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… aus Brüssel: Stichwort: Rüstungskontrolle

Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen (Nonproliferation) werden in mehreren Arbeitsgruppen der EU sowie der NATO behandelt. Für Österreich, das weder hochgerüstet ist noch über Massenvernichtungswaffen verfügt, hat die Arbeit in diesen Bereichen mehr Auswirkungen als es auf den ersten Blick den Anschein hat - vor allem für Soldaten in Auslandseinsätzen.

Der vielschichtige Themenkomplex der Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen wird sowohl auf nationaler (unter Federführung des Bundesministeriums für europäische und auswärtige Angelegenheiten) als auch auf multinationaler Ebene behandelt. In letzterer haben die Vereinten Nationen de facto die Führungsrolle, allerdings sollen dabei auch all die anderen involvierten regionalen Organisationen und Rüstungskontrollregimes (rechtlich vereinbarte Verfahren zur Erreichung der vereinbarten Ziele; Anm.) nicht vergessen werden.

Was aber versteht man grundsätzlich unter Abrüstung, Rüstungskontrolle und der Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen?

Abrüstung, Rüstungskontrolle, Nichtverbreitung

Als Abrüstung bezeichnet z. B. das Online-Lexikon Wikipedia jenen Prozess, bei dem ein Staat oder mehrere Staaten ihre militärischen Ressourcen völlig oder teilweise abbauen. Ziel ist, die zwischenstaatliche Gewaltanwendung einzudämmen oder ganz auszuschließen. Abrüstung dient damit der Durchsetzung des Gewaltverbotes nach Artikel 2, Ziffer 4, der Charta der Vereinten Nationen.

Rüstungskontrolle ist nach Wikipedia die politische Beherrschung des Rüstungsprozesses, die Sicherung eines annähernden Gleichgewichts zwischen Militärpotenzialen und die Vermeidung einer Eskalation in Krisenzeiten.

Nichtverbreitung der weltweit geläufigere und gebräuchlichere Begriff dafür lautet Nonproliferation) ist, nach dem österreichischen Weißbuch für Sicherheitspolitik, die Summe der Bemühungen zur Verhinderung und Begrenzung der Weiterverbreitung von nuklearen, biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen und ihrer Trägermittel.

Speziell die Diskussionen über die Nuklearpolitik Nordkoreas und des Iran sowie Russlands Aussetzen seiner Teilnahme an den Verpflichtungen aus dem Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag) haben in letzter Zeit zu einer verstärkten allgemeinen Wahrnehmung dieses Themenfeldes geführt.

Rüstungskontrolle im Rahmen der EU

Die Europäische Sicherheitsstrategie - beschlossen von den Staats- und Regierungschefs am 10. Dezember 2003 in Brüssel - bezeichnet die Proliferation von Massenvernichtungswaffen als eine der Kernbedrohungen für Europa und setzt zu deren Abwehr prinzipiell auf eine Stärkung der derzeit aktuellen Nichtverbreitungsregimes sowie der diesbezüglichen Verträge. Gegen Staaten, die Massenvernichtungswaffen besitzen oder sogar einsetzen, behält sich die EU, allerdings nur im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen und nur auf Basis des Einstimmigkeitsprinzips aller EU-Mitgliedsstaaten, ein militärisches Vorgehen vor.

Zur Abstimmung der nationalen Positionen im Sinne eines akkordierten Auftretens der EU bedient sich das EU-Ratssekretariat

  • der EU-Ratsarbeitsgruppe für globale Abrüstung und Rüstungskontrolle (EU General Affairs Council’s Committee on Disarmament in the United Nations - CODUN),
  • der EU-Ratsarbeitsgruppe für Nonproliferation (EU General Affairs Council’s Committee on Nonproliferation - CONOP) und
  • der EU-Ratsarbeitsgruppe für konventionelle Waffenexporte (EU General Affairs Council’s Committee on Conventional Arms Export - COARM).
In diesen drei Arbeitsgruppen werden, im Sinne einer gesamteuropäischen Strategie, Schritte zur Verfolgung der sicherheitspolitischen Ziele gesetzt. Dazu gehören u. a.
  • die Planung und Durchführung von fachbezogenen Seminaren und Ausbildungslehrgängen in ausgewählten Zielländern und Zielregionen (z. B. im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordafrika),
  • die finanzielle Unterstützung von Aktivitäten der internationalen Rüstungskontrolleinrichtungen (z. B. der Internationalen Atomenergiebehörde/International Atomic Energy Agency - IAEA) sowie
  • eine gemeinsame Analyse etwaiger nachteiliger Auswirkungen auf die EU und ihre Mitgliedsstaaten durch das Verhalten einzelner Staaten (z. B. Nordkoreas und des Iran).
Um auf spezielle Herausforderungen rasch reagieren zu können, wurde im Rahmen des EU-Ratssekretariats 2007 das EU Weapons of Mass Destruction Monitoring Centre eingerichtet. Diese Stelle hat gemäß der EU-Strategie gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen die Aufgabe, Informationen und Erkenntnisse in Abstimmung mit internen und externen Akteuren zu sammeln. Damit soll eine solide Grundlage für die allgemeine Beobachtung auf dem Gebiet der Nichtverbreitung und für die Vorbereitung strategischer Beschlüsse der EU geschaffen werden. Die Bedrohungsanalysen stehen allen EU-Mitgliedstaaten zur Verfügung und bieten (auch Österreich) eine hervorragende Informationsbasis zur Beurteilung etwaiger Einsatzgebiete für zivile oder militärische Operationen.

Das Europäische Parlament will mit seinen Initiativen im Bereich der Rüstungskontrolle sowohl unmittelbar zur weiteren kontrollierten Abrüstung bzw. Rüstungskontrolle beitragen als auch mittelbar den Soldaten der EU-Mitgliedsstaaten in Auslandseinsätzen ein sichereres Umfeld schaffen. Unter diesem Aspekt ist auch die von einigen Abgeordneten des Europäischen Parlamentes ausgegangene Initiative zur Ächtung von Streumunition zu sehen, die sich inzwischen zu einer Initiative mit über hundert Staaten und vielen Nichtregierungsorganisationen ausgeweitet hat. Weiters beschäftigt sich das Europäische Parlament mit verschiedenen sicherheitspolitischen Aspekten des Weltalls, darunter auch dessen Nutzung zur satellitenunterstützten Überwachung von Rüstungskontrollabkommen sowie der Vermeidung eines Wettrüstens im Weltall.

Diese Informationen und Aktivitäten, an denen sich alle EU-Mitgliedsstaaten beteiligen können, sollen dafür sorgen, dass die Bedrohungen der EU und der Einwohner ihrer Mitgliedsländer sowie ihrer Soldaten in Auslandseinsätzen, kalkulierbar bzw. geringer werden.

Rüstungskontrolle im Rahmen der NATO

Im Gegensatz zur EU, in der die Agenden der Rüstungskontrolle auf politischer Ebene behandelt werden, verfolgt die NATO diesbezüglich ein anderes Vorgehen. Im Rahmen der NATO werden konkrete Maßnahmen ohne politische Grundsatzdiskussion verfolgt, was dazu führt, dass es kaum zu langwierigen Verhandlungen im Gremium der NATO- und der Partnernationen kommt, befinden sich doch die geplanten Schritte unterhalb einer imaginären politischen "roten Linie". Zwei Gremien der NATO bzw. des Euroatlantischen Partnerschaftsrates (Euro-Atlantic Partnership Council - EAPC) beschäftigen sich unter Einbindung der Partnernationen mit diesem Themenbereich,

  • die NATO/EAPC-Arbeitsgruppe über Klein- und Leichtwaffen sowie Minen (Small Arms and Light Weapons - SALW) und
  • die NATO/EAPC-Arbeitsgruppe über Proliferation (Senior Defence Group on Proliferation - DGP).

SALW

Die NATO/EAPC-Arbeitsgruppe SALW dient der Koordinierung mit anderen Organisationen zur Vermeidung von Duplizitäten sowie der Planung konkreter Abrüstungsprojekte. Diese Abrüstungsprojekte, die unter dem Namen Trust Fund laufen, beschäftigen sich mit konkreten Abrüstungsvorhaben, an denen die NATO- und Partnernationen auf freiwilliger Basis mit Experten und/oder finanziellen Beiträgen teilnehmen können. Die Zielländer dieser Projekte sind vorrangig einige Balkanstaaten sowie Afghanistan. Bis dato wurde bereits eine beachtliche Menge an Waffen und Kampfmitteln kontrolliert vernichtet, die nun nicht mehr für regionale oder innerstaatliche Konflikte bzw. für kriminelle Aktivitäten zur Verfügung stehen. Das führte zu einem höheren Sicherheitslevel in den betreffenden Regionen sowohl für die lokale Bevölkerung als auch für die dort eingesetzten multinationalen Truppen (z. B. ISAF, KFOR und EUFOR ALTHEA, an denen auch österreichische Soldaten beteiligt sind). Zur Verdeutlichung der Größenordnungen mögen ein paar Zahlen über die bisherige kontrollierte Vernichtung überzähliger Waffenbestände im Rahmen der NATO Trust Funds - alleine für den Balkan - dienen:

  • 1,5 Millionen Stück Klein- und Leichtwaffen;
  • 145 000 Tonnen Munition und Explosivstoffe;
  • 1 400 leichte Fliegerabwehrsysteme;
  • 530 weitreichende Fliegerabwehrlenkwaffen;
  • 4,1 Millionen Landminen;
  • 1 500 Tonnen an gefährlichen Chemikalien, inklusive hochgiftiger Raketen- bzw. Lenkwaffentreibstoffe.

DGP

Die NATO/EAPC-Arbeitsgruppe DGP beschäftigt sich hingegen mit militärischen Aspekten der Rüstungskontrolle. Sie entwickelt gemeinsame Standards und Module, welche nach aktuellen Analysen für die im Ausland eingesetzten Truppen als unumgänglich betrachtet werden. Das Spektrum reicht dabei von gemeinsamen Ausbildungslehrgängen und Übungen über die Teilnahme an der Combined Joint Chemical, Biological, Radiological and Nuclear Defence Task Force (CJ CBRND TF) bis hin zur gemeinsamen Entwicklung mobiler Labors zur Analyse chemischer und biologischer Kampfstoffe im Auslandseinsatz. Ergänzend wird u. a. über konkrete Schritte der militärischen Kooperation nach einer chemisch-biologischen Attacke beraten, um auch die Anstrengungen zur Versorgung der kontaminierten Soldaten sowie der Dekontamination von Material und wichtiger Infrastruktur für den Bedarfsfall vorzubereiten. All das kann auch österreichischen Soldaten bei solchen Anlassfällen zugute kommen und helfen z. B. den Truppenschutz sowie die Reaktionsmöglichkeiten nach einem solchen Zwischenfall zu optimieren.

Auswirkungen auf das Österreichische Bundesheer Die oben genannten Themenbereiche betreffen keine Kernaufgaben des Österreichischen Bundesheeres. Dennoch bestehen begründete Interessen der militärischen Führung, sich mit Fachexpertisen in den verschiedenen, aus militärstrategischer Sicht sinnvollen Rüstungskontrollgremien auch im Rahmen der EU und der NATO zu beteiligen und dadurch (mittelbar) positive Auswirkungen auf die Einsatzplanung und Einsatzdurchführung österreichischer Soldaten bei multinationalen Operationen zu erreichen.

Durch die Einbindung der Militärpolitik in die Bereiche Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen können sicherheitspolitische Tendenzen und Entwicklungen jedenfalls schon frühzeitig erkannt werden.

Weiters werden im Bereich Rüstungskontrolle die politischen Entwicklungen zwischen den internationalen Organisationen und Staaten laufend beobachtet und beurteilt. Eines der Schwergewichte liegt dabei auf konkreten sowie künftig möglichen Einsatzräumen des Bundesheeres, kann doch der Einsatz biologischer, chemischer und nuklearer Waffen oder Einsatzmittel durch einzelne Akteure bzw. Terrororganisationen nicht ausgeschlossen werden.

Es geht dabei aber auch um die Sicherheit der österreichischen Soldaten, die als Teil einer multinationalen Truppe jederzeit von Zwischenfällen betroffen sein können, die sich aus dem unkontrollierten bzw. illegalen Handel mit Waffen, Munition und Minen ergeben, vor allem wenn dies in der unmittelbaren Nähe des Einsatzraumes geschieht.

Somit ist es wichtig, dass die Ableitungen aus den nationalen und internationalen Bedrohungsanalysen nicht nur in die militärstrategische Beurteilung Eingang finden, sondern auch zu konkreten Schritten für den Soldaten führen. Dazu zählen u. a.:

  • die Berücksichtigung jener möglichen Anlassfälle im Rahmen der Ausbildung, die im Einsatz zu einer Gefährdung der österreichischen Soldaten aufgrund von Zwischenfällen mit chemischen, biologischen oder nuklearen Kampfmitteln führen können - vom Erkennen möglicher Bedrohungen bis zur dementsprechenden Ausbildung in Erster Hilfe;
  • die Teilnahme österreichischer Experten an Übungsvorhaben im multinationalen Rahmen, um damit den eigenen Ausbildungsstand zu evaluieren und mittels Erfahrungsaustausch die fachliche Ausbildung im Österreichischen Bundesheer zu optimieren;
  • die Berücksichtigung internationaler Standards und Fähigkeitskataloge bei der Beschaffung solcher Komponenten (z. B. von Spürsystemen und mobilen Labors), um im Rahmen der geforderten Interoperabilität auch mit anderen Kontingenten die teils lebensnotwendigen Informationen rasch und gesichert austauschen zu können;
  • die Möglichkeit gemeinschaftlicher Beschaffungen in diesem Bereich, wodurch im Regelfall der Stückpreis gesenkt wird und gleichsam automatisch eine Interoperabilität entsteht;
  • die Berücksichtigung internationaler Tendenzen bei Beschaffungen von Waffen und Munition im Hinblick auf künftig erwartbare internationale Verbote;
  • die Berücksichtigung der Analysen bei der Beschaffung von Ausrüstung für Soldaten im Hinblick auf die Schutzwirkung (z. B. bei Schutzbekleidung oder beim Minenschutz von Fahrzeugen).

Auf einen Blick

Eine direkte Bedrohung Österreichs mit Massenvernichtungswaffen ist derzeit und wahrscheinlich auch mittelfristig nicht gegeben. Deswegen zu glauben, dass diese Bedrohung überhaupt nicht existent sei und aus diesem Grund keine Vorkehrungen zu treffen wären, ist jedoch extrem kurzsichtig und naiv.

Bei jedem Einsatz österreichischer Soldaten in einer Krisenregion können Bedrohungen durch chemische, biologische und radioaktive Stoffe sowie durch Waffen, Munition und Minen nicht ausgeschlossen werden. Im Gegenteil! Diese Mittel sind mögliche Einsatzmittel etwaiger Untergrundgruppierungen, die dadurch relativ einfach große psychologische Wirkung - auch an der medialen und politischen "Front" im Heimatland - erzielen können. Selbst bei Hilfseinsätzen nach Katastrophen (z. B. Hochwasser, Stürme oder Erdbeben) ist durch Zerstörung der lokalen Infrastruktur eine Bedrohung durch Kontamination mit den zuvor genannten Stoffen möglich.

Aus all diesen Gründen ist dieser Aspekt im Rahmen der Ausbildung, der Einsatzplanung sowie der Einsatzführung zu berücksichtigen, vor allem, um damit die höchstmögliche Sicherheit der eingesetzten österreichischen Soldaten zu gewährleisten. Dafür ist es notwendig, u. a. auch Erkenntnisse und Beurteilungen aus dem "externen Bereich" (konkret aus der EU und der NATO) aufzunehmen, diese zu analysieren und, je nach Beurteilung, dann die erforderlichen Folgeschritte zu setzen - auf der Ausbildungsebene sowie auf der taktischen, operativen oder militärstrategischen Ebene.

Um jedoch diese für die Ausbildung und den Einsatz erforderlichen Schritte zur Sicherheit der österreichischen Soldaten zeitgerecht setzen zu können, muss sich das Österreichische Bundesheer ständig mit dem komplexen Themenbereich Rüstungskontrolle befassen.


Autor: Oberst dG Mag. Thomas Ahammer, Jahrgang 1966. Seit Juni 2006 an der Militärvertretung Brüssel als Militärberater für Rüstungskontrolle im Bereich der EU und der NATO tätig; zusätzlich seit Oktober 2006 mit der Funktion des Chefs des Stabes der Militärvertretung Brüssel betraut.

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