Interview mit dem Leiter des Zentrums für menschenorientierte Führung und Wehrpolitik
Herr Oberstleutnant Hiess, zu welchen Themen forscht Ihr Institut?
Aufgrund der Aufgabenbereiche, die dem Zentrum für menschenorientierte Führung und Wehrpolitik (ZMFW) an der Landesverteidigungsakademie zugewiesen sind, decken wir ein sehr breites Spektrum an Forschungsbereichen ab.
Dazu gehören die Veranlassung der Durchführung einschlägiger relevanter Forschungsprojekte und wissenschaftlicher Publikationen in den Bereichen der Ausbildungsmethodik, des Führungsverhaltens, der Staats- und wehrpolitischen Bildung, des Kulturgüterschutzes sowie der Kriegs- und Krisensoziologie und dass ein multidisziplinärer Forschungsansatz geboten wird. So können Themenstellungen aus dem Blickwinkel der Psychologie, Soziologie, Philosophie, wie auch der Politikwissenschaften auf den relevanten Forschungsgegenstand realisiert werden.
Weiters sind die Themenbereiche, die vorderhand sehr "zivil" anmuten, wie demographische oder bildungspolitische Entwicklungen, von Interesse für das Zentrum für menschenorientierte Führung und Wehrpolitik. Denn diese Entwicklungen erreichen uns aufgrund der allgemeinen Wehrpflicht, weil sie von den Grundwehrdienern ins Bundesheer hineingetragen werden.
Wo liegt der Schwerpunkt Ihrer Forschung bzw. welches Thema behandeln Sie aktuell?
Wir befassen uns mit unterschiedlichen Thematiken. Ein ganz aktueller Forschungsgegenstand ist etwa die Frage, ob "Homeoffice" mit den Aufgaben und Strukturen des Bundesheeres vereinbar ist. Ein ganz anderer Bereich unserer Forschung zielt darauf ab, die Integrationsleistung des Bundesheeres sichtbar zu machen. Weiters sind derzeit u.a. relevante Forschungsthemen: mediative Kompetenzen in der militärischen Führung, Aspekte von Interkulturalität im Bundesheer sowie Mediation als Unterstützungsleistung für militärische Kommandanten. Darüber hinaus ist eine vertiefte Kooperation mit dem Mauthausen Memorial geplant, die in den Bereich Wehrpolitik und Informationsoffiziere hineinwirkt. Im Bereich der Führungskräfteentwicklung ist ein Forschungsprojekt zum Thema "Auswirkungen von Führung und Führungsstilen auf Soldaten und Truppen und deren Einsatzmotivation und psychische Einsatzbereitschaft" in Vorbereitung.
Welche Personen/Institutionen profitieren von Ihrer Forschung?
Grundsätzlich werden dem gesamten Ressortbereich die Erkenntnisse aus der wissenschaftlichen Forschung des Zentrums für menschenorientierte Führung und Wehrpolitik in Form von Publikationen zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus fließen spezielle Erkenntnisse in Ausbildungen, Kurse und Seminare ein. So werden Erkenntnisse aus der Forschung in die Lehre der Akademien des Verteidigungsministeriums aufgenommen und dienen Kommandanten im Bereich der Führungskräfteentwicklung. Das qualifizierte Personal, z.B. Führungsverhaltenstrainer, die im Zentrum für menschenorientierte Führung und Wehrpolitik ausgebildet werden, tragen die Erkenntnisse direkt in die Ausbildung bei der Truppe.
Darüber hinaus werden laufend Forschungsberichte publiziert, die weit über das Bundesheer und auch die Landesgrenzen hinaus im wissenschaftlichen Bereich Beachtung finden.
Welche Erkenntnisse geben Sie an die Offiziere des Bundesheers weiter?
Wir versuchen, speziell die Führungskräfte des Verteidigungsministeriums/Bundesheeres, aber darüber hinaus eben alle Bediensteten, mit aktuellen Forschungsergebnissen zu erreichen. Diese umfassen die Bereiche Ethik, Pädagogik, Philosophie, Psychologie, Soziologie für die Bereiche Führung und Militär, Wehrpolitik, Kulturgüterschutz, die Gleichstellung sowie die empirische Sozialforschung im Auftrag ressortinterner Stellen. Dabei legen wir Wert darauf, in kollaborativen Verfahren gemeinsam Daten zu interpretieren und Verbesserungsvorschläge auszuarbeiten.
Inwieweit hat sich Ihre Arbeit durch Corona geändert? Welche Forschungsfelder haben sich gerade in Ihrem Bereich durch die Pandemie aufgetan?
Covid-19 hatte auf die Durchführung der Forschung nur geringen Einfluss, gelitten hat allerdings der wissenschaftliche Austausch. Die Betreuung und Zusammenarbeit mit den Milizexperten, verschiedene Koordinierungsformate sowie Projekte und Workshops konnten nicht wie gewohnt durchgeführt werden. Andererseits haben sich spannende Forschungsfelder aufgetan, wie etwa die oben beschriebene "Homeoffice"-Thematik oder die Resilienzfähigkeit der Mitarbeitenden.
Was ist die größte Herausforderung bei Ihrer Arbeit?
Eine große Herausforderung in der Lehre bzw. Ausbildung ist in einer Zeit, in der Fernunterricht und Videotelefon-Konferenzen immer mehr Verbreitung finden - aufgrund der Covid-19-Pandemie hat sich dieser Trend noch verstärkt - die Durchführung von Präsenzunterricht. Es kann gar nicht oft genug betont werden, wie wichtig für die Trainerausbildung des qualifizierten Personals bzw. bei Führungsverhaltens- und Kommunikationstrainings die gemeinsame körperliche Anwesenheit der Ausbildner und Auszubildenden ist. Auch Mediationen, "Teambuildings" und "Coachings" sind nur bei physischer Teilhabe wirklich effektiv. Analog gilt das natürlich auch für die Ausbildung der Informationsoffiziere.
Steckbrief/Zur Person:
Oberrat Oberstleutnant des höheren militärfachlichen Dienstes Mag. (FH) Dr. Gerd-Alois Hiess, BSc MSc, geboren 1980, ist Leiter des Zentrums für menschenorientierte Führung und Wehrpolitik an der Landesverteidigungsakademie. Seit 1999 ist er im Bundesheer aktiv. Von 2014 bis 2018 war er Forscher, Hauptlehroffizier & stellvertretender Institutsleiter am Institut für militärethische Studien. Seit 2018 ist er Leiter des Zentrums für Menschenorientierte Führung und Wehrpolitik.