Sicherheitspartner Türkei
erschienen in der Publikation "Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 2004" - Dezember 2004
Autor(en):
Prof. Dr. Lothar RühlAbstract:
Sicherheitspartner Türkei
Geopolitik, Strategie und europäische InteressenDie politische Frage einer Aufnahme der Türkei in die Europäische Staatengemeinschaft ist seit vierzig Jahren gestellt, aber immer noch nicht beantwortet. Stellt oder löst ein EU-Beitritt der Türkei Sicherheitsprobleme Europas? Besteht eine reale Alternative in einer anderen Form der Partnerschaft mit der Türkei? Darüber hinaus ist im Falle der Türkei die Frage nach den natürlichen Grenzen Europas und alternativ dazu die nach vernünftigen Grenzen der EU gestellt, insbesondere auf dem Übergang zu Asien. Solche Grenzen sind nach geografischen, ethnografischen, kulturellen und strategischen Gesichtspunkten zu ziehen.
Die Potenz der Türkei als Sicherheitspartner lässt sich im Vergleich der keineswegs prästabilisierten Harmonie zwischen Ankara und Washingtons erkennen. Die Türkei war nie ein unbedingter Verbündeter Amerikas, und es ist unwahrscheinlich, dass Ankara sich in der EU fester binden lassen wird als bilateral durch und an die USA.
Strategisch ist zu fragen, ob die Türkei als EU-Mitglied ein Faktor der inneren Stabilität Europas und der Stabilität der politischen Strukturen der Union sein würde oder eher ein Unsicherheitsfaktor an den europäischen Außengrenzen im Süden und Südosten zum Orient. Hat die EU die Kohäsion, die politische Konsistenz und die politische Energie, ein auf die Türkei ausgeweitetes Unionsgebiet krisenfest zu machen und gegen Destabilisierungstendenzen und innere wie äußere Bedrohungen aus dem Orient zu beherrschen? Die Geschichte lehrt, dass Größe eines von innen nicht beherrschten Raumes keine Stärke ist. Der Hinweis auf die strategische Schlüsselstellung der Türkei zwischen Europa und Asien und auf die geopolitische Bedeutung der Türkei als strategischer Partner zwischen West und Ost reicht zur Beantwortung dieser strategischen Fragen ebenso wenig aus wie das Argument, die militärischen Fähigkeiten der Türkei würden der ESVP zugute kommen. In dieser Hinsicht wird die Türkei in und von der NATO am besten eingebunden.
Europa könnte die Türkei jedenfalls als strategischen Partner aktiv nutzen. Ihre Aufnahme in die EU ist für die Sicherheit Europas jedoch nicht notwendig und muss andere ausreichende Gründe haben: politische und ökonomische, soziale und zivilisatorische - zum Vorteil der Türkei und Europas auf Gegenseitigkeit und in relativer Harmonie.