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Schutz und Hilfe - auf Chinesisch

Die chinesischen Streitkräfte halfen nach der Erdbebenkatastrophe im Mai sehr rasch - und in einer Größenordnung, die für Mitteleuropa kaum vorstellbar ist. Der Beitrag schildert die wichtigsten Hilfsmaßnahmen der chinesischen Streitkräfte in den ersten beiden Wochen nach dem Beben.

Das Erdbeben der Stärke 8 erschütterte am 12. Mai 2008 um 1428 Uhr Ortszeit die Provinzen Gansu, Shanxi, Qinghai, Chongqing, Guizhou, Tibet und Sichuan im Südwesten Chinas - ein Gebiet von ungefähr 100 000 km2, bewohnt von etwa 50 Millionen Menschen.

Das Beben war in ganz China und den umliegenden Staaten zu spüren. In Beijing (Peking) hatte es noch eine Stärke von etwa 3,9, sodass selbst dort - über 2 000 km vom Epizentrum entfernt - die Menschen fluchtartig Büros und Häuser verließen.

Die schwersten Schäden entstanden in der Provinz Sichuan. Die Bezirke Wenchuan, Maoxin, Yingyiu und Beichuan wurden de facto vernichtet. Einige dieser Bezirke konnten erst am 13. Mai erreicht werden, weil das in den Qionglai Shan- und Min Shan-Gebirgszügen liegende Epizentrum von 2 000 bis 6 000 Meter hohen Bergen umgeben ist. Dort befindet sich auch Wenchuan, ein Bezirk mit 111 800 Einwohnern. Er liegt 146 km nördlich von Chengdu, der Provinzhauptstadt von Sichuan, einer Zehn-Millionen-Stadt.

Die Infrastruktur des nördlichen Sichuan war mit einem Schlag ausgelöscht. Hunderttausende Menschen lagen unter Trümmern begraben, ganze Straßenabschnitte und Brücken waren weggerissen oder verschüttet. Die Bahnlinie Baoji - Chengdu, eine der Hauptverkehrsadern der Provinz, wurde an 24 Stellen unterbrochen. Sämtliche Züge konnten noch rechtzeitig angehalten werden. Der Flughafen von Chengdu, der zu den hundert größten Flughäfen der Welt zählt (16 Millionen Flugpassagiere pro Jahr), musste nach den Erdstößen temporär gesperrt werden, weil aufgrund der Erdstöße eine Neukalibrierung des für Landeanflüge unverzichtbaren Instrumentenlandesystems (ILS) erforderlich war.

Die Wasser- und Stromversorgung war in weiten Teilen der betroffenen Provinz unterbrochen. Das Telefonnetz, einschließlich des Mobilnetzes, war gleichfalls sofort zusammengebrochen. Neben dem Ausfall von Wählämtern, und damit des Festnetzes, durch die Erdstöße, wurde das Mobilnetz sofort durch Überlastung lahmgelegt. Die einzigen intakt gebliebenen Kommunikationsmittel waren, neben den militärischen Fernmeldeverbindungen und einigen Regierungseinrichtungen, Fernsehen und Radio, sowie zum Großteil das Internet, sofern die Stromversorgung noch funktionierte.

Landesweite Hilfsmaßnahmen liefen innerhalb von Stunden an. Das territoriale Kommando der Luftstreitkräfte in Chengdu gab schon um 1448 Uhr dem dort stationierten Hubschrauberregiment den Einsatzbefehl, um sich einen Lageüberblick zu verschaffen und die ersten Hilfsmaßnahmen einzuleiten.

Während Polizei, Feuerwehr und Bewaffnete Volkspolizei ("Wujing", die der Zentralen Militärkommission und dem Büro für Öffentliche Sicherheit untersteht, aber keine Militärpolizei, sondern eine Truppe zur Aufrechterhaltung der Öffentlichen Ordnung ist) sowie die Bevölkerung sofort zur Selbsthilfe schritten, wurden die ersten 5 000 Soldaten in Marsch gesetzt, um so schnell wie möglich die betroffenen Gebiete zu erreichen. Innerhalb von 24 Stunden bewegten sich schon 50 000 Soldaten, Bewaffnete Volkspolizisten und Katastrophenschutzkräfte auf das Erdbebengebiet zu oder hatten es bereits erreicht.

Die Katastropheneinsatzgruppe, die in Beijing stationiert ist, war innerhalb von zwei Stunden marschbereit und wurde per Flugzeug nach Chengdu verlegt. Premierminister Wen Jiabao, der auf Besuch in der Provinz Henan weilte, flog, nachdem ihn die ersten Katastrophennachrichten erreicht hatten, sofort nach Chengdu und leitete die Hilfsmaßnahmen persönlich. Ein Einsatzstab, geleitet von Premierminister Wen Jiabao, den Vizepremiers Li Keqiang und Hui Liangyu sowie den Generälen Gu Boxiong und Xu Caihou, wurde eingerichtet. Der Premierminister eilte selbst an einige Unglücksstellen, um den Verschütteten persönlich Mut zuzusprechen. Fallweise traf er dort noch vor den Rettungsmannschaften ein. Die Bevölkerung beeindruckte jedenfalls zutiefst, wie er in die Trümmer einer zusammengestürzten Schule vordrang, um verschütteten Kindern mit den Worten "Hier ist Großvater Wen Jiabao, Hilfe ist unterwegs!" Mut zu machen.

Zur selben Zeit trat in Beijing das Politbüro unter Präsident Hu Jintao zusammen, setzte die vorbereiteten Katastropheneinsatzpläne in Kraft und veranlasste Hilfsmaßnahmen aller Ministerien, des Militärs, der staatlichen Dienststellen sowie der Provinzen. Trotz des ungeheuren Ausmaßes der Katastrophe liefen alle Maßnahmen äußerst effizient und vor allem mit einem ungeheuren Tempo ab.

Es war beeindruckend, wie rasch die Regierung und die Armee reagiert hatten und wie gut der Behördenapparat in China funktionierte, als es darum ging, viele Menschen zu mobilisieren und ohne Verzögerungen Hilfe an Ort und Stelle zu bringen. Das Motto für diesen ungeheuren Kraftakt drückte Präsident Hu Jintao wie folgt aus: "Solange ein Prozent Chance besteht, ist der hundertprozentige Einsatz gerechtfertigt!"

Einige Daten über China

Staatsgebiet: 9 600 000 km2.

Bevölkerung: 1 295 660 000 (2003), 135 Einwohner pro km2.

Streitkräfte:

Aktiv: 2 255 000 (selektive Wehrpflicht, Dienstzeit 2 Jahre).

Reserve: 800 000.

Bewaffnete Volkspolizei: ca. 1 500 000.

Miliz: ca. 10 000 000.

Rasch helfen, egal wie

Die ersten drei Tage wurde de facto fast nur gerettet und geborgen - und das mit den Mitteln, die vor Ort verfügbar waren. Nach 24 Stunden befanden sich in den Erdbebengebieten etwa 20 000 Soldaten, Bewaffnete Volkspolizisten und Katastropheneinsatzkräfte mit 20 Hubschraubern im Einsatz.

24 Stunden später hatten bereits weitere 30 000 das Gebiet erreicht (und Zehntausende waren noch im Anmarsch). Dieser Kern von Hilfskräften wurde von der lokalen Polizei, der Feuerwehr und einer Vielzahl von Freiwilligen unterstützt, die nicht nur aus der Provinz kamen, sondern nun aus dem ganzen Land in das Katastrophengebiet strömten. Darüber hinaus wurden tausende Bahnarbeiter sowie Arbeiter der Elektrizitätswerke, der Telekommunikation und der Wasserversorgung zur raschen (Wieder)Herstellung zentraler Elemente der Infrastruktur mobilisiert.

Für viele der Soldaten hatte der Einsatz einen sehr persönlichen Hintergrund, denn die Armee nimmt - aufgrund deren überdurchschnittlicher Ausdauer - sehr gerne Soldaten auf, die aus der Provinz Sichuan stammen.

Den ersten 20 000 Soldaten fehlte eigenes schweres Gerät. Sie kamen einfach so, wie sie waren, und begannen - praktisch mit bloßen Händen - die Menschen aus den Trümmern zu bergen. Bei den ersten Einsätzen zeigte sich, wie gut es das Militär verstand, zu improvisieren. Bei der Entsendung hatten die militärischen Kommanden kaum Rücksicht darauf genommen, welche Einheiten in Marsch gesetzt wurden. Soldaten des Heeres, der Luftstreitkräfte und der Marine eilten zum Rettungseinsatz heran. Hauptsache, Soldaten erschienen in den Katastrophengebieten! Eine Vorgangsweise, die man in Mitteleuropa eher nicht anwenden würde, weil man grundsätzlich nur speziell ausgerüstete Einheiten in solche Gebiete entsendet.

Für China, besonders in einer Katastrophe derartigen Ausmaßes, war das aber mit Sicherheit eine psychologisch richtige Entscheidung, weil das sofortige Erscheinen der Armee der Bevölkerung Mut und Halt gab. Jeder wusste: Auf unsere Soldaten kann man sich verlassen. Die kommen, egal was passiert!

Ein gewaltiger Einsatz

In den folgenden Tagen erfolgte die systematische Mobilisierung: Per Luftbrücke wurden täglich 12 000 Spezialkräfte aus den umliegenden Provinzen und aus Beijing eingeflogen. Insgesamt wurden rund 200 000 Personen aus dem Bereich der Streitkräfte in das Einsatzgebiet entsandt:

  • ca. 120 000 Soldaten;
  • ca. 60 000 Milizionäre und Reservisten;
  • ca. 20 000 Bewaffnete Volkspolizisten.
Die Masse der Mannschaften, der Ausrüstung und des Geräts kam per Bahn. Im Durchschnitt rollte ein Zug pro Stunde in Richtung Chengdu, und zwar über die Linie Chongqing - Chengdu, weil die Nordlinie Baoji - Chengdu erst nach 283 Stunden (ca. zwei Wochen) wieder ihren Betrieb aufnehmen konnte.

Für die Luftbrücke wurden 48 Transportflugzeuge der Luftstreitkräfte und 110 Zivilflugzeuge eingesetzt. Ab dem dritten Tag traf laufend schweres Gerät der Armee ein. Die Luftstreitkräfte verfügten nun vor Ort über 90 eigene und 30 zivile Hubschrauber. Das widrige Wetter, Regen und die schlechte Sicht in den hochgelegenen, engen Gebirgstälern behinderten allerdings sehr oft die Einsätze. Wenn man schon keine Helfer anlanden konnte, warf man zumindest Lebensmitttel über den abgeschnittenen Katastrophengebieten ab.

In einem geradezu verzweifelten Versuch, der nach 24 Stunden immer noch abgeschnittenen Bevölkerung in Beichuan und Wenchuan Hilfe zu bringen, entschloss man sich zu einem Fallschirmeinsatz. Eine Kompanie sollte über dem Bezirk Beichuan abspringen. Beim Anflug merkte man aber, dass aufgrund des schlechten Wetters ein Massenabsprung zu gefährlich war. Dennoch entschlossen sich 15 Mann zum Absprung. Sie landeten alle unverletzt im schwierigen Gelände der Absprungzone, aber es brauchte einige Zeit, bis man Kontakt zu ihnen herstellen konnte.

Trotz heftiger Nachbeben, Regen und Erdrutschen drangen die Hilfsmannschaften sehr schnell in die Bebengebiete vor. Einige Einheiten legten in einem zwanzigstündigen Fußmarsch 90 km durch das gebirgige Terrain zurück. Nach dem Eintreffen des schweren Gerätes entstanden sehr bald Behelfsstraßen.

Neben den Rettungsmannschaften musste aber auch Sanitätspersonal und Sanitätsinfrastruktur herangebracht werden. Das Erdbeben hatte die meisten Spitäler der Gegend vernichtet - oft samt dem Personal. In ganz China wurde daher Sanitäts- und Krankenhauspersonal mobilisiert (insgesamt etwa 3 000 Personen) und eingeflogen. Ebenso wie die Armee war dieses Personal meist Tage vor dem Material an den Einsatzorten. Hilfsmannschaften aus Russland, Südkorea, Singapur, Japan, Hongkong und Taiwan trafen zwei bis fünf Tage nach dem Beben ein.

Ein Transporthubschrauber Mi-171 stürzte am 31. Mai im Zuge der Hilfsmaßnahmen ab. Der erfahrene Pilot, Oberst Qiu Guanghua, befand sich dabei bereits auf seinem 64. Einsatzflug im Bebengebiet. An Bord befanden sich fünf Besatzungsmitglieder und 14 Passagiere.

Insgesamt mussten 358 000 Verletzte versorgt werden. Die Hauptanlaufstelle nach der medizinischen Erstversorgung war Chengdu. Hier trafen im Laufe der folgenden Tage 160 000 Verletzte ein. In der Folge wurden 8 000 Verletzte (etwa 500 pro Tag) mittels Lazarettzügen in die umliegenden Provinzen verlegt.

Insgesamt wurden aus den Trümmern etwa 80 000 Menschen lebend geborgen, der letzte davon nach 266 Stunden. Man zählte allerdings 65 080 Tote und 20 700 Vermisste (Stichtag 26. Mai). Fünf Millionen Menschen waren obdachlos geworden, Evakuierungen waren nötig und 14 Millionen Menschen müssen - zumindest temporär - umgesiedelt werden.

Die Streitkräfte haben innerhalb von zwei Wochen über 500 000 Tonnen Material und Hilfsgüter auf dem Landweg (Schiene, Straße, …) in das Katastrophengebiet gebracht und auf dem Luftweg 5 360 Tonnen transportiert.

Nach der Phase des Rettens liegt nun das Hauptaugenmerk auf der Evakuierung, der Versorgung und der Unterbringung der Betroffenen sowie auf dem Sichern von Staudämmen, der Beseitigung von erdbebenbedingten Verklausungen (diese hindern Flüsse am Abfließen und bewirken so Überschwemmungen; Anm.) und dem Freiräumen von Verkehrswegen.

Das Sanitätspersonal hat nach der ersten Einsatzwoche das Hauptaugenmerk auf den Aufbau einer medizinischen Versorgung und auf die Seuchenprävention gelegt, sowie auf die psychologische Betreuung der Opfer, speziell der etwa 6 000 Kinder, die ihre Eltern verloren haben.

Die Unterbringung der Bevölkerung vor dem Beginn der Regenzeit im Juni ist ebenfalls zu einem Wettlauf mit der Zeit geworden. Die Armee stellte pro Tag 9 000 Zelte auf, die zivilen Organisationen Fertigteilhäuser.

Das ehrgeizige Ziel Chinas: Die materiellen Schäden sollen innerhalb von fünf Jahren behoben sein.

Solidarität durch Information

Das entschiedene Handeln der Armee - und das Wissen darüber - ließ diese in den Augen der Bevölkerung als Garantin für Sicherheit und Hilfe erscheinen. Dasselbe gilt für die Regierung. Die chinesische Bevölkerung ist zutiefst beeindruckt, dass die Staatsführung nicht nur sofort entschieden anpackte, sondern auch Gefühle zeigte.

Schon kurz nach dem Beben startete eine ungeheure Informationskampagne. Die Fernseh- und Radiosender berichteten rund um die Uhr über das Beben, die katastrophalen Zerstörungen und die Hilfsmaßnahmen durch Regierung und Armee.

Diese intensive und sehr offene Berichterstattung hat das Land, aber auch die Betroffenen mobilisiert und solidarisiert. Die Menschen sahen sich als Teil der Rettungsaktionen.

Überall im Land wurden ungeheure Mengen an Geld und Sachspenden gesammelt. Vor den Blutspendebussen, die in den großen Städten auf den öffentlichen Plätzen aufgestellt waren, bildeten sich Warteschlangen mit hunderten Menschen. Jeder wollte mitmachen.

Als am 20. Mai um 1428 Uhr die offiziellen Trauerminuten für die Bebenopfer begannen, gingen die Menschen in ganz China auf die Straßen. Der Verkehr stoppte und man hörte nur die Hupen und Sirenen. Die Menschen standen da und weinten. Doch nach den drei Trauerminuten ertönte allerorts der Ruf "Vorwärts China!" Man merkt, wie stark dieses China geworden ist und was für ein Wille in den Menschen steckt. In ihrem Leid fanden die Menschen zu einer ungeheuren Stärke und Kraft.


Autor: Thomas Novohradsky, Jahrgang 1959. Absolvent des Max Reinhardt Seminars 1980, Grundausbildung an der Fernmeldetruppenschule in Wien 1979. Ab 1980 Regieassistent und Schauspieler in St. Gallen. Von 1982 bis 1993 Regieassistent an der Wiener Staatoper, in dieser Zeit Teilnahme an den Salzburger und Bregenzer Festspielen, Aufführungen der Mailänder Scala sowie die Inszenierung der Zauberflöte für das Gastspiel der Wiener Staatsoper 1993 in Jerusalem. Von 1993 bis 2001 Produktionsleiter der Wiener Staatsoper. Von 2001 bis 2003 designierter künstlerischer Direktor und von 2003 bis 2007 künstlerischer Direktor des New National Theatre Tokyo. Seit 2007 freier Unternehmer in Beijing.

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