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Ein Jahr "Krieg gegen Terror" in Afghanistan

von Walter Feichtinger

Kurzfassung

◄ Nach einer Einleitung über Erscheinungsformen des modernen Terrorismus stellt der Verfasser seiner Analyse des "Kriegs gegen den Terror" in Afghanistan drei Thesen voran, die sich im Resümee bestätigt wiederfinden: Ihnen zufolge waren das Kriegsbild ein alt bekanntes, dem nur durch den Einsatz neuer Technologien eine neue Qualität verliehen wurde, weiters ein ausschließlicher Luftkrieg ohne Einsatz von Bodentruppen nicht zielführend, und schließlich eine kohärente Gesamtstrategie und ein langfristiges Engagement in Afghanistan unabdingbar.

Die Zielsetzungen der Operation "Enduring Freedom" waren die Zerschlagung der Terrororganisation Al Qaida und ein Machtwechsel in Afghanistan. Erreicht werden sollten diese Ziele durch eine umfassende Allianzbildung, die aber nicht in einer Koalitionskriegführung resultierte; Washington wollte sich in seiner Handlungsfreiheit nicht beschneiden lassen. Die Operation in Afghanistan zerfiel zeitlich in drei Phasen, deren erste vom Aufmarsch bis zum Fall des Taliban-Regimes Mitte Dezember 2001 reichte. Daran schlossen unmittelbar Bodenoperationen zur Vernichtung verbliebenen Widerstandes und von Terrorzellen an, die bis heute andauern. Phase III umfasst die Stabilisierung der afghanischen Regierung, die Aufstellung einer afghanischen Armee, die Bekämpfung von Warlords sowie Beistandshilfe und wird sich als längerfristiges Programm herausstellen.

Sehr früh stellte sich in Phase I heraus, dass mit einem Luftkrieg allein keine Entscheidung herbeizuführen war. Aus diesem Grund suchten und fanden die USA in der Nordallianz Verbündete, denen sie Luftunterstützung für die Bodenoperationen zukommen ließen, die schließlich zur Einnahme Kabuls führten. Erst in der zweiten Phase kamen amerikanische Bodentruppen zum Einsatz; zeitgleich begann das internationale Engagement zur Aufstellung von Sicherheitskräften für Kabul, die vorwiegend von den europäischen Verbündeten gestellt wurden.

Der amerikanische Einsatz war vom Dogma der weitest gehenden Vermeidung eigener Verluste gekennzeichnet. "Enduring Freedom" war zudem ein Paradebeispiel für satellitengestützte Führung über weiteste Entfernungen, für die rasched Projektionsfähigkeit militärischer Vernichtungspotenziale sowie für die technische Verbesserung von Waffensystemen und die Erweiterung ihres Einsatzspektrums durch genauere Zielinformation. Mit Fortdauer des Einsatzes spielte aber die technische Überlegenheit weniger Rolle, weil damit der Einsatz hoch motivierter, mit den lokalen Gegebenheiten vertrauter gegnerischer Kämpfer nicht kompensiert werden kann.

Als problematisch hat sich die Notwendigkeit erwiesen, Bodenoperationen über längere Zeit auf Special Operations Forces abstützen zu müssen, die auf Grund ihres Einsatzprofils an anderen Orten fehlen. Der Rückgriff auf verlässliche lokale Kräfte sollte hier künftig einen Ausweg bieten. Internationale Truppenpräsenz wird schließlich auf längere Zeit notwendig sein, um Afghanistan zu stabilisieren und das Entstehen eines neuen Konfliktherdes hintanzuhalten. ►


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Ein Jahr "Krieg gegen Terror" in Afghanistan

"Alter" Krieg mit neuen Waffen?

In den Wochen um den 11.9.2002 erschienen zahlreiche Analysen, die in spezifischen oder interdisziplinären Zugängen die Ereignisse seit den "historischen" Terroranschlägen aus allen denkbaren Perspektiven beleuchten. In unzähligen Kommentaren wurde immer wieder betont, wie wichtig es doch sei, bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus nicht auf dessen Wurzeln zu vergessen und sich nicht auf rein militärische Aktionen zu beschränken.

Dennoch stellen die Militäroperationen der USA ein zentrales Element der Terrorbekämpfung dar. In diesem Kontext stellt sich auch Ende 2002 verstärkt die Frage eines Präventivschlages gegen den Irak sowie eines militärischen Engagements an anderen Krisenorten, etwa in Somalia, im Jemen oder in Eritrea. Es erscheint daher angebracht, die Ereignisse nach dem 11. September einer kritischen militärwissenschaftlichen Analyse zu unterziehen, um auch oder gerade auf diesem Gebiet zu weiterführenden Erkenntnissen zu gelangen.

Anmerkungen zur Frage des "Krieges" und zu dem Phänomen "Terrorismus"

Terroristische Angriffe sind eine im Prinzip alte Form einer destruktiven Kriegführung.(Fußnote 1/FN1) Durch die Verbreitung von Angst und Schrecken sollte Widerstand, etwa von unterworfenen Völkern oder in bestimmten Räumen, bereits im Keim erstickt werden. Repressive Herrschaft und besondere Brutalität wurden dabei über lange Zeit als zielführende Strategien gesehen.(FN2) Aus der Perspektive des Terror Ausübenden werden terroristische Aktionen auf Grund des enormen Kosten-Nutzen-Faktors (geringer Aufwand, große Wirkung) häufig als Instrument eingesetzt, um Aufmerksamkeit und Publizität zu erhalten und um in der Regel einen präventiven Abschreckungseffekt zu erzielen. Terroristen zielen vor allem auf die psychische Abnützung des Gegners ab und machen bewusst und in höchstem Maße die Zivilbevölkerung zum Leidtragenden ihrer "Kampfhandlungen".

Die moderne Form von Terrorismus als langfristig angelegte politischmilitärische Strategie hat sich dagegen erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt. Terroraktionen bilden häufig den Auftakt zu (sub)konventionellen Auseinandersetzungen oder sollen diese überhaupt ersetzen.(FN3) Zum zentralen Merkmal terroristischer Aktivitäten ist die "Aufmerksamkeit um jeden Preis" geworden, beginnend bei der blutigen Geiselnahme der PLO bei den Olympischen Spielen in München 1972, den diversen Flugzeugentführungen und zuletzt am 11.9.2001 bei den Anschlägen in den USA. Der durch seine Kriegsstudien bekannte Politologe Herfried Münkler führt dabei als Unterscheidung zu anderen Formen bewaffneter Konfliktaustragung zwei Besonderheiten an: Die völlige Missachtung aller Regularien der Kriegführung sowie die rücksichtslose Nutzung der zivilen Ressourcen des angegriffenen Gegners für die eigenen militärischen Zielsetzungen.(FN4) Münkler stuft den Terrorismus des Jahres 2001 als "Perfektionierung des Grundgedankens eines Partisanenkrieges" ein, er stellt für ihn die "offensive Form der strategischen Asymmetrierung von Gewaltanwendung" dar.(FN5) Terrorattacken ausgesetzte Akteure - zumeist Staaten - sind häufig versucht, mit Gegenterror zu antworten. Dabei sind die "Treffgenauigkeit" vor allem militärischer Maßnahmen und das dafür in der Bevölkerung vorherrschende oder zu erzielende Verständnis von höchster Bedeutung. Die Frage der finalen Tauglichkeit bei der Anwendung terroristischer Methoden stellt sich dabei für beide Seiten, den Angegriffenen und den Angreifer. Die Legitimierung repressiven und zumeist brutalen Vorgehens wird nämlich mit Fortdauer der Aktionen zum zentralen Parameter und entscheidet maßgeblich über dessen Duldung oder Unterstützung durch die Bevölkerung und somit letztlich über Erfolg oder Misserfolg der Maßnahmen.

Die Frage nach den Erfolgsaussichten von Terror scheint a priori nicht eindeutig beantwortbar zu sein, da sie in höchstem Maße von der Zielsetzung der Terror Ausübenden abhängt. So scheint etwa Terror als politisches Unterdrückungsinstrument auf Dauer kein taugliches Verfahren zu sein,(FN6) während Terroranschläge im Kontext von Unabhängigkeits- oder Separationsbewegungen des Öfteren zum Ziel geführt haben.(FN7) Die vielfach aufgeworfene Frage, ob Terrorismus und/oder dessen Bekämpfung nun "Krieg" sei oder nicht, zeigt verstärkt auf, welch bedeutender Paradigmenwechsel im Kontext der Vorstellungen vom Krieg seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs stattgefunden hat. Diese Problematik ist allerdings nicht Gegenstand dieser Kurzstudie, weshalb an dieser Stelle eine äußerst pragmatische Antwort gegeben sein soll: So hat US-Präsident George Bush mehrfach betont, dass er die Flugzeugattacken vom 11.9.2001 als eindeutige Kriegserklärung bewerte und sich daher die USA im Kampf gegen den internationalen Terror "im Krieg" befänden. Abgesehen von den erfüllten Formalkriterien zur Erfüllung der Voraussetzungen für einen Kriegszustand kann angesichts des militärischen Mittel- und Streitkräfteeinsatzes der USA in Afghanistan und der angrenzenden Region ohne weiteres von Krieg gesprochen werden.(FN8) Die teilweise Absenz eines Gegners im konventionellen Verständnis - also eines Widersachers mit klar erkennbaren Strukturen, Hierarchien, politischen und militärischen Strukturen und Zielsetzungen - weist nämlich lediglich auf die Verstärkung des Phänomens asymmetrischer Konflikte hin.(FN9) Strategisch betrachtet kann die Operation Enduring Freedom in Afghanistan und in der weiteren Region als Element einer reaktiven Vorwärtsverteidigung der USA interpretiert werden. Dazu kommt der Aspekt der Bestrafung für die Anschläge seit 1993 und der Abschreckung gegenüber allen Terrorsympathisanten.

Drei Thesen über den "Krieg gegen den Terror" in Afghanistan

Der folgenden Betrachtung der Kampfhandlungen zwischen Oktober 2001 und Oktober 2002 liegen folgende Thesen zu Grunde: Das Kriegsbild in Afghanistan ist von den erkennbaren Phänomenen her ein altbekanntes; eine neue Qualität entsteht jedoch durch den Einsatz modernster Technologien.

Die Vorstellung von einem klinischen "Air only"-Krieg ohne nennenswerte Verluste bleibt bei einem solchen Kriegsschauplatz ohne erkennbares "Center of Gravity" irreal; ohne Bodentruppen ist keine Entscheidung herbeizuführen.

Ein dauerhafter politischer Erfolg erfordert eine kohärente Gesamtstrategie und ein langfristiges Engagement in Afghanistan selbst.

Für eine Analyse der Vorgänge erscheint es zweckmäßig, die Zielsetzungen der USA bei ihrem Einsatz in Afghanistan an den Beginn der Betrachtung zu stellen.

Die Zielsetzungen der USA und der Kampfverlauf im Überblick

Stärkedemonstration und Präventionsgedanke dominieren

In den Ansprachen von US-Präsident George Bush und anderen Mitgliedern der US-Regierung lässt sich primär das politische Ziel des "Stärkeerhalts" und der "Unbeugsamkeit" der USA identifizieren. So ist weder denkbar, dass die USA ihr außenpolitisches Engagement reduzierten oder veränderten, noch dass sie in absehbarer Zeit ein "passives Verhalten" gegenüber mutmaßlichen Terroristen an den Tag legen würden.

Sämtliche Aktivitäten Washingtons orientierten sich daher nach der erneuten Identifizierung Osama bin Ladens (er war bereits als Organisator mehrerer Anschläge zuvor erkannt worden) am 13.9.2001 als Hauptverdächtigen der Anschläge vom 11.9.2001 an folgenden Prämissen: - Reduktion der Gefahr weiterer Attacken; - weitest gehende Eliminierung der Terrororganisation Al Qaida und - Erzielen eines Abhalteeffektes gegenüber potenziellen Unterstützerstaaten.

Der Sturz des Taliban-Regimes wurde nach dessen Weigerung, mit den USA vorbehaltlos bei der Bekämpfung der Al Qaida zu kooperieren, zum vorrangigen Ziel.

Für den Einsatz der US-Streitkräfte in Afghanistan nannte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld folgende Zielsetzungen: "... to make clear to the Taliban leaders and their supporters that harboring terrorists is unacceptable and carries a price.

to acquire intelligence to facilitate future operations against Al Qaeda and the Taliban regime that harbors the terrorists.

to develop relationships with groups in Afghanistan that oppose the Taliban regime and the foreign terrorists that they support.

to make it increasingly difficult for the terrorists to use Afghanistan freely as a base of operation.

to alter the military balance over the time by denying to the Taliban the offensive system that hampers the progress of the various opposition forces.

And to provide humanitarian relief to Afghans suffering truly oppressive living conditions under the Taliban regime.”(FN10) "Entkleidet” man diese Formulierungen der politischen Rhetorik, kommen als klare Absicht das Herbeiführen eines politischen Machtwechsels in Afghanistan sowie die nachhaltige Zerstörung der afghanischen Basis der Al Qaida zum Vorschein. Darüber hinaus sollte an alle potenziellen Sympathisanten und Unterstützer von Terroristen, seien es Staaten oder andere Akteure, eine unmissverständliche Warnung gesendet werden.

Im Unterschied zum Kosovo-Krieg 1999 ging es also nicht darum, einen Gegner durch dosierten Einsatz militärischer Gewalt zu einer Änderung seines politischen Verhaltens zu bewegen (Zustimmung Belgrads zum Rambouillet-Abkommen); das Ziel bestand und besteht vielmehr in der physischen Vernichtung der Terrororganisation Al Qaida und einem nachhaltigen Machtwechsel in Kabul.

Das sicherheitspolitische Trauma, das die USA durch die "erfolgreichen" Terrorangriffe auf eigenem Staatsgebiet erlitten hatten, bewirkte auch eine veränderte Einstellung der US-Regierung hinsichtlich der Inkaufnahme eigener Verluste bei Kampfhandlungen. So werden Präsident George Bush und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld nicht müde zu betonen, dass der "global war on terror" sehr lange dauern und menschliche Opfer verlangen würde. Während die Luftoperation gegen Belgrad 1999 aus US-Perspektive ausschließlich instrumentellen Charakter aufwies, scheint der Kampf gegen den Terror auch Züge einer "existenziellen"(FN11) Kriegführung anzunehmen, da sich die USA in ihrer staatlichen Sicherheit und ihrer außenpolitischen Handlungsfreiheit bedroht sehen.

Zum Verlauf der Auseinandersetzungen in Afghanistan

Die Rahmenbedingungen des Einsatzes in Afghanistan sind von besonderem Interesse, weil sie ein idealtypisches Szenario innerstaatlicher Konflikte am Beginn des 21. Jahrhunderts widerspiegeln. Signifikant ist dabei das Entstehen einer Symbiose aus radikalreligiösem Fundamentalismus, autoritärtotalitärer Staatsführung und clanbestimmten Substrukturen, die einen idealen Boden für das Festsetzen des Terrornetzwerkes Al Qaida bot, ein Zustand, der nach Ansicht namhafter Analytiker auch an vielen anderen Krisenherden der Welt anzutreffen ist und Terroristen und organisierter Kriminalität unter dem Schutzmantel souveräner Staaten Tür und Tor für deren Machenschaften öffnet.

Umfassende Allianzbildung, aber keine "Koalitionskriegführung"

Unmittelbar nach der Identifizierung Osama bin Ladens als Drahtzieher und der Al Qaida als verantwortlicher Organisation auch für die Terroranschläge vom 11. September gelang es den USA sehr rasch, weltweit politische Allianzen für den "Kampf gegen den Terror" zu schmieden, manchmal sogar unter Verletzung bisheriger außen- und sicherheitspolitischer Prinzipien. Während auf politischer Ebene dabei manche Zugeständnisse an neue Verbündete erfolgten und einem multilateralen Vorgehen der Vorrang eingeräumt wurde, gingen die USA beim Militäreinsatz eher einen unilateralen Weg. Die strategische und operative Planung sowie die Durchführung des Militärschlags gegen die Taliban und Al Qaida in Afghanistan waren im Grunde genommen eine ausschließliche Angelegenheit der US-Militärs, die sich allerdings von einer zunehmenden Zahl von Partnern unterstützen ließen. Die Zuordnung von Aufgaben wurde dabei im Wesentlichen durch die jeweils bereitgestellten militärischen Kapazitäten und die politischstrategischen Limitierungen der mitwirkenden Staaten bestimmt.

Drei Phasen im bisherigen Verlauf des Einsatzes

Die Ereignisse zwischen Oktober 2001 und Dezember 2002 können grob in drei Phasen unterteilt werden: Phase I: Aufmarsch und Angriff der USA mit der Nordallianz bis zum Sturz des Taliban-Regimes (13.9.2001 - Mitte Dezember 2001); Phase II: Bodenoperationen zur Vernichtung verbliebenen Widerstands und von Terrorzellen (unmittelbar nach Phase I bis dato); Phase III: Stabilisierung der afghanischen Regierung durch Beistandshilfe, Aufstellung einer nationalen Armee und Bekämpfung separatistischer "Warlords" in verschiedenen Teilen des Landes (längerfristiges Vorhaben).

Militärischer Aufmarsch der USA und Sturz des Taliban-Regimes (Phase I)

Wie zu Beginn der NATO-Operation Allied Force im März 1999 stellte sich auch mit dem Auslösen der Luftschläge auf afghanische Ziele zunächst die Frage, ob eine ausschließliche Luftoperation (Air only) zum Ziel führen würde oder ob auch Bodentruppen zum Einsatz kommen müssten. Auf Grund der geringen Vorbereitungszeit (13.9. bis 7.10.2001), der großen Entfernungen, fehlender Infrastrukturen sowie unzureichender Kräfte für Special Force-Operationen, um die wichtigsten Faktoren zu nennen, war jedoch klar, dass es zumindest in der ersten Phase zu keinem umfangreichen Engagement von US-Bodentruppen kommen konnte. Die Luftangriffe wurden daher von Anfang an nur durch Spezialkräfte zur Zielaufklärung und Zielerfassung unterstützt.(FN12) Nach einer kurzen Planungs- und Aufmarschphase begannen die USA am 7.10.2001 in der Operation Enduring Freedom mit intensiven Luftangriffen auf die wenigen vorhandenen strategischen und vor allem taktischen Ziele in Afghanistan. Es ging dabei vorerst darum, durch die Zerstörung von Einrichtungen der Luftverteidigung und Infrastruktur sowie militärischer Kommunikationslinien die Gefährdung für die angreifenden Kräfte auszuschalten und Abwehrmaßnahmen nachhaltig zu unterbinden. In Anbetracht der unterentwickelten Verteidigungskapazitäten der Taliban verfügten die US-Kräfte von Beginn an über die Luftherrschaft und konnten sehr bald die Angriffe ohne umfangreichen Schutz- und Abwehraufwand fliegen.

Allerdings gelang es trotz intensiver Bombardements und des punktuellen Einsatzes von Sonderkommandos in den ersten zwei Wochen nicht, eine substanzielle Veränderung der Situation und Machtverhältnisse am Boden herbeizuführen. Der von den USA vorerst bewusst in Kauf genommene Verzicht auf umfangreiche eigene Bodenkräfte legte daher eine enge Kooperation mit lokalen Streit- und Widerstandskräften nahe. Es scheint plausibel, dass es sich hierbei eher um eine geplante Adaptierung der bis dahin verfolgten Strategie als um einen tatsächlichen Strategiewechsel gehandelt hat. Dies könnte eine Lehre aus der Operation "Allied Force" 1999 gegenüber Jugoslawien darstellen, als nach den ersten Wochen taktischer Luftangriffe gegen "sekundäre" Ziele, gedacht als Aktion zur Herbeiführung einer Verhandlungslösung, Belgrad nicht einlenkte, weshalb die NATO-Luftkriegführung intensiviert wurde und die UCK der Kosovo-Albaner nolens volens als verbündete Bodentruppe zu akzeptieren und zu unterstützen war.

Ab Mitte Oktober 2001 war deshalb vermehrt eine Unterstützung mittels Luftangriffen für die oppositionelle Nordallianz zu erkennen, deren Verbände - geschätzte 15.000 Mann - zunehmend die Rolle von offensiv operierenden Bodentruppen gegen die etwa 40.000 verstreut agierenden Taliban-Kämpfer übernahmen. Mit der massiven US-Luftunterstützung und mit Hilfe amerikanischer Verbindungsteams gelang es der Nordallianz erstaunlich rasch, den Widerstand der Taliban zu brechen und gegen die Hauptstadt Kabul vorzurücken. Mit der widerstandslosen Einnahme von Kabul am 13.11.2001 war die Niederlage der Taliban bereits besiegelt, nennenswerte Rückzugsgefechte in Kandahar und in der befestigten Tora Bora-Region endeten Mitte Dezember 2001. Zu dieser Zeit hatte die internationale Gemeinschaft bereits mit der Konferenz am Petersberg bei Bonn, ab 27.11.2001, erhebliche Anstrengungen unternommen, um einen politischen Transformationsprozess in Afghanistan zu initiieren und die erforderlichen Rahmenbedingungen für einen positiven Wandel zu schaffen.

Bodenoperationen zur Vernichtung verbliebenen Widerstands (Phase II)

Ungeachtet des politischen Machtwechsels in Afghanistan setzten die USA in einer zweiten Phase gemeinsam mit ihren zahlreichen Verbündeten den Feldzug gegen verbliebene militärische Stützpunkte und Einflussgebiete der Taliban und vermutete Al Qaida-Zentren und deren Rückzugsgebiete fort. In diversen Operationen wurde immer wieder versucht, Angehörige der Terrororganisation und Taliban-Kämpfer aufzuspüren und zu vernichten. So begann etwa am 3.3.2002 die Operation Anaconda, in der auch neuartige Munition (thermobarische Bomben) erstmals zum Einsatz kam.

Verbündete Marineinfanteristen aus Großbritannien durchkämmten gemeinsam mit amerikanischen, kanadischen und afghanischen Einheiten in der Operation Snipe im Mai 2002 Teile der Bergregion Ostafghanistans, um noch verbliebener Gegner habhaft zu werden. Ein neuerlicher Vorstoß im August 2002 in der Grenzregion zu Pakistan führte lediglich zum Aufgreifen einiger weniger Verdächtiger, was amerikanische Kommandeure bereits zu Unmutsäußerungen veranlasste und die Schwierigkeit des Einsatzes erahnen ließ.(FN13) Immer häufiger wurde auch das Ausweichen feindlicher afghanischer Kontingente auf pakistanisches Hoheitsgebiet beobachtet, wodurch sie sich der US-Verfolgung erfolgreich entziehen konnten.

In diesem Kontext ist auch zu vermerken, dass die Schwierigkeit für die eingesetzten Truppen in der Regel weniger darin besteht, einen Raum von Feinden zu säubern, sondern vielmehr in der Notwendigkeit, dieses Gebiet auf Dauer unter eigener Kontrolle zu halten. Gerade in einem weitläufigen, unübersichtlichen Terrain wie im Grenzraum zu Pakistan würde dies zu einem zunehmenden "Verbrauch" von Kräften führen, die zudem im statischen Einsatz Angriffen ausgesetzt wären und einen hohen Versorgungsaufwand erfordern würden.(FN14) Je größer daher die Zone des kontrollierten Gebietes wird, desto aufwändiger gestaltet sich der Einsatz und umso mehr steigt die "Anfälligkeit" für Überraschungsoperationen des Gegners. Hinzu kommen der im Ansatz geringe Kräfteaufwand und der Zwang, Bewegungen überwiegend mit Hubschraubern durchzuführen, was die Planungsoptionen gelände- und witterungsbedingt zwangsläufig einengt.

Stabilisierungsoperation in Afghanistan (Phase III)

Unabhängig von der Verfolgung der Taliban- und Al Qaida-Kräfte wurde mit der UNO-Sicherheitsratsresolution 1.386/2001 ("Einrichtung einer Internationalen Sicherheitsbeistandstruppe") eine internationale Stabilisierungsoperation in Afghanistan ermöglicht. Die International Security Assistance Force (ISAF) in der Stärke von etwa 5.000 Mann unterstützt dabei afghanische Sicherheitskräfte bei der Herstellung einer stabilen Sicherheitslage. Die seit Anfang 2002 laufende Operation beschränkt sich bisher in ihrem Wirkungsbereich allerdings auf den Großraum der Hauptstadt Kabul. Eine Ausdehnung dieser Operation über Kabul hinaus wird seit Sommer 2002 von UNO-Generalsekretär Kofi Annan für zwingend notwendig erachtet, scheiterte aber bislang am Zögern Truppen stellender Staaten.(FN15) Die USA beteiligen sich militärisch nicht an ISAF, die multinationale Beistandstruppe wird überwiegend durch europäische Staaten gestellt. Die ISAF nahm bislang nicht an der Verfolgung versprengter Taliban- oder Al Qaida-Angehöriger teil, sie konzentriert sich vielmehr auf den (Wieder-) Aufbau des devastierten Kabul.

Insgesamt dürften sich im Rahmen dieser Operationen höchstens 17.000 Soldaten gleichzeitig im Einsatz auf afghanischem Territorium befunden haben.(FN16) Für den Oktober 2002 gab das Weiße Haus offiziell die Zahl von 5.000 Angehörigen der Koalitionskräfte und 9.000 Mann US-Personal in Afghanistan bekannt.(FN17) Im Kampf gegen die verbliebenen Taliban und Al Qaida-Mitglieder werden die USA und ihre Verbündeten von Kämpfern lokaler Machthaber unterstützt; ihre Zahl dürfte Schätzungen zufolge deutlich über der Stärke der USA samt ihren Alliierten liegen.(FN18) Wie viel Kräfte für die weitere innere Stabilisierung des Landes erforderlich sein werden, ist derzeit nicht absehbar.´

Politischstrategische Phänomene und operative Parameter

Symmetrische und asymmetrische Konstellation und Konfliktaustragung

In der ersten Phase (Oktober/November 2001) bestand ein Akteursdreieck aus drei staatlichen bzw. quasistaatlichen Akteuren. Während die USA mit ihren optimal ausgerüsteten Streitkräften den quasistaatlichen Akteur in Gestalt des Taliban-Regimes mit seiner schlecht gerüsteten konventionellen Streitkraft durch Luftschläge besiegen wollten, sahen sich die Taliban in Kabul zudem mit Bodenangriffen der oppositionellen Nordallianz, einem weiteren quasistaatlichen Akteur (den Resten des früheren Regimes), konfrontiert. Somit ergab sich ein Mix aus symmetrischer und asymmetrischer Konfliktkonstellation, in der die USA mit der Nordallianz über weite Strecken eine Koalition bildeten.

Spätestens mit dem Fall der Festungsanlage Tora Bora schied die Nordallianz als eigenständiger Akteur aus, allerdings schlossen sich einzelne Stammesführer mit ihren Streitkräften dem Kampf der USA an. Somit entstand im Kampf zwischen den USA und den Taliban- bzw. Al Qaida-Kräften eine typisch asymmetrische Konstellation, wie sie in vielen innerstaatlichen Konflikten besteht - allerdings mit der Besonderheit, dass die USA als staatlicher Akteur auf fremdem Hoheitsgebiet agierten.

Im Operationsraum äußerte sich die "Ungleichheit" in einer überwältigenden technologischen Überlegenheit der USA, besonders erkennbar in der Ausübung der Luftherrschaft, der die Taliban nur wenig entgegenzusetzen hatten. Die höchst unterschiedlichen Kampfmittel wirkten sich beim Kampf im unübersichtlichen, gebirgigen Rückzugsgebiet, vor allem im Grenzraum zu Pakistan, jedoch nur beschränkt aus.

Im Aufklärungsbereich ergab sich die interessante Gegenüberstellung der herkömmlichen Human Intelligence (HUMINT) im Verständnis einer Informationsbeschaffung durch Personen vor Ort und der satellitengestützten und sonstigen technischen Aufklärung (Signal Intelligence, SIGINT und Luftaufklärung). Wenn auch beide Akteure versuchten, sämtliche Möglichkeiten zur Informationsgewinnung zu nutzen, so lag doch bei den USA das Schwergewicht eindeutig auf der technologischen Seite, während die Taliban bzw. Al Qaida primär auf die "Ressource Mensch" angewiesen waren. Auch hier ist festzuhalten, dass die Vorteile technischer Aufklärung im unmittelbaren Kampfgeschehen bzw. im Gebirge und Kleinkrieg rasch erschöpft waren und sich HUMINT als unverzichtbar und höchst effizient erwies.

Handlungsfreiheit statt Koalitionskriegführung

Als wesentliches Merkmal der Ereignisse nach dem 11.9.2001 ist festzuhalten, dass die USA auf politischer und militärischer Ebene die weltweite Allianzbildung für ihren Kampf gegen den Terror vehement und erfolgreich vorantrieben. Die zustande gekommene "Coalition of the willing" konnte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die USA als "Lead nation" das Geschehen in allen Dimensionen bestimmten. So beeindruckend etwa die Zahl der militärischen Partner auf den ersten Blick auch sein mochte - General Tommy Franks, Kommandant des U.S. Central Command sprach Ende Oktober 2002 von 27 Staaten, die allein innerhalb Afghanistans aktiv wären, und von 43 Staaten, die Verbindungselemente zum Hauptquartier in Tampa/Florida entsandt hätten(FN19) -, so wies sie indirekt aber auch darauf hin, dass diese breite Basis einer straffen, zentralen Führung bedarf und Freiraum höchstens auf unterer taktischer Ebene zulässt.

Es kam daher zu keiner Luftoperation im Sinne von Allied Force und zu keiner "Koalitionskriegführung à la Kosovo" mit allen damit verbundenen Abstimmungsproblemen, sondern zu einer höchst eigenständigen US-Kampfführung mit großer Handlungsfreiheit des Pentagon und beschränkter multinationaler Unterstützung, beispielsweise durch Spezialtruppen aus Großbritannien, Kanada, Frankreich und Deutschland, aber ebenso aus Australien und Dänemark. Auch beim Einsatz gegen versprengte Kräfte der Taliban und Al Qaida ab Dezember 2001 lag die Gesamtplanung in den Händen des Pentagon.

Der systematische Aufbau von US-Stützpunkten in einigen Anrainerstaaten, so z.B. im zentralasiatischen Usbekistan, in Tadschikistan und Kasachstan, hatte den dreifachen Effekt einer geopolitischen Restrukturierung und einer sicherheitspolitischen Stabilisierung der Region sowie einer ökonomischen Effizienzsteigerung des Streitkräfteeinsatzes. So konnten etwa durch die Nutzung von Luftwaffenbasen in Afghanistans Umgebung die Flugzeit von Kampfflugzeugen durch Luftbetankung von solchen Basen aus wie auch die Anflugzeiten von Hubschraubern und Flugzeugen erheblich gesenkt und deren Verweildauer im Einsatzraum deutlich gesteigert werden. Ebenso konnten im Umfeld stationierte Kräfte rasch in Afghanistan wirksam werden, ohne aufwändig etwa von Flottenverbänden herangebracht werden zu müssen oder durch eine dauernde Präsenz in Afghanistan gefährdet zu sein.

Schon während der Kriegsvorbereitungen der USA kam der Kooperationsbereitschaft Pakistans eine Schlüsselrolle zu. Trotz erheblichen innenpolitischen Widerstandes innerhalb Pakistans gelang es Washington, eine politische Allianz mit der Regierung in Islamabad zu schmieden und sich deren Unterstützung oder zumindest Duldung zu vergewissern. Die Zusammenarbeit beschränkte sich allerdings auf politische und wirtschaftliche Bereiche. So wurden den USA die Benützung des Luftraumes und fallweise Flugplatznutzungen eingeräumt, eine Stationierung von US-Truppen oder gar deren aktive Unterstützung beim Vorgehen gegen afghanische Kämpfer durch pakistanische Truppen schied jedoch a priori aus.

Als problematisch stellte sich mittlerweile die Grenzkontrolle Pakistans zu Afghanistan heraus. So kann man davon ausgehen, dass flüchtende Taliban- oder Al Qaida-Kämpfer problemlos und unkontrolliert auf pakistanisches Territorium ausweichen konnten, während verfolgende US-Kräfte oder deren Verbündete spätestens an der Grenze zu stoppen hatten.(FN20) Das Dogma der Risikominimierung und der Aspekt der öffentlichen Meinung

Das Engagement der USA war abermals vom Dogma der weitgehenden Vermeidung eigener Verluste ("no casualties") und von einer daraus resultierenden Verlagerung des primären Engagements im Operationsraum auf die Luftoperation geprägt. Der Erstschlag auf potenzielle strategische Abwehr- und Führungseinrichtungen erfolgte daher mit Marschflugkörpern und Precision Guided Munitions (PGMs). Die vor allem im Kontext der Öffentlichkeitsarbeit so unerwünschten Sekundärschäden ("Collateral damage") konnten durch den Einsatz solcher Präzisionswaffen unter der Schwelle öffentlicher Aufmerksamkeit gehalten werden. So war etwa der Anteil der Präzisionswaffen auf 56% gestiegen, während er noch drei Jahre zuvor bei der NATO-Operation Allied Force bei etwa 35% gelegen war.(FN21) Der Umfang der taktischen Lufteinsätze war mit durchschnittlich etwa 100 Flügen pro Tag im Vergleich zu 350 bei Allied Force 1999 oder bis zu 1.000 im Golfkrieg 1991 relativ gering.

Die USA waren von Beginn an darauf bedacht, in der afghanischen Bevölkerung nicht den Eindruck eines Besatzers zu erwecken (siehe die Erfahrungen sowjetischer Truppen im Land). Sie suchten daher in allen Phasen eine enge Kooperation mit örtlichen Kräften, hielten sich bei Kampfhandlungen am Boden bewusst im Hintergrund und überließen den Kontakt mit der Zivilbevölkerung vorrangig lokalen Verbündeten.(FN22) Im Verlauf der Operationen gegen die Taliban und Al Qaida wurde dieser Vorteil jedoch alsbald zum Nachteil, da sowohl der Kampfwert örtlicher Mitstreiter als insbesondere deren Loyalität schon im Februar 2002 zu offenen Beschwerden von US-Militärs führten und selbst Verteidigungsminister Rumsfeld "Probleme" wegen offenkundiger Sympathien der afghanischen Verbündeten für die Taliban einräumte.(FN23) Ungünstig, wenn nicht gefährlich, wirkten sich im Kontext der öffentlichen Meinung sowohl in Afghanistan als auch in den USA die vermehrt gemeldeten irrtümlichen Luftangriffe auf zivile Ziele aus. So ließ das mediale Echo auf den versehentlichen Beschuss einer afghanischen Hochzeitsgesellschaft am 1.7.2002 erahnen, welch enormes gesellschaftspolitisches Mobilisierungspotenzial solchen oder ähnlichen Vorfällen innewohnt.

Hier ist besonders auf die immense Bedeutung einer konsequenten "Hearts and minds"-Strategie hinzuweisen, die in allen Phasen des Engagements darauf abzielt, die Zivilbevölkerung im Konfliktraum durch positive Signale und Anreize für die eigene Position zu gewinnen.

Die im Zusammenhang mit dem US-Vorgehen in Afghanistan kolportierte Zahl von mehr als 1.000 zivilen Opfern bereits bis Jänner 2002(FN24) hat in der öffentlichen Wahrnehmung im Westen bei weitem noch nicht jene "Reizschwelle" erreicht, die zu einem Aufschrei etwa der westlichen Gesellschaft führen würde. Sie scheint allerdings geeignet, radikaloppositionellen Kräften in Afghanistan und Umgebung ausreichend Argumente für eine propagandistische Aufwiegelung von Teilen der Bevölkerung gegen die Kabuler Regierung sowie die USA und deren lokale Verbündete zu liefern. Unterschwellig gehegte Sympathien für die Taliban oder Al Qaida könnten dadurch in offene Unterstützung umschlagen und das weitere Vorgehen bei der Terroristenbekämpfung zumindest erheblich erschweren, wenn nicht sogar aussichtslos werden lassen. Anzeichen in diese Richtung sind vor allem im Osten Afghanistans zu erkennen.(FN25) Ein weiterer Schritt in Richtung "Revolution in Military Affairs"

Vor allem in der ersten und zweiten Phase der Kampfführung waren im Vergleich zu vergangenen US-Militäroperationen Veränderungen zu erkennen. Diese sind im Kontext einer seit Jahren laufenden Revolution in Military Affairs (RMA) zu sehen und stellen eine aktuelle Bestandsaufnahme derzeitiger technischer Kapazitäten und Möglichkeiten samt ihren Auswirkungen auf die Operations- und Gefechtsführung dar. Die "Logik" der RMA besteht vereinfacht ausgedrückt darin, Kriege entweder a priori zu verhindern oder sie politisch leichter führbar zu machen, indem durch die überwältigende Überlegenheit in den operativen Bereichen Führung, Mobilität, Feuerkraft, Schutz und Logistik jeder potenzielle Kontrahent entweder von vornherein auf eine bewaffnete Auseinandersetzung verzichtet oder in einem gewaltsamen Aufeinandertreffen in kürzester Zeit handlungsunfähig und somit wehrlos wird.

Dieses Bemühen, dessen Anfänge auf den Erkenntnissen des Krieges in Vietnam aufbauen, könnte durch das im Sommer 2002 präsentierte neue Sicherheitskonzept der USA an Dynamik gewinnen, weil darin militärische Präventiv- und Präemptivoperationen als sicherheitspolitische Handlungsoptionen dezidiert angeführt werden.(FN26) Als erstes Merkmal ist dabei der Aspekt der Führung über große Distanzen ohne besonderen Zeitverzug anzuführen. Die Nutzung militärischer und kommerzieller Satelliten ermöglicht es den USA, die gesamte Operation Enduring Freedom vom CENTCOM in Tampa/Florida aus zu steuern. Manche Analytiker sprechen in diesem Kontext vom ersten Networkcentric war.(FN27) Die zeitgleiche vertikale und horizontale Verbreitung unzähliger Informationen bringt aber nicht nur den Vorteil eines "Echtzeit-Lagebildes", sondern erfordert auch eine stringente Selektion sämtlicher Nachrichten hinsichtlich Plausibilität und Verwertbarkeit.(FN28) Der Einsatz eines Secret Internet Protocol Router Network (SIPRNET) soll dabei den jeweiligen Kommandanten die zielgerichtete Auswahl der benötigten Informationen garantieren.(FN29) Als zweites kann der Aspekt der rascheren Projektionsfähigkeit militärischer Vernichtungspotenziale in einen Einsatzraum angeführt werden. Die Zusammenziehung von drei Flugzeugträgerverbänden im Arabischen Meer, die Abstützung auf Stützpunkte in der Region (in diesem Fall besonders bedeutend die britische Basis Diego Garcia im Indischen Ozean), die Verfügbarkeit strategischer Bomber und von Führungs- und Kommunikationssystemen ermöglichte es den USA, binnen kürzester Zeit gestreut dislozierte Kapazitäten zielorientiert zum Einsatz zu bringen. Die massive Luftunterstützung für die Nordallianz stellte keine Innovation im Sinne einer RMA dar, wohl aber die Kombination von Führungsentscheidungen und deren unmittelbare Umsetzung im Einsatzraum.

Ein dritter Punkt ist die technische Verbesserung bereits eingeführter Waffensysteme sowie deren erweitertes Einsatzspektrum. Es wurde etwa die Gefechtsfeldeffizienz der eingesetzten Kräfte und Mittel durch das optimierte Zusammenführen von Zielinformationen sowie durch erheblich reduzierte Einsatzzeiten der Marschflugkörper und PGMs gesteigert. So konnte beispielsweise die Zeit von der Zielaufklärung bis zum Abschuss einer Tomahawk-Cruise Missile (der sogenannte "Sensor to shootercycle", kurz STS) von 108 Minuten während der Operation Allied Force 1999 auf 35 Minuten im Afghanistan-Einsatz gesenkt werden.(FN30) Das bereits übliche Einsatzspektrum von Aufklärungsdrohnen wurde durch deren Bewaffnung zu "Kampfdrohnen" erweitert (Unmanned Combat Aerial Vehicle, UCAV). Sie sind somit nicht nur als "Auge", sondern auch als "Faust" verwendbar; ihr Einsatz als fliegende Relaisstation zur Nachrichtenübermittlung dürfte ebenfalls nur mehr eine Frage der Zeit sein.(FN31) Die Verwendung von PGM bei Schlechtwetter erforderte eine Ausweitung des Einsatzes radargesteuerter Systeme und solcher mit GPS-Lenkverfahren.(FN32) Der etwas geringeren Präzision standen dabei niedrigere Kosten gegenüber.

Die gleichzeitige Verfügbarkeit des Datenmaterials sowohl bei den strategisch führenden Kommanden wie auch bei den Stäben und taktischen Kräften im Einsatzraum und die rasche Einsetzbarkeit strategischer Bomber selbst über Kontinente hinweg, führen dabei zunehmend zu einem Verschwimmen der strategischen mit der taktischen Dimension. Auch wenn dies von der US-Seite als große Errungenschaft dargestellt wird, bleibt letztlich die Frage nach der Funktionalität und Zuverlässigkeit eines solchen Verfahrens, insbesondere bei umfangreicheren Operationen. Ebenso besteht die Gefahr eines "Mikromanagements", bei dem viele, auch banale Entscheidungen auf die strategische Ebene gehievt werden, was zu einer permanenten Übersteuerung untergeordneter Ebenen führt. Diesbezügliche Klagen waren bereits während der NATO-Operation Allied Force 1999 vom damaligen Oberkommandeur General Wesley Clark mehrfach zu hören.

Grenzen des "Vorteils durch Technik"

Die Vorteile technologischer Innovationen bei den US-Streitkräften nahmen allerdings mit Fortschreiten der Kampfhandlungen in Afghanistan und der Konzentration auf das Aufspüren und Verfolgen verbliebener Taliban- und Al Qaida-Kämpfer sukzessive ab. Während sich etwa Marschflugkörper und die Überlegenheit im Luftraum hervorragend zur Zerstörung von Infrastrukturen, zur Bekämpfung von Truppenkonzentrationen und zur Verhinderung umfangreicher Kräfteverschiebungen eignen, können diese Potenziale im unmittelbaren Gefecht kleinerer Kontingente von Bodentruppen nur sehr bedingt in taktische Vorteile umgemünzt werden. Moderner Hochtechnologie stehen nämlich im direkten Duell vor Ort vielfältige Erfahrungen und umfangreiche Geländekenntnisse ortsansässiger Streiter gegenüber, die - wie im Falle Afghanistans - zwischen 1979 und 1989 zum Teil bereits jahrelang gegen die sowjetische Besatzung gekämpft hatten.

Weder überlegene Waffenwirkung noch moderne Aufklärungsmöglichkeiten können die Vorteile eines geschickt agierenden und mit den lokalen Gegebenheiten vertrauten, kampferprobten beweglichen Soldaten wettmachen. Vor allem in unübersichtlichem Gelände, wie es z.B. in Ostafghanistan der Fall ist, und mit zumindest teilweiser Unterstützung der Zivilbevölkerung, wird der erfahrene, ortskundige und hochmotivierte Kämpfer über weite Strecken das Gesetz des Handelns im Operationsraum bestimmen können.(FN33) Der Kampf wird konventionell und subkonventionell geführt

In der ersten Phase bis Ende 2001 kann, gesamt betrachtet, von einer konventionellen Vorgehensweise aller Kampfparteien gesprochen werden. Sowohl die Verteidigungsanstrengungen der Taliban als auch die Angriffe der Nordallianz und die Luftschläge der USA folgten den Regeln herkömmlicher Kriegführung. Mit dem Fall der Tora Bora-Festungsanlage verloren die Taliban jedoch die Basis für größere, zusammenhängende Verteidigungsoperationen. Im Gegenzug reduzierte sich damit auf Seiten der USA die Möglichkeit, ihre technische Überlegenheit in vollem Umfang zu nutzen und ihre schweren Waffensysteme, insbesondere strategische Bomber und Marschflugkörper, zielführend zum Einsatz zu bringen. Mit der Zerstörung dieser Ziele verlagerte sich der Luftkrieg auf die taktische Unterstützung.(FN34) Bereits im Frühjahr 2002 war zu bemerken, dass die verbliebenen Taliban- und Al Qaida-Kämpfer zu einer ausschließlich subkonventionellen Kampfführung übergegangen waren. Die damit verbundene Aufsplitterung der Kräfte in Kleingruppen, die nur schwer aufzuklären sind und die ohne besondere Vorbereitung und Vorwarnung an vielen verschiedenen Stellen zuschlagen können, stellt ein ständig anzutreffendes Phänomen in asymmetrischen Konstellationen dar. Auch eine scheinbar übermächtige und an Waffengewalt überlegene Streitkraft kann durch einen subkonventionell agierenden Gegner, der ein direktes, offenes Aufeinandertreffen meidet und auf die "Schwachstellen" des Gegners (Versorgungskonvois, entlegene Stützpunkte, Kommandozentralen etc.) abzielt, in erhebliche Bedrängnis geraten, wodurch sich Aufwand und Kosten eines Einsatzes enorm erhöhen können und eine nicht zu unterschätzende psychische Abnützung eintritt.

Zum Einsatz von Spezialkräften und der Bedeutung von Bodentruppen

Schon unmittelbar vor den ersten Luftschlägen wurden US-Spezialkräfte zur Aufklärung und Zielbeleuchtung (Forward Air Controller) in Afghanistan eingeschleust. Sie können im Zusammenhang mit den Luftangriffen auch als "Weapons multiplier" bezeichnet werden und dienen sowohl einer optimierten Zielauswahl und Erhöhung der Treffgenauigkeit der eingesetzten Waffen als auch der Vermeidung von Opfern und Schäden unter der Zivilbevölkerung.

Auch nach dem Rückzug der Taliban und Al Qaida in entlegene Stellungen und Widerstandsnester stützte sich das militärische Engagement der USA in hohem Maße auf eigene und verbündete Spezialkräfte (Special Operations Forces, SOF) ab. Insgesamt dürften dabei etwa 2.000 dieser Elitesoldaten zum Einsatz gekommen sein. Das gemeinsame Vorgehen mit lokalen Kräften, die zwar quantitativ, aber nur selten auch qualitativ den US-Vorstellungen entsprachen, diente dabei dem Erzielen einer höheren Akzeptanz des Engagements in der Bevölkerung, der Nutzung von Orts- und Umfeldkenntnissen sowie der Minimierung des eigenen Kräftebedarfes. Offensichtlich verlangten dabei die Erfahrungen des ersten Jahres unverändert den Einsatz von Spezialkräften, dazu aber auch von regulären Armeeverbänden (Infanterie, Transport- und Kampfhubschrauber-Einheiten, Fernmelde-Kräfte etc.), die im zunehmenden Ausmaß zu diesem Einsatz herangezogen wurden; dazu kamen auch Marine-Infanterie-Einheiten, die einer speziellen Ausbildung unterzogen worden sind.

Auf Dauer betrachtet kann sich das extensive Engagement von Spezialtruppen für die USA als Problem erweisen, da diese konzeptionell nur für kürzere Einsätze vorgesehen und vom Umfang der kampfkräftigen Einheiten beschränkt sind.

Durch eine längerfristige Bindung stehen sie nicht unverzüglich für andere Vorhaben zur Verfügung oder müssten erst aufwändig aus einem Einsatz herausgelöst werden. Angesichts rasch wechselnder, global verstreuter "Hot spots" der US-Außen- und Sicherheitspolitik, die vermehrt das unmittelbare Wirksamwerden von Special Operations Forces erfordern, kann daher das Interesse des Pentagon nur in deren Ablöse durch andere, primär zuverlässige afghanische, Truppen liegen.

An dieser Stelle ist aber auch festzuhalten, dass die kampflose Einnahme Kabuls und der Machtwechsel in Afghanistan nur durch das rasche Vorgehen umfangreicher Bodentruppen der Nordallianz ermöglicht wurden. Zweifellos trugen die Luftangriffe der USA maßgeblich zu deren Erfolg bei. Umgekehrt stellt sich jedoch die Frage, ob der Sturz der Taliban und damit der Entzug der Basis für die Al Qaida allein durch den Einsatz der Spezialkräfte und das Bombardement erfolgen hätte können. Dies erscheint in Anbetracht der Ereignisse als unrealistisch und führt zur Schlussfolgerung, dass trotz aller Erfolge der Luftstreitkräfte einschließlich des strategischen und taktischen Lufttransportes die Entscheidung letztlich durch kämpfende Verbände am Boden herbeigeführt wurde.

Der Vollständigkeit halber sei hier noch auf die Bedeutung von Bodentruppen in der Phase nach dem Niederwerfen oder dem Abzug eines Gegners hingewiesen. So kann in Szenarien wie Kosovo 1999 oder Afghanistan 2001/2002 nur die Präsenz umfangreicher, handlungsfähiger und handlungsbereiter Truppen jenen Sicherheitsrahmen aufbauen und gewährleisten - gegebenenfalls gemeinsam mit noch existenten lokalen Sicherheitskräften - , der für einen politischen, sozialen und ökonomischen Wiederaufbau und eine Gesamtstabilisierung unerlässlich ist.(FN35)

Perspektivisches Resümee

Die Ereignisse im Zeitraum zwischen September 2001 und Ende 2002 geben nicht nur Aufschluss über anzutreffende Phänomene im "Krieg gegen den Terror", wie er in Afghanistan geführt wird, sie animieren auch zu Fragen über die vermutlichen Erfolgsaussichten dieses Kampfes, über die erwartbare weitere Entwicklung und über gesamtstrategische Perspektiven dieser Auseinandersetzung.

Der "Krieg gegen den Terror", wie er ein Jahr lang in Afghanistan geführt wurde, brachte im Grunde genommen keine wesentlichen Neuerungen. Nach dem Technologiebestimmten Auftakt in Form der US-Luftschläge - ein bereits seit Allied Force bekanntes Verfahren - pendelte sich die Qualität der Kriegführung rasch auf dem Niveau innerstaatlicher bewaffneter Konflikte ein. Die Anzahl der eingesetzten US-Soldaten legt die Vermutung nahe, dass es sich aus der Perspektive des Pentagon um einen Low Intensity Conflict handelt, der einen limitierten Streitkräfteeinsatz erfordert. Andererseits wäre ein umfangreicher Streitkräfteaufmarsch aus politischen, militärischen wie auch logistischen Gründen schwierig gewesen.

Drei allgemeine Erkenntnisse aus dem Krieg in Afghanistan

Aus dem Kriegsbild in Afghanistan 2001/2002 lassen sich folgende Ableitungen treffen: Zum Ersten ist festzuhalten, dass es sich bei diesem Krieg um keinen "neuen", sondern um einen " alten" handelt. Spätestens seit dem Übergang der Taliban und Al Qaida zu einer subkonventionellen Kampfführung dominieren Phänomene, wie sie aus unzähligen kolonialen Befreiungs-, Sezessions- und Herrschaftskriegen hinlänglich bekannt sind: ein verdeckt und aus dem Hinterhalt agierender Gegner, keine klaren Fronten, keine Entscheidungsschlachten, Überfallsaktionen und Scharmützel statt Gefechten, Ausweichbewegungen ins sichere Nachbarland, Aufsplitterung statt Konzentration von Kräften, Untertauchen in die Anonymität der Zivilbevölkerung, zermürbende Operationen, um den subkonventionell agierenden Gegner aufzuspüren, und ähnliche Erscheinungsbilder sind kennzeichnend für dieses Szenario. Als jüngste Beispiele können hier die Unabhängigkeitskämpfe der Kosovo-Albaner und der Tschetschenen angeführt werden.

Zum Zweiten ist klar zu erkennen, dass wie im Kosovo-Krieg 1999 eine Entscheidung durch den ausschließlichen Einsatz von Luftkriegsmitteln nicht herbeigeführt werden konnte. Trotz aller technischen Errungenschaften und Fortschritte der US-Streitkräfte bleibt damit die Vorstellung von einem "Air only-Krieg", der eine Entscheidung allein durch den Einsatz von Luftkampfmitteln erzwingen kann, bis auf weiteres Vision. Auch die Vorstellung von einem "klinisch sauberen" Krieg ohne Tote wurde durch die Erkenntnisse aus dem Afghanistaneinsatz nicht genährt. Allerdings belegen der zunehmende Einsatz von Präzisionswaffen und deren permanente technologische Weiterentwicklung eindeutig die Bestrebungen, eine Risikominimierung in bewaffneten Auseinandersetzungen zu erzielen. Damit könnte allerdings auch ein Sinken der politischen Hemmschwelle beim Einsatz militärischer Gewalt einhergehen.

Daraus abgeleitet ist als Drittes zu vermerken, dass Bodentruppen zwar zur Erzwingung einer Entscheidung weiterhin unerlässlich sind, sie aber in den meisten Fällen nicht innerhalb der gewünschten Zeit im erforderlichen Umfang zur Verfügung stehen. Daraus ergibt sich entweder die Notwendigkeit, den Zeitplan auf die Verfügbarkeit dieser Truppen abzustimmen oder sich auf lokale Verbündete abzustützen - mit allen damit verbundenen Vor- und Nachteilen. Mittelfristig betrachtet wird die Lösung aber darin zu suchen sein, die Mobilität, Verfügbarkeit und Interoperabilität möglichst umfangreicher Truppen signifikant zu erhöhen.(FN36) Der Einsatz von Spezialkräften kann hier nur bedingt Abhilfe schaffen, da sie zwar für die unmittelbare Kampfaufgabe bestens geeignet sind, aber in der Regel nur in begrenzter Anzahl und auf bestimmte Zeit verfügbar sind. Zweifellos unterstreicht aber das Kriegsbild in Afghanistan die steigende Bedeutung von Special Operations Forces, womit sich auch die Forderung nach einer Erhöhung des Spezialkräfteanteils in einzelnen Staaten erklärt.(FN37) Zur Frage nach dem Erfolg des US-Streitkräfteeinsatzes

Neben den allgemeinen Erkenntnissen stellt sich abschließend die Frage, ob die USA mit ihren Streitkräften die gesetzten Ziele in Afghanistan erreichen konnten. Als Erfolg ist dabei der vollzogene Machtwechsel von den Taliban auf die Übergangsregierung Karsai zu verbuchen, der zweifellos auf die energische Intervention der USA zurückzuführen ist. Damit ist auch die unter dem Deckmantel souveräner Staatlichkeit erfolgte Unterstützung für die Terrororganisation Al Qaida weggefallen.

Die Zerschlagung der Al Qaida auf afghanischem Territorium und ihr erzwungenes Ausweichen zumindest in angrenzende Gebiete kann ebenfalls als Erfolg verbucht werden. Es ist bislang auch unwidersprochen, dass im Sinne einer Präventionsstrategie mit dem entschlossenen Vorgehen in Afghanistan und den umfangreichen Operationen in der gesamten Region ein klares Signal an potenzielle Terror-Unterstützer gesendet wurde.

Die Bereitschaft mancher Staaten, so etwa des Jemen, bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus eng mit den USA zusammenzuarbeiten, hat sich auch bereits deutlich erhöht. Die darüber hinaus von Verteidigungsminister Rumsfeld angesprochene Sicherstellung humanitärer Hilfe für die leidende Zivilbevölkerung setzte bereits mit Auslösung des Angriffs ein und stellt mittlerweile ein zusätzliches bedeutendes Element des US-Engagements dar.

Der Umstand, dass das personifizierte Oberhaupt des Terrors, Osama bin Laden, im Zuge der umfangreichen Operationen bislang nicht aufgespürt oder gefasst werden konnte, hat vor allem einen negativen symbolischpsychologischen Charakter. Das Auffinden umfangreicher Aufzeichnungen und Pläne der Al Qaida sollte dagegen wertvolle Aufschlüsse über die Organisation, das Netzwerk und dessen konkrete Absichten geben können. Allerdings konnten die USA gemäß eigenen Schätzungen bei ihrem Vorgehen nur etwa 20% der maßgeblichen Al Qaida-Führer festnehmen. Dies lässt zwar den Schluss zu, dass Afghanistan als Drehscheibe und Basis weggefallen, die personelle und vermutlich auch materielle Basis der Terrororganisation aber im Grunde genommen intakt geblieben ist. Vertraulichen israelischen Quellen zufolge wartet etwa die aus Afghanistan vertriebene Al Qaida-Führung in den Nachbarstaaten, insbesondere in Pakistan, die weitere Entwicklung in Afghanistan ab, um eventuell dorthin zurückkehren zu können.

Nur langfristiges Engagement kann Rückfall verhindern

Die weitere Sicherheitsentwicklung in Afghanistan bleibt ebenfalls abzuwarten. Ein ersatzloser Rückzug der USA und ihrer Verbündeten würde ohne Zweifel ein macht- und ordnungspolitisches Vakuum nach sich ziehen und den verbliebenen Taliban- und Al Qaida-Kämpfern, aber auch den lokalen Machthabern nützen. Ein sukzessiver Ersatz der US-Militärs samt alliierter Kräfte durch reguläre afghanische Truppen, die sich derzeit mit massiver US-Hilfe im forcierten Aufbau befinden, scheint dabei aus der Perspektive Washingtons eine zielführende Möglichkeit zu sein, um einen Rückfall und eine zusätzliche Destabilisierung zu verhindern.(FN38) Handlungsfähige afghanische Streitkräfte im erforderlichen Umfang, die gemeinsam mit Polizeikräften tatsächlich eine Stabilität bringende Kontrolle über das gesamte Staatsgebiet ausüben könnten, dürfen jedoch selbst bei optimistischer Schätzung nicht vor drei bis fünf Jahren erwartet werden.

Die Präsenz von Truppen der USA und anderer Staaten bleibt daher bis auf weiteres unverzichtbar, wenn eine Rückkehr der Taliban und Al Qaida nachhaltig verhindert und eine weitere machtpolitische Fragmentierung des Staates Afghanistan samt damit einhergehenden gewaltsamen Rivalitäten unterbunden werden soll. Allerdings können die Streitkräfte nur im Kontext eines umfangreichen internationalen Engagements, das sich am Wiederaufbau des Landes orientiert, erfolgreich sein.

Bezogen auf den multinationalen Streitkräfteeinsatz in Afghanistan könnte eine zumindest partielle Zusammenführung der bisher getrennt ablaufenden Operationen der ISAF und von "Enduring Freedom" unter einem einheitlichen Kommando und mit einem gemeinsamen Auftrag zu wertvollen Synergien und nutzbringenden Effekten führen. Ob der Einsatzraum von ISAF in nächster Zeit auf die weitere Umgebung Kabuls oder gar auf das gesamte afghanische Territorium ausgeweitet wird, bleibt angesichts des bestehenden Sträubens derzeitiger sowie potenzieller Truppen stellender Staaten und der erwartbaren Zusammenstöße mit lokalen Akteuren allerdings abzuwarten.

ANMERKUNGEN:

(Fußnote 1/FN1) Vgl. Carr, Caleb: Terrorismus - die sinnlose Gewalt. Historische Wurzeln und Möglichkeiten der Bekämpfung. München 2002, S.19.

(FN2) Ebenda, S. 14.

(FN3) Vgl. Münkler, Herfried: Terrorismus als Kommunikationsstrategie. Die Botschaft des 11. September. In: Internationale Politik 12/2001, S.11.

(FN4) Ebenda, S. 11f.

(FN5) Münkler, Herfried: Die neuen Kriege. 3. Auflage, Reinbek bei Hamburg 2002, S.54.

(FN6) Vgl. Carr, a.a.O., S.14.

(FN7) Vergleiche in diesem Zusammenhang etwa die Terroraktionen im Vorfeld der Staatsgründung Israels, der Anerkennung der PLO oder als jüngstes Beispiel die Aktivitäten der kosovoalbanischen Befreiungsarmee UCK 1998/99, die bislang zu einer UNO-Protektoratslösung führten.

(FN8) Vgl. in diesem Zusammenhang die drei zentralen Merkmale der Hamburger Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF), um einen Konflikt als "Krieg" oder "bewaffneten Konflikt" einzustufen: (a) an den Kämpfen sind zwei oder mehr bewaffnete Streitkräfte beteiligt, bei denen es sich mindestens auf einer Seite um reguläre Streitkräfte der Regierung handelt; (b) auf beiden Seiten muss ein Mindestmaß an zentral gelenkter Organisation der Kriegführenden und des Kampfes gegeben sein ... ; (c) die bewaffneten Operationen ereignen sich mit einer gewissen Kontinuität ... . In: Rabehl, Thomas, Schreiber, Wolfgang (Hg.): Das Kriegsgeschehen 2000. Daten und Tendenzen der Kriege und bewaffneten Konflikte. Opladen 2001, S. 10.

(FN9) Unter asymmetrisch ist dabei eine Ungleichheit in verschiedenen Dimensionen zu verstehen. So stehen sich etwa idealtypischerweise ein Staat und ein nichtstaatlicher Akteur (i.d.F. USA und Al Qaida) gegenüber, sie verfügen über höchst unterschiedliche Kriegsmittel und sie führen den Kampf auf verschiedene Weise (konventionell versus subkonventionell).

(FN10) Vgl. News Transcript from the United States Department of Defense: DoD News Briefing Donald Rumsfeld, 7.10.2001.

(FN11) Zum Unterschied von einer instrumentellen Kriegführung ist die Risikobereitschaft bei einer existenziellen Kriegführung wesentlich größer, weil entweder das politische Ziel einen erhöhten Einsatz rechtfertigt oder weil die Alternative nur mehr in der Kapitulation besteht.

(FN12) Eine sehr übersichtliche Berichterstattung über die Kampfführung in Afghanistan findet durch Eder/Hofbauer in der ÖMZ seit der Ausgabe 1/2002 laufend statt.

(FN13) Ausspruch eines amerikanischen Offiziers in diesem Zusammenhang: "When we get there they are gone.” (FN14) Vergleiche in diesem Zusammenhang die Probleme der russischen Streitkräfte in Tschetschenien. In: Gustenau, Gustav/Feichtinger, Walter (Hrsg.): Parameter bewaffneter Konflikte. Studien und Berichte der Landesverteidigungsakademie Nr. 4, Wien 2000.

(FN15) UN Security Council: The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security: Report of the Secretary General. A/56/1000-S/2002/737, Punkt IV/24.

(FN16) US-Department of Defense, Fact Sheet February 26, 2002.

(FN17) Operation Enduring Freedom: One Year of Accomplishment. www.whitehouse.gov/infocus/defense/enduringfreedom.html 27.11.2002.

(FN18) Interview des Verfassers im November 2002 mit einem ranghohen kanadischen Offizier, der im Herbst 2001 in Kandahar eingesetzt war.

(FN19) News Transcript from the United States Department of Defense. www. centcom.mil/news/transcript/20021029.htm vom 27.11.2002.

(FN20) Dieser Umstand wird auch durch einen österreichischen Teilnehmer der EU-Wahlbeobachtermission in Pakistan im Oktober 2002 bestätigt.

(FN21) Vgl. Cordesman, Anthony H: The Lessons of Afghanistan: War fighting, Intelligence, Force Transformation, Counterproliferation, and Arms Control. Working draft; Center for Strategic and International Studies, Washington 2002. Manche Experten gehen allerdings davon aus, dass der Anteil an PGM bereits bei Allied Force wesentlich höher war.

(FN22) Das zurückhaltende Auftreten der USA insbesondere hinsichtlich ihrer Truppenpräsenz in Afghanistan wurde von Regierungschef Karsai Ende 2001 explizit betont. Vgl. Eder/Hofbauer in ÖMZ 2/2002 S. 180.

(FN23) Vgl. Eder/Hofbauer in ÖMZ 3/2002 S. 322.

(FN24) Vgl. Conetta, Carl: Operation Enduring Freedom: Why a Higher Rate of Civilian Bombing Casualties. Project on Defense Alternatives Briefing Report Nr 11, Jänner 2002 S.2.

(FN25) Der Wahlausgang in Pakistan im Oktober 2002, der zu einer Stärkung des islamischen Elementes führte, könnte in diesem Zusammenhang zu einer intensivierten Unterstützung der Taliban und Al Qaida führen. Hier ist vor allem der Aspekt eines unproblematischen Rückzugs von Kämpfern aus Afghanistan auf pakistanisches Territorium zu erwähnen.

(FN26) Neben diesem Sicherheitskonzept ist auch auf einen Bericht amerikanischer Wissenschafter der National Academy of Sciences hinzuweisen, die unter dem Titel "Den Terrorismus entmutigen" im September 2002 der US-Regierung bescheinigte, dass eine glaubwürdig vertretene Strategie der Abschreckung der beste Schutz vor neuen Anschlägen sei. Vgl. NZZ, 5.9.2002.

(FN27) Vgl. Ackerman, Robert K.: Technology Empowers Information Operations in Afghanistan. In: Signal, März 2002, S. 17.

(FN28) Vgl. in diesem Zusammenhang Korkisch, Friedrich: Der Paradigmenwechsel im Luftkrieg. In: ÖMZ 5/2002, S.561-572.

(FN29) Vgl. Ackermann, a.a.O., S. 19. Im Zusammenhang mit den immer rascheren Entscheidungsabläufen ist besonders auf den daraus resultierenden, rasant steigenden Zeitdruck für politische Entscheidungsprozesse hinzuweisen. Insbesondere bleiben dabei die Auswirkungen auf institutionelle Prozesse abzuwarten.

(FN30) Meilinger, Philip S.: Preparing For The Next Little War. In: Armed Forces Journal International/April 2002 S. 40.

(FN31) Einen Vorgeschmack auf zukünftige Szenarien liefert in diesem Zusammenhang die Nachricht über die Liquidierung des mutmaßlichen Drahtziehers des Anschlags auf die USS Cole in Aden 2000. Er wurde Anfang November 2002 gemeinsam mit fünf Begleitern, ebenfalls mutmaßliche Al Qaida-Angehörige, während einer Autofahrt im Jemen durch eine von einer Drohne aus abgefeuerte Hellfire-Rakete getötet. Vgl. Der Standard, 6.11.2002.

(FN32) Vgl. Conetta a.a.O. S.3ff.

(FN33) Vgl. in diesem Zusammenhang den Misserfolg russischer Truppen im Zweiten, bereits seit 1999 währenden Tschetschenienkrieg. Trotz vielfacher personeller und materieller Überlegenheit waren sie bislang nicht in der Lage, eine Entscheidung zu Gunsten Moskaus herbeizuführen.

(FN34) Vereinfacht ausgedrückt könnte man sagen, dass die "lohnenden Ziele” abhanden kamen. Die taktische Unterstützung wurde jedoch zunehmend wichtiger, als luftbewegliche Bodentruppen ohne Artillerieunterstützung auf Luft-Boden-Munition angewiesen waren.

(FN35) Als Beispiele seien hier die Präsenz von IFOR/SFOR in Bosnien/Herzegowina ab 1996 sowie von KFOR im Kosovo ab Juni 1999 angeführt.

(FN36) Dies unterstreicht den bereits Anfang der 90er-Jahre festgestellten Transformationsbedarf von Streitkräften. Dass es sich dabei um eine radikale Veränderung handeln könnte, belegt eine Studie namhafter Institute, die für die Reform der US-Streitkräfte einen Zeithorizont von 25 Jahren veranschlagt. Vgl. "Future Military Coalition." Studie herausgegeben von US-CREST/RFS/RUSI/SWP unter Mitarbeit weiterer Institute, September 2002.

(FN37) So hat etwa im kanadischen Verteidigungsministerium ein diesbezüglicher Überprüfungsprozess bereits eingesetzt.

(FN38) Gemäß bisherigen Planungen soll eine afghanische Streitmacht in der Stärke von 80.000 Mann aufgestellt werden. Die USA haben ein 18monatiges Trainingsprogramm gestartet, durch das 11.500 Mann für die neue Armee und die Grenztruppen ausgebildet werden. Parallel dazu hat Frankreich ebenfalls mit der Ausbildung eines ersten Kontingentes begonnen. Die UNO hat für das erste Jahr 300 Millionen US-Dollar veranschlagt, mit denen Gehälter, Grundausrüstung und die Renovierung von Kasernen finanziert werden sollen. Vgl. Report of the Secretary General, Punkt IV/21 und 22.

Die aktuellsten Erfahrungen sind allerdings ernüchternd. So berichten zuverlässige Quellen, dass große Teile des ersten neu formierten Bataillons unmittelbar nach dessen Indienststellung nach altbekannter Söldnermentalität unter Mitnahme ihrer Ausrüstung ins Lager eines lokalen Kriegsherrn wechselten.

Mag. Dr. Walter E. Feichtinger

Geb. 1956; Oberst des höheren militärfachlichen Dienstes; 1976 bis 1979 Theresianische Militärakademie; 1979 bis 1998 Verwendung als Panzeroffizier in verschiedenen Funktionen; 1989 Stabsoffizierskurs; 1991/92 Truppenkommandantenkurs; 1993 bis 1998 Kommandant Panzerbataillon 10; Studium der Politikwissenschaft und Publizistik, 1998 Sponsion Mag. phil; 1998 bis 2001 stellvertretender Leiter des Institutes für Friedenssicherung an der Landesverteidigungsakademie (Spezialgebiet Kriegsbildforschung); 2001 bis 2002 als sicherheits- und verteidigungspolitischer Berater der Stabsstelle Koordinierung der allgemeinen Regierungspolitik im Bundeskanzleramt zugeteilt; seit Mitte 2002 Leiters des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement; Promotion Dr. phil.; Generalsekretär der Österreichischen Offiziersgesellschaft.



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