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Generalmajor Theodor Edler von Lerch

Wie der Alpine Schilauf nach Japan kam

Viele Offiziere der k. u. k. Armee haben Hervorragendes geleistet. In Österreich wohlbekannt sind aber nur jene, die sich in Kriegen besonders ausgezeichnet bzw. auf Forschungsreisen außergewöhnliche Entdeckungen gemacht haben, z. B. Radetzky, Tegetthoff oder Payer und Weyprecht. Die anderen blieben im Inland - unverdienterweise - relativ unbekannt. Einer davon ist Generalmajor Theodor Edler von Lerch, der 1911 als Major den Alpinen Schilauf nach Japan brachte.

Theodor Edler von Lerch wurde am 21. August 1869 in Pressburg (heute Bratislava, Slowakei) als Sohn eines k. u. k. Obersten geboren. Nach der Matura trat Lerch 1888 in die Theresianische Militärakademie in Wiener Neustadt ein, wurde 1891 zum Leutnant ausgemustert und zum Infanterieregiment 102 nach Prag versetzt. In diesem Regiment versah er bis 1894 Dienst in mehreren Funktionen und an verschiedenen Orten, unter anderem in Cattaro (heute Kotor, Montenegro). Im Oktober 1894 wurde er zur Absolvierung des Generalstabskurses an die Kriegsschule abkommandiert. Während des Kurses erfolgte 1895 seine Beförderung zum Oberleutnant.

Ab Ende 1896 diente er ein Jahr als Generalstabsoffizier bei der 59. Infanteriebrigade in Czernowitz (westliche Ukraine) und danach ein Jahr in der Generalstabsabteilung der 11. Infanteriedivision in Lemberg (ebenfalls westliche Ukraine). 1898 erfolgten die Beförderung zum Hauptmann zweiter Klasse und die Abkommandierung zum Infanterieregiment Nr. 62, bei dem er zwei Jahre die 5. Feldkompanie in Marosvásárhely (Ungarn; heute Targu Mures, Rumänien) führte.

1900 wurde Lerch Hauptmann erster Klasse und der Generalstabsabteilung des 14. Korps in Innsbruck zugeteilt. Dort verblieb er bis er 1902 in das Operationsbureau im Kriegsministerium (Wien) versetzt wurde. In dieser Zeit war er u. a. auch Schüler des Schipioniers Mathias Zdarsky. Im Jahre 1908 wurde Lerch zum Major befördert.

Am 26. September 1910 reiste Lerch dienstlich nach Fernost, um Erkenntnisse aus dem Russisch-Japanischen Krieg 1904/05 zu sammeln. Während seines Aufenthaltes in Japan, wo er auch als Schilehrer wirkte, erfolgte 1911 seine Beförderung zum Oberstleutnant. 1912 nahm er an den Manövern in Britisch-Indien teil und trat 1913 wieder den Dienst im Kriegsministerium an.

Lerch war ein guter Schwimmer, Radfahrer, Schiläufer, Eisläufer und Bergsteiger. Er beherrschte schon damals - neben seiner Muttersprache Deutsch - auch Englisch, Tschechisch, Ungarisch, Italienisch, Französisch und Italienisch. Während seines Aufenthaltes in Fernost dürfte er auch etwas Japanisch gelernt haben.

1913 wurde Lerch zum 4. Regiment der Tiroler Kaiserjäger versetzt und mit der Führung des 1. Feldbataillons in Mezzolombardo (Oberitalien) betraut. 1914 erfolgten seine Versetzung zum Infanterieregiment Nr. 87 und die Einteilung als Detachementskommandant in Skutari (heute Shkodra, Nordalbanien).

1914 zum Oberst befördert, wurde Lerch mit Beginn des Ersten Weltkrieges Generalstabschef des neu aufgestellten 17. Korps und erlebte mit diesem seine Feuertaufe an der Ostfront in Galizien. 1916 kämpfte das 17. Korps an der Südfront am Isonzo.

Anfang August 1917 übernahm Lerch das Kommando über die 20. Gebirgsbrigade in Albanien. Ebenfalls in Albanien führte er von Juli bis September 1918 die 93. Infanteriebrigade. 1918 zum Generalmajor befördert, nahm er im Oktober bei der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht von Bayern an den Kämpfen in Flandern teil. 1919 wurde Lerch pensioniert, siedelte sich in der Scheinpfluggasse 16 in Wien an und heiratete am 27. März 1922. Seine Frau brachte zwei Töchter in die Ehe mit.

In der Zwischenkriegszeit unternahm Lerch u. a. mehrere Vortragsreisen und war als Autor tätig. Bei seinen Vorträgen sprach er vor allem über die Anschlussfrage Südtirols und seinen Aufenthalt in Japan. Zu seinen Werken zählen die (unveröffentlichten) Erinnerungen an seine Studienreise in Japan sowie Arbeiten über den Kriegsverlauf im Westen, den Bürgerkrieg in Spanien, den Chinesisch-Japanischen Krieg und über seine Schitouren in Japan.

Lerch, der u. a. Deutschland, die Schweiz, England, Belgien, Frankreich, Italien, Rumänien, Serbien, die Türkei, Japan, Korea, China sowie Teile Indiens bereist hatte, verstarb in der Weihnachtsnacht 1945. Er ruht in einem Ehrengrab im evangelischen Teil des Wiener Zentralfriedhofes.

Nordischer und Alpiner Schilauf in der k. u. k. Armee

Der Nordische Schilauf beruht vor allem auf der Muskelkraft des Schiläufers und auf Pflugtechniken. Die Schibindung ermöglicht eine Drehbewegung der Schuhsohle nach oben bis zu einem Winkel von ca. 45 Grad. Beim Nordischen Schilauf geht es primär um das Zurücklegen weiter Strecken (Schilanglauf).

Der Alpine Schilauf beruht vor allem auf der Ausnützung der Schwerkraft sowie Gewichtsverlagerungs- und Wedeltechniken (früher "Schlangenschwünge" genannt). Die Schibindung (z. B. die von Mathias Zdarsky erfundene Stahlsohlenbindung) ist fest und die Schuhsohle liegt am Ski auf, um dessen Lenkung im Schnee zu ermöglichen. Beim Alpinen Schilauf geht es primär um das Bewältigen von Höhenunterschieden/Befahren von Hängen (Abfahrtslauf, Slalom/Torlauf).

Als Lerch um die Jahrhundertwende mit dem Alpinen Schilauf in Berührung kam, gab es in Österreich bereits engagierte Schiläufer sowohl beim Militär als auch im zivilen Bereich. 1891 hatte der Norweger Fridtjof Nansen das Buch "Auf Schneeschuhen durch Grönland" verfasst, und dieses Buch hatte das Interesse am Schilauf im gesamten Alpenraum gesteigert. Es beeinflusste auch Alpinisten der k. u. k. Armee, die sich anfangs an der norwegischen und schwedischen Schilauftechnik orientierten. Etwa zur selben Zeit fanden die ersten Schilaufübungen von Offizieren in Klosterneuburg statt, und in Steyr und Villach entstanden die ersten Schieinheiten. Die erste organisierte Schiausbildung bei den Kaiserjägerregimentern erfolgte 1894. Ein Jahr später erhielt dort auch der Leutnant der Kaiserjäger Georg Bilgeri seine erste Schiausbildung. Danach übte er mit seinen Kameraden in der Garnison Hall in Tirol den Schilauf. 1897 erschien Bilgeris "Anleitung für den Gebrauch von Schneeschuhen und Schneereifen" - ein Vorläufer der Alpinvorschriften. Diese wurde an alle Kommanden bis zur Bataillonsebene verteilt.

Gleichfalls unermüdlich wirkte der in Lilienfeld (Niederösterreich) wohnhafte, aus Südmähren stammende, Lehrer, Maler und Bildhauer Mathias Zdarsky, der 1897/98 mit der systematischen Schiausbildung bei einzelnen Regimentern begann. In dieser Zeit war der Schilauf in Mitteleuropa bereits ein Wirtschaftsfaktor: Schigebiete wurden erschlossen und Schifabriken entstanden. Die k. u. k. Armee richtete 1905 ihre erste Schiwerkstätte in Salzburg ein. 1906/07 wurden dort bereits 1 400 Paar Schier hergestellt. Auch Lerch - damals Hauptmann des Generalstabes im Kriegsministerium - war ein Schüler Zdarskys (siehe Foto links).

Ein entscheidender Schritt zur Vereinheitlichung gelang 1910 Hauptmann Bilgeri durch die Vereinigung der beiden wichtigsten Laufstile, der "Lilienfelder" Einstocktechnik von Zdarsky und seiner eigenen Zweistocktechnik. Bilgeri wurde damit zum Wegbereiter des modernen Schilaufes.

Als Major Lerch 1910 nach Japan aufbrach, verfügte er bereits über ein fundiertes schifahrerisches Können.

Warum Japan?

Japan war Anfang des 20. Jahrhunderts ein begehrtes Reiseziel für Militärs aller Länder. Der Grund dafür lag in den Siegen japanischer Streitkräfte zu Lande über Russland und China (bei Port Arthur und Mukden) und auf See über Russland (Seeschlacht von Tsushima). Der erste Chinesisch-Japanische Krieg 1894/95 sowie der Russisch-Japanische Krieg 1904/05 hatten auch die verheerende Wirkung der modernen Artillerie und der Maschinenwaffen gezeigt. Die europäischen Großmächte waren daher interessiert, die Wirkungen dieser neuen Waffensysteme vor Ort zu studieren.

Um 1850 waren die japanischen Soldaten teilweise noch mit Luntenschlossmusketen bewaffnet gewesen. Angesichts der Bedrohung von außen wurde jedoch eine zeitgemäße Rüstungsindustrie aufgebaut und dafür ausländische Berater ins Land geholt - vor allem Franzosen und Briten. Japaner bereisten Europa und die USA, um die Neuerungen in Wissenschaft und Technik sowie im Militärwesen zu studieren und nach Japan zu bringen. Das Land durchlebte unter Meiji Tenno (japanischer Kaiser, 1868 bis 1912) einen Aufholprozess, der zur raschen Industrialisierung führte und einen zügigen Ausbau des Heeres und der Flotte mit sich brachte. Der Aufstieg machte sich auch in der Bevölkerungszahl bemerkbar, diese stieg von ca. 25 Millionen im Jahre 1870 bis zum Jahr 1910 auf über 50 Millionen (heute ca. 127 Millionen). In Tokio, der größten Stadt Japans, wohnten 1910 ca. 1,9 Millionen Menschen (heute ca. 8,5 Millionen).

Japan unterhielt seit 1869 diplomatische Beziehungen zur Donaumonarchie. Das Land exportierte nach Österreich Seidenprodukte, Wolle und Papier. Österreich lieferte nach Japan Wollprodukte, Papier- und Metallwaren. Zu den wichtigsten österreichischen Lieferanten zählte Böhler in Kapfenberg. Japanische Delegationen besuchten laufend die Böhlerwerke, um dort Stahl einzukaufen - u. a. für die neuen japanischen Infanteriegewehre. In manchen Jahren machten bei der Ausfuhr österreichischer Produkte Waren von Böhler über 70 Prozent des Gesamtwertes aus.

Takata 1911: ein starker Beginn

Lerch verließ am 26. September 1910 an Bord des Lloyddampfers "Franz Ferdinand" Triest in Richtung Fernost. Mit an Bord waren sein Kamerad, Major des Generalstabes Franz Putz, der designierte Militärattaché in Japan, sowie zwei Paar Alpinschier und eine Alpinausrüstung. Die "Franz Ferdinand" traf fahrplankonform in der Nacht zum 30. November 1910 in Yokohama ein. Nach der Vorstellung im japanischen Kriegsministerium bat Lerch, in eine schneesichere Garnison geschickt zu werden, und wurde deshalb dem 58. Infanterieregiment in Takata zugeteilt.

Die Japaner, die über einen Militärattaché in Wien verfügten, wussten von den Fortschritten des Alpinen Schilaufes in der k. u. k. Armee. Sie wussten auch, dass Lerch ein exzellenter Schiläufer war. Der Kommandant der 13. Division, Generalleutnant Nagaoka Gaishi (im Japanischen wird der Familienname generell zuerst genannt; Anm.), dem auch das Regiment in Takata unterstand, hatte darüber hinaus einige Jahre in Deutschland als Militärattaché verbracht, galt als sehr deutschfreundlich und sprach ausgezeichnet Deutsch. Er unterstützte Lerch bei den Bemühungen, den Schilauf in der kaiserlich-japanischen Armee populär zu machen.

Lerch reiste in der ersten Jännerwoche 1911 nach Takata. Der Besuch eines Europäers galt damals in diesem entlegenen Teil Japans als Sensation. Am Bahnhof der Kleinstadt befanden sich bei Lerchs Ankunft bereits eine Offiziersabordnung des Regimentes, der Bürgermeister der Stadt Takata und ein Journalist der "Takata Shinbun" ("Takata-Zeitung").

Lerch wurde vom Kommandanten des 58. Infanterieregimentes, Oberst Horiuchi Bunjiro, freundlich willkommen geheißen. Dieser verfügte bereits über Kenntnisse im Nordischen Schilauf (Langlauf) und war daher begeistert, als er Lerchs Alpinschier, die in Takata noch unbekannt waren, erblickte.

Horiuchi und Lerch kamen überein, dass Schier dieses Musters im Arsenal von Tokio angefertigt werden sollten. Nach zwei Wochen wurden die ersten zehn Paar Schier ausgeliefert, und man konnte mit der praktischen Ausbildung beginnen. An einem der ersten Ausbildungstage fragte der Regimentskommandant Lerch, ob er auch steile Hänge abfahren könne. Lerch bejahte dies und ihm gelang sturzfrei eine Abfahrt (eine Kerndisziplin des Alpinen Schilaufs) über einen relativ steilen Hang. Als er in guter Haltung zum Stehen kam, wurde er mit dem Ruf "Banzai" ("10 000 Jahre!"; Hurra-Ruf, der für 10 000 Jahre Glück bringen soll) gefeiert. So hielt der Alpine Schilauf in Japan Einzug.

Lerchs erste japanische Ausbildungsgruppe bestand aus Offizieren des Regimentes einschließlich des Regimentskommandanten. Geübt wurde an mehreren Orten und drei- bis viermal pro Woche. Im Gelände wurde eifrig der Fahrstil von Zdarsky trainiert. Lerch sprach dabei französisch und der Hauptmann des Generalstabes Yamaguchi übersetzte die Anweisungen ins Japanische. Legendär wurde Lerchs häufige Anweisung "Mettre ski!" ("Ski anschnallen!"), sie brachte ihm den Spitznamen "Monseigneur mettre ski" ein. Am 12. Februar unternahm die Ausbildungsgruppe die erste ganztägige Tour auf den 1 700 Meter hohen Nambuyama, und in der Folgewoche gab es bereits einige militärische Übungen auf Schiern.

Die Schibegeisterung erfasste immer mehr Japanerinnen und Japaner und führte auch zur Gründung des ersten japanischen Schiklubs am 19. Februar 1911. Lerch und der japanische Marschall Nogi Gensui wurden zu Ehrenmitgliedern ernannt. Beim Gründungsakt waren japanische Prinzen ebenso anwesend wie der japanische Unterrichtsminister. 1912 zählte der Klub bereits ca. 6 000 Mitglieder.

In Takata war Lerch stets ein gern gesehener Gast des Divisionskommandanten Generalleutnant Nagaoka Gaishi. Zwischen den beiden Offizieren entstand bald eine Freundschaft, die erst mit Nagaokas Tod 1933 endete. Beide trafen einander nach dem Ersten Weltkrieg in den 1920er Jahren in Wien. Nagaoka zur Seite stand 1911 der bereits oben erwähnte Hauptmann des Generalstabs Yamaguchi, der nach dem Ersten Weltkrieg als Oberst das japanische Mitglied des Grenregelungsausschusses im Burgenland war. Yamaguchi und Lerch trafen einander 1922 ebenfalls in Wien wieder.

Ein Teil der japanischen Schigeschichte ist der Versuch Lerchs, den 3 778 m hohen Fuji - den höchsten Berg Japans - im Winter zu besteigen. Der weithin sichtbare Fuji gilt seit der Staatsgründung als heilig. Es war ein Ziel jedes Japaners und jeder Japanerin, einmal im Leben den Fuji zu besteigen - allerdings in den Sommermonaten, denn in den Wintermonaten war das aufgrund der Schneelage und des eisigen Windes lebensgefährlich.

Vom Regiment durfte kein Offizier an Lerchs Bergtour teilnehmen, vermutlich weil auch aus religiösen Gründen im Winter kein Japaner den Berg besteigen sollte. Begleitet von einem Österreicher, Herrn von Kratzer, gelangte Lerch bis auf ca. 3 600 m, dann musste er umkehren. Blankes Eis machte das Weiterkommen unmöglich und Lerch war für eine Eistour nicht ausgerüstet. Er fuhr deshalb ins Tal ab, wo ihn bereits ein Redakteur des "Asahi Shinbun" erwartete. Lerch berichtete auch Marschall Nogi, dem Ehrenpräsidenten des japanischen Schiklubs, vom Scheitern seiner Winterbesteigung des Fuji und erhielt dabei von Nogi ein handgeschriebenes Gedicht: "Hoch in den Himmel ragt der mächtige Fuji. Im Morgenrot liegt unter ihm glitzernd das Land der aufgehenden Sonne. Sage aber nicht engherzig, dass dieses Land schön ist, wenn dich nicht echte heiße Vaterlandsliebe durchglüht." Nach dem Winter widmete sich Lerch dem Studium der Ausbildung und der Übungstätigkeit des kaiserlich-japanischen Heeres. Im Juli 1911 nahm er an einem Fußmarsch vom Japanischen Meer bis zum Pazifik, im September an einer Übung der Kavallerie und im November an den Kaisermanövern auf der Insel Kyushu teil. Bei den Kaisermanövern gab es unter anderem ein Wiedersehen mit dem ehemaligen Regimentskommandanten in Takata. Horiuchi war mittlerweile Generalmajor und Kommandant der 23. Infanteriebrigade auf Kyushu. Bei der Rückfahrt vom Manövergebiet nach Tokio besuchte Lerch Nagasaki, Miyajima, Hiroshima und Osaka.

An die Einführung des Alpinen Schilaufes in Takata durch Lerch erinnern ein großes Schimuseum, ein Denkmal und das jährliche Lerch-Fest im Februar. Auch die japanischen Reiseführer und Schibücher nennen Lerch stets im Zusammenhang mit der Einführung des Schilaufes.

Asahikawa 1912: die erfolgreiche Fortsetzung

Wieder in Tokio erhielt der inzwischen (1911) zum Oberstleutnant beförderte Lerch die Einberufung zum 7. Artillerieregiment in Asahikawa. Dort sollte er Anfang Februar 1912 seinen Dienst antreten. Asahikawa liegt im Nordwesten der Insel Hokkaido und war damals eine junge, mit ausländischer Hilfe geplante Militärstadt in der drei Infanterieregimenter, ein Artillerieregiment, ein Kavallerieregiment, ein Pionierbataillon und ein Trainbataillon stationiert waren.

Nach seinem Eintreffen am 6. Februar 1912 erhielt Lerch eine Wohnung in einem Offizierswohnhaus. Auf Ersuchen des Kommandanten der 7. Infanteriedivision, Generalleutnant Hayashi Taiichiro, zeigte sich Lerch gerne bereit, auch auf Hokkaido Schiunterricht zu erteilen. Im Februar 1912 zeigte das Thermometer tagsüber minus 12 bis minus 15 Grad Celsius, nachts fiel es bis auf minus 30 Grad. Der Winter war sehr streng und schneereich. Lerch konnte daher, sobald die Ausrüstung beschafft und die Schier aus Takata eingetroffen waren, mit der Schiausbildung beginnen. Die Ausbildungsgruppe aus Subalternoffizieren der in Asahikawa stationierten Regimenter war einen Monat nach Kursbeginn bereits in der Lage, eine Schitour zum nahe der Stadt Asahikawa gelegenen Artillerieschießplatz zu unternehmen.

Zur Auflockerung der fordernden Schiausbildung wurde mit den Pferden des Artillerieregimentes auf dem großen Exerzierplatz der Militärstadt Schijöring betrieben: der Schiläufer lässt sich dabei an zwei langen Leinen von einem Pferd ziehen. Eine besondere Herausforderung erwartete den Schikurs Mitte April 1912: der Berg Yezo Fuji (heutiger Name Yotei, siehe Fotos rechts und umseitig), aufgrund seines Aussehens und seiner Höhe auch der Fuji von Hokkaido genannt, sollte mit Schiern bestiegen werden. Neben den Offizieren der 7. Division nahm daran auch ein Journalist der "Otaru Shinbun" teil. Während der Besteigung war es extrem kalt, und einzelne Teilnehmer erlitten Erfrierungen an Händen und Füßen. Dennoch gelangen der Aufstieg und die Abfahrt.

Die Stadt Asahikawa würdigte das Wirken Lerchs mit einem Denkmal am Flughafen der Stadt und einer Dauerausstellung im Hokuchin-Museum (dem Garnisonsmuseum) über die Einführung des Alpinen Schilaufes in Hokkaido durch Lerch.

Lerchs weitere Reisen in Fernost

Nachdem Lerch seinen Auftrag in Asahikawa erfüllt hatte, kehrte er nach Tokio zurück und wurde dort am 13. September 1912 Zeuge des Begräbnisses des Meiji Tenno. Der Tod des Meiji Tenno war auch der Anlass für den Selbstmord von Marschall Nogi und seiner Frau in der Nacht zum 14. September 1912. Das Begräbnis von Marschall Nogi fand am 18. September statt.

Am 21. September trat Oberstleutnant Lerch die Rückreise an. Auf der Reise zum Hafen von Shimonoseki, einer Stadt im Westen der Hauptinsel Honshu, besuchte Lerch noch die Städte Hakone, Nagoya, Ise, Nara, Kyoto und Hiroshima.

Ende September verließ er Japan mit dem Schiff Richtung Korea. Dort besichtigte er Seoul, danach fuhr er weiter nach Port Arthur und Mukden. Die Reise führte ihn weiter nach Peking, Shanghai und Hongkong. Danach nahm er ein Schiff nach Britisch-Indien, um dort im November 1912 an den großen Manövern teilzunehmen. Nach Wien zurückgekehrt, nahm Lerch Anfang 1913 seinen Dienst im Kriegsministerium wieder auf.

Lerchs Nachfolger

Der Schilauf nahm in Japan nach 1912 einen rasanten Aufschwung. Pisten wurden erschlossen und eine große Anzahl an Schutzhütten errichtet. Doch der Erste Weltkrieg bewirkte einen Einschnitt in den Beziehungen zwischen Österreich und Japan. Erst in den 1920er Jahren kam es zwischen den Schibegeisterten beider Länder wieder zu Kontakten. Diese gipfelten 1930 im Besuch von Hannes Schneider, einem der besten Schiläufer und Schilehrer seiner Zeit. Schneider war sehr früh mit dem Film in Kontakt gekommen und hatte Anfang der 1920er Jahre Schifilme gedreht, die in der ganzen Welt begeisterte Zuseher fanden. Offensichtlich waren die Japaner dadurch auf Schneider aufmerksam geworden und hatten ihn eingeladen, nach Japan zu kommen. Schneider traf am 16. März 1930 in Tokio ein und wurde auf dem Bahnhof von General Nagaoka begrüßt. Der österreichische "Schistar" hielt in Japan zwanzig Vorträge vor Publikum sowie drei Radiovorträge und veranstaltete drei zweitägige und zwei eintägige Schikurse.

Der nahende Zweite Weltkrieg und die diesem folgende Stagnation bremsten auch die Verbreitung des Schilaufs. Erst 1958 kam Rudi Matt aus St. Anton - ein weiterer österreichischer Schipionier - nach Japan und lehrte dort. Anfang der 1960er Jahre waren es Professor Stefan Kruckenhauser und Anfang der 1970er Jahre Professor Franz Hoppichler, die erneut österreichische Schifahrtechnik nach Japan brachten.

Auch legendäre Schi-Asse hoben den Ruf des österreichischen Schisportes in Japan, allen voran Toni Sailer, der Dreifachsieger bei den Olympischen Winterspielen in Cortina d´Ampezzo 1956. Später sorgten der Ausschluss von Karl Schranz von den Olympischen Winterspielen in Sapporo 1972 und der spektakuläre Sturz Hermann Maiers bei den Olympischen Winterspielen in Nagano 1998 für Schlagzeilen.

Lerch war übrigens nicht der einzige österreichische Soldat, der nach Japan kam, um dort im dienstlichen Auftrag eine Schiausbildung durchzuführen. Zwei Unteroffiziere des Österreichischen Bundesheeres bildeten u. a. japanische "Ranger" im Winterkampf auf Hokkaido aus: die Offiziersstellvertreter Walter Niederreiter (1963 und 1965/66) und Manfred Hutter (1965/66). Die beiden Unteroffiziere unternahmen im Zuge der Ausbildung auch ausgedehnte Touren durch das winterliche Hokkaido.

(Auch der Verfasser dieses Beitrages unterstützte die Aufrechterhaltung der österreichischen Schitradition in Japan: Er hielt heuer in Asahikawa zwei Vorträge - auf Japanisch - über das Leben von Lerch und den Schilauf in der k. u. k. Armee. Anm. d. Red.).

Auf einen Blick

Major Lerch wurde zur richtigen Zeit am richtigen Ort eingesetzt. Er konnte so seine militärischen und zivilen Fähigkeiten voll entfalten und damit nachhaltig Wirkung erzielen. Selbst wenn bei der Einführung des Schilaufes durch Lerch der Zufall Regie geführt haben mag, schmälert dies nicht die Leistungen Lerchs, die in Österreich bislang kaum Beachtung gefunden haben. An ihn erinnert "daheim" weder ein Jahrgangsname noch ein Denkmal.

Von Lerch sind zwar keine Heldentaten in Kriegen dokumentiert, auch hat er kein neues Land entdeckt. Aber er bewährte sich im Ersten Weltkrieg als umsichtiger Vorgesetzter, der seine Soldaten nicht rücksichtslos in den Tod schickte. Darüber hinaus hatte er im "Friedensbetrieb" den Alpinen Schilauf nach Japan gebracht und sich dadurch auf besondere Weise um Österreich verdient gemacht. Unter den ca. 127 Millionen Japanerinnen und Japanern sind Millionen begeisterte Schifahrer. Viele davon verwenden österreichische Wintersportartikel oder üben ihr Hobby in Österreich aus.

Fragt man einen japanischen Durchschnittsbürger, welche Österreicher er kennt, folgen nach kurzem Nachdenken stets mehrere Namen. Immer dabei sind Mozart - und Lerch.


Autor: Brigadier Dr. Harald Pöcher, Jahrgang 1956. Ab 1975 Theresianische Militärakademie; ab 1978 Ausbildungsoffizier und Lehrzugskommandant an der Militärakademie; ab 1982 Sanitätsschule; 1982 bis 1990 Studium der Volkswirtschaft, anschließend Dienst im Militärkommando Burgenland; seit 1996 im Bundesministerium für Landesverteidigung (und Sport), derzeit Leiter der Revisionsabteilung B. Leiter des Sachgebietes Wirtschaft der Bundesheerreformkommission 2010. 2008 Habilitation an der Zrinyi Miklós Universität in Budapest.

Als Quelle für die weitere österreichisch-japanische Lerch-Forschung werden vom Verfasser dieses Beitrages Zeitzeugen gesucht, die Generalmajor Lerch noch persönlich gekannt haben, ebenso Fotos von Lerch, Korrespondenz und andere Originalschriftstücke, die mit seinem Wirken zusammenhängen. Kontaktaufnahme bitte via Telefon (0664 622 1043) oder via E-Mail (harald.poecher@bmlvs.gv.at).

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