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Stressforschung am Fachhochschul-Bachelorstudiengang Militärische Führung

2009 begann ein Forschungsprojekt mit dem Thema "Steigerung der physischen und psychischen Leistungsfähigkeit durch Erkenntnisse der Stressforschung". Dieses Projekt wurde in Zusammenarbeit mit dem Institut und dem Lehr- und Forschungspersonal des Fachhochschul-Studienganges Militärische Führung (FH-Stg MilFü) und des Institutes für angewandte Stressforschung in Dillach bei Graz ins Leben gerufen.

Von Beginn an wurden die Ergebnisse dieses Forschungsprojektes in Fachzeitschriften, welche im Vorfeld einem Peer-Review unterzogen wurden, publiziert und bei internationalen Symposien in Deutschland, Großbritannien und Griechenland vorgestellt. Die Vortragenden wurden dafür mit Preisen ausgezeichnet. Auch verschiedene Bücher erschienen auf der Basis der Forschungsergebnisse am Fachhochschul-Bachelorstudiengang Militärische Führung (FH-BaStg MilFü).

"Forschung ist die Suche von neuen Erkenntnissen im Gegensatz zum zufälligen Entdecken sowie deren systematische Dokumentation und Veröffentlichung in Form von wissenschaftlichen Arbeiten." (Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Forschung. [09. 06. 2014]). Dieser Definition von Forschung folgend begann, neben diversen Vorstudien im Jänner 2011 ein Forschungsprojekt mit dem Thema "Steigerung der physischen und psychischen Leistungsfähigkeit durch Erkenntnisse der Stressforschung" am FH-Stg MilFü für die Dauer von drei Jahren, das durch das BMLVS unterstützt wurde. Der zu beobachtende Personenkreis dieses Projektes waren Probanden aus den FH-Stg MilFü sowie aus der Truppe. Einige wesentlichen Ergebnisse dieser Forschungen, die vor allem Möglichkeiten der Leis­tungssteigerung von Kommandanten aufzeigen, werden im Hauptteil dieses Artikels näher erläutert.

Begründungen für die Forschungen

Eine wesentliche Begründung für die am FH-BaStg MilFü durchgeführten Forschungen liegt im Militärstrategischen Konzept (MSK) des Österreichischen Bundesheeres, worin für den Bereich Forschung und Entwicklung folgender Einleitesatz angeführt ist: "Die mit diesem Konzept beschriebenen Anforderungen und Aufgaben für das ÖBH erfordern relevantes und adäquates Wissen zur bestmöglichen Aufgabenerfüllung." (Militärstrategisches Konzept des ÖBH, 2006). Somit liegt der Forschungsbereich des FH-BaStg MilFü bezüglich der Leistungssteigerungsmethoden für Kommandanten, die damit besser ihre Aufgaben erfüllen können, ganz im Sinne dieses Konzeptes.

Eine weitere Grundlage für die Forschungen bildet der Antrag auf Akkreditierung des FH-BaStg MilFü, worin festgeschrieben ist, dass für das Lehr- und Forschungspersonal hinsichtlich Lehre und Forschung ein Verhältnis von 50:50 anzustreben ist, um den aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechend unterrichten zu können. Die Forschungsaktivitäten am FH-BaStg MilFü beziehen sich allesamt auf das Militärstrategisches Konzept, die Stressforschung ist in den Projekten "Führung in Grenzsituationen - Entscheidungsfindung unter physischer und psychischer Belastung in verschiedenen Szenarien" sowie "Qualitätssicherung am FH-DiplStg [sic] MilFü - Von den Anforderungen zur Eignung von Führungskräften" verankert. (BMLVS, 2008, Antrag auf Akkreditierung des FH-Bachelorstudienganges Militärische Führung [FH-BaStg MilFü] 2. Änderung: Stand 05. Mai 2011. S. 52) Eine logische Begründung für die Stressforschung bildet der Regelkreis von Forschung und Lehre. Selbstverständlich soll an einer hochschulischen Einrichtung angestrebt werden, dem aktuellen Stand der Forschung entsprechend, die neuesten Erkenntnisse in einem gewissen Bereich zu unterrichten. Die Symbiose von Hochschul-Ausbildung und Forschung bildet dabei für die zukünftigen Offiziere den idealen Nährboden für die praktische Anwendung. Beispielsweise wird in der Lehrveranstaltung "Leistung und Stress" die Verbindung mit der Fallschirmsprung­ausbildung der Berufsoffiziersanwärter gesucht, um aus den Forschungserkenntnissen gewisse Leistungssteigerungsmethoden und damit Freiräume für das eigentliche Führen von Soldaten entwickeln zu können.

Unterstützung durch Stressmessungen

In der Forschung ist Stress - gemäß dem Vater der Stressforschung, Hans Selye -, als die individuelle Reaktion auf einen Stressor definiert. Angehende militärische Führungskräfte werden bei der Eignungsfeststellung und deren Ausbildung hinsichtlich ihrer Eignung und ihrer Vorbereitung für die spezifische militärische Aufgabenbewältigung gezielten physischen und psychischen Belastungen bzw. Stressoren ausgesetzt. Die wissenschaftliche Stressquantifizierung ermöglicht die Feststellung und die Optimierung der Problemlösungsfähigkeit in der Ausbildung unter dem kombinierten Druck aus physischen und psychischen Belastungen. Diese Stressmessungen werden mit der sogenannten Clinical Stress Assessment Methode (CSA-Methode) durchgeführt. Mit dieser Methode werden die Stoffwechselwerte aus Blutproben von Berufsoffiziersanwärtern analysiert, dokumentiert und interpretiert. Eine Messung dauert nur etwa drei Minuten und benötigt rund 100 Mikroliter (ein Zehntel Milliliter) Blut aus der Fingerspitze.

Dabei werden bei der Analyse des Blutes gleichzeitig zwölf zusammenhängende physiologische Blutwerte gemessen und statistisch aufbereitet. Dies geschieht in einer Form, dass unter anderem auch das Verhältnis zwischen den gemessenen Werten errechnet wird, was ein fingerabdruckartiges Bild des individuellen Stresses bezüglich seiner Intensität, seiner Dauer und seiner körperlichen oder mentalen Natur liefert.

Das dafür herangezogene Gerät aus der Intensivmedizin ist feldtauglich, kann daher für Messungen außerhalb von Labors verwendet werden und ist demzufolge besonders für den Einsatz bei der militärischen Eignungsfeststellung und der Optimierung der Führungskräfteausbildung geeignet. In diesbezüglichen Forschungsprojekten am FH-BaStg MilFü wurden unter anderem nachfolgende Erkenntnisse gewonnen, in einschlägiger Fachliteratur publiziert und zur Ausbildungsoptimierung am FH-BaStg MilFü wie oberhalb angeführt, herangezogen.

Eignungsfeststellung und Leistungsprognosen

In den bisherigen Vorstudien und Forschungsprojekten wurde festgestellt, dass sowohl die individuelle Einstellung als auch die Anstrengung zur Erfüllung einer Aufgabe quantifiziert werden kann. Darüber hinaus sind Prognosen über die Erfolgschancen von Aufgabenerfüllungen bis ca. 14 Tage in die Zukunft möglich. In Verbindung mit typischen militärischen Aufgaben für spezielle Funktionen kann damit eine Leistungsprognose, oder anders gesagt, die Eignungsfeststellung von Berufsoffiziersanwärtern mit sozialwissenschaftlichen Methoden durch naturwissenschaftliche im Aufnahmeverfahren ergänzt werden. Dabei kann jedoch nicht die absolute Rangordnung, sondern lediglich die Chance auf erwartbare Ergebnisse bestimmt werden.

Die Ursache dafür liegt im individuellen Grad der Aufregung vor einer militärischen Aufgabenstellung oder einem sportlichen Bewerb und der dadurch vom Stoffwechsel produzierten Säure. Der menschliche Organismus kann diese Säure nicht nur dadurch neutralisieren, dass wir verstärkt atmen, sondern auch dadurch, dass wir Wasserstoff aus dem Blut ins Gewebe und dafür Kalium aus dem Gewebe ins Blut transferieren. Je stärker die Erregung, desto mehr Säure entsteht. Je mehr Säure im Blut vorhanden ist, desto mehr Wasserstoff muss ausgetauscht werden. Je mehr Wasserstoff aus dem Blut weg muss, desto mehr Kalium kommt ins Blut hinein. Diejenigen Personen, die sich daher vor dem Bewerb am meisten aufregen, zeigen dann die höchste Kaliumkonzentration im Blut. Vergleicht man nun den Kaliumgehalt im Blut vor und die erzielten Ergebnisse nach der Erfüllung der militärischen Aufgabenstellung oder der Leistung in einen sportlichen Bewerb, so zeigt sich, dass die vorher am Aufgeregtesten meist im Bewerb die niedrigste Punktezahl haben. Fazit: Je mehr Kalium vorher im Blut vorhanden ist, desto weniger gute Ergebnisse oder Punkte sind nachher erreichbar (Grafik links).

In Zeiten rückläufiger finanzieller Ressourcen für die Sicherstellung der Ausbildung militärischer Führungskräfte und eingeschränkter Aufnahmemöglichkeiten von Berufsoffiziersanwärtern am FH-BaStg MilFü sollte der Feststellung der Eignung für die vorgesehene militärspezifische Verwendung vor Ausbildungsbeginn besondere Bedeutung zukommen. Dadurch sollte, gemäß spezifischer Eignung, schon früher und besser eine Zuordnung der Berufsoffiziersanwärter zu einer Waffengattung möglich sein. Im gegenwärtigen Forschungsprojekt wird versucht, die Ausbildung angehender Führungskräfte für die Entscheidungsfähigkeit in variierenden Belastungssituationen auf taktischer und gefechtstechnischer Ebene zu optimieren. Damit sollte es möglich sein, dass die am besten Geeigneten, für spezifische Verwendungen ausgewählt werden können.

Pausengestaltung und Überkompensation im Rahmen der Ausbildung

Soldaten bzw. Sportler, die ein militärisches Organisationselement führen oder sich für einen sportlichen Bewerb zielorientiert vorbereiten, sollen sich über Pausen im Allgemeinen, besonders aber über ihre Dauer und die Nützlichkeit einer gewissen Pausendauer in bestimmten Situationen Gedanken machen. Die Psychologie hat dazu ihre Erkenntnisse, doch sollte vor allem das Erfahrungspotenzial des die Ausbildung bzw. Trainingssteuerung durchführenden Personals abgeschöpft werden. Landläufig herrscht die nicht unberechtigte Ansicht, dass man jemandem eine Pause gönnen sollte, wenn er erschöpft ist. Eine wesentliche Erkenntnis dieser Untersuchungen ist, dass man während einer Belastung schon dann eine Pause einlegen soll, wenn man noch nicht erschöpft ist. Dass das nicht immer geht, ja, sogar nicht immer erwünscht ist, kann nicht bestritten werden. Darum sollte man die Wirkung einer Pause auf eine noch nicht erschöpfte Person genauer betrachten.

Jemand, der noch nicht erschöpft ist, hat noch gewisse Reserven - das liegt in der Natur der Sache. Und genau um diese Reserven handelt es sich. Eine wichtige Funktion des Blutes ist der Transport von Sauerstoff und dessen Verteilung. Bei mäßigem Joggen etwa ist der Energieumsatz etwas erhöht, die Muskeln verbrauchen als Treibstoffe mehr Fettsäuren und Zucker. Beim Zuckermotor kommt beim Auspuff Milchsäure heraus und säuert das Blut an. Saures Blut aber kann nur schlecht transportieren. Deshalb wird eine andere Säure, die Kohlensäure, aus dem Blut entfernt und als Kohlendioxid weggeatmet. Je rascher wir beim Laufen also atmen, desto mehr Sauerstoff nehmen wir auf und desto mehr Kohlensäure atmen wir auch ab und gleichen so den Milchsäureanstieg aus. So weit so gut.

Macht man jetzt eine Pause, geht der Zuckermotor mit seinen Touren herunter und aus der Muskulatur kommt viel weniger Milchsäure heraus. Trotzdem wird noch eine Zeitlang schneller geatmet. Dadurch wird während der Pause viel mehr Kohlensäure aus dem Blut entfernt als Milchsäure nachkommt. Das Blut reagiert nicht mehr säureneutral, es wird sogar basisch. Basisches Blut aber kann viel mehr Sauerstoff binden als saures Blut. Bei der nächsten Anstrengung, wenn wieder mehr Milchsäure ins Blut kommt, gelangt deshalb der gebundene Sauerstoff wie eine erfrischende Dusche über die Muskeln. Dies ist ein großer Vorteil bei der Bewältigung künftiger Anstrengungen. Darüber hinaus wird bei dieser bevorstehenden Anstrengung basisches Blut weniger schnell sauer als neutrales - ein weiterer Vorteil. Diese "Überreaktion", nämlich statt nur zu neutralisieren, sogar ein Stück ins Basische vorzudringen, vermindert entscheidend zukünftigen Stress, weil sie den Körper schon vorher erfolgreich aufstellt. Es ist eine zutiefst taktische Reaktion, die künftiges Verhalten des Gegners - die "Erschöpfung" - vorausahnt und bekämpft. Von solchen Überreaktionen, die den Organismus für die Zukunft stärken, ist der Mensch in der Natur überall umgeben und baut sie auch nach (z. B. Schwungrad und Rückstoßlader).

Zu dieser Überkompensation braucht man allerdings halbwegs intakte Reserven. Wenn das durch Milchsäure angesäuerte Blut schon so sauer ist, so dass die geschwächten Ausgleichsmechanismen in überschaubarer Zeit keinen Ausgleich mehr zulassen, dann ist auch keine taktisch kluge, zukunftsgerichtete und erfolgversprechende Überkompensation mehr möglich. Dann kann man die Energie der bestehenden Reserven nicht mehr ins "Zukunftssparbuch" investieren, weil diese Reserven nicht mehr da sind. Will man also aufbauen, muss man schon dann Pausen einlegen, wenn die Auszubildenden noch nicht erschöpft sind. Dank dieser gezielten weisen Maßnahme sind sowohl für Mannschaften als auch für Kommandanten schnellere Leistungssteigerungen möglich.

Wenn man wirklichen Leistungsaufbau betreiben will, sollte man zu häufige Erschöpfungen vermeiden. Rechtzeitige Pausen, wenn noch Reserven da sind, verhindern Erschöpfung und fördern den Aufbau durch die Überkompensation. Es kann das Training ruhig einmal übertrieben werden, weil der Körper auf Notfälle eingestellt ist. Allerdings brauchen Notaggregate viel Energie. Der Spritverbrauch, also etwa der Zuckerumsatz in Notsituationen, ist im Schnitt zwanzigmal (!) so hoch wie unter Normalbedingungen. Solche Notsituationen entstehen zum Beispiel durch Sauerstoffmangel oder Elektrolytmangel. Man stelle sich vor, dass ein Auto statt sieben Liter Diesel plötzlich hundertvierzig Liter frisst. Das fällt dramatisch auf! Beim Menschen selbst aber kaum. Dass aber dieser Energieraubbau in Notlagen noch schneller in die Erschöpfung hinabreißt, ist klar. Deshalb muss diese im Allgemeinen so gut es geht vermieden werden. Wir brauchen nämlich Zeit, um unsere Energiereserven wieder zu aktivieren. Jemand, der ungefähr zehn Kilo Speicherfett mit sich herumträgt, ist deshalb noch nicht sehr dick und hat Treibstoff für mindestens zwanzig anstrengende Tage. Kann er aber deshalb länger als die anderen joggen?

Diese Zeit, um Energiereserven wieder zu aktivieren, können nur bewusst eingelegte Pausen geben, wenn man noch nicht erschöpft ist. Werden diese Pausen allerdings hinausgezögert, bis man kaum mehr Reserven hat, gerät man immer öfter in Notsituationen. Immer schneller katapultiert einen dann der typische hohe Energieverbrauch in die Erschöpfung. Erschöpfung aber, lässt keine aufbauenden Pausen mehr zu, die schlummernden Energiereserven werden teils gar nicht ausgenützt und teilweise über das Not­aggregat verschleudert.

Man braucht diese Unterbrechungen der Anstrengung, diese rechtzeitigen Pausen dringend, um die gesamte Energie, über die man verfügt, auch abrufen zu können. Ununterbrochene Anstrengung erschöpft, ohne alle Energien richtig ausgenutzt zu haben. Eine doppelt unbefriedigende Lage.

Man stelle sich deshalb das menschliche Energiemanagement wie einen Kaugummiautomaten vor. Es wird eine Münze eingeworfen und der Automat spuckt eine Portion Energie aus. Dann ist Pause! Die nächste Münze kann wieder eine Portion abrufen. Wieder Pause. Auf diese kluge Art und Weise wird der gesamte Automat geleert, es wird somit die gesamte Energie genutzt. Nebenbei bemerkt, es achtet der clevere Verkäufer ebenfalls genau darauf, dass der Automat nie wirklich leer ist.

Wenn man sich aber einbildet, immer alles niederreißen zu müssen, obwohl momentan keine Notwendigkeit dazu besteht, dann geht man mit dem Brecheisen an den Automaten, die aufbauenden Pausen verschwinden und der ausgeklügelte Mechanismus geht kaputt. Bis der Organismus nach langer Reparatur wieder funktioniert, ist er erschöpft oder gar im Burn-out.

Diese Erkenntnisse werden im Bereich der Trainingssteuerung eines Sportlers bewusster, in der militärischen Ausbildung am FH-BaStg MilFü nur bedingt eingesetzt. Jedoch erfordert auch die erfolgreiche, einsatzorientierte militärische Ausbildung eine Zyklisierung bzw. Periodisierung, wie aus der Sportwissenschaft bekannt ist und in der Trainingssteuerung von Sportlern angewendet wird. Dieselbe Voraussicht wird im Bereich der Planung der militärischen Ausbildung angewendet. Bei eigentlich erforderlichen Planungsanpassungen in der militärischen Ausbildung kann dann jedoch nur eingeschränkt reagiert werden, wie es in der Trainingssteuerung zum Beispiel aufgrund einer Erkrankung eines Athleten zwingend erforderlich ist.

Das Zusammenspiel von personellen und materiellen Abstellungen, eingeschränkt verfügbaren Ausbildungsstunden und Übungsflächen oder anderen Parametern zwingt bei der militärischen Ausbildung und Einsatzvorbereitung in ein enges zeitliches Korsett. Darum sollten den verantwortlichen Kommandanten für die Erreichung von Ausbildungszielen durch die übergeordneten Führungsebenen Zeitreserven für Steuerungsmaßnahmen gelassen werden. Die Überprüfung der Abarbeitung fordernder curricularer Vorgaben ohne Rücksichtnahme auf die tatsächliche Verfassung der Auszubildenden, wie es einige Soldaten bei Laufbahnkursen und Einsatzvorbereitungen sicherlich schon erlebt haben, ist keine Garantie für eine erfolgreiche militärische Ausbildung und das erfolgreiche Bestehen im Einsatz.

Überbeanspruchung und Übertraining

Das Thema "Pausenarm" ist ebenso zu behandeln, weil es in der Ausbildung am FH-BaStg MilFü vorwiegend mit jungen Leuten in Zusammenhang steht. Dazu ein Beispiel: Am Freitag nach der finalen Befehlsausgabe röhren am Parkplatz vor der Kaserne die "Boliden" auf. Zumeist junge Herren in manchmal phantasievoller, stets aber hochwertiger Bekleidung, werfen sich hinters Steuer und zischen dem Wochenende zu Hause entgegen. Bis auf wenige, die in der Nähe wohnen, haben alle eine mehr oder weniger lange Fahrt vor sich. Was heißt eigentlich in der Nähe wohnen? Erstaunlicherweise kann man "in der Nähe wohnen" nicht nur in Kilometern beziffern, sondern auch damit, was der Körper unter Nähe versteht.

Szenenwechsel: Am Wochenanfang steht eine sportliche Überprüfung auf dem Dienstplan, die einem einiges abverlangt. Die Intensität der Belastung, die eine solche Herausforderung auf den Körper ausübt, kann zum Beispiel an der Veränderung des Magnesiumgehaltes des Blutes gemessen werden. Als Faustregel gilt, dass nach einer geistigen oder körperlichen Anstrengung gerade bei solchen Personen, die unter Magnesiummangel leiden, der Magnesiumgehalt im Blut steigt. Das klingt ein bisschen eigenartig, ist aber erklärbar. Magnesiummangel beschränkt die Leistungsfähigkeit, so dass die Muskelfasern auch bei relativ geringer Belastung viel leisten müssen. Hohe Leistung aber presst viel Magnesium aus den Muskeln heraus, das dann ins Blut kommt. Also: Schlechter Magnesiumstatus durch chronische Belastung heißt relativ hoher Magnesiumanstieg im Blut nach akuter Belastung. Die sportliche Überprüfung am Wochenanfang führt nun bei jedem Einzelnen zu einem ganz charakteristischen Magnesiumanstieg im Blut, je nachdem, wie hoch die chronische Belastung dieser Person in jüngster Vergangenheit war. Je höher die chronische Vorbelastung, desto höher der akute Magnesiumanstieg nach dem Sport.

Auf der Grundlinie der Grafik (Seite 405 unten), ist der Magnesiumgehalt des Blutes aller Untersuchten nach dem Sport aufgetragen, senkrecht darauf die Anzahl der am Wochenende zurückgelegten Kilometer. Es lässt sich zwischen dieser Kilometeranzahl und dem Magnesiumverhalten zunächst kein Zusammenhang erkennen.

Entfernt man jedoch diejenigen, die weniger als etwa 150 Kilometer zurücklegen mussten, wird plötzlich eine deutliche Beziehung zwischen den am Wochenende zurückgelegten Kilometern und dem Magnesiumanstieg nach Sport einige Tage später klar: Je weiter sie gefahren waren, desto stärker steigt ihr Magnesium bei der späteren Sportüberprüfung an (Grafik links).

Lehren, die aus diesem Verhalten zu ziehen sind:

- Bis etwa 150 Kilometer Umkreis spielt die Entfernung des Wohnortes konditionsmäßig keine Rolle. Der Körper des Autofahrers steckt also eine ungefähr eineinhalbstündige Fahrzeit ohne bleibende Dauerbelastung weg.

- Über 150 Kilometer Entfernung wird jeder zurückgelegte Kilometer zur zusätzlichen Belastung. Besonders dann, wenn man ihn auf die üblichen Wochenendbelustigungen wie Disco, Kaffee, Bier etc. aufpfropft.

- Offenbar "merkt" sich der Körper solche Belastungen noch tagelang.

- Andererseits sind gerade junge Leute, die regelmäßig und mit Begeisterung hunderte Kilometer etwa zur geliebten Person zurücklegen, nicht nur treu und begeisterungsfähig, sondern auch verlässlich. All das sind Eigenschaften eines guten Kommandanten. Und gerade diese Personen schneiden bei der Überprüfung in der folgenden Woche schlechter ab.

Eine Lösung wäre z. B., wenn man diejenigen, die nachweislich am Sonntag vor Mitternacht zurückkommen, länger schlafen ließe! Angehörige der Probanden könnten so gewonnen werden, einen früheren Aufbruch in Kauf zu nehmen. Weniger Gefährdung auf der Straße und bessere Leistung durch weniger Übermüdung könnte daraus resultieren.

Bei der Ausbildung von Kaderpräsenzeinheiten, die zumeist ein wesentlich größeres personelles Einzugsgebiet haben, sollte daher darauf Rücksicht genommen werden. Diese Untersuchungen fördern demnach sowohl die Ausbildung mit Überprüfungen zu physiologisch betrachtet günstigen Zeitpunkten und andererseits die Erziehung der Auszubildenden zu mehr Eigenverantwortung. Nur das Erreichen des Ausbildungserfolges ermöglicht das Bestehen in einem möglichen Einsatz und ermöglicht somit die Erfüllung der erwartbaren Aufgaben dieser Soldaten. Die bestmögliche Erfüllung der Hauptaufgabe ist zwar eine Leistung, die jeder Arbeitgeber erwarten kann, die Qualität dieses Bestmöglichen ist aber - wie sich gezeigt hat - verbesserbar.

Ausbildung unter variierenden belastenden Bedingungen

Bisher lag das Schwergewicht des Interesses bei der Leistungs- bzw. Potenzialfeststellung im Sinne einer möglichen konsequenten Leistungssteigerung. Die logische Fortsetzung dieses Projektes sind dann Untersuchungen, wie die Kernkompetenz jeder militärischen Führungskraft, das militärische Führungshandeln, sprich die Entscheidungsfähigkeit unter variierenden belastenden Bedingungen mit Fokus auf die Möglichkeiten der pädagogischen Führung und Konsequenzen für das taktische und gefechtstechnische Handeln, optimiert werden kann.

Dadurch soll festgestellt werden:

- Welche Quantität der Zusammenhang zwischen physiologisch messbaren Belastungen und vorwiegend persönlichen Wahrnehmungs- und Bewertungsstrukturen hat.

- Welche Intensität von physiologisch messbaren variierenden Belastungen die unterschiedlichen Arten der Entscheidungsfindung auf taktischer und gefechtstechnischer Ebene beeinflussen.

- Wann Entscheidungsextreme auf taktischer und gefechtstechnischer Ebene bei nachhaltiger Belastung in Erschöpfungszustände übergehen.

- Welche Empfehlungen sich für die Lehre am FH-BaStg MilFü aus der physiologisch möglichen Quantifizierung der Belastbarkeit bei den unterschiedlichen Arten der Entscheidungsfindung auf taktischer und gefechtstechnischer Ebene ergeben.

- Welche Empfehlungen sich im Allgemeinen aus der physiologisch möglichen Quantifizierung der Belastbarkeit bei den unterschiedlichen Arten der Entscheidungsfindung auf taktischer und gefechtstechnischer Ebene ergeben.

- In welcher Form die Erkenntnisse des Forschungsprojektes in die Führungstheorien - mit Schwergewicht "Führung im Einsatz" - einfließen können.

Auch dieses Forschungsprojekt ist für die Dauer von drei Jahren angesetzt. Mit diesem Bericht wollten die Verfasser einerseits einen kleinen Auszug der im Rahmen der am FH-BaStg MilFü durchgeführten Forschungsprojekte geben und einen Ausblick auf mögliche Erkenntnisse zur Optimierung der Ausbildung militärischer Führungskräfte unter Anwendung der Stressforschung präsentieren. Andererseits sollten damit in Zeiten rückläufiger finanzieller Ressourcen mögliche ergänzende Optimierungsmöglichkeiten der bestehenden Personalauswahlverfahren mit naturwissenschaftlichen Methoden im Österreichischen Bundesheer vorgestellt werden, um zukünftig den am besten Geeigneten anhand neuester wissenschaftlich fundierter Grundlagen zum erfolgreichen militärischen Führungshandeln zu befähigen.

Weitere Erkenntnisse

Sollte mit diesem Bericht Interesse an weiteren Erkenntnissen geweckt worden sein, kann auf die im Herbst 2014 erscheinende, zusammenfassende Publikation der diesbezüglichen Forschungserkenntnisse am FH-BaStg MilFü verwiesen werden. Die Ergebnisse sind zweisprachig verfasst (Deutsch und Englisch) und mit Erläuterungen für ein mögliches Attraktiveren bzw. Optimieren der Ausbildung im Rahmen des Grundwehrdienstes und der Führungskräfteausbildung an den Ausbildungsstätten des Österreichischen Bundesheeres versehen. Sie können unter www.miles.ac.at heruntergeladen werden.


Autoren: Univ.-Prof. Dr. Sepp Porta, Jahrgang 1945. Leiter des Institutes für angewandte Stressforschung in Dillach bei Graz. Entwickler einer neuen Methode für die Stressdiagnose. Lektor und Betreuer zahlreicher wissenschaftlicher Arbeiten am FH-BaStg MilFü.

Oberst dhmfD Dr. Harald Gell, Jahrgang 1963, MSc MSD MBA. Leiter der Dozentur für vergleichende militärische Führungsausbildung (Internationale Kooperation) am FH-BaStg MilFü an der TherMilAk. 1992, ausgemustert als Artillerieoffizier. Auslandseinsätze in Bosnien, Kroatien und zuletzt als Chief Operations Officer in Syrien. Master Studien Sicherheitsmanagement, Bildungsmanagement und Ökonomie sowie Doktoratsstudium im Bereich der Sicherheitsforschung. Zahlreiche internationale Ausbildungen und Aktivitäten in Europa und Nordamerika.

Major Mag.(FH) Michael Moser. Jahrgang 1973. 2002 Ausmusterung an die FMTS. 2002 bis 2006 Lehroffizier Fernmeldedienst. 2006 Versetzung zum HNaA für KPE-Verwendungen mit vier Auslandseinsätzen bei EUFOR ALTHEA und KFOR. Seit 2012 Leiter des Referates Bibliothek & Dokumentation im Institut für Offiziersausbildung an der Theresianischen Militärakademie und Projektleiter für das Projekt "Ausbildung zum Führen und Entscheiden unter variierenden belastenden Bedingungen".

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