angriffskraft gegen bürgerliche Kampfformationen zu verwenden und natürlich darauf vorzubereiten gewesen. 1934 führte Otto Bauer zu obigem Anlassfall noch einen weiteren an, der in den Augen der Austromarxisten den Einsatz von Gewalt immer gerechtfertigt hätte. Dieser Anlassfall war der Sturz der Demokratie in Österreich durch Faschisten oder Monarchisten, "... für diesen Fall halten wir Waffen bereit…"(FN35) Die Vorgaben der Politik für die Planungsarbeit der militärstrategischen Ebene waren demnach eindeutig, es war eine für ein Bürgerkriegsszenario gerüstete Wehrformation heranzubilden. So sahen es auch Major a.D. Eifler und General a.D. Mayer, nicht aber General a.D. Körner. Für manchen überraschend sprach er sich im Frühjahr 1928 für das Forcieren unkonventioneller Ansätze aus. Der Schutzbundkämpfer sollte nur der Vorposten der zur Revolution bereiten Massen sein, dafür benötigte er zuvorderst ein gut fundiertes politisches Bewusstsein. Damit sollten auch Bundesheersoldaten beeinflusst werden, im Routinedienst genügte ansonsten die Verwendung des Schutzbundes vornehmlich als Streikschutz. Da der Schutzbund gegen Regierungsexekutive und Heimwehr immer in der Unterlegenheit wäre, war eine klassisch-militärische Verwendung nicht möglich, so seine Argumentation.

Eifler hingegen berief sich auf das soeben erst beschlossene Reorganisationsprogramm und wurde in seinen Ansichten von Deutsch unterstützt. Diese Unterstützung war es auch, die den Strategiestreit entschied und die Bahn frei machte für die militärische Aufbauarbeit. Auf personeller Ebene trat Eifler dabei zunehmend in den Vordergrund, Körner dagegen zog sich mehr und mehr zurück.

Erste Übungen und die Notwendigkeit der Kommandantenausbildung

Sehr bald schon wurden nach den getroffenen Entscheidungen erste Übungen geplant und durchgeführt. Sie betrafen das Sanitätswesen, den Verbindungsdienst und Marschbewegungen. Märsche dienten der Überprüfung der Effizienz der Organisation sowie der Machtdemonstration. Im April 1930 bewegten sich nicht weniger als 18.600 Schutzbündler in Wien und in den angrenzenden niederösterreichischen Bezirken. Damit sollten die Heimwehr von einem "Marsch auf Wien" abgeschreckt und die Entschlossenheit im bürgerlichen Niederösterreich demonstriert werden.

Einige Monate vorher dienten 1.000 Schiläufer im Wienerwald demselben Zweck, sie sollten zeigen, dass das Proletariat auch im Winter zu manövrieren verstand. Ergänzt wurden diese Marschübungen durch den Aufbau eines Verbindungsdienstes, bei dem der Schutzbund über beeindruckende Mittel verfüge. Die Zentralleitung war sich der Bedeutung dieser Unterstützung für die bundesweite Führung ihrer Formationen bewusst, zumal das Telekommunikationsnetz Ende der 1920er-, Anfang der 1930er-Jahre erst im Ansatz aufgebaut war. Die Feier der zehnjährigen Zugehörigkeit des Burgenlandes zur Republik Österreich nutzte die Schutzbundführung zur Überprüfung ihrer bundesweiten Verbindungsdienste. "…gedachten die Arbeiter und Bauern des Burgenlandes ihrer Kampfgenossen in allen Bundesländern. 150 Begrüßungsschreiben gingen an alle Landes- und Bezirksorganisationen des ganzen Bundesgebietes ab. Die Zustellung geschah durch den Verbindungsapparat des Republikanischen Schutzbundes, der zu diesem Zwecke am 13. Mai 1931 ab 15 Uhr in Dienst gestellt war und so in die Lage kam, die vorbereiteten Verbindungsmaßnahmen des Bundesgebietes praktisch zu erproben, unter der grundsätzlichen Annahme natürlich, dass mit den öffentlichen und privaten Verkehrs- und Verbindungsmöglichkeiten aller Art nicht zu rechnen ist. Alle genannten Organisationen beantworteten ihrerseits die Begrüßungen der sozialdemokratischen Partei des Burgenlandes. Auch diese Botschaften, die am 17. Mai 1931 um 11 Uhr, zur Zeit der Tagung des Festparteitages, in Eisenstadt einzutreffen hatten, wurden durch den Verbindungsdienst des Republikanischen Schutzbundes befördert und zugestellt.

Die gestellte Aufgabe zu lösen war nicht leicht. Es waren rund 10.000 Kilometer zu bewältigen, und dies gelang mit geradezu minutiöser Genauigkeit. Von Wien am 13. Mai 1931 um 15 Uhr in alle Bundesländer und Richtungen ausstrahlend, waren die entferntesten Organisationen, und zwar Bregenz am Bodensee in den ersten Nachmittagsstunden, Lienz in Osttirol gar schon am Vormittag des nächsten Tages - alle übrigen Empfangsstationen natürlich entsprechend früher -, im Besitz der Begrüßungsschreiben. Aber diese schönen Erfolge wurden bei der am 16. Mai 1931 durchgeführten Sternfahrt gegen Wien und Eisenstadt noch übertroffen. Am Vormittag dieses Tages von Dornbirn in Vorarlberg abgehend, kam die Stafette über Innsbruck, Salzburg, Linz bereits um 4 Uhr früh des nächsten Tages, jene von Lienz über Klagenfurt, Leoben, Bruck an der Mur, beziehungsweise Graz um Mitternacht desselben Tages in Wien an. Das Eintreffen der letzten Übergabestafetten in Eisenstadt und die Verlesung der Botschaften der Organisationen wurde von den beim Parteitag versammelten Vertrauensmännern der burgenländischen Arbeiter und Bauern mit spontanem Beifall begrüßt und bedankt…"(FN36) Vier bis fünf Tage dauerte also eine Beförderung von Anweisungen der Zentralleitung nach Vorarlberg oder Osttirol und deren Beantwortung von dort wieder zurück nach Wien, wenn Telefon und Telegraf nicht verfügbar waren. Das war die auf eine Bürgerkriegssituation gemünzte Erkenntnis, die die Führung des Republikanischen Schutzbundes aus dieser Verbindungsübung gewinnen konnte. Falls putschende Heimwehr nicht ganze Gebiete absperrte, denn dann dauerten die Verbindungen in den entlegenen Westen noch länger. Als weitere Konsequenz ergab sich, dass bei einer bundesweiten Auseinandersetzung der Republikanische Schutzbund in den weit entfernt gelegenen Bezirken selbstständig handelnde Führer benötigte, die mit der Zielsetzung dieses Bürgerkrieges bestens vertraut waren und in deren Sinne handeln konnten. Umso mehr, als es sich bei den Kommandanten der taktischen Ebene um ausgeschiedene Unteroffiziere, um Angestellte der Partei und der Gemeindebetriebe handelte, deren Führungskönnen für das Bataillon oder die Kompanie nur mangelhaft ausgebildet war. Und obwohl die Schutzbundführung das wusste, sollte es bis Ende 1932 dauern, bis erstmals ein operatives Gesamtkonzept von der Zentralleitung erarbeitet werden konnte. Dieser Mangel lag aber nicht zuletzt in der nur selten wirksam werdenden Einflussnahme auf die Wehrformation durch die Spitze der SDAPÖ. 1927 stand für die Zentralleitung mit Ausnahme der generellen Aussagen im "Linzer Programm" und der getroffenen Entscheidungen der 5. Reichskonferenz kein weiteres Dokument zur Verfügung, das als eine konkrete Anweisung für ein Einsatzkonzept mit einem genau definierten Endzustand gelten hätte können. Um dennoch der Notwendigkeit der Kommandantenschulung aller Ebenen zumindest ansatzweise nachkommen zu können, begann die Teilorganisation Wien im Winter 1927/28 mit ersten Führerkursen.

Die Themen behandelten die Ergebnisse der 5. Reichskonferenz, Schulungen über die politische Lage, die Vorschrift "Das Gruppenbuch", aber auch den Exerzier-, den Gefechtsdienst, den Straßenkampf und den Angriff im Gelände. Die vorrangig theoretisch vermittelten Gebiete wurden entweder geschlossen über etwa zwei Wochen oder über vier Monate auf Wochenenden verteilt den Kommandanten nahe gebracht. Deren Beteiligung ließ aber zu wünschen übrig, sehr oft beklagte sich die Zentralleitung über den Missstand, dass sich die ernannten Unterführer ohne erkennbaren Grund vertreten ließen. Dieses Problem sollte die Schutzbundführung niemals in den Griff bekommen, was auch in dem nur mangelhaft vorhandenen Disziplinarwesen begründet lag. Die Schutzbündler waren eben Freizeitsoldaten, und die Übernahme eines Kommandos bedeutete zusätzliche Arbeit. Sollte einer dieser Kommandanten wegen disziplinärer Mängel von seiner Verantwortung entbunden werden, so stellte sich für die Schutzbundführung sofort die Notwendigkeit eines adäquaten Ersatzes. Dieser war aber nur schwer zu finden.

Organisatorisch erfolgte 1932 eine Trennung der Kommandantenausbildung in eine "Gruppenführerschule" und in eine "Schule für höhere Führer" vom Zugskommandanten aufwärts.(FN37) Die Ausbildungsthemen blieben im Wesentlichen unverändert, wenn auch der militärische Bereich in Form der Besprechung taktischer Lagen an Gewicht gewann. Generell änderte diese Organisationsänderung aber nichts am Ergebnis, dass der Republikanische Schutzbund beim Versuch, selbstständige und disziplinierte Kommandanten heranzubilden, scheiterte. Mangelnde strategische Vorgaben in Verbindung mit einem lange nicht vorhandenen operativen Konzept sowie die mangelnde Selbstdisziplin der Kommandanten waren einfach nicht zu überwindende Hindernisse.

Waffenbestände und Schießausbildung

Gegen Ende des Ersten Weltkrieges bildete das Wiener Arsenal die Haupterzeugungs- und Lagerstätte der Habsburgermonarchie für Rüstungsgüter aller Art. Der Besitz dieser Anlage war daher auch in der Umbruchszeit des Herbstes 1918 von ausschlaggebender Bedeutung für alle politisch wirksamen Kräfte. Es sollte aber allein der tonangebenden Sozialdemokratie gelingen, sich des Arsenals zu bemächtigen und dadurch über geschätzte 600.000 Gewehre zu verfügen. Ein eigens geschaffener "Zivilkommissär", die Kompanie des Hauptmann Eifler und Arsenalordner sicherten dieses außerordentlich wichtige Waffenlager und versteckten es auch vor dem Zugriff der Ententekommission.

Hier trafen sich die sozialdemokratischen Absichten durchaus mit denjenigen der bürgerlichen Kräfte im Lande, doch sollte diese Übereinstimmung der Interessen nicht lange anhalten. Die Sozialdemokratie begann nämlich nach der Bildung des Republikanischen Schutzbundes 1923 mit der Aufrüstung von Formationen im Lande, ja sogar mit vereinzelten Waffenlieferungen zum ideologisch nahe stehenden "Reichsbanner Schwarz Rot Gold" in Deutschland.(FN38) Die bürgerliche Regierung versuchte nun, sich der im Arsenal lagernden Waffen zu bemächtigen, was ihr 1927 erstmals in größerem Stil gelang. Mit Hilfe eines neuen "Arsenalpaktes" und auch Verrat durch den "Arsenalkommissär" Marek konnten im März und im Mai nicht weniger als 665 Maschinengewehre und 21.465 Gewehre ausgehoben werden. Wenn diese Aktion auch einen Schlag gegen die Sozialdemokratie bedeutete, so war diese dennoch nicht sonderlich beunruhigt, da diese gewaltige Menge nur einen Bruchteil der Arsenalwaffen umfasste. Die SDAPÖ hoffte auch, dass nach dieser Aushebung Schluss mit den behördlichen Waffensuchen wäre, und begann als weitere Vorsorgemaßnahme mit der Dezentralisierung der Lagerbestände.

Doch die Bürgerblockregierung blieb 1927 trotz sozialdemokratischer Stimmengewinne weiter im Amt und setzte auch die Waffensuchen fort. 1929 wurde vorübergehend der "Verband der Arbeiter- Jagd- und Schützenvereine" aufgelöst und die dabei aufgefundenen Waffen sichergestellt, 1930 erfolgten als Wahlkampfthema weitere Waffensuchen, die aber wegen Verrats der Aktionen an die SDAPÖ zumeist erfolglos blieben.(FN39) Spektakulär hingegen war der Waffenfund im Jänner 1932 im Ottakringer Arbeiterheim. Nur vier Monate nach dem "Pfrimerputsch" der steirischen Heimwehr auch eine gezielte Provokation, bei der aber dennoch 800 Militärgewehre, acht Maschinengewehre, 622 Handgranaten und größere Mengen von Chemikalien beschlagnahmt werden konnten.

Bis zum Ausbruch der Februarkämpfe wurden der "nichtmilitärischen Einrichtung" Republikanischer Schutzbund, die ebenso wie die anderen Wehrverbände formell keine Waffen besitzen durfte, von Regierungsseite ungefähr 700 Maschinengewehre und mindestens 40.000 Gewehre entwendet. Und obwohl diese Menge größer war als jene, die die Siegermächte dem Bundesheer zubilligten, bestand das Problem des Schutzbundes nicht in einem Mangel an Waffen, sondern eher in deren sachgerechter Langzeitkonservierung und anschließender Verteilung an die Kämpfer im Alarmfalle.

Zur Waffe mit Munition war im Anlassfall noch ein Schutzbundangehöriger nötig, der das Gewehr auch bedienen konnte. Schon 1925 reagierte die Schutzbundführung auf den Umstand, dass mit fortschreitender zeitlicher Distanz zum Ersten Weltkrieg das Potenzial an geübten ehemaligen Soldaten zurückging. In diesem Jahr erfolgte die Gründung des "Verbandes der Arbeiterschießsportvereine" und dessen Eingliederung in den ASKÖ. Als Schützenmeister konnte mit Oberst a.D. Hermann Hostowsky ein weiterer ehemaliger Berufsoffizier gewonnen werden. Zwischen den Ortsgruppen der späteren "Arbeiter- Jagd- und Schützenvereine" und dem Republikanischen Schutzbund bestand bald eine funktionale Arbeitsteilung. Erstere mussten mit ihren Kleinkalibergewehren und kommissionierten Schießbahnen die infrastrukturellen Voraussetzungen sichern, Letzterer war angehalten, so viele seiner Angehörigen wie möglich einem genau definierten Schießprogramm zuzuführen. "Die Schießvorschule ist eine unbedingte Notwendigkeit zur Heranbildung von Schützen. Es muss daher für jeden Mann ein Zielblatt für das Fehlerdreieck angelegt werden, beginnend mit 10 - 100 - 200 - und 300 Schritte... Das Pflichtschießen muss jeder Schutzbündler durchmachen und zählt auf Bedingungen, die Resultate werden in einem Trefferhefte verzeichnet. Zur Erfüllung der Bedingungen stehen jedem Schützen 45 Schuss maximum zur Verfügung... Die ganze Schießausbildung leitet der von dem Landes- oder Kreisführer bestimmte Schießreferent. Er hat auch die monatlichen Schießberichte zu machen und an das "Teres" (Schießreferat) einzusenden..." (FN40) Diese Schießausbildung war auch ein Training für die proletarischen Wehrsportolympiaden, und 1930 zählte der Verband bereits 13.000 Mitglieder, die wie der einfache "Soldat des Proletariats" bei der Ausübung der kostspieligen Tätigkeit finanzielle Unterstützung erhielten. Doch wie schon bei der Führerschulung war auch hier die Umsetzung der prinzipiellen Vorgaben nur eine sehr mangelhafte. Noch 1933 sah sich die Zentralleitung genötigt, mit der Weisung Nr.1 vom 1. Jänner die Schießausbildung erneut grundsätzlich im Schutzbund zu verfügen. Diese Weisung deutete auf ein weitgehendes Ignorieren der befohlenen Ausbildung hin(FN41) und ließ einmal mehr den Mangel an Disziplin deutlich werden, ein Nachteil, der bei den essenziellen Bemühungen um eine fundierte Schießausbildung von ganz besonderer Tragweite war.

Das Nachrichtenwesen

Unter dem Begriff "Nachrichtenwesen" verstand der Schutzbund Sabotageabwehr nach innen und Aufklärung nach außen, wobei die zweite Bedeutung eindeutig im Vordergrund stand. "Ein tadellos funktionierendes Nachrichtenwesen ist... ein wichtiges Gebot. Genaue Kenntnis der gegnerischen Kampforganisationen, ihrer Führung, Ausrüstung und Bewaffnung ist dringend erforderlich..." (FN42) Mit den gewonnenen Informationen sollten einerseits die Mandatare im innenpolitischen Tageskampf mit Argumentationshilfen unterstützt werden und darüber hinaus die Schutzbundführung über ein aktuelles Lagebild verfügen. Die Wichtigkeit dieses Dienstes rasch erkennend erließ die Zentralleitung schon 1928 erste grundsätzliche organisatorische Anweisungen zu dessen Aufbau.

Neben den gegnerischen Wehrverbänden, der Gendarmerie und der Polizei war auch das Bundesheer Ziel des Nachrichtenwesens, insbesondere nach durchgeführter "Entpolitisierung". "Verbindung mit den Kasernen: Ganz besonders wichtig ist der Kontakt mit den Soldaten in den Kasernen. Alle Vorgänge in den Kasernen, insbesondere in der Zeit von Unruhen, sind von höchster Wichtigkeit. Es ist Sache der Nachrichtenreferenten mit den Vertrauensmännern in den Kasernen in engster Fühlung zu bleiben und es müssen auch Vorsorgen getroffen sein, damit diese Fühlung nicht etwa während Konsignierungen verloren gehe..." (FN43) Hier wurden die Vertrauensmänner, die eigentlich die Gewährung der den Soldaten zustehenden Rechte zu überwachen hatten, in den Spitzeldienst für den Schutzbund missbräuchlich eingebaut. Das kümmerte jedoch wenig, konnten dadurch doch Unterstützungen einzelner Heeresangehöriger für Heimwehr und/oder nationalsozialistische SA nachgewiesen wie überhaupt Erkenntnisse über die innenpolitische Zusammensetzung der Kasernen gewonnen werden. Zwei Beispiele aus 1932 mögen zeigen, wie detailliert diese Ergebnisse waren. So wurde für die Trainkaserne in Meidling, einen offensichtlich sozialdemokratischen Stützpunkt, festgehalten: "Präsenzstand einschließlich Offiziere am 1.X.l.J. (1. Oktober laufenden Jahres, Anm.) 424 Mann, hievon im Militärverband (= sozialdemokratische Soldatengewerkschaft, Anm.) organisiert: 320 Mann und 3 Offiziere..." Die Radetzkykaserne hingegen repräsentierte eine ideologische Aufsplitterung und den beginnenden Einfluss der Nationalsozialisten: "Mannschaftspräsenzstand 527 Mann. Hievon Mitglieder des MilVerbandes 191, Wehrbündler (= christlichsoziale Soldatengewerkschaft, Anm.) 341, 11 Mann Deutsche Soldatengewerkschaft..." (FN44) (den Nationalsozialisten zugehörig, Anm.).

Aufklärungsergebnisse dieser Art ließen die Schutzbundführung erkennen, wo sie noch auf eventuelle Verbündete hoffen konnte bzw. wo dies nicht mehr der Fall war. Sie beschränkten sich aber in ihrer Verwertbarkeit vornehmlich auf die taktische Ebene, in erster Linie also auf den Bezirk. Ihre Bedeutung sollten sie schließlich in den letzten "Aktionsplänen" des Jahres 1933 unterstreichen, in denen den Wiener Bezirken die Erstürmung der Bundesheerkasernen zugeordnet wurde. Ansonsten litten die Zentralleitung und die Landesleitungen aber an einem Mangel an qualifiziertem Personal, das bei den eingehenden Meldungen professionell die Spreu vom Weizen trennen und so der operativen wie militärstrategischen Ebene zu einem verlässlichen Lagebild verhelfen hätte können. Ein Mangel, den naturgemäß weder die Exekutive noch das Bundesheer kannten. Hier wurden sehr wohl die eingehenden "Konfidentenberichte" die Wehrverbände betreffend zu einem laufend aktualisierten Lagebild, zu einer "Bewaffneten Evidenz-Innenlage" zusammengefasst.

Der Pfrimerputsch und seine Auswirkungen auf die Schutzbundarbeit

Am Sonntag, dem 13.9.1931, versuchte der steirische Heimwehrführer Dr. Pfrimer mit seinen Verbänden einen Putsch gegen die bestehende Ordnung. Das Unternehmen litt an einer dilettantischen Vorbereitung und konnte trotz zögerlichem Eingreifen der Bundesregierung rasch mit den Kräften der Exekutive sowie des Bundesheeres niedergeworfen werden.

Die wesentlichen Lehren, die die Zentralleitung des Republikanischen Schutzbundes aus diesem Putschversuch gewinnen konnten, bezogen sich v.a. auf die Tatsache der über mehrere Stunden frei auf dem flachen Lande operierenden Heimwehrkräfte. Die noch im selben Herbst dagegen entwickelten Konzepte betrafen vorerst die Überprüfung der Einsatzbereitschaft mittels vermehrter Probealarme und die Aufstellung neuer Alarmabteilungen. Hier sollten besonders die jungen Angehörigen zusammengefasst und als mögliche Speerspitze eingesetzt werden.

Ganz neu aber waren die vom militärischen Kopf des Schutzbundes, dem Major a.D. Alexander Eifler, entwickelten "Aktionspläne für Obersteiermark". Sie waren auf Bezirksebene angesiedelt und versahen die entsprechenden Schutzbundformationen mit konkreten Einsatzaufgaben. Der Aktionsplan für Bruck an der Mur sah beispielsweise vor: "Die Stadt Bruck ist als Stützpunkt unserer Kräfte nach Möglichkeit zu verteidigen. Die Brucker Ordner wer den vorerst trachten, mit der eigenen Heimwehr in Bruck fertig zu werden und sodann die Stadt verteidigungsfähig machen. Insbesondere sind die Ortslisieren gegen Leoben mit starken Kräften zu besetzen... Die Ordner von Kapfenberg, Diemlach und Hafendorf sammeln sich außerhalb ihrer Orte und rücken so rasch als möglich, gedeckt durch den Laminggraben, Richtung Berndorf vor und trachten von dort aus den Schlossberg in Besitz zu nehmen. Auf dem Schlossberg bleiben sodann die Ordner von Diemlach als Verteidigungskräfte zurück. Die übrigen Ordner aus Kapfenberg und Hafendorf verstärken den Schutzbund in Bruck. Die Oberdorfer Genossen haben die Aufgabe, in Oberdorf selbst und im Laminggraben bis Berndorf die Heimwehr zu bekämpfen..." (FN45) In ähnlicher Art waren auch die übrigen Einsatzpläne abgefasst, und alle verfügten sie über eine genaue Ortskenntnis wie auch erste Ansätze eines koordinierten Vorgehens der einzelnen Formationen. Ihre Mängel aber bestanden in der nur selten erkannten brutalen Realität eines Bürgerkrieges, in der Vernachlässigung der Rolle, die die staatlichen Kräfte in einem derartigen Szenario wahrzunehmen hätten und besonders in der unrealistisch hoch angenommenen Stärke der Heimwehr. Alle diese Mängel verbreiteten eine verständliche Unsicherheit bei den steirischen Schutzbundkommandanten. Ihre Vorsprache beim ehemaligen "technischen Leiter", dem General a.D. Körner, veranlasste diesen zu einer vernichtenden Kritik der "Aktionspläne". Doch sollte Körner damit nur teilweise Erfolg haben. Es gelang ihm zwar nicht, die Eifler-Pläne aufzuheben, doch sein Drängen, die Bekämpfung eines Putsches zuerst den staatlichen Kräften zu überlassen, fand einen Niederschlag in den von der Parteispitze Anfang 1932 herausgegebenen "Richtlinien für den Fall eines Putsches".

Trotz der damit von der strategischen Ebene dem Schutzbund zugewiesenen vorrangigen Unterstützungsrolle für politische Verantwortungsträger, Exekutive und Bundesheer arbeitete die Zentralleitung verstärkt an selbstständigen militärischen Konzepten weiter. Als wesentliches Ergebnis dieser Diskrepanz wurden, immer noch unter dem Eindruck frei manövrierender Heimwehrkräfte, große Geländeübungen geplant und auch abgehalten.

"Ausrückender Stand 16.728! Am Samstag, den 25. Juni, nachmittags, strömten Schutzbundeinheiten aus den Wiener und aus den niederösterreichischen Bezirken Schwechat, Liesing, Mödling und Purkersdorf nach Laab am Walde, wo eine feldmäßige Nachtübung mit Gegenseitigkeit stattfand... Am Samstag wurden in dem etwa 5 Kilometer breiten Raum Feldwachstellungen bezogen. Kaum war es dunkel, zischten Leuchtraketen durch die Luft und erhellten das waldige Gelände, in dem Patrouillen die gegnerische Linie zu erkunden und die Kräfte festzustellen hatten. Am Sonntag, den 26. Juni, um 6 Uhr früh, begann die Nordgruppe ihre Vorrückung, die allerdings vielfach durch die Kulturen gehemmt war. Dort aber, wo es das Gelände zuließ, entwickelten sich die Massen und zeigten ihr Können. Alle gaben ihre ganze Kraft her, die Jungen, die niemals beim Militär waren, und die alten, kampferprobten Teilnehmer des Weltkrieges, die - das sah man - die erfolgreicheren Führer waren und den Jüngeren mit Beispiel vorangingen. Zahlreiche Kritiker, die diensttuenden Gendarmeriebeamten, aber auch "inspizierende" Bundesheeroffiziere, verfolgten die Übung mit sichtlichem Interesse. Um 10 Uhr vormittags wurde die Übung abgeblasen, und die Abteilungen begaben sich nach Laab und zum Roten Stadl, wo in strahlender Sonne und bei dem Konzert der unterdessen eingetroffenen Kapellen zwei Stunden Rast gehalten wurde. Um 12 Uhr mittags marschierten die gesamten Abteilungen nach Kalksburg..., wo sich viele Parteigenossen eingefunden hatten, die die Schutzbündler begeistert begrüßt hatten. Die Genossen Julius Deutsch, Otto Bauer und Alexander Eifler, der die Übung geleitet hatte, ...nahmen die Defilierung der 16.728 Schutzbündler ab. Die Übung war ein voller Erfolg... Freund und Feind mögen aus dieser Übung lernen!..." (FN46) Ob eine derartige Ausbildung mit den nur wenige Stunden dauernden Kampfhandlungen wirklich "ein voller Erfolg war", möge dahingestellt bleiben, eine Machtdemonstration war sie allemal. Ähnliche Übungen kamen über den Sommer 1932 auch in Niederösterreich und in der Steiermark zur Durchführung und wurden einmal mehr mit einer bundesweiten Überprüfung des Verbindungsapparates ergänzt. Dabei kamen als Übertragungsmittel für Befehle oder Anweisungen auch die Eisenbahn- und Transportordner, mithin die Österreichischen Bundesbahnen, zum Einsatz. Zusätzlich wurde in der Monatsschrift der proletarischen Wehrformation, die mit Jahresanfang ihren Namen auf "Der Kämpfer" änderte, eine Normübung veröffentlicht, die für die lokalen Schutzbundführer eine Ausbildungsgrundlage zur praktischen Verwendung bildete. In dieser "Geländeübung" stand die Führerausbildung, der Einsatzart Angriff untergeordnet, im Vordergrund. Auch die im selben Zeitraum von der Zentralleitung verfassten "Ausbildungshefte" belegen die 1932 vorgenommene Schwergewichtsverlagerung hin zu militärischen Themen. Sie waren eine Art Vorschrift für den Kompaniekommandanten, die dieser seinen Männern an den Ausbildungsabenden zu vermitteln hatte.

Diese eigentlich von der Parteiführung Anfang 1932 nicht angeordnete Verstärkung der militärischen Ausbildung im Schutzbund hatte ihre Ursache in der Verschärfung der innenpolitischen Lage. Im Mai erfolgte die Einbindung der Heimwehr in die Regierung Dollfuß mitsamt der damit verbundenen Aufwertung des innenpolitischen Gegners. Eine Forcierung der militärischen Fähigkeiten des Republikanischen Schutzbundes schien in den Augen der Zentralleitung die einzig effektive Möglichkeit zur Sicherung der eigenen politischen Bewegung. Und obwohl die Schutzbundführung über viele Jahre mit einem mangelnden Interesse der Parteiführung konfrontiert war, so waren ihre Arbeiten nach der Bildung der Regierung Dollfuß-Fey mit der strategischen Ebene umfassend abgestimmt. Die vom Landesgendarmeriekommando Steiermark eingeholten "Konfidentenberichte" untermauern die Auftragsvergabe durch die Bundesleitung und geben ein gutes Bild über den Stand der Einsatzvorbereitung zu Ende des Jahres 1932 wieder.

"Gegenstand der Besprechung bildeten die Richtlinien, die bei der letzten Bundesleitungssitzung in Wien für folgende Fälle ausgearbeitet wurden: 1. Verhalten bei einem Putsche von Seiten der Gegner; 2. Verhalten bei einer gewaltsamen Ergreifung der Diktatur durch das Bürgertum; 3. Weisungen für den Fall, als die Sozialdemokraten sich bestimmt sehen würden, die Macht gewaltsam zu ergreifen." Für alle drei Fälle glaubte die Schutzbundführung über ausreichend Kräfte und zusätzlich Positionen in den Exekutivkörpern zu verfügen, ganz besonders, was die Verhältnisse in Wien betraf. "In Wien, wo in allen Fällen der entscheidende Schlag geführt werden muss, stehen der Sozialdemokratie 40.000 sehr gut ausgebildete und bestens ausgerüstete Schutzbündler aller Waffen… zur Verfügung. Material (den Ausdruck Waffen vermied der Referent) ist in Wien für die doppelte Anzahl vorhanden… Die Aktionen der Wiener Garnison dürften durch zahlreiche Vertrauensmänner, die wir in den Reihen der Offiziere und Mannschaft der Wiener Garnison haben, uns stets rechtzeitig verraten werden… Auch in der Bundespolizei von Wien haben wir viele Vertrauensmänner und 20 - 25% Anhänger. Ein Großteil der Bundespolizei ist nationalsozialistisch orientiert, der Rest steht im bürgerlichen Lager. Auch sie, die wohl kleinere Unruhen bewältigen kann, wird infolge nicht genügender militärischer Führung und Ausbildung gegen unsere bis ins kleinste Detail vorbereitete, einheitlich geleitete Aktion nicht aufkommen. Am wenigsten haben wir in Wien unsere politischen Gegner zu fürchten: Der Wiener Hasch (Heimatschutz, Anm.) ist so schwach, dass er gar nicht in Betracht kommt… Die Nationalsozialisten... sind infolge ... ihrer Uneinigkeit im Rückgange. Überdies besitzen sie keine nennenswerten Waffenbestände. So können wir also in Wien jedem der drei Fälle mit Ruhe entgegensehen, falls die Provinz uns die Wasser- und Lebensmittelzufuhr nicht unterbindet. Ja wir sind im Stande, nach Besitzergreifung von Wien aus starke Kräfte in die Provinz zu entsenden, da wir, wie schon erwähnt, genügend Material besitzen, um unsere Jugend- und Sportorganisationen auszurüsten…" (FN47) Wien, die Bundeshauptstadt der Republik Österreich, war demnach zur Jahreswende 1932/33 auf Grund der Stärke des Republikanischen Schutzbundes und der nach wie vor vorhandenen Sympathisanten in Polizei und Bundesheer eine sichere Hochburg der Sozialdemokratie. Exekutive und mehr noch die Heimwehr werden als unbedeutende Gegner eingeschätzt, auf die Vertrauensmänner im Bundesheer werden noch zuversichtliche Planungen aufgebaut.

Als einzige Achillesferse werden die Wasser- und Lebensmittelzufuhr aus der Steiermark ausgemacht,(FN48) hier setzen auch erste bundesweite operative Überlegungen an. Diese tragen erneut die Handschrift der obersten Ebene, der Zentralleitung, sie stellen auch einen weiterentwickelten und positiven Kontrast zu den lokalen "Aktionsplänen" aus 1931 dar: "Eine der allerwichtigsten Aufgaben der Reschkräfte (Resch= Abkürzung für Republikanischer Schutzbund, Anm.) Niederösterreichs und Steiermarks ist die rascheste Verschiebung der nächstgelegenen Reschkräfte in das Quellengebiet der Wiener Wasserleitung, das in seinem gesamten Zuge unter allergenauester Überwachung zu stellen ist. Die in Betracht kommenden Abteilungen haben zu Hause alles im Stiche zu lassen und ehestens in dieses Gebiet wohl ausgerüstet abzugehen, da sonst bei Unterbindung der Trinkwasserzufuhr Wien uns verloren gehen könnte…" Mit Nieder- findet auch Oberösterreich in den Einsatzplänen seine operative Berücksichtigung. "Hauptaufgabe der Reschabteilungen beider Bundesländer ist, keine gegnerischen Kräfte nach Wien hereinzulassen, dagegen aus Wien in die Bundesländer fliehende Kräfte sofort zu internieren…" Damit sind die wesentlichen Grundzüge des Kampfplanes und die Aufgaben der größten Bundesländerorganisationen des Republikanischen Schutzbundes ausgearbeitet, der operativen Ebene der Landesleitungen ist somit Ende 1932 erstmals ein einheitliches militärstrategisches Ziel gestellt worden. Es besteht in dem Sieg in Wien, der ununterbrochenen Sicherung der Zufuhr von Wasser und Lebensmittel für die kämpfende Hauptstadt und der Unterbindung der Manövrierfähigkeit des Gegners in Ober- und Niederösterreich.

Abgeschlossen werden diese Planungen durch erste Befehle für die einsatzbezogene Ausbildung im kommenden Jahr. "Im Jahre 1933 hat der Resch in Steiermark häufige, kriegsgemäße Übungen in jenen Räumen vorzunehmen, wo die einzelnen Abteilungen zu verwenden sein werden, damit alle Führer das Gelände kennen lernen. Die Kosten der Übungen werden durch Abzüge von den Einkommen der Mandatare und durch Spenden hereingebracht werden…" (FN49) Wenn auch die eigenen militärischen Fähigkeiten zu optimistisch eingeschätzt wurden, so lässt sich doch gut 15 Monate nach dem Pfrimerputsch Dank außergewöhnlicher Anstrengungen der Zentralleitung ein wirklicher Qualitätsschritt feststellen. In das neue Jahr 1933 geht der Republikanische Schutzbund mit einem operativen Konzept, mit zwar zurückgedrängten aber dennoch vorhandenen Positionen in den staatlichen Kräften und mit einer nach wie vor hervorragenden Ausstattung an Waffen. Erste Erfahrungen aus den Geländeübungen mussten nur noch umgesetzt und im vorgesehenen Einsatzraum der jeweiligen Schutzbundformation angewendet werden.

Dieser eigentlich für die sozialdemokratische Bewegung beruhigende Befund erhielt nur durch die im Februar 1933 einberufene "Technikerkonferenz" einen Dämpfer, da auf dieser einmal mehr in schonungsloser Offenheit Mängel in den Bereichen Nachrichtendienst, Kader- und Schießausbildung aufgezeigt wurden. Doch dem Schutzbund sollte durch die innenpolitischen Ereignisse keine Zeit mehr zur Korrektur bleiben. Anfang März erfolgte die "Selbstausschaltung des Parlaments", die für den 15. März vorgesehene Wiedereinberufung des Nationalrates wurde durch die Bundesregierung verhindert. Und obwohl diese Vorgänge den Anlassfällen im "Linzer Programm" entsprachen, gab die Führung der SDAPÖ weder das Signal zum Generalstreik noch zur Aufbietung ihrer Wehrformation. Als nächster Schritt der Regierung Dollfuß wurde der Republikanische Schutzbund mit Ende März verboten.

In der Illegalität

Das Zurückweichen der Parteispitze gegenüber den entscheidenden Schlägen der Bundesregierung zog eine sofort wirksam werdende Vertrauenskrise in der proletarischen Bewegung nach sich. Die mächtige Wiener Landespartei verlor noch im selben Jahr ein Drittel ihrer Mitglieder, und auch im Schutzbund wich die noch im März gegebene hohe Einsatzbereitschaft einer Resignation. So meldeten steirische Kommandanten bereits im Mai erste Abwanderungen zu den Nationalsozialisten. Unter diesen ungünstigen Bedingungen versuchte die Parteiführung zu retten, was noch zu retten war. Der nunmehr illegale Schutzbund sollte wieder wie vor 1923 in "Ordnerabteilungen" umgewandelt und unter dem harmlosen Begriff "Propagandaabteilung" geführt werden. Die leitenden Männer blieben an ihren Posten, sahen sich aber immer mehr der Überwachung der Exekutive ausgesetzt.

Diese Überwachung in Verbindung mit den beginnenden Auflösungserscheinungen machten eine Fortführung der militärischen Ausbildung unmöglich. Gleichzeitig wurde die Lage für die Sozialdemokratie immer verzweifelter, erklärte doch die Regierung Dollfuß-Fey, auf dem eingeschlagenen Weg Richtung autoritärer Staatsführung fortzuschreiten. Im Herbst 1933 entschlossen sich sowohl die Partei- als auch die Schutzbundführung, den letzten Kampf erforderlichenfalls anzunehmen. Auf der strategischen Ebene formulierte einmal mehr die Führung der SDAPÖ auf dem Parteitag im Oktober 1933 jene Anlassfälle, die bei Eintritt automatisch mit dem Griff zu den Waffen beantwortet werden sollten. Konkret handelte es sich dabei um - die Aufhebung der Rechte Wiens und die Einsetzung eines Regierungskommissärs im Rathaus; - die Beseitigung oder Gleichschaltung der Gewerkschaften; - die Auflösung der Partei und - die Einsetzung einer faschistischen Verfassung.

Um auch kämpfen zu können, leitete die Zentralleitung des Schutzbundes eine massive Aufrüstung ein. Waffen waren zwar trotz unablässiger Suchaktionen seitens der Exekutive noch genügend vorhanden, es fehlte aber zunehmend an Munition. Mit Hilfe der traditionellen Verbindungen zur tschechoslowakischen Schwesterpartei und exilierter deutscher sozialdemokratischer Politiker wurde ab Mitte Oktober auf dem Donauweg ein umfangreicher Munitionsschmuggel von Preßburg nach Wien organisiert. Als dieser nach wenigen Transporten von der Wiener Polizei entdeckt wurde, wich man auf den Landweg über Malacka und Drösing an der March aus. Empfänger dieser mehrere hunderttausend Schuss Infanteriemunition waren die Schutzbundformationen Wiens und der südlich daran anschließenden niederösterreichischen Bezirke. Dort wurde auch versucht, einfache Handgranaten, so genannte "Schmiervasen", und Sprengpatronen für flüssige Luft herzustellen. Nicht weniger als 4.500 derartiger Nahkampfmittel sollen in Schwechat und in Wien erzeugt worden sein.(FN50) Parallel zur Aufrüstung erfolgten in diesen Monaten immer wieder Modifikationen der "Alarmpläne", besonders für Wien. Als letztes entsprechendes Zeugnis galt die "Taktik im Straßenkampf", die nach einer die Ausgangslage beschreibenden "Einleitung" Anordnungen für die Einsatzarten Verteidigung und Angriff befahl.

Für den Fall, dass der politische Gegner zum letzten Angriff auf die Sozialdemokratie überginge, sollte die Bundeshauptstadt auf vier Verteidigungslinien abgestützt gehalten werden. Eckpunkte dieser Stellungen waren die Gürtellinie und die neuen großen Wiener Gemeindebauten, es mussten auch alle Vorteile genutzt werden, die eine Großstadt dem Verteidiger bietet. "…muss der Gegner in ein Steinlabyrinth gelangen, in dem jedes Haus… zu einer tödlichen Gefahr wird. Die Stadt ist in eine Kriegsfalle zu verwandeln, um den Gegner zu vernichten… Es ist zweckmäßig, Barrikaden an Straßenkreuzungen zu errichten, um den Zugang von verschiedenen Seiten her zu sperren. Die Feuerstellungen sind flankierend anzulegen. MG im 2. Stockwerk, vor den Sperrverhauen Kundschafter, die das Nahen des Gegners avisieren. In den Gräben hinter den Barrikaden möglichst wenig Schützen geben. Die Hauptkräfte in den Häusern auf alle Stockwerke verteilt (Tarnung) unterbringen. Von dort aus haben sie den Gegner in dem Moment niederzuwerfen, wo er die Sperrverhaue erreicht…" Einzelne offensive Aktionen galten besonders den in der Stadt gelegenen Bundesheerkasernen, diese waren vom jeweiligen Schutzbundbezirk mit Hilfe der Wiener Kanalarbeiter zu sprengen. Um auch über einen längeren Zeitraum die Verteidigung sicherstellen zu können, fiel dem 21. Bezirk die Aufgabe zu, Richtung Brünn die Nachschublinie offen zu halten.

Doch die Verteidigung Wiens war im Sommer 1933 nur nachrangig, das Schwergewicht in der "Taktik im Straßenkampf" lag eindeutig beim Angriff. Hier wurde in lang gültiger militärischer Tradition auf das Überraschungsmoment gesetzt, welchem "systematische" Angriffe folgen sollten. "Hat die Aktion gegen die Staatsgewalt begonnen, so müssen wir uns aus allen Kräften die Vorteile des Angriffes zunutze machen. Die bekannten Kasernen, Polizeikommissariate, das Heeresamt, das Bundeskanzleramt, das Justizministerium und das Gebäude der Polizeidirektion sind sofort zu sprengen. Post, Telegraph, Radio, Versatzämter und Druckereien besetzen. Nach den ersten Angriffserfolgen, die wir durch die plötzlichen Angriffe bestimmt erzielen, dürfen wir dem Gegner nicht Zeit lassen, sich in Kampfbereitschaft zu bringen... Das Zeitelement spielt im ersten Moment der Aktion eine ungeheure Rolle. Das ganze Schwergewicht der Attacke im Straßenkampfe liegt auf den kleinen Verbänden der Kampforganisationen. Gruppe, Zug, Kompagnie und Baon. Diese Unterverbände gehen meist selbst vor und müssen Kampfaufgaben selbst lösen. Sie müssen daher mit Bomben, Handgranaten, Schaufeln und Brechstangen ausgerüstet sein. Sie werden oft in die Lage kommen, Türen aufzubrechen, Zwischenwände, Treppen und Hofmauern zu sprengen..." Der sozialistisch gesinnten Bauernschaft im angrenzenden Niederösterreich wäre schließlich die Aufgabe zugefallen, mit ihrem Kampf gegen "Gutsbesitzer, Kaufleute, Gendarmerie, gegnerische Gemeindefunktionäre und Leiter der faszistischen Organisationen..." die Wiener Schutzbündler zu unterstützen.(FN51) Wenn auch der "Taktik im Straßenkampf" so manche Unklarheit innewohnte, wie beispielsweise nirgends gesagt wurde, wo die Unmengen an Sprengstoff für die Zerstörung der Regierungsgebäude zu beschaffen wären, so zeigten sich doch gerade darin eine zunehmende Radikalisierung und Brutalisierung der sozialdemokratischen Kampfweise. Diese wurden auch noch an anderer Stelle hervorgehoben, so v.a. beim vorgesehenen Umgang mit Vertretern der herrschenden bürgerlichen Regierung und ihrer Einsatzkräfte. "Der aktive Teil der Bourgeoisie ist zu isolieren und die Anwendung des Klassenterrors gegenüber verhafteten Gegnern der bürgerlichen Parteien zu verkünden. Der nicht aktive Teil der bürgerlichen Bevölkerung ist zu öffentlichen Arbeiten heranzuziehen (Verteidigungsarbeiten)… Im Kampf gegen das Bundesheer sind die Offiziere sofort unschädlich zu machen, bei der Polizei alle Vorgesetzten bis zum Leutnant. Soldaten und Wachleute sind zu entwaffnen und zu zwingen, mit uns zu gehen. Jene, die uns durch Gemeinheiten bekannt sind, sofort bestrafen..." (FN52) Die zuletzt zitierten Anweisungen waren sowohl ein Ergebnis des Drucks, den die Bundesregierung 1933 auf die Sozialdemokratie ausübte, als auch ein Ansporn für die eigenen Leute zum letzten Einsatz, der dann keine Schranken mehr kannte. Sie nahmen die den Bürgerkriegen immanente Brutalität vorweg und gehen auch mit Otto Bauer konform, der noch beim Parteitag im Oktober bei der Frage des gewaltsamen Widerstandes meinte, "Dann keine Sentimentalitäten, keine Weichheit mehr..." Sie offenbarten aber auch eine Diskrepanz in Bezug auf die seit Monaten im Schwinden begriffene Kampfmoral der Schutzbundangehörigen, ein Umstand, der schließlich im Februar 1934 offen zutage treten sollte.

Eine Diskrepanz, die schließlich auch den Beginn der Kämpfe markieren sollte. Als die Linzer Schutzbündler auf Anordnung Bernascheks am Morgen des 12.2. das Feuer auf die Exekutive eröffneten, war keiner der erst im vergangenen Oktober von der Parteiführung definierten vier Anlassfälle gegeben. Allen seit mehreren Jahren ergangenen Appellen zur Disziplin und vielen Planungsarbeiten der Zentralleitung zum Trotz ging der Schutzbund ohne Billigung der Parteileitung und ohne zusammenhängenden, bundesweiten Einsatzplan in den Kampf. Dieser sollte am 17. Februar 1934 mit einer Niederlage der proletarischen Wehrformation enden.

Zusammenfassung

Trotz vieler Mängel und trotz aussichtsloser Lage rang der Republikanische Schutzbund dem Bundesheer das Urteil eines "hartnäckigen Gegners" mit "zäher Kampfkraft" ab.(FN53) Es darf aber mit großer Sicherheit angenommen werden, dass bei initiativem Vorgehen der Sozialdemokratie ein Jahr zuvor die Ausgangslage für die proletarische Kampfformation eine wesentlich günstigere gewesen wäre, befand sich der Schutzbund doch zu Jahresanfang 1933 auf dem Höhepunkt der konkreten militärischen Vorbereitungen.

Mit der Aufstellung des Republikanischen Schutzbundes im April 1923 besaß die österreichische Sozialdemokratie zumindest bis 1927 eine monopolartige Vorrangstellung "im Kampf um die Straße". Erst mit der Katastrophe des Justizpalastbrandes und der damit verbundenen Aufrüstung der politischen Rechten durch die Heimwehrformationen geriet dieses Monopol unter Druck. Dennoch verfügte der Schutzbund im Vergleich zur Heimwehr und zur SA über Vorteile, die ihn auch noch bis zu seiner behördlich verfügten Auflösung als stärkste Wehrbewegung gelten ließen. Diese Stärken waren v.a. eine politische Geschlossenheit, wie sie die Heimwehren nie kannten. Ein weiterer Vorteil war die lange Zeit gültige Überlegenheit in der Bewaffnung, ergänzt durch eine trotz Mängel durchaus bestehende Organisationsstruktur, die eine strategisch/militärstrategische, eine operative und eine taktische Ebene kannte. Die Mängel der nur zeitweilig verfügbaren Angehörigen und des schwach ausgebildeten Disziplinarwesens waren auch bei den gegnerischen Wehrverbänden bekannt. Eine Ausnahme bildete für kurze Zeit die "Österreichische Legion" der Nationalsozialisten in Bayern, die, 1933/34 in Lagern einquartiert, eine adäquate militärische Ausbildung erhielt.

Das größte Defizit hingegen war in der sozialdemokratischen Bewegung selbst zu finden. Es bestand im mangelnden Interesse der Parteiführung über den genauen Zustand und die Weiterentwicklung des Republikanischen Schutzbundes. Abgesehen von der grundsätzlichen Richtung, die ab Herbst 1927 mit der "Disziplinierung" und "Militarisierung" einzunehmen war, und außer dem Befehl zur Ausarbeitung eines Operationsplanes gibt es keine Hinweise auf regelmäßige Einwirkungen durch die Führung der SDAPÖ. Ein Mangel, auf den auch General a.D. Körner zur Jahreswende 1931/32 die leitenden Männer der Partei aufmerksam machte und der auch ein Grund für die negative Bestandsaufnahme anlässlich der "Technikerkonferenz" im Februar 1933 war.

Abgesehen davon ist es eine historische Tatsache, dass die Sozialdemokratie der Ersten Republik zur Verteidigung der bestehenden verfassungsmäßigen Ordnung und/oder zur Absicherung des Umbaus der Gesellschaft nach einem Wahlsieg des "Austromarxismus" mit dem Schutzbund über ein Machtmittel verfügte, das bewusst für eine militärische Auseinandersetzung aufgebaut wurde. Bestechend ist in diesem Zusammenhang der außerordentliche Arbeitseifer, den die Zentralleitung dabei bewies, wie auch das unter den gegebenen Umständen erzielte eindrucksvolle Ergebnis.

ANMERKUNGEN:

(Fußnote 1/FN1) Hanisch, Ernst: Politische Symbole und Gedächtnisorte, in: Handbuch des politischen System Österreichs, 1. Republik 1918-1933, hg. v. Talos, Dachs, Hanisch und Staudinger, Wien 1995, S.422-427.

(FN2) Lehnert, Detlef: Politisch-kulturelle Integrationsmilieus und Orientierungslager in einer polarisierten Massengesellschaft, in: Handbuch des politischen Systems Österreichs,... S.432.

(FN3) Wiltschegg, Walter: Die Heimwehr. Eine unwiderstehliche Volksbewegung? Wien 1985, S.22.

(FN4) So betrug die Mitgliederzahl der Sozialdemokratischen Partei Deutschösterreich 1932 fast 650.000, davon waren 400.000 in der Wiener Landesorganisation integriert. Den überwiegenden Teil bildete die Arbeiterschaft, in der Industriearbeiterschaft verfügte die Partei beinahe über ein Monopol. In der Bundeshauptstadt lag ihre Mehrheit immer nahe bei zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen. Siehe dazu: Maderthaner, Wolfgang: Die Sozialdemokratie, in: Handbuch des politischen System Österreichs,... S.181-182.

(FN5) Wiltschegg: Volksbewegung…, S. 24.

(FN6) Rauter, Gerhard: Die österreichische Wehrgesetzgebung Motive - Entwicklungslinien - Zielsetzungen. Wehrrechtsindex 1868 - 1989, Wien 1989, S.59.

(FN7) Ebenda, S.59-63.

(FN8) Körner, Theodor: Denkschrift über das Heerwesen der Republik, Wien 1924, S.7ff.

(FN9) Österreichische Wehrzeitung (ÖWZ) vom 1.2.1924.

(FN10) Zu finden in einer Art "Rechenschaftsbericht" der Partei- und Schutzbundführung nach dem 15. Juli 1927, in: Sozialdemokratische Parteistellen, Schutzbund; Karton 42, Mappe 238.

(FN11) Siehe beispielsweise das Salzburger Volksblatt vom 17.10.1928.

(FN12) So bei einer Strategiedebatte der Schutzbundführung im Frühling 1928, in: McLoughlin, Finbarr: Der Republikanische Schutzbund und gewalttätige politische Auseinandersetzungen in Österreich 1923 - 1934, phil. Diss., Wien 1990, S.253.

(FN13) "Richtlinien für das Verhalten von Truppen als Assistenzen zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im Innern", hg. v. Bundesministerium für Heerwesen 1932.

(FN14) Bauer, Otto: Die Offiziere und die Republik. Ein Vortrag über die Wehrpolitik der Sozialdemokratie, Wien 1921, S.11.

(FN15) Wiltschegg: Volksbewegung..., a.a.O., S.152-153, sowie Carsten, Francis Ludwig: Faschismus in Österreich. Von Schönerer zu Hitler, München 1977, S.100-101.

(FN16) Jedlicka, Ludwig: Die österreichische Heimwehr. Ein Beitrag zur Geschichte des Faschismus in Mitteleuropa, in: Internationaler Faschismus, Heft 1 des Journal of Contemporary History, London-München 1966, S.179. Jedlicka gibt an, dass über 80.000 Repetiergewehre, 13.000 Karabiner und 8 Mio. Gewehrpatronen 1918/19 an die verschiedenen Selbstschutzformationen ausgegeben wurden.

(FN17) Hanisch, Ernst: Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, in Österreichische Geschichte 1890-1990, hg. v. Herwig Wolfram, Wien 1994, S.126; sowie Edmondson, C. Earl: Heimwehren und andere Wehrverbände, in: Handbuch des politischen System Österreichs..., a.a.O., S.261-262.

(FN18) Heimatschutz in Österreich, Wien 1934, S.121-122 (in weiterer Folge: Heimatschutz); sowie: Wiltschegg: Volksbewegung..., a.a.O., S.20 sowie Hofmann, Josef: Der Pfrimer Putsch. Der steirische Heimwehrprozess des Jahres 1931, in: Publikationen des Österreichischen Instituts für Zeitgeschichte, Band 4, S.7. In weiterer Folge: Hofmann: Pfrimer...

(FN19) Heimatschutz..., S. 241 - 242.

(FN20) Jedlicka, Ludwig: Zur Vorgeschichte des Korneuburger Eides (18. Mai 1930), in: Österreich in Geschichte und Literatur, Band 7, Jahrgang 1963, S.146.

(FN21) Wiltschegg: Volksbewegung..., S.42 und Hofmann: Pfrimer...., S.11.

(FN22) Heimatschutz…, S.172 und S.187.

(FN23) Jahrbuch der österreichischen Arbeiterbewegung 1928, S. 68. In weiterer Folge Jahrbuch...

(FN24) Carsten, Faschismus..., S.118.

(FN25) Berichte von desertierten Angehörigen der österreichischen Legion in: BKA/Inneres, 22/Gen, Karton 4878, Zl.: 221.010-33 und BKA/Inneres, 22Gen, Karton 4897, Zl.: 259.671/GD/St.B./34.

(FN26) Dass trotz aller Einsätze der Exekutive die Sozialdemokratie in den letzten Jahrzehnten der Habsburgermonarchie eine gewisse Förderung erfuhr, darauf weist Wolfgang Maderthaner im Handbuch des politischen System Österreichs ab S. 178 hin. Diese zumindest passive Unterstützung erfolgte wegen des lange Zeit geltenden übernationalen Ansatzes der proletarischen Bewegung, der sich mit demjenigen der Monarchie deckte.

(FN27) Deutsch, Julius: Die Fascistengefahr, Wien 1923, S.35-38.

(FN28) Vlcek, Christine: Der Republikanische Schutzbund in Österreich, Geschichte, Aufbau und Organisation, Phil. Diss. Wien 1971, S.76-77 und 561. In weiterer Folge: Vlcek: Schutzbund...

(FN29) Ebenda, S.433-436.

(FN30) "Der Schutzbund", 4.Jhg., Nr. 10, S.145-146.

(FN31) So zählte das Bundesheer bis 1933 immer nur zwischen 22.000 und 26.000 Mann.

(FN32) "Rechenschaftsbericht", vgl. Anm.10.

(FN33) Alle weiteren Zitate ebenfalls aus "Rechenschaftsbericht".

(FN34) Bauer, Otto: Austromarxismus, in: Politische Texte, hg. v. Wolfgang Abendroth, Ossip Flechtheim und Iring Fetscher, Frankfurt-Wien 1970, S.384-385.

(FN35) Bauer, Otto: Der Aufstand der österreichischen Arbeiter. Seine Ursachen und seine Wirkungen. Prag 1934, Nachdruck Wien 1974, S.5.

(FN36) Jahrbuch 1931…, S.99.

(FN37) Weisungen 1932 der Zentralleitung, in: Parteistellen, Schutzbund, Karton 31, Mappe 173.

(FN38) Josef Gerdenitsch: Das Wiener Arsenal in der Ersten Republik. Die politische, wirtschaftliche und militärische Bedeutung in den Jahren 1918 - 1927, phil. Diss. Wien 1967, S. 101ff. In weiterer Folge Gerdenitsch: Arsenal...; sowie: Allgemeines Verwaltungsarchiv (AVA), Februar 1934, Karton 5, Polizeidirektion Wien, Pr.Z.IV-2606/166/34.

(FN39) Jahrbuch 1929,...S.90 und Vlcek: Schutzbund..., S.570.

(FN40) Parteistellen, Schutzbund, Karton 29, Mappe 156 und AVA, Februar 1934, Karton 5, Polizeidirektion Wien, Pr.Z.IV-2606/166/34 (FN41) Parteistellen, Schutzbund, Karton 34, Mappe 187a.

(FN42) Technischer Plan, in: Parteistellen, Schutzbund, Karton 29, Mappe 157. Vermutlich aus 1928.

(FN43) Ebenda.

(FN44) Materialien zu Polizei, Gendarmerie, Heerwesen, in: Parteistellen, Schutzbund, Karton 36, Mappe 198.

(FN45) Vlcek: Schutzbund..., S.513-514.

(FN46) Weisungen 1932 der Zentralleitung in: Parteistellen, Schutzbund, Karton 31, Mappe 173 und "Der Kämpfer", Nr. 7/1932, S.12-13.

(FN47) Landesgendarmeriekommando für Steiermark, Zl.: E.Nr. 6res/1933, vom 4. Jänner 1933, in: BKA/Inneres, 22/Gend, Karton 4874.

(FN48) Entsprechende Überlegungen gab es immer wieder bei der steirischen Heimwehrführung, siehe dazu Wiltschegg: Volksbewegung… und Hofmann Pfrimerputsch… (FN49) Siehe Landesgendarmeriekommando für Steiermark vom 4. Jänner 1933.

(FN50) AVA, Februar 1934, Karton 5, Polizeidirektion Wien, Pr.Z.IV-2606/166/34 und Bundespolizeidirektion Wien, S.B. 931/34 vom 5. und 7. Februar 1934, in BKA/Inneres, Polizeidirektion Wien, Berichte, Karton 35.

(FN51) Anhang A von AVA, Februar 1934, Karton 5, Polizeidirektion Wien, Pr.Z.IV-2606/166/34.

(FN52) Ebenda.

(FN53) Militärwissenschaftliche Mitteilungen, hg. v. BMLV, Heft März 1934, Sonderbeilage "Die Niederwerfung der Februarrevolte".

Mag. Dr. Otto Naderer

Geb. 1958, Oberstleutnant, 1978 - 1981 TherMilAk, 1981 - 1997 im FlAB3/FlAR3 als Zugs- und Batteriekommandant sowie Stabsoffizier, 1997 - 2002 Kommandant Tieffliegererfassungsradar im Radarbataillon/LRÜ, seit Ende 2002 in der G3-Abteilung/KdoLaSK. Derzeit KFOR 10. Neben der beruflichen Tätigkeit Studium der Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Salzburg, 1996 Mag. phil., 2003 Dr.phil.



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