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Krieg und Wiederaufbau im Irak

von Andreas Wenger

Kurzfassung

◄ Es wäre zu einfach, die Erklärung für das Scheitern einer konsensfähigen Irak-Politik auf die allerseits überbordende Rhetorik und eine schwache Diplomatie zu beschränken. Die eklatanten Meinungsverschiedenheiten in der Irakfrage spiegelten eben auch äusserst kontroverse Einschätzungen über Ursache und Wirkung asymmetrischer Bedrohungen und Risiken wider. Vier sicherheitspolitische Fragen standen im Irak-Konflikt zur Debatte, die zu sehr kontroversen Antworten führten: die erste suchte zu eruieren, ob und inwieweit die bestehenden internationalen Institutionen, Rechtsgrundsätze und Regime einer Anpassung an die neuartigen sicherheitspolitischen Herausforderungen bedürfen, die zweite, ob den neuen asymmetrischen Risiken eher mit zivilen oder mit militärischen sicherheitspolitischen Strategien und Mitteln begegnet werden soll. Drittens stellte sich die Frage, ob von einem Krieg im Irak positive oder negative Impulse für die Stabilität des Nahen und Mittleren zu erwarten waren, und viertens, ob sich eine Politik des militärischen Regimewechsels positiv oder negativ auf die Bekämpfung des internationalen Terrorismus und die Bemühungen zur Eindämmung der Proliferation von Massenvernichtungswaffen auswirken würde.

Den Frieden im Nachkriegsirak herzustellen hat sich schwieriger erwiesen, als den Krieg zu gewinnen. Der Übergang in die Nachkriegsphase ist gründlich missglückt, und die Ausgangslage für den politischen Wiederaufbau stark belastet. Schuld daran sind schwer wiegende politische Fehleinschätzungen neokonservativer Kräfte in der zivilen Führung des Pentagons, das Fehlen eines klaren Konzepts für die Übergangszeit, die nach Kriegsende wiederum zutage getretenen Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Pentagon und dem US-Außenministerium und der hohe politische Preis für das Ausbleiben eines Konsenses im UNO-Sicherheitsrat.

Die Lehren aus dem Irak-Krieg sind, dass es erstens sinnlos ist, Kriege zu gewinnen, wenn der erfolgreiche Abschluss der Kampfhandlungen nicht in tragfähige politische Lösungen umgesetzt werden kann; eine Strategie zur erfolgreichen Bewältigung asymmetrischer Herausforderungen kann nur dann erfolgreich sein, wenn sie Stabilisierung und Wiederaufbau gleichberechtigt neben der Kriegführung stehen. Zweitens mussten die Europäer erkennen, dass sie die Rolle der militärischen Mittel im Rahmen einer pro-aktiven und robusten Präventionsstrategie überdenken müssen, weil eine solche asymmetrische Risiken nur dann erfolgreich bekämpfen kann, wenn sie präemptive und präventive Optionen enthält. Drittens sollten sowohl die USA als auch die Europäer eine Strategie anstreben, die Prävention, Krisenmanagement, Stabilisierung und Wiederaufbau in einen Gesamtzusammenhang stellt.

Dem Nahen und Mittleren Osten drohen in den kommenden Jahrzehnten eine Serie politischer Implosionen und sozialer Explosionen. Die strukturellen Probleme dieser Region sind gewaltig. Am Ursprung der zunehmenden Spannungen steht eine demografische Krise. Die langfristigen Auswirkungen des Irakkrieges auf die Region sind noch nicht absehbar. Die bisherigen Entwicklungen machen aber deutlich, dass der Reformdruck auf die arabischen Regimes stark angestiegen ist.

Die Irakdebatte war eingebettet in den Kontext des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus islamistischer Ausprägung einerseits und der Eindämmung der Proliferation von Massenvernichtungswaffen unter staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren andererseits. Die Frage nach der Effektivität der bestehenden multilateralen Regimes und Institutionen zur Verhinderung der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen ist im heutigen sicherheitspolitischen Umfeld berechtigt.

Knapp ein Jahr nach Kriegsbeginn im Irak ist das zentrale Dilemma der USA als globale Ordnungsmacht sichtbar geworden: Auf lange Sicht kann Washington asymmetrische Herausforderungen durch terroristische Netzwerke und autoritäre Staaten nicht im Alleingang bewältigen. Nur eine Politik des entschlossenen Eintretens gegen die Gefahren des 21. Jahrhunderts wird eine multilaterale Konfliktlösung ermöglichen. Eine intensive Debatte um den Wandel der internationalen Sicherheitspolitik im Zeichen asymmetrischer Bedrohungen tut Not - im europäischen, im transatlantischen und im globalen Rahmen. Gefragt ist die Bereitschaft zur Suche nach neuen Antworten bzw. zu einer wohl überlegten Anpassung der internationalen Institutionen und Regime. ►


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Krieg und Wiederaufbau im Irak

Internationale Sicherheitspolitik im Zeichen asymmetrischer Bedrohungen

Der politische Preis für das Ausbleiben eines Konsenses in der Frage von Krieg und Frieden im Irak war alles andere als gering: Kurzfristig standen die tiefe Spaltung des UNO-Sicherheitsrates sowie die Schwächung des Völkerrechts und der multilateralen Strukturen im Fokus der internationalen Medienberichterstattung. Mittlerweile findet zwar die politische Losung "Zurück zum Pragmatismus" wieder vermehrt Gehör. Noch immer aber machen sich die sehr unterschiedlichen Ansichten, wie den Unsicherheiten eines globalisierten Umfeldes begegnet werden soll, als schwere Hypothek für die Gestaltung einer tragfähigen politischen Nachkriegslösung im Irak und stabiler Ordnungsstrukturen im Nahen und Mittleren Osten sowie für den Kampf gegen den globalen Terrorismus und die Weiterverbreitung von Massenvernichtungsmitteln bemerkbar.

Wie ist zu erklären, dass es der internationalen Gemeinschaft nicht gelang, eine konsensfähige Irakpolitik zu finden? Der Hinweis auf eine überbordende Rhetorik und eine schwache Diplomatie bildet einen ersten Erklärungsansatz. Die Verantwortung für das Nicht-Zustandekommen eines Konsenses im Sicherheitsrat ist auf beiden Seiten des Atlantiks zu suchen. Die unnötig harsche Rhetorik neokonservativer Kreise in Washington stieß auch traditionelle Alliierte der USA vor den Kopf. Die Europäer wiederum waren tief gespalten und brachten den politischen Willen für gemeinsames Handeln nicht auf. Schließlich überrollten die Ereignisse die Akteure und Präsident Bush fand sich an einem Punkt wieder, an dem ein weiteres Zuwarten mit einem unerträglichen Prestigeverlust verbunden zu sein schien.

In dieser rhetorisch aufgeheizten internationalen Atmosphäre versagten die diplomatischen Bemühungen um eine konsensfähige Politik kläglich. Weder gelang es den Diplomaten, die Gemeinsamkeiten in der Bedrohungswahrnehmung herauszuarbeiten, noch die Notwendigkeit eines komplementären Einsatzes ziviler und militärischer Instrumente in einem breiten internationalen Rahmen hervorzuheben. Es wäre nun allerdings zu einfach, die Erklärung für das Scheitern der UNO-Abrüstungspolitik auf die allerseits überbordende Rhetorik und eine schwache Diplomatie zu beschränken. Die eklatanten Meinungsverschiedenheiten in der Irakfrage spiegelten eben auch äußerst kontroverse Einschätzungen über Ursache und Wirkung asymmetrischer Bedrohungen und Risiken wider. In den sehr unterschiedlichen nationalen Antworten auf die neue sicherheitspolitische Ausgangslage seit dem 11.9.2001 sind die tieferen Gründe für das Ausbleiben eines Konsenses in der Irakpolitik zu sehen.

Die Irakdebatte wurde im Kontext von vier sicherheitspolitischen Fragen geführt, die im Dialog zwischen Washington und den europäischen Hauptstädten allesamt Anlass zu sehr kontroversen Antworten waren. Die erste Debatte konzentrierte sich auf die Frage, ob und inwieweit die bestehenden internationalen Institutionen, Rechtsgrundsätze und Regime den neuartigen sicherheitspolitischen Herausforderungen angepasst werden müssen.(Fußnote 1/FN1) Die zweite Debatte ging der Frage nach, ob den neuen asymmetrischen Risiken eher mit zivilen oder mit militärischen sicherheitspolitischen Strategien und Mitteln begegnet werden soll. Die dritte Debatte entzündete sich an der Frage, ob von einem Krieg im Irak positive oder negative Impulse für die Stabilität des Nahen und Mittleren Ostens und für die Palästinafrage zu erwarten waren. Die vierte Debatte schließlich drehte sich um die Frage, ob sich eine Politik des militärischen Regimewechsels positiv oder negativ auf die Bekämpfung des internationalen Terrorismus und die Bemühungen zur Eindämmung der Proliferation von Massenvernichtungswaffen auswirken würde.

Nicht ganz ein Jahr nach Kriegsbeginn sollen diese Debatten in Erinnerung gerufen werden. Dies erlaubt in der Rückschau zu fragen, welche Antworten durch die Ereignisse eine Bestätigung erfahren haben und wo offensichtliche Fehleinschätzungen sichtbar geworden sind. In vielerlei Hinsicht ist es allerdings zu früh, abschließende Lehren aus den Ereignissen im Irak zu ziehen. Zwar ist die Phase der umfassenden militärischen Kampfhandlungen abgeschlossen, die langfristigen lokalen, regionalen und globalen politischen Folgen des Konflikts sind aber nach wie vor nur schwer abschätzbar. Es kann sich also lediglich um eine Momentaufnahme internationaler Sicherheitspolitik handeln, die seit dem Ende des Kalten Krieges von zunehmender Komplexität, Vielschichtigkeit und anhaltendem Wandel geprägt ist.

Legitime Gewalt im Zeichen asymmetrischer Bedrohung

Der 11.9.2001 löste eine intensive Debatte über die internationalen Regeln und Organisationen aus, die als Ausnahmen zum allgemeinen Gewaltverbot die Androhung und Anwendung von Gewalt legitimieren. Seit diesem definierenden Moment in der Entwicklung des internationalen Systems sind asymmetrische Herausforderungen wie mit Massenvernichtungsmitteln ausgerüstete terroristische Gruppierungen zum strukturierenden Faktor der internationalen Beziehungen geworden. Diese Entwicklung stellt die Staatenwelt vor schwierige Fragen, denn die bestehenden Regeln des Völkerrechts und die Entscheidungsmechanismen im UNO-Sicherheitsrat sind auf die Regulierung staatlicher Gewaltanwendung ausgerichtet.

Die USA als direkt betroffener Staat und globale Ordnungsmacht begannen die Frage nach der Flexibilität und Reformfähigkeit der UNO und nach der Anpassungsfähigkeit der internationalen Regeln und Regime alsbald mit neuem Nachdruck zu stellen. In seiner Rede zur Lage der Nation am 29.1.2002 machte Präsident Bush deutlich, dass sich die USA das Recht vorbehielten, ihre eigenen Sicherheitsinteressen auch angesichts asymmetrischer Bedrohungen weltweit durchzusetzen, und kündigte die Ausarbeitung einer neuen sicherheitspolitischen Strategie an. Am 17.9.2002 - rund ein Jahr nach den Terrorschlägen von New York und Washington - präsentierte Präsident Bush das Resultat dieser Bemühungen dem amerikanischen Kongress und der Weltöffentlichkeit.(FN2) Die neue Sicherheitsstrategie führte präemptive Militärschläge in die amerikanische Doktrin ein. Allerdings diskutierte sie die präemptive Option ausschließlich im Kontext der Frage, wie der Bedrohung durch Terroristen globaler Reichweite und durch Schurkenstaaten wie den Irak und Nordkorea (der Iran wurde nicht genannt) begegnet werden sollte.(FN3) Der 11.9.2001 habe gezeigt, dass sich die USA angesichts solcher Bedrohungen nicht mehr auf eine allein reaktive Haltung verlassen könnten. Solche Angreifer könnten nicht abgeschreckt werden, sie würden unmittelbar und jederzeit ohne Vorwarnung und angesichts der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen mit potenziell verheerenden Konsequenzen angreifen können.(FN4) Die Strategie brachte damit zum Ausdruck, dass sich die USA nicht mehr in erster Linie durch andere Großmächte wie China und Russland, sondern zunehmend durch Massenvernichtungswaffen aus den Arsenalen autoritärer Staaten herausgefordert sahen, die in terroristische Hände gelangen könnten. Gleichzeitig machte das Dokument deutlich, dass die USA ihre militärische Vormachtstellung gegen jede aufstrebende Macht zu verteidigen beabsichtigten, weshalb Abschreckung und Eindämmung weiterhin bedeutungsvoll blieben.

Präemptive Selbstverteidigung angesichts eines unmittelbar bevorstehenden bewaffneten Angriffs durch einen anderen Staat ist im Sinne von Art. 51 der UNO-Charta erlaubt. Die neue Sicherheitsstrategie forderte nun aber, dass der Begriff der "unmittelbaren Bedrohung" den Zielsetzungen und Möglichkeiten von Terroristen globaler Reichweite und von Schurkenstaaten angepasst werde. Das Papier verwischte die Grenzen zwischen präemptiver und präventiver Kriegführung. Dies gab zu Befürchtungen Anlass, dass sich daraus eine schleichende Ausweitung legitimierter Gewaltausübung ergeben könnte. Europäische Stimmen warnten denn auch zu Recht, dass ein dringender Bedarf nach Klärung der Begrifflichkeiten bestehe.(FN5) Das Vorgehen gegen Afghanistan im Rahmen der UNO machte dabei deutlich, dass nicht das Recht auf Selbstverteidigung gegen nicht-staatliche Akteure per se umstritten war, sondern in erster Linie die Diskussion der präemptiven Option gegen Schurkenstaaten.

Die Präsentation der neuen Sicherheitsstrategie im Kontext der Irakdebatte - nur wenige Tage nach Präsident Bushs Grundsatzrede zur Zukunft des Rüstungskontrollregimes gegen den Irak vor der UNO - löste verbreitete völkerrechtliche und politische Bedenken aus. Es ging im Irakkrieg nicht um vorbeugende Maßnahmen gegen eine unmittelbar bevorstehende Bedrohung der USA, womit der Krieg nicht als präemptive Selbstverteidigung bezeichnet werden konnte. Auch die Legitimation der Intervention unter Bezugnahme auf frühere UNO-Resolutionen als Maßnahme im Rahmen des Systems der kollektiven Sicherheit fand in Abwesenheit einer erneuten expliziten Resolution außerhalb der angelsächsischen Welt nur bei einer Minderheit von Völkerrechtlern Zustimmung. Das präventive militärische Handeln der USA war in der Tat nur schwer mit dem geltenden Völkerrecht in Einklang zu bringen. In diesem aufgeheizten internationalen Kontext reduzierte sich die Interpretation der neuen Sicherheitsstrategie der USA in weiten Teilen der Weltöffentlichkeit auf Schlagworte: Militärische Präemption im Alleingang schien die neue Losung der amerikanischen Außenpolitik zu heißen!

Ein knappes Jahr später ist zweierlei festzustellen: Einerseits bemühen sich die USA, die Bedeutung der präemptiven Option im Rahmen ihrer sicherheitspolitischen Strategie zu relativieren. In einem Artikel in der renommierten Zeitschrift "Foreign Affairs" betonte Außenminister Colin Powell vor kurzem die zentrale Rolle von UNO, NATO und anderen Allianzen für die USA.(FN6) Andererseits stößt die Notwendigkeit, den vorbeugenden Streitkräfteeinsatz angesichts neuartiger Bedrohungen als Teil eines umfassenden Verständnisses von "Verteidigung" zu verstehen, auf eine immer breitere internationale Resonanz. Javier Solanas Strategieentwurf für Europa hält fest, dass Europa in Zukunft häufiger handeln muss, bevor Konflikte und Bedrohungen akut geworden sind. Konfliktprävention ist eine Stärke der Europäer, bisher allerdings beschränkt auf den Bereich der "soft power". Solanas Strategiepapier fordert nun die Europäer dazu auf, die Rolle der militärischen Mittel im Rahmen einer robusten Präventionsstrategie neu zu überdenken. Die EU nimmt Abschied vom Konzept einer reinen Zivilmacht, betont aber, dass Europa militärische Mittel erst nach Ausschöpfung aller anderen Mittel zur Anwendung bringen will.(FN7) Die EU und die NATO brauchen eine Strategie, die die politische Option enthält, präventiv zu handeln.(FN8) Die Diskussion, an welche Bedingungen - Unmittelbarkeit und Plausibilität der Bedrohung, Verhältnismäßigkeit der Mittel - der vorbeugende Streitkräfteeinsatz gebunden werden soll, ist dringend und sollte in einem multilateralen Rahmen geführt werden. Damit verbunden ist die Frage nach einer wohl überlegten Reform der UNO.(FN9) Das Vetorecht stellt für die permanenten Mitglieder des Sicherheitsrates ein institutionelles Mittel dar, um Macht auszuüben und ihre Interessen zu verfolgen. Die Vetodrohungen Frankreichs und Russlands waren nicht zuletzt vom Willen angetrieben, die Welt in ein multipolares System zurückzuführen und damit gleichzeitig den eigenen Einfluss in der internationalen Politik zu vergrößern.(FN10) Die USA wiederum versuchten die UNO für die Durchsetzung von Ordnungsvorstellungen einzusetzen, die das Heranwachsen einer unmittelbaren Bedrohung durch den Irak frühzeitig unmöglich machen sollten.

Der Schlüssel zum Funktionieren der UNO als System der kollektiven Sicherheit ist die Kompromissbereitschaft der verschiedenen Staaten, insbesondere der permanenten Mitglieder des Sicherheitsrats.(FN11) Im Kalten Krieg war diese nicht gegeben, und damit war eine Blockierung des Sicherheitsrates unabwendbar. Seit dem Ende der bipolaren Ära haben sich die Machtstrukturen des internationalen Systems dramatisch verändert: Das Staatensystem hat sich ausdifferenziert, die Machtzentren sind global verteilt, und in der Hierarchie folgen auf die verbleibende Supermacht USA fünf oder sechs Großmächte mit globalem Einfluss und eine Reihe von mittleren und kleineren Staaten der jeweils betroffenen Region. Gleichzeitig wird das Staatensystem als Folge der Globalisierung immer stärker überlagert von Netzwerken nicht-staatlicher Akteure.

Angesichts des grundlegenden Wandels der Rahmenbedingungen der internationalen Politik im Zeitalter asymmetrischer Bedrohungen ist eine vorsichtige Anpassung der internationalen Regeln zur legitimen Gewaltausübung unausweichlich. Sind beispielsweise die USA im Vergleich zu Frankreich unterrepräsentiert und ist Frankreich im Vergleich zu Indien oder Deutschland überrepräsentiert? Und wie soll das wachsende Machtpotenzial nicht-staatlicher Akteure berücksichtigt werden? Diese hochkomplexen Fragen erfordern intensive Konsultationen zwischen den USA, ihren Alliierten und weiteren internationalen Akteuren, wenn sie einer tragfähigen Lösung zugeführt werden sollen. Eine pragmatische Zuwendung der Kriegsbefürworter wie der Kriegsgegner zu multilateralen Institutionen liegt damit auf lange Sicht im Interesse aller.

Militärische versus zivile Mittel: Krieg und Wiederaufbau im Irak

Mit den Ereignissen des 11.9.2001 verschärften sich die Meinungsunterschiede hinsichtlich der Frage, mit welchen Mitteln die neuartigen sicherheitspolitischen Herausforderungen am besten bewältigt werden können. Die Europäer warnten davor, die militärischen Aspekte ins Zentrum der internationalen Strategie gegen den Terrorismus zu stellen. Terrorismus und innerstaatliche Gewaltkonflikte könnten auf lange Sicht nur bewältigt werden, wenn ihre politischen, sozialen und wirtschaftlichen Ursachen im Rahmen einer umfassenden Präventionsstrategie erfolgreich angegangen würden. Washington dagegen fürchtete mehr als alles andere, dass sich den USA feindlich gesinnte Staaten mit terroristischen Akteuren zusammenschließen könnten. Daher waren die USA in der Irakfrage auch nicht länger bereit, eine Politik des Abwartens zu verfolgen, sondern drängten immer vehementer auf eine Militärintervention.

Die Debatte über Möglichkeiten und Grenzen der militärischen respektive der zivilen Mittel setzte sich auch im Kontext der Irakdebatte fort. Die Europäer bestritten nicht grundsätzlich, dass der Irak notfalls auch militärisch abgerüstet werden müsse.(FN12) Sie fürchteten aber, dass dies nur zum Preis unverhältnismäßig hoher politischer und menschlicher Kosten möglich sein würde. Die Befürchtung, dass ein Militärschlag mit unwägbaren Risiken verbunden sei, ging einher mit großer Skepsis, dass der Wiederaufbau erfolgreich verlaufen und in eine tragfähige politische Nachkriegslösung münden würde.(FN13) Die USA dagegen setzten auf einen schnellen Krieg, hielten die Risiken der militärischen Phase für vertretbar und zeigten sich optimistisch, dass die militärische Entmachtung Saddam Husseins in eine radikale Neuordnung der politischen und wirtschaftlichen Strukturen des Iraks münden werde.(FN14) Unbestritten war, dass die Auswirkungen eines Landkrieges samt Regimewechsel für den Irak - wie für die gesamte Region - umfassend ausfallen würden. Ob die negativen Erwartungen der Europäer oder die positiven Erwartungen der USA mittel- und langfristig überwiegen würden, hing erstens vom Verlauf des Krieges und zweitens vom Verlauf des politischen Wiederaufbaus ab. Mittlerweile wissen wir, dass die Aufgabe, den Krieg zu gewinnen, im Rahmen der optimistischeren Vorkriegsszenarien der USA gelöst wurde. Die Bewältigung der Herausforderung, den Frieden zu gewinnen, scheint sich dagegen eher gemäß den pessimistischeren europäischen Vorkriegsszenarien zu entwickeln.

Die militärische Phase verlief im Rahmen der in großen Zügen bereits lange vor Kriegsbeginn bekannten Planungen. Innerhalb von nur vier Wochen - zwischen dem 20.3. und dem 9.4. - besiegten die ca. 250.000 Mann starken Koalitionsstreitkräfte der Amerikaner und Briten die insgesamt ca. 400.000 Mann starken irakischen Streitkräfte und Spezialtruppen.(FN15) Den weniger als 200 Gefallenen der Koalitionsstreitkräfte standen nach groben Schätzungen zwischen 5.000 und 20.000 getötete irakische Soldaten gegenüber. Den Kampfhandlungen in den Städten dürften zwischen 1.500 und 5.000 Zivilisten zum Opfer gefallen sein.(FN16) Amerikanische und britische Verbände flogen über 41.000 Einsätze und warfen dabei beinahe 30.000 Bomben ab, rund 70% davon präzisionsgesteuert.(FN17) Die Kriegsplanungen bewährten sich in ihren Grundzügen. Sie waren darauf angelegt, mit massiven kombinierten Luft- und Bodenoperationen unter weitest möglicher Schonung der Zivilbevölkerung, der zivilen Infrastruktur und der regulären Armee des Irak die Kommandostrukturen des Regimes und die schweren Waffen der Republikanischen Garden (gegen die sich mehr als 50% der Luftangriffe richteten) zu paralysieren.

Die gerade in Europa von vielen erwarteten Schreckensszenarien stellten sich nicht ein. Die Ölquellen und Dämme fielen mehrheitlich intakt in die Hände der Koalitionstruppen. Umfassende Flüchtlingsströme blieben aus. Massenvernichtungswaffen kamen nicht zum Einsatz. Die Kampfhandlungen mündeten nicht in einen wochenlangen Städtekampf mit rasch steigenden Opferzahlen; und ein Ausufern des Krieges auf die umliegenden Staaten konnte verhindert werden. Nach Erklärungen für den insgesamt günstigen Kriegsverlauf wird noch lange gesucht werden, die Konturen der Debatte lassen sich aber dennoch bereits nachzeichnen: Machen die einen irakische Schwäche - eine mittelmäßige Armee ohne Luftunterstützung, taktische Mängel der Elitetruppen im Kampf um Bagdad, die Einheit zwischen Saddam Hussein und den Irakern als Mythos - für den Gang des Krieges verantwortlich, verweisen andere auf die Stärke der USA: solide Kriegsplanung, technische und organisatorische Überlegenheit, Schnelligkeit und Flexibilität in der Ausführung.

Die Koalitionstruppen waren ihrem Gegner sowohl auf der strategischen als auch auf der taktischen Ebene jeweils einige Schritte voraus. Erste Auswertungen des Kriegsverlaufes heben vier Elemente amerikanischer Stärke besonders hervor.(FN18) Erstens wird auf die Schnelligkeit und Flexibilität der Kommandostrukturen auf der Basis einer überlegenen Informationslage hingewiesen. Hier gilt es die Vorteile einer Netzwerk-basierten Kriegführung sorgfältig zu studieren, die Sensoren, Command and Control-Prozesse und Waffenplattformen in einer gemeinsamen Informationsumgebung zusammenführt und damit die eigene Reaktionszeit über eine Integration von Strategie, Taktik und Operationen stark verbessert.(FN19) Zweitens haben die US-Truppen große Fortschritte bei der Kombination von Luft- und Bodenangriffen unter Beweis gestellt. Diese kombinierten Luft-Boden-Angriffe erwiesen sich auch bei schlechtem Wetter und in der Nacht als effektiv bei der Bekämpfung der Republikanischen Garden. Drittens griffen die Koalitionstruppen mehr als bisher auf Special Operations Forces zurück, dies zum Schutz von Ölquellen und Dämmen, zur Sicherung von Flugplätzen, bei der Suche nach Exponenten des Regimes sowie zur gezielten Schwächung der irakischen Kommandostrukturen. Viertens gingen schließlich insbesondere die Briten bei ihrem Einmarsch in Basra mit viel taktischem Geschick vor. Mit selektiven Angriffen und Aufklärungsoperationen erhöhten sie schrittweise den Druck auf die verbleibenden Regimekräfte und bemühten sich parallel dazu, die irakische Bevölkerung auf ihre Seite zu ziehen.

Den Frieden im Nachkriegsirak herzustellen hat sich schwieriger erwiesen, als den Krieg zu gewinnen. Die Herstellung von Ruhe und Ordnung, der zivile und administrative Wiederaufbau, die Schaffung rechtsstaatlicher Institutionen und partizipativer politischer Prozesse sowie die Inangriffnahme sozialer und wirtschaftlicher Reformen sind höchst komplexe Aufgaben, deren Erfolg sich nicht in Wochen, sondern nur in Jahren bemessen lässt.(FN20) Die Regierung Bush wird sich davor hüten müssen, den Irakkrieg auf Grund des raschen Sieges auf dem Gefechtsfeld vorschnell zum Erfolg zu erklären. Erfolg definiert sich über die langfristigen politischen Folgen des Krieges mit Blick auf die Tragfähigkeit der politischen Nachkriegslösung im Irak, die Stabilität des arabischen Raumes und den Kampf gegen den globalen Terrorismus.

Schon kurz nach dem offiziellen Ende der Kampfhandlungen nahmen die Aktivitäten der bewaffneten Oppositionskräfte in Quantität und Qualität zu. Im September und Oktober 2003 schwoll die Zahl der Anschläge auf über 40 pro Tag mit durchschnittlich drei getöteten US-Soldaten an, womit von einem eigentlichen Guerillakrieg gesprochen werden konnte. Hinter den Anschlägen standen Überbleibsel des Saddam-Regimes (Mitglieder der Baath-Partei, der Milizen und der Sicherheitsdienste) und Anhänger militanter islamistischer Gruppierungen (Ansar-al-Islam, Al Qaida, arabische Feiwillige), wobei insbesondere Synergieeffekte zwischen den zwei Gruppierungen zur Sorge Anlass gaben. Der Angriff auf die UNO-Vertretung in Bagdad, dem der höchste Vertreter vor Ort, Sergio Vieira de Mello, zum Opfer fiel, unterstrich dabei den nationalistischen Fokus der Guerilla. Die Attentate gegen Iraker, die mit den Besatzungsmächten kooperierten, zielten darauf ab, die Legitimität des von den USA eingesetzten Regierenden Rates zu unterhöhlen.

Auch nach der Festnahme Saddam Husseins am 14.12.2003 stabilisierte sich die Lage im Irak nicht. Dies kann insofern nicht erstaunen, als im Irak nach Jahren eines diktatorischen Regimes keine funktionsfähigen politischen Parteien vorhanden sind. Die Verteilung von Macht und Autorität gleicht der Quadratur des Kreises. Auf Grund des Kriegsverlaufs und des darauf folgenden Machtvakuums haben sich die ohnehin vorhandenen Dezentralisierungstendenzen verstärkt. Religiöse Kräfte moderater islamischer Provenienz, tribale Familien- und Clanstrukturen sowie lokale Formen des Selbstschutzes und der Selbstorganisation prägen das gegenwärtige politische Kräftespiel. Der Forderung der kurdischen Parteien nach einem föderalen Staatsaufbau mit größtmöglichen Kompetenzen des Nordens, Südens und des Kernlandes steht der Ruf der schiitischen Mehrheit nach baldigen Wahlen gegenüber. Genau an diesen inneren Gegensätzen setzt der Versuch extremistischer Gruppierungen an, im Irak einen Bürgerkrieg zu entfachen.

Den USA ist der Übergang in die Nachkriegsphase gründlich missglückt. Washington muss sich den Vorwurf gefallen lassen, die Ausgangslage für den politischen Wiederaufbau stark belastet zu haben. Dabei ist erstens auf schwer wiegende politische Fehleinschätzungen neokonservativer Kräfte in der zivilen Führung des Pentagons und im Büro des Vizepräsidenten hinzuweisen, die erwartet hatten, als Befreier willkommen geheißen zu werden. Damit verbunden war der Glaube, im Nachkriegsirak ließen sich die politischen und wirtschaftlichen Strukturen radikal neu ordnen, und die Öleinnahmen würden es erlauben, den zivilen und administrativen Wiederaufbau zügig zu bewältigen. Der politische Wiederaufbau würde nach der Auflösung der irakischen Streitkräfte und einer umfassenden "Ent-Baathisierung" unter Führung der Exil-Iraker um Dschalabi vorangetrieben werden. Diese Hoffnungen waren auf Sand gebaut und weisen auf mangelnde Erfahrung im "Nation building" und wenig Sensibilität für lokale kulturelle und politische Traditionen hin.

Zweitens machte sich das Fehlen eines klaren Konzepts für die Übergangszeit bemerkbar, das, aufbauend auf den Erkenntnissen und Erfahrungen früherer Krisen - frühzeitige Planung, rasche Herstellung von Ruhe und Ordnung, rasche Umstellung von Kampf- auf Polizeiaufgaben, Wichtigkeit ziviler Polizeikräfte, klare Schnittstellen zwischen militärischen und zivilen Akteuren -, rasches Handeln ermöglicht hätte.(FN21) Weder die zivile Führung des Verteidigungsministeriums noch die Militärs oder das Außenministerium zählten "Nation building" zu ihren zentralen Aufgaben. Es entbehrt denn auch nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet die Regierung Bush, die ihren demokratischen Vorgängern Ressourcenverschleiß in diesem Bereich vorgeworfen hatte, in Afghanistan und im Irak "Nation building" in großem Stil betreiben will - ohne klare Vorstellungen allerdings, was das Ausmaß der eingegangenen Verpflichtungen hinsichtlich Zeit, Personal und Geld anbelangt.(FN22) Überrascht vom schnellen Ende des Krieges gelang es den Besatzungsmächten erst nach Tagen, die für einen staatlichen Neuaufbau minimale Sicherheit herzustellen. Die Strategie der Kampfführung mit relativ kleinen, aber hoch mobilen Streitkräften und der Wegfall der Nordfront führten zu einem Mangel an Soldaten bei der Umstellung auf Polizeiaufgaben. Die Schäden an der Infrastruktur und der Zivilverwaltung des Landes auf Grund von Plünderungen dürften den Schäden durch direkte Kriegseinwirkungen in nichts nachstehen.

Der Wiederaufbau wurde drittens behindert durch die nach Kriegsende wiederum zutage getretenen Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Pentagon und dem Außenministerium. Die Zurückstufung der Behörde von General Jay Garner und die Einsetzung des Diplomaten Paul Bremer zur Überwachung des politischen und wirtschaftlichen Transformationsprozesses bildeten dabei nur die sichtbare Spitze grundsätzlich verschiedener Herangehensweisen an die Aufgabe des politischen Wiederaufbaus. Die Nachkriegsphase war geprägt von einem unübersichtlichen Gerangel um Zuständigkeiten zwischen den zwei Ministerien. Auch der Nationale Sicherheitsrat, dem Präsident Bush lediglich eine beratende Rolle zugesteht, vermochte den interministeriellen Politikprozess nicht voranzutreiben. Die organisatorischen Schwächen der Regierung Bush sind unübersehbar.

Viertens schließlich bezahlten die USA einen hohen politischen Preis für das Ausbleiben eines Konsenses im UNO-Sicherheitsrat. Die weit verbreitete Skepsis gegenüber dem amerikanischen Vorgehen verhinderte eine rasche Internationalisierung des Wiederaufbaus. Ohne klares juristisches Fundament zogen sich die Diskussionen um die Rolle der UNO im irakischen Wiederaufbau ergebnislos dahin. Verbessert sich die Sicherheitslage nicht markant, dann werden sich internationale Organisationen wie die UNO, die EU und die NATO, aber auch zivilgesellschaftliche und private Akteure nur mit großer Zurückhaltung im Irak engagieren. Je länger die Besatzungsmächte als alleinige Garantiemächte des politischen Prozesses auftreten, desto stärker wird der Anti-Amerikanismus zum Motor der politischen Mobilisierung werden.

Vor diesem Hintergrund haben sich die USA zu einer beschleunigten "Irakisierung" und der Rückgabe der Souveränität bereits im Juni 2004 entschieden. Noch ist allerdings unklar, wie sich die schiitische Mehrheit mit ihrer Forderung vorgezogener Wahlen verhalten wird. Vorgezogene Wahlen mit Unterstützung der UNO und ein verzögertes Ende der Besetzung scheinen zur Zeit wahrscheinlich. Eine ganze Reihe von Schlüsselfragen harrt auch nach der Unterzeichnung des vorläufigen Grundgesetzes durch den Regierenden Rat weiterhin einer klaren Antwort: Wie kann eine Balance zwischen einer säkularen und einer islamischen Ordnung gefunden werden? Wie stark zentralisiert resp. dezentralisiert sollen die neuen politischen Strukturen des Iraks sein? Wann ziehen sich die USA aus dem Irak zurück? Werden die Oppositionsgruppierungen auf das blutige Spiel mit der öffentlichen Sicherheit verzichten? Dem Irak steht ein langwieriger Prozess der Stabilisierung mit unsicherem Ausgang bevor.

Drei Lehren lassen sich aber bereits heute aus den Ereignissen im Irak ziehen: Die USA haben erstens erfahren, dass es sinnlos ist, Kriege zu gewinnen, wenn der erfolgreiche Abschluss der Kampfhandlungen nicht in tragfähige politische Lösungen umgesetzt werden kann. Eine Strategie zur erfolgreichen Bewältigung asymmetrischer Herausforderungen kann nur dann erfolgreich sein, wenn sie Stabilisierung und Wiederaufbau gleichberechtigt neben die Kriegführung stellt. Washington weist im Bereich der "soft power" einen großen Nachholbedarf auf. Die Europäer haben zweitens erkannt, dass sie die Rolle der militärischen Mittel im Rahmen einer pro-aktiven und robusten Präventionsstrategie überdenken müssen. Eine Strategie zur erfolgreichen Bewältigung asymmetrischer Risiken kann nur erfolgreich sein, wenn sie als äußerste Mittel der Politik präemptive und präventive Optionen enthält. Eine Voraussetzung dafür ist, dass die Europäer die Transformation ihrer Streitkräfte in Richtung kleinerer, leichterer und mobilerer Verbände ernsthaft vorantreiben.(FN23) Drittens schließlich müssen sich sowohl die USA als auch die Europäer um eine Strategie bemühen, die Prävention, Krisenmanagement, Stabilisierung und Wiederaufbau in einen Gesamtzusammenhang stellt. Die Komplexität der neuen Risiken erfordert einen Strategieansatz, der die zivilen und die militärischen Instrumente als komplementäre Mittel zum Einsatz bringt. Nur im Rahmen einer kohärenten Gesamtstrategie kommen die Stärken der NATO und der EU ergänzend zum Tragen. Und nur auf dieser Basis wird sich die Partnerschaft zwischen den USA und den europäischen Staaten als Kooperationsrahmen unter Gleichberechtigten mit ähnlichen Werten und Interessen neu aufbauen lassen.

Der regionale Kontext: Stabilität im krisengeplagten Nahen und Mittleren Osten

Ohne Zweifel tangieren die gesellschaftlichen Krisen in der arabischen Welt mit ihren wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen den Westen stark. Es geht aber in erster Linie um eine Auseinandersetzung innerhalb der arabischen Zivilisation, wobei moderate Kräfte der Reform fundamentalistischen Kräften der Reaktion gegenüberstehen. Der Westen ist nicht das direkte Ziel dieser Auseinandersetzung; er kann sich ihren globalen Auswirkungen gleichwohl nicht entziehen - sei es als Projektionsfläche fundamentalistischer Ideologien, sei es als Zielland der muslimischen Auswanderung, oder sei es als Konsument des arabischen Öls.(FN24) Das wird von niemandem bestritten. Bereits seit einigen Jahren ist man sich aber dies- und jenseits des Atlantiks uneinig hinsichtlich der Frage, wie sich der Westen angesichts der politischen Gewaltkonflikte im arabischen Raum verhalten soll.(FN25) Die anhaltenden transatlantischen Meinungsverschiedenheiten im Bereich der Nahostpolitik verschärften sich parallel zur Zuspitzung der Irakkrise. Die weiche Haltung vieler Europäer im Rahmen der Irakdebatte ging einher mit Befürchtungen, die militärische Option würde zu einer weiteren Destabilisierung dieser labilen Region führen und einem "Kampf der Kulturen" Vorschub leisten.(FN26) Die USA dagegen argumentierten, ein Machtwechsel in Bagdad werde der Demokratisierung der ganzen muslimischen Welt entscheidende Impulse verleihen und eine stabile Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens möglich machen. Gleichzeitig würden die Chancen für eine Deblockierung des palästinensisch-israelischen Konflikts steigen.(FN27) Dem Nahen und Mittleren Osten droht in den kommenden Jahrzehnten eine Serie politischer Implosionen und sozialer Explosionen. Die strukturellen Probleme dieser Region sind gewaltig. Am Ursprung der zunehmenden Spannungen steht eine demografische Krise. In den vergangenen 50 Jahren vervierfachte sich die Bevölkerung der Region von 112 Millionen im Jahr 1950 auf mehr als 415 Millionen im Jahr 2000. Bis in das Jahr 2050 wird sich diese Zahl gemäß Schätzungen der UNO noch einmal verdoppeln. Beinahe 50% der Bevölkerung ist 18 Jahre alt oder jünger. Der Anteil der arbeitsfähigen Bevölkerung nimmt rasant zu, und entsprechend greift eine massive Arbeitslosigkeit unter den Jugendlichen um sich. Eng mit der demografischen Krise verbunden ist eine anhaltende wirtschaftliche Krise der Region. Mit Ausnahme des südlichen Afrika wies die arabische Welt in den vergangenen 20 Jahren weltweit das langsamste Wirtschaftswachstum auf. Der Ölreichtum wurde schrittweise zum Mythos und konnte die Integration in die globale Weltwirtschaft nicht ersetzen. Die Öleinnahmen der OPEC-Staaten des Mittleren Ostens waren im Jahr 2000 im Vergleich mit den 1980er-Jahren auf ca. 40% gesunken. Zusammen mit dem Bevölkerungswachstum bedeutete das, dass das Öleinkommen pro Kopf in derselben Zeitspanne um ca. 25% gesunken war.(FN28) Angesichts dieser doppelten Krise kann das Versagen der politischen Eliten nicht erstaunen. Der Rückzug der politischen Patronagesysteme war von einem Erstarken traditioneller tribaler Strukturen und einem Aufblühen des Islamismus begleitet. Obwohl diese Strukturen wichtige soziale Funktionen übernehmen, stehen sie in zunehmender Spannung mit modernen Strukturen. Ein Drittel der Bevölkerung des Mittleren Ostens lebt in der jeweils größten Stadt des Landes, die Kommunikationsmittel der Moderne breiten sich zunehmend, wenn auch vergleichsweise langsam aus, und die Bildungslücke zwischen Männern und Frauen wird schrittweise kleiner. All dies lässt vermuten, dass die sozialen und politischen Spannungen in der Region in den nächsten Jahren weiter zunehmen werden.

Bis zum 11.9.2001 bildete der Status quo in der arabischen Welt in erster Linie ein Problem für die Bevölkerung der Region. Mit den Terroranschlägen auf New York und Washington wurde der Status quo im Nahen und Mittleren Osten schlagartig auch zum Problem der USA: Die Mehrheit der Attentäter stammte aus Saudi-Arabien und Ägypten.(FN29) Ähnliche Mechanismen waren aus der Perspektive Washingtons auch im Irak am Werk. Der jahrzehntelange Widerstand des irakischen Regimes gegen die westliche Übermacht weckte historisch weit zurückreichende Gefühle des verletzten arabischen Stolzes. Die wirtschaftlichen Sanktionen schadeten in erster Linie dem irakischen Volk und nicht Saddam Husseins Regime, was anti-amerikanische und anti-westliche Ressentiments weiter vertiefte. Nicht überraschend führte der Kampf "David gegen Goliath" während des Krieges zu einer breiten Solidaritätswelle der arabischen Straße mit dem irakischen Volk. Eine Politik des Hinhaltens gegenüber Saddam Hussein musste aus Sicht Washingtons zwingend in einen Teufelskreis münden: Sie zwang den USA große Truppenkontingente in den Nachbarländern des Iraks auf. Dies schürte den Antiamerikanismus in der ganzen Region, was wiederum terroristischen Gruppierungen eine ideale Projektionsfläche gab.

Vor diesem Hintergrund, argumentierte die Regierung Bush, mache es wenig Sinn, viel politisches Kapital in endlose Friedensgespräche zwischen Israelis und Palästinensern zu investieren. Das Palästinaproblem bildete in der Wahrnehmung Washingtons nicht nur eine wichtige Ursache der anti-westlichen und pro-islamistischen Dynamik der ganzen Region - wie von den Europäern immer von neuem angemahnt wurde. Es war längst zum zentralen Symbol der Araber gegen die politische und kulturelle Hegemonie des Westens unter der Führung der USA geworden, das jederzeit und von allen Anti-Status-quo-Kräften der Region - Irak, Iran, Syrien, aber auch von terroristischen Organisationen - abgerufen werden konnte.(FN30) Ein schneller Sieg im Irak, argumentierten im Vorfeld des Krieges nicht nur die neokonservativen Kräfte in Washington, würde den Status quo im Nahen und Mittleren Osten zu Gunsten der USA verändern.

Die langfristigen Auswirkungen des Irakkrieges auf die Region sind noch nicht absehbar. Die bisherigen Entwicklungen machen aber deutlich, dass der Reformdruck auf die arabischen Regimes stark angestiegen ist. Saudi-Arabien erkennt die Gefahr eines hausgemachten Terrorismus und arbeitet an Reformprojekten im Bildungswesen und im Medienbereich. Syriens Präsident Assad will die Isolation seines Landes überwinden. Er besuchte die Türkei und will die Friedensgespräche mit Israel wieder aufnehmen. Diese positiven Impulse können allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass gleichzeitig das Potenzial von Instabilitäten - quasi als Nebenprodukt des gestiegenen Reformdruckes - im Ansteigen begriffen ist. So scheint sich beispielsweise im Iran die Konfrontation zwischen den zwei Flügeln des Regimes unter dem Eindruck des amerikanischen Vormarsches eher verhärtet zu haben.(FN31) Jede Reformpolitik zur Bewältigung der wirtschaftlichen, sozialen und demografischen Probleme der Region wird zwingend einhergehen mit vermehrter Unsicherheit und steigenden sozialen Spannungen. In welchem Ausmaß diese innerarabischen Spannungen auf fremde Schultern projiziert werden, wird stark von den Entwicklungen im Irak und in der Palästinafrage abhängen. Eine längere amerikanische Besetzung des Iraks wird in der arabischen Welt ebenso wenig akzeptiert werden wie amerikanische Truppen in Saudi-Arabien. Das Ausmaß anti-amerikanischer Ressentiments auf Grund der Demütigung des irakischen Waffengangs sollte in seiner politischen Wirkung nicht unterschätzt werden. Es wäre denn auch optimistisch zu glauben, dass die Palästinenser und ihre Unterstützer in der arabischen Welt ihren Widerstandskampf aufgeben, solange sich die Situation der arabischen Bevölkerung nicht wesentlich verbessert. Nach anfänglichen Hoffnungsschimmern im Zeichen der "Road Map" hat sich der israelisch-palästinensische Langzeitkonflikt denn auch deutlich verschlimmert.

Präsident Bushs optimistischer Vision, dass die Reform des Iraks eine demokratische und marktwirtschaftliche Transformation der ganzen arabischen Welt in Gang setzen werde, muss vor diesem Hintergrund mit großer Skepsis begegnet werden. Die Bewältigung der strukturellen Probleme der arabischen Welt erfordert von jedem einzelnen Staat der Region tief greifende demografische, wirtschaftliche, politische und soziale Reformen. Es handelt sich um einen schwierigen Prozess, der vor Rückfällen nicht gefeit sein wird und von außen nur in Grenzen beeinflusst werden kann. Der Westen wird noch auf Jahre hinaus mit den politischen und wirtschaftlichen Spannungen dieser Region leben müssen. Auch wird der militärische Regimewechsel im Irak radikale islamische Gruppierungen nicht von der terroristischen Gewaltanwendung abhalten können.

Der globale Kontext: Kampf dem Terrorismus und der Proliferation

Die Irakdebatte war eingebettet in den globalen Kontext des Kampfes gegen den transnationalen Massenterrorismus fundamental-islamischer Ausprägung einerseits und der Eindämmung der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen unter staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren andererseits. Europäische Stimmen befürchteten in diesem Zusammenhang, dass ein Krieg im Irak sowohl den internationalen Terrorismus als auch die Proliferation von Massenvernichtungswaffen fördern würde. Eine Politik des militärischen Regimewechsels im Irak stelle angesichts der nordkoreanischen Krise die falsche Priorität dar, zumal enge Kontakte zwischen bin Ladens Al Qaida und Saddams Regime nicht schlüssig nachgewiesen worden seien. Dem wurde hinzugefügt, dass nichts den Zulauf zu fundamentalistischen Terrorgruppierungen so fördern würde wie amerikanische Soldaten als Besatzungsmacht im Herzen des Nahen Ostens.(FN32) Washington hielt dem entgegen, dass sich die Weiterverbreitung von Massenvernichtungsmitteln bereits seit einigen Jahren massiv beschleunigt und der internationale Terrorismus ebenfalls bereits vor dem Irakkrieg stark an Bedeutung gewonnen habe. Vor diesem Hintergrund sei nicht auszuschließen, dass sich den USA feindlich gesinnte Staaten mit nicht-staatlichen terroristischen Akteuren zusammenschließen würden, um ihre politischen Zielsetzungen unter dem Schild einer terroristischen Erpressungsdrohung durchzusetzen. Wichtiger als die Wahrscheinlichkeit einer direkten Kooperation zwischen der Al Qaida und dem Irak waren für Washington die potenziellen Konsequenzen eines über biologische, chemische oder nukleare Mittel verfügenden Superterrorismus für die Sicherheit der USA und ihrer Alliierten. Ein militärischer Regimewechsel im Irak würde dem islamischen Terrorismus den Nährboden entziehen und die internationalen Rahmenbedingungen für eine Stärkung und Anpassung des Nonproliferationsregimes verbessern.

Die Tatsache, dass im Irak bis heute keine Massenvernichtungswaffen gefunden wurden, stellt sowohl die Glaubwürdigkeit der USA als auch die Legitimität der Militärintervention in Frage. Der Irak stellte zur Zeit des amerikanisch-britischen Angriffs keine unmittelbare Bedrohung für die zwei Länder dar - soviel ist in der Rückschau klar. Die Regierungen Bush und Blair müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, diffuse nachrichtendienstliche Informationen selektiv zur Rechtfertigung vorgefasster politischer Entscheide herangezogen zu haben. Die politischen Folgen sind unübersehbar: Die politische und die moralische Autorität der USA haben international stark gelitten. Der Umgang mit nachrichtendienstlichen Informationen wird in den USA zunehmend ein Wahlkampfthema.

Die Suche nach Erklärungen für das Versagen der amerikanischen (und der westlichen) Nachrichtendienste wird noch lange weitergehen, ebenso die Suche nach Massenvernichtungswaffen im Irak. Die vier bisherigen Programme der USA haben mit mehreren tausend Spezialisten weder A-, B- noch C-Waffen zutage gebracht. In der Rückschau scheint es am wahrscheinlichsten, dass der größte Teil der Massenvernichtungswaffen des Iraks durch die UNO oder durch den Irak vor Kriegsbeginn zerstört worden ist.(FN33) Laut den Aussagen von CIA-Direktor George J. Tenet gehen die USA gemäß bisherigen Erkenntnissen der Iraq Survey Group davon aus, dass Saddam Hussein die UNO-Restriktionen hinsichtlich der Reichweite seiner Raketen aktiv und heimlich unterlief; dass er über keine Nuklearwaffe verfügte, sein Nuklearwaffenprogramm aber wieder aufzubauen beabsichtigte; dass die B- und C-Waffenprogramme nicht auf den Aufbau von Lagerbeständen, sondern auf rasche Produktionskapazitäten ausgelegt waren; und dass Exponenten des Regimes bis in den Krieg hinein systematisch Beweise über die A-, B- und C-Programme vernichteten.(FN34) Die amerikanische Irakpolitik und die Verhärtung der Position Washingtons in der Weiterverbreitungsfrage scheinen aber zumindest eine vermehrte Kooperationsbereitschaft einiger Schwellenländer mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) nach sich gezogen zu haben. Libyen ist bereit, auf Massenvernichtungswaffen zu verzichten. Ghadafis Entscheid dürfte dabei in erster Linie von wirtschaftlichen Überlegungen und dem Ziel der Überwindung der internationalen Isolation bestimmt worden sein. Unter verstärktem Druck nicht nur Washingtons, sondern auch der EU hat Teheran entschieden, das Zusatzprotokoll zum Nichtverbreitungsvertrag zu unterschreiben und den Inspektoren der IAEA den Zugang zu öffnen. Dabei dürfte die neue iranische Politik auch von der Überlegung mitbestimmt worden sein, dass die Notwendigkeit einer nuklearen Abschreckungsfähigkeit in der Post-Saddam-Ära abgenommen hat. Auch Nordkorea ist unter dem Eindruck des Irakkrieges an den Verhandlungstisch zurückgekehrt. All dies beweist freilich noch nicht, dass die Ereignisse im Irak den Willen einzelner Staaten zur versteckten Beschleunigung ihrer Massenvernichtungswaffenprogramme grundsätzlich gebrochen haben.

Nachrichtendienstliche Hinweise von Seiten der Iraner und Libyer haben sichtbar werden lassen, dass in unübersichtlichen Netzwerken ein reger Handel mit Nuklearwaffentechnologie betrieben wird. Im Zentrum standen dabei einerseits die Tauschgeschäfte "nukleares Know-how gegen Raketentechnologie" zwischen Pakistan und Nordkorea und andererseits der Verkauf nuklearer Komponenten durch den Vater der pakistanischen Atombombe, Abdul Qadir Khan, an Iran und Libyen unter Ausnutzung von Schattennetzwerken privater und staatlicher Akteure. Die neuen Erkenntnisse beweisen, dass die Exportkontrollen in den vergangenen Jahren völlig versagt haben. Dies gibt nicht zuletzt daher zu Sorgen Anlass, weil Komponenten von Massenvernichtungswaffen genau über solche Netzwerke in die Hände von terroristischen Gruppierungen gelangen könnten. Die IAEA und Washington werden nun den Druck auf die Regierung Musharaff erhöhen und alles daransetzen, dass dieser Nuklearhandel unterbunden wird.

Vor dem Hintergrund dieser Besorgnis erregenden Umstände ist die wachsende internationale Zustimmung zur Option eines vorbeugenden Streitkräfteeinsatzes zu sehen. Die Sicherheitsstrategie der Regierung Bush ortete die grundlegende Problematik der bestehenden Rüstungskontrollverträge und Regime darin, dass sie gegen so genannte "Schurkenstaaten" und nicht-staatliche Akteure nicht greifen.(FN35) Die am 11.12.2002 vorgelegte nationale Strategie zur Bekämpfung von Massenvernichtungswaffen präzisierte die im September eingeleitete Kurskorrektur. Angesichts der neuen Gefährdungen, argumentierte die Regierung Bush, könnten die multilateralen Rüstungskontrollregimes nur noch einen von drei Pfeilern im Rahmen einer umfassenderen Strategie bilden. Zunehmend wichtiger würden zweitens Maßnahmen der Gegenproliferation, in deren Rahmen sich die USA als Element der Abschreckung nukleare Vergeltungsschläge und als Elemente der Verteidigung präemptive Schläge und ein System der Raketenabwehr vorbehielten. Drittens schließlich ginge es im Rahmen eines Homeland Security-Konzepts um passive Schutzmaßnahmen, mit denen die Folgen eines allfälligen Angriffs mit Massenvernichtungswaffen bewältigt werden sollten.(FN36) Die Frage nach der Effektivität der bestehenden multilateralen Regimes und Institutionen zur Verhinderung der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen ist im heutigen sicherheitspolitischen Umfeld berechtigt. Eine Politik der länderspezifischen Antworten erschwert allerdings die Herstellung eines neuen internationalen Konsenses hinsichtlich der Zukunft des Regimes: Warum sollen Nuklearwaffen in den Händen des Irans und Nordkoreas ein größeres Problem sein als Nuklearwaffen in den Händen Pakistans, Israels und Indiens?(FN37) Fortschritte in den Verhandlungen mit Iran und Nordkorea können nur erwartet werden, wenn die drei Nicht-NPT-Staaten Pakistan, Israel und Indien enger in das Nonproliferationsregime eingebunden werden.(FN38) Das seit Jahren beschädigte multilaterale Nonproliferationsregime muss dringend an die aktuellen Herausforderungen angepasst werden. Die USA streben in diesem Zusammenhang ein Zusatzprotokoll zum Nonproliferationsvertrag an, das neue Regeln für den Handel mit spaltbarem Material festlegen soll. Gefragt ist der politische Wille aller Beteiligten, die Funktionsfähigkeit des Regimes zu überdenken und zu stärken.

Die Anschläge in Riad (8.11.2003) und in Istanbul (15.11.2003) machen deutlich, dass die Lösung der anstehenden politischen Fragen im regionalen und globalen Rahmen auch in Zukunft durch terroristische Taktiken extremistischer Gruppierungen erschwert werden wird. Der globale Handlungsspielraum von bin Ladens Al Qaida scheint zwar auf Grund der amerikanischen Fahndungserfolge vorübergehend eingeschränkt. Die Attentate in Afghanistan und im Irak beweisen aber, dass das Netzwerk in einer dezentralisierten Form weiterhin aktiv ist und über einen beachtlichen Pool von Rekrutierungswilligen verfügt. Der Hinweis darauf, dass es sich beim internationalen Terrorismus um eine reale Gefahr handelt, ist ebenso ernst zu nehmen wie die Feststellung, dass es zur Bekämpfung dieser Gefahr nicht in erster Linie Armeen braucht. Es kann zuweilen nötig sein, im Kampf gegen den globalen Terrorismus auf militärische Mittel zurückzugreifen. Dies darf aber nicht um den Preis der internationalen Zusammenarbeit geschehen, die Voraussetzung für die Beseitigung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ursachen des Terrorismus ist.

Schlusswort

Knapp ein Jahr nach Kriegsbeginn im Irak ist das zentrale Dilemma der USA als globale Ordnungsmacht sichtbar geworden: Auf lange Sicht kann Washington asymmetrische Herausforderungen durch terroristische Netzwerke und autoritäre Staaten nicht im Alleingang bewältigen. Den militärischen Regimewechsel im Irak konnte die Regierung Bush zwar im Rahmen einer losen Allianz erreichen. Die damit verbundenen ordnungspolitischen Fragen - Gestaltung einer tragfähigen politischen Nachkriegslösung im Irak, Lösung des Palästinaproblems und Neugestaltung der Ordnungsstrukturen im Nahen und Mittleren Osten, Bewältigung des globalen Terrorismus und Anpassung des Nonproliferationsregimes - können aber nur im internationalen Rahmen und im erfolgreichen Zusammenspiel internationaler Leadership und militärischer Handlungsfähigkeit sowie institutionalisierter Lösungsansätze und ziviler Krisenreaktionsfähigkeiten erfolgreich angegangen werden.

Nur eine Politik des entschlossenen Eintretens gegen die Gefahren des 21. Jahrhunderts wird eine multilaterale Konfliktlösung ermöglichen. Eine intensive Debatte um den Wandel der internationalen Sicherheitspolitik im Zeichen asymmetrischer Bedrohungen tut Not - im europäischen, im transatlantischen und im globalen Rahmen. Gefragt ist die Bereitschaft zur Suche nach neuen Antworten, ein aktiver Politikfindungsprozess auf nationaler Ebene und in regionalen Gremien sowie die grundsätzliche Bereitschaft zu einer wohl überlegten Anpassung der internationalen Institutionen und Regime.

ANMERKUNGEN:

Der Autor dankt Jan-Philipp Kessler für die Zusammenstellung des Materials.

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Geb. 1964; 1983-1994 Studium der Politik- und Geschichtswissenschaften an der Universität Zürich; seit 2003 Professor für Schweizerische und Internationale Sicherheitspolitik und Leiter der Forschungsstelle für Sicherheitspolitik und Konfliktanalyse an der ETH Zürich.



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