Bundesheer Bundesheer Hoheitszeichen

Bundesheer auf Twitter

Psychologie des Einsatzes - Die NATO Arbeitsgruppe

Erwartungshaltungen und ihr Einfluss auf den Einsatz

Erwartungen, die sich nicht erfüllen, können zu Enttäuschung, Frustration, mangelnder Motivation und damit zu einer unzureichenden und fehlerhaften Arbeitshaltung führen. Anders als im zivilen Leben, wo Diskrepanzen zwischen Erwartungshaltungen und Realität nicht notwendigerweise ernsthafte Auswirkungen haben - da es mehr Möglichkeiten zum Aushandeln von Alternativen gibt -, kann es im Einsatz zu Disziplin- und Leistungsproblemen kommen, die entscheidende Auswirkungen auf den Einsatz haben.

Der Leitfaden der NATO-Arbeitsgruppe soll Kommandanten helfen, mit einer Reihe von psychologisch fordernden Einsatzerfahrungen, die das Potenzial in sich bergen, das Leistungsvermögen von Einzelnen oder der Gruppe zu verringern, besser umzugehen.

Erwartungen sind gedankliche Vorwegnahmen und gleichzeitig Vergegenwärtigungen eines kommenden Ereignisses. Sie beeinflussen die Art und Weise wie wir die Welt wahrnehmen, wie wir uns verhalten und fühlen - ob wir hoffnungsvoll, ängstlich, unsicher, enttäuscht oder zufrieden sind.

Erwartungen der Soldaten:

  • gute Verdienstmöglichkeit;
  • neue Erfahrungen, Kenntnisse und Herausforderungen;
  • gute Zusammenarbeit, Kameradschaft;
  • interessante Aufgaben, Abenteuer, Abwechslung;
  • neue Kontakte, Land und Leute kennenlernen;
  • Teil einer speziellen Gruppe (Soldaten) zu sein;
  • Einsatzerfahrung.

Erwartungen der Vorgesetzten:

  • Disziplin und Gehorsam;
  • jederzeitige Verfügbarkeit;
  • Fitness und Ausdauer;
  • Spezialisierung, Einsatzerfahrung erwerben.

Erwartungen der Gesellschaft:

  • Schutz und Hilfe;
  • Opferbereitschaft;
  • Vorbildwirkung.

Befragt man Soldaten vor einem Auslandseinsatz, was denn eigentlich - neben den guten Verdienstmöglichkeiten - ihre Erwartungen an den Auslandseinsatz sind, so lauten die häufigsten Antworten "gute Kameradschaft (gutes Betriebsklima, gute Zusammenarbeit, Teamarbeit)", "neue Erfahrungen (Kenntnisse, Herausforderungen)", "interessante Aufgaben" und "neue Menschen/Land und Leute kennenlernen".

Diesen Erwartungen stehen Befürchtungen gegenüber, die sich insgesamt kurz mit "dass sich der Einsatz anders gestaltet als erwartet" beschreiben lassen. Die Bedeutung von Erwartungen wird dadurch schnell sichtbar.

Entstehung von Erwartungen

Erwartungen entstehen durch die erhaltenen Informationen, d. h. durch Erzählungen von Kameraden, Freunden, Vorgesetzten, Vortragenden etc. Sie entspringen zum Teil aus Glorifizierungen von Kriegshelden in Filmen und reichen von einfachen Vorteilen ("guter Verdienst") bis zu höheren Zielen und Idealen ("Menschen helfen"). Manche dieser Erwartungen werden durch Erfahrung modifiziert, aber insgesamt ermöglichen diese Erwartungen, sich auf etwas einzustellen und damit auch aus- und durchzuhalten. Dies ist besonders bei wesentlichen und belastenden Umständen von großer Bedeutung z. B. ist im Kosovo der Internetzugang nur dienstlich möglich, man darf das Camp nicht alleine verlassen, "Land und Leute" erlebt die Mehrheit der Soldaten grundsätzlich nur in Form von Fahrten von einem Camp zum anderen, und die internationalen Begegnungen, die man sich vorgestellt hat, beschränken sich vielleicht auf den Besuch der schweizerischen Betreuungseinrichtung im Camp selbst. Die "interessante Aufgabe", die man sich erhofft hat, ist in der Realität dann oft langweilige Routine und die "Kameradschaft" beinhaltet auch, dass man monatelang mit seinen Arbeitskollegen zusammengesperrt ist - ohne echte Rückzugsmöglichkeit, weil man gemeinsam in einem Container untergebracht ist.

Eine realitätsnahe und ehrliche Einsatzvorbereitung ist daher von Bedeutung, da der Einsatz selbst schon genug Belastungssituationen mit sich bringt wie z. B.:

  • Abschied von Familie und Freunden, eine besondere Belastung für jede Partnerschaft mit erhöhter Trennungswahrscheinlichkeit,
  • ein fremdes Land mit anderer Kultur und anderem Klima,
  • neue Arbeitskollegen und Vorgesetzte,
  • neue Aufgaben, und dies alles in einem Krisengebiet und im Bewusstsein, dass das nun für einige Monate so bleiben wird.

Letztlich kommt es darauf an, was die Organisation dem Soldaten verspricht, sei es explizit in Rahmen von Vorträgen und Informationsmaterial oder implizit durch Werbung und den Umgang der Organisation mit den Einsatzsoldaten. Auch wenn diese Versprechungen manchmal im Rahmen eines Einsatzes schwer zu halten sind, und es oft nicht genug Zeit und Ressourcen gibt, die Diskrepanz zwischen Erwartungen und Realität zu beheben, so ist dennoch der Umgang mit diesen Enttäuschungen entscheidend für die Aufrechterhaltung der Motivation und der "Einsatzmoral" der Truppe.

Belastbarkeit und Erwartungen

Die Widerstandsfähigkeit, und damit auch die Einsatzmoral der Soldaten, ist jedoch auch noch von verschiedenen anderen Umständen abhängig. Dazu gehören Schlafentzug, schlechte, unregelmäßige Ess- und Trinkgewohnheiten, interkulturelle Differenzen unter den Soldaten, aber auch zwischen den Soldaten und der Zivilbevölkerung. Die Erwartungshaltung hinsichtlich dieser Umstände kann jedoch ihren Einfluss wesentlich verändern.

Erwartete Belastungen werden leichter ertragen als plötzlich hereinbrechende Schwierigkeiten mit denen niemand gerechnet hat. Soldaten, die beispielsweise zu einem Beobachtereinsatz nach Afrika geschickt wurden und sich plötzlich in einem Massaker von ungeahntem Ausmaß (Völkermord in Ruanda 1994: 800 000 bis 1 000 000 Tote) wiederfanden, konnten die dabei auftretenden Situationen nur schwer ertragen. Manche wurden viele Jahre von diesen Bildern verfolgt. Ihre Erwartung als Soldaten den Frieden zu sichern, wurde ebenfalls enttäuscht, da sie sich nur selbst verteidigen durften und hilflos mit ansehen mussten, wie Frauen vergewaltigt und Kinder getötet wurden.

Im Allgemeinen bedeutet dies, dass eine wesentliche Anforderung an modernes Militär ein schnelles Anpassen an sich ständig wechselnde Bedingungen ist. Soldaten müssen damit rechnen, dass sie sich plötzlich in Umständen wiederfinden, die sie trotz bester Vorbereitung nicht erwartet haben.

Der Einfluss des Kommandanten

Die Aufgabe der Kommandanten ist es, die Soldaten einerseits auf derartige Wechsel vorzubereiten und sie andererseits auch durch diese Bedingungsänderungen zu führen ohne sie zu überfordern. Das Ausmaß der Belastung eines Soldaten hängt also davon ab, wie weit er in der Lage ist, seine Welt (in diesem Fall des Einsatzes) als vorhersagbar zu erleben. Die Fähigkeit mit Unsicherheit, ja sogar Unvorhersagbarkeit umzugehen ist nicht nur stark vom eigenen Bewältigungsstil abhängig, sondern auch maßgeblich vom Vertrauen in den Kommandanten! Dieses Vertrauen entsteht in der Vorbereitung, indem auch von Kommandantenseite die Problematik des Unerwarteten offen thematisiert wird. So hatte man bei einem weiteren Afrikaeinsatz bereits aus alten Fehlern gelernt und den Soldaten ehrlich mitgeteilt, dass vom reinen Lageraufbau bis zum Kampfeinsatz (zur Selbstverteidigung) alles möglich sein könnte - ja selbst das Auftreten von schweren Erkrankungen und gefährlicher Tiere besprochen.

Kommandanten müssen also den Soldaten das Gefühl geben, dass sie wissen was zu tun ist. Vertrauen entsteht durch Information der Soldaten bezüglich der Intentionen und der Ziele der Operation. Der Kommandant muss also auch bereit sein, seine eigenen Erwartungen zu kommunizieren. Das stärkt den Zusammenhalt einer Einheit - den Teamgeist -, welcher selbst ein wesentlicher Bestandteil der Widerstandsfähigkeit ist.

Enttäuschte Erwartungen

Fallbeispiel 1: Ein Milizsoldat, der bereits einen Auslandseinsatz erfolgreich absolviert hatte, war als Techniker im Tschad eingesetzt. Von Beginn an fiel es ihm schwer, sich hierarchisch in seine Einheit einzuordnen, da er in seinem Zivilberuf in einer leitenden Funktion angestellt war und nun als "einfacher" Techniker eingesetzt wurde. Mit zunehmender Einsatzdauer fühlte er sich zudem durch Hitze, Staub und Arbeitsanforderungen überlastet. Außerdem hatte er im Rahmen seines vorhergehenden Einsatzes weitaus mehr Freizeitgestaltungsmöglichkeiten vorgefunden, um Zeiten ohne dienstliche Inanspruchnahme nutzen zu können. Da er daher mit ähnlichen Gegebenheiten für den Tschad gerechnet hatte, war er nun überrascht und enttäuscht von den vorherrschenden Einsatzbedingungen. Schließlich sank seine Leistungsbereitschaft soweit, dass er um eine vorzeitige Repatriierung ansuchte.

Der militärische Dienst bringt häufig Lageveränderungen und neue, ungewohnte Umweltbedingungen mit sich. Auch im Auslandseinsatz ist jede Mission anders als die vorherige und hat ihre Besonderheiten. Dies kann sich auf die militärische Auftragslage beziehen, aber beispielsweise auch auf die personellen Veränderungen, die mit den Rotationszyklen einhergehen. Da solche Bedingungen laufenden Veränderungen unterliegen, ermöglicht selbst die eigene Erfahrung oft keine verlässliche Vorhersage zukünftiger Einsatzbedingungen und -erlebnisse. Erwartungen, die sich nicht erfüllen, sind daher ein zwangsläufig auftretendes und "normales" Phänomen, das sich im Laufe einer militärischen Karriere kaum vermeiden lässt. So erleben z. B. viele Soldaten gerade zu Beginn eines Auslandseinsatzes Enttäuschungen als Reaktion auf die neuen, ungewohnten Lebens- und Arbeitsumstände. Dies trifft jedoch nicht nur auf Soldaten zu, die zum ersten Mal in einen Einsatz entsandt werden. Auch "Veteranen" müssen sich mit jeder Rotation an neue Kommandanten und Kameraden, veränderte organisatorische Abläufe oder eine neue militärische Lage gewöhnen. In der Regel gelingt diese Anpassung jedoch nach wenigen Wochen und ohne größere Probleme. Erst in der zweiten Einsatzhälfte steigt dann zumeist wieder die Bedeutung von Umfeldeinflüssen, die nicht den eigenen Erwartungen entsprechen. In dieser Einsatzphase sind die Aufgaben möglicherweise bereits sehr vertraut. Bleiben neue Aufgabenbereiche aus, kann es leicht zu Monotonie und in weiterer Folge zu Gefühlen der Unterforderung oder anderen Reaktionen auf das anregungsarme Umfeld kommen. Die Belastungen, die ein Auslandseinsatz mit sich bringt, führen daher häufig erst nach Wochen und Monaten zu Frustration und Enttäuschung.

Zumeist kommt gerade in dieser "Durchhaltephase" des Auslandseinsatzes den Kommandanten besondere Bedeutung zu. Deren Verhalten kann nämlich entscheidend zur Bewältigung dieser Belastungen beitragen.

Mögliche Enttäuschungen sind z. B.:

  • Belastungen im Einsatzraum;
  • Langeweile, Routine, Monotonie (kommen im Einsatz häufiger vor als man denkt);
  • Schwierigkeiten mit/durch Vorgesetzte(n) (der Kommandant kann eine Enttäuschung sein, schlechtes Verhältnis zum unmittelbaren Vorgesetzten, mangelnde Anerkennung, unmenschliches Verhalten, Ignoranz, schlechte Zusammenarbeit, lasche Formaldisziplin, kaum Maßnahmen der Vorgesetzten, schlechte Diensteinteilung, zu wenig Freizeit);
  • ein Funktionsdilemma (die Aufgabenbereiche entwickeln sich anders als angenommen, es sind unangenehme Entscheidungen zu treffen und die ständige Vorbildrolle fordert seinen Tribut);
  • ein Lagerkoller (mit zunehmender Einsatzdauer beginnen die Kameraden anstrengend zu werden);
  • Ablehnung von Seiten der einheimischen Bevölkerung, die den Soldaten oft auch feindlich gegenüber steht;
  • Probleme in der Beziehung: eine Trennung erscheint einem Partner leichter und sinnvoller als noch länger allein gelassen zu werden und die Zeit mit Warten zu verbringen (partnerschaftliche Probleme sind immer wieder ein Grund für vorzeitige Repatriierungen);
  • körperliche Verletzungen durch Unfälle, belastende Ereignisse, Tod eines Kameraden;
  • Alkoholmissbrauch;
  • die schwere Planbarkeit des Familienurlaubes;
  • die Kontaktmöglichkeiten (Telefon- und Internetverbindung), da diese eine wichtige Rolle spielen, um die Belastungen der Partner bzw. der Familie zuhause zu minimieren.

Welche konkreten Führungsmaßnahmen durch den Kommandanten angebracht sind, hängt jedoch vor allem davon ab, wie Soldaten auf enttäuschte Erwartungen reagieren.

Reaktionen auf enttäuschte Erwartungen

Soldaten können sehr unterschiedlich auf unerfüllte Erwartungen reagieren. Aus militärpsychologischer Sicht werden zwei Arten von Reaktionen unterschieden:

  • Soldaten, die Enttäuschungen akzeptieren oder aktiv Schritte zur Problembewältigung setzen, reagieren aus militärischer Sicht angepasst oder adaptiv, weil die Auftragserfüllung nicht gefährdet wird.
  • Fehlanpassungsreaktionen umfassen hingegen Leistungs- oder Befehlsverweigerung bis hin zum freiwilligen Abbruch des Auslandseinsatzes, Austritt aus dem Bundesheer oder zur aktiven Behinderung der Auftragserfüllung.

Adaptive Reaktionen

Im Idealfall gelingt es den Soldaten, der Situation mit positiver Akzeptanz zu begegnen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn das Verhältnis zum Kommandanten von Vertrauen getragen wird. In solchen Fällen werden neue Herausforderungen, aber auch Enttäuschungen oft mit Humor - ganz nach dem Motto "Durchbeißen!" - und durch soziale Unterstützung von Kameraden bewältigt.

Sofern das Vertrauen in die militärische Führung nicht ausreichend gegeben ist, kann hingegen stillschweigender Pessimismus eintreten. Auch in diesem Fall leidet die Auftragserfüllung zunächst nicht - zumindest nicht kurzfristig. Für eine längerfristige Perspektive ist es jedoch wichtig, diese Form der Anpassung rechtzeitig zu erkennen und entsprechende Gegenmaßnahmen zu setzen, da die Leistungsfähigkeit einer Einheit ansonsten langfristig Einbußen erleiden kann. Anzeichen für Pessimismus sind beispielsweise Depression und Zynismus. Häufig setzen Soldaten aber auch aktiv Schritte, um die als enttäuschend erlebte Situation zu ändern. Dies kann beinhalten, den Kommandanten von den Problemen zu informieren, Lösungsvorschläge zu unterbreiten oder auch ein Eingreifen des Kommandanten zu fordern. Sofern ein Problem durch diese Maßnahmen beseitigt werden kann, sind derartige Reaktionen sicher als adaptiv zu sehen. Kommt es hingegen zu weiteren Enttäuschungen, können sich Konflikte ergeben, in deren Zuge Verhaltensweisen auftreten, die mit den Erwartungen der Kommandanten an ihre Untergebenen nicht vereinbar sind.

Fehlanpassungsreaktionen

Enttäuschungen können auch - wie im Fallbeispiel 1 - zu Einbußen in der Leistungsbereitschaft führen, welche bis zum Wunsch nach einer vorzeitigen Repatriierung oder zum Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis führen. Andere Formen der Leistungsverweigerung stellen auch der "Dienst nach Vorschrift" und die Erbringung von Leistungen dar, die deutlich unter der Leistungsfähigkeit eines Soldaten liegen. In manchen Fällen könnten Soldaten aber auch aktiv die Auftragserfüllung behindern, etwa in Form einer mutwillig herbeigeführten Dienstunfähigkeit.

Fallbeispiel 2: Ein Soldat musste aus medizinischen Gründen vorzeitig aus einem Auslandseinsatz repatriiert werden. Da er eine Schlüsselfunktion innehatte und in absehbarer Zeit kein Ersatz aus dem Inland gestellt werden konnte, musste ein anderer Soldat von einem bestimmten Stützpunkt abgezogen werden. Die Mannschaft dieses Stützpunktes hatte jedoch bereits im Vorfeld Bedenken gegen eine Versetzung des Kameraden geäußert, da dies eine zusätzliche Belastung für sie bedeutet hätte - Wachaufträge und Patrouillentätigkeiten hätten auf die am Stützpunkt verbleibenden Soldaten aufgeteilt werden müssen und daher eine zeitliche Zusatzbeanspruchung dargestellt. Obwohl der Stützpunktbesatzung zunächst zugesagt worden war, dass es zu keinen personellen Veränderungen kommen würde, musste letztendlich doch ein Angehöriger der Mannschaft kurzfristig versetzt werden. Einer der auf dem Beobachtungsposten verbleibenden Kameraden zeigte sich von dieser Maßnahme so enttäuscht, dass er kurz vor Antritt seiner nächsten Schicht als Kraftfahrer Alkohol konsumierte, um seinen Dienst nicht antreten zu können. Nach der disziplinären Ahndung seines Verhaltens wurde auch er vorzeitig repatriiert.

In extremen Fällen können Enttäuschungen zu ausgeprägt destruktiven Handlungen, wie Selbstverletzung oder mutwilliger Beschädigung von Ausrüstungsgegenständen, bis zum Austritt aus dem Aktivstand führen. All das sind Reaktionen, die im weitesten Sinn die Leistungsbereitschaft der Truppe betreffen. Enttäuschungen und nicht erfüllte Erwartungen können jedoch auch zu Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit und der psychischen Gesundheit führen.

Erwartungen beeinflussen das Stresserleben

Fallbeispiel 3: Während eines motorisierten Marsches wurde eine Kompanie im Auslandseinsatz Zeuge eines Minenunfalls. Zwei einheimische Kinder wurden schwer verletzt. Eines der Kinder verlor dabei seinen Unterschenkel. Zahlreiche Angehörige der Einheit leisteten vor Ort Erste Hilfe. Einer von ihnen berichtete, dass es ihm trotz der schweren Verletzungen der Opfer sehr gut gelang, seine Handlungsfähigkeit aufrechtzuerhalten und er kaum Gefühle von Frustration, Hilflosigkeit und Ohnmacht empfand. Er führte dies darauf zurück, dass er im Laufe seiner Ausbildung bereits zahlreiche Bilder von Minenverletzungen gesehen hatte und ihn dieser Anblick daher nicht überraschen konnte. Erst wesentlich später, als die Opfer bereits in einem Feldlazarett versorgt wurden und er lediglich damit beschäftigt war, eine Infusionsflasche zu halten, überwältigten ihn die ungewohnten Gerüche nach Desinfektionsmittel und der Anblick des Blutes.

Ob ein Ereignis oder eine Situation als belastend erlebt wird, hängt von der Persönlichkeit und Bewältigungsfähigkeit, aber auch von verschiedenen Merkmalen der Situation ab. Neuheit und Vorhersehbarkeit eines Stressreizes bestimmen entscheidend, wie sehr ein "Kritisches Ereignis" Soldaten belastet. Mit anderen Worten: am ehesten wirken Stressreize belastend wenn sie neu sind, d. h. noch nie erlebt wurden, und unerwartet auftreten. Erwartungen beeinflussen durch diese Mechanismen daher auch die Stressbewältigungsfähigkeit und die psychische Einsatzbereitschaft von Soldaten. Je realitätsnäher die Vorbereitung auf Einsatzanforderungen erfolgt und je realistischer die Erwartungshaltung, desto besser kann militärisches Personal die in Einsätzen auftretenden Belastungen bewältigen.

Führungsmaßnahmen im Umgang mit Erwartungen

Da Erwartungen erheblichen Einfluss auf Leistungsbereitschaft und psychische Belastbarkeit von Soldaten haben, liegt es in der Verantwortung der Kommandanten auf allen Ebenen, diese auch entsprechend wahrzunehmen und zu berücksichtigen. Dies ist umso wichtiger, da auch die Ursachen für Enttäuschungen häufig Kommandanten zugeschrieben werden, auch wenn diese objektiv betrachtet z. B. in den vorherrschenden Einsatzbedingungen liegen. Es ist daher auch im Sinne der Kommandanten, Diskrepanzen zwischen Erwartung und Realität im Voraus zu erkennen und entsprechende Maßnahmen zu setzen.

Effektive Führungsmaßnahmen im Umgang mit Erwartungen umfassen:

  • kommunizieren;
  • fair handeln;
  • Vertrauen schaffen;
  • sensible Themen ansprechen;
  • Partizipation bei Entscheidungen zulassen.

Kommunizieren:

Aktives Zuhören erleichtert die Kommunikation innerhalb einer Einheit. Dies trifft sowohl auf formelle Situationen, wie z. B. Stabsbesprechungen, als auch auf informelle Situationen zu. Die Schaffung einer sicheren Umgebung, die es Soldaten ermöglicht, ihre Ansichten auszudrücken, ermutigt zu offener Kommunikation. Ein Kommandant, der offene Diskussionen hintanhält, wird feststellen, dass seine Untergebenen irgendwann zögern werden, wichtige Informationen weiterzugeben. Im Gegensatz dazu kann genaues Zuhören helfen, Bedenken von Einheitsangehörigen zu erkennen und Strategien zu entwickeln, die Motivation der ganzen Einheit zu erhöhen. Zudem ist es wichtig als Kommandant , die eigenen Absichten zu kommunizieren und - sofern es die militärische Lage zulässt - auch Hintergrundinformationen weiterzugeben. So sollte nach Möglichkeit die aktuelle Lage bei Befehlsausgaben dargestellt werden.

Fair handeln:

Soldaten werden eine Verletzung ihrer Erwartungen eher tolerieren, wenn sie die Diskrepanz zwischen ihren Erwartungen und der aktuellen Situation nicht als unfair erleben. So wird eine Einsatzverlängerung eher toleriert werden, wenn alle Kontingentsangehörigen später zurückverlegt werden.

Vertrauen schaffen:

Werden Erwartungen verletzt kann das Vertrauen zu den Kommandanten den Ausschlag geben, ob Soldaten angepasste oder fehlangepasste Reaktionen zeigen. Vertrauen kann aufgebaut und erhalten werden, indem Kommandanten verfügbar und erreichbar sind, Kompetenz demonstrieren, ihre Versprechen halten und ihren Untergebenen vertrauen. Dies beginnt bereits beim Eintritt in das Bundesheer: unrealistische Informationen über Berufslaufbahnen, den Dienst im Auslandseinsatz usw. können das Vertrauen der Soldaten in das System nachhaltig schädigen.

Sensible Themen ansprechen:

Kommandanten müssen im Einzelfall entscheiden, ob und in welcher Form sie sensible Themen, z. B. Konflikte innerhalb der Kompanie, ansprechen. Nicht immer bleibt für derartige Themen überhaupt während des Dienstbetriebes genug Zeit - dann ist es angebracht, die Untergebenen zumindest darüber zu informieren, dass ein Thema zu einem passenderen Zeitpunkt besprochen wird. In manchen Fällen scheuen sich Kommandanten aber auch, über heikle Angelegenheiten offen zu kommunizieren. Manchmal gibt es Befürchtungen, Unruhe in eine Einheit zu bringen oder es besteht die Hoffnung, dass sich ein Problem von selbst lösen wird. Im Allgemeinen überwiegen jedoch die Vorteile eines offenen Umgangs mit Konflikten und anderen "sensiblen" Themen - auch wenn dies kurzfristig zu temporären Unstimmigkeiten innerhalb einer Einheit führen kann.

Partizipation bei Entscheidungen zulassen:

Sorgfältig Entscheidungen zu treffen ist ein Prozess, der mitunter schwierig ist. Soweit es möglich und zielführend ist, Untergebene dabei einzubinden, sollte jedoch ein Klima angestrebt werden, in dem diese keine Angst davor haben müssen, ihre Meinung zu äußern und Ansichten von Kommandanten auch in Frage zu stellen. Die Bildung von "Lagern" innerhalb einer Einheit ("für" und "gegen" den Kommandanten) oder mangelnder Raum für Humor und Selbstzweifel sind deutliche Zeichen dafür, dass in den Entscheidungsprozessen Fehler passieren.

Resümee

Soldaten stellen Erwartungen an ihre Kommandanten und an den Dienst im Militär, sei es im Inland oder auch im Auslandseinsatz. Da sich Verletzungen von Erwartungshaltungen auf Leistungsbereitschaft, Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit von Soldaten auswirken können, ist es für Kommandanten wichtig, sich mit den eigenen Erwartungen, aber auch mit jenen der Untergebenen, auseinanderzusetzen. Obwohl Enttäuschungen für Soldaten nie gänzlich vermeidbar sind, können Kommandanten innerhalb der Einheit ein Klima schaffen, um Konflikte in Zusammenhang mit nicht erfüllten Erwartungen zu minimieren. Führungsmaßnahmen können dabei einen effektiven Umgang mit Erwartungen unterstützen. Dennoch werden auch hierbei Fehler kaum vermeidbar sein. Darüber laufend zu reflektieren und von solchen Erfahrungen zu profitieren zeichnet gute Kommandanten aus.

(wird fortgesetzt)


Autoren: MilPsych Mag. Ingrid Mayer, Diplomstudium Psychologie an der Universität Wien, Klinische und Gesundheitspsychologin, Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision. Seit 1998 Militärpsychologin im MilMedZ (FlPsychAmb), seit 2007 beim Heerespersonalamt (Referat Auslandseinsatz).

Wachtmeister MilPsych Mag. Wolfgang Prinz Bakk. 1997 Einjährig-Freiwilligenausbildung (ABCAbw), 1998 Diplomstudium Psychologie und Bakkalaureatsstudium Betriebswirtschaft an der Universität Wien, 2006 Ausbildung zum Klinischen und Gesundheitspsychologen. Seit 2007 Militärpsychologe beim Heerespersonalamt (Referat Auslandseinsatz), Lehrbeauftragter für Klinische Psychologie und Psychologische Diagnostik an der Universität Wien. 2008 Truppenpsychologe AUCON3/EUFOR TCHAD-RCA.

Eigentümer und Herausgeber: Bundesministerium für Landesverteidigung | Roßauer Lände 1, 1090 Wien
Impressum | Kontakt | Datenschutz | Barrierefreiheit

Hinweisgeberstelle