Bundesheer Bundesheer Hoheitszeichen

Bundesheer auf Twitter

Geistesgeschichtliche Grundlagen operativer Führung im deutschsprachigen Raum

von Wolfgang Peischel

Kurzfassung

◄ Die Leistungsfähigkeit des operativen Führungsverfahrens misst sich an der prinzipiellen Fähigkeit zur Erreichung einer militärstrategischen Zielsetzung trotz personeller und materieller Unterlegenheit und ist von der Größe, der Ausrüstung und dem technologischen Entwicklungsstand der geführten Streitkräfte oder auch der Kriegserfahrung weitgehend unabhängig.

Die wesentlichsten Elemente des Führungsdenkens im deutschsprachigen Raum sind die von gegenseitiger Empathie und Verantwortung getragene "schicksalhafte" Beziehung zwischen Führern und Geführten, das Prinzip des Führens durch Auftrag und die auf Synergie von Theorie und Empirie bzw. operationaler Kreativität und kritischanalytischem Denkvermögen beruhende Qualität von Führungsentscheidungen, die die Führungsüberlegenheit trotz numerischer Unterlegenheit sicherstellen sollen.

Im deutschsprachigen Raum sind diese Prinzipien Bestandteil sowohl der preußischdeutschen, der bayrischen als auch der österreichischen Führungstradition, in weiterer Folge auch der davon abgeleiteten französischen Version. Sie steht in scharfem Kontrast zur angloamerikanischen Führungslehre und definiert sich aus einer gemeinsamen bzw. parallelen geistesgeschichtlichphiliosophischen, politischen und Rechts-Entwicklung. Führungsverfahren sind somit keine künstliche Gebilde, die beliebig auf Streitkräfte "aufgesetzt" werden können, sondern leiten sich von geistesgeschichtlichen Entwicklungen ab.

Diese Grundlagen des heutigen Führungsverständnisses und ihr Einfluss auf das operative Denken im deutschsprachigen Raum sind ein komplexes, interdependentes Netzwerk, das von den Einflussgrößen katholische Philosophie, Humanismus, Humboldtsches Bildungsideal und Aufklärung geprägt wird. Aus der katholischen Philosophie leitet sich das hierarchische Prinzip, das Ordensprinzip, die besondere Beziehung zwischen Führern und Geführten, das Widerstandsrecht bzw. die Widerstandspflicht her, durch den Humanismus wird der sittliche Gehalt als Wertmaßstab in die Führung eingebracht, was sich bei Clausewitz in der Forderung nach charakterlichen und humanistischen Erziehungsinhalten für den militärischen Führer niederschlägt und eine der wesentlichsten Voraussetzungen für die Entwicklung der Auftragstaktik ist. Wissen, charakterliche Bildung und Wertebewusstsein, Urteils- sowie Kritikfähigkeit und logisches Denkvermögen sind Kriterien für militärische Führungskräfte, die dem Humboldtschen Bildungsideal entsprechen, während der aus der Aufklärung resultierende Bildungszugang für Bürgerliche als Qualitätskriterium das Bildungsniveau einführt und eine Neubewertung des Individuums bringt.

Die besondere Beziehung zwischen Führern und Geführten als Element der heutigen operativen Führung wurzelt im mittelalterlichen Lehensrecht, das ein Treueverhältnis zwischen Lehensherrn und Lehensnehmer kannte, und korreliert mit dem Widerstandsrecht bzw. der Widerstandspflicht, die auf Augustinus und Thomas von Aquin zurückgehen. Die Verpflichtung zum unbedingten Gehorsam bestand für den Lehensnehmer nur so lange, als der Lehensherr seine Schutzpflicht gewissenhaft wahrnahm.

Das Prinzip der Führung durch Auftrag ist eine Entwicklung der Aufklärung, wobei der Adressat der Aufträge der mündige, vernunftbegabte Soldat ist, der seine Befähigung, den ihm gegebenen Handlungsspielraum zum Vorteil des Ganzen zu nützen, in einem auf Urteilsfähigkeit abzielenden Ausbildungssystem erwirbt.

Wesentlich für die Funktion der Auftragstaktik ist die Einstellung von Kommandanten, Fehler bewusst zulassen zu können, um die Eigenverantwortlichkeit zu fördern. Zweck des auf Urteilskraft abzielenden Ansatzes ist die Herausbildung der Fähigkeit des Truppenführers, so schnell und treffsicher zu Entschlüssen zu kommen, dass sich bei Außenstehenden der Eindruck aufdrängt, es mit einem "göttlichen Funken" oder kriegerischen Genius zu tun zu haben.

Aus der synergetischen Verschmelzung von Theorie und Empirie wird eine Qualität von Führungsentscheidungen erreicht, die eine für die Kompensation der numerischen Stärke des Gegners notwendige Führungsüberlegenheit entstehen lässt. Das in den Ansätzen auf Clausewitz zurückgehende "arbeitshypothetische Verfahren der operativen Führung" verschmilzt die empirische Wissenschaftstradition mit einem systematischanalytischen, theoretischen Ansatz und ermöglicht einen Synergieeffekt, der zusammen mit operationaler Kreativität eine Entscheidungsqualität ergibt, die dem angloamerikanischen Verfahren "Commander´s Intent" überlegen ist.

Beispiele für "eingeschränktes" operatives Denken auf Grund mangelnder Beachtung geistesgeschichtlicher Grundlagen sind die Niederlage Frankreichs 1940 (Wirklichkeitsverlust der militärischen Führung, Demokratie- und Schlagdefizit innerhalb der Streitkräfte), die Niederlage Preußens 1806 (Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis, Verwirrung über Strategie und Taktik) und die unzulässig verkürzte Interpretation der Clausewitzschen Kriegstheorie im Dritten Reich (Legitimation des "totalen Krieges" und des "Vernichtungsdenkens").

Die Kernforderungen an die Ausrichtung des operativen Denkens im Rahmen einer für Österreich relevanten Führungstradition sind die Befähigung des Generalstabsoffiziers zum Erkennen politischer Zusammenhänge, eine Offiziersausbildung unter Berücksichtigung eines breiten, interdisziplinären, wissenschaftlichen Ansatzes, die Erarbeitung einer militärwissenschaftlichen Gesamtsystematik, die Weiterentwicklung des arbeitshypothetischen operativen Führungsverfahrens, das Festhalten am Prinzip der Auftragstaktik sowie die Betonung der auf Empathie und Verantwortung basierenden besonderen Führungsbeziehung. ►


Volltextversion

Geistesgeschichtliche Grundlagen operativer Führung im deutschsprachigen Raum

"Führen wo Folgen, Befehlen wo Gehorchen der Zweck ist"

Die Leistungsfähigkeit des theoretischabstrakten, operativen Führungsverfahrens, welche sich letztlich in der prinzipiellen Fähigkeit zur Erreichung einer militärstrategischen Zielsetzung trotz personeller und materieller, zahlenmäßiger Unterlegenheit ausdrücken lässt, scheint sowohl von der tatsächlichen Größe, der Ausrüstung oder dem technologischen Entwicklungsstand der geführten Streitkräfte als auch von der Frage weit gehend unabhängig, auf welche Kriegs- oder Bündniserfahrung ein Staat in seiner jüngeren Geschichte zurückblicken kann.

Leistungsfähigkeit von Führungsverfahren und "Kriegserfahrung"

So haben die USA, denen im Hinblick auf die zahlreichen Kampfeinsätze ihrer Streitkräfte seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wohl kaum mangelnde Kriegserfahrung vorgeworfen werden kann, erst mit dem sich abzeichnenden Niedergang der bipolaren Weltordnung begonnen, operative Verfahren wieder zu beleben, die zwar bekannt, aber über die Jahre des Kalten Krieges hinweg verschüttet waren. Zunächst wurde dabei versucht, die Statik der "Schichttorten"-Verteidigung in Richtung des Follow on Forces Attack (FOFA) zu dynamisieren. In der Folge stellte der Golfkrieg II v.a. die USA hinsichtlich des Bedarfes an Teilstreitkräfteübergreifender Führung (Jointness) und Beweglichkeit im operativen Maßstab vor eine Herausforderung, die zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit bzw. einer Renaissance des operativen Denkens im Clausewitzschen Sinn geführt hat.

Mit der NATO-Einbindung Deutschlands dürfte es zu einer Parallelisierung im Bereich der operativen Führung gekommen sein. So verwundert es wenig, dass auch die Bundeswehr, die naturgemäß der Clausewitzschen Führungstradition am nächsten gestanden war, in der Phase der Blockkonfrontation von der allgemeinen Bündnis-Entwicklung in Richtung Entdynamisierung des operativen Denkens mit beeinflusst worden war und erst mit dem Ende der statischen Verteidigung beginnen konnte, sich wieder stärker mit den Wurzeln der beweglichen Operationsführung auseinanderzusetzen.

Vor diesem Hintergrund scheint es keineswegs vermessen im wissenschaftlichen Diskurs, auf das in Österreich angewandte operative Führungsverfahren aufzubauen und es im Hinblick auf die neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen einer Folgebeurteilung zu unterziehen - dies nicht zuletzt deshalb, weil es von den gleichen Clausewitzschen Prinzipien ausgeht, aber im Gegensatz zu vielen NATO-Mitgliedsstaaten bisher weit gehend von Überformungen verschont geblieben ist.

Ziel eines Propädeutikums zum Gegenstand der Allgemeinen Führungslehre

Gerade im Zuge der Kollektivierung bzw. Vergemeinschaftung (Common Defense der EU) europäischer Verteidigungsanstrengungen sowie der aus der Übernahme von Partnership Goals der NATO resultierenden Ratifizierung von Führungsvorschriften und -verfahren besteht die Gefahr, leistungsbegründende Wirkungsprinzipien des österreichischen operativen Führungsverfahrens dort zu opfern, wo man sich ihrer eigenständigen Bedeutung und Funktionsweise nicht hinreichend bewusst ist. Um hier zeitgerecht gegensteuern zu können, wurde am derzeit an der Landesverteidigungsakademie Wien laufenden 16. Generalstabslehrgang ein neuer Lehrgegenstand in den Fächerkanon des individuellen Diplomstudiums "Höhere Militärische Führung" aufgenommen, welcher unter dem Titel "Führungsgrundlagen" ein "Propädeutikum zum Gegenstand der Allgemeinen Führungslehre" bietet und den Hörer in die Wurzeln, genuinen Leistungen und Wirkungszusammenhänge des operativen Führungsverfahrens aus österreichischer Sicht einführen soll. Dabei kommt den Fragen, von welchen geistesgeschichtlichphilosophischen Grundlagen sich das österreichische Führungsverständnis herleitet, in welchen operativen, aber auch taktischen Verfahren erstere weiterwirken und wie sich aus ihnen das insbesondere in der militärischen Führungslehre des deutschsprachigen Raumes verfolgte Prinzip, numerische Unterlegenheit planmäßig durch überlegene Führungsleistung zu kompensieren, erklären lässt, zentrale Bedeutung zu.

Der vorliegende Artikel gibt einen Überblick über einige wesentliche Inhalte der Lehrveranstaltung. Wie hilfreich eine derartige Rückbesinnung auf die eigenen geistesgeschichtlichen Wurzeln gerade in einer Phase sicherheitspolitischen Paradigmenwechsels und der Vergemeinschaftung europäischer Verteidigungsanstrengungen ist, zeigte sich, als die Hörer auf Basis der o.a. propädeutischen Grundlagen Clausewitz´ Werk "Vom Kriege" zu analysieren und Ableitungen für ein den heutigen sicherheitspolitischen Zielen dienendes operatives Führungsverfahren zu ziehen hatten. Die Bearbeitung, welche in einer matrixartigen Organisationsform erfolgte, bei der vertikal den Lehrgangsgruppen einzelne "Bücher" zugeordnet wurden und horizontal eine gruppen-(bzw. bücher-)übergreifende synoptische Analyse nach in der Lehrveranstaltung gemeinsam erarbeiteten Forschungsfragen erfolgte, erbrachte eine überaus hohe und engagierte Identifikation der Hörer mit dem Gegenstand und mündete in Erkenntnisse beachtlichen Tiefgangs. Eine Veröffentlichung der durch den 16. Generalstabslehrgang erarbeiteten Ergebnisse, welche eine grundlegend neue, perspektivische Annäherung an die Clausewitzsche Kriegstheorie erlauben, ist geplant.

Wohingegen in Fachhochschulen und auch universitären Studien zunehmend eine Tendenz zur "Verfachlichung" und zu einer auf die spätere Berufsausübung hin maßgeschneiderte Praxisorientierung beobachtet werden kann, wird beim Generalstabslehrgang (künftig möglicherweise auch beim Fachhochschulstudiengang "Militärische Führung") in Beachtung der geistesgeschichtlichen Basis ein allgemein bildender Ansatz verfolgt, dessen Grundstein u.a. im Fach "Führungsgrundlagen" gelegt werden soll. Ziel der Propädeutik zum Gegenstand der allgemeinen Führungslehre ist es dabei, den Hörer in der Tradition des eigenen Führungsverständnisses zu verwurzeln und ihm einen interdisziplinär vernetzten Zugang zu Grundfragen der Militärwissenschaft zu bieten.

Im Zuge der Behandlung der Thematik "Operatives Führungsdenken" und auf Grund unzureichender Beachtung geistesgeschichtlicher Grundlagen "eingeschränkten operativen Denkens" wurde auf den in Armis et Litteris, Band 10/01, veröffentlichten Aufsatz "Denken im Rahmen der operativen Führung" zurückgegriffen.

Zum Begriff einer für den deutschsprachigen Raum spezifischen "Operativen Führungskultur"

Gegen die Behauptung einer homogenen militärischen "Führungskultur" im deutschsprachigen Raum könnte zunächst eingewandt werden, dass sich mit der "preußischdeutschen" und der "bayrischen" Schule sowie der vergleichbaren Entwicklung in Österreich schon drei deutlich unterscheidbare Linien operativer Generalstabsausbildung nachzeichnen ließen. Ab 1872 war die Kriegsakademie in Berlin der wissenschaftlichen Aufsicht des Chefs des Generalstabes unterstellt und die Ausbildung der dort Studierenden den Generalstabsoffizieren des Großen Generalstabes übertragen worden. Sie begann damit, ihren universitären Charakter zu Gunsten der Fachausbildung in Führungstechnik und Operationsplanung zu verlieren. Nach dem Ende des Ersten und Zweiten Weltkrieges wurde die preußischdeutsche Generalstabsausbildung gerade wegen ihrer "Verfachlichung" unter Moltke und Schlieffen kritisiert. Als Folge der Niederlage gegen Preußen 1866 wurde in Bayern eine Kriegsakademie gegründet und nach der Reichsgründung 1870 eine eigene Generalstabsausbildung weitergeführt, die sich durch eine höhere Zahl an allgemein bildenden Fächern, höheres Gewicht der Fremdsprachenausbildung und eine anschließende zweijährige Zentralausbildung im Bereich der Kriegswissenschaften auszeichnete. Bewertet man die Entwicklung der österreichischen Generalstabsausbildung nach ihrer heutigen Orientierung, so wird man schwer umhinkommen, ihr bei aller Eigenständigkeit eine größere Nähe zur bayrischen als zur preußischdeutschen Linie zuzusprechen.

Die These, dass ein größerer humanistischer Bildungsanteil an einem insgesamt breiteren Fächerkanon die Resistenz künftiger militärischer Führer gegenüber völkerrechtswidrigen Befehlen eines totalitären Regimes erhöht, soll in der Folge näher untersucht werden. Vergleicht man nun die graduellen Unterschiede zwischen den drei "Schulen" mit den ihnen gemeinsamen Prinzipien, so wird man eher von "Dialekten" einer Sprache als von grundsätzlicher Verschiedenheit auszugehen haben. Als wesentlichstes dieser für die geschichtliche Entwicklung des Führungsdenkens im deutschsprachigen Raum bezeichnenden Prinzipien, welche hier vorweggenommen dargestellt werden sollen, wären zu nennen: - die von gegenseitiger Empathie und Verantwortung getragene "schicksalhafte" Beziehung zwischen Führern und Geführten, - das Prinzip des Führens durch Auftrag, - die auf Synergie von Theorie und Empirie bzw. operationaler Kreativität und kritischanalytischem Denkvermögen beruhende Qualität von Führungsentscheidungen, durch welche die für die Kompensation numerischer Stärke des Gegners erforderliche Führungsüberlegenheit erzielt werden soll.

Mit seinem auf Auftragstaktik, weit gehend selbstständiger Führungsverantwortung und leistungsorientierter Auswahl (resultierend: enger Zusammenhalt zwischen den Generalstabsoffizieren) fußenden Generalstabssystem fügt sich Österreich nahezu nahtlos in die preußischdeutsche bzw. bayrische Führungstradition, welche General Christian Millotat in seinem Aufsatz "Das preußischdeutsche Generalstabssystem - Wurzeln, Entwicklung, Fortwirken" beschreibt, ein.

Nachdem nun versucht wurde, die wesentlichsten für die operative Führung im deutschsprachigen Raum spezifischen Wirkungsprinzipien und Leistungsmerkmale aufzuzeigen, bleibt zu klären, ob vergleichbare Grundsätze nicht auch in anderen Staaten der westlichen Staatengemeinschaft nachzuweisen sind.

General Millotat untersuchte diese Frage und kam neben weiteren, in der Folge dargestellten Erkenntnissen zu dem Schluss, dass der Versuch des Kriegsministers Elihu Root, das preußischdeutsche Generalstabssystem in Amerika zu übernehmen, scheiterte, wenngleich auch die Einführung eines zweiten Ausbildungsjahres am Command and General Staff College und die Übernahme einiger operativer Grundsätze durch die Wirtschaft als rudimentäre Ansätze weiter verfolgt wurden. Ein wesentlicher Grund für das Scheitern dürfte in der Ablehnung durch die Öffentlichkeit gelegen haben, die sich auf eine diffuse Angst vor kleinen Bildungseliten und einen zum damaligen Zeitpunkt allgegenwärtigen Verschwörungsverdacht gründete.

Mit dem Ende der Blockkonfrontation, der Auflösung der "Schichttortenverteidigung" in das Verfahren der "Gegenkonzentration", in dem die Reduktion von Truppen und Waffensystemen durch operativen Bewegungsüberschuss und raschere Reaktionszeiten kompensiert werden sollte, ist in den USA verstärkt von einer Renaissance des operativen Denkens unter dem Motto "Clausewitz is back" die Rede, die sich auch in der operativen Führungsvorschrift "AJP 01-(A)" ausdrückt, in der erstmalig zwischen strategischer, operativer und taktischer Ebene differenziert wird. Nicht zuletzt dürfte dabei auf die Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg zurückgegriffen worden sein, die gezeigt haben, dass der durch die preußischdeutsche Schule geprägte Generalstab planmäßig dazu genutzt wurde, numerische Unterlegenheit durch hohe operative Beweglichkeit und überlegene Führungsleistung auszugleichen.

Ende des 19. Jahrhunderts hatte der Militärsachverständige Spenser Wilkinson im Auftrag des britischen Verteidigungsministeriums das preußischdeutsche Generalstabssystem auf Nutzbarkeit in der britischen Armee zu prüfen. Er kam zu dem Schluss, dass es zweifelhaft wäre, ob das preußische System anderswo überhaupt nachgeahmt werden könnte. In Großbritannien wurde das preußische Generalstabsprinzip in der Folge nicht übernommen.

In Frankreich wurde - so Millotat - unter dem Eindruck der Niederlage von 1870/71 ein auf deutschen Führungs- und Organisationsprinzipien beruhender Generalstab geschaffen, der aber nach französischem Verständnis ausgeformt wurde.

Für Russland ist von einer Übernahme des Generalstabssystems in unserem Verständnis schon deswegen nicht auszugehen, weil eines seiner konstitutiven Elemente - nämlich die Auftragstaktik - mit dem russischen Denken der damaligen Epoche nicht vereinbar war.

Solschenizyn lässt seinen (fiktiven) Generalstabsoberst Worotynzew in der Schlacht von Tannenberg zu folgendem Urteil über die zaristische Armee kommen: "Wenn man sich streng nach Vorschrift, Direktive und Befehl verhält und einen Misserfolg, eine Niederlage erlitten hat, den Rückzug antreten, fliehen musste - niemand wird einen Vorwurf machen. Aber wehe, wenn du dich über einen Befehl hinwegsetzt, wenn du nach eigener Einsicht, aus eigenem Mut gehandelt - dann wird man dir sogar den Erfolg nicht verzeihen, und bei einem Misserfolg machen sie dich fertig." Der authentische russische General Woide ist nach Untersuchung der Ursachen der französischen Niederlage 1870 zu dem Schluss gekommen, dass es die Auftragstaktik war, die den Deutschen als überlegenes Führungsprinzip den Erfolg brachte. "Der Grundsatz der Selbständigkeit der Unterführer im Kriege bildet einen integrierenden Bestandteil des gesamten Befehlssystems der deutschen Armee, und nur, weil die Franzosen 1870/71 ihn nicht kannten, wirkte er gegen sie genau so wie eine neue vervollkommnete Waffe." Die Arbeiten Woides konnten - wie er selbst resignierend feststellen musste - die eingefahrenen Denkmuster der russischen Streitkräfte bis 1914 nicht verändern.

Die themenbezogene Zusammengehörigkeit der am deutschsprachigen Raum beteiligten Staaten ergibt sich, abgesehen von der gleichen Sprache, schon auf Grund der gemeinsamen bzw. parallelen geistesgeschichtlichphilosophischen, politischen und Rechts-Entwicklung.

Mithin scheint es durchaus zulässig, von einer für den deutschen Sprachraum spezifischen operativen Führungslehre zu sprechen. Stellt man nun die hinsichtlich ihrer Homogenität vergleichbare Führungstradition im angloamerikanischen Raum gegenüber, welche auf Grund des Einflusses ihres größten Repräsentanten USA für mehr als 50 Jahre notwendigerweise die operativen Verfahren der NATO dominiert hatte, wird klar, welche mögliche Nutzanwendung sich aus der Definition einer für den deutschsprachigen Raum spezifischen militärischen Führungslehre ergeben könnte. Geht man nämlich davon aus, dass mit der französischen und der für den deutschsprachigen Raum spezifischen zwei weitere Führungstraditionen anzusprechen sind, welche für die Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Verteidigung Relevanz haben, und dass schon auf Grund der Verschiedenheit der angepeilten US- bzw. NATO- und EU-Einsatzspektren ein ausschließlicher Geltungsanspruch angloamerikanischer Führungsverfahren nicht mehr zwangsläufig gegeben sein muss, schiene es durchaus zulässig - beispielsweise auf der militärischen Führungsebene der EU -, Prinzipien kontinentaler Führungstraditionen verstärkt in die operativen Führungsverfahren und -konzepte EU-geführter Streitkräfte aufzunehmen, soferne diese eine adäquatere Reaktion auf künftige Bedrohungen versprechen und auf die Streitkräfte anderer EU-Mitgliedstaaten übertragbar wären.

Bedeutung geistesgeschichtlicher Grundlagen für die Führung von Streitkräften

Geistesgeschichtlichphilosophische Einflüsse erfassen innerhalb ihres Wirkungsbereiches gelegene Nationen in allen Bereichen ihrer politischen, sozialen und rechtlichen Entwicklung. Aus ihnen heraus bestimmen sich u.a. außenpolitische Ziele eines Staates, Verteidigungsbereitschaft, Wehrsystem, Volks-(damit indirekt auch "Soldaten"-)Bildung, (Rüstungs-)Technologie und Verfahren zur Führung von Streitkräften.

Die bedeutet einerseits, dass - schon weil Führungsphilosophien und Einstellungen der geführten Soldaten aus der gleichen geistesgeschichtlichen Entwicklung resultieren - Führungsverfahren nicht als künstliche Gebilde beliebig auf Streitkräfte "aufgesetzt" werden können, sondern bereits bei deren Planung, Aufstellung und Ausbildung einzufließen haben. Weil der Wirkungsraum geistesgeschichtlicher Entwicklungen eben häufig mit Sprachräumen korreliert, ergibt sich daraus andererseits aber auch, dass Verfahren einer militärischen Führungstradition nicht so ohne weiteres auf Räume einer anderen geistesgeschichtlichen Prägung übertragen werden können bzw. dort nicht die erwartete Leistung bringen würden.

Diese These ließe sich auch durch die Weiterführung des bei Clausewitz angedachten Vergleiches zwischen militärischer Führungslehre und den Sprachwissenschaften untermauern, bei dem Orthografie mit dem Einzelverhalten im Gefecht, Syntax bzw. Semantik mit Gefechtstechnik, Grammatik mit Taktik und Kunstformen der Lyrik bzw. Prosa mit der operativen Führung in Beziehung gesetzt werden. Da Orthografie und Grammatik nur in der Sprache, der sie dienen, Sinn machen, könnte man folgern, dass, um Kräften ihre militärische Identität zu bewahren, bei Einsätzen höherer Intensität nicht unter die Ebene der oberen taktischen Führung "multinational" gemischt werden sollte bzw. dort, wo eine derartige Mischung auf oberer taktischer Ebene erforderlich wird, mit Übernahme der im Bündnis geltenden Verfahren eine andere "Sprache" zu erlernen und dabei auf die "treffendere Ausdrucksweise" der eigenen zu verzichten wäre. Beide Entwicklungen konnten im Zuge der Vergemeinschaftung der europäischen Verteidigungsanstrengungen beobachtet werden. Da insbesondere die "Kunstform der Prosa" übersetzt - hinsichtlich ihrer Botschaft - in anderen Sprachen verstanden werden kann, ergäbe sich weiters, dass auch operative Verfahren für einen bestimmten Raum spezifischen Führungstradition "übersetzt" anderswo anwendbar wären. Diese Folgerung steht nicht im Widerspruch zur These Millotats, weil sie ja nicht darauf abzielt, operative Verfahren einer Führungstradition zum Ausbildungsziel der angehenden Generalstabsoffiziere einer anderen zu machen, sondern vielmehr die Möglichkeit eröffnet, bewährte Elemente operativer Verfahren spezifischer Führungstraditionen durch die jeweiligen "muttersprachlichen" Vertreter in multinationale militärstrategische bzw. operative Stäbe einzubringen und damit nach "Übersetzung" der umsetzungsrelevanten Wirkungsprinzipien zu einer synergetischen Effektivierung der Führungsleistung beizutragen.

So wie die auf operatives Denken einwirkenden, geistesgeschichtlichphilosophischen Einflussgrößen in ihrer gegenseitigen Verwobenheit bilden auch die aus ihnen entstandenen Elemente der heutigen operativen Führung ein komplexes, interdependentes Netzwerk, dessen Erfassung Ziel der Ausbildung zum Generalstabsoffizier sein sollte. Wenngleich auch die Masse der darzustellenden geistesgeschichtlichphilosophischen Einflussgrößen in beinahe allen Staaten des westlichen Kulturkreises eingewirkt haben und somit - einzeln betrachtet- keineswegs spezifisch für den deutschsprachigen Raum sein können, so ist es die auf Verhältnis und Interpretation abstellende Formel, nach der diese Einflüsse zu einer Führungsphilosophie verschmolzen worden sind, welche die raumbezogene Besonderheit der operativen Führung i.S. des vorliegenden Aufsatzes ausmacht.

Geistesgeschichtlichphilosophische Einflussgrößen

Katholische Philosophie

Schon das hierarchische Prinzip, die Grundform militärischer Organisationsformen, leitet sich von den griechischen Begriffen "iereuv" (Priester) und "ierateia" (Priestertum, Priesterherrschaft) ab. So verwundert es wenig, dass auch Techniken und Verfahren, die ursprünglich dem Machterhalt der Kirche dienten, später vom Militär aufgegriffen wurden, um einerseits den politischen Auftrag an Streitkräfte durchgängig bis zum Mann exekutierbar zu machen und andererseits Überlegenheit über den Gegner zu erzielen.

Macht durch transzendentalen Bezug, Macht durch überlegene und gleichzeitig exklusive Bildung bei engem inneren Zusammenhalt (Ordensprinzip), Analyse (Rupert Lay "Führen durch das Wort") und gezielte Nutzung der Phänomene Demagogie-Manipulation und Weiterbildung rhetorischer Fähigkeiten seien hier als konstitutive Elemente beispielhaft genannt.

Daneben sind aber auch Führungs- und Organisationsprinzipien anzuführen (Führen als Hirte, Schaf-Hirt-Metapher, vgl. Prinzip der "Inneren Führung" der Bundeswehr), welche in Richtung eines christlichethischen bzw. moraltheologischen Bezuges weisen und die eine auf gegenseitiger Empathie und Verantwortung beruhende besondere Beziehung zwischen Führern und Geführten bereits erahnen lassen. Die Lehre vom Widerstandsrecht bzw. der Widerstandspflicht (vgl. hiezu Ansätze bei Augustinus, Thomas von Aquin) gegenüber tyrannischen Herrschaften, welche ihre Schutzpflicht gegenüber ihren Untergebenen vernachlässigen, kann im weiteren Sinne auch als erster Ansatz für die heute geltenden Regelungen gewertet werden, die den Soldaten das Befolgen strafrechtswidriger Befehle untersagen.

Nahmen im Ständesystem die Landstände das Widerstandsrecht, welches aus germanischem Volks- und Lehensrecht entstanden war, alleine für sich in Anspruch, so wurde es später allgemeiner Bestandteil reformatorischer und gegenreformatorischer Lehren. Das in seiner Lehre vom Widerstandsrecht im Mittelalter auf ein auch über der kirchlichen Obrigkeit stehendes Gewissen und ewiges Gesetz abstellende Naturrecht mündete in der Neuzeit in den Gedanken der Volkssouveränität, der über die amerikanische und französische Revolution Eingang in die Menschenrechte fand. In Deutschland wurde das Widerstandsrecht im Rahmen der Notstandsgesetzgebung von 1968 in Art. 20 Abs. 4 GG ausdrücklich anerkannt. In der Verfassung der ehemaligen DDR von 1949 war ein Widerstandsrecht gegen Maßnahmen, die den Beschlüssen der Volksvertretung widersprachen, und gegen Feinde der Verfassung vorgesehen. Erst die Verfassungen von 1968 und 1974 enthielten kein Widerstandsrecht mehr. In der österreichischen und schweizerischen Verfassung ist das Widerstandsrecht zwar nicht ausdrücklich niedergelegt, wird jedoch auf rechtsphilosophischer Basis anerkannt.

Im weiteren Sinne kann auch die heute vertretene Legitimation der "Humanitären Militärischen Intervention" (HMI) unter dem Blickwinkel der christlichen Widerstandslehre gesehen werden. Verbietet die Satzung der Vereinten Nationen jegliche militärische Gewaltanwendung mit Ausnahme der Verteidigung bzw. der kollektiven Verteidigung und sicherheitsratsmandatierter Aktionen gegen einen Friedensbrecher, beginnt sich (nicht zuletzt als Folge der Anschläge vom 11. September 2001) nunmehr die Auffassung durchzusetzen, dass eine Blockade eines Mandats im Sicherheitsrat nicht dazu führen dürfe, dass die Verletzung gewisser existenziell bedeutsamer "Kernmenschenrechte" von der westlichen Staatengemeinschaft unbeantwortet bleibt.

Ob man darin eine für den Schutz der Menschenrechte notwendige Rechtsentwicklung nach dem Prinzip der Weiterentwicklung des Völkergewohnheitsrechtes durch mehrfach unbeeinspruchte und von Rechtsüberzeugung (opinio iuris) getragene Verletzung gesatzten Völkerrechtes oder aber einen Freibrief für Interventionen zu sehen haben wird, denen der Beigeschmack strategischer, insbesondere aber wirtschaftlicher Interessen anhaftet, bleibt abzuwarten. Wenn mit dem Rückfall in die Erklärungsmuster der "bellum iustum"-Lehre auch eine höhere Durchsetzungskraft erzielt werden kann, als sie das Regime der Vereinten Nationen aufzuweisen hat, ist zu bezweifeln, ob dieser Ansatz geeignet ist, das Vertrauen insbesondere weniger entwickelter Staaten in die stabilisierende Wirkung völkerrechtlicher Institute zu stärken.

Das ohnehin schon schwer zu überbrückende Spannungsverhältnis zwischen "Befehlstreue", die der nahtlosen Umsetzung des politischen Willens bis zum einfachen Soldaten dient, und einem auf den moralischethischen, völkerrechtlichen bzw. strafrechtlichen Unrechtsgehalt von Befehlen abstellenden "Widerstandsrecht" wird in nicht durch den Sicherheitsrat mandatierten und lediglich über das Institut der "Humanitären Militärischen Intervention" legitimierten Krisenreaktionsoperationen zusätzlich belastet werden. Die polemische Frage, ob Angehörige deutscher Spezialkräfte in Afghanistan rechtswidrig handeln, wenn sie bei der Aufgreifung mutmaßlicher Terroristen, denen nach einer Überstellung in die USA die Todesstrafe droht, mithelfen, wurde in der öffentlichen Diskussion bereits thematisiert. Wenn die sich daraus ergebenden Probleme damit auch nicht gänzlich gelöst werden können, scheint eine verstärkte, alle militärischen Führungsebenen umfassende, wehrethisch akzentuierte Ausbildung eine unverzichtbare Forderung, um erwartbaren Konflikten prophylaktisch gegensteuern zu können.

Humanismus

Auch bei der Entwicklung von Kriegstheorien wurde auf antike kriegsgeschichtliche Beispiele zurückgegriffen (Schlacht bei Cannae, Feldherren wie Alexander den Großen, Theoretiker wie Vegetius - "si vis pacem para bellum", Onosander). Durch den Humanismus wird erstmals der sittliche Gehalt als Wertmaßstab im Bereich der Führung eingebracht, was sich bei Clausewitz in der Forderung nach charakterlichen und humanistischen Erziehungsinhalten für den militärischen Führer niederschlägt. Das Erkennen des Wertes des Menschen sowie die Sichtweise, ihn als Untergebenen und nicht mehr als "Unterworfenen" wahrzunehmen, stellt eine der wesentlichen Vorbedingungen für die Herausbildung der Auftragstaktik dar. Die belebende Auswirkung des Humanismus auf die naturwissenschaftliche Forschung manifestiert sich auch heute noch im vierten operativen Faktor "Technologie". Waffentechnologie, technische Beweglichkeit sowie Technologie im Bereich der Führungsinformationssysteme entspringen dem durch den Humanismus initiierten und durch die Aufklärung vorangetriebenen Fortschritt der naturwissenschaftlichen Forschung, sind aber keineswegs spezifisch für den deutschsprachigen Raum.

Die Nachwirkungen der nationalstaatlichen Ausrichtung des Humanismus sind immer noch wahrnehmbar und werden auf dem Weg zu einer gemeinsamen europäischen Verteidigung ein nicht zu unterschätzendes Widerstandspotenzial darstellen.

Humboldtsches Bildungsideal

Seit Wilhelm von Humboldt, der selbst von Humanismus und Aufklärungsgeist geprägt war, wird Bildung als Trias von "Wissen - charakterlicher Bildung - Wertebewusstsein" verstanden, deren Ziel v.a. in der Urteils- und Kritikfähigkeit sowie dem logischen Denkvermögen der zu Bildenden liegt. Diese Formel stellt gleichzeitig das Bildungsideal für militärische Führungskräfte schlechthin dar.

Carl von Ossietzky: "Wenn wir mehr sein wollen als ein Symposium sehr kluger, aber wenig fruchtbarer Menschen, dann müssen wir eine ganze Persönlichkeit einsetzen, und dazu gehören untrennbar Kopf, Herz und Temperament." Aufklärung

Im Zuge der Aufklärung wurde Bürgerlichen der Zugang zur Offiziersausbildung eröffnet. Das Bildungsniveau beginnt den "besseren Adelsrang" als Qualitätskriterium für die Kommandovergabe abzulösen (Militärreorganisationskommission in Preußen). Der Erziehungsbegriff wird auf Vernunft, Gefühl und sittliche Lebensweise erweitert, es erfolgt eine Neubewertung des Individuums - damit auch des einfachen Soldaten. Gleichzeitig beginnt eine dem heutigen Verständnis entsprechende, wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen Krieg.

Daraus entstandene Elemente operativer Führung

Betrachtet man die Elemente der heutigen operativen Führung in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit, so kann man den Einfluss der oben beispielhaft dargestellten geistesgeschichtlichphilosophischen Einflussgrößen deutlich erkennen.

Die besondere Beziehung zwischen Führern und Geführten

Beeinflusst von Humanismus und Aufklärung hat sich insbesondere in Preußen eine - im Hinblick auf das Selbstverständnis als "Kampfgemeinschaft" oftmals als schicksalhaft empfundene - Beziehung zwischen Führern und Geführten herauszubilden begonnen, die durch gegenseitige Empathie und Verantwortung getragen war. Die Gegenseitigkeit wurzelt dabei schon in dem im mittelalterlichen Lehensrecht verankerten synallagmatischen Treueverhältnis zwischen dem Lehensherrn und dem Lehensnehmer, welches mit den Ansätzen des Augustinus und des Thomas von Aquin bezüglich des Widerstandsrechtes bzw. der Widerstandspflicht korreliert. Zwar war der Untergebene dem Herrn zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet - dies aber nur, solange Letzterer seine Schutzpflicht gewissenhaft wahrnahm. Eine Vernachlässigung der Schutzpflicht legitimierte den Lehensnehmer - ohne sich dabei des Treuebruchs schuldig zu machen - dazu, die Gefolgschaft insbesondere für den Fall aufzukündigen, dass er für den Herrn ins Feld zu ziehen gehabt hätte. Damit wurde eine Führungsbeziehung begründet, in der sich der militärische Führer die Gefolgschaft seiner Untergebenen zu "verdienen" hatte. War dies im Lehensrecht durch die Wahrnehmung der Schutzpflicht des Herrn möglich, so haben Kommandanten heute ihre Mannschaften durch überlegenes fachliches Können, Vorbildwirkung und soziale Kompetenz mitzureißen. Stellt die angloamerikanische Führungslehre auf eine Teilung in einen technischen (command, command and control) und einen sozialen Aspekt (leadership) von Führung ab, umfasst das deutschsprachige Pendant "Führung" beide Aspekte im Sinne der Einheit sich gegenseitig bedingender Prinzipien. Schon die Ableitung des englischen Begriffes "command" von lat. "commendare" (anvertrauen, übergeben, Weisung geben), welches aus "manus dare" also "in die Hand geben", sinngemäß auch "in die Gewalt geben", entstanden sein dürfte, deutet eher auf ein einseitiges Befehlsverhältnis hin und legt die Vermutung nahe, dass die Gegenseitigkeit der Führungsbeziehung hier weit weniger im Vordergrund steht. Als altes Veranlassungswort zu fahren (mhd. vüeren, ahd. fuoren, niederl. voeren, altengl. (ge)foeran) bedeutet das altgermanische Verb "führen" hingegen "fahren machen", "bringen" und "leiten". Es streicht in seiner neuhochdeutschen Hauptbedeutung "leiten, die Richtung bestimmen" den Nutzen für den Geführten und die wechselseitige Bedingtheit der Führungsbeziehung stärker heraus. In diesem Sinne ist auch die eingangs aufgestellte These "Führen wo Folgen, Befehlen wo Gehorchen der Zweck ist" zu verstehen, mit der ausgedrückt werden soll, dass Führung in der hierortigen Tradition auf der vernunftbegründeten Mündigkeit des Individuums aufbaut. Da dies für Soldaten aller Ebenen - damit auch für die Kommandanten aller Ebenen - zutrifft, wird das Prinzip konstitutiv für die Führung durch Auftrag, welche ihrerseits den Schlüssel zur Erringung der Führungsüberlegenheit darstellt. Die Auftragstaktik setzt ein überdurchschnittliches Maß an fachlicher Eignung und Beurteilungskönnen voraus. Mit der durch moderne Führungsinformationssysteme gebotenen Möglichkeit, Informationen und Befehle innerhalb der Befehlskette "durchzuschießen", und den sich aus der Forderung nach einem Unterlaufen der gegnerischen Reaktion ergebenden, verkürzten Beurteilungszeiten für die taktischen Ebenen könnte es gerade in modernen Streitkräften zu einer neuerlichen Betonung der "Befehlstaktik" auf unterer taktischer Führungsebene kommen, was aber durch intensive Nutzung der sich aus der Auftragstaktik ergebenden Möglichkeiten auf oberer taktischer - v.a. aber operativer - Ebene zu kompensieren sein wird.

Führung durch Auftrag

Das Prinzip der "Führung durch Auftrag" ist schon in seiner Konzeption (wenngleich auch strittig ist, ob es planmäßig "konzipiert wurde") eine Entwicklung der Aufklärung. Adressat der Aufträge ist der mündige, vernunftbegabte Soldat. Seine Befähigung, den gegebenen Handlungsspielraum zum Vorteil des Ganzen auszunützen, erwirbt er auf Grund eines auf Urteilsfähigkeit abzielenden Ausbildungssystems, das seinerseits ja auch der Aufklärung entspringt.

Uhle-Wettler sieht die rein instrumentelle Funktion der Auftragstaktik. Die fachlichcharakterlichen Wurzeln wären entstanden, weil nur so auf dem Schlachtfeld überlebt werden könne (damit wird ein humanistischer Ansatz, z.B. aus der Neubewertung des Individuums heraus, ausgeschlossen). Uhle-Wettler verneint die geistesgeschichtlichen Wurzeln der Auftragstaktik. Sie hätte sich ohne Philosophie, von selbst und darüber hinaus auch noch ohne Notwendigkeit herausgebildet.

Auch wenn die Auftragstaktik nicht auf Grund einer Philosophie "konstruiert" worden ist, so kann sie nach herrschender Meinung dennoch nur aus der geistesgeschichtlichen Tradition der Aufklärung und des Humanismus heraus gedacht werden. Spätestens im Ersten und Zweiten Weltkrieg wurde die Auftragstaktik planmäßig als Kompensat für die numerische Unterlegenheit im Bereich der klassischen Kampfkraftfaktoren angewandt.

Wesentlich für die Funktion der Auftragstaktik ist die Einstellung von Kommandanten, Fehler bewusst zulassen zu können, um ein eigenverantwortliches Ausfüllen des gegebenen Handlungsspielraumes zu fördern. Im Gegensatz zu Führungstraditionen, die in erster Linie auf "fehlerfreie" Umsetzung von Befehlen abstellen, erfordert die Auftragstaktik die höhere Qualifikation des Führers, der den mit den Aufträgen zu delegierenden Entscheidungsspielraum an die Leistungsfähigkeit seiner Untergebenen anzupassen hat. Ebenso ergibt sich aus der Metapher Wettlers, derzufolge die Führung einer "Herde von Löwen" ungleich schwieriger sei als die Führung einer "Herde von Schafen", wobei mit Letzterer aber kein Erfolg über einen Gegner zu erzielen wäre, dass die Auftragstaktik höhere Anforderungen an die soziale Kompetenz der Kommandanten und ihre Fähigkeit, "Gefolgschaft" zu finden, stellt als befehlstaktisch ausgerichtete Führungsphilosophien.

Die daraus abzuleitenden bildungsmäßigen Voraussetzungen spiegeln sich im Humboldtschen Bildungsideal, welches seinerseits als Antwort auf die Einflüsse des Humanismus und der Aufklärung verstanden werden kann. Das durch Scharnhorst, den Lehrer Clausewitz´, erstellte pädagogische Konzept, bei dem Bilden des Verstandes, Üben der Urteilskraft und Anleitung zum Selbstdenken in den Vordergrund gerückt worden waren, deckt sich mit den Ansätzen Humboldts und steht im klaren Gegensatz zur "Verfachlichung", die heute in manchen zivilen Fachhochschulen und Universitäten als "ballastfreie" und daher "praxisorientiertere" Ausbildung angesehen wird.

Zweck dieses auf Urteilskraft abzielenden Ansatzes ist die Herausbildung eines auch als Takt des Urteils bezeichneten "Coup d´oeil" des militärischen Führers. Das Wesen dieser Fähigkeit liegt zum einen in der synergetischen Verschmelzung von Theorie und Empirie im Kopf des Kommandanten bzw. innerhalb eines arbeitsteiligen Stabes, zum anderen in der durch Übung erworbenen und durch oftmalige praktische Erfahrung bewährten Eigenschaft des Truppenführers, so schnell und treffsicher zu Entschlüssen zu kommen, dass beim Außenstehenden der Eindruck entsteht, es handle sich tatsächlich um den göttlichen Funken (kriegerischer Genius, Operative Kunst, divinatorische Komponente etc.). Gerade weil die Treffsicherheit des Kommandanten bei entsprechender Grundbegabung erlern- und übbar ist und in jedem Fall auf systematischer Beurteilung beruht - auch wenn der Beurteilende den Führungsprozess derartig stark internalisiert und automatisiert hat, dass er ihn selbst kaum noch bewusst und strukturiert wahrnimmt -, stellt das genannte Prinzip eine der zentralen Forderungen an ein zeitgemäßes Offiziersausbildungssystem dar.

Das operative Führungsverfahren

Ziel dieses Verfahrens ist es, eine Qualität von Führungsentscheidungen zu erreichen, die es erlaubt, die für die Kompensation der numerischen Stärke des Gegners erforderliche Führungsüberlegenheit zu schaffen.

Wesentliche Wurzeln des arbeitshypothetischen operativen Verfahrens entstammen der (Kriegs-)Wissenschaftstheorie. Clausewitz versuchte, über ein ganzheitliches hermeneutisches Verstehen, welches über Schleiermacher weit hinausgeht, sogar zu einer abstrakten Anleitung zur Kriegführung zu gelangen. Er beschrieb die militärische Beurteilung über die um den Zweck des Feldzuges kreisenden Planungsschritte im Sinne eines hermeneutischen Zirkels, welcher es erlaubte, die zeitlich gestaffelt auf die Lage einwirkenden, interdependenten Größen zu berücksichtigen. Die von Clausewitz angewandte Methode der Dialektik findet im heutigen Ansatz ihren Niederschlag, sich nach Möglichkeit in das Denken des Gegners hineinzuversetzen ("nachteiligste" versus "wahrscheinlichste" gegnerische Option). Insbesondere der Versuch, die Arbeitshypothese durch den Stab zu falsifizieren (Auflösung der Induktionsproblematik), und das mit verteilten Rollen zwischen "Planungs-" und "Laufender Gefechts"-Zelle der Führungszentrale ausgetragene wargaming stellen weitere Anwendungsgebiete der dialektischen Methode in modernen Gefechtsständen dar. Dialektik und Hermeneutik einschließlich einer "divinatorischen", d. h. zukünftige Entwicklungen antizipierenden Komponente ergänzen einander zu einer Einheit, die durch die Empirie (Falsifikationsansätze durch den Stab, Gefechtssimulation, Nutzung abstrahierter, im historischen Kontext analysierter bzw. interpretierter statt applikatorisch angewandter kriegsgeschichtlicher Beispiele) zur Wirklichkeit rückgekoppelt wird.

Das u.a. aus den wissenschaftstheoretischen Erkenntnissen Clausewitz´ abgeleitete arbeitshypothetische Verfahren stellt eine der wesentlichsten Leistungen des heutigen operativen Führungsverfahrens im deutschsprachigen Raum dar, indem es operationale Kreativität mit systematisch analytischem Denken, Theorie mit Empirie, Induktion mit Deduktion zu einem synergetischen Ansatz vereint.

Die Hemmung zwischen systematisch analytischer und operational kreativer Gehirnsphäre, die z.B. beim Brainstorming durch den Ansatz des "Deferred Judgment" (Prof. Rohrbach) überwunden werden kann, wird beim arbeitshypothetischen Verfahren in eine Rollenverteilung zwischen Kommandanten und Chef des Stabes aufgelöst.

Gestützt wird dieser Ansatz auch durch einen Befund, welcher aus der von Hammerstein-Equord angestellten Kategorisierung von Offizieren nach den Dimensionen "Fleiß" und "Intelligenz" abgeleitet werden kann. Durch häufiges Üben und durch ständige Bewährung an der Gefechtswirklichkeit wächst der Chef des Stabes zum Kommandanten auf, sobald er den erforderlichen "Takt des Urteils" erworben hat. "Ein geringeres Maß an Fleiß" kann in diesem Zusammenhang jedoch nur bedeuten, dass der Kommandant Routineentscheidungen delegiert, um den Kopf für weit reichende und zeitintensive Entscheidungen frei zu haben.

Zur Steigerung der Fähigkeiten angehender Generalstabsoffiziere im Bereich der operationalen Kreativität wird am Generalstabslehrgang (Fach: "Allgemeine Führungslehre") verstärkt auf Kreativitätstechniken wie z.B. das bekannte Brainstorming, Ideen-Delphi, Heuristisches Theater, Synektik in Verbindung mit der Force Fit-Methode, Hypothesen-Matrix oder auf den morphologischen Kasten eingegangen. Klar ist, dass diese Techniken vorrangig für mittel- bzw. langfristige Planungen und Konzeptentwicklungen einzusetzen sind und in der Führung von Operationen ("Planung bis zum ersten Zusammentreffen mit dem Gegner - ab dann Führung") kaum Anwendung finden. Die Schulung im operationalkreativen Denken soll allerdings auch die Ideenfindung im Bereich der Ermittlung gegnerischer und eigener Handlungsoptionen während der laufenden Operation unterstützen.

Zusätzlich zur Vermittlung von Kreativitätstechniken werden in der österreichischen Generalstabsausbildung Ansätze zum Training der lateralen Denkfähigkeit (spezielle Denkaufgaben) verfolgt. Auch der Humor als wohl ursprünglichste Form der Kreativitätsschulung (Prof. Rohrbach sinngemäß: "Witz ist das Aufeinandertreffen zweier an sich bekannter Tatbestände an unerwarteter Stelle") darf im Sinne einer umfassenden Führungsausbildung nicht zu kurz kommen.

Das in seinen Ansätzen auf Clausewitz zurückgehende "arbeitshypothetische Verfahren der operativen Führung" verschmilzt die empirische Wissenschaftstradition mit einem systematischanalytischen, theoretischen Ansatz. Der sich daraus ergebende Synergieeffekt ermöglicht unter Einbeziehung der Komponente der operationalen Kreativität eine Entscheidungsqualität, die dem Verfahren Commander´s Intent bei entsprechender Qualifikation der Stabsmitglieder überlegen ist, wenn man dabei von technischen Mitteln zur Erringung der Führungsüberlegenheit absieht.

Aufgabe des Chefs des Stabes ist es, unter Ausnutzung seiner operationalen Kreativitätsleistung alle denkbaren grundsätzlichen Möglichkeiten zu erfassen. Der Kommandant wählt auf Grund seines durch oftmalige Übung vervollkommneten Beurteilungskönnens ("Takt des Urteils") die Möglichkeiten aus, die auf den ersten Blick die größten Erfolgschancen versprechen - ohne aber dabei eine der übrigen Möglichkeiten vorzeitig auszuscheiden. Die Schnelligkeit, mit der die o.a. Beurteilung des Kommandanten abläuft, erweckt beim Betrachter oftmals den Eindruck, dass die zunächst ausgewählten Möglichkeiten der Intuition des operativen Führers oder dem sprichwörtlichen "göttlichen Funken" entspringen. Tatsächlich handelt es sich dabei in den meisten Fällen um das, was bei Clausewitz und anderen als "Coup d´oeil", Takt des Urteils oder kriegerischer Genius umschrieben wird. Aus den gewählten Möglichkeiten wird die zunächst Erfolg versprechendste dem Stab zur Beurteilung übergeben. War der bisherige Anteil des Stabschefs und des Kommandanten der operationalen Kreativität bzw. der systematischanalytischen Wissenschaftstradition zugeordnet, so bringt der Stab im Versuch, die vorgegebene Arbeitshypothese zu falsifizieren, das empirische Element in das Führungsverfahren ein. Die Zuordnung des Stabes zum "empirischen Bereich" sagt natürlich nicht aus, dass dessen Beurteilung nicht einem systematischanalytischen Ablauf folgen würde. Vielmehr soll dargestellt werden, dass der Stab durch den Versuch der Falsifikation der Arbeitshypothese das empirische Element des gesamten Verfahrens bildet.

Im Gegensatz zum angloamerikanischen Verfahren des Commander´s Intent kann der Stab im Zuge des Versuches, die Arbeitshypothese aus den Angeln zu heben, auf neue Hypothesen stoßen, die im ursprünglichen "Suchfeld" des Kommandanten nicht enthalten waren. Wie schon beim Führungsprinzip der Auftragstaktik ist auch hier die Fähigkeit, Fehlentwicklungen zunächst zulassen zu können, unabdingbare Voraussetzung.

Je schwerer die Arbeitshypothese aus den Angeln gehoben werden kann, umso höher ist schließlich ihre Erfolgsaussicht zu bewerten.

Auswirkungen mangelnder Beachtung geistesgeschichtlicher Grundlagen

Durch das gesteuerte Zusammenwirken von Einflüssen der Aufklärung (Mündigkeit durch Vernunftbegabung), des Humboldtschen Bildungsideals (moralischethische Komponente der Offiziersausbildung), der katholischen Philosophie (Widerstandsrecht, -pflicht) und einer auf gegenseitiger Verantwortung aufbauenden Führungsbeziehung sollen Soldaten zu Gehorsam aus Einsicht und Vertrauen gegenüber dem Kommandanten verpflichtet, gleichzeitig aber widerstandsfähig gegenüber völkerrechtswidrigen Zielsetzungen totalitärer Regimes gemacht werden. Anhand der aus den folgenden drei geschichtlichen Beispielen zu ziehenden Folgerungen sollen Kernforderungen an ein zeitgemäßes operatives Denken im Rahmen der für Österreich relevanten Führungstradition abgeleitet werden. Insbesondere soll über die katastrophalen Auswirkungen, die sich durch eine unbeabsichtigte Außerachtlassung bzw. durch eine planmäßige Ausblendung geistesgeschichtlicher Grundlagen im Rahmen der operativen Führung ergeben, nachgewiesen werden, welche Bedeutung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Wurzeln der eigenen Führungstradition insbesondere in der Generalstabsausbildung zukommt.

Dabei soll danach gefragt werden, welchem Ebenenbezug operative Führung i.w.S. unterliegt (ist beispielsweise die Beteiligung an der politischen Entscheidungsvorbereitung/-findung in Beratungsfunktion Aufgabe der oberen militärischen Führung?) - bzw. welche Kernfunktionalitäten die operative Führung i.w.S. abzubilden hat, um einer Wiederholung der Geschichte in den genannten Bereichen vorbeugen zu können.

Beispiel 1: Die Niederlage Frankreichs 1940

Marc Bloch analysierte die Gründe für das Versagen der französischen Armee im Zweiten Weltkrieg. Seine Argumentationskette fußt v.a. auf folgenden Befunden: - Die Offiziere unterlagen einem Kastendenken (sahen sich eher als Nachfolger des prärevolutionären Adels denn als Angehörige des aufgeklärten Bürgertums); - sie hatten daher wenig Interesse an (demokratie-)politischer Bildung.

- Das einseitige subjektive Bedrohungsempfinden gegenüber der Linken führte zur Unterschätzung der Gefahr, die vom faschistischen Deutschland ausging.

- Die fehlende Bindung zum Volk verleitete zur verhängnisvollen Annahme, das Volk wäre gegen das faschistische Deutschland genauso verteidigungsunwillig wie die militärische Führung.

- Kritik am Bildungsstand des Volkes (" ... Ignoranz und Unkenntnis des Volkes ...”).

- Dazu kamen mangelnde Selbstkritik, ein gewaltiges aufklärerisches Defizit und ein niedriges Niveau an fachlicher (taktischer und operativer) Bildung (" ... Die Offiziere wären unfähig gewesen, den Krieg zu denken ...”).

Als Ergebnis dieser Faktoren ortet Bloch als Folge des Wirklichkeitsverlustes im Bereich der militärischen Führung ein deutliches Demokratie- und Schlagkraftdefizit innerhalb der Streitkräfte. Weiters arbeitet er heraus, dass die Erkenntnisse der Aufklärung am Offizierskorps fast spurlos vorübergegangen sind. Wäre der Empathie für die Unteroffiziere und Mannschaften in Frankreich der Beigeschmack des Treuebruchs und der Verbrüderung angehaftet, so war das anerkennendkameradschaftliche Verhältnis zwischen Offizieren und Unteroffizieren in Preußen schon seit Friedrich dem Großen selbstverständliche Grundlage, auf der die Auftragstaktik überhaupt erst aufbauen konnte.

Beispiel 2: Die Niederlage Preußens 1806 (Schlacht bei Jena und Auerstedt)

Die Analyse der französischen Revolutionskriege und der Gründe für das preußische Versagen in der Schlacht von Jena und Auerstedt stellt einen wesentlichen Ausgangspunkt für systematischwissenschaftliches, wirklichkeitsgestaltendes operatives Denken im deutschen Sprachraum dar. Auch Clausewitz sieht den Misserfolg in erster Linie als eine Niederlage des Denkens und ortet vier Hauptdefizite der preußischen Führung: - Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis, - Verwirrung über zentrale militärische Begriffe wie Strategie und Taktik, - fehlende militärwissenschaftliche Gesamtsystematik, - fehlender interdisziplinärer Gesamtansatz der Militärwissenschaft.

Clausewitz wird auf Grund seiner Kritik an "Wissenschaft" und den "windigen Systemmachern um Bülow" oftmals fälschlicherweise als Gegner der Militärwissenschaft dargestellt. Gerade das von ihm analysierte dritte Hauptdefizit zeigt aber, dass das Gegenteil der Fall ist. Das Missverständnis lässt sich mit der Aussage Clausewitz’ im 2. Buch 3. Kapitel von "Vom Kriege" leicht aufklären. "Wissenschaft wo bloßes Wissen, Kunst wo Können der Zweck ist" postuliert dort der preußische Kriegstheoretiker. Damit kritisiert Clauswitz die von ihm als "systemlos" arbeitend beurteilte preußische Kathederlehre der damaligen Zeit, der er in unserem heutigen Verständnis gerade "unwissenschaftliches" Vorgehen vorwirft.

Gleichzeitig lässt sich über die genannte Textstelle die häufige Fehlinterpretation erklären, Clausewitz würde operative Führung als ein in die Wiege gelegtes, andernfalls nicht erlernbares Göttergeschenk verstehen. Tatsächlich hat er sie im begrifflichen Gegensatz zum unreflektierten, unsystematisch ermittelten, "lexikalischen" Wissen - also viel eher im Sinne einer dem "Können" zugeordneten Wissenschaft - im modernen Begriffsverständnis interpretiert.

Mit seiner Kritik an den auf Grund ihres Adelsranges eingesetzten Kommandanten erreichte Clausewitz über die Militärreorganisationkommission sogar, dass das Anciennitätsprinzip per Dekret verboten wurde.

Beispiel 3: Die unzulässig verkürzte Interpretation der Clausewitzschen Kriegstheorie im Dritten Reich

Die Aussagen Clausewitz’ lassen sich zumindest in zweierlei Hinsicht kategorisieren. Einerseits in einen sicherheitspolitischen, einen militärstrategischoperativen und einen philosophischen Gehalt des Werkes, wobei ein geistesgeschichtliches Paradigma innerhalb der damaligen Philosophie erst im Entstehen war und unter Philosophie zur Zeit Clausewitz´ daher eine "Gesamtphilosophie" zu verstehen ist - andererseits hinsichtlich der Anforderungen an den militärischen Führer in fachliche, charakterliche und der humanistischen Allgemeinbildung entspringende Fähigkeiten.

Paradoxerweise scheint sich bei zivilen Universitäten und Fachhochschulen heute der Trend abzuzeichnen, gerade die fachliche Ausbildung in den Vordergrund zu stellen, wohingegen die Österreichische Generalstabsausbildung - so wie das im Übrigen der bayrischösterreichischen Interpretation des Generalstabssystems entspricht - an der humanistischallgemein bildenden Säule festhält.

Das preußische Offiziersausbildungssystem unterdrückte - so analysiert Hartmann - die Komponente der humanistischen Allgemeinbildung bewusst, um den Offizieren das Sensorium für das Erkennen des Unrechtsgehaltes von Befehlen zu nehmen und sie erst gar nicht in Gewissenskonflikte kommen zu lassen. Geht man vom Humboldtschen Bildungsbegriff als universalem, auf die Entfaltung aller Persönlichkeitskräfte gerichteten Prozess aus, ergibt sich vor dem Hintergrund dieser These die besondere demokratischpolitische Verantwortung eines modernen militärischen Ausbildungssystems für die Vermittlung gerade dieser konstitutiven Komponente der Offiziersausbildung, die eine Einsichtsfähigkeit in den Unrechtsgehalt von Befehlen zu fördern hätte.

Die Legitimation des "totalen Krieges" und des "Vernichtungsdenkens" aus einer bewussten Fehlinterpretation des Clausewitzschen Werkes "Vom Kriege" stellt wohl eine der schicksalsträchtigsten Auswirkungen eingeschränkten, operativen Denkens dar und funktionierte lediglich, weil eine umfassende, wissenschaftlichkritische Auseinandersetzung mit Clausewitz fehlte, die Offiziersausbildungssystematik ein Hinterfragen vorgegebener Ziele auf der Basis eines moralischethischen Wertmaßstabes nicht förderte und der mittlerweile zum "Primat des Krieges" pervertierte Primat der Politik der militärischen Führung politisches Denken oder gar Mitgestaltung verwehrte.

Bei Clausewitz, der in der Rezeption durch das Dritte Reich auf den militärstrategischoperativen Gehalt seines Werkes und fachliche sowie charakterliche Forderungen an den militärischen Führer (unter Letzteren versteht Clausewitz beispielsweise Kühnheit, Mut, Ausdauer - jedoch keine Fähigkeiten, die einen ethischen Bezug aufweisen würden) verkürzt worden war, entlehnte man kurzerhand den Begriff des "absoluten Krieges" und leitete daraus die Forderung ab, den Kampf nötigenfalls bis zum Untergang des eigenen Volkes zu führen.

Tatsächlich definierte Clausewitz den "absoluten Krieg" als idealtypischen, theoretischen Krieg, der erst unter den politischen Einflüssen und Unwägbarkeiten zum realen, "eingeschränkten" Krieg würde. Er schuf damit einen Arbeitsbegriff, anhand dessen er untersuchen wollte, wie sich die idealtypische Form des Phänomens "Krieg" unter Ausblendung variabler Faktoren entwickeln würde.

Der Idee der Vernichtungsschlacht stimmte Clausewitz in seinem vierten Buch "Vom Kriege" tatsächlich zu. Im ersten Buch wurde dieses Credo aber weit gehend relativiert und eingeschränkt. Keine Erwähnung fand in der Lehre des Dritten Reiches, dass das vierte Buch den jungen Jahren des Kriegstheoretikers entsprang, wohingegen das erste erst gegen Vollendung des Gesamtwerkes entstand und damit der Weisheit - wenn auch nicht "letzten" so doch "späteren" - Schluss darstellt.

Der eingeschränkte Zugang von Offizieren zur politischen Entscheidungsfindung bzw. ihre systematisch anerzogene Kritikunfähigkeit, insbesondere im moralischethischen Sinn, kommt in der Person Mansteins wohl am deutlichsten zum Ausdruck. Intelligenz, operatives Können, Entschlusskraft und militärischer Weitblick Mansteins stehen außer Zweifel und werden insbesondere bei den damaligen Gegnern Deutschlands vorbehaltlos anerkannt. Aus heutiger Sicht kann Manstein auch nur deshalb kritisiert werden, weil er den moralischethischen Gehalt der erteilten Weisungen nicht ausreichend prüfte bzw. nicht versuchte, aus einer daraus entstehenden "kognitiven Dissonanz" auszubrechen. Fraglich bleibt, ob seine gesamte Prägung durch die preußische Generalstabsausbildung der damaligen Zeit eine Einsichtsfähigkeit auch nur theoretisch erlaubt hätte. Das Urteil Johann Adolf Graf von Kielmannseggs, es gäbe keinen Oberbefehlshaber, der sich so mit Hitler angelegt habe wie Manstein, belegt die fachliche Kompetenz und den persönlichen Mut Mansteins, bezieht sich aber lediglich auf die Kritik an den operativen Vorgaben, nicht jedoch auf das Hinterfragen der ethischen Legitimation der erhaltenen Weisungen. Den Versuch, ihn für den Widerstand gegen das von der nationalsozialistischen Führung ausgehende moralischethische Unrecht zu gewinnen, beantwortete er mit dem legendären Ausspruch "Preußische Feldmarschälle meutern nicht" - obwohl er nachweislich nie ein Anhänger des Regimes gewesen war.

Wie auch das Beispiel Mansteins zeigt, sind Konflikte zwischen überdurchschnittlich begabten militärischen Denkern und Repräsentanten diktatorischer bzw. absoluter Regime vorgezeichnet. Clausewitz blieb auf Grund seiner unbequemen Ansätze und der Kritik an der "preußischen Kathederlehre" eine höhere Kommandoführung überhaupt versagt. Daraus könnte man im Umkehrschluss die noch zu untersuchende These ableiten, dass von der Betonung des Leistungsprinzips bei der Besetzung militärischer Führungsfunktionen eine der demokratischen Reife des Offizierskorps zuträgliche Wirkung ausginge.

Das Verhältnis zwischen der kontinentaleuropäischen Interpretation der katholischen bzw. protestantischen Soziallehre und dem gerade für ein auf der Auftragstaktik basierendes operatives Führungsverfahren bestimmendem Leistungsprinzip stellt eine weitere in diesem Zusammenhang anzusprechende geistesgeschichtliche Einflussgröße dar, deren Analyse aus Gründen des Umfanges aber einer gesonderten Untersuchung vorbehalten bleiben soll.

Ebenenbezug der Operativen Führung österreichischen Führungstradition

Die Scharnierfunktion zwischen politischer Entscheidungsfindung und militärischer Führung entspringt zu gleichen Teilen der Kriegstheorie (sich stetig wandelnde Interpretation des Primats der Politik von Clausewitz über Moltke d. Ä., Bismarck, Schlieffen, Ludendorff, die Pervertierung zum Primat des Krieges im Dritten Reich bis hin zum heutigen Verständnis) und der aus der Aufklärung (Gesellschaftsvertrag, Verfassungstheorien) resultierenden demokratischen Verfassung von Streitkräften im politischen Gesamtsystem des Staates.

Operative Führung i.w.S. soll die Mitwirkung der oberen militärischen Führung an der staatlichen Willensbildung, das heißt die militärstrategisch - soweit eine interministerielle Abstimmung erforderlich ist, auch strategisch - beratende Funktion gegenüber dem Bundesminister für Landesverteidigung beinhalten. Eine Beteiligung an der Entscheidungskompetenz verbietet sich in beiderlei Hinsicht auf Grund des Primats der Politik. Die Schnittstelle zwischen militärischer und politischer Führung ergibt sich daher auf zwei Ebenen: zwischen inhaltlich militärstrategisch arbeitender (weil militärstrategisch beratender) Generalstabsebene und der operativen Führung (i.e.S.) einerseits sowie zwischen ersterer und der politischen (militärstrategisch entscheidenden) Ebene.

Ausgegangen wird dabei von einem sich aus der Summe von (mit weit gehend Ressortbereichen korrelierenden) Teilstrategien ergebenden Gesamtstrategie-Verständnis im Sinne des "Strategischen Glossars" der Landesverteidigungsakademie Wien.

Kernforderungen an die Ausrichtung des "operativen Denkens"

Aus den in den dargestellten Beispielen zum Ausdruck kommenden geistesgeschichtlichen Grundlagen lassen sich folgende zentrale Forderungen an ein dem aktuellen und künftigen Bedrohungsbild entsprechendes operatives Denken im Rahmen einer für Österreich relevanten Führungstradition ableiten: - Befähigung zum Erkennen politischer Zusammenhänge, - um den Generalstabsoffizier in die Lage zu versetzen, auf militärstrategischer Ebene in beratender und entscheidungsvorbereitender Funktion mitwirken, im Sinne der politischen Führung interministerielle Umsetzungsschritte auf Beamtenebene setzen zu können, - in Analogie zur Praxis der Restated Mission auf die Mandatserstellung für internationale humanitäre Krisenreaktionsoperationen einwirken zu können, und - dem Offizier ein Sensorium für den moralischethischen Gehalt militärischer Operationen mitzugeben (auch wenn in den westlichpluralistischen Demokratien heutigen Zuschnitts die Ausführung völkerrechtswidriger Operationen nicht zu befürchten steht, bleibt ein politisches Gesamtverständnis beispielsweise dort unverzichtbar, wo viel Fingerspitzengefühl notwendig ist, um zu vermeiden, dass eine humanitäre militärische Intervention in den vom Gegner bewusst genährten Verdacht gerät, auch anderen als humanitären Zwecken zu dienen).

- Offiziersausbildung unter Berücksichtigung eines breiten, interdisziplinären, allgemein bildenden, wissenschaftlichen Ansatzes, der insbesondere einem moralischethischen Wertemaßstab zu genügen hat, Problemfindungs- und -lösungsbewusstsein in den Vordergrund stellt und auf kritisches Beurteilungsvermögen des Offiziers abzielt.

- Erarbeitung einer militärwissenschaftlichen Gesamtsystematik bei gleichzeitiger Einbettung der Militärwissenschaft in die universitäre Ebene.

- Weiterentwicklung des auf Synergieeffekten von Theorie und Empirie bzw. operationaler Kreativität und kritischanalytischem Denkvermögen beruhenden, arbeitshypothetischen operativen Führungsverfahrens, das es nach Erfüllung der notwendigen technologischen Vorbedingungen erlaubt, die für die Kompensation der numerischen Stärke des Gegners erforderliche Führungsüberlegenheit zu schaffen.

- Festhalten am Prinzip der Auftragstaktik, mit dem bei überdurchschnittlichem Ausbildungsstand der militärischen Führer aller Ebenen die statistische Chance des Misserfolges im Gefecht minimiert werden kann.

- Betonung der auf gegenseitiger Empathie und Verantwortung zwischen Führern und Geführten basierenden besonderen Führungsbeziehung.

Zusammenfassung

Nachdem zunächst nachzuweisen versucht wurde, dass die Leistungsfähigkeit eines abstrakten operativen Führungsverfahrens von der tatsächlichen Kriegserfahrung der jeweiligen Streitkräfte weit gehend unabhängig ist und dass die Rückbesinnung auf die Wurzeln der eigenen Führungstradition gerade in der Phase eines sicherheitspolitischen Paradigmenwechsels und einer voranschreitenden Vergemeinschaftung europäischer Verteidigungsanstrengungen unverzichtbar ist, um sich nicht der Vorteile eigener, orginärer Führungsleistungen begeben zu müssen, wurde die These untersucht, dass in der westlichen Welt an und für sich unterschiedslos wirkende geistesgeschichtliche Grundlagen, in zumeist mit Sprachräumen korrelierenden Kulturkreisen, eine spezifische Rezeption erfahren und auf diesem Wege ebenso spezifische militärische Führungstraditionen hervorbringen. In der Folge wurden die für die Führungstradition des deutschsprachigen Raumes leistungsbegründenden Prinzipien der operativen Führung i.w.S. analysiert und anhand dreier geschichtlicher Beispiele aufgezeigt, welche katastrophalen Folgen sich aus einer unbeabsichtigten Nichtbeachtung bzw. aus einer absichtlichen Ausblendung geistesgeschichtlicher Grundlagen ergeben können.

Abschließend wurden die aus den geistesgeschichtlichen Grundlagen einer für Österreich relevanten Führungstradition ableitbaren Kernforderungen an die Ausrichtung des operativen Denkens definiert.

Mag. Wolfgang Peischel

Geb. 1956; Oberst des Generalstabsdienstes; 1982-1985 Theresianische Militärakademie; 1991-1994 Ausbildung zum Generalstabsoffizier; 1991-1997 Studium der Politikwissenschaft; Hauptlehroffizier an der Landesverteidigungsakademie/Wien; seit 1999 Verwendung als Leiter des selbstständigen Referats Umfassende Landesverteidigung der Abteilung Militärstrategie im Bereich der Generalstabsgruppe B; 2001 Truppenverwendung als Kommandant Jägerregiment Wien.



Ihre Meinung/your opinion/votre opinion: Ihre Meinung/your opinion/votre opinion

Eigentümer und Herausgeber: Bundesministerium für Landesverteidigung | Roßauer Lände 1, 1090 Wien
Impressum | Kontakt | Datenschutz | Barrierefreiheit

Hinweisgeberstelle