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Entpolitisierung, Institutionenverfall

von Michael Wladika

Kurzfassung

◄ Ausgehend von der Philosophie Hegels moniert der Verfasser Entpolitisierung und Institutionenverfall als grundsätzliche Bedrohung der äußeren Sicherheit. Institutionen als Vermittlungsinstanzen bringen Ordnung in das System und bedingen Personen, Persönlichkeiten, Kultur, Welt- und Selbstverständnis. Nach dem Anthropologen und Institutionentheoretiker Arnold Gehlen ist die anfängliche Kategorie der Entscheidung zentral, die aus irgendeinem Verhalten besteht, das Tatsachen aus der Zufälligkeit der Ereignisse heraushebt. Die so gebildeten primären Institutionen sind nicht nur Stabilisierungsveranstaltungen, sondern vor allem sittliche Wirklichkeiten.

Aus anthropologischen Gründen fehlen dem Menschen Institutionen nie; ohne sie bliebe er entscheidungslos, unmittelbar unbestimmt und unwirklich und wäre auch als biologisches Wesen unmöglich. Institution bedeutet solcherart ständige und objektive Thematisierung, Versachlichung und Befreiung.

Familie und Staat als die beiden großen sittlichen Einheiten, die beiden Institutionen schlechthin, geraten durch Alternativen unter Druck, die sich durch Individualismus sowie Privatisierung der Freiheit und Interessen auszeichnen. Dem Staat droht durch Institutionennivellierung und Kosmopolitismus oder besser, Globalisierung, Gefahr, Ehe und Familie durch die so genannte sexuelle Revolution und alternative Lebensgemeinschaftsformen.

Institutionenverfall resultiert in Primitivisierung von Gedanken und Handlungsformen, weil die großen Institutionen gespeicherte Erfahrungen sind. Institutionenverfall bedeutet Desorientierung und Destabilisierung. Instabilen Gemeinwesen geht ihre Widerstandskraft verloren, und die Rahmen für Institutionen wie Nation, Krieg und Frieden werden unscharf.

Die Entpolitisierung zeigt sich darin, dass Politisches nur insoweit wahrgenommen wird, als es in Erlebnisbegriffe des Alltags und des Berufs übersetzbar ist. Die moralisierende Präsentation ist schuld daran, dass die heutige Allgegenwart der Politik auf eine Entpolitisierung von innen hinausläuft. Als Wege aus der Entpolitisierung bieten sich nur Bildung, Askese und Erkenntnis an, weil Institutionen nicht nur nicht direkt herstellbar sondern auch nicht restaurierbar sind. ►


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Entpolitisierung, Institutionenverfall

Überlegungen zur grundsätzlichen Bedrohung der inneren und äußeren Sicherheit

Institutionen sind Vermittlungsinstanzen. Sie bringen Ordnung in das System, das jeder einzelne Mensch ist, sie machen den Einzelnen sich selbst und anderen bekannt, sie machen ihn zugleich allgemein. Sie bringen den Einzelnen in Übereinstimmung mit sich selbst, sie bringen die Einzelnen in - distanzierte - Einheit miteinander. Nur von ihnen her gibt es Personen, Persönlichkeiten, Kultur, nur von ihnen her gibt es Welt- und Selbstverständnis.

Institutionen sind so immer. Die Frage nach ihrem Ursprung, in dem direkten Sinne, dass ein institutionenfreier Zustand gesucht würde, auf dem als Basis das Leben in und das Leben der Institutionen beruhte, von welcher dieses fundiert würde, taugt daher nichts. Institutionen haben ihre logischen, ethischen und religiösen Voraussetzungen, bestimmte Institutionen enthalten ihre natürlichen und geschichtlichen Bedingungen; niemals aber kann die Institution "Institution" aus solchen gegenständlich abgeleitet werden.

Dass Institutionen immer ein Sein zukommt, hindert nicht, dass sie ebenso sehr ein Sollen sind. Gerade wenn Welt-, Selbstverständnis, Persönlichkeit usf., wenn all dies seine Voraussetzungen in institutioneller Wirklichkeit hat, wird es wichtig sein, wie viel Geist in diese Institutionen investiert ist. Hier kennen wir geschichtlich und gegenwärtig gigantische Unterschiede im Anspruchsniveau.

Der eine erfährt z.B. das Leben in der Familie nicht, weil er etwa im Alter von zwei Monaten in einen Hort abgeschoben wird. Da wird er sich vermutlich stärker distanzlos, weniger individuell auffassen. Seine unmittelbare Anspruchslosigkeit wird wachsen müssen; sie drückt sich dann gesellschaftlich etwas später in gedanklich bescheidenen und sittlich katastrophalen Auskünften wie jener aus, Familie wäre schon dort, wo Kinder sind. Ein wenig mehr Theorie könnte doch in unser Leben und dessen Auffassung hineingegeben werden, diese muss nicht auf Antworten im Wahlkampfstil verkürzt werden.

Ein anderer erfährt z.B. nationales, staatliches, öffentlich politisches Leben nicht, weil sogar jene, die doch Repräsentanten des Staates, dessen Bürger er ist, sein sollten, jegliche ernsthafte Thematisierung von Eigenstaatlichkeit hinter pausenlos vorgeschobenen ökonomischen, ökologischen und ganz allgemein internationalen, globalen Interessen und Zwängen verstecken. Da wird er dann auf seine Privatheit zurückgeworfen, kommt aus ihr schon kaum mehr heraus.

Das sind wirklich unerfreuliche und gegenwärtige Dinge. Dagegen und gegen manches andere setzen wir dieses: Institutionen müssen als Formen konkreter Allgemeinheit gefasst werden, als Formen, in denen der Einzelne als Einzelner in gemeinsamen, ja sogar unbedingten Interessen mit anderen Einzelnen und von diesen Interessen her tätig sein und leben kann, diesen Interessen sich unterstellend. Wo hingegen der Mensch sich im Bereich des Praktischen nicht mehr als konkret allgemein fasst, da haben wir das Auseinanderfallen in das abstrakt Einzelne: Wohlstandsprivatismus, Entpolitisierung einerseits und das abstrakt Allgemeine: Globalisierung, der so genannte Weltstaat andererseits.

Die Institutionen sind das den Einzelnen und das Allgemeine Vermittelnde. Sie sind das relative, das konkrete, das bestimmte Allgemeine: Recht, Staat, Familie - dies alles nicht irgendwie überhaupt, sondern a) in jeweils konkreter Entfaltung ihrer Momente und b) so, wie diese, die Formen sittlicher Wirklichkeit geschichtlichgedanklich sich entwickelt haben und in den Handlungen und Worten bestimmter Menschen einer bestimmten Zeit reichere oder ärmere Wirklichkeit haben.

Das ist, zusammen mit dem gegenwärtigen Verfall und dessen Folgen, nun näher zu betrachten.

Begriff und Wirklichkeit der Institution

Institutionen als Formen der Überwindung unmittelbarer Affektivität

Wir nehmen zunächst einen anthropologischen Blickpunkt ein: Wir gehen vom Menschen aus, wie er sich noch nicht ethisch auffasst, sondern erst von seiner Natürlichkeit, Unmittelbarkeit sich reinigt. Wir blicken hier von unten hinauf. Dazu vorweg dieses: Im Rahmen der Anthropologie sehen wir den Menschen wie er stufenweise seine unmittelbare Lebendigkeit aufhebt. Wir sehen, wie er sich seine Natürlichkeit, die ihm als solche nicht ent-, sondern widerspricht, abarbeitet. Das setzt voraus, dass er bereits als natürliches Wesen nicht natürliches Wesen ist, was besonders beim Vergleich mit dem Tier immer gut herauskommt: Unspezialisiertheit, Nichtangepasstheit, Nichteingepasstheit; allenthalben sehen wir, dass der Mensch schon als Lebewesen Negatives, Unbestimmtes, Allgemeines ist.

In dieser anfänglichen Allgemeinheit, in dieser Unbestimmtheit liegt bereits die Notwendigkeit der Geschichte, zunächst einmal die der Bestimmung, der Feststellung. Das ist grundsätzlich gesehen bei Arnold Gehlen, einem der hervorragenden Anthropologen und Institutionentheoretiker (Fußnote 1/FN1) des 20. Jahrhunderts. Er kommt in Zusammenhang mit Überlegungen zu "urzeitlicher" und in Wirklichkeit immer gegenwärtiger - wenngleich, wie zu hoffen ist, meist doch aufgehoben gegenwärtiger - Wirklichkeit von Affektspannungen, zur Beschreibung anfänglicher Entscheidung, einer wichtigen Kategorie aller Praxis: "Das nun, was wir Entscheidung nannten, besteht zunächst immer in irgendeinem Verhalten, das diese Tatsachen auf Dauer stellt, sie also aus der Zufälligkeit der Ereignisse heraushebt: in unserem Beispiel in der abbildenden Darstellung. (Anm.: Gehlen hatte beschrieben, wie die "Urmenschen" die prägnanten Situationen ihres Lebens, die Begegnung mit dem Wisent, dem Höhlenbären, in den Höhlenmalereien vergegenständlichen, vor sich hinstellen, zusammen mit ihrer Angst, die ganze Situation der Todesgefahr, zu der sie so - distanziert - Ja sagen, Ja sagen lernen.) Dieses Verhalten ist ganz spezifisch menschlich: ebenso natürlich und wesenseigen als künstlich, nämlich Produkt einer Anstrengung, die auch nachlassen kann, so dass die unmittelbare Affektivität wieder einspringt. Alles moralische Verhalten ist bekanntlich in diesem Sinne prekär. Von diesen artifiziellen Gestaltungen, welche die Dauer einer Entscheidung zu einem Thema der Wirklichkeit (Anm.: Auseinandersetzung mit der Natur, Jagd, Arbeit, Ehe, Autorität usf.) darstellen, haben wir nur das Abbild eines affektiv hoch besetzten Objektes (des zu jagenden, den Jäger unmittelbar bedrohenden Tieres) untersucht. Sie können auch, wie oben der darstellende Tanz, unmittelbar in vivo, im menschlichen Material durchgesetzt werden und bilden dann die primären Institutionen. So ist die Ehe, gerade bei den Primitiven voll eigensinniger und komplizierter Durchordnungen, die Entscheidung zu sehr komplexen, affektiv stark ausgezeichneten und in sich konfliktsreichen Realitäten auf Dauer." (FN2) Institutionen sind zwar nicht nur Feststellungs-, Stabilisierungsveranstaltungen, sondern vor allem sittliche Wirklichkeiten. Diesen allerdings fehlt das wichtige Moment der "Stabilisierung" nie. Und dem Menschen fehlen aus anthropologischen Gründen die Institutionen nie; sonst bliebe er entscheidungslos, unmittelbar, unbestimmt, unwirklich. Deswegen noch einige genauere Worte zum Zitierten: Ohne "Entscheidung" keine Handlung; entscheiden kann nur ein Wesen, über das nicht von vornherein entschieden ist, das somit unbestimmt, allgemein ist. Ferner enthält jede Entscheidung Erkenntnis, zumindest in der Form des "Festhaltens", Vergegenständlichens von Inhalten, Themen. Hier beginnt praktische Objektivität, Dauerhaftigkeit von Handlungsfolgen und Lebensformen. Wichtig ist dabei noch die Kategorie der "Darstellung": alle institutionelle Wirklichkeit ist Darstellung, in ihr stellt sich dar, was für die Menschen das Verhältnis zwischen Mann und Frau, das Verhältnis des Menschen zur Natur (Systeme der Arbeit, des Bedürfnisses), geschichtlich gegenwärtige politische Gemeinschaft ist. Dass die unmittelbare Affektivität so untermenschlich wie für den Menschen tödlich ist, ist heute so wahr wie in illis temporibus. Dass sie wieder einspringt, dass so Institutionen verfallen, bereitet schon größere Schwierigkeiten.

Von "moralischem" Verhalten würden wir allerdings hinsichtlich des Hinausgegangenseins über unmittelbare Affektivität in den Institutionen lieber noch nicht sprechen wollen. Dies, dass der Mensch nur existiert auf Grund einer Fülle von Antworten, die er auf seine Not, auf die Natur und auf den anderen Menschen gegeben hat, ist sein sittliches Sein. Das ist alles gewohnheitsmäßig da; wir bemerken es nicht mehr eigens.

Wichtig bleibt: Nichtinstitutionell wäre der Mensch auch als ein biologisches Wesen unmöglich. Das ist korrekt und weiter in Gedanken zu behalten. Institution bedeutet ständige und objektive, vergegenständlichte Thematisierung, Versachlichung, Befreiung.

Institutionen als Weisen der Selbst- und Welterkenntnis

1799/1800 schreibt Hegel im Zusammenhang seiner ausgedehnten Studien zu Verfassungsfragen diese Worte: "Der immer sich vergrößernde Widerspruch zwischen dem Unbekannten, das die Menschen bewusstlos suchen, und dem Leben, das ihnen angeboten und erlaubt wird und das sie zu dem ihrigen machten, die Sehnsucht derer nach Leben, welche die Natur zur Idee in sich hervorgearbeitet haben, enthalten das Streben gegenseitiger Annäherung. Das Bedürfnis jener, ein Bewusstsein über das, was sie gefangen hält, und das Unbekannte, das sie verlangen, zu bekommen, trifft mit dem Bedürfnis dieser, ins Leben aus ihrer Idee überzugehen, zusammen." (FN3) Was sich hier immer vergrößert, ist der Widerspruch zwischen dem Einzelnen und dem Allgemeinen, zwischen Leben und Idee. Sie verhalten sich zunächst und wohl immer über weite Strecken als Besondere gegeneinander: hier das bestimmte, endliche, reale Leben, dort die vage "Idee", die phantastische, die utopische Vorstellung eines anderen, wahreren Lebens. Auch dort, wo die "Natur", wo die vage "Idee", wo das Unbewusst-Bewusstlose durchleuchtet und bestimmte Gedanken der Notwendigkeit geschichtlicher Veränderungen erreicht sind, bleiben zunächst zwei Seiten. Dies, dass sich diese beiden Seiten als Besondere gegeneinander verhalten, drückt sich im Gefühl der "Sehnsucht" aus, in Bewusstheits- und Lebensbedürfnis.

Heinz Kimmerle schreibt in Interpretation der zitierten und der auf diese folgenden Worte: "Diese (Anm.: von Hegel in diesem frühen Text gesuchte und angesprochene) Konzeption der Macht (Allgemeinheit) ohne Gewalt (äußerlich auferlegte Besonderungen) bildet den Kern dieser dialektischen politischen Philosophie." (FN4) Diese Auffassung von Macht als konkreter Allgemeinheit, als allgemeine Interessen, die wirklich sind und wirken, in denen und von denen her der Einzelne handelt, weil er sich in ihnen wiederfindet, weil die machthabenden Gedanken solche sind, nach denen er selbst sein Leben führen möchte, was ihm erst im Angesichte derselben bewusst wird, bildet zumal den Kern der Lehre von den Institutionen. Da haben wir schon sehr viel auf einmal, das in den zitierten Worten mitgedacht werden muss. Wir machen nun einige Schritte zurück und setzen zunächst dies ganz allgemein Wichtige her: "Der Mensch findet sich nicht in sich, sondern im Umgang mit der ihm fremden Wirklichkeit. Der Mensch erkennt sich nicht dadurch, dass er in einer so genannten luxurierenden Reflexion über sich nachdenkt. Was sollte er da wohl finden? Jeder Narzissmus wird langweilig. Der Mensch bewegt sich dadurch auf sich zu, dass er sich zu den harten, fremden Dingen wendet - und zum anderen Menschen." (FN5) Der Mensch ist immer sich auf sich beziehend. Einen Menschen, der sich schlechthin nicht weiß, gibt es nicht und kann es nicht geben. Ebenso wenig nun gibt es und kann es geben so etwas wie unmittelbare Selbstbeziehung, unmittelbare Selbsterkenntnis, ja auch unmittelbares Selbstbewusstsein. Das Ich, das der Mensch ist, ist nichts aus sich selbst heraus Verständliches. Er gewinnt sich selbst als das, was er an sich ist (auf unterschiedlichen Stufen "bewusstlos sucht"), wirklich über seine und in seiner "Welt", die ihm so wird. Er ist in jeder seiner Erfahrungen Einheit von Ver- und Entgegenständlichung. Immer setze ich etwas aus mir heraus. Und immer nehme ich etwas mir zunächst Fremdem seine Fremdheit. Da gibt es unzählige Um- und Irrwege.

Wir können also nicht umhin, die Welten, in denen wir leben, in unser Selbstverständnis aufzunehmen, ja wir haben dies immer schon getan; unser Selbst- bildete sich an unserem Weltverständnis. Immer interpretieren wir uns von unseren "Gegenständen" her. Das müssen wir wohl schon deswegen, weil wir uns in dieselben ausinterpretiert, ausdefiniert haben. Dies geschah nie auf isolierte, sondern immer gemeinschaftlich vermittelte Weise. Ebenso haben wir uns von unseren "Gegenständen" distanziert. Auch dies geschah immer auf gemeinschaftlich vermittelte Weise. Allerdings enthält diese "gemeinschaftlich vermittelte Weise" Distanzierung sosehr wie Identifikation.(FN6) Wir sprachen von Welten im Plural. Diese stehen nicht nebeneinander. Uns interessiert hier näher die geschichtliche, die sittliche Welt. Im Blick auf sie ergibt sich, wenn wir das eben allgemein Dargelegte anwenden, dieses: Will man wissen und darstellen, was der Mensch als praktisch sich bestimmender, was er als seine Freiheit auslegend ist, so kann man ihn nicht rein in seiner Innerlichkeit betrachten, so kann man nicht von der Welt der geschichtlich immer bereits wirklichen und sich immer verwirklichenden Freiheit absehen, deren Moment er ist (FN7). Diese Welt ist die sittliche Welt. Sie ist die Welt der Gemeinschaft, die Welt von Familie, Gesellschaft und Staat, wie sie sich in festen Worten und Institutionen, die alle gegenständliche Begriffe sind, ausbilden. In diese Worte und Institutionen, in denen und von denen her alles Handeln qua freies Sich-Bestimmen ist, ist weit mehr an Geist investiert als in die gleichwohl auch geistigen "steinernen Begriffe" (FN8), als welche Gehlen sehr richtig "schon die paläolithischen Werkzeuge" (FN9) erkennt. Eben deswegen sind für Welt- und Selbsterkenntnis des Menschen seine Institutionen von größerer Wichtigkeit als seine Maschinen.

Blicken wir, bevor nun die Institutionen als das, was sie sich selbst sind, sittliche Wirklichkeiten nämlich, thematisiert werden, nochmals kurz zurück: Der Mensch ist unmittelbar nicht als das wirklich, was er seinem Begriff nach ist. Unmittelbar tritt er als natürlich, affektiv bestimmt, unbewusstbewusstlos auf. Damit ist er zugleich Suchen, da diese Natürlichkeit widersprüchlich ist; er ist der absolute Trieb, sich dieselbe abzuarbeiten. So befreit er sich in seinem Bestimmt-Werden von demselben, indem er Ja zu ihm sagt, es objektiviert, es als Gegenstand, Bild usf. vor sich aufstellt, es als Institution fasst, der er sich zugleich unterstellt; so wird er frei.

So erreicht der Mensch sich als Denken. Damit sind wir nicht mehr bei dem Menschen, "wie er sich noch nicht ethisch auffasst", sondern er weiß sich nun als das Denken, als das Freie. Dies Wissen ist aber nur konkretes, und d.h. wirkliches, wenn er das, was er ist, verwirklicht, in die Objektivität einbildet, sich so entgegenkommen lässt. Damit sind wir nun Sensu stricto im Feld der Ethik.

Was löst, wie partiell auch immer, den Widerspruch, von dem hier anfangs die Rede war, den Widerspruch zwischen Idee und Leben? Gemeinschaften, in denen wir stehen, deren Inhalte und Gestalten dem Maß der Freiheit, die wir als unsere erkannt haben, entsprechen.

Institutionen als sittliche Wirklichkeiten

Bisher wurde von den Institutionen einleitend, hinführend gehandelt. Jetzt sind wir dort, wo ihr eigentlicher systematischer Ort ist, in der Ethik. Was ist die Ethik? Sie ist die Lehre von der Freiheit, der Begriff der letzteren macht ihren Anfangspunkt.

Was ist Freiheit? Freiheit (FN10) ist zunächst Abstraktion, und zwar vollständige, "absolute Abstraktion" von allen Meinungen, Interessen, Trieben u. dgl. Die absolute Abstraktion von allem Bestimmten, von allem Inhalt, von aller Beschränkung, das reine Denken seiner selbst, dies ist notwendig. Nur wer gedacht hat, ist frei. Wer frei sein und damit überhaupt erst handeln können soll, der darf nicht an dies oder jenes gebunden sein. Es ist hier das einzusehen, dass nur ein Wesen, das sich gegen sich selbst als ein natürliches kehren kann, das abstrahieren kann, wollen kann (FN11). Der Wille ist immer schon Abstraktion vom Wunsch, von der Neigung, gehemmter(FN12) Wunsch, gehemmte Neigung.(FN13) Weiter allerdings fällt Freiheit nicht mit absoluter Abstraktion zusammen. Diese ist nur die so genannte negative Freiheit. Freiheit bzw. der Wille (dieser ist die Freiheit als Subjekt) ist der Trieb, sich Dasein zu geben.(FN14) Sie ist nicht Stehenbleiben bei der Unbestimmtheit, sondern Selbstbestimmung. Denn so genannte negative Freiheit für sich ist widersprüchlich. Ihr steht erstens die Objektivität einer Welt gegenüber, einer Welt, in der tätige Verwirklichung der Freiheit stattfindet. Ihr steht ebenso - um Denken und Sein einmal so apart nebeneinander zu stellen - die Objektivität des Denkens, bestimmte Inhalte, von denen so eben nur abstrahiert wird, gegenüber. An dieser wie jener Objektivität hat der sich nur subjektiv, negativ frei bestimmen Wollende seine Grenze, sie steht ihm gegenüber, er ist somit endlich, beschränkt, bestimmt und daher nicht frei. Gerade indem die Freiheit sich rein zu bewahren versucht, nicht an das tätige Verwirklichen ihrer selbst geht, verliert sie sich. Sie wird zu bloß Bestimmtem.

Unbestimmtheit ist auch nur eine Bestimmtheit. Darüber geht Freiheit als Selbstbestimmung hinaus. Da ist nun entscheidend, dass im Schritt zu bestimmtem Inhalt die Freiheit nicht wieder verloren geht. Der Mensch ist und handelt nur dort frei, wo er weder bei der Abstraktion von allem Inhalt stehen bleibt noch auch den Inhalt seines Handelns sich als dann so zu nennendes Bedürfniswesen einfach geben lässt, von seinen Trieben, Meinungen u. dgl.(FN15) Er handelt nur dort frei, wo er den Inhalt seines Handelns in sich als dem Freien findet.

Die Entwicklung der Inhalte des Handelns nun, die in der Freiheit selbst liegen, trägt die Ethik systematisch vor. Hier sind die weiteren Schritte, die beweisend zu den Institutionen als den Wirklichkeiten der Freiheit führen, nur gerafft vorzuführen: Wenn wir die beiden Momente, dass die freie Selbstbestimmung eine allgemeine (da aus der absoluten Abstraktion kommend und diese nie einfach verlieren dürfend) und objektivierende (da zur Bestimmtheit übergehend) ist, zusammennehmen, so ergibt sich zunächst und höchst einfach dieses: Der Mensch handelt objektiv, rechtlich. Er handelt so, wie das Handeln ein allgemeines ist, also nicht aus ihm in seinen Idiosynkrasien fließt, sondern für alle gilt, sich aus dem Begriff der Freiheit ergibt; in diesem liegt unmittelbar ihr unmittelbarstes Dasein. Dieses ist das Eigentum. Um frei zu sein, muss der Mensch Eigentümer sein.(FN16) Dem Eigentum als erster Objektivität der Freiheit entspricht das unmittelbar rechtliche Handeln, das Achten des Eigentums. Dieses vermittelt sich, wird weiter sprachlich usf. im Vertrag. Dieser ist weiteres Dasein der Freiheit. Diesem muss entsprochen werden, er darf somit nicht gebrochen werden. Die Sphäre des abstrakten Rechts, die Legalität, ist die erste große Stufe der wirklichen Freiheit.

Über diese Sphäre hinaus- bzw. in sie hineingehend ist die Freiheit moralisch, also in subjektiver Reflexion auf die ernsthaft als gut zu bezeichnenden Grundsätze wirklich. Der Mensch lernt, wesentlich in der Erfahrung des Unrechts, also angesichts dessen, dass Legales sich nicht einfach durchsetzt, sondern abhängig ist vom handelnden Einzelnen und dessen Inneren, dessen Gesinnung, Vorsätzen, Absichten, Auffassung vom Guten, dass das abstrakte Recht nicht absolut ist, seine Freiheit nicht ausfüllt. Damit wird diese zunächst einmal ein Subjektives, Innerliches. Frei ist der Mensch, wenn er sich seinem Gewissen, seinem Wissen vom Guten gemäß bestimmt und allgemein macht.(FN17) Von objektiver Wirklichkeit und Gemeinschaft als Gestalten der Freiheit ist hier zunächst nicht die Rede. Die Sphäre der Moralität ist die zweite große Stufe der Freiheit.

Schließlich ist dieser subjektiven Stufe die dritte Sphäre vorausgesetzt, die objektive Gestalt, die Freiheit in einer bestimmten Gemeinschaft immer schon gewonnen hat. In ihr ist Freiheit als Sittlichkeit wirklich. Der für unser Thema, der für alle Einsicht in die Notwendigkeit der Institutionen eminent wichtige Schritt von der zweiten zur dritten Stufe ist dieser: Der Mensch kann nur gut handeln, wo er als Einheit von Mensch und Menschheit handelt, also nicht nur als ein Besonderes, und wo er sich von dieser Einheit her bestimmt. Dies sagt schon der moralische Standpunkt. Nun ist aber die Freiheit Sich-Übersetzen in die Wirklichkeit, subjektivobjektiv.(FN18) Also darf - und eben dazu kommt die Stufe der Moralität nicht - die Einheit Mensch-Menschheit nicht eine nur gedachte, sondern sie muss ebenso eine wirkliche sein. Wirklich aber ist sie als Gemeinschaft. In jeder Gemeinschaft haben wir die Einheit Mensch-Menschheit, dies, dass der Mensch vom Menschen nicht verschieden, sondern mit ihm - versteht sich: distanziert - eins ist.

Es gibt eine objektive sittliche Welt, eine Welt der schon verwirklichten und nicht immer nur erst noch zu verwirklichenden Freiheit. In ihr geht jeder über seine Albernheiten und Privatmeinungen hinaus, gewinnt jeder seine Würde: "Sich von den Institutionen konsumieren zu lassen, gibt einen Weg zur Würde für jedermann frei."(FN19) Subjektive Verwirklichung der Freiheit ist letztlich nur möglich als allgemein wirkliche objektive, indem das Subjekt also als Moment einer Gemeinschaft handelt. Jede seiner sittlichen Handlungen ist dann sowohl (in einem, untrennbar) seine und die der Gemeinschaft, in deren Zeichen er sich bestimmt, in der er steht. Der Inhalt der Handlung, zu dem der Mensch sich bestimmt, muss nicht nur allgemeiner, sondern auch wirklicher sein, er kann nicht nur ein Sollen, muss ebenso ein Sein sein. Sein Sein ist seinem Sollen vorausgesetzt.

Die ethisch wichtigen, die sittlichen Gemeinschaften nun sind die Institutionen, wie sie in Familie, bürgerlicher Gesellschaft und Staat wirklich sind: "(Anm.: Die Individuen erreichen ihr sittliches, wahrhaft freies Sein(FN20) teils) so, dass sie in den Institutionen, als dem an sich seienden Allgemeinen ihrer besonderen Interessen, ihr wesentliches Selbstbewusstsein haben, teils dass sie ihnen ein auf einen allgemeinen Zweck gerichtetes Geschäft und Tätigkeit … gewähren".(FN21) Damit haben wir die Einheit von Einzelnem und Allgemeinem, die Einheit von Leben und Idee, wie sie oben als gesuchte, wie sie weiter als Hegels schon frühe Auffassung von Macht dargestellt war, ausgesprochen. "Diese Institutionen machen die Verfassung, d.i. die entwickelte und verwirklichte Vernünftigkeit, im Besonderen aus und sind darum die feste Basis des Staats sowie des Zutrauens und der Gesinnung der Individuen für denselben und die Grundsäulen der öffentlichen Freiheit, da in ihnen die besondere Freiheit realisiert und vernünftig, damit in ihnen selbst an sich die Vereinigung der Freiheit und Notwendigkeit vorhanden ist."(FN22) Fiktiv gesprochen: Gäbe es die Institutionen nicht, wären die Institutionen im Praktischen dem Einzelnen nicht übergeordnet, so müssten wir sagen: Die Bestimmungen der Freiheit sind je rein individuelle, jeder hat seine eigenen Bestimmungen der Freiheit.(FN23) Dann aber wäre die Freiheit weg, es handelte sich bei solchen Bestimmungen um natürliche Beschaffenheiten eines natürlichen "Individuums". Über eben diese Natürlichkeit kommen wir institutionell hinaus: "Wenn man sagt, der Dienst an den Institutionen sei die Entfremdung, so ist das ganz richtig, aber diese Entfremdung ist die Freiheit, nämlich die Distanz zu sich selbst und zu dem, was sich so zufällig im Kopf und Herzen abgelagert hat, wenn diese lange genug den Meinungsmachern ausgeliefert waren. Man mag verpflichtet sein, Meinungen anderer zu achten, aber selbst welche zu haben ist ein Laster, denn sie sind es, mit denen angebbare Kreise die Auflösung der Institutionen legitimieren, um die Gesellschaft in eine Masse von Particüliers zu verwandeln."(FN24) Mit der Bestimmung der Masse werden wir uns weiter unten beschäftigen. Hier ist wichtig: Entfremdung, Distanzierung von der eigenen Unmittelbarkeit ist wirklich in den sittlichen Gemeinschaften, die Institutionen heißen.(FN25) Diese sind somit nicht bloße Mittel, sondern, wieder in treffenden Wendungen Gehlens, "Selbstwert im Dasein"(FN26), ja "Selbstwert im absoluten Sinne".(FN27) Als die beiden großen sittlichen Einheiten, als die beiden Institutionen schlechthin sind die Familie und der Staat zu fassen. Warum? Weil sie das sind, was wir als sittliche Gemeinschaft entwickelt haben, einmal unmittelbar, einmal vermittelt. Unter Bedenken der Voraussetzung, dass jede sittliche Einheit Einheit von Geist und Natur ist, lässt sich sagen: Die Familie ist die natürliche sittliche Einheit, der Staat die reflektierte, die geistige als solche. In dem ebenfalls unendlichen Bereich der Gesellschaft - des Bedürfnisses, der Arbeit, des Handels, der Wirtschaft usf.- treten unzählige Institutionen auf, reichere und ärmere, umfassendere und eingeschränktere; sie alle aber sind nur von den beiden genannten großen Institutionen her möglich und wirklich.

Wichtig ist hier noch, auch angesichts mancher Missverständnisse und Begriffsverwirrungen in Zusammenhang mit Worten wie "Zivilgesellschaft", "Weltzivilisation" usf., den Unterschied zwischen Gesellschaft und Staat eigens anzuführen: Die bürgerliche Gesellschaft ist "eine Verbindung der Glieder als selbständiger Einzelner in einer somit formellen Allgemeinheit, durch ihre Bedürfnisse und durch die Rechtsverfassung als Mittel der Sicherheit der Personen und des Eigentums und durch eine äußerliche Ordnung für ihre besonderen und gemeinsamen Interessen."(FN28) Der Staat dagegen ist "die Wirklichkeit des substantiellen Allgemeinen und des demselben gewidmeten öffentlichen Lebens".(FN29) Ludwig Siep in Interpretation des Hegel’schen Staatsdenkens richtig: "Der Staat ist mehr als ein Verband zum Schutze der subjektiven Rechte. Er ist ein Raum des öffentlichen Lebens, in dem der Einzelne in der Tätigkeit für das Gemeinwohl seine Beschränkung aufs Private überschreiten und sich durch die Mitgliedschaft in einer zeitüberdauernden Institution verewigen kann."(FN30) Unterschiedliche Anspruchsniveaus von Institutionen

Wir sagten, dass Institutionen immer sind. Was allerdings wichtig ist, ist ihr Niveau, ihre anspruchsvolle oder eben weniger anspruchsvolle Gestaltung. Da gibt es allerlei. Vor allem gibt es in puncto Institutionen gegenwärtig einen Zug ins Anspruchslose, eine neue (inzwischen allerdings auch schon ein wenig ältlich wirkende) Bescheidenheit in Sachen Denken und Freiheit. Da ist es denn notwendig, die Bestimmungen der Familie bzw. zunächst der Ehe sowie des Staates zu entfernen zu versuchen, weil in diesen große geistige Kraft, Forderung anspruchsvoller Lebensführung liegt. Die Namen werden vorderhand noch beibehalten, mitunter - zum Teil aus Täuschungsabsicht - angebracht.

Man kreiert also fleißig Alternativen zu Familie und Staat.

Der Staat ist jedenfalls dadurch zu charakterisieren, dass in ihm die Individuen sich selbst in ihrer Unmittelbarkeit zurückstellen, dass sie allgemein werden, im Sinne dessen handeln, was der Einheit, die praktisch größer ist als sie, entspricht. Wo das Individuum für sich, in seiner Unmittelbarkeit und Einzelnheit, als Zweck angesehen wird - in der so genannten Selbstverwirklichung also, dem Hedonismus -, da muss gegen den Staat angegangen werden. Er kann dann nur als notwendiges Übel auftreten, zu welchem er durch diese Ansicht wird. Es ist weiter ausschließlich eine Frage der Technik, ob er als das Gefängnis Jeremy Bentham’s oder als "Laissez faire"-Raum John Stuart Mill’s auftritt.(FN31) Solche Unterschiede beginnen unwesentlich zu werden.

Wesentlich dagegen ist der, wenngleich so vielfach geleugnete, doch natürlich wirkliche und notwendige Zusammenhang zwischen Individualismus, Primitivisierung und Kosmopolitismus. Individualismus und Kosmopolitismus gehören immer zusammen, schon antik und so auch heute, als Extreme, denen die Mitte fehlt: Sie bringen einen moralischen und nur moralischen Freiheitsbegriff zum Ausdruck. Der Individualismus, die Privatisierung der Freiheit und der Interessen, beruht immer auf zusammengebrochener gemeinschaftlicher, staatlicher Freiheitsauffassung und -erfahrung. Rückt der Einzelne ins Zentrum seiner Freiheitserfahrung, so zugleich seine Gleichheit mit allen anderen Einzelnen, die ja nicht mehr als Momente dieses oder jenes Staates, dieser oder jener geschichtlich bestimmten, konkreten Freiheitsauffassung wesentlich voneinander unterschieden sind. Institutionennivellierung und Kosmopolitismus bzw. moderner: Globalisierung sind untrennbar.

"Für uns ist heute(FN32) der Staat im magnetischen Sinne, derselbe, dem Friedrich der Große in seinem Testament von 1752 Majestät zusprach, eine Erinnerung, die schnell verblasst. Von der dort herrschenden Moral, die eigenen Rechtes ist, sind wir daher ausgeschlossen. Der Reststaat und die gruppenegoistisch organisierte, am Ethos des Massenlebenswertes interessierte Gesellschaft durchdringen sich zu einem noch namenlosen Gebilde."(FN33) Mit staatlicher, mit nationaler Selbstauffassung also ist es inzwischen eine schwierige Sache. Man ist lieber abstrakter.

Auch zur Ehe bzw. Familie scheint es Alternativen zu geben. Hierher gehört die so genannte sexuelle Revolution; sie ist bekanntlich die Befreiung des Menschen dazu, Naturwesen zu sein. Die entsprechende Unfreiheit wird denn praktiziert. Distanz- und Gedankenlosigkeit prägen sich als Konkubinat, sei es, dass sich dieses als Monogamie oder Polygamie, die letztere wiederum als sukzessive oder simultane, ausdrückt, und in sonstigen Lebensgemeinschafts- und Orchideenformen aus. Man hat es hier mit Naturformen zu tun, die sich ihre Güte, ihre Begründungsunbedürftigkeit, kurz: ihr Geistdefizit denn auch selbst attestieren.

Wir wollen unterschiedliches Anspruchsniveau kurz in Bezug auf die Institutionen Ehe und Konkubinat betrachten: Die Ehe bzw. dann Familie ist nicht natürliche, sondern sittliche Einheit. In ihr geht der Einzelne über die ihm als Mensch widersprechende Natürlichkeit hinaus, macht diese der Freiheit gemäß. Die Ehe bzw. dann Familie ist weiter die unmittelbare sittliche Einheit, die Form, in der sich praktisches Geistiges am weitestgehenden natürlich darstellt. Daher - und nur daher - stellt sich hier der sittliche Unterschied auch als natürlicher dar.

Jede sittliche Form ist eine Einheit von Geist und Natur, dies aber vom Geist her, geistige Einheit, sich verunmittelbarende und somit ihren Gegensatz zum Natürlichen aufhebende geistige Einheit. Der Unterschied zwischen Mann und Frau ist daher zunächst ein sittlicher Unterschied. Daher - und nur daher - ist er mittelbar ein natürlicher Unterschied. Wer umgekehrt meint, ist Biologist, macht den Menschen zu einem, wie wir oben sagten, natürlichen "Individuum".

"Das Sittliche der Ehe besteht in dem Bewußtsein dieser Einheit(FN34) als des substantiellen Zweckes(FN35), hiermit in der Liebe, dem Zutrauen und der Gemeinsamkeit der ganzen individuellen Existenz."(FN36) Wichtig ist nun, damit dies, dass die Ehe sittliche Gemeinschaft ist, auch wirklich ist, das Versprechen, das den Anfang macht: "(Anm.: Die Ehe ist) nur durch das Vorangehen dieser Zeremonie als der Vollbringung des Substantiellen durch das Zeichen, die Sprache, als das geistigste Dasein des Geistigen … als sittlich konstituiert. Damit ist das Sinnliche, der natürlichen Lebendigkeit angehörige Moment in sein sittliches Verhältnis als eine Folge und Akzidentalität gesetzt."(FN37) Genau so ist Sittlichkeit wirklich; verändert sich hier etwas, so immer in Richtung Sprachfeindschaft, Geistesfeindschaft, in Richtung also zu naturalistischer Interpretation des Verhältnisses zwischen Mann und Frau.

Beim Konkubinat kommt es "hauptsächlich auf die Befriedigung des Naturtriebes"(FN38) an. Nicht, dass das - unter welchem aktuell gewählten Namen auch immer gerade wieder auftretende - Konkubinat keine Institution wäre, aber eine doch sehr abgereicherte, unter das Niveau des Menschen gehende.

Persönlichkeit und Institution

Wenn die Institution Institution ist und nicht "...zu jenen Spezialisierungsveranstaltungsmaschinerien herabgesunken ist, die den Menschen gerade aus seiner Unspezialisiertheit heraustreiben, also aus dem, was er bisher selbst war..."(FN39), so findet sich der Mensch in ihr. Er geht nicht in ihr unter, gibt in ihr nur seine Unmittelbarkeit auf, nicht seine Persönlichkeit, die er solcherart gerade gewinnt, wie anfänglich auch immer. Dazu muss er selbst Institution werden, im Sinne von: derselben auch als Einzelner entsprechen.

Nur beispielhaft, man kann im Hinblick auf La Rochefoucauld, La Bruyère, Joubert, auch Locke, von Knigge usf. an viele andere Autoren und Bildungstraditionen und Regelbücher denken, setzen wir dieses, einmal in Hinsicht auf die Gesellschaft und deren Sitten, her: "Der honnête homme, an Vorstellungen von Castiglione und Gracián orientiert und "unbedingt Gesellschaftsmensch" (E. W. Eschmann), ist das institutionell geforderte "Zuchtwesen" par excellence - um den Ausdruck Arnold Gehlens hier zu verwenden. Die Verschiebbarkeit seiner Affekte und der Zwang, diese unter Hemmung zu halten, werden bedingt durch die Fähigkeit des Handelns auf lange Sicht: Im honnête homme ist wie in einem Brennpunkt die Mischung von Affektdämpfung, Voraussicht und höherer Sitte vereinigt. Gleichzeitig ist damit ein Zustand höherer Rationalität erreicht."(FN40) Damit gewinnt der Einzelne eine Weite und Tiefe, die er von sich als abstrakt Einzelnem her niemals erreichen könnte; damit ergeben sich auch weitere Möglichkeiten. Einstellungen, Gedanken, Handlungen können nun anspruchsvoller werden, wir beruhigen uns nicht mehr bei Einfällen, wir wissen nun, dass wir darin unter unsere erreichte Allgemeinheit gingen.

Einerseits wird der Einzelne also durch sein Leben in Institutionen Persönlichkeit und ist dies. Andererseits schlummert in der Selbstverallgemeinerung, die darin liegt, die Möglichkeit höherer Allgemeinheit und individuellerer Persönlichkeit. Das Individuelle, das nicht durch die Institutionen gegangen ist, ist das Unreife. Die Apologie der Institutionen aber bedeutet nicht die Forderung unmittelbarer Fortsetzung: "Der wesentliche Inhalt der Kulturen (hat) in der Antwort auf die vorhergegangenen bestanden."(FN41) So ist es immer noch und immer. Unmittelbare Fortsetzung und unvermittelter Abbruch sind tödlich. Heute ist der Letztere die Gefahr. Persönlichkeit und Institutionen entwickeln sich, leben und verfallen miteinander. Heute wohl wesentlich das Letztere.

Institutionenverfall

Die Option für das Flachere: Traditionsabbruch

Abbau, gar Abbruch von Traditionen und Institutionen überlastet, bringt Instabilität mit sich und natürlich Infantilität. Denn in den gewachsenen Traditionen und Institutionen ist unendliche Erfahrung gespeichert, in der wir leben, in der "Welt" uns bekannt sein könnte. Traditionsabbruch bedeutet so Ersatz von Erfahrung - theoretischer und sittlicher - durch Meinungen. Was gibt es Schwankenderes als Meinungen?

Das Heraustreten bzw. -getretenwerden aus Institutionen bedeutet so mit Notwendigkeit Primitivisierung, Vereinfachung von Gedanken und Handlungsformen ins Flache.(FN42) Man sieht hoffentlich, dass diese Feststellung nichts damit zu tun hat, dass wir sentimental zurückblicken oder dies oder jenes schätzen oder aber polemisieren möchten; der Grund des Ausgesprochenen liegt vielmehr ganz einfach darin, dass die großen Institutionen gespeicherte Erfahrungen, gespeicherter Geist sind, nicht Dinge, die sich so im Augenblick machen. Man muss lange Erfahrung haben, um anspruchsvolleren Lebens-, Gedanken- und Handlungsformen entsprechen zu können; in den Institutionen leben wir als in dieser langen Erfahrung.

Das Wort "Dekadenz" legte sich angesichts des gegenwärtigen Traditionsabbruchs nahe, wenn es nicht noch etwas zu harmlos klingen würde, Dekadenz als so etwas wie der "innere und äußere Kontaktverlust mit der Geschichte …, wobei sich biologische Kategorien, meist incognito, im Bewusstsein durchsetzen".(FN43) Dekadenz kann natürlich auch angezielt, geplant, gefördert werden; wir erleben es ja.

Privates, nicht Politisches

Der Pythagoräer Xenophilos (auch anderen wird dies zugeschrieben, u.a. Sokrates) antwortet auf die Frage eines Vaters, wie er seinen Sohn am besten erziehen könne: "Wenn du ihn zum Bürger eines wohleingerichteten Staates machst."(FN44) Heute findet sich die private Subjektivität, das Zusich-Stehen und vor allem das öffentliche Bekunden desselben, in all den in Wirklichkeit nicht mehr diskutablen Spielarten in einer Weise ernst genommen, die anderen Zeiten als unbegreiflich erscheinen müsste. Ersteres wie Letzteres hat seinen Grund. Das Letztere in dem Wissen, in der Empfindung jedenfalls, dass unmittelbare Privatheit nichts ist, dass wir uns umformen müssen, um jemand - und gar eine Persönlichkeit! - zu sein, das Erstere in der Zerschlagung der alten Institutionen, deren unmittelbarer Abbau keine Zeit für das erforderliche Umschaffen ließ und nun moralisierend "stabilisiert", "gerechtfertigt" wird.

Der Mensch kann sich alles einreden, vor allem, wenn es ihm lange genug eingeredet wurde. So auch das bisher wohl für jede Zeit Indiskutable, der Hedonismus bilde das Mark seiner Bestimmung.

Oberflächliche Institutionen, oberflächliche Individuen

"An der Aufgabe, Persönlichkeit zu sein, kann man sich verheben."(FN45) Vor allem verhebt man sich an ihr, wenn man sie direkt, umstands- und umwegslos anzielt, im Sinne des naiven Losgehens auf Ziele, um sie denn entsprechend abstrakt, entsprechend oberflächlich zu fassen. Die Umwege aber, über die wir uns unserer Unmittelbarkeit entäußern, sind ganz wesentlich eben die Institutionen. Deswegen ist dies ein Problem: "Man vermisst die Zwischeninstanzen, offenbar ist bei uns die Persönlichkeit schon plausibler als die Nation."(FN46) In der Tat. Wie aber sollen dann Persönlichkeiten möglich sein? Wir nähern uns da wie dort der Unmittelbarkeit, der Oberflächlichkeit. Oberflächlichkeit da ist hier immer Oberflächlichkeit dort.

Wir zitierten ein Liebrucks-Wort über das Herabsinken der Institutionen. Wir nehmen noch diese hinzu: "Die Häuser der Institutionen sind in den Trümmern des Zweiten Weltkrieges ausgebrannt."(FN47) Und: "Institutionen in diesem Sinne gibt es nicht mehr. Deshalb steht der Mensch von heute vor der sehr viel schwierigeren Aufgabe, allein mit seinen Trieben fertig zu werden. … Heute muss der Mensch selbst Institution werden."(FN48) Das Problem ist in erster Linie eines des heutigen Subjektivismus, der Institutionen als rein Gemachtes, Erfundenes und daher als nicht ebensosehr Empfangenes, Gefundenes, Objektives zu denken vermag. Bloß Hergestelltes aber ist keine Institution. Wie sollte ich mich meinen Herstellungen unterstellen können? Es muss sich doch um solches handeln, welches ich als meine diese enthaltende Antwort auf Inhalte, Themen, die über mich in meiner Unmittelbarkeit hinausgehen, erfahren kann.(FN49) "Der Mensch wird durch Institutionen dann gerettet, wenn sie nicht intendiert wurden, wenn sie auf keiner Handlung beruhten, sondern als die herrlichen Werke seiner Sprachlichkeit vor ihm stehen. Institutionen schafft der Mensch nur angesichts einer Welt, die selbst spricht, die als göttliche Sprache entgegenkommt."(FN50) Sowenig direktes Intendieren von Institutionen möglich ist, sowenig ist es ein Zur-Institution-Werden des Menschen selbst, wenn er denn nicht in Institutionen oder weiter auf deren Rücken lebt.

Von dem zuletzt gesetzten Zitat aus ist noch ein weiteres einzusehen: Wir legten oben dar, dass der Mensch sich immer und notwendig über seine und in seiner "Welt" gewinnt, auffasst, erkennt. Von daher ist jetzt der Primitivisierungsschub erkennbar, der in Rückschritten im religiösen Bewusstsein beschlossen sein muss. Kann das als Welt Begegnende als göttliche Sprache erfahren werden - auf welchem Niveau auch immer -, so auch das Erfahrende und die entsprechende Institution, die solche Erfahrung darstellt und "stabilisiert". Dann aber kann sie nicht als gemacht angesehen werden; sie muss über jegliches Dahinturnen im so genannten "Zweckrationalen" hinausreißen. Sieht der Mensch hingegen nur noch Sächelchen, so wird er sich selbst bald als Sache fassen müssen. Die "Lebensformen", die er dann schafft, sind jene "Spezialisierungsveranstaltungsmaschinerien", von denen die Rede war.

Wir sprachen von für die Wirklichkeit von Institutionen vorausgesetzter religiöser Erfahrung. Ein solches Voraussetzungsverhältnis besteht deshalb, weil in Ermangelung religiöser Erfahrung Institutionen als rein Gemachtes und nicht ebenso Empfangenes, aus unbedingten Ansprüchen an uns sich Ergebendes aufgefasst werden müssten. Bloß Gemachtes aber vermag uns gerade nicht über unsere Willkür hinauszuheben.

Wir sprachen weiter von für die Wirklichkeit von Institutionen vorausgesetzter religiöser Erfahrung, "auf welchem Niveau auch immer". Das kann nun nicht bedeuten, dass die diesbezüglichen Niveauunterschiede in Bezug auf von einem bestimmten religiösen Bewusstsein aus mögliche Institutionen gleichgültig wären. Vielmehr ist festzuhalten, dass Institutionen, die nicht fundamental hinter das geschichtlich Erreichte zurückfallen sollen, nur von christlichem Wissen her möglich sind. Wird nicht von der Wirklichkeit und dem Wissen der Menschwerdung Gottes ausgegangen, so ist der Einzelne letztlich unbedeutend, jedenfalls nicht von absolutem Wert. Wird nicht von der Wirklichkeit und dem Wissen des Gottmenschen und weiter Gottes als des Dreieinigen ausgegangen, so ist die in sich unterschiedene Einheit von Personen, wie sie vornehmlich in der Familie, weiter aber auch im Staat vorausgesetzt ist, nicht denkbar, letztlich unmöglich.

Destabilisierung

Desorientierung, Affektlabilität

Wir hatten oben betrachtet, dass und warum, sobald der Mensch in seiner Anstrengung, Mensch zu werden, nachlässt, sobald ihm seine Institutionen verfallen, unmittelbare Affektivität wieder einspringt. Das geht, wie man gegenwärtig sehen kann, ganz schnell. Wir wollen es noch etwas näher betrachten: "Die Verunsicherung greift dann durch, sie erreicht die nervösen Zentren, weil die ungesiebten und drohenden Eindrücke sich als belastender Bestand sammeln, während die freien Vollzüge auflaufen. So entsteht etwas wie eine nach außen verlegte Atemnot. Die affektive Verarbeitung erfolgt als Angst oder Trotz oder Reizbarkeit, auch als freundliche Zerstreutheit, die schlechthin alles hinzunehmen bereit ist, und die Reaktionen werden vergröbert und vulgär, weil sie affektnahe bleiben."(FN51) Wo Institutionen verfallen, haben wir Desorientierung, Affektlabilität. Diese bedeutet natürlich auch staatliche Destabilisierung. Denn: "Worauf es ankommt ist, dass sich das Gesetz der Vernunft und der besonderen Freiheit durchdringe und mein besonderer Zweck identisch mit dem Allgemeinen werde, sonst steht der Staat in der Luft."(FN52) Dort steht er. Aber nicht lange. Denn er ist, wie wir gesehen haben, nicht ein abstrakt Allgemeines. Dieses tritt denn an seine Stelle - ein Vorgang eminenten Institutionenverfalls -, als Gesellschaft, Verstandesstaat, letztlich "Weltstaat". Dazu weiter unten. Hier ist wichtig: "Wenn nämlich zur Idee ihre Verwirklichung gehört(FN53), dann gehören zum Recht nicht nur die prozeduralen (Rechtspflege, Gerichtswesen), sondern auch die ökonomischen und sozialen Bedingungen seiner "stabilen" Wirksamkeit."(FN54) Unter "sozialen Bedingungen" einer institutionenzerfallsbedingten Desorientierung ist Destabilisierung gesetzt. Instabilen Gemeinwesen geht die Einheit auch nur im Sinne der Gemeinschaftlichkeit, geht ihre Widerstandskraft verloren, ja es werden die Rahmen für Institutionen wie Nation, Krieg oder auch Frieden unscharf.

Masse: Ende der Institution, Ende der Persönlichkeit

Unsere Zeit ist, wie sich aus allem Bisherigen, nicht zuletzt aus der geplanten Verunsicherung derer, die aus ihren Institutionen vertrieben wurden, zwanglos ergibt, eine solche des "Masseneudaimonismus"(FN55). Individualismus, Subjektivismus, kurz: Oberflächliche Einzelne einerseits, oberflächliche Institutionen, Gemachtes ohne bedeutenden Verpflichtungsgehalt andererseits ergeben die Masse, utilitarischzweckrational vorzustellendes Gebilde von Meinungs- und Wunschträgern. Sie finden in Politikern, die als Staatsmänner zu bezeichnen wir wohl Abstand nehmen würden, ihre Repräsentanten.

Wir hatten einige Worte Gehlens über den Zusammenhang von Institution, Entfremdung und Meinungsdistanzierung zitiert, die so schließen: "Man mag verpflichtet sein, Meinungen anderer zu achten, aber selbst welche zu haben ist ein Laster, denn sie sind es, mit denen angebbare Kreise die Auflösung der Institutionen legitimieren, um die Gesellschaft in eine Masse von Particüliers zu verwandeln."(FN56) Mit Meinungen ist es so eine Sache. Sie dienen vornehmlich der Eitelkeit, insgesamt dem Subjektivismus. Festhalten kann man sich an ihnen schlecht. Wird man von ihnen überschwemmt, so bleibt - wo wir nicht von starker Persönlichkeit ausgehen - nur die distanzlose Identifikation, die so denn auch hergestellt wird.

Die Einheit von Persönlichkeit und Institution hat ihre oberflächlichen Parallele am Zusammenfallen von subjektivistischem Meinungsträger und Kollektiv qua Masse.

Ideologisierung: Ende von innerer wie äußerer Sicherheit

Entpolitisierung: "Politisches (wird) nur insoweit wahrgenommen …, als es in Erlebnisbegriffe des Alltags und Berufs übersetzbar ist. Eben deshalb wird es von vornherein moralisierend dargeboten, und es ist gar nicht leicht zu durchschauen, dass die heutzutage geübte Allgegenwart der Politik dieser Art auf eine Entpolitisierung von innen her herauskommt."(FN57) Solches Darbieten können wir als Ideologisierung im eminenten Sinne bezeichnen. Moralisierend nun ist kein Staat zu machen, ja keinerlei Institution(FN58), nur der "Weltstaat". Moralisierend haben wir nur Privates und hinaufgesteigertes Privates (Erlebnisbegriffe des Alltags und Berufs) einer-, abstrakt Allgemeines andererseits: Globalisierung. Das Letztere wird gereizt angeboten.

Beispielsweise von Karl Jaspers, einem sehr wichtigen Agenten der Moralisierung. Ihm werden, ganz konsequent, solche Dinge wie Institution, Nation, Geschichte nicht nur gleichgültig, sondern abstrakt zu Negierendes, zugunsten der so genannten "Weltordnung". Diese sieht so aus: "Wo eine Souveränität bleibt, die nicht die der Ordnung der Menschheit im Ganzen ist, da bleibt auch eine Quelle der Unfreiheit."(FN59) Hier sieht man, dass eine solche Ordnung der Menschheit im Ganzen für jeden einzelnen Menschen unmittelbar tödlich ist. Was an ihm bestimmte Freiheit ist - und Freiheit ist nie nur das abstrakt Unbestimmte -, wird hinweggeräumt.

"Weltordnung wäre die Fortsetzung und das Allgemeinwerden innenpolitischer Freiheit.(FN60) Beide sind nur möglich durch Beschränkung der politischen Ordnung auf Daseinsfragen. Auf der Daseinsebene handelt es sich nicht um die Entwicklung, Formung und Erfüllung des Menschseins im Ganzen, sondern um das, was allen Menschen von Natur gemeinsam ist oder sein kann, was über alle Verschiedenheiten der Menschen, über die Abweichung von Glaube und Weltanschauung hinweg verbindet, um das Allgemeinmenschliche."(FN61) Also: der abstrakt eine Mensch, dem seine Natürlichkeit angeboten wird, dem entsprechend die Bestimmtheit der Freiheit und damit die Freiheit selbst abgenommen wird.

Wege aus der Entpolitisierung: "Neue Institutionen bieten sich merkwürdigerweise nicht an. Das liegt daran, dass er (der Mensch) diese Situation nicht in derjenigen Tiefe und Schärfe durchdacht hat, die ihm neues unbekanntes Gelände zeigte."(FN62) Also: Die Wege aus der Entpolitisierung sind die der Bildung, des Allgemein-Machens, aber bestimmten Allgemein-Machens dessen, was unsere Situation ist. Da ist in vielfacher Hinsicht erst einmal Askese erforderlich. In erster Linie haben wir uns des Moralisierens zu entschlagen, zumal es gegenwärtig wohl nichts gibt, welches in dem Ausmaß wie "die Transformation ins Moralisieren als Erkenntnisersatz nützlich"(FN63) wäre. Auch ist vom direkt Wünschbaren und sonstwie Aktuellen zu abstrahieren.

Da Institutionen nicht nur nicht direkt machbar, herstellbar sind, sondern auch nicht direkt restaurierbar(FN64), bleibt nur die Erkenntnis als Heilmittel.

ANMERKUNGEN:

(Fußnote 1/FN1) Vielleicht sollten wir statt "Institutionentheoretiker" besser: "Kulturanthropologe" sagen. Darin läge denn schon das ganze Problem, jenes nämlich, dass diesem hervorragenden Forscher, dem wir viel verdanken, nicht nur seiner Tätigkeit, sondern der Sache nach die Anthropologie im Zentrum des Wissens steht. Es verknüpft sich damit unmittelbar seine wiederholt auftretende Rede von einer "vitalen Basis" des Denkens oder der Sprache (siehe etwa Gehlen, Arnold: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt. Wiesbaden 1997, S.48) sowie dieses, dass er den Menschen von der Handlung aus zu fassen versucht (siehe etwa "Der Mensch", S.32, und Gehlen, Arnold: Urmensch und Spätkultur. Philosophische Ergebnisse und Aussagen. Wiesbaden 1986, S.8).

(FN2) Gehlen, Arnold: "Über die Verstehbarkeit der Magie". In: Studien zur Anthropologie und Soziologie. Neuwied am Rhein/Berlin 1963, S.79-92, S.89.

(FN3) Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Die Verfassung Deutschlands. In: Werke, 20 Bde., auf der Grundlage der Werke v. 1832-1845 neu ed. Ausgabe, Redaktion Moldenhauer, E. u. Michel K. M., Frankfurt/M. 1986, Bd. 1, S.449-610, S.457.

(FN4) Kimmerle, Heinz: Anfänge der Dialektik. In: Jamme, Chr./Schneider, H. (Hrsg.): Der Weg zum System. Materialien zum jungen Hegel. Frankfurt/M. 1990, S.267-288, S.280.

(FN5) Liebrucks, Bruno: Sprache und Bewußtsein. Bd. 1, Frankfurt/M. 1964, S.91.

(FN6) "Denn alle Gesellschaftlichkeit des Menschen bricht sich im Einzelnen, wovon wir bei den Tieren nichts bemerken." (Liebrucks: Sprache und Bewußtsein. Bd. 1, S.77).

(FN7) In diesem Absatz greifen wir, um die themenrelative Relevanz der Argumentationen dieses Kapitels noch deutlicher zu machen, etwas vor. Einwände gegen das hier Festgehaltene und nähere Ableitung desselben folgen.

(FN8) Gehlen: Urmensch und Spätkultur. S.13.

(FN9) Ebenda.

(FN10) Die Beantwortung erfolgt im Anschluss an: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse, §§ 5-7. In: Werke, Bd. 7, S.49-57.

(FN11) Siehe oben zur Entscheidung.

(FN12) Um diese wichtige Hegel‘sche Kategorie aufzunehmen (siehe vor allem die Lehre von der Arbeit als "gehemmter Begierde" in der Phänomenologie des Geistes. In: Hegel: Werke, Bd. 3, S.153).

(FN13) Zu Wunsch und Wille vgl. Liebrucks: Sprache und Bewußtsein. Bd. 1, S.115f.

(FN14) Siehe Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 4, Zusatz. In: Werke, Bd. 7, S.47.

(FN15) Zu dem hier einschlägigen Unterschied zwischen Freiheit und Willkür siehe Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 15. In: Werke, Bd. 7, S.65-68.

(FN16) Eigentum ist bereits der Leib. Sklaverei, Leibeigenschaft widersprechen der rechtlichen Wirklichkeit der Freiheit.

(FN17) Der Denker moralisch zu fassender Freiheit schlechthin ist Kant. Der kategorische Imperativ spricht genau aus, was moralische Freiheitsauffassung regiert, ihre Größe und ihre Grenze; ich setze ihn in seiner so genannten ersten Formulierung her: "Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne." (Kant, Immanuel: Kritik der praktischen Vernunft, B 54).

(FN18) Siehe oben zum Schritt von der absoluten Abstraktion zur Selbstbestimmung.

(FN19) Gehlen, Arnold: Moral und Hypermoral. Eine pluralistische Ethik. Bonn 1969, S.75.

(FN20) Vgl. das Zitat zu Beginn des vorigen Abschnitts.

(FN21) Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 264. In: Werke, Bd. 7, S.411f.

(FN22) Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 265. In: Werke, Bd. 7, S.412.

(FN23) Liebrucks im Kommentar zu § 273 der Hegel’schen Rechtsphilosophie: Wir müssen festhalten, "dass Menschen sich ihre Verfassung nicht als isolierte einzelne geben, sondern nur, soweit der ihnen bis dahin ins Bewusstsein gelangte objektive Geist (Anm.: das Wissen um die Freiheit, das Gute, die substanziellen Zwecke, wie es in einer Gemeinschaft wirklich ist) darin beteiligt ist." (Liebrucks, Bruno: Sprache und Bewußtsein. Bd. 3, Frankfurt/M. 1966, S.636).

(FN24) Gehlen: Moral und Hypermoral. S.75.

(FN25) Dies wird weiter unten in Bezug auf die Ehe konkretisiert.

(FN26) Gehlen: Urmensch und Spätkultur. S.15.

(FN27) Gehlen, a. a. O., S.17.

(FN28) Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 157. In: Werke, Bd. 7, S.306.

(FN29) Ebenda.

(FN30) Siep, Ludwig: "Vernunftrecht und Rechtsgeschichte. Kontext und Konzept der Grundlinien im Blick auf die Vorrede". In: Siep (Hrsg.): G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts. Berlin 1997 (Klassiker Auslegen; Bd. 9), S.1-29, S.25.

(FN31) Das kommt etwa schön heraus, wenn man die Beiträge in dem hilfreichen Band im Zusammenhang liest: Mill, John Stuart/Bentham, Jeremy: Utilitarianism and other Essays. Ryan, A. (Hrsg.), Harmondsworth 1987.

(FN32) So schreibt Gehlen in dem im Jahre 1969 erschienenen Buch.

(FN33) Gehlen: Moral und Hypermoral. S.117.

(FN34) Darin, "eine Person auszumachen." (Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 162. In: Werke, Bd. 7, S.310).

(FN35) Dinge wie Gütertrennung in der Ehe oder auch die so genannte Ehescheidung zeigen sich hier bereits als dem Begriff der Ehe nicht entsprechend.

(FN36) Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 163. In: Werke, Bd. 7, S.313.

(FN37) Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 164. In: Werke, Bd. 7, S.315.

(FN38) Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 163. In: Werke, Bd. 7, S.314.

(FN39) Liebrucks: Sprache und Bewußtsein. Bd. 1, S.105.

(FN40) Lepenies, Wolf: Melancholie und Gesellschaft, mit einer neuen Einleitung: "Das Ende der Utopie und die Wiederkehr der Melancholie". Frankfurt/M. 1998, S.60.

(FN41) Liebrucks: Sprache und Bewußtsein. Bd. 1, S.148.

(FN42) Als Darstellungen "einer alten, längst versunkenen Kulturwelt", als Darstellungen zugleich der unglaublichen Primitivisierung, die dem unmittelbaren Weg heraus aus den Traditionen folgt, können die solcher Kulturwelt angehörigen Werke Joseph Roths gelten. Nur ein Zitat: "Es war keine wirkliche Feindseligkeit gegen die Religion in ihnen, sondern eine Art Hochmut, die Tradition anzuerkennen, in der sie aufgewachsen waren. Zwar wollten sie das Wesentliche ihrer Tradition nicht aufgeben; aber sie - und ich gehörte zu ihnen -, wir rebellierten gegen die Formen der Tradition, denn wir wußten nicht, daß wahre Form mit dem Wesen identisch sei und daß es kindisch war, eines von dem anderen zu trennen." (Roth, Joseph: Die Kapuzinergruft. München 1967, S.27, das Zitat oben S.21).

(FN43) Gehlen: Moral und Hypermoral. S.82.

(FN44) Diogenes Laertios: Leben und Meinungen berühmter Philosophen, Buch VIII, § 16.

(FN45) Gehlen: Moral und Hypermoral. S.157.

(FN46) Ebenda.

(FN47) Liebrucks: Sprache und Bewußtsein. Bd. 1, S.105.

(FN48) Ebenda.

(FN49) Man kann dazu vergleichen, was wir oben mit Gehlen zur distanzierten Identifizierung mit der Situation der Todesgefahr in den Höhlenmalereien zu entwickeln versuchten.

(FN50) Liebrucks: Sprache und Bewußtsein. Bd. 1, S.139. Vgl. auch diese sehr schöne Stelle: Es ist "in der Institutionenfrage zuallererst nach dem Logos des Menschen zu trachten, damit uns solche für alles menschliche Leben schlechterdings unentbehrlichen Institutionen wieder zufallen." (Liebrucks, a.a.O., S.136).

(FN51) Gehlen, Moral und Hypermoral. S.100f.

(FN52) Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 265, Zusatz. In: Werke, Bd. 7, S.412.

(FN53) Wie es denn so ist, wie wir inzwischen längst wissen.

(FN54) Siep: "Vernunftrecht und Rechtsgeschichte. Kontext und Konzept der Grundlinien im Blick auf die Vorrede". S.21.

(FN55) Gehlen: Moral und Hypermoral. S.68.

(FN56) Gehlen: Moral und Hypermoral. S.75.

(FN57) Gehlen: Moral und Hypermoral. S.158.

(FN58) Siehe oben zu Moralität und Sittlichkeit.

(FN59) Jaspers, Karl: Vom Ursprung und Ziel der Geschichte. Frankfurt/M. / Hamburg 1955, S.190.

(FN60) Das ist ein schwerwiegender Gedankenfehler bzw. Täuschungsversuch. Innenpolitische Freiheit war bisher wohl immer noch Darstellung bestimmter, geschichtlicher Freiheitsauffassung. Denn eine andere als wirkliche gibt es nicht. Außerhalb ihrer gibt es auch nicht so etwas wie einen Menschen. "Beschränkung der politischen Ordnung auf Daseinsfragen" dagegen ist etwas Unmenschliches, eine gedankliche Barbarei, die erst im famosen 20. Jahrhundert formulierbar wird.

(FN61) Jaspers: Vom Ursprung und Ziel der Geschichte. S.191.

(FN62) Liebrucks: Sprache und Bewußtsein. Bd. 1, S.149.

(FN63) Gehlen: Moral und Hypermoral. S.163.

(FN64) Vgl. Liebrucks: Sprache und Bewußtsein. Bd. 3, S.194ff.

Univ.-Ass. Mag. Dr. Michael Wladika

Geb. 1967; 1985 bis 1991 Studium der Philosophie und Anglistik in Wien und Aberdeen (Schottland); 1991 Sponsion mit einer Arbeit über Hegels Entwicklung bis zu den ersten Jenaer Druckschriften; 1995 Promotion mit einer Arbeit über Selbstgewissheit und Gotteserkenntnis. Die Philosophie Descartes‘ im Lichte Hegels; seit 1996 Universitätsassistent am Wissenschaftlich-Theologischen Seminar (Abteilung Philosophie) der Universität Heidelberg. Wichtigste Publikation: Kant in Hegels ‚Wissenschaft der Logik‘, Frankfurt/Main 1995.



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