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"Demokratie und Freiheit - in Frieden"

Der tschechische Generalleutnant i. R. Tomas Sedlacek erhielt als erster ausländischer Offizier den österreichischen Ehrenpreis Pro Defensione. Er berichtet als Zeitzeuge - aus der Sicht unserer nördlichen Nachbarn - über seine Eindrücke und Erlebnisse im Zusammenhang mit den Jahren 1938, 1948 und 1968.

Generalleutnant i. R. Sedlacek entstammt einer altösterreichischen Offiziersfamilie. Er wurde am 8. Jänner 1918 in Wien geboren. Nach Absolvierung der Realschule und des zweijährigen Wehrdienstes in Prag - in dem er sowohl im täglichen Dienstbetrieb als auch in der Ausbildung stets zu den Besten seiner Einheit zählte - schlug er die Offizierslaufbahn in der tschechoslowakischen Armee ein.

1938, der Anfang vom Ende

"Vielleicht ist es für manchen TRUPPENDIENST-Leser neu, dass es bereits tschechoslowakische Streitkräfte gab, bevor die Tschechoslowakei als Staat entstand. Seit 1914 existierten die ‚Kompanie Nazdar‘ in Bayonne in Frankreich (von dort stammt der Begriff Bajonett; Anm.) und eine weitere Kompanie in Kiew, im damaligen Russland - tausende Kilometer voneinander entfernt. Ohne Absprache wurden die beiden Kompanien fast am selben Tag angelobt.

Hunderte Tschechen und Slowaken haben in diesen Einheiten freiwillig gedient; die Kompanie in Frankreich war Teil der französischen Fremdenlegion, weil es rechtlich keine andere Möglichkeit gab.

Die Veteranen beider Kompanien bildeten in den zwanziger Jahren das Rückgrat der Streitkräfte, die auch eine Basis für die Staatsgründung waren (Staatsvolk, Staatsgebiet, Staatsgewalt; Anm.).

1938 schloss ich die Ausbildung an der Militärakademie in Mährisch-Weißkirchen (Hranice) ab und wurde als Leutnant zur bespannten Artillerie ausgemustert. Mein Regiment war das 104. schwere Artillerieregiment, mein Dienstort Hradec Kralove - in Österreich besser bekannt als Königgrätz.

1938 erfolgte auch die Mobilmachung gegen Deutschland. Ich erhielt als junger, zwanzigjähriger Offizier den Auftrag, eine Batterie schwerer Feldhaubitzen mobil zu machen. Damals existierten in den Streitkräften so genannte A- und B-Batterien. Die A-Batterien waren bereits mit Soldaten - darunter auch Präsenzdiener - befüllt und deshalb rasch mobilisierbar. Sie bezogen unverzüglich entsprechende Verfügungsräume und Gefechtsstände. Ich wurde hingegen als Kommandant einer B-Batterie eingeteilt. Die B-Batterien mussten erst auf Einsatzstärke aufgefüllt werden.

Der Einsatz-Organisationsplan meiner Batterie umfasste 120 Mann und 130 Pferde. Das war, verglichen mit einem Zivilbetrieb, schon ein ganz ordentliches Unternehmen - und ich hatte den Auftrag, diese Batterie aus einigen Kaderleuten und den Reservisten auf Mannschaftsplanstellen in ungefähr einer Woche zusammenzuführen.

Vom konkreten Ablauf einer Mobilmachung habe ich damals kaum etwas gewusst. Ich wusste gerade, dass in unserer Batteriekanzlei eine Blechkiste mit Unterlagen stand, unter anderem mit Anweisungen zur Mobilmachung. Also habe ich mich durch das Papier gearbeitet und schließlich einen Einsatz-Organisationsplan gefunden sowie ein Schema, was wann zu machen war: Wohin kommen die Reservisten, woher kommen die Pferde und was hat mit ihnen zu geschehen? Wo sind die schweren Feldhaubitzen und die Munition auszufassen? Und so weiter und so fort ...

Die Reservisten meiner Batterie hatten ihren Wehrdienst bereits hinter sich und waren etwa 24 oder 25 Jahre alt. Ich war somit der jüngste Soldat in meiner Batterie und der einzige Berufsoffizier.

So arbeiteten wir - das Stammkader - uns eben durch. Mit den Reservisten schafften wir dann im Verlauf einer Woche das gesamte Gerät und die Ausrüstung zusammen und bereiteten danach den Eisenbahntransport vor. Die schweren Feldhaubitzen wurden dazu in zwei Teile zerlegt - Lafette und Rohr - und wir verluden alles auf Eisenbahnwaggons. Schließlich verließen wir Hradec Kralove mit der Bahn.

Erst während des Eisenbahntransportes erfuhren wir, dass es nach Liberec (Reichenberg) ging. Dort bezogen wir unseren Einsatzraum. Ich selbst befand mich auf der Beobachtungsstelle der Batterie. Am zweiten Tag nach dem Beziehen kam der Befehl: "Aus!" Das war die Folge des Münchner Abkommens und dem damit verbundenen Verlust des Sudetengebietes an das Dritte Reich. Also drehten wir um - und fuhren zurück.

Informationen oder Nachrichten aus dem Ausland waren, wenn überhaupt vorhanden, äußerst spärlich. So wussten wir auch nichts über die Geschehnisse in Österreich.

Das Münchner Abkommen (vom 29. September 1938 zwischen dem Deutschen Reich, Italien, Frankreich und England "zur Regelung der Sudetenfrage"; Anm.) war ein Schock für uns. Wir haben es gleichsam als einen Verkauf der Tschechoslowakei an Deutschland empfunden und somit als einen Verrat unserer Verbündeten - deshalb bezeichneten wir dieses Abkommen oft auch als ‚Verrat von München‘.

Drei von damals 15 Millionen Einwohnern der Tschechoslowakei waren Sudetendeutsche. Natürlich dienten diese auch in der Armee. Sie waren aber nicht in eigenen Einheiten organisiert. In meiner Batterie dienten z. B. zwei sudetendeutsche Reserveoffiziere. Es war damals nicht wirklich einzuschätzen, wie sich diese verhalten würden. Stimmen sie Adolf Hitlers Vorgehen zu oder nicht?

Ein Problem der militärischen Sicherheit war auch, dass sich die Armee der Tschechoslowakei erst in Entwicklung befand. De facto waren weder Details der Organisation noch militärische Einrichtungen ein Geheimnis. Wichtige Landesbefestigungen, Verteidigungsanlagen und Bunker befanden sich in den abzutretenden Sudetengebieten. Damit war es unmöglich, im Zuge einer etwaigen Verteidigung die Initiative zu erlangen, denn der Angreifer bestimmt letztlich Zeit und Ort des Gefechtes sowie die Mittel. Und wenn dem Verteidiger dann vorbereitete Stellungen fehlen, hat er sehr schlechte Karten.

Einige Monate später - der deutsche Einmarsch war bereits erfolgt - blickte ich aus dem Fenster unserer Kaserne. Meine Kameraden und ich sahen, wie auf der Straße ein Kübelwagen mit deutschen Soldaten vorbeifuhr - und diese richteten das auf dem Wagen aufgebaute Maschinengewehr auf uns. Erst in diesem Moment wurde mir voll bewusst, was der Einmarsch für uns bedeutete".

Nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht wurden die tschechoslowakischen Streitkräfte aufgelöst. Viele Kaderangehörige flüchteten ins Ausland. Insgesamt waren ungefähr 16 000 Tschechen und Slowaken (das entspricht etwa einer Division) bereit, militärisch gegen das Dritte Reich zu kämpfen. Ca. 3 500 davon bildeten z. B. (nach den Polen) das zweitgrößte Fremdkontingent der Royal Air Force und rund 5 600 weitere dienten in der 1st Czechoslovak Armoured Brigade.

Leutnant Sedlacek flüchtete 1940 über den Balkan nach Frankreich und danach nach England. Er kämpfte ab 1943 als tschechischer Offizier an der Westfront, der Ostfront sowie in der Slowakei am Dukla-Pass gegen das Nationalsozialistische Regime.

Kurz nach dem Krieg zum Major befördert, lehrte er u. a. an der Militärakademie in Mährisch-Weißkirchen und absolvierte die Kriegsschule in Prag (Generalstabsausbildung).

1948: Der Bruch im System

"Aufgrund meiner Kriegserfahrungen unterrichtete ich als Professor Gefechtsdienst an der Militärakademie in Mährisch-Weißkirchen. Das waren meine schönsten Jahre. Der Krieg war aus, ich war frei und hatte eine Karriere vor mir.

Doch 1948 kam es zu einem gewaltigen Bruch im System - die Kommunisten übernahmen die Macht im Land. Ich erkannte bald, dass ich militärisch keine Chance mehr hatte und überlegte: Soll ich nun flüchten oder nicht? Heute muss ich zugeben: Dass ich nicht geflüchtet bin, war eine Dummheit. Auch dass ich mich damals politisch nicht genug interessiert habe, sehe ich heute als einen schweren Fehler und gleichfalls als eine Dummheit.

An einem Morgen im Oktober 1951 erhielt ich von meinem Vorgesetzten den Befehl, mich auf eine 14-tägige Dienstreise zum Generalstab nach Prag vorzubereiten. Diese sollte ich noch am Nachmittag antreten. Darüber sollte ich aber Stillschweigen bewahren, denn die Sache wäre geheim. Gut, dachte ich mir, und bereitete mich vor. Tatsächlich kam gegen Nachmittag ein Oberstleutnant mit einem Fahrer. Ich stieg in den Wagen, der Oberstleutnant stellte sich vor - und seine erste Frage war, ob ich eine Waffe hätte. Ich verneinte, begann aber, misstrauisch zu werden. Beim Kreisverkehr vor dem Generalstabsgebäude in Prag fuhren wir dann tatsächlich nicht nach links, sondern nach rechts weiter - zum Gefängnis. Dort musste ich die Uniform ausziehen, wurde gefesselt und hörte erstmals eines meiner späteren ‚Lebensgeräusche‘ - die hinter mir zufallende Gefängnistür.

Ich verstand die Welt nicht mehr - und das ließ mich letztlich all das durchhalten - ich fand das ganze Geschehen so lächerlich, dass es einfach nicht real sein konnte, obwohl es doch so war. Es konnte nicht so bleiben, nicht so weitergehen, es musste irgendwann wieder aufhören, sich ändern! Und das werde ich erleben, sagte ich mir andauernd vor. Also ‚durchhalten, durchhalten, durchhalten!‘ Die Verhörmethoden hatte man sich anscheinend von der GESTAPO (Geheime Staatspolizei im Dritten Reich; Anm.) abgeschaut. Aber viel schlimmer als die Methoden meiner Landsleute waren die Methoden der russischen Beraterteams bzw. Verhörspezialisten: Schlafentzug, ständiges Gehen, Stehen mit der Stirn gegen die Wand gedrückt usw.

Bei den Verhören hielt ich immer neun Tage durch. Nach neun Tagen und neun langen Nächten, immer wenn ich es nicht mehr aushielt, ‚gestand‘ ich. Danach ließen sie mich eine Zeit lang in Ruhe. Und wenn ich - Tage später - dann mein ‚Geständnis‘ bestätigen sollte, widerrief ich! Das wiederholte sich mehrmals, bis ich schließlich ohne ein Geständnis im Zuge der damals üblichen Schauprozesse 1951 wegen ‚Hochverrat und Spionage‘ zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Bis heute weiß ich übrigens nicht, warum. Ich wurde auch zum Wehrmann degradiert - zum Wehrmann des Generalstabes. Den Dienstgrad konnten sie mir nehmen, nicht aber meine Erfahrungen und auch nicht die Generalstabsausbildung.

Durchhalten konnte ich nur deshalb, weil all das letztlich so absurd war, dass es einmal enden musste - und dank der Erinnerungen an meine Frau.

1960 wurde ich im Zuge der Entstalinisierung auf Bewährung freigelassen. Ich heiratete wieder. Meine erste Frau hatte sich ein Jahr vor meiner damals noch nicht absehbaren Freilassung scheiden lassen und wieder geheiratet. Es bestand ja keine Hoffnung, dass ich jemals wieder freikommen würde, so war das für mich in Ordnung: Was soll eine Frau mit einem Mann im Gefängnis, den sie nie sieht? Als ich dann doch freikam, war sie wieder verheiratet und wir konnten deshalb nicht mehr zusammenkommen".

Nach den Gefängnisjahren musste Tomas Sedlacek nun eine Arbeit finden, um überleben zu können. Über Bekannte erhielt er eine Anstellung als Lagerarbeiter. Das war ihm auf Dauer nicht genug. Seine militärische Ausbildung war allerdings nun nutzlos. So entschloss er sich, mit 47 Jahren neuerlich die Schulbank zu drücken und machte in einer Abendschule - mit 50 - nochmals die Matura. Danach studierte er Bauwesen. Mit Erfolg.

1968: "Prager Frühling" und "Normalisierung"

"Bis 1968 hatte ich mir wieder eine bürgerliche Existenz im Bauwesen geschaffen. Für einen auf Bewährung entlassenen ‚Hochverräter und Spion‘ war es besser, keine Auslandskontakte zum Westen, z. B. nach Österreich, zu haben. Deshalb wusste ich kaum etwas von den Ereignissen in den westlichen Nachbarländern und erwartete auch kaum etwas von ihnen. Allerdings war es mir wenigstens wieder möglich, einige amerikanische Spielfilme zu sehen.

Während des ‚Prager Frühlings‘ 1968 trat ich dem ‚Tschechoslowakischen Verband der antifaschistischen Kämpfer‘ bei. Nach dem gewaltsamem Ende des ‚Prager Frühlings‘ begann die als ‚Normalisierung‘ bezeichnete Rückkehr zum kommunistischen System alter Prägung. (Das Wort ‚Normalisierung‘ ist bei Tschechen und Slowaken mit dieser Bedeutung behaftet und deshalb meist negativ belegt; Anm.) Im Zuge dieser ‚Normalisierung‘ wurde noch im selben Jahre der ‚Tschechoslowakische Verband der antifaschistischen Kämpfer‘ aufgelöst.

Bis 1975, dem Jahr meiner Pensionierung, arbeitete ich in einer relativ untergeordneten Position als Projektant in der Bezirksbauabteilung in Prag 1." Im Zuge der "Samtenen Revolution" und dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes wurde Tomas Sedlacek 1989 rehabilitiert und konnte sich nun wieder am öffentlichen Leben beteiligen. Er erhielt den Dienstgrad Major zurück, wurde kurz darauf Oberst und in der Folge als letzter Offizier der tschechoslowakischen Streitkräfte (durch Präsident Vaclav Havel persönlich) zum Brigadegeneral ernannt. Einige Jahre nach der Trennung der Tschechischen und der Slowakischen Republik wurde er zum Generalleutnant i. R. der tschechischen Streitkräfte ernannt.

Am 11. März 2008 erhielt er in seiner Geburtsstadt Wien - als Vorbild für Soldaten und alle Staatsbürger, vor allem im Sinne der Verteidigung von Werten des demokratischen Rechtsstaates und der Europäischen Union - den Ehrenpreis Pro Defensione (siehe unten).

Generalleutnant i. R. Tomas Sedlacek, der zeitlebens gegen Totalitarismus und Unfreiheit gekämpft hat, lebt heute nahezu erblindet mit seiner Lebensgefährtin in einer kleinen Wohnung in Prag.

2008 und die nächsten "Achter-Jahre"

"Der Preis Pro Defensione ist für mich eine besondere Ehre. Es ist für mich ein Zeichen, dass ich ein kleines bisschen zum Frieden und zum Verständnis demokratischer Freiheiten und ihrer Bedeutung beigetragen habe. Denn mein größtes Anliegen ist Demokratie und Freiheit - in Frieden. Deshalb betone ich bei jeder Gelegenheit und darum auch hier: Die derzeitige Generation und die zukünftigen Generationen müssen sich bewusst werden, dass es die Freiheit nicht gratis gibt! Die personellen und materiellen Opfer und das unermessliche Leid, das die Menschen ertragen mussten, sind keine Garantien für die erreichte Freiheit.

Es gibt keine Garantie, dass nicht irgendwann wieder irgendjemand kommt, der versucht, die Menschen an der Nase herumzuführen! So, wie es uns mehrmals passiert ist. Die Freiheit muss daher immer aufs Neue geschützt werden!"


Den Beitrag gestalteten Oberstleutnant Mag. Peter Steiner, Österreichische Nationalbibliothek, und Oberstleutnant Manfred Gratzer MSD, Sprachinstitut des Bundesheeres an der Landesverteidigungsakademie.


Pro Defensione: Der Ehrenpreis Pro Defensione des Militärkommandos Wien wird jedes Jahr an Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft oder Kultur verliehen, die sich besonders für die militärische Landesverteidigung Österreichs bzw. für die Normen und ideellen Werte des demokratischen Staates und der Europäischen Union eingesetzt haben. Der Künstler Josef Lehner schuf 1986 die Plastik, die die Philosophie des Ehrenpreises vermitteln soll: Ein defensives Grundkonzept der Österreichischen Landesverteidigung zum Schutz der Bevölkerung.

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