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Militärpolitik: "Europäische Armee" - Option oder Illusion?

Regelmäßig tauchen in Medien, aber auch in politischen Aussagen die Begriffe "Europäische Armee" oder "Europaarmee" auf. Es ist mir wichtig, hier von Zeit zu Zeit die Spreu vom Weizen zu trennen. Es ist klarzustellen, dass weder die bestehenden rechtlichen Grundlagen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (Verträge von Amsterdam 1997 und Nizza 2001) noch der in Ratifizierung befindliche Lissabon-Vertrag eine "Europäische Armee" als Zielsetzung sehen.

Der Vertrag von Amsterdam sieht die Perspektive einer Gemeinsamen Verteidigung vor, wozu in den Vertrag von Lissabon die Instrumente des gegenseitigen Beistandes und eine Solidaritätsklausel aufgenommen wurden. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die EU im Zuge des weiter voranschreitenden Vergemeinschaftungsprozesses in absehbarer Zeit mit einem militärischen Instrument ausgestattet werden soll, das mit jenem der NATO vergleichbar ist. Das Projekt einer "permanenten strukturierten Zusammenarbeit" soll zwar Anreize und Mechanismen schaffen, die das gemeinsame Handeln von Staaten im Bereich der Streitkräfteentwicklung fördern. Eine Armee folgt einem einheitlichen politischen Willen und gehorcht einer einheitlichen militärischen Führung. Für die EU würde das zwar nicht zwingend bedeuten, dass die Existenz einer "Europa-Armee" das Weiterbestehen nationaler Armeen ausschließe. Aber Einsätze der nationalen Armeen könnten dann wohl nur in Verstärkung oder enger Verschränkung mit Aktionen der "Europäischen Armee" erfolgen, die wiederum einem gemeinsamen politischen Willen aller Mitgliedsstaaten unterworfen wäre.

Wir werden in Europa - auch noch Jahre nach dem angestrebten Inkrafttreten von Vertragswerken zur Vertiefung des europäischen Vergemeinschaftungsprozesses - weit von einer Qualität der gemeinsamen politischen Willensbildung entfernt sein, die einen verantwortbaren Einsatz vergemeinschafteter Streitkräfte zuließe. Es ist in Europa derzeit keine Entwicklung abzusehen, die darauf hinweisen könnte, dass eines Tages gerade größere EU-Mitgliedsstaaten auf die Option verzichten könnten, souverän und außerhalb des europäischen Rahmens zu handeln - und dies auch mit militärischen Mitteln zu tun. Warum sollten dann kleinere Staaten darauf verzichten, sich etwa hinsichtlich der Beteiligung am internationalen Krisenmanagement auch andere Optionen als den Rahmen der EU offen zu halten? Damit ist die Vorstellung, eine "Europäische Armee" könne eines Tages die nationalen Streitkräfte ersetzen, auf absehbare Zeit in das Feld der Illusion zu verweisen.

Erstes Fazit also: Die "Europäische Armee" ist derzeit bestenfalls eine Vision mit zu vielen Unschärfen, um als Fernziel zu dienen. Bei strengerer Betrachtung erweist sie sich als eine Illusion. Allerdings sollten die EU und ihre Mitgliedsstaaten sich alle Optionen für die künftige Gestaltung ihrer Verteidigungspolitik offen halten; eben auch die eines engeren Zusammenrückens. Dazu bietet der Vertrag von Lissabon tatsächlich breiten Spielraum. Es wäre auch tatsächlich falsch, in einer Phase zunehmender, wenn auch zaghafter Konvergenz der Außenpolitik die nationalen Verteidigungspolitiken und Streitkräfteentwicklungen auseinander driften zu lassen.

Die Streitkräfte der Mitgliedsstaaten der EU sollten in der Lage sein, immer mehr gemeinsame Aufgaben in immer engerer Verschränkung zu bewältigen. Auch wenn dieser Ansatz noch weit davon entfernt ist, auf Sicht zur Etablierung einer gemeinsamen Armee zu führen, verbessert er die Möglichkeit zu effizientem Handeln. Gerade für kleinere Staaten kann das Bestreben, die "richtigen" Kräfte für internationale Operationen bereit zu stellen, zu Diskrepanzen mit nationalen Erfordernissen führen. So wäre es auch in Österreich für die Öffentlichkeit schwer zu akzeptieren, wenn traditionell durch das Bundesheer zum Schutz und zur Unterstützung der Bevölkerung erbrachte Leistungen reduziert würden, um mehr Spielraum für die Bereitstellung der international wirksamsten Kräfte zu gewinnen. Gerade deshalb ist es wichtig, den Kontakt mit Staaten vergleichbarer Interessen- und Ressourcenlage stetig zu vertiefen, um frühzeitig mögliche Felder der Zusammenarbeit erkennen zu können, die mehr Leistung bei gleichem Ressourceneinsatz ermöglichen. Die Europäische Verteidigungsagentur (EDA) kann dieses Bemühen als Katalysator und Ratgeber unterstützen; darin liegt ihr größter Wert. Auch von den Blockaden und Friktionen, die es derzeit aus politischen Gründen in der Zusammenarbeit zwischen EU und NATO gibt, könnten meines Erachtens viele Probleme dadurch entschärft werden, dass sich Staaten multilateral im Rahmen ihrer Möglichkeiten koordinieren. Die "Battle Groups" sind ein gutes Beispiel für eine solche Koordination, das Nachahmung in anderen Bereichen verdient.

Alle diese Ansätze führen nicht zu einer "Europäischen Armee", verbessern aber die Chancen der EU, wirksam zu handeln. Sinn machen die durch Zusammenarbeit erzielten Fähigkeiten aber nur, wenn die politisch Verantwortlichen aller Mitgliedsstaaten bereit sind, sie bei Bedarf auch einzusetzen.

Autor: Generalmajor Wolfgang Wosolsobe

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