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Militärische Sonderbestimmungen in der neuen EU-Verfassung

Überblick

Am 29. Oktober 2004 paraphierten die Staats- und Regierungschefs der fünfundzwanzig EU-Mitgliedstaaten in Rom die neue Europa-Verfassung. Die italienische Hauptstadt wurde bewusst als Ort für diese historische Rechtshandlung ausgewählt, weil dort im Jahr 1957 bereits die nunmehr außer Kraft tretenden Gründungsverträge der EWG und der Euratom unterschrieben worden waren.
Für Österreich unterzeichneten den Vertrag über eine Verfassung für Europa - EU-Verfassung samt Protokollen mit Anhängen sowie die Schlussakte samt den dieser beigefügten Erklärungen Bundeskanzler Dr. Schüssel und Bundesministerin Dr. Plassnik.

Ratifikationsverfahren

Im Zuge des innerstaatlichen Ratifikationsverfahrens hat die Bundesregierung das europarechtliche Legislativvorhaben am 18. Jänner 2005 dem Parlament zur weiteren Behandlung vorgelegt. Im Hinblick auf den die geltende österreichische Verfassung ändernden bzw. ergänzenden Inhalt ist diesbezüglich jedenfalls eine Zweidrittel-Mehrheit im Nationalrat erforderlich.
Auch in den übrigen Ländern der EU muss die neue Europa-Verfassung noch ratifiziert werden, wobei dies durch die jeweiligen Parlamente oder durch entsprechende Referenden erfolgen wird. Derzeit planen elf Staaten eine solche Abstimmung, in Österreich ist ein solcher Volksentscheid nicht vorgesehen. Ein offizielles Szenario für den Fall, dass dem Verfassungswerk doch nicht alle erforderlichen Zustimmungen erteilt werden und ihm dadurch die Rechtsverbindlichkeit fehlen würde, ist in EU-Kreisen derzeit unbekannt. Es ist aber davon auszugehen, dass der Europäische Rat in diesem Fall zu einer Krisensitzung zusammentreten würde.

Rechtliche Würdigung

Bei den von der Bundesregierung beschlossenen und für die Unterzeichnung am 29. Oktober 2004 vorliegenden Rechtstexten handelt es sich um die folgenden drei europarechtlichen Dokumente:
* CIG 87/04 REV 1 -
Verfassungsvertrag ("EU-Verfassungsurkunde"),
* CIG 87/04 ADD 1 REV 1 -
Protokolle samt Anhängen I und II zum Verfassungsvertrag (Addendum 1) und
* CIG 87/04 ADD 2 REV 1 -
Erklärungen zur Schlussakte der Regierungskonferenz und Schlussakte (Addendum 2).

EU-Verfassungsvertrag

Der EU-Verfassungsvertrag weist neben einer Präambel im Teil I den in neun Titel mit insgesamt sechzig Artikeln gegliederten eigentlichen Verfassungsteil auf. Darin werden neben den Zielen und Werten vor allem auch die Kompetenzverteilung zwischen der Union und ihren Mitgliedern sowie die neuen Aufgaben der EU-Organe geregelt.
Die bislang rechtlich unverbindliche "EU-Charta der Grundrechte" bildet den Teil II des Vertragswerkes.
Der für das BMLV vorrangig bedeutsame Teil III über die einzelnen Politiken der Union enthält im Titel V "Auswärtiges Handeln der Union" ein Kapitel II "Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP)", das aus den Abschnitten
- 1 "Gemeinsame Bestimmungen",
- 2 "Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP)" und
- 3 "Finanzbestimmungen"
besteht.
Die näheren Ausführungen zu diesen Politikbereichen finden sich in den Art. III-294 bis 329. Der Teil IV umfasst die bei multilateralen Abkommen üblichen Schlussbestimmungen.

Von den insgesamt 448 Artikeln des Verfassungsvertrages sind zum jetzigen Zeitpunkt folgende ressortrelevante Normierungen der Teile I und III erwähnenswert:

Zuständigkeit der Union in der GASP
Teil I/Titel III/Art. I-16 legt die Zuständigkeit der Union in der GASP fest und zielt dabei unter anderem auch auf die "schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik, die zu einer gemeinsamen Verteidigung führen kann", ab.

Kompetenzen des Außenministers der Union
Im Teil I/Titel IV/Kapitel I/Art. I-28 iVm Teil III/Titel V/Kapitel II/Abschnitt 1/Art. III-299 sind die Kompetenzen des Außenministers der Union ersichtlich. Es ist vorgesehen, dass dieser Außenminister nicht nur die GASP, sondern auch die "Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik" leitet. Zusätzlich führt er auch noch den Vorsitz im "Rat Auswärtige Angelegenheiten".

Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
Im Teil I/Titel V/Kapitel II/Art. I-40 und 41 findet man die besonderen Bestimmungen über die Durchführung der "Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik" und der als "integraler Bestandteil" der GASP bezeichneten "Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik".
Dabei wird im Art. I-41 in den Abs.2 und 7 betreffend die gemeinsame Verteidigung und die Beistandsgarantie ausdrücklich "auf den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten" Bezug genommen; diese Klausel trägt den spezifischen Verhältnissen der neutralen bzw. bündnisfreien EU-Staaten Rechnung.
Im Abs. 3 des Art. I-41 wird eine "Europäische Verteidigungsagentur" zur Entwicklung der (militärischen) Verteidigungsfähigkeiten sowie der diesbezüglichen Forschung, Beschaffung und Rüstung eingerichtet.
Abs. 6 des Art. I-41 sieht die Möglichkeit der Begründung einer "Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit" als intensivere militärische Zusammenarbeit einzelner Mitgliedstaaten im Bereich der "Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik" vor (Aussagen zu diesen Angelegenheiten finden sich insbesondere auch in Teil III/Titel V/Kapitel II/Abschnitt 2/Art. III-311 und 312).

"Solidaritätsklausel"
Gemäß Teil I/Titel V/Kapitel II/Art. I-43 ist bei der Anwendung der sogenannten "Solidaritätsklausel" in Fällen eines Terroranschlages, einer Naturkatastrophe oder einer von Menschen verursachten Katastrophe auch der Einsatz "der von den Mitgliedstaaten bereitgestellten militärischen Mittel" zulässig (Nähere Ausführungen finden sich im Teil III/Titel V/Kapitel VIII/Art. III-329, der hinsichtlich der Beschlussfassung des Rats wiederum auf Teil III/Titel V/Kapitel II/Abschnitt 1/Art. III-300 verweist).

"Verstärkte Zusammenarbeit"
Die im Teil I/Titel V/Kapitel III/Art. I-44 verankerte "Verstärkte Zusammenarbeit" kann auch Fragen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen umfassen; sie wird allerdings in der Praxis vermutlich hinter die "Ständige Strukturierte Zusammenarbeit" zurücktreten (Nähere Präzisierungen hiezu sind insbesondere im Teil III/Titel VI/Art. III-416 bis 423 enthalten).

Zum EU-Verfassungsvertrag soll aber auch nicht unerwähnt bleiben, dass aus den im Teil II enthaltenen Grundrechten unter anderem auch ein "Recht auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen" ableitbar ist (Teil II/Titel II/Art. II-70).

Addendum 1

Das Addendum 1 (CIG 87/04 ADD 1 REV 1) enthält unter anderem die Protokolle 23 "Protokoll über die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit gemäß Artikel I-41 Absatz 6 und Artikel III-312 der Verfassung" und 24 "Protokoll zu Artikel I-41 Absatz 2 der Verfassung".

Abschließende Bemerkungen

Die vorgesehenen Änderungen des EU-Primärrechtes werden nachhaltige Auswirkungen auf die nationale Verfassungsrechtslage und damit auch auf das einfachgesetzliche Bundes- und Landesrecht haben.
Wegen der den Bereich der GASP/ESVP betreffenden Normierungen, zum Beispiel "Europäische Verteidigungsagentur", "Ständige Strukturierte bzw. Verstärkte Zusammenarbeit" oder "Beistands- bzw. Solidaritätsklausel", wird das heimische Wehrrecht ebenfalls unmittelbar betroffen sein. Zum jetzigen Zeitpunkt kann aber noch nicht seriös abgeschätzt werden, in welchem Umfang die heimische Rechtsordnung an die europarechtlichen Vorgaben tatsächlich anzupassen sein wird.
Der zur Neukodifizierung des innerstaatlichen Verfassungsrechts eingesetzte "Österreich-Konvent", der unter anderem auch die möglichen Aufgaben für das Bundesheer festzulegen hatte, orientierte sich in seiner Textierung der künftigen Österreich-Verfassung jedenfalls bereits am Wortlaut der neuen EU-Verfassung.
Bis zum angestrebten Zeitpunkt des Inkrafttretens des europäischen Verfassungsvertrages am 1. November 2006 wird von der Abteilung Fremdlegislative und Internationales Recht (FLeg) des Bundesministeriums für Landesverteidigung daher noch öfters über die aktuellen innerstaatlichen Rechtsentwicklungen zu berichten sein.

Weiterführende Informationen zur EU-Verfassung können Sie auch den beiden Internet-Seiten
http://www.bka.gv.at bzw.
http://www.europarl.eu.int/europe2004/index_de.htm
entnehmen, wobei auf der Homepage des BKA unter anderem die zwei aktuellen - vom Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften in Luxemburg herausgegebenen - Kurzdarstellungen in deutscher Sprache abrufbar sind.

Mag. Christoph Moser, stvLtr FLeg

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