"Es brennt zwar nicht der Hut, aber es glost die Jacke!"
von Andreas Steiger
Kurzfassung
◄ Der Einmarsch von Truppen des Warschauer Paktes am 21.8.1968 in die CSSR traf das Bundesheer nicht unvorbereitet: Knapp ein Monat vorher waren im Befehl mit dem Decknamen "Urgestein" die zur Sicherung der Grenzen notwendigen Maßnahmen festgeschrieben worden. Demnach sollte das Bundesheer zum Schutz der Nordgrenze insbesondere die Übergangsstellen besetzen und das Zwischengelände durch Patrouillentätigkeit überwachen. Doch schon am 25.7.1968 relativierte Verteidigungsminister Prader die Weisung "Urgestein", indem er das Fernhalten des Bundesheeres in einem Abstand von 30 km von der Grenze anordnete.
Anders als für das Bundesheer kam die militärische Intervention in der CSSR für die Politik überraschend. Die aus dem Uralub zurückgerufene Bundesregierung billigte die Verstärkung der Garnisonsbereiche nördlich der Donau, wollte aber mit dieser freiwilligen Zurückhaltung die Situation entspannen, zumal der sowjetische Botschafter bekräftigt hatte, dass Moskau mit der Intervention in Bezug auf Österreich keinerlei Absichten verfolge.
Reservisten des Grenzschutzes, die selbstständig ihre Sammelräume aufgesucht hatten, warteten vergeblich auf die Soldaten der Einsatzbrigaden und mussten unverrichteter Dinge wieder abziehen, weil sich die Politik gegen eine Aktivierung des Grenzschutzes entschied. Die Auswirkungen auf das Image des Bundesheeres in der Bevölkerung waren negativ; zu Recht fühlte sich diese in einer Krise allein gelassen.
Die Entscheidung, das Bundesheer 30 km von der Grenze entfernt zu halten, barg in der Tat die Gefahr, dass das nördliche Niederösterreich zu einer Kampfzone hätte werden können, wenn nämlich die tschechoslowakischen Soldaten dem Aufruf des Präsidiums der Kommunistischen Partei, keinen Widerstand gegen die einmarschierenden Truppen zu leisten, nicht befolgt hätten.
Die CSSR-Krise sah ein Heer, das die Grenzen schützen wollte, aber auf Grund der politischen Vorgaben diesen im Wehrgesetz verankerten Auftrag nicht erfüllen durfte und zudem für das Fernbleiben von der Grenze verantwortlich gemacht wurde, was den Reformdruck erheblich anwachsen ließ. ►
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"Es brennt zwar nicht der Hut, aber es glost die Jacke!"
Der Einsatz des österreichischen Bundesheeres während der CSSR-Krise 1968
Anlässlich des zehnjährigen Jubiläums des Staatsvertrages und der Wiedererlangung der Wehrhoheit hielt das Bundesheer im Jahr 1965 eine eindrucksvolle Parade auf der Wiener Ringstraße ab. Unter dem Jubel der Zuschauer, den kritischen Augen der politischen Repräsentanten und der Militärattachés, die auf der Rampe zum Parlament Aufstellung genommen hatten, defilierte das "junge Heer" in fünf Treffen an der "Pallas Athene" vorbei.
Beeindruckend schien neben der noch vorhandenen Ausrüstung der ehemaligen Besatzungstruppen, die schon von der B-Gendarmerie verwendet worden war, die "neue" Ausrüstung des Bundesheeres. Allen voran der mittlere Kampfpanzer M60 A1, der Schützenpanzer Saurer und die Fahrzeugtypen Puch Haflinger und Steyr Diesel 680. Die Soldaten waren schon großteils mit dem Panzerabwehrrohr 66 Carl Gustav und dem Sturmgewehr 58 ausgerüstet.
An geschichtsträchtigen Plätzen und Gebäuden vorbei marschierten die Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten der verschiedenen Waffengattungen, der Militärakademie, der Heeresunteroffiziersschule und des Grenzschutzes, alle bereit, die Grenzen der "jungen" Republik Österreich zu verteidigen.1) Sollte es zu einem Einsatz des Bundesheeres kommen, so war im Wehrgesetz als erster Zweck des Bundesheeres der "Schutz der Grenzen" der Republik definiert. Und dies, obwohl die politische und militärische Führung während der Ungarnkrise 1956 am 5.11. und 6.11. erkannte, dass die eingesetzten Kräfte in sperrgünstiges Gelände zurückverlegt werden mussten.
Um ein glaubhaftes militärisches Verteidigungskonzept Österreichs mit dem von der Bevölkerung erwarteten und im Wehrgesetz verankerten Schutz der Grenze zu verbinden, wurde das atomare "Schild-Schwert-Konzept" der NATO den österreichischen Verhältnissen angepasst. Vorerst galt es, die in Österreich vorhandenen militärischen Kräfte richtig einzusetzen. Es gab hier zwei verschiedene "Denkschulen" im Bundesheer. Eine Einsatzvariante sah vor, die Brigaden als Hauptträger des Abwehrkampfes ("Schwert") nach operativen Grundsätzen und nicht für Nebenaufgaben einzusetzen.
Um die Mobilmachung der Brigaden zu ermöglichen, wurde ein unmittelbar an der Grenze aufgestellter "Grenzschutz" errichtet, der den "Schild" für das dahinter einsatzbereit zu machende "Schwert", die Brigaden, darstellte. Die zweite (und wohl realistischere) Einsatzvariante war, die vier Jägerbrigaden und den Grenzschutz als Schild einzusetzen und die drei Panzergrenadierbrigaden als Schwert zu verwenden.
Die sieben Einsatzbrigaden (vier Jägerbrigaden, drei Panzergrenadierbrigaden) mit einer Gesamtstärke von 25.000 Mann waren mit Masse "auf Knopfdruck" einsatzbereit. Das Organisationsschema des Bundesheeres 1968 unterschied zwischen dem "Feldheer" (mit Ausbildungstruppen) und der "territorialen Organisation" (Grenzschutz und Einrichtungen zu dessen Aufstellung).2) Die Budget- und Kaderlage sowie die schwächeren Wehrpflichtigenkontingente erforderten allerdings Änderungen in der Organisation und Rationalisierungsmaßnahmen, die ab dem 30.3.1968 zur Durchführung gelangten. Diese Maßnahmen sahen u.a. die Reduzierung von 30 Einheiten und die Einsparung von Dienstposten vor.3) Dennoch war die militärische Führung anhand der durchaus modernen Ausrüstung, des vorhandenen Konzeptes, der vorhandenen Gliederung und eines eindeutigen Befehles überzeugt, den "Schutz der Grenzen" effizient durchführen zu können.
"Der Bruderkrieg!" - Der Einmarsch der Warschauer Pakt-Truppen in die CSSR
Die Besetzung der CSSR durch Truppen des Warschauer Paktes am 21.8.1968 wurde innerhalb kurzer Zeit weit gehend kampf-, wenn auch nicht problemlos durchgeführt. Die Weltöffentlichkeit zeigte sich überrascht, zumal die Zeichen der Zeit anders interpretiert worden waren. Zur Entwicklung: Im Frühjahr 1968 ergab sich in weiten Teilen des östlichen Europas eine Art "Aufbruchstimmung". In der CSSR startete man den Versuch der Entwicklung einer eigenständigen Republik unter Abbau der bisherigen Restriktionen des öffentlichen Lebens und unter Anwendung von ersten marktwirtschaftlichen Grundsätzen.
Die sowjetische Staats- und Parteiführung zeigte sich nicht gewillt, eine solche Entwicklung bzw. eigenständige Interpretation von doktrinären Grundsätzen zuzulassen. Sie befürchtete folglich eine distanzierte oder ablehnende Haltung der CSSR gegenüber dem Warschauer Pakt, was auch eine veränderte militärstrategische Lage in Mitteleuropa zuungunsten des Paktsystems heraufbeschworen hätte. Jugoslawien hatte seinen eigenständigen politischen und ökonomischen Weg eingeschlagen. Auch Rumänien begann, eine deutliche Eigenständigkeit zu demonstrieren, obwohl das Land wirtschaftlich überaus eng vom Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe abhing.4) Unter den 1968 vorhandenen politischen Gegebenheiten versuchte die gemäßigte tschechoslowakische Regierung unter Alexander Dubcek im so genannten "Prager Frühling" einen "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" zu schaffen.5) Ein "Aufweichen" des Warschauer Paktes war zu befürchten. Es waren nicht nur politische Motive, sondern vorrangig militärische Überlegungen, welche die Moskauer Führung unter Parteichef Leonid Breschnjew zum Handeln zwangen.
Die CSSR galt aus geopolitischer, strategischer und militärischer Sicht allgemein als "weicher Unterleib" des Warschauer Paktes, der zudem als Einfallstor der NATO zum Osten gesehen wurde. Gemäß dem Kriegsplan von 1964 galten die Nordgrenzen Österreichs und die Schweiz als südliche Begrenzung des Operationsgebietes der CSSR. Der grobe Ablauf der Operationen sah einen Vorstoß der Tschechoslowakischen Volksarmee (CVA) nach Westen vor, in Richtung Nürnberg/Stuttgart/München, dann nach Strassburg und Dijon. Am achten Tag sollten Panzer der CVA in Lyon stehen.6) Gemäß einer Studie des Chefs der sowjetischen militärischen Aufklärung, General Pjotr Iwaschutin, waren folgende Faktoren Voraussetzung dafür, dass der Offensivplan des Warschauer-Pakts durchführbar war: "NATO’s defensive preparations were a shame, - only a swift offensive operation could guarantee success for the Warsaw Pact, - the operation was feasible regardless of Europe’s nuclear devastation, - technically superior Soviet air defences could destroy incoming NATO missiles - before these could cause unacceptable damage, - the Soviet Union could prevail in a war because of the West’s greater vulnerability to - nuclear devastation." 7) Planungen und angenommene Grundvoraussetzungen für die Durchführbarkeit des sowjetischen Generalstabs dürften der realisierbaren Umsetzbarkeit wohl entgegengestanden haben.
Schon längere Zeit hatten die sowjetischen Marschälle Zweifel daran gehegt, dass die Stärke und die Möglichkeiten der CVA ausreichen würden, um auf einer Frontbreite von ca. 900 km - das entsprach in etwa der Grenzlänge zur Bundesrepublik und zu Österreich - die potenziellen Schläge des westlichen Gegners selbstständig abzuwehren. Das Manöver "Moldau" vom September 1966 in der CSSR hatte sie offenbar in ihren Auffassungen bestärkt. Eine Ursache für diesen Schwachpunkt in der strategischen Gruppierung sahen die Sowjetgeneräle darin, dass in der Tschechoslowakei keine sowjetischen Truppen stationiert waren. Nur die eigenen Truppen konnten - so das sowjetische Kalkül - das militärische Kräfteverhältnis an der Trennlinie zur NATO stabilisieren und letztlich die eigene Überlegenheit herstellen.
In Folge wäre dadurch sowohl die Sicherheit im Vorfeld der sowjetischen Grenzen erhöht als auch die Schlagkraft der Truppen aus dem Westteil der CSSR heraus in der so genannten "oberrheinischen Operationsrichtung" Prag - Stuttgart - Dijon beträchtlich verstärkt worden. Die Stationierung würde es zugleich ermöglichen, atomare Mittelstreckenraketen der UdSSR an der Grenze zur NATO zu dislozieren, wodurch sich ihr Wirkungsradius in Richtung Westeuropa erweiterte. Bisherige sowjetische Stationierungsofferte waren aber schon vor dem Jahr 1968 in der CSSR auf Ablehnung gestoßen. Die abweisende Haltung war damit begründet worden, dass die Stationierung von fremden Truppen sehr unpopulär sei und die Autorität der KPC schwächen würde.8) Staats- und Parteichef Leonid Breschnjew wies auf Grund einer Stellungnahme des Politbüros der KPdSU den Generalstab der Sowjetarmee am 20.3.1968 an, den Plan einer militärischen Besetzung der CSSR auszuarbeiten. Die Abstimmung über den Einmarsch ging mit acht Stimmen für und sieben Stimmen gegen den Einmarsch denkbar knapp aus. Die Projektarbeiten wurden durch Verteidigungsminister Marschall Gretschko koordiniert.
Der Kommandant der damals in Ungarn stationierten Südgruppe der Truppen (SGT), Generaloberst Prowalow, erhielt die Direktive Nr. GOU/1/87657/ des sowjetischen Verteidigungsministers hinsichtlich der Besetzung der Tschechoslowakei am 8.4.1968. In dieser wurden die Aufgaben im Rahmen der Operation Donauübung - so der Deckname - festgelegt. Dieses rasche Handeln, verbunden mit einer gewaltsamen Lösung, wurde aus Sichtweise der UdSSR durch die geostrategische Lage notwendig. Im militärischen Dispositiv des Warschauer Paktes gab es einen einzigen Abschnitt, in dem nicht die absolut zuverlässigen sowjetischen Divisionen der NATO gegenüberstanden: die "westliche" CSSR. So hätte die geringste militärische Instabilität eine schwere Krise im Verteidigungsdispositiv bedeutet, denn von hier aus beherrschte man die deutsche Tiefebene. Am 18.10.1968 sprach Gretschko nach Abschluss der Besetzung dies offen aus: "Die strategische Lage der Armeen des Warschauer Vertrages hat sich dadurch erheblich verbessert, dass wir in dieser Richtung (BRD) eine erhebliche Kraftüberlegenheit erhalten haben.” Der sowjetische Generalstab plante die Besetzung der CSSR mit zwei starken Kräftegruppierungen. Die Hauptgruppe bildete die Gruppe Nord. Aus der DDR und aus Polen sollten zwei sowjetische Divisionen in die CSSR eindringen. Ihr Auftrag war es, Prag zu nehmen, die westlichen Grenzen zu sperren und dann Böhmen, Nordmähren, Schlesien und die Nordslowakei zu besetzen. An der Besetzung nahmen insgesamt 25 Divisionen mit fast 250.000 Mann teil.9) Den einmarschierenden Truppen schlug seitens der tschechoslowakischen Bevölkerung Ablehnung, Empörung und Hass entgegen. Die Bilanz des Einmarsches war blutig: Sowjetische Soldaten erschossen 53 Bürger. 38 Tschechoslowaken wurden von Militärfahrzeugen überrollt und drei Personen kamen aus bisher ungeklärten Ursachen ums Leben. Bei den "Interventionisten" gab es 58 Tote.10) Rund 75.000 sowjetische Besatzungssoldaten verblieben ab dem Herbst 1968 unter dem Namen Zentralgruppe der sowjetischen Streitkräfte (ZGT) in der CSSR. In den folgenden zwei Jahrzehnten verkörperten sie in den Augen des tschechoslowakischen Volkes als "Schatten der Intervention" das Symbol der Erniedrigung und Unterdrückung.
Vom "Prager Frühling" zum "Wiener Sommer"
Die militärische Führung in Österreich hatte angesichts der politischen Entwicklung in der Tschechoslowakei die Zeichen der Zeit erkannt und Maßnahmen eingeleitet. In Wien besprachen am 13.5.1968 Verteidigungsminister Dr. Georg Prader, Generaltruppeninspektor (GTI) General Erwin Fussenegger und der Befehlshaber des Gruppenkommandos I (GrpKdo I) General Leo Waldmüller die politischen und militärischen Ereignisse in der CSSR und die Rückwirkungen auf das Bundesheer. Dabei wurde beurteilt, dass bei einem Einmarsch sowjetischer Truppen an einem Wochenende die Situation sich für das Bundesheer kritisch entwickeln könnte, da auf Grund der dienstfreien Zeit nicht genügend Soldaten zur Verfügung stehen würden. Daher erteilte Minister Prader - offiziell aus Übungsgründen - die Weisung, für die folgenden zwei Monate auf den Truppenübungsplätzen Allentsteig und Bruck/Leitha an Wochenenden und an Feiertagen entsprechende Truppenteile marschbereit zu halten.11) Der Befehl vom 24.7.1968, der mit dem Decknamen "Urgestein"12) bedacht wurde, enthielt die zu treffenden Maßnahmen zum Einsatz des Bundesheeres zur Sicherung der Grenze bei einem Einmarsch von Truppen des Warschauer Paktes in die CSSR. Hier wurde vorausschauend die Feindlage richtig beurteilt: "(1.) Die Möglichkeit eines Eingreifens von Streitkräften des Warschauer Paktes in der Tschechoslowakei kann weiterhin nicht ausgeschlossen werden" und auch mit dem "Übertreten bewaffneter tschechischer Soldaten" wurde gerechnet. Bezüglich eines Einsatzes des Bundesheeres wurde festgelegt, dass "das österreichische Bundesheer den Schutz der Grenzen zum Beweis des Willens zur unbedingten Neutralität übernehmen" wird. Der Einsatz wurde gemäß § 2a des Wehrgesetzes definiert. Im Auftrag wurde festgelegt: (3.b.) Sicherung der Nordgrenze mit Schwergewicht an den Übergangsstellen und Überwachung des Zwischengeländes. Unter anderem wurde hier unmissverständlich festgelegt, "die Grenzübergänge zu besetzen und das Zwischengelände durch Patrouillentätigkeit zu überwachen." Die Auslösung aller vorzubereitenden Maßnahmen dieses streng geheimen Befehles sollte auf das Stichwort "Urgestein" erfolgen. Ein von der militärischen Führung auferlegter Passus, wonach die Gruppenkommanden angewiesen waren, nur einem eingeschränkten Personenkreis "Urgestein" zur Kenntnis zu bringen - sollte sich in einer späteren Phase des Einsatzes, als es den Anschein hatte, das Bundesheer wolle nicht an die Grenze, als nachteilig erweisen.
Auf Veranlassung von Minister Prader und Innenminister Dr. Franz Soronics fand am 23.7.1968 - einen Tag vor der Erstellung des Befehls "Urgestein” - eine Besprechung zwischen Vertretern beider Ministerien statt, sodass in einer Beilage von "Urgestein" Weisungen für die Exekutive enthalten waren.
Der Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die CSSR begann am 20.8.1968 um 23:00 Uhr. Die erste Meldung über den Einmarsch sowie die Vorwarnung durch die Gruppe Nachrichtenwesen erfolgte am 21.8.1968 um 01:50 Uhr. Um 03:00 Uhr wurden die Stäbe und Kommanden vorgewarnt, und um 03:40 Uhr begann die Alarmierung der Truppe.13) Die Fernmeldeaufklärung hatte erste Hinweise über den konkreten Einmarsch durch das Abhören des Taxifunks erhalten. Als die vom Bundesheer in der Grenzbeobachtung und der Panzererkennung eingeschulten Zollwacheorgane das erste Auftreten von sowjetischen Panzern im Bereich des GrpKdo I an der Grenze bei Slavonice (gegenüber Fratres im Waldviertel) meldeten, wurde vom GTI fernmündlich angeordnet, dass der S2 der 3. Panzergrenadierbrigade (PzGrenBrig) sich in Zivilkleidung mit seinem Privatkraftfahrzeug vor Ort zu begeben hatte, um die Richtigkeit der wahrgenommenen Beobachtungen zu verifizieren.14) Der G2 des GrpKdo I mit seinem Führungsstab führte die Lagebeurteilung im Grenzgebiet durch, erfasste alle einlangenden Meldungen einschließlich der Beobachtungsberichte der Zollwacheabteilungen, und steuerte die Grenzbeobachtungen. Zudem wurden die wahrgenommenen russischen Truppenbewegungen im grenznahen Raum sowie Befragungsergebnisse einreisender Personen aus der CSSR an den Grenzübergangsstellen ausgewertet.15) Brigadier Johann Freihsler, Leiter der Gruppe Operation, führte als Chef des Einsatzstabes das im Einsatzfall zu bildende Armeekommando innerhalb des Bundesministeriums für Landesverteidigung (BMfLV).16) Im BMfLV wurden Sektionsjournaldienste und bei allen Militärkommanden, Brigadekommanden, beim Kommando der Heeresfeldzeugtruppen und beim Gruppenkommando III Sonderjournaldienste eingerichtet.17) "... Die militärische Intervention der Sowjetregierung in der Tschechoslowakei kam für uns - ebenso wie für die übrige Welt - überraschend...", stellte Außenminister Dr. Kurt Waldheim in einer Rede vor dem Ministerrat am 10.9.1968 fest.18) Anders formuliert: Seitens der politischen und der militärischen Führung war man trotz der getroffenen Vorbereitungen vom Einmarsch überrascht. Auf Grund von getroffenen Vereinbarungen zwischen der Führung der CSSR und den Staaten des Warschauer Paktes bei den Konferenzen von Schwarzau an der Theiß und jener in Pressburg rechnete man im Spätsommer 1968 nicht mehr mit einem Einmarsch. Die Liste der Politiker, die Urlaub machten und nicht sofort in Wien für Entscheidungen zu Verfügung standen, war lang. Im "Vor-Handy"- und "Vor-E-Mail"-Zeitalter war die Kontaktaufnahme schwierig, zumal in den diversen Ferienhäusern noch keine Telefone vorhanden waren. Eine Entscheidung bezüglich des Einsatzes des Bundesheeres gemäß "Urgestein" verzögerte sich.
Ohne Verzögerung wurde hingegen die Sicherung der Grenzübergänge durch die Exekutive wie abgesprochen durchgeführt, wobei diese durch insgesamt ca. 930 Gendarmeriebeamte an den vorgesehenen Einsatzpunkten verstärkt wurde.19) Brigadier Freihsler hatte in eigener Verantwortung um 03:40 Uhr die zuständigen Kommandanten alarmiert und den Befehl zur Herstellung der Marschbereitschaft der zum Sicherungseinsatz bestimmten militärischen Verbände des Bundesheeres gegeben.20) Während aber der militärische Führungsstab auf den Marschbefehl für die abmarschbereit wartenden Truppen drängte, entwickelte sich unter den Ministern eine stundenlange Debatte über die Frage, ob der Verteidigungsminister den Abmarschbefehl in Eigenverantwortung geben dürfe oder ob dies nur dem Bundespräsidenten als Oberbefehlshaber zustehe.21) Erst auf dem außerordentlichen Ministerrat, der unter dem Vorsitz des Bundeskanzlers am 21.8. um 13:30 Uhr zusammentrat, verständigte man sich darauf, dass die Erteilung des Marschbefehles in die Zuständigkeit des Verteidigungsministers falle.22) Als Fehler erwies sich die unzulängliche Information der Medien und somit der Bevölkerung durch die Bundesregierung. Erst 14 Tage später wurde eine Pressekonferenz für Chefredakteure durchgeführt, wo der Bundeskanzler bekannte, dass man sie bereits früher hätte informieren müssen.23) Nicht sofort informiert wurden auch die Soldaten über den Grund, warum man nicht den "Schutz der Grenzen" gewährleisten durfte.
Die "Knopfdruckbrigaden" zwischen politischer Vorgabe und militärischer Notwendigkeit
In Abänderung der Weisung "Urgestein" vom 24.7.1968 erging erst am Nachmittag des 21.8.1968 der Befehl "(1.) Zur Verstärkung der Garnisonsbereiche nördlich der Donau" 24) wurden im Sicherungseinsatz Truppen des GrpKdo I, GrpKdo III, des Kommandos der Luftstreitkräfte und Heerestruppen verlegt bzw. eingesetzt. Konkret bedeutete dies, dass der Einsatz des Bundesheeres (bis zu) 30 km weg von der Staatsgrenze erfolgte oder wie es im Befehl definiert wurde: "(2.) Der Einsatz erfolgt in der allgemeinen Linie, wobei die Truppe ... die Unterkunft (möglichst in den Kasernen und auf Übungsplätzen) zu beziehen hat..." und nach dem Eintreffen ab 22.8.1968 eine intensive Gefechtsausbildung (Aufklärung, Gefechtschießübungen aller Art, Sicherung, Schießausbildung und Scharfschießen, soweit Schießplätze und Übungsplätze dies gestatteten) durchzuführen hat. Abweichend von "Urgestein" durfte man nicht den im Wehrgesetz definierten "Schutz der Grenzen" erfüllen. "Ein Einsatz des Alarmzuges oder der gesamten Truppe sowie ein Überschreiten der gegebenen Linie darf nur über ausdrücklichen Befehl des Bundesministers für Landesverteidigung erfolgen." Obwohl die Truppe rechtzeitig alarmiert und ab 08:00 Uhr die Brigaden auf den "Knopfdruck" in den Kasernen warteten, erfolgte der Abmarsch der zum Sicherungseinsatz vorgesehenen Verbände am 21.8.1968 erst um 16:15 Uhr.
Die sowjetischen Truppen erreichten die österreichische Grenze im Bereich von Niederösterreich am Vormittag und im Bereich von Oberösterreich in den Abendstunden. Zeitlich verzögert konnten die zur Verstärkung der Garnisonsbereiche nördlich der Donau alarmierten Einheiten ihre Sicherungsräume in der Gegend um Freistadt, Weitra, Allentsteig, Horn und Mistelbach erst in den Abend- und Nachtstunden des 21.8. besetzen.25) Abweichend von den Anlassfällen der Landesverteidigung - Krisenfall, Neutralitätsfall, Verteidigungsfall - wurde der Begriff der "krisenhaften Situation" seitens der politischen Führung verwendet, ein Begriff, mit dem die militärische Führung vorerst nichts anfangen konnte.
Zudem galt es auch, die zu erwartenden Flüchtlingsbewegungen zu berücksichtigen. Nicht nur mit dem Aufkommen von Flüchtlingen rechnete die Bevölkerung, sondern auch mit dem Erscheinen des Bundesheeres, das sich gemäß "Urgestein" auf den "Schutz der Grenzen" vorbereitete.
Die 1. Jägerbrigade erhielt fernmündlich den Auftrag, die Marschbereitschaft der Einsatzverbände unverzüglich herzustellen. Der Einsatz im Sinne von "Urgestein" bliebe aufrecht, wonach die Brigade den Sicherungseinsatz an der Grenze zwischen dem Grenzübergang Berg bei Wolfsthal und Klein Haugsdorf durchzuführen hätte. Oberstleutnant Bergmann, Kommandant des Stabsbataillons, teilte nach einer Besprechung beim Gruppenkommando I um 13:00 Uhr mit, dass die bisherigen Vorbereitungen für die Grenzsicherung aufgehoben seien. Übermittelt wurde der Befehl "Verstärkung des Garnisonsbereiches nördlich der Donau" anhand eines ca. zwei Meter langen Fernschreibens, worin auch unter anderem Details über den Einsatz der Brigaden festgehalten wurden. Daraus ergab sich, dass sich der Gefechtsstand des Brigadekommandos vor dem Jägerbataillon 2 und 4 "feindwärts" Richtung Grenze befand. Der Brigadekommandant beantragte deshalb, das Brigadekommando in Leobendorf - in der Tiefe des zugewiesenen Gefechtsstreifens - einzurichten, was aber abgelehnt wurde.26) Die 3. Panzergrenadierbrigade (PzGrenBrig) wurde am 21.8. um 05:30 Uhr vom Garnisons-Offizier alarmiert. Die Masse der Brigade war um etwa 09:00 Uhr marschbereit. Um 16:25 Uhr begann die Verlegung der Brigade im motorisierten Marsch in das Waldviertel, die um etwa 21:00 Uhr abgeschlossen war. Es gab strenge Weisung, keine scharfe Munition auszugeben, auch nicht, nachdem die Panzer des Warschauer Paktes schon an der Grenze standen. Sogar die Ausstattung der Kommandanten mit Munition für die Pistolen gestaltete sich schwierig. Da die Lage vom GTI als kritisch eingeschätzt wurde, mussten unter strengster Geheimhaltung in Anlehnung an den Fluss Kamp Verteidigungsstellungen (hinter der 30 km Zone) durch die Kommandanten erkundet werden. 27) Die 4. PzGrenBrig hatte in der Nähe von Linz ihren Gefechtsstand und schien von jeglichen Informationen abgeschnitten zu sein. Die Informationsbeschaffung des S2 erfolgte durch internationale Tageszeitungen.28) Für die Bataillone stellte sich die Situation verschieden dar.
Das Panzerbataillon (PzB) 14 wurde bei der Alarmierung durch das BMfLV vorerst schlichtweg vergessen.29) Die Bevölkerung zeigte sich beunruhigt, dass die Verlegung des PzB 14 aus Wels und Hörsching durch Linz bei Nacht erfolgte - wie bei einsatzmäßigen Bedingungen.30) Die Verlegung der Masse des PzB 14 in der Nacht hatte vor allem verkehrstechnische Gründe, weil man die ohnehin angespannte Verkehrssituation in Linz nicht belasten wollte. Teile des Bataillons blieben allerdings in Hörsching bzw. in Wels, um die Flugplätze zu sichern, da man befürchtete, im Falle einer Angriffsoperation würden ähnlich wie in Prag vorgestaffelt Flugzeuglandungen stattfinden. Die nördlich der Donau liegenden Kräfte, vornehmlich das Panzergrenadierbataillon 13, unternahmen zum Teil zusammen mit Panzern des PzB 14 Patrouillenfahrten bis in den Grenzraum.31) Die 2. Kompanie des Panzergrenadierbataillons 9, die in der Kuenringerkaserne in Weitra stationiert war, musste ab dem 21.8. in den Raum Pötzles auf dem Truppenübungsplatz Allentsteig verlegt werden, da Weitra innerhalb der 30 km-Grenze lag. Die Bevölkerung von Weitra war frustriert und enttäuscht, dass "ihre" Soldaten aus der grenznahen Kaserne abgezogen wurden. Zur Beruhigung der Bevölkerung an der Grenze wurden Patrouillenfahrten mit Schützenpanzern durchgeführt.32)
Die Eigendynamik des Grenzschutzes
Seit der Aufstellung 1961 hatte sich der Grenzschutz bemerkenswert entwickelt. Die Reservisten waren auf die möglichen Operationsfälle - so auch hinsichtlich der Tschechoslowakei - gewissenhaft vorbereitet und ausgebildet worden.
Mit den zivilen Behörden waren Absprachen getroffen und in den Sammelräumen Gebäude angemietet worden. Hinzu kam, dass ja seinerzeit im Mühlviertel das erste Grenzschutzbataillon als Vorzeigemodell aufgestellt worden war. Unabhängig von den Pflichtwaffenübungen traf man sich, um auf Vereinsbasis militärische Probleme zu diskutieren und die Kameradschaft zu pflegen. Der Zusammenhalt und die wehrpolitische Motivation, den "Schutz der Grenzen" für die eigene Grenzbevölkerung zu gewährleisten, wirkten motivierend. Als in den Medien vom Einmarsch des Warschauer Paktes berichtet wurde, begann jener Handlungsautomatismus, auf den man sich für diesen Anlassfall vorbereitet hatte. Man verabschiedete sich von der Familie, beendete die Arbeit oder unterbrach den Urlaub, um die "Heimat" zu schützen. Folglich trafen die ersten Reservisten des Grenzschutzes im August 1968 von selbst in den vorbereiteten Sammelräumen ein und begannen, ohne auf einen militärischen Befehl zu warten, sich für den Einsatz vorzubereiten, um als "Schild" den "Schutz der Grenzen" bis zum Einsatz der Knopfdruckbrigaden zu gewährleisten.
Man wartete vergeblich auf das "Schwert"; die Soldaten der Einsatzbrigaden kamen nicht. Als infolge der Nichtauslösung des Befehls "Urgestein" auch der Einsatz des Grenzschutzes verboten wurde, führte dies bei vielen Reservisten zu einer tiefen Sinnkrise. Wann, wenn nicht jetzt, hätten sie denn eingesetzt werden sollen?33) Brigadier Freihsler stellte Bundeskanzler Klaus die Frage, ob der Grenzschutz aktiviert werden solle. Bundeskanzler Klaus wollte wissen, ob dies notwendig sei, Freihsler verneinte, und Klaus entschied sich gegen die Aktivierung des Grenzschutzes.34) Diesbezüglich hatte am 21.8. um 12:30 Uhr der sowjetische Botschafter in Wien, Boris Fjodorow Podzerob, bei Bundeskanzler Klaus vorgesprochen, um ihm die Beweggründe seiner Regierung zum Einmarsch der sowjetischen und anderen verbündeten Truppen darzulegen.35) Dieser sagte später angeblich im Außenministerium (sinngemäß): Wir verfolgen in Bezug auf Österreich keine Absichten; sollte jedoch das österreichische Bundesheer irgend etwas machen, was eine Verteidigungsbereitschaft demonstriere, dann kann ich für die Folgen seitens des Warschauer Paktes keine Verantwortung übernehmen. Folglich blieb man 30 km von der Grenze entfernt.
Zurück blieb nicht nur eine "schutzlose" Bevölkerung an der Grenze, auch die Gendarmen und Zöllner blieben auf sich alleine gestellt, während sie den Einmarsch der sowjetischen Truppen in der CSSR im ORF verfolgten, der diese auch über die Bundesheerpräsenz 30 km abseits der Staatsgrenze informierte.36) Stellvertretend für alle Personen, die durch das Bundesheer den "Schutz der Grenzen" erwarteten, sei die Aussage eines Offiziers der Zollwache herausgenommen: "Es mag viele Gründe geben, das Bundesheer von der Grenze fernzuhalten. Sie alle ändern aber nichts daran, dass wir allein gelassen wurden." 37)
"Man soll dem Bären nicht auf den Schwanz treten"
Offen blieb die Frage, warum das Bundesheer 1968 den Befehl "Urgestein" nicht ausführen durfte. Zehn Jahre später war es dem stellvertretenden Leiter Operation Oberst dG Horst Pleiner vorbehalten, auf Weisung von Verteidigungsminister Otto Rösch die Ereignisse des Jahres 1968 auf der oberen und der unteren Ebene darzustellen und Konsequenzen für die Verbesserung des Führungsverfahrens auf Ebene des Ministers und des GTI bzw. der Sektionsleiter zu ziehen. Im Zuge dieser Recherchen konnte aus den streng geheimen Unterlagen eruiert werden, dass Minister Prader schon am 25. Juli 1968 - also nur einen Tag(!) nach der Weisung "Urgestein" - dem Leiter der Gruppe Einsatzvorbereitung, Bgdr Freishler, das Fernhalten des Bundesheeres von der Grenze angeordnet und nach Diskussionen den Abstand von 30 km akzeptiert hatte.38) Zurückblickend erwies sich die Beurteilung der politischen und militärischen Lage in der CSSR als richtig, wonach die Aktion des Warschauer Paktes auf die Tschechoslowakei beschränkt war. Um eine mögliche Eskalation durch Zwischenfälle an der Grenze zu vermeiden, wurde der von der Bevölkerung erhoffte und vom Bundesheer erwartete Einsatz an der Grenze nicht durchgeführt!
Das Präsidium der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei rief dazu auf, keinen Widerstand gegen einmarschierende Truppen der Warschauer Pakt-Staaten zu leisten. Dieser wurde auch von den tschechoslowakischen Streitkräften befolgt.39) Die Hauptziele der operativen Planung - die Blockierung und teilweise Entwaffnung der tschechoslowakischen Volksarmee in ihren Kasernen, der "Schutz" und die Deckung der Westgrenzen der CSSR sowie die Zerschlagung offenen Widerstandes - wurden im Prinzip erfolgreich erreicht. Indirekte Unterstützung fanden die Okkupanten dabei beim CSSR-Verteidigungsminister und dem Chef der tschechoslowakischen Grenztruppen, die den "Interventionisten" keinen Widerstand entgegensetzten und gleichzeitig die Grenzen zur Bundesrepublik Deutschland bzw. zu Österreich abriegeln ließen.40) Die Übervorsichtigkeit Österreichs, die Warschauer Pakt-Truppen nicht zu provozieren, hätte schlimme Folgen haben können. Ein mögliches Konfliktszenario sei diesbezüglich kurz beschrieben. Wäre der Aufruf des Präsidiums der KPC an die tschechoslowakischen Truppen, keinen Widerstand gegen die einmarschierenden Truppen des Warschauer Paktes zu leisten, nur teilweise nicht befolgt worden und hätten diese Teile der tschechoslowakischen Armee einen Rückzug Richtung Österreich begonnen, hätten sie dabei bis 30 km tief auf österreichisches Gebiet vorstoßen können, ohne auf vorbereitete Verteidigungsstellungen des Bundesheeres zu treffen.
Es darf wohl auf Grund der Stärke der Streitkräfte der CSSR durchaus die Behauptung aufgestellt werden, dass sich diese Teile in dem 30 km breiten "Niemandsland" zwischen Staatsgrenze und der Sicherungslinie vor allem mit den mechanisierten Verbänden zur Verteidigung eingerichtet hätten. Folglich hätten diese Situation Warschauer Pakt-Truppen zum Anlass nehmen können, die Truppen der CSSR auf österreichischem Gebiet weiter zu verfolgen. Auch die Bundesregierung befürchtete, wie Bundeskanzler Klaus erklärte, "... dass tschechoslowakische Truppen, bei Kampfhandlungen an die Grenze gedrängt, auf Österreich ausweichen könnten, was wiederum Warschauer-Pakt-Truppen als Anlass hätten nehmen können, die Kampfhandlungen auf österreichisches Gebiet auszuweiten." 41) Zu dieser Unsicherheit der Regierung trug auch das Ausbleiben einer amerikanischen Sicherheitszusage für den Fall von Übergriffen auf die österreichische Souveränität bei. Seitens der österreichischen Bundesregierung war dies erwartet worden, aber die USA äußerten sich, wohl auch aus Rücksichtnahme auf die Spannungen mit der Sowjetunion, nicht sofort - wie 1956 - dazu.42) Bei der am 21.8. um 10:45 Uhr bei Bundesminister Prader stattfindenden Besprechung wurde festgestellt, dass es bei den gesetzten Maßnahmen galt, auf einen vernünftigen Mittelweg zwischen entschlossener Haltung und "Vermeiden einer Beunruhigung des Fremdenverkehrs" und der Bevölkerung zu kommen.43) Aus politischen Erwägungen kam man zur Ansicht, dass die Ausführung des Befehls "Urgestein" zur Verschärfung der Lage beitragen würde. Ein sicherlich wichtiger Punkt war die Sorge, die Sowjetunion nicht zu provozieren, nach den "alten" Worten von Bundeskanzler Raab: Man soll dem Bären nicht auf den Schwanz treten.44) Dennoch wurde das Verhalten des "Bären" genau beobachtet.
"Zu Wasser, zu Lande und in der Luft"
Seit Mitte Jänner 1968 wurde tagsüber mit der gerade erst fertig gestellten Großraumradarstation Kolomannsberg (GRSK) Luftraumüberwachung durchgeführt und die ebenfalls im Stationsbereich gebaute Flugmeldezentrale (FlumZ) betrieben. Bereits Anfang August ergaben die beobachteten Entwicklungen der Luftlage im Luftraum der CSSR und der benachbarten Warschauer Pakt-Staaten Hinweise auf außergewöhnliche militärische Aktivitäten. Über die Ergebnisse der Auswertung des Luftlagebildes wurde das BMfLV informiert. Auf den Alarmierungsbefehl, der am 21.8. durch das BMfLV erging, und die damit verbundenen Maßnahmen war das Flugmelderegiment schon vorbereitet. So konnte innerhalb von 48 Stunden eine mobile Radarstation (MRS) im Mühlviertel und eine auf dem Stiftsbunker in Wien in Stellung gebracht und in die FlumZ auf dem Kolomannsberg eingebunden werden. Die GRSK und die FlumZ nahmen den Dauerbetrieb auf, ebenso wie ein Verbindungsdienst bei der zivilen Flugsicherung in Schwechat und ein Luftlagetrupp beim BMLV/Kdo Luftstreitkräfte zur Darstellung des von der FlumZ permanent fernmündlich übertragenen Luftlagebildes.
Besonders in der Anfangsphase wurde auch ein massiver Einsatz passiver ECM-Mittel zur Störung von Radaranlagen beobachtet. Dabei handelte es sich um "Deception-Jamming" in Form von aus Flugzeugen ausgebrachten "Düppel" (Kleinreflektoren), vorwiegend zur Täuschung von Feuerleitradars, aber auch zum Zwecke des Kaschierens von Flugzeugen gegenüber fremdem Luftraumüberwachungsradar.
Die CSSR-Krise war der Anlass für die seither unterbrechungslos durchgeführte militärische Überwachung des österreichischen Luftraumes.45) Die Flugtätigkeit im tschechoslowakischen Luftraum war während der Intervention intensiv. Im Zeitraum vom 24.8. bis 29.8.1968 wurden durch Radar immerhin 7.965 nicht identifizierte Kurse erfasst; der tägliche Durchschnittswert betrug 201 Flugwegerfassungen im tschechoslowakischen Luftraum.46) Zudem gab es Radarstörungen; offenbar erprobte der Warschauer Pakt sporadisch, wie man die Radarstation Kolomannsberg "blind machen" könnte.47) Die beobachteten Verletzungen des österreichischen Luftraumes führten zu diplomatischen Interventionen. So protestierte Außenminister Waldheim bereits am 21.8. beim sowjetischen Botschafter in Wien gegen die zahlreichen Grenzverletzungen in der Luft. Konnten die ersten Luftraumverletzungen des 21.8., und 22.8., noch als Fehlorientierungsflüge eingestuft werden, so bewertete die militärische Führung die zahlreichen Luftraumverletzungen der folgenden Tage eindeutig als Aufklärungsflüge. Sowjetische Flugzeuge flogen Aufklärung über dem Gebiet ihrer ehemaligen Besatzungszone und zeigten besonderes Interesse für die Zivilflughäfen Schwechat und Vöslau sowie auch die Militärflugplätze in Linz-Hörsching und Langenlebarn. Dem österreichischen Botschafter in Moskau gelang es erst nach drei Tagen (am 26.8.), den Stellvertreter des Europadirektors des sowjetischen Außenamtes zu erreichen, der die Luftraumverletzungen als technisches Versehen erklärte.48) Dennoch bemühten sich die österreichischen Luftstreitkräfte um eine laufende Überwachung des Grenzraumes zur CSSR mit allen einsatzbereiten Flugzeugen.49) Auf Grund des Befehles vom 21.8., wonach das "... Kommando der Luftstreitkräfte (KdoLStrKr) mit allen einsatzbereiten Flugzeugen (Verbindungsflugzeuge, Hubschrauber und SAAB J 29) eine laufende Luftüberwachung des Grenzraumes durch Aufklärungsflüge sicher stellt ..." 50) gingen auch die Luftstreitkräfte51) an das Maximum ihrer Leistungsgrenze. Die österreichischen Luftstreitkräfte verfügten über 21 Saab J-29F, 26 Cessna L-19, 14 Fouga Magister und acht DH Vampire-Schulflugzeuge, 3DHC-2 Beaver-Transportflugzeuge und 24 AB-204, 24 Alouette, zehn Bell 47, und zwölf Bell H-13-Hubschrauber.
Das Jagdbombergeschwader schaffte es, im Zeitraum vom 22.9. bis Ende September 1968 bei einem Gesamtstand von 21 Maschinen täglich 18 J-29F einsatzbereit zu halten. Trotzdem konnten die sowjetischen Aufklärungsmaschinen vom Typ Tu-16, die Mach 1 und mehr flogen und in einer Höhe von 8.000 bis 10.000 Metern operierten, durch die Saab-Flugzeuge wegen deren geringer Geschwindigkeit und wegen des Fehlens eines Bordradars in keiner Weise gestört werden.52)
"Es brennt zwar nicht der Hut, aber es glost die Jacke" - Krisentage im Herbst 1968
Am 1.9.1968 wurde russisches Erdgas erstmals nach Österreich exportiert. Der Vertrag über die Abnahme wurde auf 23 Jahre abgeschlossen. Doch es floss nicht nur Erdgas nach Österreich, sondern auch "Informationen" über eine "Fortsetzung der CSSR-Krise".
Für den Zeitraum vom 7.9., 12:00 Uhr, bis 9.9., 08:00 Uhr, wurde auf Grund besonderer Informationen des Bundesministers für Inneres strenge Bereitschaft angeordnet.53) Auf Grund von glaubhaften und "spekulativen" Informationen verschiedenster Art und Berichten über Truppenbewegungen und Umgruppierungen in der CSSR und in der DDR wurde das Bundesheer wieder alarmiert. Die Sicherung der österreichischen Flughäfen wurde durch die militärische Führung als wichtig beurteilt. Man befürchtete Luftlandungen von sowjetischen Luftlandedivisionen. Daher traf das Bundesheer militärische Vorbereitungen, um eine mögliche Luftlandung zu verhindern.54) Die 1. Kompanie des PzB 33 und ein Panzergrenadierzug der 9. PzGrenB (insgesamt 17 Panzer) sowie eine Batterie des Fliegerabwehrbataillons 1, die am Flughafen Schwechat eingesetzt waren, wurden beauftragt, anlandende feindliche Luftlandekräfte zu vernichten. Ein Zusatzauftrag - gegeben vom Chef des Stabes der 9. PzGrenB - lautete: Bei Besetzen des Kontrollturmes wäre dieser zusammenzuschießen. Man wusste seit den Ereignissen in Prag in der Nacht zum 21.9.1968 über die Taktik der Warschauer Pakt-Luftlandekräfte55) Bescheid und war darauf vorbereitet.
Auch wurden Truppen im Westen von Österreich alarmiert. Die Jägerschule hatte am 7.9. strenge Bereitschaft und sollte aus dem Kader eine Einsatzformation stellen. Die Munitionszuführung, auch für die schweren Granatwerfer und die rückstoßfreien Panzerabwehrkanonen, wurde noch in der Nacht vom 8.9. bewerkstelligt. Die Lagerung erfolgte im Freien. Am Montag, dem 9.9, wurde wieder zum normalen Dienstbetrieb übergegangen.56) Zur damaligen Situation meinte General Fussenegger: "Es brennt zwar nicht der Hut, aber es glost die Jacke." 57) Jahre später drangen zusätzliche Details an die Öffentlichkeit. Wie 1973 bekannt wurde, gab es im Jahr 1968 Planungen von Luftlandungen in Westdeutschland. Zudem wurde im Falle einer krisenhaften Situation die Besetzung Österreichs unter bestimmten Voraussetzungen bereits geprobt!58) Jahrzehnte später wurden weitere Details bekannt. Im Jahr 1968 war Europa einem großen Krieg zwischen NATO und Warschauer Pakt offenbar viel näher als vermutet. Das enthüllte im Jahr 2000 die Londoner Zeitung "Observer", die sich auf bisher geheime britische Regierungsdokumente stützte, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Im September 1968 erhielten die westlichen Geheimdienste Informationen, wonach Moskau eine militärische Strafaktion gegen Rumänien plante, weil Nicolae Ceausescu die gewaltsame Niederschlagung des "Prager Frühlings" durch Warschauer Pakt-Truppen kritisiert hatte.
Die britische Regierung unter Harold Wilson rechnete damit, dass Warschauer Pakt-Truppen auch Jugoslawien besetzen würden. Sollte die NATO solchen Expansionsbestrebungen nicht entschlossen entgegentreten, hätten neutrale Staaten das nächste Angriffsziel sein können: Genannt wurden Finnland, Schweden und Österreich.59) Erinnerungen von Zeitzeugen können in diesem Zusammenhang interpretiert werden. GTI Fussenegger soll in einer geheimen Offiziersbesprechung am TÜPl Allentsteig die im nördlichen "Grenzbereich" anwesenden Offiziere folgendermaßen sinngemäß informiert haben: Er rechne mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit, dass in den nächsten Tagen starke Feindkräfte aus der Tschechoslowakei Österreich durchstoßen würden, um Jugoslawien anzugreifen. Die eigene Truppe sollte sich hinhaltend kämpfend absetzen.60) Als "Vorsichtsmaßnahme" ordnete Bundespräsident Franz Jonas über Vorschlag der Bundesregierung am 10.9.1968 an: "Gemäß § 32 Abs. 2 des Wehrgesetzes schiebe ich die Rückversetzung in die Reserve für alle Wehrpflichtigen, die zwischen dem 26.9. und dem 30.9.1968 nach Ableistung ihres ordentlichen Präsenzdienstes in die Reserve zurückzuversetzen wären, bis 28.10.1968 vorläufig auf.” 61)
"Big brother is watching you?” - Die NATO, Österreich und die CSSR-Krise
Die westlichen Nachrichtenagenturen erhielten am 21.8.1968, wenige Stunden nach Mitternacht, Kenntnis über die Invasion und verbreiteten die Nachricht im Laufe des Tages in alle Welt. Die spontanen Reaktionen der Menschen im Westen drückten Bestürzung, Betroffenheit und Verachtung über das brutale Vorgehen gegen die Bevölkerung der CSSR aus. Das Kommando CENTAG (Central Army Group = Heeresgruppe Mitte) in Mannheim, das am 21.8. kurz vor 02:00 Uhr von der Grenzüberschreitung der Warschauer Pakt-Truppen in die Tschechoslowakei Kenntnis erhalten hatte, erhielt zu diesem Zeitpunkt noch keinen Auftrag für eine Verstärkung der Grenzsicherung oder für eine Aufklärungstätigkeit.62) In Bonn sprach man von einer taktischen Überraschung. Eine Vorwarnung seitens der Kommandobehörde der NATO hatte nicht stattgefunden.
Offensichtlich besser und naturgemäß schneller informiert war der Befehlshaber der 7. US-Armee in der Bundesrepublik, General James H. Polk. Er befahl sofort erste Alarmmaßnahmen für seine Truppen. Obwohl von der NATO nach außen hin jede Konfrontationshaltung gegenüber der Sowjetunion vermieden wurde, fand man klare und entschiedene Worte gegen alle Bestrebungen Moskaus, den geografischen Machtbereich auszuweiten. Der amerikanische Präsident Johnson sprach am 10.9.1968 davon, dass man kein Vorgehen gegen "areas of common responsibility" tolerieren würde. In diese Räume konnte auch Österreich eingeordnet werden. Am 15.11.1968 erklärte US-Außenminister Dean Rusk vor dem NATO-Rat, dass Österreich und Jugoslawien in einer engen Beziehung zu den Sicherheitsinteressen der NATO stünden.
Gerade diese Hereinnahme Österreichs in die strategische Region des Westens ließ aber für Österreich die vor allem vom damaligen Außenminister Waldheim schon früher aktualisierte Befürchtung aufkommen, ob eine Jalta-Regionalisierung Europas und damit auch Österreichs noch immer gültig oder durch den Staatsvertrag derogiert worden sei. Ein völkerrechtliches Gutachten, das von Universitätsprofessor Zemanek Mitte September 1968 für das Außenministerium erarbeitet wurde, stellte fest, dass möglicherweise in Jalta getroffene frühere Zuordnungen Österreichs zu einer der "beiden Einflusssphären" durch den Abschluss des Staatsvertrages ungültig geworden seien. Die Wahrnehmung militärischer Interessen auf Österreichs Territorium in einem Konfliktfall oder nach einer "Aufgabe der immerwährenden Neutralität durch Österreich" könnte laut Zemanek als "Vorwand für Einmarschdrohungen" der Sowjetunion genommen werden.63) Ungeachtet aller Aufklärungsergebnisse und Warnungen gaben sich aber Politiker und Militärs des "Westens" überrascht. Die Überraschung bezog sich auf zwei Faktoren: Zum einen machte die sowjetische Invasion intern und in der Öffentlichkeit schlagartig Versäumnisse in der westlichen Sicherheitspolitik deutlich. Zum anderen war es bis zuletzt nicht gelungen, den Tag und die Stunde festzustellen. "Wir hätten ruhig einen V-Mann im Moskauer Politbüro oder im Warschauer Oberkommando haben können, er hätte uns kaum vorwarnen können, denn die geballte Militärmacht an der Grenze war mit einem einzigen Stichwort aus dem Kreml binnen kürzester Zeit in Marsch zu setzen." So zitierte das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" im Herbst 1968 einen westdeutschen Geheimdienstmann.64) Die Besetzung der CSSR löste in der westlichen Allianz keine generelle Wende ihrer Sicherheits- und Militärpolitik aus. Kritischer als bisher beleuchtete man jetzt aber Teilaspekte, z.B. die bisherigen Ansichten über Vorwarnzeiten. Die militärischen Vorgänge bei der Besetzung der Tschechoslowakei bildeten auch den Anlass dafür, die Fähigkeit der eigenen Streitkräfte zur Verteidigung "so weit vorne wie möglich" zu verstärken. Bestehende Forderungen zur Verbesserung der Ausrüstung und der Stärke der Truppen sowie zur Erhöhung ihrer Schlagkraft wurden nunmehr durchgesetzt.65) Auch in Österreich leitete man Folgerungen ab.
Politische und militärische Folgerungen für Österreich
Der spätere Bundeskanzler Dr. Bruno Kreisky hatte 1968 für den Fall des Einmarsches von Truppen des Warschauer Paktes u.a. - vergeblich - eine Blockade mit Hilfe der österreichischen Eisenbahner gefordert. Es ging ihm um die Einbeziehung der Arbeiterschaft in eine breite Verteidigungskoalition. Historisch begründete man dies damit, dass sich die SPÖ-nahe Gewerkschaft unter der Führung von Franz Olah im "Oktoberstreik 1950" im Kampf gegen die Kommunisten bewährt hatte.66) In seinen Memoiren "Im Strom der Politik" vertrat er die Meinung, dass es keine militärische Bedrohung gegeben habe.67) Bruno Pittermann (SPÖ) beurteilte in einer Rede vor dem Nationalrat am 18.9.1968 die Verteidigung Österreichs wie folgt: "[...] Es ist aber ebenso falsch, die Meinung aufkommen zu lassen, die Verteidigung der Neutralität durch das Bundesheer sei so etwas wie ein Fußballspiel, bei dem ein paar kämpfen und schießen und die anderen zuschauen können. Eine bewusste Verletzung der österreichischen Neutralität wird nicht nur mit bescheidenen Kräften des österreichischen Bundesheeres, sondern auch mit dem Widerstandswillen des ganzen österreichischen Volkes zu rechnen haben. Und das kann sehr wohl für eine überlegene Macht ein Grund sein, eine Verletzung der österreichischen Neutralität zu unterlassen." 68) Durch eine große Übung sollte 1969 die Leistungsfähigkeit des Bundesheeres bewiesen und verlorenes Vertrauen wieder gewonnen werden. Die "Bärentatze" sollte die Erfahrungen der "Tschechenkrise" berücksichtigen: Verteidigung gegen Panzerkräfte im Schwergewicht.
Die Übung war auf den grundsätzlichen Auftrag des Bundesheeres ausgerichtet und im Zusammenhang mit den damals geltenden zehn Operationsplänen zu sehen und sollte möglichst viele Erfahrungswerte für die künftige Ausrichtung der Organisation, Bewaffnung und Ausrüstung des Bundesheeres bringen. Auf Grund taktischer Fehler und Fehler in der Übungsanlage war eine verstärkte Infanteriebrigade im hinhaltenden Kampf gegen eine angreifende mechanisierte Division unterlegen. Nach diesem Großmanöver hinterfragte man das den Heeresgliederungen 1963/1968 zu Grunde liegende Konzept.69) Konnte die "Schild und Schwert"-These bei einem sich rasch entwickelten Bedrohungsbild effektiv zum Einsatz kommen? Waren auf Grund der Beurteilung des militärischen Kraft-Raum-Zeit-Kalküls die sieben "Knopfdruckbrigaden" überhaupt in der Lage, rechtzeitig den im Wehrgesetz geforderten "Schutz der Grenze" zu gewährleisten? Oder war dies der "Schwanengesang" eines Verteidigungskonzeptes?
Reformen wurden gefordert für ein Heer, das während der CSSR-Krise die Grenzen schützen wollte, aber gemäß der politischen Vorgabe diesen im Wehrgesetz verankerten Passus nicht erfüllen durfte und für das Fernbleiben von der Grenze verantwortlich gemacht wurde.
Vorbei der Jubel und die Begeisterung, welche die Soldaten während der Parade 1965 dankbar entgegengenommen hatten. Die Stimmung gegenüber dieser Institution war "frostig" geworden. Im "Zyklus" des Bundesheers war es "Winter" geworden - damals im Jahre 1968!
ANMERKUNGEN:
1) Der Wille zur Freiheit. Die Parade des österreichischen Bundesheeres aus Anlass der Feierlichkeiten zum 10. Jahrestag des Abschlusses des Staatsvertrags. Originalmaterialien der Heeresfilmschauen 1965. Heeres Bild- und Filmstelle 1995. Verleih-Nr. 1341.
2) Erlass über die Organisation und Gliederung des Bundesheeres, 11.5.1968 (BMfLV Zl. 306.410 - Org/ 68). Dokument aus der Militärgeschichtlichen Forschungsabteilung des Heeresgeschichtlichen Museums über die Studiensammlung 1968. In Folge mit [BMLV: HGM/MGFA] bezeichnet.
3) Weisung des Bundesministers Dr. Georg Prader zur Einleitung von Rationalisierungsmaßnahmen im Bundesheer, 16.2.1968 (BMfLV Zl. 302.200 - Org/ 68, Verschluss). [BMLV: HGM/MGFA 1968] 4) Horst Pleiner: Die militärstrategische Lage Österreichs - Rückblick, aktueller Stand und Ausblick. In: ÖMZ 28.Jg./Heft 5. Wien 1995, S.498.
5) Mark Almond: Morgenröte der Freiheit. London/Wien 1998, S.177.
6) Zu Angriffsvorbereitungen der CSSR-Truppen im Rahmen des Warschauer Paktes vgl.: Militärwissenschaftliches Büro (Veranstalter), Arbeitsgespräch über den Stand der Forschungen und der Zugänglichkeit von Quellen zur Geschichte des Kalten Krieges. Landesverteidigungsakademie Wien am 25.2.2000; Petr Lunac: The Warsaw Pact Plan of 1984; Plan of Actions of the Czechoslovak People’s Army of War Period; Record of conversation with Colonel (retired) Karel Stepanek) conducted by Petr Lunac on 28. March 2000. Alle angeführten Werke In: Erwin A. Schmidl: "Im Tschechenpanzer nach Lyon." Interne Information zur Sicherheitspolitik. Militärwissenschaftliches Büro MWB Nr. 8/2000.
7) Vojtech Mastny: Introduction: Planning for the Unplannable. In: Schmidl, "Tschechenpanzer", a.a.O.
8) Rüdiger Wenzke: Die mitteleuropäische Krise: Prag 1968. In: Bruno Thoß, Hg.: Vom Kalten Krieg zur deutschen Einheit. Analysen und Zeitzeugenberichte 1945 bis 1955. München 1995, S.161.
9) Ivan Pataky u. Istvan Ballo: Die Einbeziehung der Ungarischen Volksarmee in die Besetzung der Tschechoslowakei im Jahre 1968. In: ÖMZ 6/1998, S.683f.
10) Wenzke, a.a.O., S.170.
11) Aktenvermerk von Oberst Maerker am 14.5.1968/Geheim. [BMLV: HGM/MGFA 1968] 12) Weisung für vorbereitende Maßnahmen zum Einsatz des Bundesheeres zur Sicherung der Grenze gegenüber der SSR vom 24.7.1968 (BMfLV Zl.331-strgeh-Stb/68). [BMLV: HGM/MGFA 1968] 13) Sicherungsmaßnahmen des Bundesheeres im Zusammenhang mit der CSSR-Krise. Generalstabsabteilung am 15.10.1968). [BMLV: HGM/MGFA 1968] 14) General i.R. Viktor Fortunat:1968 stv. G3 des GrpKdo I. Gedächtnisprotokoll, Wien am 2.6.2003.
15) Oberst i.R. Rudolf Seethaler: 1968 G2 des GrpKdo I. Gedächtnisprotokoll, Wien am 13.5.2003.
16) Personelle Besetzung des Einsatzstabes (BMfLV Zl. 360.642- Stb/68). [BMLV: HGM/MGFA 1968] Der Einsatzstab bestand aus einer Kommandogruppe (Kdt: Oberstleutnant Ignaz Attems), einer Abteilung G 3 (Kdt: Oberst dG Heinz Scharff), einer Abteilung G2 (Kdt: Oberst dG Robert Lang), einer Abteilung Fernmeldewesen (Kdt: Oberst Franz Hajny) und aus einer Stabsgruppe (Kdt: Offizierstellvertreter Karl Trimmel) 17) Bericht von Bundesminister Prader vor dem Landesverteidigungsrat am 13.9.1968. [BMLV: HGM/MGFA 1968] 18) Bericht von Außenminister Dr. Kurt Waldheim vor dem Ministerrat am 10.9.1968 [BmfAA Zl.125.489-6(Pol)68] zit. nach: Reiner Eger: Krisen an Österreichs Grenzen. Wien-München 1991. S.213.
19) Eger, a.a.O., S.105f.
20) Abg. Zeillinger, FPÖ, Stenographische Protokolle des Nationalrates. XI.G.P.111. Sitzung, 18.10.1968. S.8916. zit. nach: Egger: Krisen, S.161.
21) Durch die damalige politische Konstellation: ÖVP Alleinregierung; SPÖ-Bundespräsident hatte diese Frage über die Formalismen hinaus politische Brisanz.
22) Egger, a.a.O., S. 108f. Auch General i.R. Heinz Scharff betonte in einem Interview der ORF-Dokumentation Österreich II (Folge 28), dass man sich im Bereich der politischen Führung nicht klar war, wer den Abmarschbefehl geben durfte bzw. sollte. Anm. d. Verf: Schon am 28.7.1966 - noch in der Koalitionsära - hatte der Ministerrat die Verfügungsermächtigung (Art. 80. Abs. 2 des Bundesverfassungsgesetzes), die dem Verteidigungsminister nur ein geringes Maß an Eigenverantwortung billigte, erweitert, sodass der Verteidigungsminister in Eigenverantwortlichkeit Bereitschafts-, Alarmierungs- und Sicherungsmaßnahmen sowie zur Beobachtung des Luftraumes erforderliche Maßnahmen treffen konnte.
23) Ministerialrat i.R. Johann Ellinger: Gedächtnisprotokoll, Reichenau am 10.2.1998.
24) Befehl zur Verstärkung der Garnisonsbereiche nördlich der Donau vom 21.8.1968. (BMfLV Zl.7.258-geh-Stb/68). [BMLV: MGFA/HGM 1968] 25) Egger, a.a.O., S.108f.
26) Andreas Steiger: Vom Schutz der Grenze zur Raumverteidigung. Dissertation. Universität Wien 2000, S.32. Inwieweit die 1. Jägerbrigade gegen eine Luftlandung im Raum Schwechat diese Grundaufstellung eingenommen hat, konnte nicht eruiert werden, liegt aber nach Ansicht des Verfassers im Bereich des Möglichen.
27) Vgl zum Einsatz der 3. PzGrenBrig: Bgdr i. R. Manfred Eliskases: Gedächtnisprotokoll, Hollabrunn am 12. 10. 2004; Marolz, Josef: Einsatz der 3. Panzergrenadierbrigade während der CSSR-Krise im Jahre 1968. In: Truppendienst Heft 4. Wien 1978, S.322f.
28) Hptm Prof. Gerhard Vogl: Gedächtnisprotokoll, Wien am 3.11.2004. Dieser war Kdt der 1. Batterie der Panzerartillerieabteilung 4, die im März 1968 stillgelegt wurde, und unter Umständen in den "Krisentagen" hätte mobilgemacht werden sollen.
29) General i.R. Hubertus Trauttenberg: Gedächtnisprotokoll, Gmunden am 29.4.2004.
30) Vogl, a.a.O.
31) Trauttenberg, a.a.O.
32) Oberst i.R. Gerhard Bergmann: Gedächtnisprotokoll. Gablitz am 22.10.2004.
33) Steiger, a.a.O., S.37- 39.
34) Otto Heller: Die Schild-Schwert-These. In: Manfried Rauchensteiner, Wolfgang Etschmann, Schild ohne Schwert. Das Bundesheer 1955-1970. Bd.2. Graz-Wien-Köln 1991, S.84.
35) Egger, a.a.O., S.94.
36) General i.R. Prof. Siegbert Kreuter,: Gedächtnisprotokoll, Wien am 2.7.1995.
37) Siegbert Kreuter: Das Selbstverständnis des österreichischen Soldaten gestern und heute. In: Truppendienst 5/1995, S.397.
38) Generaltruppeninspektor General i.R. Horst Pleiner: Gedächtnisprotokoll, Langenzersdorf im November 2004. Bei einem Gespräch mit Bundesminister a.D. Dr. Prader im Jahr 1978 mit GTI Pleiner gab dieser an, während der CSSR-Krise bei "den höheren Herrn im Ministerium eine gewisse Aufgeregtheit verspürt zu haben". Prader bestritt nicht, schon frühzeitig den Abstand von 30 Kilometer angeordnet zu haben, gab aber keine Begründung oder Hinweise auf eine davor liegende politische Absprache oder Ähnliches.
39) Egger, a.a.O., S.108. Auch die Bundesregierung befürchtete, wie Bundeskanzler Klaus in einem Interview der ORF-Dokumentation, Österreich II (Folge 28) erklärte, dass tschechoslowakische Truppen, bei Kampfhandlungen an die Grenze gedrängt, auf Österreich ausweichen könnten, was wiederum Warschauer Pakt-Truppen als Anlass hätten nehmen können, die Kampfhandlungen auf österreichisches Gebiet auszuweiten.
40) Rüdiger Wenzke: Die mitteleuropäische Krise - Prag 1968. In: Bruno Thoß, Hg.: Vom Kalten Krieg zur deutschen Einheit. Analysen und Zeitzeugenberichte zur deutschen Militärgeschichte 1945 bis 1995. München 1995, S.168.
41) Bundeskanzler i.R. Josef Klaus: Interview. ORF-Dokumentation Österreich II (Folge 28).
42) ebd.
43) General i. R. Heinz Scharff: Tagebuchnotizen vom 21.8.1968. [BMLV: HGM/MGFA 1968] 44) General i. R. Heinz Scharff: Interview. In: ORF-Dokumentation Österreich II (Folge 28).
45) Oberst i.R. Dr. Anton Mariacher: 1968 Einheitskommandant und Flugmeldewachoffizier in der Flugmeldezentrale. Gedächtnisprotokoll, Langenzersdorf am 29.10.2004.
46) Tagesmeldungen der EZ/KoLu über nicht-identifizierte Kurse über dem tschechoslowakischen Luftraum vom 24.8. bis 29.10.1968. Information für den Einsatzstab/BMfLV. [BMLV: HGM/MGFA1968] 47) Brigadier i.R. Johann Reifberger: Gedächtnisprotokoll, Wien am 13.2.1998.
48) Egger, a.a.O., S.94.
49) Bericht des Herrn Bundesministers für Landesverteidigung im Landesverteidigungsrat am 13.9.1968. [BMLV: HGM/MGFA 1968] 50) Befehl zur Verstärkung der Garnisonsbereiche vom 21.8.1968.
51) Zit. aus: The Military Balance 1968 - 1969. London 1969. S.2f u. 41; Friedrich Wiener: Fremde Heere. Die Armeen der neutralen und blockfreien Staaten Europas. (Truppendienst Taschenbuch 10) Wien 1969, S.42 - 45.
52) Friedrich Wilhelm Korkisch: Die Luftstreitkräfte der Republik Österreich bis 1978. In: Manfried Rauchensteiner, Wolfgang Etschmann, Josef Rausch (Hg.), Tausend Nadelstiche. Das österreichische Bundesheer in der Reformzeit 1970 bis 1978. (= Schriften des HGM) Bd. 3. Graz-Wien-Köln 1994, S.245f.
53) BM Prader in einem Vortrag vor dem Landesverteidigungsrat am 13.9.1968. [BMLV: HGM/MGFA 1968] 54) BM Prader vor dem Landesverteidigungsrat am 13.9.1968. [BMLV: HGM/MGFA 1968] 55) Anlanden einer Sondermaschine mit subversiven Kräften, Besetzen des Kontrollturms, Aufbau einer Feldflugleitstelle, Einfliegen von Luftlandestreitkräften bis zu Divisionsstärke.
56) General. i.R. Friedrich Hessel: Gedächtnisprotokoll, Wiener Neustadt, am 14.9.2004.
57) Aussage von GTI Fussenegger, zit. nach. Oberst i.R. Fürpasz, Gedächtnisprotokoll.
58) General Senja: UdSSR probte die Besetzung Österreichs. In: Salzburger Volkszeitung, Tiroler Nachrichten und Volkszeitung vom 22.1.1973. Anm. d. Verf.:General Jan Senja war bis zu seiner Flucht in den Westen 1968 ein ranghoher sowjetischer Offizier.
59) 1968 drohte Europa ein großer Krieg, In: Die Presse vom 11.1.2000.
60) Oberst i.R. Josef Schroll: Gedächtnisprotokoll, St. Pölten im Oktober 2002.
61) Entschließung des Bundespräsidenten Franz Jonas über die vorläufige Aufschiebung der Rückversetzung in die Reserve für bestimmte Wehrpflichtige vom 10.9.1968 (BGBl.Nr.342/1968). [BMLV: HGM/MGFA 1968] 62) Franz Freistetter: Das strategische Konzept des Ostens und Österreich 1955-1970. In: Rauchensteiner, Etschmann: Schild ohne Schwert, a.a.O., S.53.
63) Hannes-Christian Clausen: Das strategische Konzept des Westens 1955-1970. In: Rauchensteiner, Etschmann: Schild ohne Schwert, a.a.O., S.17.
64) Wenzke, a.a.O., S.170.
65) Wenzke, a.a.O., S.177.
66) Oliver Rathkolb: Bruno Kreisky und die Heeresreformdiskussion 1970/1971. In: Rauchensteiner, Etschmann, Rausch: Tausend Nadelstiche, a.a.O., S.S.52.
67) Bruno Kreisky: Im Strom der Politik. Der Memoiren zweiter Teil. o.J, S.253f.
68) Bruno Pittermann: Rede im Österreichischen Nationalrat am 18. 9. 1968. In: Andreas Weber (Hg.): Streitfall Neutralität. Geschichten-Legenden-Fakten. Wien 1999, S.116.
69) Steiger, a.a.O., S.55-60.
Mag. Dr. Steiger Andreas
Geb. 1963; Oberstleutnant des höheren militärfachlichen Dienstes; 1984 bis 1987 Theresianische Militärakademie, anschließend Zugskommandant und Kompaniekommandant beim Armeefernmeldebataillion/Stab Fernmeldeführung in Wien; Studium der Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Wien; 1994 Sponsion, 1997 bis 2000 stv. Abteilungsleiter im Heeresgeschichtlichen Museum; 2000 Promotion; Versetzung an die Theresianische Militärakademie: 2000 bis 2002 Hauptlehroffizier Militärgeschichte und Politikwissenschaft am Fachhochschulstudiengang "Militärische Führung", seit 2002 Leiter des Fachbereiches "Politikwissenschaft und Recht" am Fachhochschul-(Diplom)studiengang "Militärische Führung". Dozent an der Offizierschule der Luftwaffe der Bundeswehr.
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