Ethica 2010
Nie allein gelassen. Verwundung - Trauma - Tod im Einsatz
Verlag:
Institut für Religion und FriedenISBN:
978-3-902761-07-1Seiten:
144Autor(en):
Msgr. Giuseppe Chizzali, Benoist Galvan, MilDekan Mag. Erich Hitz, DI Peter Kaiser, Dr. Oswald Klingler, Dr. Manfred Krampl, ObstdhmfD Mag. Christian Langer, Dr. Erich Lehner, Dr. Siegmund Linder, Mag. Michael Mikas, Mag. Elisabeth Schneider, MjrArzt Dr. Klaus WolffBeiträge in dieser Publikation:
Vorwort
EDITORIAL Mit den Kriegen in Afghanistan und im Irak sind Verletzungen, Traumata und tödliche Verwundungen wieder zum Alltag in den Armeen vieler europäischer Staaten geworden. Allein die Opferzahlen des Afghanistan-Krieges sind erschreckend hoch. Seit 2001 sind bis Ende November 2010 insgesamt 2.239 Soldaten aus den Reihen jener Streitkräfte ums Leben gekommen, die an der Operation Enduring Freedom und der International Security Assistance Force (ISAF) teilnehmen. Der Blutzoll wird dabei immer höher. Waren in den ersten Kriegsjahren "nur" höchstens 70 Tote pro Jahr auf Seiten der Koalition rund um die USA und auf Seiten der Schutztruppe zu beklagen, waren es im Jahr 2009 schon 521 tödlich Verwundete. Noch verheerender scheint die Bilanz für das Jahr 2010 zu werden: Bis Ende November haben schon 669 Soldaten ihr Leben verloren. Freilich tragen die USA auch bei den Opferzahlen die Hauptlast, doch die Anzahl der getöteten Soldaten auf Seiten der europäischen Verbündeten lässt ebenso keine Zweifel am kriegerischen Charakter des Afghanistan-Einsatzes aufkommen: Frankreich muss bereits 50 Tote, Deutschland 45, Dänemark 39, Italien 33, Spanien 30, die Niederlande 25 und Polen 22 Tote beklagen. Den höchsten Blutzoll auf europäischer Seite muss jedoch Großbritannien bewältigen: Bisher wurden 345 Briten im Zuge des Einsatzes in Afghanistan getötet. Was den Irak-Krieg betrifft, so verloren bisher über 300 europäische Soldaten ihr Leben.1 Angesichts dieser enormen Opferzahlen sollte jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass der Blutzoll unter der Zivilbevölkerung und den einheimischen Sicherheitskräften sowohl im Irak als auch in Afghanistan noch um ein Vielfaches höher ist.
Ist die Zahl der tödlich verletzten Soldaten in den Reihen der europäischen Streitkräfte schon hoch genug, so sind noch viel mehr Verwundete und Traumatisierte zu verzeichnen. Schwere, möglicherweise lebenslang Spuren hinterlassende Verletzungen sowie psychische Traumata bedeuten nicht nur für die Betroffenen und ihre Angehörigen beträchtliches Leid; auch die Streitkräfte, das Gesundheitssystem sowie Staat und Gesellschaft müssen die Folgen wie Behandlung, Rehabilitation und Wiedereingliederung der Betroffenen in den Arbeitsmarkt bewältigen. Die wirtschaftlichen und sozialen Kosten sind enorm.
Die Militärseelsorger sind oftmals unmittelbar mit dem Leid von getöteten, verwundeten oder traumatisierten Soldaten konfrontiert. Sie übernehmen in vielen Fällen die seelische Betreuung der verletzten Opfer, der Kameraden und unter Umständen auch der Familien. Sie müssen Fragen nach dem Sinn des Leids, des Kriegs und des Lebens überhaupt beantworten und müssen mit dem selbst erlebten Leid umgehen.
Die steigende Zahl von verwundeten und getöteten europäischen Soldaten sowie die unausweichlichen Auswirkungen und Herausforderungen für die Streitkräfte und die Militärseelsorge waren der Grund dafür, dass sich die Enquete des Instituts für Religion und Frieden Ende Oktober 2009 dem Thema "Nie allein gelassen. Verwundung - Trauma - Tod im Einsatz" stellte. Wie bereits seit einigen Jahren Tradition waren auch zu dieser Enquete auf Einladung von Bischofsvikar Dr. Werner Freistetter, dem Leiter des Instituts für Religion und Frieden, zahlreiche Militärseelsorger und Militärbischöfe aus insgesamt elf europäischen Ländern nach Wien gekommen. Sie tauschten ihre Erfahrungen mit körperlichen und seelischen Verletzungen und Todesfällen in ihren jeweiligen Streitkräften aus und berieten über die damit in Zusammenhang stehenden Konsequenzen für die Seelsorge. Wesentlicher Bestandteil dieser Enquete waren jedoch auch Vorträge von Fachleuten wie Ärzten, Psychologen und Psychotherapeuten, die die Phänomene Verwundung, Trauma und Todesfall aus verschiedenen Blickwinkeln heraus beleuchteten.
Im vorliegenden Band Ethica 2010 wird die Thematik noch vertieft. Der Militärarzt Klaus Wolff legt dar, welche Verletzungen durch die heute üblichen Waffengattungen hervorgerufen werden. Peter Kaiser vom Roten Kreuz stellt das System der Triage, der Prioritätenreihung bei der Behandlung einer Vielzahl von Verletzten, näher vor. Sigmund Linder, Psychologe am Rehabilitationszentrum Weißer Hof, skizziert, wie Betroffene mit Verwundungen und Verstümmelungen umgehen (lernen).
Was das Thema Trauma betrifft, schildert Oswald Klingler, nach einer Einführung von Christian Langer, die Anfänge des Kompetenzzentrums für Stressmanagement und Psychotraumatologie beim Österreichischen Bundesheer. Elisabeth Schneider und Manfred Krampl von der Sicherheitsakademie des Innenministeriums berichten, wie in den Reihen der österrei-chischen Polizei Hilfe für traumatisierte Einsatzkräfte geleistet wird. Erich Hitz, Militärpfarrer in Niederösterreich, hingegen geht der Frage nach, wie der Glaube helfen kann, seelische Wunden und Traumata zu heilen.
Tod und Sterben in der heutigen Gesellschaft werden vom Psychotherapeuten Erich Lehner analysiert. Der Notfallpsychologe Michael Mikas befasst sich mit der Überbringung von Todesnachrichten an die jeweiligen Angehörigen. Abschließend schildern die Militärseelsorger Benoist Galvan (Frankreich) und Giuseppe Chizzali (Italien) ihre Aufgaben im Todesfall eines Soldaten.
Vor alldem enthält die Ethica 2010 die Botschaft von Papst Benedikt XVI. zum Weltfriedenstag am 1. Jänner 2010.
Gerhard Marchl Institut für Religion und Frieden 1 Für eine genaue Aufschlüsselung der Opferzahlen siehe die Website http://icasualties.org/oef.