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Brave New World

von Martin van Creveld

Kurzfassung

◄ Die Ereignisse des 11. September 2001 stellen keinesfalls den Wendepunkt in der Weltgeschichte dar, zu dem sie gerne stilisiert werden, sondern stehen in einer Reihe logischer Abfolgen, die integraler Bestandteil der menschlichen Geschichte ist, die immer schon von Krieg und Machtstreben gekennzeichnet war, mit dem Abwurf der Atombombe auf Hiroshima allerdings eine neue, bis dahin nicht bekannte Dimension erhalten hatte.

Das nukleare Waffenarsenal durchschnitt das Bindeglied zwischen Sieg und Überleben und verhinderte Krieg zwischen den Großmächten. Im gleichen Maß, wie die Zahl transnationaler Kriege abnahm, wurden weltweit die Streitkräfte reduziert. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1990/91 sahen manche schließlich sogar das "Ende der Geschichte" gekommen.

Seit dem 17. Jahrhundert dominierten in Europa die zwischenstaatlichen Kriege, die andere Auseinandersetzungen in anderen Teilen der Welt in der Form von Rebellionen, Revolutionen, Bürgerkriegen oder Guerillakämpfen überschatteten. Seit dem nuklearen Patt nach 1945 wurde diese Form von Auseinandersetzungen durch Kriege von, gegen oder zwischen nichtstaatlichen Organisationen substituiert.

Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie über kein souveränes Staatsgebiet oder anerkannte Grenzen verfügen, folglich auch nicht mit nuklearen Waffen bedroht werden können, ihre Kämpfer nicht von der Zivilbevölkerung oder ihren Gegnern zu unterscheiden sind und keine große Anzahl schwerer, hoch entwickelter Waffen einsetzen, sondern einen Krieg ohne Fronten, inmitten der Zivilbevölkerung führen, die oft genug zum Ziel oder Gegenstand von Repressalien wird.

Diese Form von Auseinandersetzungen war nach 1945 vorerst auf die so genannte Dritte Welt beschränkt, breitete sich nach 1990/91 aber auf die "Zweite Welt" (den ehemaligen Ostblock) aus, während die "Erste Welt" von ihr nur insofern tangiert wurde, als westliche Staaten sich nicht freiwillig aus eventuellen Kolonien zurückzogen. Mit den Attacken auf das World Trade Center und das Pentagon erfasste diese Art Kriegführung nun die führende Weltmacht, die darauf mit Streitkräften zu reagieren versuchte, die noch fast die gleichen waren, wie sie für einen möglichen Krieg gegen die Sowjetunion aufgestellt worden waren. Zur Terrorabwehr oder auch -bekämpfung waren diese US-Streitkräfte weder ausgerüstet noch ausgebildet, weswegen die Regierung Bush die Auseinandersetzung auch nach Afghanistan verlagerte und dort die Taliban versprengte.

Von einem "Sieg" zu sprechen wäre übertrieben, weil die Taliban im Wesentlichen nur ihrer großen Waffen beraubt wurde; ebenso konnte man großen Teilen der Al-Qaida mit diesem Einsatz nicht beikommen, weil die Terrororganisation über viele Staaten zerstreut ist und ihre Geldgeber gar nicht einmal in Afghanistan saßen bzw. sitzen. Auch würde ein rascher Sieg im Krieg gegen den Irak für den Kampf gegen den Terrorismus nichts bedeuten.

Den neuen Bedrohungen wird man mit konventionellen Streitkräften nicht begegnen können; es wird notwendig sein, Spezialkräfte mit diesen Aufgaben zu betrauen, was notwendigerweise eine Stärkung der staatlichen Autorität bis hin zur Schaffung eines Überwachungsstaates bedingen wird. Eine Aushöhlung der Bürger- und Menschenrechte bis hin zur Einführung von Folter zwecks Informationsbeschaffung könnten die Folge sein. Eine weitere Entwicklung könnte ein wahrer Boom privater Sicherheitsdienste sein, die das staatliche Gewaltmonopol in Frage stellen würden.

Festzustehen scheint, dass das Leben in dieser von Terrorgefahr geprägten "Schönen Neuen Welt" ein für den Einzelnen unbequemeres und unsichereres sein wird, das sich durch strikte Kontrollen, manchmal auch durch Schikanen manifestieren wird; ertragbar wird es in erster Linie durch den Gewöhnungseffekt werden. ►


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Brave New World

Nineeleven, der 11. September 2001, wie die Amerikaner den Angriff auf die Twin Towers und das Pentagon nennen, stellt keinen plötzlichen Wendepunkt in der Weltgeschichte dar. Die Ereignisse sind vielmehr Teil eines fortschreitenden Prozesses, der 1945 einsetzte und dessen Weiterentwicklung keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Der vorliegende Artikel wird versuchen, die spezifische Art dieses Prozesses darzustellen und, soweit dies möglich ist, einen Ausblick in die Zukunft zu wagen.

Die letzten tausend Jahre

Am 6. August 1945 war in Hiroshima ein schöner Sommertag: Die Sonne schien, der Himmel war blau, die Temperatur lag bei 20°C. Um zehn Uhr erschien hoch über der Stadt, kaum wahrnehmbar, das größte Bombenflugzeug, das die Welt bis dahin kannte. Eine Klappe öffnete sich, und eine einzige Bombe fiel herab. Das Ding war so groß und sperrig, dass man es beim Einladen in ein speziell dafür angefertigtes Loch in der Landebahn hinablassen und das Flugzeug darüber positionieren musste. Sobald die Bombe ausgelöst war, drehte das Flugzeug scharf ab, um der Detonation auszuweichen. Kurz darauf schienen tausend Sonnen. Eine enorme schmutzige Rauchsäule stieg zum Himmel, und 75.000 Menschen waren tot oder lagen im Sterben. Die Menschheit war in eine neue Epoche eingetreten.

Vor 1945 hatte die Welt einen tausendjährigen Prozess politischer Konsolidierung durchgemacht, der sich, wenn auch nicht überall gleich schnell und von zahlreichen Rückschlägen gekennzeichnet, auf lange Sicht immer wieder durchsetzte. So gab es z.B. allein in Frankreich um das Jahr 1000 an die tausend Feudalherren, die die Mittel und das Recht besaßen, auf irgendeine Weise Krieg zu führen. Im deutschsprachigen Raum war die Zahl noch größer; es gab kaum einen Hügel, auf dem nicht eine Burg oder ein Schloss stand, von dem aus ein Baron, Fürst, Graf oder Herzog das umliegende Gebiet plünderte. Doch außer in Deutschland, wo die Entwicklung zu einem einheitlichen Nationalstaat bekanntlich fehlschlug, hatte sich bis zur zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Situation grundlegend geändert. Was Frankreich betrifft, so waren viele Châteaus den Armeen Richelieus zum Opfer gefallen. Die wenigen großen Landesherren, die übrig geblieben waren, hatten ihre Freiheit eingebüßt, doch statt mit ihren Gefolgsleuten Rebellion oder Aufstand zu üben, kommandierten sie die Armeen König Ludwigs XIV. Andere, die mit einer staatlichen Abfindung ruhig gestellt worden waren, ruderten mit Damen über den See von Versailles, wie zum Beispiel der einst berühmtberüchtigte Rebellenprinz Louis Conde.

Die meisten anderen Länder, einschließlich der Ländereien der Habsburger, machten einen ähnlichen Konsolidierungsprozess durch. Während einige zentrale Herrscher ihre Macht ausbauten, war etlichen weltlichen und geistlichen Fürsten und Landtagen der Niedergang beschieden. Die politischen Gemeinwesen, die auf ihrer Souveränität bestanden und keine Oberhoheit anerkennen wollten, reduzierten sich stark. Seit der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurden sie als Staaten bezeichnet, was, vom lateinischen "status" abgeleitet, zunächst den Zustand von Lehensverhältnissen bezeichnete, später aber die Gesamtheit der menschlichen und materiellen Ressourcen dieser politischen Gemeinwesen einschloss(Fußnote1/FN1). Es handelte sich um abstrakte Gebilde, die alle einen Herrscher hatten, später eine Regierung von ernannten oder gewählten Beamten, eine Armee zur Verteidigung nach außen, Polizeikräfte zur inneren Sicherung und eine Bevölkerung, die für alles bezahlte. Jeder Staat verpflichtete sich, innerhalb seiner Grenzen Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten und zugleich die Staatsgrenzen gegen Eindringlinge zu verteidigen. Im Gegenzug dafür forderte der Staat unbedingten Gehorsam, und je weiter entwickelt die staatlichen Organe waren, desto mehr beharrte der Staat auf dieser Forderung. Wer sich weigerte, für den Staat sein Blut zu geben, wurde angezeigt und vor Gericht gestellt oder, während Kriegszeiten in einem falschen Regime, sofort erschossen.

Sobald der innere Friede als mehr oder weniger gesichert galt, war der Grundstein für die industrielle Revolution gelegt, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einsetzte. Dampfmaschinen, Eisenbahnen, Metallschiffe, Telegrafen, Chinin und nicht zuletzt moderne Schnellfeuerwaffen stärkten die Macht Europas enorm, insbesondere Westeuropas, freilich auf Kosten anderer Gesellschaften auf anderen Kontinenten. Bis 1900 waren fast alle nichteuropäischen politischen Organisationen, die nicht mehr mithalten konnten, aus dem Wettlauf ausgestiegen und europäischen Kolonialmächten untergeordnet worden. Mit der großen Ausnahme Lateinamerikas, das selbst ein Tummelplatz britischer, nordamerikanischer und, in etwas geringerem Ausmaß, deutscher Interessen war, wurde der Großteil der Welt von nur sieben Großmächten beherrscht, von denen allein fünf in Europa lagen. Die sechste, die USA, wurde fast ausschließlich von Europäern besiedelt, die ihre Zivilisation und Technik vom alten Kontinent mitgebracht hatten; die siebente, Japan, festigte ihren Status, indem sie europäische Methoden übernahm und so gut wie möglich nachahmte.

Es überrascht keineswegs, dass sich diese Reiche gegenseitig hart bekämpften, wie das Imperien immer tun. Damals und noch einige Jahre danach betrachtete man die zwei Weltkriege als individuelle Katastrophen. Doch je weiter wir uns von ihnen entfernen, umso vernünftiger erscheint es, sie als Teil eines einzigen Bestrebens zu betrachten, das den britischfranzösischen Kriegen von 1740 bis 1763 oder den Koalitionskriegen von 1794 bis 1815 nicht unähnlich ist. Ohne die Attacken Hitlers, Stalins und Co. gegen ihre eigenen Landsleute mitzuzählen, waren geschätzte 60 bis 80 Mio. Menschen erschossen, in Stücke gerissen, vergast, verbrannt oder mit ihren bombardierten oder torpedierten Schiffen versenkt worden.

Als die Waffen schließlich schwiegen, gab es nur noch zwei Großmächte. Von den übrigen waren drei gründlich besiegt und in Schutt und Asche gelegt. Obwohl sich alle drei wieder erholten, hatten sie kein Ansinnen mehr, große Kriege zu führen. Auch Großbritannien und Frankreich waren ausgeblutet und zu erschöpft, um den Wettlauf um Macht und Prestige wieder aufzunehmen.

Die beiden übrig gebliebenen Mächte, die USA und die UdSSR, waren so groß, dass man sie mit Akronymen benennen musste. Folgt man der Logik, die - spätestens seit Athen und Sparta sich in den Peloponnesischen Kriegen aufrieben - das Verhältnis zwischen Mächten bestimmt, so ist klar, dass diese zwei Mächte, sobald sie zu Atem kämen, auch ihre Feindseligkeit wieder aufnehmen würden. Laut Chruschtschows Memoiren spielte schon Stalin während seiner letzten Jahre mit dieser Idee. Auch den USA mangelte es nicht an "Dr. Strangeloves", denen es um das Gleiche ging. Doch es sollte nicht geschehen. 45 Jahre umkreisten sich die beiden Mächte wie Hunde, beschnupperten sich, fletschten die Zähne, bedrohten einander, bellten und verwickelten sich zuweilen in kleinere Raufereien, von denen einige gefährlich waren. Der Höhepunkt wurde mit der Kubakrise 1962 erreicht, die einen thermonuklearen Krieg in greifbare Nähe rückte. In letzter Konsequenz wurde aber nicht zugelassen, dass diese Konflikte die vitalen Interessen beider Seiten gefährden konnten. Als es z.B. 1973 so aussah, als ob auf beiden Seiten die Schergen außer Kontrolle geraten könnten, wurden diese zurückgepfiffen und an die Leine gelegt. Während dieser Zeit bedienten sich beide Mächte schlagkräftiger Slogans, um ihre Bevölkerung davon zu überzeugen, dass die Motive und die Lebensweise, für die sie jeweils selbst eintraten, jenen der anderen Seite überlegen waren.

Der Hauptgrund dafür, warum sich das bis dahin erprobte Muster nicht wieder einstellte, war die Einführung von Nuklearwaffen. Um die Worte eines der größten Strategen nach 1945, des amerikanischen Professors Thomas Schelling, zu verwenden, durchschnitt das nukleare Waffenarsenal das Bindeglied zwischen Sieg und Überleben(FN2). Denn dadurch wurde Krieg zu Selbstmord. Vorausgesetzt, die andere Seite verfügte auch über Nuklearwaffen, war es einem Staat zwar möglich zu "siegen" und dennoch in eine radioaktive Wüste verwandelt zu werden. Je größer der Sieg, desto größer würde auch die Wahrscheinlichkeit sein, dass der Feind den nuklearen Auslöser betätigt bzw., wenn seine Führungsmechanismen nicht mehr intakt sind, darüber stürzt. Zuerst sahen sich die beiden Supermächte in ihrem Handeln gebunden; darauf waren es ihre engen Verbündeten auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs, dann die UdSSR und China, China und Indien, Indien und Pakistan und schließlich die wichtigsten Länder im Nahen Osten, und zwar unabhängig davon, wie sehr sie einander hassten oder sich sogar kleinere Gefechte lieferten, wie das zum Beispiel Indien und Pakistan jeden Sommer tun, sobald der Schnee am Himalaja schmilzt. Je größer und je mächtiger sie waren, umso weniger waren sie in der Lage, andere ungefähr gleich starke Staaten zu bekämpfen. Andererseits waren alle entstandenen zwischenstaatlichen Kriege ausnahmslos gegen kleine, schwache Staaten gerichtet bzw. wurden von solchen gegeneinander geführt.

In dem Maße, in dem die transnationalen Kriege abnahmen, reduzierten sich auch die Streitkräfte, die dafür benötigt wurden. 1944/45 gab es weltweit zwischen 40 und 50 Mio. Uniformträger, von denen zwölf Millionen allein den amerikanischen Streitkräften angehörten. Seither wurden die Streitkräfte weltweit um beinahe 90% reduziert, und das, obwohl sich die Weltbevölkerung fast verdreifachte. Ähnlich verhielt es sich mit der Reduktion der bedeutendsten Waffensysteme. Seit die britischen Streitkräfte 1963 die Wehrpflicht abschafften, folgten andere moderne Armeen diesem Beispiel, insistierten nicht mehr auf Personalstärke, sondern gingen zu dem älteren System eines freiwilligen Heeres über. Hie und da führten diese Streitkräfte noch konventionelle Kriege, wie auf den Falkland-Inseln, doch waren solche Feldzüge ausnahmslos von geringer Dimension, sowohl hinsichtlich der Teilnehmenden wie des geografischen Raums.

1990-91 brach die UdSSR zusammen, teils wegen der wirtschaftlichen Belastung durch die Aufrüstung, teils wegen ihrer Niederlage in Afghanistan. Dieser Zusammenbruch gab das Signal zu drastischen Reduktionen der Streitkräfte in den bedeutendsten Staaten. Einige, die darauf hofften, dass sich die Menschheit nun auf freie Demokratie und materiellen Reichtum konzentrieren würde, gingen sogar so weit, vom Ende der Geschichte zu sprechen, als ob die Menschheit nichts anderes bräuchte als Brot und Spiele(FN3). Statt Kriegen würde es Fußballspiele geben - je lauter, umso besser -, Religion würde durch Einkaufszentren, Prozac und Seifenopern, unter periodischer Einstreuung nackten Fleisches, ersetzt werden. Wie sich herausstellte, wurden diese Hoffnungen enttäuscht, und das vorläufige Ende großer zwischenstaatlicher Kriege führte keineswegs zu einer erkennbar friedlicheren Welt. Stattdessen wurde eine andere Art des Krieges ins Leben gerufen: ein Problem, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen.

Der Krieg der anderen Art

In Europa war seit dem 17. Jahrhundert der zwischenstaatliche Krieg die dominierende Erscheinungsform. Das galt nicht für andere Teile der Welt. Dort existierten andere Formen politischer Organisation, die einander häufig bekämpften, bis sie dem europäischen Imperialismus zum Opfer fielen, wodurch man sie ihrer Führung beraubte und zwang, in Frieden miteinander zu leben. Selbst in Europa gelang es nicht, durch den Prozess der oben beschriebenen Konsolidierung einige Arten nichtstaatlicher Gewalt völlig auszurotten. Hier bezeichnete man diese Gewaltausübung, je nachdem, von wem und mit welchem Erfolg sie ausgeübt wurde, als Rebellion, Revolution, Bürgerkrieg, Guerillakampf oder Verbrechen.

Solange die zwischenstaatlichen Kriege dominierten, waren diese anderen Formen gewalttätiger Auseinandersetzung völlig überschattet. Was das Ausmaß, die Intensität und die Tragödie betrifft, so gab es keinen Vergleich zwischen den Feldzügen Napoleons und den Scharmützeln, die 1830 zur französischen Besetzung Algeriens führten, oder zwischen den Operationen der Armeen Moltkes 1870 und jenen der Franc Tireurs, die sie aufzuhalten versuchten.

Als aber in den Jahren nach 1945 eine nukleare Pattsituation entstand, änderte sich die Situation. Die großen zwischenstaatlichen Kriege bedeutender Staaten nahmen ab, und seit Beginn des 21. Jahrhunderts wurden sie auf einen Bruchteil ihrer einstigen Größe reduziert. Hingegen nahmen die Kriege von, gegen oder zwischen nichtstaatlichen Organisationen zu. Die Balance zwischen beiden unterliegt noch immer einer gewissen Dynamik und Wandelbarkeit. Dies umso mehr, als einige der Organisationen, die diese neuen Kriege führen, dies nicht selbstständig tun, sondern zu einem gewissen Grad stellvertretend für Staaten wie etwa in Vietnam, im Libanon, in Angola oder Kaschmir.

Wie aus der Zahl der Auseinandersetzungen sowie aus der Tatsache, dass sie überall auf der Welt stattfinden, geschlossen werden kann, sind sie verschiedener Art. Sie reichen von isolierten Terrorattacken, wie jenen in Zypern während der letzten Jahre der britischen Okkupation, über den Guerillakrieg mudschaheddin‘scher Prägung in Afghanistan gegen die Sowjets bis zum subkonventionellen Krieg, wie in den letzten Jahren in Vietnam. Auch variieren die Motive dahinter stark und reichen von politischen und sozioökonomischen bis zu religiösen Gründen bzw. zur reinen Kriminalität, wo Drogenhändler zu Terroristen werden und Terroristen vom Drogenhandel überlebensabhängig sind. Selbst die oberflächlichste Untersuchung macht klar, dass das, mittlerweile zerschlagene, kolumbianische Medellin-Drogenkartell mit der IRA oder der Hamas nicht vergleichbar ist. Doch trotz aller offensichtlicher Verschiedenheit der Auseinandersetzungen haben sie aber dennoch etwas gemeinsam, und darauf werde ich mich im Folgenden konzentrieren.

Erstens: Das bedeutendste Merkmal aller dieser Kriege ist, dass sie per definitionem nicht von Staaten geführt werden, jedenfalls nicht auf beiden Seiten. Vielmehr werden sie von Milizen, Freiheitskämpfern, Guerilleros, Terroristen, Gaunern und Kriminellen oder wie immer sie sich nennen mögen oder genannt werden geführt, und zwar von Israel bis zum Baskenland und von Angola bis zu den Philippinen. Per definitionem haben diese Organisationen auch kein eigenes souveränes Staatsgebiet oder anerkannte Grenzen zu Nachbarstaaten. Das Fehlen der Grenzen und des souveränen Staatsgebiets sind die Hauptgründe, warum sich die neue Art des Krieges überhaupt verbreitet. Der springende Punkt ist, dass eine Organisation, die kein eigenes souveränes Staatsgebiet besitzt, eine Schattenexistenz innerhalb der Gesamtbevölkerung führen muss und deshalb nicht mit nuklearen Waffen bedroht werden kann. Wären zum Beispiel solche Waffen im ehemaligen Jugoslawien eingesetzt worden, wäre das Resultat eine unvorstellbare Katastrophe für alle Beteiligten gewesen. Dasselbe gilt in noch höherem Maße für die Philippinen, Angola oder Tschetschenien.

Zweitens: In diesen neuen Kriegen hat sich die traditionelle Arbeitsteilung zwischen der führenden Regierung, den kämpfenden und sterbenden Soldaten und der zahlenden und leidenden Zivilbevölkerung geändert; sie haben sich überlagert. Wie das berühmte Video von Osama bin Laden vergegenwärtigte - und auch vergegenwärtigen sollte -, der mit seinem Sturmgewehr spielte, überlappen sich politische Führung, militärische Führung und Kampf weitgehend. Aus welchem Grund auch immer: Es gefällt vielen Führern von Terrororganisationen, in Uniform herumzustolzieren. Umgekehrt können diese Kämpfer oft weder von der Zivilbevölkerung noch von ihren eigenen Gegnern unterschieden werden. Jene, die übrig gebliebene Taliban von Mitgliedern der Nordallianz und beide von der aufgeputschten Menge bewaffneter Raufbolde unterscheiden können, sollten mit einer Medaille ausgezeichnet werden. Dies gilt sowohl für das Fernsehen als auch leider oft vor Ort. Man könnte sagen, dass gerade im Fehlen einer Unterscheidung zwischen Kämpfern und Nichtkämpfern die Hauptstärke dieser neuen Kampforganisationen liegt. So war z.B. der Vietcong weder uniformiert, noch kämpfte er offen, und das aus gutem Grund: Hätte er das getan, wäre er von den amerikanischen Kräften mit ihrer haushoch überlegenen Kommunikation, Feuerstärke und Mobilität leicht zu besiegen gewesen.

Drittens: Diese Organisationen können, da sie keine regulären, uniformierten, bürokratisch verwalteten Streitkräfte besitzen, keine große Anzahl von schweren, hoch entwickelten Waffen einsetzen. Ihre Schwäche wird aber zu ihrer Stärke, indem sie überall und nirgends zu sein scheinen. Wie die Amerikaner in Vietnam zu sagen pflegten, führen sie einen Krieg "ohne Fronten". Das Fehlen von Angriffslinien und abschneidbaren Nachschublinien bedeutet freilich, dass sowohl schwere Waffen als auch traditionelle Strategien gegen sie weitgehend unbrauchbar sind.

Viertens: Die neuen Kriege finden inmitten der Zivilbevölkerung statt, die oft dezidiert zum Angriffsziel wird, sei es durch Repressalien oder Provokation. Aus diesem Grund werden in diesen neuen Kriegen zwar gewöhnlich nicht viele schwere, hoch entwickelte Waffen eingesetzt, doch können sie mindestens so blutig und zerstörerisch sein wie jene Kriege, die sie verdrängt haben. Verglichen mit den kriegerischen Auseinandersetzungen, die im ehemaligen Jugoslawien, in Afghanistan, im libanesischen Bürgerkrieg, in Vietnam und in Biafra stattfanden, um nur einige zu nennen, war der Golfkrieg von 1991 mehr oder weniger ein Picknick. Gleiches gilt für die arabischisraelischen Kriege, den Falklandkrieg, kurz für die meisten so genannten konventionellen Kriege von hoher Intensität seit 1945. In Jugoslawien und den anderen Kriegen wurden wahrscheinlich mehr Unbeteiligte getötet oder verletzt als Kämpfer, die das gleiche Schicksal erlitten. Das gilt auch für die gegenwärtigen Auseinandersetzungen im Heiligen Land.

Während der ersten Jahrzehnte nach 1945 war die neue Art der Kriegführung fast ausschließlich auf die "Dritte Welt" beschränkt. Staaten der "Zweiten Welt" (des Ostblocks), die sehr straff regiert wurden und keine Kolonien hatten, entkamen ihr fast gänzlich. Die so genannten "entwickelten" Staaten der "Ersten Welt" hatten eine gewisse Wahlfreiheit: entweder verteidigten sie ihre Kolonien oder zogen sich aus ihnen zurück. Was die Periode nach 1990 von der vorangegangenen unterschied, war, dass die neue Kriegführung auch in die "Zweite Welt" eindrang und im ehemaligen Jugoslawien sowie in Teilen der ehemaligen UdSSR großen Schaden anrichtete. Wie die Ereignisse des 11. September auf dramatische Weise bewiesen haben, hat diese Art von Kriegführung mittlerweile auch die "Erste Welt" erfasst. Auch besteht keine Aussicht, dass unsere Kinder oder Enkelkinder je vor so einer Terrorbedrohung gefeit sein werden.

Verzweifelte Entgegnung

Wie bereits erwähnt haben die Ereignisse des 11. September die neue Kriegführung fast perfektioniert. Die mörderischen Attacken auf die Twin Towers und das Pentagon kamen buchstäblich aus dem Nichts. Sie wurden von einer Schattenorganisation durchgeführt, von der kaum jemand zuvor gehört hatte und dessen Anführer man nicht lokalisieren konnte. Diese Organisation verfügte weder über eine Regierung noch über Streitkräfte oder Zivilbevölkerung im herkömmlichen Sinn, ganz zu schweigen von einem souveränen Staatsgebiet mit Grenzen. Sie bediente sich nicht einer klar definierten, strengen, disziplinierten Hierarchie, sondern setzte sich aus einer relativ losen Gruppe von Anhängern zusammen, die über mehr als 40 verschiedene Länder verstreut waren. Und statt sich klar von ähnlichen Organisationen abzugrenzen, knüpften sie undurchsichtige Verbindungen untereinander, sodass es sehr schwer fiel zu sagen, wer wohin gehörte, wer wem Befehle erteilte. Sie besaßen kaum, wenn überhaupt, schwere Waffen und brauchten daher keine Versorgungslinien im herkömmlichen Sinn. Aber die Waffen, die sie hatten, waren wirksam genug, enormen Schaden anzurichten. Die Angriffsziele waren nicht uniformierte Soldaten, sondern Zivilisten beider Geschlechter und jeden Alters, und - hätte das dritte entführte Flugzeug sein Ziel erreicht - auch die Regierung.

Nolens volens wird ein Staat, der angegriffen wird, zu seinen verfügbaren Streitkräften greifen müssen, um darauf zu reagieren. Als die USA von Mitgliedern der Al Qaida angegriffen wurden, entdeckten sie, dass ihre Streitkräfte noch fast die gleichen waren, die sie für einen möglichen Krieg gegen die UdSSR aufgestellt und darüber hinaus seit 1991 um ein Drittel reduziert hatten. Das Budget war eingefroren bzw. reduziert worden; doch im Wesentlichen blieb die Struktur die gleiche. An der Spitze standen das Verteidigungsministerium und die Joint Chiefs of Staff, darunter gab es die vier Teilstreitkräfte, die verschiedenen regionalen Kommanden, die Geheimdienste, Frühwarnsysteme, Satelliten, ballistische Flugkörper, Bombenflugzeuge, Kampfflugzeuge, Flugzeugträger, Fregatten, U-Boote und so weiter. Alles war in den späten 40er-Jahren des 20. Jahrhunderts gebaut worden, und zwar gegen einen ganz spezifischen Gegner, der, wie zu erwarten, der bedrohlichste von allen war, nämlich eine andere Großmacht, die den USA sehr ähnlich war. Das Gleiche galt für Panzer, gepanzerte Mannschaftswagen, Artilleriegeschütze und andere Waffen der Bodenstreitkräfte. Wie immer spielte das Nachahmen eine große Rolle. Daher waren viele Systeme, die von beiden Mächten eingesetzt wurden, schon aus einer halben Meile Entfernung nicht mehr zu unterscheiden.

Angesichts des 11. September stellten sich jedoch konventionelle Streitkräfte und ihr Waffenarsenal als völlig unbrauchbar heraus. Sie hätten den Angriff weder verhindern können, noch wurden sie dazu gebraucht, etwas Ähnliches auszuführen. Als man dies erkannte, bediente sich die Regierung Clinton 1993 polizeilicher Methoden, um Terroristen zu fassen und vor Gericht zu stellen, die das World Trade Center mit einer Autobombe angriffen. Anders reagierte die von Hardlinern dominierte Bush-Regierung, die sich entschloss, das Problem nach Afghanistan zu tragen. Zum Teil, weil sie glaubte, dass der Kern des Problems in jenem Land angesiedelt war - wie Beamte des Pentagons gern sagen, war es eine Frage von "die Fliegen außer Acht zu lassen, um die Sch... zu beseitigen" - zum Teil, weil das amerikanische Volk nach einer spektakulären Vergeltung für einen spektakulären feindlichen Akt rief; und zum Teil auch, weil jene, die für den 11. September direkt zur Verantwortung hätten gezogen werden sollen, tot waren und sich so der mächtigsten Regierung der Erde entzogen hatten. Vielleicht war der Hauptgrund dafür, das Problem nach Afghanistan zu tragen - man ist fast versucht zu sagen, es auf dem Rücken der Afghanen auszutragen - darin zu sehen, dass Amerikas Streitkräfte, die mehr als 350 Mrd. USD jährlich kosten, dort eingesetzt werden konnten, wenn auch nur zu einem geringen Ausmaß.

Danach regnete es Bomben auf Afghanistan herab. Im Vergleich zu vorangegangenen Bombardements war dieses, das sich einer unglaublichen Palette von High-Tech-Waffen bediente und von ausgezeichnet trainierten vorgeschobenen Beobachtern am Boden geleitet wurde, von fast erschreckender Genauigkeit. Und dennoch kann auch die klügste Bombe einen Turban tragenden moslemischen Extremisten nicht von einem nichtextremen Moslem unterscheiden oder überhaupt von einem, der gar kein Moslem ist, sich aber als solcher verkleidet, indem er sich einen Turban aufsetzt und einen Bart wachsen lässt. Zusammen mit der so genannten Nordallianz, die nichts anderes ist als eine lose Gruppierung von Mafiaähnlichen regionalen Bossen, die jederzeit bereit sind, einander den Hals durchzuschneiden, gelang es den Amerikanern, das Land zu überrennen und die wichtigsten Städte einzunehmen, oder besser gesagt, was von ihnen nach drei Jahrzehnten Krieg noch übrig war.

Insofern als ihre Stützpunkte gefallen, die wichtigsten Führer in den Untergrund gezwungen (wenn auch nur wenige gefangen) und eine neue Regierung aufgestellt wurde, sind die Taliban tatsächlich besiegt worden. Das Problem dabei ist, dass die Taliban nicht der Hauptfeind sind. Ein Jahr später wissen wir, dass sowohl außerhalb Afghanistans, und vielleicht auch innerhalb, wichtige Teile der Al Qaida noch intakt sind. Auch schaut es nicht so aus, als ob gelegentliche Verhaftungen an verschiedenen Orten weltweit notwendigerweise zur Zerschlagung der Organisation führen würden. Im Gegenteil: In vielen Fällen leisten sie Propagandaarbeit und werben neue Mitglieder an. Die Informationen, die wir über die in Hamburg gegründete Zelle Mohammed Attas besitzen, die den Angriff vom 11. September durchführte, lassen vermuten, dass diese Zelle eigenständig handelte und von außen nicht streng überwacht wurde. Um das Paradox noch zu verstärken, kam das Geld, das sie erhielt, nicht aus Afghanistan, sondern aus Ländern, die zuvor mit den Vereinigten Staaten verbündet waren, d.h. aus Katar, den Vereinten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien. Das Schlimmste ist, dass bin Laden, Mullah Omar und die meisten ihrer Kollaborateure noch immer auf freiem Fuß sind. Sie könnten sich zusammen oder einzeln in irgendeiner Höhle in Afghanistan verstecken oder genauso gut in irgendeinem anderen Land sein, wie z.B. Pakistan oder Tschetschenien, und Ausschau nach neuen Zielen halten, die sie in die Luft sprengen könnten. Je mehr Zeit vergeht, ohne dass wir herausfinden, wo sie wirklich sind, umso wahrscheinlicher wird diese Variante.

In Anbetracht dessen steht Präsident Bush vor einem Dilemma. Nachdem er seinen Twin-Towergroßen Finger auf Mullah Omar und bin Laden gerichtet hat, wird es ihm schwer fallen, den Feldzug in Afghanistan abzubrechen, solange diese beiden "Würdenträger" auf freiem Fuß sind, weil er fürchten muss, dass die Al Qaida ihre Stützpunkte in diesem Land wieder aufbaut. Schlimmer noch, man könnte behaupten, dass die Taliban gar nicht besiegt, sondern nur ihrer schweren Waffen beraubt und zerstreut worden sind. In Wirklichkeit handelt es sich bei diesen Waffen um übrig gebliebenes Zeug, das während der 80er-Jahre von den Sowjets erbeutet oder von ihnen zurückgelassen worden war. Langfristig könnte die Al Qaida oder eine Gruppe wie sie gefährlicher werden, als sie es war, solange sie konzentriert war und dem direkten Angriff zu widerstehen versuchte. Afghanistan ist ungefähr acht Mal so groß wie Österreich. Wie die Geschichte beweist, ist das Land durch sein raues Klima, seine unwegsame Topografie und seine langen Grenzen ideal für eine Guerilla-Kriegführung. Darüber hinaus ist es auf allen Seiten von islamischen Ländern umgeben. Auch wenn sich deren Regierungen den USA zur Verfügung stellen, wie das einige getan haben, sind sie nicht in der Lage, ihre gesamten Staatsgebiete und Bevölkerungen zu kontrollieren. Das bedeutet, dass die Opposition in Afghanistan wahrscheinlich immer in der Lage sein wird, sich auf irgendeine Weise Neuzugänge zu verschaffen.

Und während die USA den Krieg gegen den Terrorismus nicht zu Ende bringen können, bereiten sie sich bereits mit ihren Verbündeten darauf vor, den Irak anzugreifen. Ob dieser Angriff gerechtfertigt ist oder nicht, kann hier nicht diskutiert werden(FN4). Der wesentliche Punkt ist, dass der heutige Irak ein kleines Land mit einer Bevölkerung von 23 Mio. ist, von denen drei bis vier Millionen nicht einmal Iraker sind, und das nach einem Jahrzehnt von Sanktionen ein Bruttoinlandsprodukt hat, das wahrscheinlich weniger als ein Prozent des amerikanischen ausmacht. In den Jahrzehnten nach seiner schlecht bedachten Invasion von Kuwait hat Saddam Hussein ungefähr zwei Drittel seiner militärischen Stärke eingebüßt. Man weiß, dass er keine nuklearen Waffen besitzt, noch ein offensichtliches Programm, solche herzustellen; was die Trägermittel dafür betrifft, so hat er aller Wahrscheinlichkeit nach nur wenige davon. All das macht den Irak zu einem typischen Land, gegen das man auch im 21. Jahrhundert noch einen konventionellen Krieg führen kann. Andererseits, selbst wenn dieser Krieg schnell beendet würde, wie Präsident Bush und seine Berater hoffen, wird das kaum einen Unterschied im Kampf gegen den Terrorismus machen, geschweige denn die generelle Richtung, in die sich die Welt zu bewegen scheint, ändern.

Problemlösung: Überwachungsstaat?

Bis vor kurzem und zu einem erheblichen Maße bis heute sind die Streitkräfte der entwickelten Länder so zusammengesetzt, dass sie auf eine Bedrohung reagieren können, die entweder nicht mehr besteht oder rapid abnimmt. In der Zukunft werden neue Kräfte aufgestellt werden müssen, um den neuen Bedrohungen zu begegnen; auch wenn das bedeuten sollte, dass sie in vieler Hinsicht so anders sind, dass sie dem, was wir landläufig als Streitkräfte bezeichnen, nicht mehr entsprechen. Statt uniformierten Soldaten wird es Geheimdienstexperten und Geheimpolizisten geben, die verkleidet und verdeckt operieren. Statt Kampfflugzeugen und Panzern wird es Geheimdienste geben, insbesondere solche, die sich auf menschliche Agenten statt auf technische Mittel verlassen, sowie auch Spezialkräfte jener Art, die heute den Krieg in Afghanistan dominieren. Polizeikräfte und spezialisierte Agenturen, die für die Überwachung und die Handhabung chemischer, biologischer und nuklearer Bedrohungen verantwortlich sind, werden verstärkt werden müssen, wie dies heute auch bereits getan wird.

Gleiches gilt für Einheiten, die sich um Terroristenverstecke, Geiselnahmen usw. zu kümmern haben.

Sollte der Krieg gegen den Terrorismus keinen schnellen Erfolg bringen, was anzunehmen ist, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder werden Staaten in ihrem Bemühen, sich und ihre Bevölkerungen zu schützen, versuchen, die Staatsgewalt zu verstärken. Schon heute wird in etlichen westlichen Staaten davon gesprochen, den öffentlichen wie den geheimen Überwachungsapparat zu erweitern. Andere Maßnahmen, die überlegt oder bereits umgesetzt werden, schließen die Errichtung von heimlichen Gerichten ein, die sich etwa am Modell der "Star Chamber" orientieren, die alle, die dem englischen König zuwiderhandelten, in Angst und Schrecken versetzte, die Abschaffung oder Restriktion des Habeascorpus-Rechts, die es ermöglichen würde, einen Verdächtigen ohne Gerichtsverhandlung in Haft zu halten, sowie die Abschaffung des Rechtes auf Geheimhaltung bei Gesprächen von Rechtsanwälten und Klienten. In Zukunft könnte dies sogar die Wiedereinführung der Folter als Methode zur Beschaffung von Informationen bedeuten. Die amerikanischen Streitkräfte sollen dies in Afghanistan bereits getan haben, indem sie verschiedene Formen physischer Depravation bei der Befragung von Verdächtigen anwandten oder dies ihren lokalen Verbündeten überließen, die sehr viel weniger heikel damit umgingen(FN5). Freilich wird nicht alles in allen Ländern und auch nicht im selben Ausmaß geschehen. Andererseits wird wahrscheinlich auch kein Land der Welt dagegen immun sein, da der Terrorismus einen Gutteil seiner Stärke aus der Fähigkeit bezieht, das Land beliebig zu wechseln.

Die andere Möglichkeit besteht darin, dass Leute, Nachbarschaften, Gemeinden und Körperschaften das Vertrauen in die staatliche Fähigkeit, sie und die Ihren zu beschützen, verlieren und daher alles unternehmen werden, sich selbst ohne Staat zu schützen; zu einem gewissen Grad auch gegen den Staat. Dies könnte damit beginnen, dass sie alle möglichen Arten von Schutzeinrichtungen kaufen, von Alarmsystemen über Gasmasken bis hin zu kugelsicheren Autos und Dekontaminierungssätzen. Später werden sie Zäune bauen, private Wachen aufstellen, die Ein- und Ausgänge bewachen, Wachgesellschaften gründen, um ihre Wohn- und Arbeitsplätze zu verteidigen, und massenweise Waffen horten, sei es legal oder illegal. Schon jetzt beschäftigt die Sicherheitsindustrie in den USA mehr Leute, als es Soldaten in den regulären Streitkräften gibt. Diese Industrie hat einen größeren wirtschaftlichen Stellenwert als die Polizeikräfte auf staatlicher, bundesstaatlicher, städtischer und lokaler Ebene zusammen.(FN6) Auch in Deutschland wächst die Sicherheitsindustrie ins Unermessliche.(FN7) Einige dieser Firmen haben Zehntausende mehr oder weniger gut ausgebildete Mitarbeiter, inklusive Polizeibeamte, die dort schwarz arbeiten, bzw. ehemalige Mitglieder der Streitkräfte. Diese "privaten Armeen" sind mit allen möglichen leichten Waffen bis hin zu Sturmgewehren, gepanzerten Fahrzeugen und Hubschraubern ausgerüstet.(FN8) Es lässt sich im Prinzip auch nicht verhindern, dass beide Bewegungen - die eine von oben, die andere von unten - zugleich Platz greifen und einander hochschaukeln. Je mehr die Menschen sich zur Selbstverteidigung bewaffnen, umso stärker wird der Staat die Kandare anziehen müssen, um nicht die Kontrolle zu verlieren. Je straffer die Staatskontrolle, umso mehr werden sich die Bürger genötigt fühlen, sich nicht nur gegen den Terrorismus zu verteidigen, sondern auch gegen jene, die sie angeblich davor schützen. Dadurch könnten sie schließlich stark genug werden, selbst den Staat dazu zu zwingen, mit ihnen zu verhandeln, Kompromisse einzugehen und einen Teil seiner Autorität mit ihnen zu teilen. Wie Mao Tsetung zu sagen pflegte: "Macht erwächst aus dem Lauf eines Gewehrs". Wenn sich aber die Gewehre multiplizieren und zugleich die Besitzer wechseln, könnte das für unser liberales, demokratisches politisches System sehr schwer wiegende Konsequenzen haben.

Um etwas optimistischer zu enden, sei hier festgehalten, dass das bisher Gesagte nicht bedeutet, dass die Zivilisation in Wellen von Anarchie weggeschwemmt wird. Durch die gesamte Geschichte hindurch brachen aus Gründen, die tief in der menschlichen Natur verwurzelt und deshalb höchstwahrscheinlich auch nicht auszurotten sind, immer wieder Auseinandersetzungen aus. Einige davon zogen sich über lange Zeiträume hinweg und brachten extreme Verluste für die Beteiligten wie für die Unbeteiligten. Man denke etwa an den Hundertjährigen Krieg oder, im deutschsprachigen Raum, an den Dreißigjährigen Krieg, dem ein Drittel der Bevölkerung zum Opfer gefallen sein soll. Dennoch gibt es kaum, wenn überhaupt, geografische Regionen, die für immer im Kriegszustand gelebt haben, ganz zu schweigen davon, bis zu einem Punkt zerstört worden sind, dass menschliches Leben nicht mehr neu erstehen konnte. So wurde z.B. Karthago wieder erbaut, obwohl es die Römer dem Erdboden gleich gemacht und das gesamte Gebiet mit Salz bestreut hatten. Und Leben aus Ruinen wird zweifellos auch in Zukunft entstehen.

Verglichen mit der Zeit von 1945 bis 2000 wird das Leben in den meisten fortgeschrittenen Ländern durch den langsamen Wandel auf jeden Fall unbequemer werden. Es wird auch unsicherer werden und sich daher mehr auf Sicherheit konzentrieren, die sich oft in Form von Schikanen manifestieren wird. So werden die Einwanderungsbestimmungen verschärft und die Verfahren durch eine Unmenge von Formularen, Überprüfungen und Bürokratie erschwert werden, wie dies jetzt schon zum Teil der Fall ist; es werden Dokumente verlangt und Leute bestraft werden, wenn darin der Name der Großmutter aus Versehen falsch geschrieben ist. Man wird Menschen vor dem Betreten von Kinos und Supermärkten durchsuchen, sie beim Einsteigen in Flugzeuge die Schuhe ausziehen lassen und ihnen ihre Nagelzwicker abnehmen usw. Vieles davon wird nicht nur sehr zeitraubend, sondern völlig umsonst sein, denn umgekehrt gibt jede Warteschlange von Leuten, die auf ihre Durchsuchung wartet, auch ein ausgezeichnetes Ziel ab. Von Zeit zu Zeit werden die Menschen Terrorangriffe verfolgen, die irgendwo anders stattfinden, und einige, die in der Nähe waren, werden ihre Verwandten anrufen, um ihnen mitzuteilen, dass ihnen nichts geschehen ist, wie ich es, während ich diesen Artikel schrieb, selbst erlebt habe. Andere werden einen Moment innehalten, für sich selbst den Opfern kondolieren, ein Stoßgebet des Dankes sprechen dafür, dass ihnen nichts geschehen ist, und schließlich wieder ihrem ganz normalen Alltagsleben nachgehen. Unsere Kinder werden, während sie aufwachsen, alles als ganz normal empfinden, sich an das Leid rund um sie gewöhnen, um nicht zu sagen, dagegen abstumpfen, und man wird ihnen von einer Zeit erzählen, in der es möglich war, Restaurants, Banken und andere öffentliche Orte zu besuchen, ohne durchsucht zu werden, und sie werden darauf mit Unglauben reagieren. Verglichen mit dem, was die meisten dieser Länder in der Zeit von 1914 bis 1945 mitgemacht haben - nimmt man Terrorangriffe mit Massenvernichtungswaffen aus -, wird es wahrscheinlich gar nicht so schlimm werden. Was kann schließlich schon schlimmer sein als Hiroshima, Hamburg oder Dresden?

Viele haben in dieser "Schönen Neuen Welt" viel zu verlieren, andere ebensoviel zu gewinnen. So werden z.B. alle, die Sicherheit liefern bzw. vorgeben liefern zu können, ihre Produkte und Dienste enorm steigern können - das sei vor allem jenen Militärpersonen gesagt, die wegen der andauernden Budgetkürzungen um ihre Posten bangen. Mit erschwinglichen Ausrüstungskästen, die schnell und verlässlich Milzbrandviren und möglicherweise chemische Substanzen erkennen können, werden sich Millionen, wenn nicht mehr, verdienen lassen. Schon jetzt stehen einige Konzerne im Wettbewerb, so etwas auf den Markt zu bringen, und dasselbe gilt für Gesichtserkennungssysteme, idiotensichere Kreditkarten etc. Weitere Millionen und die Schaffung von Arbeitsplätzen werden sich mit dem Schutz von Wolkenkratzern, Wasserreservoirs, privaten Wohnhäusern und ganzen Wohngegenden machen lassen.

Wie immer in Zeiten großen Umbruchs wird sich alles ändern und doch, auf einer anderen Ebene, alles gleich bleiben - die meisten werden wie bisher weiterleben. Andere haben allen Ernstes den Einfluss der Ereignisse vom 11. September 2001 auf alle möglichen Sachen - von Tanz und Unterhaltung bis zum Sex - untersucht. Ich möchte lieber mit einem weiteren Mao-Zitat schließen, das sich auf die Nachwirkungen eines Nuklearkriegs bezieht: "Die Sonne wird weiterhin aufgehen, Bäume werden weiterhin wachsen und Frauen werden weiterhin Kinder gebären." Übersetzung aus dem Englischen: Mag. Eva Hosler ANMERKUNGEN:

(Fußnote1/FN1) Siehe Rubinstein, N.: Notes on the Word Stato in Florence before Machiavelli. In Rose, R. G. und Ferguson, W. F. (Hrsg.): Florilegium Historale, Essays Presented to Wallace K. Ferguson. University of Toronto Press, Toronto 1971, S.313-26.

(FN2) Siehe vor allem: Arms and Influence. Yale University Press, New Haven, CT, 1965.

(FN3) Siehe vor allem Fukuyama F.: The End of History. Free Press, New York 1991.

(FN4) Siehe jedoch, Schroeder, P. W.: The Case Against Preemptive War. American Conservative, 1-2 2002, S. 8-2002.

(FN5) Campbell, D.: U.S. Sends Suspects to Face Torture. The Guardian, 12.3.2002.

(FN6) Zu den Zahlenangaben siehe Zielinski, M.: Armed and Dangerous: Private Police on the March. Covert Action Quarterly, Internet-Dokument: http:77www.caq.com/CAQ54p.police.html, 1-3.

(FN7) Der Spiegel, Nr. 46/1996, S.37.

(FN8) Zur letzten relevanten Veröffentlichung siehe Mandell, R.: The Privatization of Security. Armed Forces and Society, 1/2002, S.129-51.

Martin van Creveld

Geb. 1946 in Rotterdam/Holland; seit 1950 in Jerusalem/Israel, Universitätsprofessor für Geschichte mit Spezialisierung in Militärgeschichte, Strategie und internationale Beziehungen an der Hebrew University Jerusalem; weitere Ausbildung an der London School of Economics; militärischer Berater und Autor von 15 Büchern, die in zehn verschiedene Sprachen übersetzt wurden; Die wichtigsten sind Supplying War (1978), The Transformation of War (1991) und The Rise and Fall of the State (1999).



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