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CSSR 1968

Der Einsatz des Österreichischen Bundesheeres während der "krisenhaften Situation".

Panzer des Warschauer Paktes beendeten im Sommer vor 40 Jahren den "Prager Frühling" und damit den tschechoslowakischen Traum vom "Demokratischen Kommunismus". Auf Anordnung österreichischer Politiker unterblieb damals der Sicherungseinsatz des Bundesheeres unmittelbar an der Staatsgrenze. Ein massiver Vertrauensverlust der Bevölkerung in die Institution Bundesheer war die Folge.

Im Jahre 1967 hatte sich in der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik (CSSR) ein politisches Klima entwickelt, das - vor allem mit der Forderung nach einem "Demokratischen Kommunismus" - eine Änderung der bisherigen Form der Machtausübung durch die Repräsentanten der Kommunistischen Partei der CSSR einleitete. Die CSSR war als Mitglied des am 14. Mai 1955 gegründeten Warschauer Paktes in dessen Führungsstrukturen aktiv eingebunden und unterlag somit den paktüblichen Regeln und Beschränkungen. Im Gegensatz zur Deutschen Demokratischen Republik, zu Polen oder Ungarn befanden sich damals aber keine sowjetischen Truppen oder Kommanden auf dem Territorium der CSSR.

Der "Prager Frühling"

Am 5. Jänner 1968 übernahm Alexander Dubcek den Vorsitz der Kommunistischen Partei der CSSR und es begann eine Entwicklung, die - auch "Prager Frühling" genannt - Merkmale einer Liberalisierung aufwies. Der "Prager Frühling" und die, die Reformbestrebungen ablehnende Haltung Moskaus prägten die folgenden Monate ebenso, wie die Anti-Vietnam-Proteste bzw. die "68er-Bewegung" in den USA, Frankreich sowie Deutschland, aber auch in Italien, den Niederlanden und Japan.

Auf einer kurzfristig einberufenen Konferenz der Staats- und Parteichefs der Warschauer-Pakt-Staaten am 23. März 1968 in Dresden wurde unter Vorsitz der UdSSR versucht, den "Prager Frühling" politisch einzudämmen. (Der "Prager Frühling" ist ein seit 1946 jährlich stattfindendes, internationales Musikfestival. Dessen Name wurde zum Synonym für die politische Liberalisierung von 1968.) Höchstwahrscheinlich drohte man bereits damals der CSSR-Führung mit einer Intervention. Jedenfalls begann wenige Tage darauf der Truppenaufmarsch an den Grenzen der DDR, Polens, Ungarns und der UdSSR zur CSSR. Damit schloss sich eine Art Ring um die CSSR, zunächst wohl eher als demonstrative Maßnahme und als indirekte Drohung.

Die Gruppe Nachrichtenwesen im Bundesministerium für Landesverteidigung bewertete dies bereits als Aufmarsch von "Pressionstruppen" und als Teil der Vorbereitung einer möglichen militärischen Intervention in der CSSR.

Im März 1968 waren 14 bis 16 Divisionen des Militärbezirks Karpaten, der Gruppe Sowjetischer Truppen in Deutschland (GSTD), der Nord-Gruppe der Truppen (NGT), der Süd-Gruppe der Truppen (SGT) sowie der Nationalen Volksarmee der DDR, der Polnischen Volksarmee und der Ungarischen Volksarmee an umfangreichen Truppenbewegungen in der CSSR beteiligt - offiziell im Zuge von Manövern und Stabsrahmenübungen. Die Gruppe Nachrichtenwesen legte daher am 22. März 1968 dem Bundesminister für Landesverteidigung Dr. Georg Prader, dem Bundespräsidenten Dr. h. c. Franz Jonas sowie Bundeskanzler Dr. Josef Klaus eine Sonderinformation über die Entwicklungen in der CSSR vor und schloss darin auch ein "wesentliches Einwirken" der UdSSR in der CSSR nicht aus.

Aufgrund dieser Beurteilung erfolgten Überlegungen zu allfälligen Reaktionen und Vorbereitungsmaßnahmen des Österreichischen Bundesheeres. Hinsichtlich einer "Beunruhigung der Bevölkerung" wurden derartige Reaktionen aber als "nicht zweckmäßig" beurteilt und demzufolge auch nicht empfohlen.

Die Entwicklung in der CSSR, vor allem aber in deren Umfeld, bildete am 13. Mai 1968 das Thema einer Besprechung im Bundesministerium für Landesverteidigung zwischen dem Bundesminister Dr. Prader, dem Generaltruppeninspektor General Erwin Fussenegger und dem Befehlshaber der Gruppe I (eine der drei Gruppen des Heeres; Anm.), Generalmajor Leo Waldmüller. Man befürchtete eine für das Bundesheer "kritische" Lage an den Wochenenden (aufgrund der normalerweise nur geringen Verfügbarkeit von Personal). Auch wusste man, dass offizielle militärische Vorbereitungen auf politischen Widerstand stoßen würden. "Vorbereitungen mit offiziellem Charakter sind politisch nicht möglich. Es muss aber eine Maßnahme eingeleitet werden, die einen Übungsanstrich hat", lautet dazu ein geheimer Aktenvermerk.

Daher erteilte Bundesminister Dr. Prader die Weisung, durch entsprechende Belegungen der Truppenübungsplätze, vorerst für die nächsten zwei Monate auch an den Wochenenden - im Zuge "übungsweiser" Verlegungen - stets marschbereite Truppenteile verfügbar zu halten.

Die Grobgliederung des Bundesheeres 1968

Bundesministerium für Landesverteidigung

  • Gruppe I (Wien, Niederösterreich, Burgenland): Gruppenkommando I (Wien), Gruppentruppen, 3. Panzergrenadierbrigade, 9. Panzergrenadierbrigade, 1. Jägerbrigade, 2. Jägerbrigade (Reserveverband)
  • Gruppe II (Steiermark, Oberösterreich, Kärnten): Gruppenkommando II (Graz), Gruppentruppen, 5. Panzergrenadierbrigade, 7. Panzergrenadierbrigade, 10. Jägerbrigade (Reserveverband)
  • Gruppe III (Salzburg, Tirol, Vorarlberg): Gruppenkommando III (Salzburg), Gruppentruppen, 4. Panzergrenadierbrigade, 6. Jägerbrigade, 8. Jägerbrigade (Reserveverband)
  • Luftstreitkräfte: Gruppenkommando Luftstreitkräfte (Wien), Fliegerbrigade, Luftabwehrbrigade
  • Heeresversorgung

Intervention "unwahrscheinlich"

Als ein Teil der Manövertruppen die CSSR wieder verließ, berichtete Bundesminister Dr. Prader am 12. Juli 1968 dem Bundespräsidenten folgende Lageeinschätzung der Gruppe Nachrichtenwesen: "Es ist vorerst noch nicht abzusehen, ob dem ,Abzug‘ der Manövertruppen aus der CSSR auch jener der Pressionstruppen, die entlang der Grenzen zur CSSR seit geraumer Zeit in Bereitstellung liegen, folgen wird." Nach wie vor befanden sich sowjetische Führungstruppen für zwei Armeestäbe sowie einige Bataillone Kampftruppen in der CSSR und in deren Umfeld waren weitere Divisionen verlegt worden. Daher hielt Bundesminister Dr. Prader schon am Folgetag eine Besprechung mit Generaltruppeninspektor General Fussenegger, den Leitern der Sektionen I und III im Bundesministerium für Landesverteidigung (Sektionschef Dr. Lothar Steiner und General Otto Seitz) sowie den Leitern der Gruppen Nachrichtenwesen und Wehrpolitik (Brigadier Alexander Buschek und Brigadier Anton Leeb) ab. Das Ziel war die Vorbereitung eines Einsatzes des Bundesheeres im Krisenfall. Die Bundesregierung hingegen hielt eine militärische Intervention des Warschauer Paktes für "unwahrscheinlich" und stand den militärischen Überlegungen skeptisch gegenüber.

Am 24. Juli 1968 erging die von der Gruppe Operation ausgearbeitete und von General Erwin Fussenegger genehmigte Weisung (für den Einsatzfall CSSR) unter dem Deckwort "Urgestein" an die Gruppenkommanden des Bundesheeres: Im Falle eines Eingreifens von Streitkräften des Warschauer Paktes in der CSSR sollte das Bundesheer den Schutz der Grenzen als Beweis des Willens zur unbedingten Neutralität übernehmen. Der Einsatz der Kräfte war in drei Phasen vorgesehen:

  • In der ersten Phase hatte die 1. Jägerbrigade (Eisenstadt) die Grenze im Weinviertel zu sichern, die 3. Panzergrenadierbrigade (Mautern) jene im Waldviertel und die 4. Panzergrenadierbrigade (Linz-Ebelsberg) den Grenzanteil im Mühlviertel.
  • In der zweiten Phase waren die 5. Jägerbrigade (Graz), die 7. Jägerbrigade (Klagenfurt) und 6. Jägerbrigade (Innsbruck) zur Verdichtung einzusetzen.
  • Erst in der dritten Phase sollten die ab 1962 vorwiegend aus Reservisten aufgestellten Grenzschutzkompanien in Niederösterreich und das Grenzschutzbataillon Mühlviertel in Oberösterreich die eingesetzten Truppen ergänzen oder ablösen.

Die Weitergabe schriftlicher Befehle an die nachgeordneten Kommanden war den Gruppenkommanden zunächst untersagt. Die Brigaden wurden daher teilweise nur mündlich, die Bataillonskommandanten nicht oder nur sehr allgemein informiert.

Am 25. Juli 1968 besprachen Bundesminister Dr. Prader und Brigadier Freihsler, der Leiter der Gruppe Operation - ohne Einbeziehung des Generaltruppeninspektors - die Vorbereitung des Einsatzes. Dabei stellte der Bundesminister nach einer Diskussion klar, dass die Einheiten des Bundesheeres in einem Abstand von 30 km zur Staatsgrenze zu verbleiben hätten. Diese Information wurde jedenfalls an die mit "Urgestein" befassten Gruppenkommanden nicht weitergegeben. Es ist auch nicht sicher, ob General Fussenegger von dieser Abänderung überhaupt Kenntnis erhalten hatte.

Ab dem 26. Juli 1968 fanden ein Treffen der Staats- und Parteiführungen der Warschauer-Pakt-Staaten in Cierna nad Tisou (Schwarzau an der Theiß), und am 3. August 1968 ein Folgetreffen in Bratislava (Pressburg) statt. Diese Treffen signalisierten nach außen hin Einigkeit. Die Gruppe Nachrichtenwesen hingegen hielt am 1. August 1968 die Interventionsvorbereitungen für abgeschlossen. Trotzdem begann in Österreich - nach dem scheinbar friedlichen Ausklang der Konferenz von Bratislava - die gewohnte Urlaubsperiode der Bundesregierung, begleitet von den üblichen Parlamentsferien und den Erholungsurlauben der leitenden Beamten.

Die "Abwehr der Konterrevolution" beginnt

Am späten Abend des 20. August 1968 begannen Truppen mehrerer Mitgliedstaaten des Warschauer Paktes die Operation "Donau" zur "Abwehr der Konterrevolution" in der CSSR. Im Bundesministerium für Landesverteidigung erfolgten am 21. August 1968 um 0150 Uhr die Vorwarnung der Gruppe Nachrichtenwesen an den Journaldienst des Bundesministeriums für Landesverteidigung und um 0240 Uhr die erste Verbindungsaufnahme der Kommandozentrale des Bundesministeriums für Inneres mit dem Permanenzdienst des Bundesministeriums für Landesverteidigung. Dieser setzte Brigadier Freihsler fernmündlich von der Entwicklung in Kenntnis, der daraufhin Rücksprache mit der Gruppe Nachrichtenwesen hielt. Die Beurteilung teilend, dass eine Intervention anlaufen würde, ordnete Freihsler die Vorwarnung der Kommanden im Sinne von "Urgestein" an. Diese erfolgte um 0300 Uhr und eine halbe Stunde später erging an die Gruppenkommanden die Weisung zur Alarmierung.

Inzwischen war auch die Alarmierung der politischen Verantwortungsträger angelaufen. Da der Bundesminister für Landesverteidigung in seinem Feriendomizil am Erlaufsee telefonisch nicht erreichbar war, wurde ein Gendarmeriebeamter vom Posten Mariazell zu ihm gesandt. Um 0545 Uhr nahm Bundesminister Dr. Prader erstmals von Mariazell aus mit Brigadier Freihsler im Bundesministerium für Landesverteidigung telefonisch Verbindung auf und genehmigte (nachträglich; Anm.) die bisher getroffenen Maßnahmen. In Übereinstimmung mit den bisherigen Festlegungen erfolgte daher noch kein Befehl für einen Einsatz bzw. Abmarsch der Verbände. (All das ist im Kommandotagebuch des Einsatzes schriftlich festgehalten.)

Alarmierung und Aufmarsch des Bundesheeres

Die 1. Jägerbrigade in Eisenstadt wurde um 0530 Uhr alarmiert. Ihr Chef des Stabes - Major dG Siegbert Kreuter - war verfügbar und leitete die weiteren Maßnahmen.

Kurz nach 0600 Uhr hatte auch die Radarstation auf dem Kolomannsberg ihre Tätigkeit aufgenommen und man konnte so den Luftraum über Westungarn und der westlichen Slowakei, Mähren, Böhmen und Süddeutschland überwachen. Ebenso wurde knapp nach 0600 Uhr für die Saab J-29 Startbereitschaft angeordnet. Um 0735 Uhr starteten die ersten beiden Hubschrauber - eine "Alouette" II und eine H-13 H - zu Überwachungsflügen entlang der Grenze in Ober- und Niederösterreich. Derartige Flüge wurden - gemeinsam mit Flächenflugzeugen des Typs Cessna L-19 - in der Folge zur Routine und erfolgten ebenso regelmäßig, wie die Patrouillenflüge der Saab J-29 F, der "Fliegenden Tonnen".

Um 0820 Uhr war die 4. Panzergrenadierbrigade in Linz-Ebelsberg abmarschbereit, erinnert sich General i. R. Johann Mittendorfer. Die Alarmierung der 3. Panzergrenadierbrigade (Mautern) verlief gleichfalls problemlos und um 0840 Uhr wurde die gesamte 3. Panzergrenadierbrigade abmarschbereit gemeldet. Somit hatten am Vormittag des 21. August 1968 um 0900 Uhr alle planmäßig vorgesehenen Verbände des Österreichischen Bundesheeres nach längstens fünfeinhalb Stunden die Alarmierung durchgeführt, abgeschlossen und ihre Abmarschbereitschaft gemeldet. Damit begann für die alarmierten Verbände, Einheiten und Dienststellen das Warten auf weitere Befehle.

Am Vormittag des 21. August 1968 fanden sich vor allem an den Sammelplätzen des Grenzschutzbataillons "Mühlviertel", aber auch an den festgelegten Aufstellungsorten anderer Einheiten der Grenztruppen nördlich der Donau Kommandanten und Soldaten dieser Einheiten in Uniform ein, denen durch Gendarmeriebeamte mitgeteilt wurde, dass sie nicht eingesetzt würden.

Am Morgen des 21. August 1968 besprach Bundeskanzler Dr. Klaus die Angelegenheit mit den vor Ort befindlichen Bundesministern sowie mit Brigadier Freihsler, dem Leiter der Gruppe Operation und zu diesem Zeitpunkt Verantwortlichen für den Einsatzstab. Zuvor hatte der Kanzler offenbar Brigadier Freihsler gefragt, ob eine Mobilmachung und damit die Aufbietung des Grenzschutzes nötig wäre. Freihsler hatte das jedoch als nicht notwendig bezeichnet und vor militärischen Maßnahmen im unmittelbaren Grenzbereich gewarnt. Zusammenfassend wurde schließlich beschlossen, den Einsatz des Bundesheeres noch nicht anzuordnen, eine (Teil)Mobilmachung der Grenzschutzeinheiten nicht vorzusehen und auf die Einberufung des Landesverteidigungsrates zunächst zu verzichten. Die dennoch erforderlichen Entscheidungen sollten in einem außerordentlichen Ministerrat am frühen Nachmittag fallen.

Zu diesem Zeitpunkt hatten die Spitzen der Interventionskräfte in der CSSR bereits eine Reihe von Grenzübertrittstellen erreicht und die CSSR de facto nach dem Westen hin abgeriegelt.

Unmittelbar nach der Besprechung hatte Bundesminister Dr. Prader mit dem Bundesminister für Auswärtige Angelegenheiten, Dr. Kurt Waldheim, die Sensibilität der eingetretenen Lage erörtert und dabei auf die vorgesehene Sicherungslinie im Abstand von 30 km zur Staatsgrenze Bezug genommen. Es scheint zwischen beiden Ministern grundsätzlich Einvernehmen in diesen spezifischen Fragen sowie hinsichtlich der Vermeidung einer militärischen "Überreaktion" bestanden zu haben.

Nach dem Eintreffen in seinem Amtsgebäude führte Bundesminister Dr. Prader ab 1040 Uhr eine Besprechung mit dem Leiter der Sektion III, General Otto Seitz, dem Leiter der Gruppe Operation, Brigadier Johann Freihsler sowie mit weiteren Experten durch. Dabei legte der Minister - für die meisten der Beteiligten erstmals - seine Absichten zur Durchführung militärischer Maßnahmen als Verstärkung der Garnisonen nördlich der Donau sowie seine Auffassungen zur aktuellen Lage dar.

Um 1230 Uhr traf der sowjetische Botschafter in Wien, Boris F. Podzerob, mit Bundeskanzler Dr. Klaus zusammen. Der Botschafter betonte, dass keine Gefährdung Österreichs bestehe und erklärte die Beweggründe für den Einmarsch von Truppen des Warschauer Paktes in die CSSR aus sowjetischer Sicht. Nach diesem Gespräch begann um 1330 Uhr ein außerordentlicher Ministerrat, in dem beschlossen wurde, die alarmierten Verbände des Bundesheeres in Marsch zu setzen. Die Entscheidungen,

  • die Kräfte in einer Linie in einem Abstand von 30 km zur Staatsgrenze "zur Verstärkung der Garnisonsbereiche nördlich der Donau" bereitzuhalten und
  • keine Mobilmachung von Grenzschutzkräften vorzunehmen

wurde zustimmend zur Kenntnis genommen. Nach Einigung in der Kompetenzfrage sollte der Einsatzbefehl an die Verbände des Bundesheeres durch den Bundesminister für Landesverteidigung im Rahmen der bestehenden Ermächtigung ergehen.

Nur eine "krisenhafte Situation"

Um 1700 Uhr fand eine "ad hoc" einberufene Sitzung des Landesverteidigungsrates unter dem Vorsitz des Bundeskanzlers statt. Die Mitglieder wurden über die getroffenen Maßnahmen informiert. Bundeskanzler Dr. Klaus schlug vor, die entstandene Lage nur als "krisenhafte Situation" zu bezeichnen und von der Möglichkeit der Erklärung des "Krisenfalles", im Sinne der Entschließung des Nationalrates zur "Umfassenden Landesverteidigung" aus dem Jahre 1965, keinen Gebrauch zu machen. Eine Mobilmachung der mit Grundwehrdienern nicht voll befüllten Einsatzbrigaden bzw. der Reservebrigaden stand damit nicht zur Diskussion.

Zwischen 1555 Uhr und 1625 Uhr des 21. August 1968 ergingen vom Einsatzstab im Bundesministerium für Landesverteidigung die Einsatzbefehle an die Gruppenkommanden, das Kommando der Luftstreitkräfte, das Kommando der Heeresfeldzeugtruppen sowie an einzelne Fernmeldeverbände. Damit wurde die Verlegung "zur Verstärkung der Garnisonen nördlich der Donau" befohlen und versucht, den Maßnahmen durch den Klammerausdruck "Sicherungseinsatz" auch eine taktische Dimension zu verleihen - es handelte sich bei dieser "Verstärkung" somit um keinen Einsatz des Bundesheeres gemäß Wehrgesetz.

Die vorgesehenen Kräfte - im Bereich der Gruppe I im Wesentlichen die 1. Jägerbrigade und die 3. Panzergrenadierbrigade sowie im Bereich der Gruppe III die 4. Panzergrenadierbrigade - hatten in den zugewiesenen Orten bzw. auf Truppenübungsplätzen Unterkunft zu beziehen, und in weiterer Folge Ausbildung, unter Sicherstellung einer raschen Abmarschbereitschaft, zu betreiben. Eine Sicherungslinie im allgemeinen Verlauf Bruck an der Leitha, Hainburg, Wolkersdorf, Mistelbach, Hollabrunn, Horn, Allentsteig, Zwettl, Unterweißenbach, Hellmonsödt und Neufelden durfte nur mit Genehmigung des Bundesministers überschritten werden. Pro Garnisonsort war ein Zug - infanteristisch - auf Kleinfahrzeugen in Sitzbereitschaft zu halten, dessen Einsatz ebenfalls an die ausdrückliche Genehmigung des Bundesministers für Landesverteidigung gebunden blieb.

Die Luftstreitkräfte hatten eine nahezu permanente Luftüberwachung des Grenzraumes durch Aufklärungsflüge sicherzustellen und eine entsprechende Radarüberwachung zu gewährleisten. Für die militärische Führung des Bundesheeres war dies - nahezu - die einzige direkte Möglichkeit zur Lageinformation. Alle übrigen Erkenntnisse zur Lage in der CSSR und unmittelbar an der Grenze ergingen - abgesehen von den nachrichtendienstlich gewonnenen Einblicken - nur mehr aus zweiter und "nichtmilitärischer" Hand an das Bundesheer. Selbst die Luftfahrzeuge hatten weisungsgemäß einen "Sicherheitsabstand" zur Grenze einzuhalten, um Grenzverletzungen zu vermeiden.

Als Zeitpunkt des Abmarsches der Verbände wurde als einheitliche Sprachregelung der Bezug auf 1615 Uhr angeordnet. Die an sich vorwärts der befohlenen Sicherungslinie liegende Garnison Freistadt durfte in das Dispositiv einbezogen werden, die grenznahe Kleingarnison Weitra hingegen wurde geräumt. Das Abrücken der dortigen Kompanie des Panzergrenadierbataillons 9 mit ihren 13 Saurer-Schützenpanzern und einigen Radfahrzeugen nach Zwettl löste örtlich große Betroffenheit unter der Bevölkerung und den zurückbleibenden Angehörigen des Kaderpersonals aus, und ließ regional die Lage doch krisenhafter erscheinen, als es den ohnedies nur dürftigen offiziellen Erklärungen zu entnehmen war.

Bei der 1. Jägerbrigade (Eisenstadt) traf der Befehl zum Abmarsch am 21. August 1968 gegen 1730 Uhr ein. Gegen 2100 Uhr wurden die befohlenen Räume erreicht. Aus fernmeldetechnischen Gründen (vorbereitete Leitungsschaltungen) wurde der Gefechtsstand der 1. Jägerbrigade in Mistelbach eingerichtet und befand sich damit vor den Bataillonen der Brigade, was trotz eines Antrages der Brigade zur Rückverlegung auch so blieb. Bei der 4. Panzergrenadierbrigade verlegten nach Erhalt des Marschbefehles nur Teile in die Räume Neufelden, Hellmonsödt und Altenfelden.

Nachdem am 24. August 1968 auch die Zuführung der gesamten Erstausstattung an Munition für das gesamte Bundesheer angeordnet wurde und der Aufschub der Entlassung der Ende September zu entlassenden Grundwehrdiener entschieden worden war, wurde nach Beruhigung der Situation in der CSSR der "Einsatz" des Bundesheeres am Abend des 2. September 1968 durch einen Tagesbefehl des Bundesministers für Landesverteidigung beendet.

Als am 6. September 1968 im Bundesministerium für Landesverteidigung Anzeichen für eine beginnende Umgruppierung sowjetischer Kräfte aus dem Raum Bratislava in westlicher Richtung vorlagen, ordnete Bundesminister Dr. Prader am Nachmittag des 7. September für die Gruppe I sowie für Teile der Gruppe III eine "Großalarmübung" mit dem Zweck an, eine Sicherung der wesentlichen Flugplätze gegen Inbesitznahme durch aus der Luft gelandete Kräfte zu gewährleisten.

Die Folgen für das Bundesheer

So unspektakulär die "Verstärkung der nördlichen Garnisonen" im Sommer 1968 verlief und zu Ende ging, so spektakulär waren die Folgen für das Österreichische Bundesheer: Der Verzicht auf die Aufbietung der Grenzschutzkräfte und der grenzferne Einsatz des Bundesheeres bewirkten einen schwerwiegenden Imageverlust bei der Bevölkerung und erhebliche Demotivation bei betroffenen Angehörigen des Grenzschutzes, der Exekutive und innerhalb des Bundesheeres selbst.

Der SPÖ-Parteivorsitzende Dr. Bruno Kreisky warf (wider besseren Wissens als Angehöriger des Landesverteidigungsrates) dem Bundesheer vor, nicht einmal den "Schutz der Grenzen" zu bewältigen. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Bundesheeres und des Wehrdienstes rückte in den Vordergrund der innen- und tagespolitischen Entwicklung und der SPÖ-Wahlslogan "Sechs Monate sind genug" trug nicht unwesentlich zum Wahlverhalten im März 1970 bei.

Als unmittelbare Folge des Wahlerfolgs der SPÖ wurde mit der konstituierenden Sitzung am 15. Mai 1970 die "Bundesheer-Reformkommission" eingerichtet. Deren Ergebnis auf politischer Ebene war die Verkürzung der Wehrpflicht von neun auf theoretisch sechs (und de facto auf acht) Monate. Auf militärischer Ebene führte die Umsetzung der Vorgaben der "Bundesheer-Reformkommission" letztlich aber zu Überlegungen und Maßnahmen, an deren Ende eine umfassende Reform des Verteidigungskonzeptes stand: Das danach eingeführte Konzept der Raumverteidigung rüttelte an militärischen "Grundfesten", und bestimmte fast zwei Jahrzehnte das wehrpolitische Geschehen in Österreich.


Autoren: General i. R. Horst Pleiner. Jahrgang 1941. 1959 zum Feldjägerbataillon 29 in Glasenbach eingerückt, 1960 bis 1963 Theresianische Militärakademie, Ausmusterung zur Jägerschule in Saalfelden; 1969 bis 1972 Absolvierung des 6. Generalstabskurses an der Landesverteidigungsakademie in Wien, danach Hauptlehroffizier an der Landesverteidigungsakademie und Kommandant des 8. Generalstabskurses; ab 1978 in der Operationsabteilung des BMLV eingesetzt. 1979 bis 1980 Truppenverwendung als Kommandant des Landwehrstammregimentes 32 in Leobendorf, ab 1980 wieder in der Operationsabteilung (später Führungsabteilung) des BMLV und ab 1990 in der Generalstabsgruppe B des BMLV, ab 2000 Generaltruppeninspektor; seit 2003 im Ruhestand.

Oberst dhmfD Mag. Dr. Hubert Speckner. Jahrgang 1958. Nach der Grundausbildung 1980 beim Landwehrstammregiment 91 in Lochau/Vorarlberg Tätigkeit im Schuldienst in Vorarlberg; ab 1990 Verwendung beim Jägerregiment 9 und im Militärkommando Vorarlberg. Seit 2000 Referatsleiter und seit 2004 stellvertretender Abteilungsleiter der Militärgeschichtlichen Forschungsabteilung des Heeresgeschichtlichen Museums (Forschungsschwerpunkte: Geschichte des Österreichischen Bundesheeres, Kriegsgefangenschaft im Zweiten Weltkrieg). Projektleiter der Publikationsreihe "Schriften zur Geschichte des Österreichischen Bundesheeres" sowie Generalsekretär der Österreichischen Offiziersgesellschaft.

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